Eisejuaz

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Die Arbeiten

Zu Cándido Pérez hab ich gesagt:

»Weißt du was von einer Arbeit?«

Er fegt den Platz, steckt die Hand in die Brunnen, holt die Blätter heraus.

»Ich such eine Arbeit.«

»›Mir essen nichts – wie sollen mir da arbeiten?‹, wie unser Doktor immer sagt. Mir essen nichts, keiner hat Kraft.«

»Ich such eine Arbeit.«

»Im Sägewerk, geht’s da nicht wieder?«

»Die haben schon einen Neuen für die Maschine. Da ist kein Platz mehr für mich.«

»Dein Chef im Sägewerk hat dich gemocht.«

»Da ist kein Platz mehr für mich.«

»Mir essen nichts, Mann. Warum heiratest du nicht meine Tochter?«

»Ich kann doch nicht heiraten, wegen dem Herrgott, du weißt schon, warum. Deine Tochter ist gut und stark und hübsch. Aber ich kann nicht heiraten, Mann.«

»Du kannst nicht heiraten. Aber du heiratest doch einen Weißen, der ist krank und schlecht und verdorben. Unsere Leute sind böse. Für ihn arbeitest du. Und mir essen nicht, arbeiten nicht, sind alle krank.«

Da hab ich zum Herrn gesagt: ›Lass nicht zu, dass das Blut mir ins Herz steigt. Und lass nicht zu, dass ich es mir anders überlege.‹

Zu Cándido Pérez hab ich gesagt:

»Dann geh ich jetzt angeln.«

»Die Armen dürfen nicht angeln, weißt du das nicht? Der Fluss, der hat jetzt Besitzer.«

»Ich geh jetzt angeln. Adiós.«

Wie man im Bermejo angelt, das weiß ich. Der Bermejo ist der Bruder vom Pilcomayo, und er ist ein verräterischer Fluss. Er hat Leute und Tiere fortgerissen, er hat Angler und Schwimmer aus Salta fortgerissen, einen Zug hat er fortgerissen. Ich weiß, wo man angelt. Ich kann mit der Rute umgehen und mit dem Netz und mit der Hand und mit der Schnur. Nachts geht’s besser als am Tag.

Dort wartet der große Lachssalmler auf mich. Ich hab ihn rausgeholt. Fünf Stunden hab ich gewartet, die Sonne ist auf- und untergegangen, und ich hab ihn rausgeholt. Ich leg ihn in die Karre, um ihn zu verkaufen.

»He«, sagt der dicke Zahnarzt, »wie viel willst du dafür?«

»Zweihundert Pesos, Señor.«

»Zweihundert Pesos – komm her, ich gebe dir hundert.«

»Nein, Señor.«

Da sagen die von der Eisenbahn:

»Wie viel willst du dafür?«

»Zweihundert.«

»Hübsches Tierchen. Da, nimm.«

»Danke, Señor.«

Der Zahnarzt hat immer zu viel gegessen. Er ist weg und hat wieder gegessen. Essen und Trinken, alles durcheinander. Als er nach Hause kam, ist er gestorben. Seine Frau wollte schlafen, da hat sie ihn gefunden, er war tot, und sie hat geschrien. Die Frau war eine von den Türken, von den Reichen. Und sie hat geschrien: »Wer gibt ihn mir jetzt zurück?«

In der brüllenden Hitze haben sie ihn zu Grabe getragen. Der Bruder von der Frau ist auf dem Weg gestorben, im schwarzen Anzug in der brüllenden Hitze.

Doña Eulalia lässt mir ausrichten: »Ich brauch dich für eine Arbeit im Hotel.«

Im Hotel haben sie eine Drossel aus Santa Cruz in Bolivien, die pfeift mehr als alle Vögel von hier zusammen, sie ist mit dem Teufel befreundet. Und vom Pfeifen kriegt sie niemals genug.

»Lisandro, was kommst du so spät, mein Sohn?«

Schon vor Sonnenaufgang hab ich mich auf den Weg gemacht.

»Lisandro, es ist zehn, was kommst du so spät? Schlitzohren seid ihr, mein Sohn, alle die reinsten Gauner. Du nicht, aber die anderen schon. Weißt du etwas von Benigno?«

»Nichts weiß ich, nein, Señora.«

»Er sagt, er ist krank. Ob das stimmt? Was sagst du, Lisandro?«

»Krank wird er sein.«

»Du wirst doch wissen, ob’s stimmt.«

»Mir essen nichts – da werden mir krank.«

»Wir essen nichts, mein Sohn. Ihr esst nichts, weil ihr bloß trinkt. Und davon werdet ihr krank. Aber ins Krankenhaus wollt ihr dann nicht. Schon seit einer Woche kommt Benigno nicht mehr. Ich bin alt und hinfällig, kann nicht mehr gut sehen, aber an mich, ja, an mich denkt keiner. Keiner macht mir die Käfige sauber, keiner gibt den Tieren frisches Futter. Die Zunge klebt mir am Gaumen. Ich spreche mit dir, aber ich kann dich nicht sehen. Mein Mund ist wie Watte. Wasser darf ich keins trinken, dick werde ich davon. Elf Tabletten nehme ich am Tag, alles für meine Gesundheit. Ich spreche mit dir, aber ich kann dich nicht sehen. Ich kenne dich, weil du so groß bist, mein Sohn. Aber sterben will ich nicht, tja. Wieso gefällt mir das Leben denn noch, warum? Eine Woche schon kommt er nicht mehr, der Benigno, und die Hühner und der Stall und die Küken, die Pflanzen – ich brauch dich, Lisandro, du bist immer ein guter Helfer gewesen.«

»Gut, Señora.«

»Ich weiß, was du denkst: ein starker Kerl wie ich – in den Hühnerstall? Mit den zwei Armen und dieser Stierbrust und diesem Ochsennacken? Der heilige Josef soll dich Geduld lehren und der heilige Antonius Ergebenheit. Bei den Norwegern ist es dir nicht gut ergangen, was da passiert ist, hab ich niemals gefragt. Und ich frag es auch jetzt nicht, irgendwann wirst du es ja doch noch erzählen, ich dränge dich nicht. Ich hab damals gesagt, geh doch zu den Franziskanern. Aber ihr: zu den Norwegern, den Engländern, den Ketzern. Sag bloß nicht, du gehst jetzt zu den Engländern.«

Guten Tag, krächzt die Drossel, hallo, krächzt der Vogel, lauter als alle Vögel von hier zusammen. Guten Tag, sonst nichts, hallo, sonst nichts, guten Tag.

»Deine Frau war gut, aber eure Mädchen sind feurig. Sie machen im Hotel hier sauber, und die Herren Reisenden, du verstehst … Lebst du jetzt mit einer Frau zusammen? Hast du denn wieder geheiratet? Die Herren haben ihre Bedürfnisse, da mische ich mich nicht ein, aber eure Mädchen sind zu allem bereit, mein Sohn. Du weißt ja, wie es mit Clorinda war, immer ist sie auf dem Stuhl eingeschlafen. Wo der Mais ist, das weißt du, mein Sohn. Mach die Tüte ganz voll, na los. Sieh dir die Hühner an, wie lang wohl haben die nichts gefressen? Warum kann ich nicht wieder jung sein? Dann würde es hier nicht so zugehen. Im Sitzen ist sie jedes Mal eingenickt, während sie ihren Sohn gestillt hat. Mit ihrer großen Brust hat sie ihn erstickt, aber sie hat es nicht mal gemerkt. Weißt du noch, was die Clorinda für riesige Brüste gehabt hat? Ihre Kleinen hat sie erstickt, und sie hat nicht gemerkt, ob sie trinken oder nicht, sie ist einfach nur eingeschlafen. Sieh mich nicht so böse an, mein Sohn. Was ich sage, ist wahr. Zwei Kleine hat sie so sterben lassen. Verhungert sind sie. Unterernährung, hat der Arzt mir gesagt. Beim Dritten hab ich gesagt: Jetzt ist Schluss! Schön braun war der, hatte blaue Augen. Irgend so ein Reisender … Die Herren haben ihre Bedürfnisse, da muss ich ein Auge zudrücken, sie zahlen für das Zimmer, und da haben sie nun mal auch das Sagen, du verstehst schon, mein Sohn. Dir kann ich so was ja erzählen. Schluss, hab ich gesagt, und da haben ihn reiche Leute aus Rosario zu sich genommen – heute ist er zehn, hat ein Auto mit Chauffeur, und all das ganz für sich allein. Ich tue gern Gutes, warum, weiß ich selbst nicht, ich bin einfach so, du kennst mich, mein Sohn. Sieh mal, der Rosenstock, ist das nicht schrecklich? Hast du nicht wieder geheiratet? Warum nicht, Lisandro? Du bist groß und stark. Du musst heiraten. Wie willst du denn leben? Männer sind anders als Frauen. Eine Alte wie ich, die kann allein leben, als Witwe. Aber ein Mann so wie du, mein Sohn, der braucht eine Frau. Eine gute junge Frau, du verstehst schon. Die anderen sagen, du bist wieder ein richtiger Waldmensch geworden. Wie kommt’s? Haben die Gringos dich so was gelehrt? Sag bloß … Ich hab damals gesagt: Geh zu den Franziskanern. Haben die Gringos dich so was gelehrt? Bringen die einem so etwas bei?«

›Lass nicht zu, dass das Blut mir ins Herz steigt‹, hab ich da zum Herrn gesagt. »Guten Tag, hallo, guten Tag.« Teufelsdrossel aus Santa Cruz! Über drei Höfe hinweg hört man sie.

»Clorinda, die arbeitet jetzt als Perle. Sie ist in Salta und hütet die Kinder von meinen Verwandten. Und das mit dem Schlafen im Sitzen, das ist jetzt vorbei.«

»Mir essen nichts – da arbeiten mir nicht gut, da sind mir zu schwach.«

»Geh in die Küche, mein Sohn, lass dir was zu essen geben. Und dann werden die Käfige saubergemacht.«

»Ich hab schon gegessen.«

In der Küche vom Hotel hat der Herr zu mir gesprochen, damals beim Gläserspülen. Auf einmal ist er in dem Strudel erschienen. Jetzt spricht er nicht mehr zu mir. Er spricht nicht zu mir, und er sieht mich nicht an. Er spricht nicht zu mir, und er schickt keine Boten.

Die Pilgerfahrt

Damals war ich schon allein. Damals war meine Frau schon tot. Da bin ich wegen den Boten des Herrn einmal nachts aus dem Haus im Lager von Hochwürden gegangen. Zu den drei Johannisbrotbäumen, und da hab ich die Arme erhoben.

»Tapir-Engel, mach mich hart im Wasser und auf dem Land, auf dass ich im Wasser und auf dem Land bestehe. Tiger-Engel, gib mir die Kraft des Starken. Nandu-Engel, lass mich laufen und springen und gib mir die Geduld des Vaters, der über seine Kleinen wacht. Rokokofrosch-Engel, gib mir ein kaltes Herz. Spießhirsch-Engel, gib mir die Furcht. Schweine-Engel, nimm mir die Furcht. Bienen-Engel, streich mir Honig auf den Finger. Chacoguan-Engel, lass mich nie aufhören, den Herrn zu rufen. Sprecht zu mir. Kommt her. Entzündet eure Feuer in mir. Baut eure Häuser im Herz des Eisejuaz, Botenengel des Herrn. Gürteltier-Engel, gib mir deine Knochenhaut, auf dass ich in die Tiefe vordringe und lerne und weiß und allem widerstehe. Schlangen-Engel, schenke mir Schweigen. Kommt her, sprecht zu mir, entzündet eure Feuer, baut eure Häuser, spannt eure Matten im Herz des Eisejuaz auf.«

 

Hochwürden neben den Johannisbrotbäumen.

»Wie das, Hochwürden? Hier, in der Nacht.«

»Und du, Lisandro? Hier, in der Nacht.«

»Ich hatte zu tun, musste beten.«

»Ich hab’s gehört. All die Jahre hast du mich also betrogen.«

»Ich betrüg nicht, Hochwürden. Ich bin keiner, der andere betrügt.«

»Alles, was wir dir gezeigt haben, der Weg, den deine Eltern auf sich genommen haben, die Taufe – umsonst, alles vergebens. Deine Eltern sind tot, deine Geschwister sind tot, der Weg, alles umsonst und vergebens.«

»Wegen mir haben wir uns auf den Weg gemacht. Ich hab gesagt: Wir müssen gehen.«

»Lügner, Betrüger, falscher Aufseher, sieh, dass du fortkommst! Kokain, Alkohol, Tabak, Spiel, Krankheit und Arbeitslosigkeit, das wird von jetzt an dein Leben sein. Weil du die Treue nicht kennst, weil du betrügst und ein schlechter Christ bist. Pack deine Sachen! Morgen soll die Sonne im Lager nicht mehr über dir scheinen, du Freund des Teufels, Seelengift deiner Mataco-Brüder und deiner Toba-Brüder aus der Mission.«

›Lass nicht zu, dass das Blut mir ins Herz steigt‹, hab ich gebetet.

Und gesagt hab ich:

»Lisandro betrügt nicht. Er ist ein guter Christ. Aber ich kenne die Engel des Herrn, die Boten des Herrn, die kenn ich. Meine Augen sehen sie. Sie haben mich lieb. Sie haben ihr Feuer in meinem Herzen entzündet, ihre Zelte in meinem Herzen errichtet, ihre Matten in meinem Herzen aufgespannt. Aber jetzt gehen sie. Ich sehe es, sie gehen. Fort gehen sie, fort.«

Und zu mir hab ich gesagt: ›Sie gehen fort! Ich seh’s, fort gehen sie, fort!‹

Und zu Hochwürden:

»Geben Sie mein Haus der Mauricia und ihrem Mann. Sachen hab ich keine mehr, das wissen Sie. Und jetzt gehe ich.«

Dann hab ich die Stimme erhoben und geschrien:

»Hochwürden, eines Tages sehen Sie mich noch wieder, und die Zunge wird Ihnen am Gaumen kleben und Sie werden nicht sprechen können. Mit Eisenstangen und Schlägen wird der Tod über Sie herfallen. Und bevor Sie sterben, werden Sie an mich denken. Wie das Nandu, das dem Jäger in die Falle geht und seine Kleinen davonlaufen sieht, und sie sind noch zu klein, um alleine zu leben, so werden Sie Ihre Kleinen davonlaufen sehen, dann aber werden Sie sterben. Und Eisejuaz wird da nichts tun können, niemand wird da nichts tun können.«

Dann bin ich fort, den Hang hinab. An der Wasserstelle bin ich vorbei, wo sie einst meine Frau geschlagen haben.

»Wasserstelle, dich verfluch ich nicht.«

Ich bin über den Bach gesprungen und hab nicht auf Schlangen geachtet, auf Schlangen nicht und auf niemanden sonst.

Ich habe gefleht: ›Boten des Herrn, kommt zurück. Kommt zurück, auf dass ich zum Herrn sprechen kann.‹ Alle Kraft hatte ich da verloren. Und krank bin ich schließlich geworden. Alle Kraft zum Aufstehen, für die Arbeit im Sägewerk. Unter einem Quebracho hab ich gelegen, und von da hab ich die Spinnen gesehen. Sie hatten ein großes Netz gewebt, zwischen dem Quebracho und einem Weihrauchbaum, und da saßen sie wie Sterne am Himmel. Ich hab mir gesagt: ›Ob sie für mein Herz vielleicht auch ein Netz weben können?‹ Ich war so schwach, ich konnte nicht einmal die Augen öffnen. Da hab ich geweint. ›Was hab ich getan? Warum ziehst du die Boten zurück? Jetzt muss ich sterben.‹ Leer, ohne Boten, wollte mein Herz erlöschen, hohl, ohne Botschaft, meine Seele davongehen. Da hab ich gesagt: »So viel Leid, und meine Frau, die kann mir nicht beistehen. Was hab ich getan? Hast du mich dafür gekauft?« Ich hab die Spinnen gesehen, wie die Vögel auf dem See, wie die Fische im Fluss, so saßen sie alle in ihrem Netz. ›Wird es für mich denn auch ein Netz geben, auf dass ich die Boten einfangen und meinem Herz zurückgeben kann?‹ Aber geantwortet hat niemand.

So ging es die ganze Nacht.

Dann ist ein Mann mit weißer Kleidung gekommen. Einer von uns, ein Mataco. Kleider wie Blumen so weiß. Gekannt hab ich ihn nicht. Und er hat geglaubt, mich hat eine Schlange gebissen.

»Das war keine Schlange, ich bin krank und schwach.«

»Ich gebe bei der Mission Bescheid.«

»Zur Mission geh ich nie wieder hin.«

Da hat er geschwiegen.

»So kann ich dich nicht hier lassen, ich muss aber auch in die Schule.«

Da hab ich gewusst, wer er ist. Und er hat seine Leute gerufen, seine Kinder, dann ist er gegangen. Ein paar Alte sind gekommen, und auch eine Frau, aber sie waren zu schwach, um mich fortzutragen. Die Kinder haben gelacht, die Alten gejammert, aber keiner konnte mich heben.

Neben dem Quebracho haben sie Feuer gemacht. Die Frau hat mir Wasser gegeben und gefragt: »Wo tut’s weh?« Nichts hab ich gesagt. Einer der Alten, ein Hinkefuß: »Wir müssen bei der Mission Bescheid geben.« Sie haben mich alle gekannt, ich aber kannte sie nicht.

»Nirgendwo wird Bescheid gegeben.«

Die Frau hat wieder gefragt: »Wo bist du krank?«

Nichts hab ich gesagt.

Mittags kam der junge Mann dann zurück.

»Warum habt ihr ihn nicht nach Hause gebracht?«

»Wir sind zu schwach dafür.«

Auch er war nicht stark genug, er war groß, aber dünn. Da wollte er eine Karre ausleihen. Da hat sich der Hinkefuß erhoben und ihn beiseite genommen: »Der Kerl ist sehr groß. Und er isst viel. Lass ihn hier.« Der junge Mann ist böse geworden: »Trotzdem nehme ich ihn mit.« Dann hat er seine Frau gerufen, damit sie uns neben dem Quebracho das Essen kocht. Seine Kinder haben die Karre geholt, und die Frau ist mit einer Büchse voll Wasser gekommen, und in dem Wasser ist ein Schafskopf gewesen.

»Wenn er krank ist, darf er nicht essen.«

Das hat der Hinkefuß gesagt. Gehinkt hat er von einem Pfeil, der ihm als Kind einmal den Hintern durchbohrt hat und an der Hüfte wieder rausgekommen ist. Aber das haben sie mir erst später erzählt. Ich hab gesagt:

»Dein Herz ist krumm, wie deine Beine. Doch es werden keine dreißig Tage vergehen, bis unser Herr dich bestraft.«

Da ist er erschrocken. Aber ich hab gesehen, dass ich ohne die Boten des Herrn in der Seele über die Sachen des Herrn nicht sprechen kann. Ich hatte bloß mit der Zunge gesprochen, und da hab ich mir auf die Zunge gebissen und nichts mehr gesagt. Das Blut ist mir von der Zunge aus dem Mund gelaufen und auf den Boden getropft. Da haben die Leute geglaubt, ich sterbe. Und die Frau von dem jungen Mann, die wollte ihren Gatten herholen, und sie hat auch geweint, weil sie gut war. Aber ich hab gesagt:

»Ich ess nichts, ich brauch nichts, ich habe mir bloß auf die Zunge gebissen.«

Und im Herzen hab ich zum Herrn gesagt: ›Warum ist das alles passiert?‹

Es war Tag, aber für mich war es wie Nacht. Die Augen hab ich weit aufgerissen, und alles war dunkel. Alles, was ich gesehen hab, war schwarz. Und meine Seele hat sich davonmachen wollen. So leer wie sie war, war hier kein Platz mehr für sie. Ohne Feuer und Matten und Häuser für die Boten des Herrn war sie bereit zu gehen, ohne die Engel, die mit der Welt verbinden, war hier kein Platz mehr für sie.

Von dem Feuer neben dem Quebracho ist Rauch zu den Spinnen hinaufgestiegen. Da sind sie fort, und viele sind runtergefallen. Ins Feuer oder zu Boden sind sie gefallen, und das Netz ist ganz schwarz geworden, und nicht eine Spinne war dort noch zu sehen. Und ich hab gesagt: »So wie dem Netz, so wird es auch meiner Seele ergehen, nichts wird mehr da sein, um die Boten des Herrn einzufangen, nichts wird mehr in ihr wohnen, ganz zerfallen ist sie schon.« Hochwürden wollte ich die Schuld daran geben, aber es war nicht die Schuld von Hochwürden. Warum die Engel des Herrn verschwanden, das wusste ich nicht. Und ich habe gejammert.

Da ist der Mann mit der Karre gekommen, und alle zusammen haben sie es geschafft und mich in ihr Haus gebracht. Es war nicht aus Buntgras und auch nicht aus Lehm, es war aus Blech und aus Brettern. Dort haben sie mich dann auf den Boden gelegt und danach haben sie mich versorgt. Gegessen habe ich nichts, bewegt hab ich mich nicht, umgesehen hab ich mich nicht. Sie haben mich versorgt und Don Pedro Bescheid gegeben, so hat er gewusst, dass ich nicht zur Arbeit ins Sägewerk kommen kann.

Der junge Mann hat gesagt:

»Don Pedro war unser Vater, der Vater von all unseren Leuten. Darum haben sie ihn hinausgeworfen, darum ist er nicht mehr Bürgermeister.«

»Die Türken haben ihn hinausgeworfen, sie waren es, die reichen Leute, er wollte, dass sie die Arbeit, die wir tun, auch gerecht bezahlen.«

Der junge Mann:

»Als Don Pedro erfuhr, dass ich in die Schule gehe und lerne, hat er mir eine leichte Arbeit gegeben. Ich war Pförtner, im Rathaus, und machte die Arbeit im Sitzen. Das haben sie mir wieder genommen. Im Müllwagen fahre ich jetzt, jeden Abend bis spät in die Nacht. Und am Vormittag geh ich zur Schule. So bin ich müde und schaffe nicht viel.«

Ich hab gesagt:

»Wie man Häuser aus Buntgras baut, weißt du das nicht?«

»Nur für kurze Zeit sind wir hier. Wir sind von der Chaco-Mission. Wenn ich Lehrer bin, kehren wir in die Berge zurück. Da gibt es viel Armut und Elend. Zum Jagen gibt es dort nichts mehr und auch nicht zum Fischen. Wegen dem Lärm und den Autos und Schiffen und Jägern und Flugzeugen laufen die Tiere davon. Die Leute verhungern. Unsere Leute müssen lesen und arbeiten lernen, sonst werden sie alle bald sterben.«

Da hab ich gesagt:

»Aber hältst du es in den Bergen auch aus?«

»Ich werde mich schon dran gewöhnen.«

In der Nacht haben der Mann und die Frau und die Kinder alle auf dem Boden geschlafen, und draußen vor dem Haus haben die Alten geredet. Die alte Frau hat gesagt: »Als ich jung war, hat meinen Bruder im Wald, weit weg von den Häusern, eine Schlange gebissen. Er hat es nicht rechtzeitig zurückgeschafft. Der Heiler hat lange gesungen, gefleht, aber es war schon zu spät, mein Bruder war kurz vor dem Sterben. Alle Männer haben in der Nacht mit dem Heiler gesungen, sie wollten meinen Bruder erretten, den guten Jungen, der schon im Sterben lag. Da ist der Jaguar gekommen und hat meinen Bruder verschleppt. Eine breite Spur hat er hinterlassen, mein Bruder hat Äste abgerissen und damit die Spur bezeichnet. Alle Hunde sind in den Wald, haben gejault und vor Angst laut gewinselt. Alle Frauen, alle Kinder und fast alle Männer haben sich in den Häusern versteckt. Doch es ist ein feister Jaguar gewesen, keiner, der gern auf Bäume raufsteigt. Vier Männer haben ihn mit Pfeilen erlegt. Der eine war der Vater meines Bruders, mein Vater. Der andere der Anführer. Und dann noch zwei. Sie haben meinen Bruder zurückgebracht. Die Därme haben bis auf den Boden gehangen. Er war tot, und der Schrecken stand ihm im Gesicht.«

Da hab ich zum Herrn gesagt:

»Was sagt mir deine Stimme durch die Stimme der Alten? Werde ich sterben, so wie ihr Bruder? Und meine Seele, wird sie auch sterben?«

Der junge Mann stand auf, noch bevor der Tag anbrach, und zu mir hat er gesagt:

»Du hast im Schlaf gestöhnt. Heut hol ich den Arzt.«

Und ich hab gesagt: »Heut geht es mir gut.«

Das hab ich gesagt, weil ich gesehen hab, dass er ein guter Mensch ist und eine große Familie hat und für alle nur wenig zu essen.

»Es kann dir nicht gutgehen, du hast nichts gegessen.«

Ein Alter hat draußen vor der Tür gesagt:

»Rufen wir die Heilerin, die von der Mission von den Franziskanern, die heilt, ohne dass die Brüder es wissen.«

Da ist der junge Mann böse geworden:

»Ich bin Christ und du auch. Und darum musst du an Christus auch glauben.«

Die Chaco-Mission ist von den englischen Gringos.

»Der Kranke da, der ist auch Christ, aber ein Christ von den anderen. Er ist einer von der Norwegerkirche. Acht Jahre war er Aufseher bei ihrer Mission.«

Als der junge Mann in die Schule gegangen war, hab ich zu seiner Frau gesagt:

»Leih mir eine Axt und die Karre, die sie euch geliehen haben, dann mache ich Kohle für euch. Und die Hälfte von dem, was ich verkaufe, die Hälfte gebe ich euch.«

»Du bist nicht gesund. Du hast nicht die Kraft, um zu hacken.«

»Leih mir die Sachen, dann werde ich schneller gesund.«

Die Frau hatte Angst, weil die Sachen nicht ihnen gehörten, und da hat sie gesagt:

»Ich will erst mal sehen, ob du stehen kannst.«

Ich konnte nicht stehen. Auf einen Stock musste ich mich noch stützen. »Ich geh trotzdem«, hab ich gesagt. Da hat sie ihren Kindern gesagt, sie sollen die Karre schieben und die Axt und einen Krug Wasser hineintun. Ich bin mit dem Stock bis zum Wald. Drei Kinder sind es gewesen. Die Milchzähne waren ihnen noch nicht ausgefallen. Sie haben die Sachen gelassen, wo ich es ihnen gesagt hab, und sind dann nach Hause zurück. Aber ich hatte keine Kraft, um die Axt zu heben. Am Boden bin ich sitzen geblieben. Und zum Herrn hab ich gesagt: »Welche Sünde hab ich gegen dich begangen?« Aber niemand hat nichts geantwortet.

 

Wieder hab ich gesprochen:

»Was hast du mit Eisejuaz getan? Was ist von Diesem Hier Auch übrig? So kann ein Mensch doch nicht leben!«

Aber niemand hat mir geantwortet.

An die Sonnenechse hab ich gedacht, die Botin, die damals gesagt hat: »Immer und ewiglich ist der Herr, nie geboren, wird er niemals sterben.«

»Aber du hast Eisejuaz aus deinem Gewand geschnitten. Aus deiner Kette hast du ihn fallenlassen.«

Ich bin aufgestanden.

»Die Perle, die aus der Kette fällt, wird von der Hand aufgefangen!«

Aber niemand hat mir geantwortet.

»So kann ein Mensch doch nicht leben!«

Aber niemand hat nicht geantwortet.

Da ist eine Alte erschienen. Ich wollte niemanden sehen, kein Wort hab ich zu ihr gesagt.

»Gestern hab ich dich durch mein Fenster gesehen, und heute seh ich dich wieder. Hier bin ich.«

Nichts hab ich gesagt.

Die Alte hat die Axt genommen.

»Sag, von wem ist die Axt?«

»Lass sie los!«

»Von wem ist die Axt?«

»Lass sie los, oder du wirst es bereuen.«

Ich hab ihr die Axt aus der Hand gerissen. Die Alte ist böse geworden.

»Deine Herren sind wohl zu gut für mich, he?«

Sie war eine Chahuanca, eine von denen, die einen grünen Knopf in der Lippe tragen.

»Gestern hab ich dich durch mein Fenster gesehen, und heute seh ich dich wieder. Hier bin ich.«

»Wo steht denn dein Haus?«

»Von innen und außen bist du vertrocknet. Aber ich kann dir helfen.«

Nichts will ich von der Teufelsbraut. Noch nie hab ich sie gesehen, und ich will sie auch nie wiedersehen.

»Ganz schön hochmütig und stolz für einen, der so trocken ist wie du. Du bist zum Anführer geboren und wirst doch nie Anführer sein. Stark sollst du sein und hast keine Kraft. Reich bist du gewesen, hast ein Fahrrad gehabt, jetzt hast du nichts mehr. Eine Frau hast du gehabt, und sie ist tot. Sag, wohin willst du? Auch die Arbeit im Sägewerk wirst du verlieren. Hast geglaubt, du bist erwählt, aber jetzt geht’s dir schlechter als dem Leguan und schlechter noch als dem Gürteltier – nicht mal eine Höhle zum Schlafen hast du, und auch nicht die Kraft, um dir eine zu graben. Ich kann dir helfen, aber du siehst mich nur böse an.«

Ich hab gewusst, wer sie ist.

»Du lebst bei den Franziskanern, in der Mission.«

»Kennst du mich?«

Nichts hab ich gesagt. Sie war eine schlechte Frau, eine Freundin des Teufels. Auch mein Vater war Heiler gewesen, aber er war ein guter Mensch. Die Starken anrufen, die Boten, die Geister, die sich verstecken, all das hat er gekonnt, aber er war ein guter Mensch und hat viele geheilt. Und als er im Lager getauft worden war, hat er nicht mehr geheilt. Sein Todeslied hat er gesungen, wie ein echter Mataco, ein richtiger Mataco-Mann. Zum Herrn hab ich gesagt:

»Lässt du zu, dass sie mich verspottet?«

Aber die Kraft ist nicht zu mir zurückgekehrt. Und ich bin am Boden sitzen geblieben. Wieder hab ich gefleht:

»Soll wirklich alles so bleiben?«

Sie hat die Axt berührt. Dreimal hat sie sie berührt, und dazu hat sie mich ausgelacht:

»Schöne Kohle hast du da in der Karre.«

Ausgelacht hat sie mich. Und ich hab gesagt:

»Wart nur ab, wir sehen uns noch wieder.«

»Wart nur ab. Aber ich weiß, wann, und du nicht.«

So hat sie mich verspottet. Und dann ist sie fort.

Auf dem Weg, die drei Kinder des jungen Mannes. Zwei haben geweint. Eins war tot. In der Karre bringe ich es nach Hause.

Die Frau von dem jungen Mann:

»Christus lässt uns nicht im Stich, Señor Vega. Wenn du Kraft hast, zieh weiter. Wenn nicht, bleib hier. Gleich kommt mein Mann von der Schule, sein Schmerz wird sehr groß sein.«

Der Arzt ist erschienen:

»Wann hast du ihn denn abgestillt?«

»Vor einem Monat, Herr Doktor.«

Es war der Junge, der den Krug getragen hatte.

»Gute Frau, hier im Haus, da muss es wohl Wanzen geben.«

»Die gibt es, Herr Doktor, jawohl.«

»Aber lass ihn mal los, ich möchte ihn jetzt untersuchen.«

»Zu spät, Herr Doktor, zu spät, dafür ist es jetzt zu spät.«

Draußen vor der Tür die Alte zum Alten:

»Dem Mann da unter dem Quebracho, dem hab ich den Tod an der Nase angesehen, und auch am Mund. Ich hab ihn gefragt: Was hast du? Wo tut es weh? Nichts hat er gesagt. Wasser hab ich ihm gegeben. Nichts hat er gehabt. Nur den Tod, sonst nichts.«

»Ich hab doch gesagt: Nimm ihn nicht mit nach Haus. Da ist er böse geworden.«

Da habe ich gewusst, wonach ich gefragt hab, als ich zum Herrn gesagt hab: »Was sagt mir deine Stimme durch die Stimme der Alten, die hier vom Tiger erzählt?« Der Tod springt dich an, er ist feist, mitten zwischen den Häusern fällt er über dich her – das hat der Herr mir gesagt.

Die Alten haben heftig geweint. Nicht so die Frau. Der junge Mann, der ist aus der Schule gekommen, hat den Sohn gesehen und berührt. Dann ist er zu Boden gefallen, hat kein Wort gesprochen, als wäre er tot. Unten am Weg sagt der Arzt:

»Bist du nicht Vega, der Aufseher von der Mission?«

»Der bin ich, Herr Doktor.«

»Krank siehst du aus.«

»Krank bin ich.«

»Wie fühlst du dich? Gib mir die Hand.«

»Keine Kraft hab ich, schwach fühl ich mich.«

»Kein Puls. Verdienst du Geld im Sägewerk? Hast du zu essen?«

»Zu essen hab ich, Herr Doktor.«

»An deine Frau kann ich mich noch erinnern, die Ärmste. Wann bist du krank geworden? Warum bist du nicht zur Ambulanz?«

»Das mach ich schon noch, Herr Doktor.«

»Gleich heute.«

»Jawohl.«

»Diese Leute, sind das Verwandte von dir?«

»Nein, Herr Doktor. Viel mehr. Viel mehr als Verwandte, Herr Doktor.«

Mein Freund Yadí, Pocho Zavalía, im Wald mein Bruder, stand neben dem Laden.

»Was machst du hier? Arbeitest du nicht im Sägewerk?«

»Bin eben hier, na und?«

»Und oben bei der Mission, beim Gringo?«

»Das ist vorbei.«

»Besser so. Das ist doch kein Leben – rauchen verboten, trinken verboten, tanzen verboten, und die Jungs dürfen nicht einmal Ball spielen.«

»Was redest du da? Natürlich kann man so leben.«

Brüllend heiß war es im Dorf in diesen Tagen, und immerzu tönte die Stimme, die sagt: »Geht ins Kino, kauft Schuhe!« Selbst hinter dem Dorf noch war sie zu hören, auf der anderen Seite der Gleise. Dort wohnt die alte Mutter von Yadí, Pocho Zavalía, eine gute Weberin, und dort wohnen auch seine Frau und Kinder.

»Schlecht siehst du aus, hässlich, krank, mager und gelb. Was hast du? Aber komm erst mal rein.«

»Ich bleib lieber draußen, ich komme nicht rein. Ich schlaf unter dem Palosanto. Ich weiß nicht, was mit meinem Herzen los ist – wo ich reingehe, kehrt auch der Tod ein.«

»Verhext haben sie dich. Und das Fahrrad?«

»Das ist vorbei.«

»Du hast keine Kinder, du hast keine Frau, du hast keine Enkel.«

»Nichts hab ich, Mann, ich hab nichts. Nicht einmal Kraft hab ich noch.«

Im Wald waren wir Brüder, mein Freund Yadí, Pocho Zavalía, und ich. Heimlich sind wir zu den Chahuancos gegangen, zu diesen wilden Leuten, den wildesten von allen. Wir waren Kinder, und sie haben uns nie vertrieben. Wir haben gesehen, wie sie ihre Masken machen und den weißen Stein, mit dem sie heilen. Ihre Heiler bewahren ihn in kleinen Beuteln auf, und zum Heilen machen sie ihn warm. Mein Vater hat das nicht gekannt, er hat den Stein nicht verwendet. Und aus Schlangenfett machen die Chahuancos Gift und streuen es dann in das Maisbier – wer davon trinkt, ist am nächsten Tag krank. Als Kinder sind wir heimlich zu den Chahuancos gegangen, Yadí, Pocho Zavalía, und ich. Dort haben wir gelernt. Er erinnert sich noch heute und macht Masken, große Gesichter, und bringt sie zum Clubhaus, zum Hotel und zum Buchladen. Er schnitzt Bogenschützen, Wasserträger und Krieger und verkauft sie.

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