Wie aus dem Ei gepellt ...

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Die Rosenkönigin

„Ich denke, jetzt sind alle Körbe voll“, sagte der Hasenvater. Er hatte die Osterkörbe auf die Bank gestellt und die Eier gleichmäßig verteilt.

Die Hasenmutter blickte ihren Sohn Sammy an. „Ich fürchte, das bedeutet viel Arbeit für dich“, meinte sie. „Nur gut, dass dein Freund Nick morgen kommt. Ich weiß, dass ihm das Bemalen der Ostereier genauso viel Spaß macht wie dir. Außerdem habt ihr letztes Jahr bewiesen, dass ihr ein eingespieltes Team seid.“ Sammy gähnte. Das Bemalen der Ostereier konnte bis morgen warten. Heute war er müde und wollte bloß noch ins Bett.

„Ich hoffe, dass du kein Schlafwandler bist“, scherzte der Hasenvater. „Wenn du heute Nacht gegen die Bank stößt, sind die Eier kaputt.“

„Wer malt dann die zerbrochenen Eier an?“, fragte Sammy im Halbschlaf. Als der Hasenvater ihm antworten wollte, merkte er, dass sein Sohn bereits eingeschlafen war.

Mitten in der Nacht wachte Sammy auf. „Ich werde mir ein Glas Wasser holen“, dachte er und tastete sich durch den Hasenbau. Da passierte das Missgeschick. Sammy stieß so ungeschickt gegen die Bank, dass sie umfiel. Die Körbe lagen auf dem Boden und die meisten Eier waren zerbrochen. Sammy stockte der Atem. „So ein Mist! Ich brauche dringend neue Eier, sonst fällt Ostern dieses Jahr aus.“ Er schaute zu seinen Eltern. Die hatten nichts gehört und schliefen.

Sammy schlich sich leise aus dem Hasenbau. „Ich werde zum Bauernhof gehen und die Hühner bitten, mir frische Eier zu legen“, dachte er. Es war dunkel, aber der Mond schien und Sammy machte sich auf den Weg. Es dauerte nicht lange, bis er den Hühnerhof erreichte. „Ich muss mich leise nähern“, flüsterte er, „sonst erschrecken die Hühner, fallen von der Stange und legen kaputte Eier. Das wäre schlecht, denn zerbrochene Eier habe ich selbst.“ Sammy stellte überrascht fest, dass die Hühner überhaupt nicht schliefen. Sie liefen fröhlich gackernd umher und schienen sich nicht daran zu stören, dass es eigentlich Nacht war. Die Oberhenne stand bereits am Tor und erwartete ihn. „Eine schlimme Sache ist das mit den Eiern“, sagte sie, „aber ich fürchte, ich kann dir nicht weiterhelfen. Die Hühner feiern das bevorstehende Osterfest und haben keine Zeit mehr zum Eierlegen. Es tut mir leid.“

„Ich brauche die Eier unbedingt“, bettelte Sammy. „Können Sie überhaupt nichts für mich tun?“

Die Oberhenne hielt den Kopf schief und dachte nach. „Wenn du in Not bist, dann kann dir nur ein guter Freund helfen“, antwortete sie schließlich. „Aber jetzt muss ich das Tor wieder schließen, bevor der Fuchs kommt.“ Die Oberhenne verschwand und augenblicklich wurde es still auf dem Hühnerhof.

„Kein Huhn gackert mehr, alle scheinen plötzlich zu schlafen“, wunderte sich Sammy. „Woher wusste die Oberhenne eigentlich, dass ich die Eier zerbrochen habe? Ich hatte es ihr doch gar nicht erzählt.“ Sammy hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Er machte kehrt und beschloss, seinen Freund Nick aufzusuchen, wie es die Oberhenne empfohlen hatte. So schnell er konnte, rannte er zum Hasenbau, in dem Nick wohnte. Die Tür stand offen und Sammy ging vorsichtig hinein. Niemand war zu sehen. „Das ist aber seltsam“, sagte er. „Es ist mitten in der Nacht und Nick ist nicht zu Hause.“

Aber das war nicht die einzige Überraschung, denn als Sammy sich im Hasenbau umschaute, entdeckte er einen Gang, der ihm noch nie aufgefallen war. Er folgte ihm, bis er in der Ferne ein Licht erblickte und den Ausgang erreichte. Vor ihm lag eine große Wiese, die mit bunten Blumen bedeckt war. Die Sonne schien am Himmel, die Vögel zwitscherten und die Bienen flogen summend von Blüte zu Blüte. In der Mitte der Wiese entdeckte er eine Bank und darauf standen die Körbe mit den Ostereiern. Es waren genau die gleichen, die Sammy gerade im Hasenbau heruntergeworfen hatte. Auf der Bank saß Nick und war mit dem Bemalen der Eier beschäftigt.

„Hallo Sammy“, rief er erfreut. „Wo bleibst du denn? Hast du vergessen, was wir heute vorhaben?“

Sammy war jetzt völlig verwirrt. „Da stehen ja die Osterkörbe“, sagte er.

Nick blickte ihn verwundert an. „Wo sollen sie denn sonst stehen?“, fragte er. „Dein Vater hat sie uns doch gestern gebracht. Komm und hilf mir.“ Sammy setzte sich neben Nick und beobachtete ihn. Sein Freund pinselte kleine Rosen auf die Eier. „Seit wann kannst du so wunderbare Blumen malen?“, fragte Sammy erstaunt. „Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Nick beachtete ihn nicht, sondern malte unentwegt weiter. Mit atemberaubender Geschwindigkeit zeichnete er Rose um Rose. Sammy kam mit dem Pinsel überhaupt nicht zurecht. Der war viel zu dick, um ein Osterei damit zu verzieren. Aber sein Freund arbeitete mit dem gleichen Werkzeug.

Auf einmal stand Nick auf und sagte: „Ich besorge uns neue Farben. Warte hier auf mich.“ Dann verschwand er und Sammy mühte sich weiter mit dem Pinsel ab. Er wollte ihn in den Farbtopf tauchen, den Nick stehen gelassen hatte. Dabei brach der Pinsel ab und Sammy war jetzt völlig durcheinander. In diesem Augenblick kam Nick zurück. „Sammy“, rief er entsetzt. „Was ist mit den Eiern geschehen?“ Sammy wusste nicht, was Nick meinte und drehte sich um. Die Osterkörbe lagen am Boden und die kunstvoll verzierten Eier ebenfalls. Alles war kaputt. Sammy bekam nun auch einen Riesenschreck.

„Ich weiß nicht, wie das passiert ist“, stotterte er. „Ich bin die ganze Zeit hier gesessen.“

Nick winkte ab. „So schlimm ist das nicht“, sagte er beruhigend. „Aber wir müssen es der Rosenkönigin melden. Sie wird wissen, was zu tun ist. Komm schnell, wir gehen gleich zu ihr.“

„Welche Rosenkönigin?“, fragte Sammy verdutzt. „Nick, was geschieht hier? Ich verstehe überhaupt nichts.“ Sein Freund hörte ihn nicht, denn er war schon losgerannt. „Warte auf mich!“, schrie Sammy hinterher. „Ich kenne den Weg nicht.“

Während Nick leichtfüßig über die Wiese rannte, kam Sammy kaum vorwärts. Seine Beine waren schwer und er fühlte sich matt und kraftlos. Mühsam folgte er den Spuren seines Freundes. Plötzlich sah er sie: die Rosenkönigin.

„Das muss sie sein“, dachte Sammy. „Sie sitzt inmitten der Rosen und trägt eine prunkvoll verzierte kleine Krone. Außerdem hat sie goldene Haare und lächelt. Ob sie auch noch so freundlich ist, wenn sie die Geschichte mit den zerbrochenen Eiern erfährt?“

Sein Freund Nick kam angelaufen. „Sammy, wo bleibst du denn?“, rief er. „Die Rosenkönigin ist ganz begeistert von den bemalten Eiern. Komm schnell.“

„Die schönsten Ostereier weit und breit“, stellte die Rosenkönigin lobend fest, als sie Sammy sah. „Sie werden den Kindern auf der ganzen Welt gefallen. Ihr habt sie wunderbar verziert.“ Sammy bemerkte, dass die Osterkörbe mit den bemalten Eiern neben ihr standen.

„Sammy!“, hörte er seinen Namen. Er blickte zu Nick, aber der schaute zur Rosenkönigin. „Sammy!“, hörte er seinen Namen ein zweites Mal und das klang schon viel lauter. Auf einmal waren die Rosenkönigin und Nick verschwunden. Überhaupt alles war verschwunden und Sammy sah in das Gesicht seiner Mutter. „Sammy, willst du denn überhaupt nicht aufstehen?“, fragte die Hasenmutter. „In einer Stunde kommt Nick und bis dahin solltest du fertig sein.“

Sammy schaute zur Bank. Sie war leer. „Wo sind die Osterkörbe mit den Eiern?“, schrie er aufgeregt. „Die hat dein Vater gestern noch auf den Boden gestellt“, antwortete die Mutter und lachte. „Er hatte Sorge, dass die Bank unter dem Gewicht der Eier zusammenbricht. So ein Unsinn. Jetzt komm und iss deinen Salat. Ihr werdet heute den ganzen Tag Eier bemalen und da brauchst du deine Kraft.“

Volker Liebelt wohnt in Öhringen und ist 46 Jahre alt. Seine Hobbys sind seine Familie, Lesen, Wandern und Kurzgeschichten schreiben. Er hat schon mehrere Geschichten in diversen Anthologien veröffentlicht. Nach seiner ersten Kurzgeschichte „Keiner spielt mit mir“ in der letzten Osteranthologie schlug sein Sohn vor, dass es in diesem Jahr ein weiteres Abenteuer mit den beiden Häschen Sammy und Nick geben sollte.

*

Der Osterengel Gregor

„Mir sind da Dinge zu Ohren gekommen,

Ostern wird von den Menschen falsch wahrgenommen“,

sprach der Herr. „Du wirst zur Erde gehen

und dir das Verhalten der Menschen ansehen.“

Der Engel Gregor ging augenblicklich los,

fragte sich: „Wie mache ich das bloß?“

Als Mensch verkleidet, hat er eine Umfrage gestartet,

was er da hörte, hatte er nicht erwartet.

Auf die Frage: „Wie stellen Sie sich auf Ostern ein?“,

sagte die Hausfrau: „Das Haus muss sauber sein,

dann wasche und bügele, backe und koche ich,

Ostern, das ist der reinste Stress für mich.“

„Wir fahren in den Urlaub, wie jedes Jahr,

auf die Kanaren“, antwortete das junge Paar.

„Ach ja“, sagte Kevin vom Kirmesburschenverein,

„wir laden zum Umtrunk am Osterfeuer ein.“

„Ostereier suchen, du stellst aber Fragen“,

ließ sich Gregor von der kleinen Mia sagen.

„Ich“, sagte die Dame, „habe ein neues Kleid gekauft,

man weiß ja nie, was man Ostern so braucht.“

„Ich hoffe, dass die Leute in den Biergarten gehen“,

sprach der Wirt. „Da ist es Ostern wunderschön.“

Der Historiker meinte: „Ich werde nicht eher ruhen,

bis ich weiß, was die Menschen seit Jahrhunderten tun.“

Gregor hat eine Email in den Himmel geschickt:

 

„Herr, die Menschen sind total verrückt,

es mag sein, dass ich die falschen Leute gefragt,

aber nicht einer hat etwas von Jesu Auferstehung gesagt.“

Margret Küllmar, Jahrgang 1950, aufgewachsen auf einem Bauernhof in Nordhessen, ist Berufsschullehrerin im Vorruhestand und verheiratet. Neben der Herausgabe zweier eigener Lyrikbände ist sie in zahlreichen Anthologien vertreten.

*

Ostereier, Keks und Merle

„Los Keks, jetzt beweg dich doch mal und sammle die Eier ein!“, fordert Merle ihren Hasen auf. Dieser mümmelt nur weiter ruhig vor sich her. „Ach, das macht keinen Spaß mehr.“ Merle hebt ihn hoch und knuddelt ihn, während sie ihn vorwurfsvoll belehrt: „Wie sollst du denn ohne ein paar Eier ein Osterhase werden? So geht das nicht. Du musst ja irgendetwas zum Verteilen haben! Ich hab dir sogar schon einen Korb gebastelt!“

In dem Moment schaut Merles Mutter in den Stall und sieht ihre verzweifelte Tochter auf dem Boden sitzen. „Was ist denn los, Kleines?“, fragt sie besorgt.

„Keks möchte einfach nicht seine Ostereier vorbereiten, er ist nicht einmal ein winziges Stück weit gehoppelt“, antwortet ihre Tochter traurig.

„Hm, ja, das ist wirklich nicht gut für einen zukünftigen Osterhasen. Wie gut war er denn in der Osterschule?“, hakt die Mutter nach.

„Keine Ahnung, er war nie auf einer. Wieso denn, was ist damit?“

„Na, kein Wunder, dass er nichts macht, wenn er nicht weiß, was er tun soll. In einer Osterschule würde er lernen, wie er zu einem perfekten Osterhasen wird.“

„Das ist es bestimmt! Danke, Mama! Komm, Keks, du gehst jetzt zur Schule!“ Merle rennt mit ihrem Hasen auf dem Arm in ihr Zimmer, wo sie Malfarben, Papier, Pinsel und eine kleine Tafel hervorholt. Dann beginnt der Unterricht. Zuerst lernt Keks etwas über die Geschichte der Osterhasen, bekommt Informationen über die berühmtesten Osterküken und -lämmer, dann zeigt Merle ihm, wie man Ostereier bemalt und seinen Osterkorb am besten füllt. Dann erzählt sie ihm, was Kinder am liebsten mögen, später versucht sie ihm beizubringen, wo er sich wie am besten versteckt. Die nächsten Tage ist Merle nur noch mit der Ausbildung von Keks beschäftigt. Sobald sie ihre Hausaufgaben erledigt hat, widmet sie sich voll und ganz ihrem Hasen.

Einen Tag vor Ostern erklärt Merle Keks als dazu bereit, sich als Osterhase auf den Weg zu machen und Schokolade sowie Ostereier in den Nestern zu verstecken. Stolz präsentiert Merle ihren Eltern, was sie aus Keks gemacht hat. Vor ihnen sitzt ein Hase mit glänzendem Fell – Merle hatte ihn mit der Bürste gekämmt, die eigentlich für die Frisierpuppen bestimmt war – und auf dem Rücken trägt er einen großen, gelben Korb, bis oben gefüllt mit Schokoeiern und anderen Süßigkeiten. Merle hatte festgestellt, dass die Hühnereier viel zu schwer für ihren Hasen werden würden, und hatte nur kleine Dinge in den Korb gepackt. Die Eltern zeigen sich sehr begeistert von Merles Haustier und machen ganz viele Fotos von den beiden. Aber dann wird es auch schon Zeit zum Schlafengehen.

Das kleine Mädchen kann vor Aufregung gar nicht einschlafen, voller Vorfreude dreht sie sich ständig im Bett umher. Doch auch sie schläft irgendwann ein und wird von der Sonne, die an ihrer Nase kitzelt, geweckt. Ganz schnell macht sie sich fertig und zieht ein sehr hübsches Kleid an.

„Warum hast du dich denn so schick gemacht? Was steht denn heute an?“, fragt ihr Vater amüsiert am Frühstückstisch.

„Papa, wie kannst du es vergessen haben? Heute ist Ostern! Und Keks hat heute seinen ersten Tag als Osterhase! Jetzt werde ich sehen, ob er wirklich mit der Osterschule abschließen darf“, erinnert ihn Merle empört.

„Ach so, ja, muss ich wohl für einen Moment vergessen haben“, gibt ihr Vater lächelnd zurück.

Dann kommt der große Augenblick. Merle und ihre Eltern versammeln sich auf der Wiese hinter dem Haus. Die ganze Aufmerksamkeit liegt auf Keks, der auf der Erde sitzt. Es scheint Ewigkeiten zu dauern, bis er sich ein Stück bewegt und Merle wird schon ganz ungeduldig, doch plötzlich hoppelt er los und verschwindet zwischen den Büschen. Merle schaut ihm glücklich nach und feiert mit ihren Eltern das Osterfest. Sie findet unzählige bunte Eier, kleine Geschenke und ganz viele Süßigkeiten. Nachdem sie alles bewundert hat, macht sie es sich auf dem Sofa gemütlich und liest das Buch, welches sie in einem besonders großen Nest gefunden hat.

Doch als Keks am späten Abend immer noch nicht zurückgekehrt ist, macht sie sich große Sorgen. „Nicht, dass ihm etwas passiert ist“, schluchzt sie auf dem Schoß ihres Papas.

„Keks passt schon auf sich auf, aber wenn du willst, können wir uns unsere Jacken und eine Taschenlampe schnappen und mal nachschauen, ob alles in Ordnung ist, okay?“, schlägt er vor.

Merle nickt zustimmend und schon machen sie sich auf den Weg. Sie gehen zu dem Ort, wo sie Keks zuletzt gesehen hatten und dann laufen sie quer durch den Wald, der rund um die Wiese steht. Als Merle schon langsam müde wird und aufhören möchte, sieht sie unter einem Strauch etwas Weißes. Sie geht näher heran und erkennt, dass dort ein Zettel in einem Nest liegt. Sie greift nach dem Papier und rennt zu ihrem Vater, damit er ihr es vorliest. Als er die kleine Notiz überfliegt, muss er lächeln und auch nachdem Merle es gehört hat, macht sie sich beruhigt auf den Weg nach Hause, denn das stand dort geschrieben:

Liebe Merle,

damit du dich nicht um mich sorgst, möchte ich dir nur schnell schreiben, was passiert ist. Ich habe noch andere Osterhasen getroffen und ich habe ihnen alles von dir erzählt, was du mir alles beigebracht hast (außer einer Sache, und zwar das Karten lesen!) und da meinten sie, dass ich so gut ausgebildet wurde, dass sie mich direkt in ihre Osterhasengemeinde aufnehmen können.

Ich habe zugestimmt, auch wenn ich dich sehr vermissen werde. Aber wir werden uns ja wenigstens einmal im Jahr zum Osterfest sehen, ansonsten werde ich dich an jedem meiner freien Tage besuchen. Ich muss los, auch wenn Ostern jetzt vorbei ist, gibt es viel zu tun.

Bis bald und ganz mümmelige Grüße von

deinem (Osterhasen) Keks!

Maike Basmer ist 16 Jahre alt und wohnt in Stechow in Brandenburg. Zu ihren Interessen gehören Lesen und Schreiben, Filme schauen, boxen, reisen, grüne Dinge sammeln sowie neue Sprachen erlernen. Bisher hat sie eine Geschichte in einer Anthologie veröffentlicht.

*

Opa Theo und der Osterhase

Pia hatte Halsschmerzen! Das Schlucken tat ihr fürchterlich weh und sie konnte kaum sprechen. Doktor Bensel, der Kinderarzt, machte ein besorgtes Gesicht. „Das sind deine Mandeln, Pia. Die müssen raus, und das am besten so schnell wie möglich“, meinte er.

Auch das noch! Pia war verzweifelt. Nächste Woche war Ostern, und sie hatte sich fest vorgenommen, in der Nacht zu Ostern bei Opa Theo zu übernachten. Opa Theo hatte nämlich Hasen. Um genau zu sein fünfundzwanzig Stück. Pia kannte jeden einzelnen von ihnen. Und einen, den liebte sie ganz besonders: Flitzer. Flitzer war kein normaler Hase – da war sie sich sicher. Flitzer verstand jedes Wort, das Opa Theo sagte.

Manchmal hatte Pia sogar den Eindruck, die beiden würden sich unterhalten. Sie hatte deshalb schon seit Längerem einen Verdacht. Und deshalb wollte sie auch in der Nacht zu Ostern bei Oma und Opa schlafen. Genau genommen wollte sie eigentlich gar nicht schlafen, sondern sich spät abends auf die Lauer legen und den Hasenstall beobachten, denn Pia war sich sicher: Flitzer war der Osterhase. Er musste es sein!

Doch nach dem Besuch bei Doktor Bensel wusste Pia genau, dass sie sich dieses Jahr wohl nicht aufmachen und Flitzer beschatten können würde. Als die Halsschmerzen nach einigen Tagen besser wurden, fuhr sie mit ihrer Mutter zum Krankenhaus. Die Krankenschwestern waren alle sehr nett und versprachen Pia jede Menge Eis – sobald ihre Mandeln draußen waren. Und sie hielten Wort. Nach der OP bekam Pia so viel Eis, wie sie wollte. Die Halsschmerzen wurden schnell besser, und bald fühlte Pia sich schon fast wieder richtig gesund.

Am Samstagmittag ging es ihr dann sogar schon wieder so gut, dass sie wild entschlossen zu Oberschwester Marta marschierte und ihr erklärte, dass sie wieder fit war und nach Hause konnte. Vielleicht konnte sie Flitzer ja doch noch entlarven! Doch daraus sollte nichts werden. Oberschwester Marta war nicht zu erweichen. Enttäuscht legte Pia sich in ihr Bett und zog sich die Decke bis zur Nasenspitze hoch.

Es war bereits später Nachmittag, als plötzlich ein schriller, panischer Schrei quer über den Flur hallte. Noch bevor eines der beiden Mädchen die Zimmertür überhaupt erreicht hatte, flog diese schon auf und ein kleiner Junge, vielleicht fünf Jahre alt, stand im Pyjama vor ihnen und rief: „Der Osterhase wurde gesichtet! Oberschwester Marta hat ihn gesehen!“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er gleich wieder.

Pia und Christina rannten ihm nach. Im Nu verwandelte sich die ganze Station in ein heilloses Durcheinander. Oberschwester Marta rannte mit hochrotem Kopf über den Flur. „In die Pfanne kommst du, wenn ich dich kriege“, schrie sie.

„Ja, wenn sie ihn kriegt“, lachte der kleine Junge, der mittlerweile jedes einzelne Zimmer gestürmt und alle Kinder aus ihren Betten und auf den Flur gescheucht hatte.

„Los! Wir müssen den Osterhasen finden und ihm helfen, hier rauszukommen. Und zwar bevor Oberschwester Marta ihn bekommt“, rief Pia plötzlich.

Und mit einem lauten zustimmenden „Jaaa, wir müssen ihn retten!“ stürmten alle Kinder los. Oberschwester Marta hatte im Schwesternzimmer Alarm geschlagen, was dazu führte, dass nun ungefähr zwanzig Kinder in Pyjamas auf der Suche nach dem Osterhasen die Station 2b stürmten und sechs Krankenschwestern plus Oberschwester Marta hinter ihnen herjagten. Wer nun jedoch genau wen jagte, wusste wohl niemand mehr so recht. Jedenfalls dauerte es eine geschlagene halbe Stunde, bis Oberschwester Marta mithilfe der anderen Krankenschwestern alle Kinder wieder beisammenhatte. Der Osterhase jedoch musste immer noch auf freiem Fuße oder besser gesagt freiem Pfötchen unterwegs sein.

Gab das einen Ärger! Mit hochrotem Kopf schimpfte Oberschwester Marta etwas von „Hier geht es ja zu wie im Zirkus – erst ein Tier auf meiner Station und dann auch noch dieses Fiasko hier!“ Sie atmete tief durch, wandte sich an ihre Krankenschwestern und ordnete an, dafür zu sorgen, dass jedes Kind wieder in seinem Bett landete. „Um dieses Tier kümmere ich mich persönlich“, sagte sie und machte sich, bewaffnet mit einem Besen, wieder auf den Weg.

Pia war eine der Ersten, die wieder in ihr Zimmer kam. Als sie sich erschöpft auf ihr Bett fallen ließ, spürte sie plötzlich etwas Hartes im Rücken. Sie sprang auf, und warf die Decke zurück. „Das gibt’s doch nicht“, rief sie aus. „Christina, schau nur!“

Ihre Zimmernachbarin machte große Augen. Da lag doch tatsächlich ein Osternest, prall gefüllt mit jeder Menge Leckereien, in Pias Bett.

Sofort sah Christina auch unter ihrer Decke nach. „Oh! Da ist nichts“, sagte sie enttäuscht.

„Los, komm, wir müssen suchen! Der Osterhase ist doch nicht so blöd und wählt gleich zweimal das gleiche Versteck“, rief Pia. Und tatsächlich! Unter Christinas Bett lag ein Nest. „Ob er bei den anderen wohl auch war“, überlegte Pia laut und rannte zur Tür.

„Warte! Wenn Oberschwester Marta dich auf dem Flur erwischt, gibt es bestimmt wieder tierisch Ärger“, rief Christina, doch Pia war schon verschwunden.

Auf Zehenspitzen trippelte sie zum Nachbarzimmer. Auch dort hatte man schon ein Nest gefunden. Im übernächsten Zimmer erst ein Ei, doch die Suche war noch in vollem Gange. Als Pia sich gerade aus einem der Nachbarzimmer herausschleichen wollte, war ihr, als hätte sie für einen Moment etwas wie einen kleinen Schatten wahrgenommen. Verdutzt hielt sie inne. Es war mucksmäuschenstill.

„Das kann doch nicht sein“, dachte Pia und schlich hinterher. Ihr Weg führte zum Aufzug. Sie sah noch, wie einer der Fahrstühle eben seine Türen schloss. Pia hätte schwören können, dass sie noch für den Bruchteil einer Sekunde ein kleines graues Stummelschwänzchen im Aufzug verschwinden sah.

Es dauerte eine Weile, bis sie ihren Augen wieder traute und vorsichtig zu ihrem Zimmer zurückschlich.

Als sie dort ankam und leise die Tür öffnete, stand sie plötzlich vor Opa Theo.

 

„Pia! Da bist du ja“, strahlte er gut gelaunt. Pia stutzte. Wie um alles in der Welt sollte Opa Theo hergekommen sein, ohne dass sie ihn bemerkt hatte? Sie war die letzten zehn Minuten von Zimmer zu Zimmer geschlichen. Sie hätte ihn doch sehen müssen – schließlich hätte er nur über den Flur vom Aufzug her kommen können. Der Aufzug! Na klar! Pia war sich plötzlich sicher: Opa Theo war Flitzers Komplize. Er wusste Bescheid! Ihr Opa machte gemeinsame Sache mit dem Osterhasen! Pia stockte der Atem. „Pia? Alles in Ordnung?“, wollte Opa Theo sichtlich amüsiert wissen.

Pia schluckte. „Ehm ... ja ... also, ich meine, natürlich. Mir geht’s gut.“ Sie legte eine kurze Pause ein, bevor sie schließlich nachsetzte: „Sag mal, Opa, wie geht’s eigentlich Flitzer?“

Opa Theo verzog keine Miene. „Gut geht es ihm. Er war heute den ganzen Tag mit den anderen Hasen draußen im Garten und hat faul in der Sonne gelegen.“

„Hm“, machte Pia. „Und wann hast du ihn das letzte Mal gesehen“, wollte sie mit bestimmtem Ton wissen.

„Eben kurz bevor ich mich auf den Weg hierhergemacht habe“, antwortete Opa Theo mit angestrengt ernstem Gesicht.

Pia sah ihn noch einmal prüfend an. Sie glaubte ihrem Opa kein Wort! „Warte ab“, dachte sie. „Nächstes Jahr! Nächstes Jahr erwische euch alle beide!“

Silke Tappen ist 1982 in Köln geboren und dort aufgewachsen. Nach einer Ausbildung zur Erzieherin arbeitete sie mit sehr viel Freude in diesem Beruf, bis sie im Jahr 2011 selbst Mutter wurde. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten draußen. Spaziergänge mit Pferd, Hund, Mann und Kind sind für sie das Schönste. Die Freude am Schreiben kam bei ihr schon sehr früh – zu Grundschulzeiten – auf und ist bis heute geblieben. Der Umgang mit Tieren von Kind an, die spätere Arbeit mit Kindern und die Erlebnisse mit ihrem Sohn geben ihr immer wieder die besten Anregungen zum Schreiben von Geschichten – am liebsten für Kinder.