Greifen und BeGreifen

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Mögliche Symptome eines beibehaltenen oder rudimentär fortbestehenden Asymmetrischen Tonischen Nackenreflexes

1. Durch die Bewegung des Kopfes nach rechts oder links kann das Gleichgewicht beeinträchtigt werden.

2. Homolaterale (einseitige) anstelle von normalen Kreuzmusterbewegungen, zum Beispiel beim Gehen, Marschieren oder Seilspringen usw.

3. Schwierigkeiten beim Überkreuzen der Körpermittellinie.

4. Schlechte Fertigkeit, einen sich bewegenden Gegenstand mit dem Blick zu verfolgen, vor allem über die Körpermittellinie hinweg.

5. Wechselnde Lateralität. (Das Kind benutzt eventuell den linken Fuß, die rechte Hand und das rechte Ohr, oder es gebraucht abwechselnd die linke oder die rechte Hand für dieselbe Aufgabe.)

6. Schlechte Handschrift und mangelnde Fertigkeit, Gedanken schriftlich auf dem Papier auszudrücken.

7. Schwierigkeiten bei der visuellen Wahrnehmung, vor allem bei der Darstellung symmetrischer Figuren.

Der Suchreflex


Entstehung: 24.–28. Schwangerschaftswoche.

Bei der Geburt: Vollständig vorhanden.

Hemmung: Etwa 3–4 Monate nach der Geburt.

Der Such-, der Saug- und der Schluckreflex sollten bei allen Babys vorhanden sein. Diese Reflexe gehören zu der Gruppe der Greifreflexe, die sich im Mutterleib entwickeln.

Eine leichte Reizung der Wangen oder die Reizung des Mundwinkels wird dazu führen, dass das Baby seinen Kopf in die Richtung drehen wird, aus der der Reiz kommt; es wird den Mund öffnen und die Zunge – als Vorbereitung des Saugens – herausstrecken. Dieser Reflex kann an allen Bereichen des Mundes ausgelöst werden, weshalb er manchmal auch der Kardinalpunkt-Reflex genannt wird. Die Kombination von Such- und Saugreflex stellt sicher, dass das Baby sich einer Nahrungsquelle zuwendet und seinen Mund weit genug öffnet, damit es ihn um die Brust oder die Öffnung des Fläschchens schließen kann. Die anschließenden Saug- und Schluckbewegungen sind grundlegend für das früheste Stadium des Fütterns.

Odent (1991) stellte fest, dass der Suchreflex in den ersten Stunden nach der Geburt am stärksten ist. Er stellte ebenfalls fest, dass dieser Reflex sich abschwächt, falls das Baby in den ersten Stunden nach der Geburt keine Befriedigung bei seinem „Suchen“, erfährt. Bei zu früh geborenen Babys, die ihre erste Lebenszeit im Brutkasten verbringen, kann häufig beobachtet werden, wie sie in den ersten Lebenstagen spezifische Suchbewegungen ausführen; da sie aber die entsprechende Reaktion nicht erfahren, beginnt der Suchreflex sich zurückzubilden. Bei einigen dieser Kinder kann dieser Reflex noch lange Zeit, nachdem er eigentlich gehemmt sein sollte, in abgeschwächter Form ausgelöst werden. Hier verhält es sich genau wie mit anderen Reflexen: Wenn er nicht zum richtigen Zeitpunkt angewandt wird, bleibt er unerfüllt, quasi frustriert, und das Kind ist nicht in der Lage, ihn loszulassen.

Die Stärke des Suchreflexes kann variieren, je nachdem, wann die letzte Mahlzeit gegeben wurde. Er kann vorübergehend verschwinden, wenn das Kind gesättigt ist, um nach kurzer Zeit wiederzukehren. Umgekehrt kann er beim hungrigen Baby als „Vakuum“-Aktivität auftreten: Ohne äußere Berührungsreize wendet das Baby seinen Kopf auf der Suche nach Nahrung in alle Richtungen.

Peiper (1963) vertrat die Auffassung, dass primitive Reflexaktivität ein Kind auf die nächste Stufe eines konditionierten Reflexes vorbereitet, und führt den Suchreflex als Beispiel dafür an. „Wenn wir die Mundregion des Kindes berühren, werden Reflexe ausgelöst, die den Kopf drehen und die Lippen so bewegen, dass der berührende Gegenstand in den Mund hineingezogen wird. Diese lebenserhaltende Funktion ist angeboren, nicht jedoch die Fähigkeit, sich zur Brust oder Flasche zu drehen, wenn diese ins Blickfeld geraten. Dies wird sehr schnell gelernt. Aus dem Suchreflex entwickelt sich ein konditionierter Reflex, der beim Anblick der Brust oder der Flasche den Kopf in die richtige Position dreht.“

Voll oder teilweise erhaltene orale Reflexe haben eine fortgesetzte Sensibilität und unreife Reaktionen auf Berührungen in der Mundregion zur Folge – dies gilt vor allem für den Lippenbereich. Das Kind hat dann häufig Schwierigkeiten, wenn es zum ersten Mal feste Nahrung zu sich nehmen soll: Ein persistierender Saugreflex hindert die Zunge daran, die für das Schlucken erforderlichen reifen Bewegungskombinationen zu entwickeln; sie bleibt zu weit vorn im Mund, um wirkungsvolle Kaubewegungen zu ermöglichen. Eine mögliche Folge ist heftiger Speichelfluss, der bis ins Schulalter anhält, da beide Reflexe verhindern, dass das Kind angemessene Kontrolle über die Muskeln an der Vorderseite des Mundes entwickelt. Seine manuelle Geschicklichkeit kann ebenfalls betroffen sein, da unreife Saug- und Schluckbewegungen automatisch Einfluss auf die Hände haben und ein unwillkürliches Schließen der Handflächen im Rhythmus mit dem Saugen hervorrufen (Babkin-Reaktion).

„Der Stimulus für diesen Reflex besteht in einem festen Druck, der gleichzeitig auf beide Handflächen ausgeübt wird, während sich das Kleinkind in einer entsprechenden Position befindet – idealerweise auf dem Rücken liegend. Dem Stimulus folgt eine Beugung oder ein Vorwärtsneigen des Kopfes; gleichzeitig öffnet das Baby den Mund und schließt die Augen. Dieser Reflex kann bereits am Neugeborenen demonstriert werden; hierdurch wird auch deutlich, dass eine neurologische Verbindung von Händen und Mund selbst in diesem frühen Stadium vorhanden ist. Der Reflex verschwindet sehr schnell und kann im Normalfall nicht mehr ausgelöst werden, wenn das Baby mehr als vier Monate alt ist. Gelingt dieses über das Alter von vier Monaten hinaus dennoch, ist dies ein Hinweis auf eine zerebrale (Hirn-) Schädigung.“ (Holt, 1991)

Alle weiteren Indikationen für eine neurologische Hand-Mund-Verbindung werden als Babkin-Reaktion bezeichnet. Wie viele andere reflexhafte Reaktionen kann sie in beiden Richtungen funktionieren, also von der Hand zum Mund oder vom Mund zur Hand.

Wenn das Kind älter wird, können das Schlucken, die Nahrungsaufnahme wie auch die sprachliche Artikulation und manuelle Geschicklichkeit durch beibehaltene oder rudimentäre orale Reflexe negativ betroffen sein. Roberta Shepherd (1990) bemerkte:

„(…) die Entwicklung der normalen Schluckbewegung und der normalen Koordination von Atmung und der oralen Funktion [sind] sämtlich grundlegende Elemente bei der Entwicklung der Sprache. Man geht davon aus, dass die Muskelbewegungen beim Trinken eine ganz wesentliche Vorbereitung für die ersten Laute und für die Entwicklung des Sprechens sind.“

Langzeitwirkungen eines beibehaltenen oder rudimentär vorhandenen Such- und Saugreflexes

1. Überempfindlichkeit um die Lippen und den Mund herum.

2. Die Zunge kann sich zu weit vorn im Mund befinden, was das Schlucken und Kauen bestimmter Nahrungsmittel erschwert – das Kind beginnt vielleicht zu sabbern. Das Fehlen voll entwickelter Schluckbewegungen kann zu einer übermäßigen Wölbung des Gaumens führen; später wird dann vielleicht eine Gebisskorrektur nötig sein.

3. Sprach- und Artikulationsprobleme.

4. Mangelnde manuelle Geschicklichkeit.

Der Spinale Galantreflex


Entstehung: 20. Schwangerschaftswoche.

Bei der Geburt: Aktiv vorhanden.

Hemmung: 3–9 Monate nach der Geburt.

Wenn das Baby in der Bauchlage gehalten wird, ohne dass sein Kopf und seine Hüften gestützt werden (ventrale Lage) oder auf dem Bauch liegt, wird die Stimulation des Rückens seitlich der Wirbelsäule zu einer Hüftbeugung (Rotation) um 45 Grad in die Richtung des Stimulus führen. Dieser Reflex sollte auf beiden Körperseiten in gleicher Intensität vorhanden sein.

Zwar gab Galant diesem Reflex schließlich seinen Namen, aber er war bereits 1904 von Bertolotti als „réflexe dorsolombaire“ (Lendenwirbelsäulenreflex) beschrieben worden. Er hatte beobachtet, dass eine Stimulation der Lumbalregion zu einer schnellen Kontraktion der Rückenmuskeln führte. Diese Reaktion verschwand im Alter von zwei Jahren. 1912 entdeckte Noica „une réflexe de la masse musculaire sacrolombaire“, der bei den meisten Kindern, aber nur selten bei Erwachsenen zu finden ist. Sowohl Veragruth als auch Galant beschrieben 1917 ähnliche Reaktionen bei normalen Kindern, aber auch, so Veragruth, bei manchen geistig behinderten Erwachsenen.

„Wenn die Haut am Rücken dicht entlang der Wirbelsäule bestrichen wird, krümmt das Kind seinen Körper bogenförmig zur Seite; die konkave Seite des Bogens weist zum stimulierten Bereich, und indem es sich in die entgegengesetzte Richtung krümmt, weicht das Kind dem Stimulus aus.“ (Galant 1917)

Isbert und Peiper (1965) sahen die Reaktion als umfassender an als von Galant beschrieben:

„Die Anwendung des Stimulus führt zu einer Beugung des Beckens nach hinten, das gleichseitige Bein wird am Knie gestreckt und das Hüftgelenk wird gestreckt …. Häufig kann die Kopfhaltung durch die Stimulation der vorderen Oberfläche des Rumpfes verändert werden: Die Stimulation auf einer Seite bewirkt die Drehung des Kopfes zur stimulierten Seite.“

Diese eben angeführte Beobachtung scheint den Beweis für die Kettenreaktion zu liefern, die von einem Reflex zum anderen ablaufen kann. In diesem Fall bedeutet dies, dass die Aktivierung des Spinalen Galantreflexes sich manchmal auf eine asymmetrisch tonische Nackenreaktion ausweiten kann.

 

Wenn beide Seiten der Wirbelsäule vom Becken zum Nacken gleichzeitig stimuliert werden, wird der Pulgar-Marx-Reflex ausgelöst. Diese Reaktion umfasst „Beugung beider Beine, Lordose der Wirbelsäule, Anhebung des Beckens, Beugung der Arme, Heben des Kopfes, lautes Schreien, das in Apnoe und Zyanose übergeht, Entleerung der Blase mit anschließender Entspannung und Anregung der Verdauung; nach vollständigem Ablauf des Reflexes besteht für mehrere Sekunden eine allgemeine Hypertonie.“ (Pulgar Marx 1955) Nicht alle Merkmale dieses Reflexes sind jedes Mal präsent. Der Pulgar-Marx-Reflex sollte zwischen dem zweiten und dritten Monat gehemmt sein. Er wird nur selten bei älteren Kindern mit spezifischen Lernschwierigkeiten beobachtet. Am Institut für Neuro-Physiologische Psychologie wurden Spuren davon bei mehreren Kindern mit diagnostiziertem Asperger-Syndrom gefunden, ebenso auch bei manchen Kindern, die über das fünfte Lebensjahr hinaus tagsüber einkoteten.

Es ist nur wenig über die Funktionen des Spinalen Galantreflexes bekannt, außer vielleicht, dass er eine aktive Rolle beim Geburtsvorgang spielt. Das Zusammenziehen der Muskeln in der Scheidewand stimuliert den Lendenwirbelbereich des Kindes und löst außerdem kleine einseitige Rotationsbewegungen der Hüfte aus, die den Kopf- und Schulterbewegungen des Asymmetrischen Tonischen Nackenreflexes ähnlich sind. So kann das Baby mithelfen, den Weg durch den Geburtskanal zu bewältigen.

Dickson (1991) hat darauf hingewiesen, dass der Spinale Galantreflex auch als primitiver Leiter von Geräuschen im Mutterleib fungieren könnte, der es ermöglicht, dass im flüssigkeitsgefüllten Milieu des Mutterleibes Schallvibrationen den Körper hochsteigen können. So wäre der Fötus in der Lage, Geräusche quasi zu fühlen. Es ist auch möglich, dass dieser Reflex den Schallvibrationen hilft, sich an der Wirbelsäule entlang nach oben zu bewegen. Diese Hypothese wurde durch die Ergebnisse einer Studie untermauert, die von Butler Hall und Hadley durchgeführt wurde. Diese Studie untersuchte die Auswirkungen des Auditiven Integrationstrainings (AIT) auf aberrante primitive und Haltungsreflexe. AIT ist ein Klangtherapiesystem, das von Guy Bérard entwickelt wurde, um eine Reihe von hör- und sprachbezogenen Problemen zu behandeln. Butler Hall (1998) fand heraus, dass der Spinale Galantreflex bei Kindern nach dem AIT-Training durchgehend reduziert war, was darauf schließen lässt, dass es einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem Spinalen Galantreflex und dem Hören gibt. (Vgl. Kapitel 4, „Die Sinne“)

Eine weitere Interpretation geht in die Richtung, dass der Spinale Galantreflex eine Hinterlassenschaft unseres evolutionären Erbes aus der Zeit ist, als wir noch einen Schwanz hatten (Phillips 1994). Ein Schwanz oder eine schwanzähnliche Bewegung ist während des uterinen Lebens für die Bewegung im Uterus immer noch von Nutzen. Dies gilt ebenfalls für das Gleichgewicht während der Zeit, in der das Kind kriecht und krabbelt (die quadrupede Phase der Entwicklung) sowie für die Synchronisierung von Bewegungen der oberen und der unteren Körperhälfte auf einer Seite. Doch wenn die aufrechte Haltung erreicht ist, wird dies überflüssig, da die vordere Seite des Körpers und die Arme einige Anpassungsfunktionen für Gleichgewicht und Koordination übernehmen.

Wenn der Spinale Galantreflex über das Neugeborenenalter hinaus bestehen bleibt, kann er jederzeit durch leichten Druck im Lendenwirbelbereich ausgelöst werden. Eine Reizung auf beiden Seiten der Wirbelsäule löst gleichzeitig einen anderen, mit dem Spinalen Galantreflex in Zusammenhang stehenden Reflex aus, der bewirkt, dass das Kind Wasser lässt. Einen beibehaltenen oder rudimentären Spinalen Galantreflex findet man häufig bei Kindern, die eine schlechte Blasenkontrolle haben und die über das Alter von fünf Jahren hinaus Bettnässer bleiben. Beuret (1989), der in Chicago erwachsene Patienten behandelt, fand außerdem heraus, dass dieser Reflex bei vielen Menschen zu finden ist, die unter Verdauungsstörungen leiden.

Ein offensichtliches Merkmal, das bei Schulkindern auf einen beibehaltenen oder rudimentären Spinalen Galantreflex hindeutet, ist die Schwierigkeit, über längere Zeit stillzusitzen. Dies sind die Kinder, von denen man sagt, sie haben „Hummeln in der Hose“, die ständig ihre Körperhaltung ändern, zappeln und hin und her rutschen – und zwar schlicht und einfach aus dem Grund, dass das Gummiband im Hosenbund oder das Zurücklehnen im Stuhl den noch auslösbaren Reflex aktivieren. Verständlicherweise mögen diese Kinder meistens keine Kleidung tragen, die um die Taille herum eng sitzt. Der Reflex kann auch die Konzentration und das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen, da er als ständiger irritierender Störenfried immer um die Aufmerksamkeit des Kindes kämpft.

Bleibt der Spinale Galantreflex nur einseitig aktiv, kann er Haltung, Gang und andere Formen der Fortbewegung beeinträchtigen. So kann der Reflex den Eindruck eines „hinkenden“ Ganges erwecken; es kann auch die Ursache einer späteren Skoliose sein. Es ist ebenfalls möglich, dass er die vollständige Entwicklung der späteren Amphibienreflexe und der Segmentären Rollreflexe behindert und so flüssige Bewegungsabläufe und die allgemeine Beweglichkeit beim Sport oder anderen körperlichen Aktivitäten in Mitleidenschaft zieht.

Eine Skoliose ist eine abnormale Krümmung der Wirbelsäule.

Symptome eines beibehaltenen Spinalen Galantreflexes

1. „Herumzappeln“

2. Bettnässen

3. Mangelnde Konzentration

4. Schwaches Kurzzeitgedächtnis

5. Einseitige Hüftrotation beim Gehen

Der Tonische Labyrinthreflex

Tonischer Labyrinthreflex vorwärts


Entstehung: Im Mutterleib – fötale Beugehaltung.

Bei der Geburt: Vorhanden.

Hemmung: Etwa 4 Monate nach der Geburt.

Tonischer Labyrinthreflex rückwärts


Entstehung: Bei der Geburt.

Hemmung: Prozess, der sich vom Alter von 6 Wochen bis zum Alter von 3 Jahren vollziehen kann, bei gleichzeitiger Entwicklung der Kopfstellreflexe und jener Reflexe, die gewöhnlich als Halte- und Stellreaktionen kategorisiert werden, jedoch weiter oben als „Brücken“-Reflexe wie der Symmetrisch Tonische Nackenreflex und der Landau-Reflex bezeichnet werden. Zwischen dem Moro-Reflex und dem Tonischen Labyrinthreflex besteht in den ersten Lebensmonaten eine enge Verbindung. Beide sind vestibulären Ursprungs, beide werden durch die Stimulation des Labyrinths und dadurch auch durch jede Veränderung der Körperposition im Raum aktiviert. Der Reflex wird durch eine Bewegung des Kopfes nach vorn oder nach hinten ausgelöst, wobei der Kopf sich dann jeweils über bzw. unter der Ebene befindet, die das Rückgrat bildet. (Das Baby wird in Rückenlage gehalten.) Es wird angenommen, dass der Flexus habitus (die Position des Fötus in der Gebärmutter) die früheste Form des Tonischen Labyrinthreflexes in der vorwärts geneigten Position darstellt. Zum Zeitpunkt der Geburt sollte der Reflex vollständig vorhanden sein. Das Ausstrecken des Kopfes unter die Ebene des Rückgrats führt unmittelbar dazu, dass das Baby Arme und Beine ausstreckt (siehe Abbildung).

Der Tonische Labyrinthreflex sollte zum Zeitpunkt der Geburt in beiden Richtungen voll entwickelt sein. Die Hemmung des Tonischen Labyrinthreflexes vorwärts sollte mit etwa vier Monaten vollzogen sein. Die Hemmung des Tonischen Labyrinthreflexes rückwärts geschieht dagegen langsamer und nur schrittweise – in diese Entwicklung ist auch die Entstehung einiger Halte- und Stellreflexe eingebunden, und es dauert bis zu einem Alter von drei Jahren, bis dieser Vorgang vollständig abgeschlossen ist.

Wenn das Baby geboren wird, wird es gleichzeitig einer Reihe ganz neuer Herausforderungen ausgesetzt. Bisher hatte es sich in einer abgeschlossenen Umgebung befunden, die aus Wasser bestand, in der die Auswirkungen aller sensorischen Reize gedämpft wurden und in der auch die Schwerkraft eine abgeschwächte Wirkung hat. Der Tonische Labyrinthreflex stellt eine erste, primitive Methode für das Kind dar, mit dem Problem der Schwerkraft umzugehen. Jede Bewegung des Kopfes in vertikaler Richtung über die Mittellinie des Körpers hinaus wird zu einer extremen Beugung oder Streckung des ganzen Körpers führen. Dies beeinflusst den Muskeltonus im ganzen Körper vom Kopf abwärts.

Mit ungefähr sechs Monaten sollte diese Reaktion sich dahingehend verändert haben, dass die Kontrolle über den Kopf sich entwickeln kann. Auch der Augen- und der Labyrinthstellreflex sollten sich zu dieser Zeit bilden. Die Kontrolle über den Kopf ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung aller späteren Funktionen; sie sollte der Hauptinitiator aller Frühformen der Bewegung sein – das Gleiche gilt für die Muskelspannung und das Gleichgewicht (zephalo-kaudales Gesetz).

Das zephalo-kaudale Gesetz beschreibt eine Bewegung, die sich vom Kopf bis zu den Zehen abwärts vollzieht.

Der Tonische Labyrinthreflex hat einen tonisierenden Einfluss auf die Muskelspannung im ganzen Körper; er hilft dem Neugeborenen, sich aus der gebeugten fötalen und Neugeborenenhaltung gerade zu strecken. Auf diese Weise werden Gleichgewicht, Muskeltonus und Tiefensensibilität (Propriozeption) allesamt während dieses Prozesses trainiert.

Wird der Tonische Labyrinthreflex nicht zum richtigen Zeitpunkt gehemmt, wird er als Folge das vestibuläre System und dessen Interaktion mit anderen sensorischen Systemen stören. Ein Kind, bei dem der Tonische Labyrinthreflex noch aktiv ist, wird, wenn es mit dem Laufen beginnt, nicht in der Lage sein, echte Sicherheit im Umgang mit der Schwerkraft zu gewinnen (Ayres, 1979–1982), da die Bewegung des Kopfes den Muskeltonus verändert und das Gleichgewichtszentrum „über den Haufen wirft“. Da das Kind keinen festen räumlichen Bezugspunkt hat, wird es Schwierigkeiten haben, wenn es darum geht, Raum, Entfernung, Tiefe und Geschwindigkeit einzuschätzen.

Unser Richtungssinn basiert auf unserem Wissen darum, wo wir uns im Raum, der uns umgibt, befinden. Ist unser Bezugspunkt aber schwankend und instabil, dann kann die Fähigkeit zur Unterscheidung von oben und unten, links und rechts, vorn und hinten ebenfalls Schwankungen unterliegen. Dies ist genau der Zustand, den Astronauten im Weltraum erleben. Wenn Astronauten in eine schwerelose Umgebung versetzt werden, schreiben sie plötzlich von rechts nach links, sie verdrehen Buchstaben und Zahlen und fangen an, in Spiegelschrift zu schreiben – und demonstrieren damit die Bedeutung der Schwerkraft und der Balance für alle menschlichen Funktionsebenen.

Die anhaltende Aktivität des Tonischen Labyrinthreflexes führt dazu, dass sich die Kopfstellreflexe nicht vollständig entwickeln. Die mangelnde Kontrolle über die Kopfbewegungen wird auch die Funktion der Augen beeinträchtigen, da die Augen vom selben Regelkreis im Gehirn gesteuert werden – dem vestibulo-okularen Reflexbogen.

Wenn in einem Abschnitt dieses Regelkreises eine Funktionsstörung vorliegt, dann beeinträchtigt dies auch den reibungslosen Ablauf anderer Systeme, die von diesem Kreislauf abhängig sind. So wird die Balance durch fehlerhafte visuelle Information beeinflusst, das Sehvermögen wiederum wird durch die schlechte Balance beeinträchtigt. Es ist möglich, dass sich ein Zweiwegesystem etabliert, das nicht zusammenpasst, das das Kind aber für ganz normal hält, da es nie etwas anderes kennen gelernt hat. Eine dauerhafte präzise Wahrnehmung hängt von der Synchronisation im Timing der Botschaften ab, die zwischen dem vestibulären System, dem Körper und dem visuellen System ausgetauscht und dabei vom Cerebellum moduliert werden.

Vestibulo-okularer Reflexbogen


Die Organisation des Gleichgewichtssystems

Das Gleichgewichtssystem und die Augen befinden sich innerhalb desselben Schaltkreises. Informationen aus dem Körper gelangen zu den Vestibularkernen und werden zu den Augen weitergeleitet. Informationen von den Augen wiederum passieren die Vestibularkerne und gelangen dann zu den Propriozeptoren im Körper, um die angemessenen Anpassungen vorzunehmen.

 

Ein erhaltener Tonischer Labyrinthreflex verzerrt den Informationsfluss zwischen den Vestibularkernen und den Propriozeptoren des Körpers, was wiederum Auswirkungen auf die Augen hat. Daraus entwickelt sich dann in dreierlei Hinsicht ein nicht aufeinander abgestimmtes System.

Der Tonische Labyrinthreflex kann auch verhindern, dass das Kind auf Händen und Knien krabbelt, da die Bewegung des Kopfes zum Ausstrecken der Beine führt. Der Symmetrische Tonische Nackenreflex wird ebenfalls im System „eingeschlossen“ bleiben in seinem vergeblichen Versuch, den Tonischen Labyrinthreflex außer Kraft zu setzen, der das Kriechen und Krabbeln verhindert. Kriechen und Krabbeln dienen einerseits als Training, andererseits unterstützen sie den Prozess der Reflexhemmung. Beide erleichtern die Integration sensorischer Information, da das Gleichgewichtssystem, das visuelle System und das propriozeptive System zum ersten Mal in einer neuen Beziehung (Position und Orientierung) zur Schwerkraft zusammenarbeiten. Während dieser Phase der Bewegungsentwicklung verfeinert das Kind weiterhin sein Gefühl für Balance, Raum und Tiefe. Beim Kriechen und Krabbeln wird das „Rohmaterial“ des Sehens, Fühlens und der Bewegung zum ersten Mal synchronisiert, um dem Kind ein vollständigeres Bild der Umwelt zu liefern.

Der fortgesetzte Einfluss des Tonischen Labyrinthreflexes kann sich noch auf viele andere Funktionsgebiete auswirken: Balance und Bewegung werden beeinträchtigt. Längeres Stehen kann ermüden, denn eventuell muss die Haltung beim Versuch, sich mit dem Reflex einzurichten, immer wieder verändert und angepasst werden. Das kann sich in einer allgemeinen Neigung zum Vorbeugen äußern oder durch die Neigung mit vorgestrecktem Kopf dazustehen. Es kann auch sein, dass das Kind einen sehr schlaffen Muskeltonus hat und einen trägen Eindruck macht oder dass seine Bewegungen (vor allem, wenn es geht, rennt oder springt) ruckartig und steif sind. Solche Kinder entwickeln manchmal Höhenangst, da sie sich ihrer schlechten Balance bewusst sind. Aus Erfahrung wissen sie auch, dass eine Bewegung des Kopfes nach vorn dazu führt, dass die Knie sich beugen und so im Ganzen die Empfindung entsteht, vorwärts und in die Tiefe zu fallen. Auch kann das Hochhalten der Arme schnell sehr anstrengend werden. Diese Kinder registrieren Veränderungen der Beschaffenheit des Bodens unter ihren Füßen mit großer Empfindlichkeit, da sie versuchen, den Boden mit den Füßen zu „greifen“ um das Gleichgewicht zu halten.

Die daraus resultierende okulomotorische Fehlfunktion bringt es mit sich, dass die Augen dem Kind Streiche spielen, so dass es sich nicht immer auf das verlassen kann, was es sieht. Die Wahrnehmung von Tiefe ist unter Umständen gestört.

Betroffene Kinder können ebenfalls unter einem „figure-ground effect“ leiden (= Problem mit der Figur-Grund-Unterscheidung): Dem Kind fällt es schwer, sich widersprechende visuelle Informationen zu trennen und zu ordnen, zum Beispiel beim Gehen auf einer offenen Treppe oder auf einer Holzbrücke, durch deren Bohlen man das Wasser sehen kann. Es ist auch möglich, dass ein Kind Schwierigkeiten hat, die Augen von Weit- auf Nahsicht umzustellen, so dass es in der visuellen Information, die es empfängt, einen „blinden Fleck“ gibt. Hierdurch sind nicht nur diejenigen Fertigkeiten betroffen, die räumliche Wahrnehmung erfordern. Diesen Kindern fällt es häufig auch schwer, Geräusche zu lokalisieren. Hinzu kommt, dass sie leicht die Orientierung verlieren.

Die Kontrolle über den Kopf und eine gute Balance sind essentiell für das automatische Funktionieren aller anderen Körpersysteme – ein anhaltender Tonischer Labyrinthreflex verhindert sowohl die vollständige Entwicklung der Kopfkontrolle als auch der automatischen Balance.