Die drei Steine der Macht

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Verräterische Ohren

Max wurde am anderen Morgen von Hund auf ziemlich feuchte Art und Weise geweckt. Während Mimbelwimbel die Feuergrube zuschüttete und Anemone Brot abschnitt, wusch sich Max Hunds Sabber mit dem kalten Wasser des Baches aus dem Gesicht. Die Sonne war schon aufgegangen, aber unter dem Blätterdach war es noch kühl. Max graute es schon vor der kommenden Hitze des Tages.

Die nächsten zwei Tage verliefen wie der vergangene. Es gab keine unliebsamen Überraschungen, und sie kamen gut voran. Sie übernachteten in den Knicken und hatten das gleiche auch diesen Abend vor.

Am Nachmittag hatten sie die Schatten spendenden Bäume fast erreicht, in deren Schutz sie die Nacht verbringen wollten. Die Straße machte einen Bogen, so dass sie die Felder jenseits der Bäume nicht sahen. Mimbelwimbel war ihnen wie immer ein Stück voraus. Max konnte schon das Rauschen des Windes in den Bäumen hören, spürte förmlich die angenehme Kühle.

Während er in seliger Vorfreude schwelgte, erklang plötzlich aus den Bäumen Stimmengewirr. Metall schlug auf Metall, gefolgt von einem dumpfen Aufstöhnen und dem gellenden Schrei einer Frau, der schnell erstickt wurde. Anemone erstarrte und hielt Max am Ärmel fest, damit er ebenfalls stehen blieb. Alles Blut war ihr aus dem Gesicht gewichen. Max ahnte, was gerade geschehen war. Da kam Mimbelwimbel ihnen auch schon eilig entgegen und gab ihnen Zeichen, im Kornfeld zu verschwinden. Anemone reagierte sofort und zog Max, seinen Ärmel fest im Griff, von der Straße herunter in das anliegende Getreidefeld. Nach ein paar Schritten ging sie auf Tauchgang und zog Max mit sich in die Hocke.

Mimbelwimbel hatte sich, sobald sie im Weizen verschwunden waren, ebenfalls im Feld versteckt. Sie krochen nun im Vierer- bzw. Dreiergang aufeinander zu, dann noch tiefer in das Feld hinein und legten sich zwischen die Halme. Mimbelwimbel nahm seinen Rucksack ab.

„Ich schaue nach, was genau los ist“, sagte er leise.

„Sei vorsichtig“, flüsterte Anemone besorgt und hielt Mimbelwimbel am Arm zurück.

Er legte kurz seine Hand auf die ihre, nickte Hund zu, und beide verschwanden nahezu lautlos in Richtung Straße.

Max wagte es kaum zu atmen, geschweige denn sich zu bewegen. In der Stille konnten sie das Wehklagen einer Frau und das Weinen eines Kindes hören. Eine Männerstimme brüllte wütend Befehle, aber Max verstand nicht, was gesagt wurde. Die Zeit schien sich unendlich zu dehnen. Max nahm jedes Knacken und Rascheln war. Sein Körper war angespannt, bereit wegzulaufen. Anemones rasche Atemzüge verrieten, dass es ihr nicht anders ging.

Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchten Mimbelwimbel und Hund plötzlich neben ihnen auf. Max zuckte erschrocken zusammen, doch dann durchflutete ihn große Erleichterung. Mimbelwimbel legte die Finger auf die Lippen. Sie lauschten. Die Männerstimme war nicht mehr zu hören. Sie hörten leises Hufgetrappel und Geräusche von Rädern auf steinigem Grund, die näher kamen, begleitet von Schritten und einem leisen Schluchzen. Die Geräusche kamen näher, waren auf einer Höhe und verloren sich schließlich in der Ferne.

„Was ist passiert?“, fragte Anemone flüsternd.

„Söldner, sie lauern auf beiden Seiten des Weges. Sie scheinen jeden Durchreisenden anzuhalten und zu durchsuchen. Dies war eine Familie. Mann, Frau, ein fast erwachsener Sohn und ein kleines Mädchen. Der Mann hat sich wohl gewehrt, und sie haben ihn erstochen.“

Mimbelwimbel sah sehr ernst aus. Anemone schwieg betroffen.

„Was wollten sie?“, fragte Max, Schlimmes ahnend.

Mimbelwimbel antwortete nicht gleich. Er setzte seinen Rucksack auf und schnallte ihn fest.

„Wir müssen einen Bogen um die Stelle machen. Wir gehen noch ein Stück ins Feld und durchqueren dann die Bäume ein Stück von hier entfernt. Auf der anderen Seite können wir dann zurück auf die Straße.“

Er ließ sich auf alle Dreie nieder.

Max hielt ihn fest.

„Was wollten sie?“, fragte er erneut.

Mimbelwimbel zögerte und sah Anemone an. Schließlich holte er tief Luft.

„Sie haben sie nicht beraubt ... sie haben sich ihre Ohren angesehen.“

Anemone stieß einen leisen, erschrockenen Laut aus und schlug die Hand vor den Mund. Betroffen wanderten ihre Augen zu Max. Er verlor jegliches Gefühl. Was hatte er denn bloß getan? Er war sich sicher, dass ihm nichts Schönes bevor stand, wenn diese Söldner ihn in die Finger bekamen. Er schaute stumm von Mimbelwimbel zu Anemone. Anemone blickte von ihm weg zu Mimbelwimbel. Wortlos schienen die beiden eine Entscheidung zu treffen.

Anemone nickte.

„Dann los und leise!“, wisperte sie und stieß Max leicht an, als Aufforderung, dass er loskriechen sollte.

Er schluckte.

„Ich bringe euch in Gefahr ...“, flüsterte er, halbherzig protestierend.

So große Angst wie im Moment hatte er noch nie gehabt.

„Wir lassen dich nicht im Stich!“, sagte Mimbelwimbel leise, aber mit Nachdruck. „Jetzt los!“

Er setzte sich langsam in Bewegung. Anemone schob Max wieder an, und er gehorchte. Sein Herz pochte so laut, dass er das Gefühl hatte, man müsse es kilometerweit hören.

Sie kamen nur langsam voran. Als sie den Waldrand erreichten, hielten sie inne um zu lauschen. Es war nichts zu hören.

„Danke“, sagte Max leise, die Gelegenheit nutzend.

Mimbelwimbel drehte sich kurz zu ihm um und grinste schief.

„Ich habe mich gerade an dich gewöhnt, und ich bin ein Gewohnheitstier. Noch eine Veränderung verkrafte ich momentan nicht.“

Er drehte sich wieder um. Anemone nahm Max´ Hand und flüsterte ihm ins Ohr:

„Siehst du, ich habe dir doch gesagt, dass er ganz in Ordnung ist.“

Max drückte ihre Hand und lächelte sie an. Trotz der Gefahr, in der sie schwebten, fühlte er sich in diesem Augenblick sehr wohl, und die Angst war vergessen.

Zu schnell war der kurze Moment vorbei. Sie traten in den Schatten der Bäume und huschten über den Boden, jede Deckung nutzend. Während Anemone, Mimbelwimbel und Hund sich sehr leise bewegten, eins mit der Natur, schien Max auf jeden Ast zu treten, der am Boden lag, und über jede Unebenheit im Gelände zu stolpern, die ihm in den Weg kam. Dennoch durchquerten sie unbemerkt den Knick und verschwanden im angrenzenden Getreidefeld. Nach einem weiteren Kilometer im Kriechgang wagten sie sich wieder auf die Straße. Max ganzer Körper schmerzte von der ungewohnten Anstrengung, die Schultern und der Nacken waren total verkrampft. Er hatte sich gerade so halbwegs an das Laufen gewöhnt, und nun das. Er würde morgen einen prächtigen Muskelkater haben.

Mimbelwimbel hatte sich bereits den Staub aus den Kleidern geklopft, und während Max es ihm gleich tat, dachte er sich, dass sie froh sein konnten, dass es so trocken war, sonst wären sie jetzt dreckiger als Schweine. Er schüttelte den Kopf. „Als ob das jetzt dein größtes Problem ist!“, schalt er sich. Irgendjemand schien nach ihm zu suchen, und er wollte äußerst gern wissen, wieso. Er hoffte, dass es die Weise Magna wirklich gab und dass sie so weise war, wie gesagt wurde. Hoffentlich hatte sie Antworten auf seine Fragen.

Sie gingen noch ein Stück und schlugen ihr Lager dann im Feld auf. Auf das Feuer verzichteten sie diese Nacht. Der Schreck war noch zu groß, und die Angst, entdeckt zu werden, stärker als das Bedürfnis nach einem warmen Essen. Aber ihre Vorräte gingen zur Neige, und so berieten sie sich, was sie tun sollten:

„Morgen kommen wir nach Elversdorf. Es ist mehr ein großer Hof als ein richtiges Dorf. Bauer Elvers ist ein guter Mann. Ich habe schon öfter bei ihm im Austausch für eine Übernachtung und ein wenig Proviant ein paar Stunden gearbeitet.“

Mimbelwimbel zuckte mit den Schultern und sah Max und Anemone fragend an. Anemone überlegte:

„Vielleicht sollten nur wir beide gehen, und Max versteckt sich.“

Max schüttelte vehement den Kopf.

„Kommt nicht in Frage! Wir brauchen Proviant für drei. Wenn nur ihr zwei arbeiten geht, wird es nicht sehr lange reichen. Und ich werde nicht auf der faulen Haut liegen, während ihr schuftet.“

Anemone wollte widersprechen, aber Mimbelwimbel kam ihr zuvor:

„Er hat recht. Wir müssten sonst viel öfter Nachschub besorgen. Und wir müssten uns jedes Mal trennen. Bald sind die Felder abgeerntet, da wird es schwierig für ihn sich zu verstecken.“

Anemone sah nicht sehr überzeugt aus. „Wir halten die Augen offen, und wenn uns etwas merkwürdig vorkommt, machen wir die Fliege“, schlug Mimbelwimbel vor, und Anemone gab sich geschlagen.

Diese Nacht übernahm sie die erste Wache und wollte Max in ein paar Stunden wecken. Er rollte sich in seine Decke, und die Angst vor dem morgigen Tag kroch mit darunter. Er erinnerte sich noch sehr deutlich an die misstrauischen Gesichter der Menschen in Weizendorf. Gut, dass er es nicht geschafft hatte, zum Friseur zu gehen, und seine Haare nun die Ohren zum Teil bedeckten. Er durfte sie sich nur nicht hinter das Ohr klemmen. Mit einem unguten Gefühl im Bauch schlief er schließlich ein.

Sie wachten am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Max hatte nur unruhig, von Alpträumen gequält, geschlafen. Immer war er auf der Flucht gewesen, verfolgt von Schwerter und Messer schwingenden gesichtslosen Gestalten.

Nach einem schweigsamen, kargen Frühstück machten sie sich wieder auf den Weg. Die anderen sahen auch nicht allzu frisch aus. Nicht nur Max schien schlecht geschlafen zu haben. Nur Hund schien völlig sorgenfrei zu sein. Er lief wie gewohnt ein Stück voraus. Schnüffelte hier, schnüffelte da, hob das Bein und lief weiter.

 

Am späten Vormittag hatten sie Elversdorf schließlich erreicht. Die meisten der Bewohner waren auf den Feldern, aber die Bäuerin war noch auf dem Hof und begrüßte sie herzlich. Sie erinnerte sich an Mimbelwimbel und auf seine Frage, ob sie gegen ein paar Stunden Arbeit einen Platz zum Schlafen für eine Nacht und ein paar Lebensmittel bekommen könnten, stimmte sie ohne weiteres zu.

„Mit dem nächsten Wagen fahrt ihr auf die Wiesen. Das bereits trockene Heu muss auf die Wagen geladen und das gestern gemähte Gras gewendet werden.“

Sie zeigte ihnen eine Stelle in der noch fast leeren Scheune, wo sie ihre Taschen lassen und auch schlafen konnten. Hund bekam von Anemone den Befehl, in der Scheune zu bleiben und auf die Sachen aufzupassen, was er sich nicht zweimal sagen ließ, denn in der gut durchlüfteten Scheune war es angenehm kühl.

Als sie aus der Scheune traten, kam gerade ein mit Heu beladener Wagen auf den Hof gefahren, und sie halfen gleich beim Abladen. Als der Wagen fast leer war, kam die Bäuerin wieder zu ihnen. Sie brachte ihnen drei Päckchen mit Proviant zur Stärkung. Während sie ihnen diese gab, fragte sie, ob nicht einer von ihnen schon mal beim Schlachten geholfen habe. Sie wolle heute ein Schwein schlachten und Wurst machen. Anemone verzog angeekelt das Gesicht und schüttelte den Kopf. Mimbelwimbel hatte zwei Tage zuvor, als Hund zwei Kaninchen für das Abendbrot angeschleppt hatte, Max flüsternd gestanden, dass ihm immer übel wurde beim Anblick von fließendem Blut und er solche Sachen nach Möglichkeit anderen überließ.

„Ich mach das“, sagte Max. „Mutters Spezialität ist hausgemachte Wurst. Sie schlachtet immer einmal im Jahr ein Schwein. Einer ihrer Bekannten ist Metzger. Ich bin schon ein paar Mal dabei gewesen.“

Die Bäuerin nickte erfreut.

„Berold hat sich gestern den Arm gebrochen, und wir brauchen noch jemanden, der uns hilft und bei dem Anblick nicht gleich in Ohnmacht fällt.“

Max sprang vom Wagen, von dem er Heu heruntergeworfen hatte.

„Ich dachte, wir wollten uns nicht trennen?“, fragte Anemone leise.

„Ist schon gut“, meinte Mimbelwimbel und hielt ihr eine Hand hin, um ihr auf den Wagen zu helfen. „Je weniger Leute ihn sehen, desto besser. Er ist hier auf dem Hof sicherer als auf dem Feld.“

Nicht ganz überzeugt, aber überstimmt kletterte Anemone auf den Wagen. Max winkte ihnen hinterher und folgte dann der Bäuerin.

Am Abend, kurz vor der Dämmerung, saßen sie alle wieder zusammen. Max hatte beim Schlachten geholfen und das Abendbrot für die Erntehelfer mit vorbereitet. Es gab einen kräftigen Eintopf und saftige Steaks. Er war völlig kaputt und zum Umfallen müde. Heute Nacht würde er gewiss gut schlafen. Anemone und Mimbelwimbel waren ebenfalls fix und fertig von der anstrengenden Feldarbeit, die auch sie nicht gewohnt waren. Anemone hatte ihre Hände in feuchte Tücher gewickelt, um die Blasen zu kühlen.

Die kräftige Mahlzeit tat ihnen allen gut. Alle Erntehelfer und Hofbewohner saßen an den Tischen, die um das große Lagerfeuer herum im Hof aufgestellt waren, und füllten sich die Bäuche. Gesättigt beobachtete Max die anderen eine Weile im Feuerschein. Dabei fielen ihm zwei Männer auf, die immer wieder zu ihnen herüberstarrten. Unauffällig wies er Mimbelwimbel und Anemone auf die beiden hin. Mimbelwimbel schaute sich die Zwei kurz an und erklärte dann:

„Das sind Erntehelfer. Bauer Elvers hat sie für diese Saison eingestellt.“ Er deutete auf einen kleinen, runden, fast kahlen Mann, dem die Bäuerin gerade einen Krug Bier einschenkte. „Aber er ist nicht zufrieden mit ihnen. Sie sind faul“, fuhr Mimbelwimbel fort.

„Stimmt!“, meinte Anemone. „Immer wenn er weggeschaut hat, haben sie aufgehört Heu zu wenden und sich leise unterhalten.“

Anemone sah stirnrunzelnd zu den beiden rüber, die gerade wieder die Köpfe zusammensteckten.

Bauer Elvers gesellte sich zu Anemone, Max und Mimbelwimbel an den Tisch. Er hatte ein gutmütiges, wettergegerbtes Gesicht. Mit seiner lauten, polternden Stimme erkundigte er sich, ob sie gut versorgt seien. Er schlug Max auf die Schulter und lobte ihn für seine Arbeit:

„Meine Frau meint, du hast fleißig mitgeholfen und dass die Wurst recht ordentlich wird.“

Hund, der bei ihnen unter dem Tisch lag, stellte bei dem Wort ´Wurst` die Ohren hoch und kam unter dem Tisch hervor. Der Bauer lachte und kraulte Hund hinter den Ohren. Dann holte er ein Stück Wurst aus der Tasche und hielt es Hund hin. Dieser schnappte sich das Stück und verschwand wieder unter dem Tisch, bevor Anemone protestieren konnte.

„Meine Frau bringt euch heute noch Verpflegung für drei Tage. Die habt ihr euch redlich verdient. Und so könnt ihr euch morgen früh in Ruhe auf den Weg machen und müsst nicht nach uns in dem Chaos, dass hier morgens herrscht, suchen.“

Er stand auf und ging zum nächsten Tisch.

Während Bauer Elvers bei ihnen saß, hatten die beiden Männer weiter zu ihnen herübergestarrt. Sie machten Max nervös. Und immer wenn er unruhig war, fing er an mit Dingen zu spielen. Im Büro waren es die Stifte, die er in den Fingen drehte. Jetzt nahm er eine der langen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht hingen, zwirbelte sie und steckt sie hinter das Ohr.

„Max!“, zischte Anemone so heftig, dass Max zusammenzuckte und ihm die Haare wieder hinter dem Ohr hervorrutschten.

„Was ist?“, fragte er.

Aber Anemone hörte ihn nicht. Sie und Mimbelwimbel schauten zu den beiden Erntehelfern, von denen sie einer wieder anstarrte, während der andere ihm etwas ins Ohr flüsterte.

„Mir gefällt das nicht“, knurrte Mimbelwimbel. „Wir sollten heute Nacht Wache halten und in aller Frühe verschwinden.“ Er wandte sich an Max: „Und du lässt die Finger aus den Haaren!“

Max verstand plötzlich und verfluchte sich selbst für seine Unvorsichtigkeit. Er war so müde, dass er ganz vergessen hatte, dass er seine Ohren versteckt halten musste.

Allmählich leerten sich die Tische. Max und Mimbelwimbel halfen noch beim Aufräumen und beim Löschen des Feuers. Die Bäuerin brachte ihnen ein großzügiges Bündel mit Lebensmitteln und noch ein paar belegte Brote zum Frühstück, da morgens nicht gemeinsam gefrühstückt wurde, sondern jeder seine Tagesration mit auf das Feld nahm. Anemone hatte sich bereits schlafen gelegt, und nachdem sie den Proviant in den Taschen verstaut hatten, legte sich auch Max hin, während Mimbelwimbel die erste Wache übernahm.

Nach einer viel zu kurzen Zeit, wie es Max schien, wurde er von Mimbelwimbel geweckt.

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, eben hat eine einzelne Person den Hof verlassen. Ich konnte aber nicht sehen, in welche Richtung sie gegangen ist.“

Max schaute zum Himmel. Es war schon ein Stück nach Mitternacht. In ein paar Stunden würde es schon wieder hell sein.

„Warum so spät?“, fragte er Mimbelwimbel leise.

„Derjenige kam aus dem Wohnhaus. Und in Bauer Elvers´ Kammer war bis kurz vor Mitternacht noch Licht.“

Max´ Gedanken rasten.

„Wo schlafen die Erntehelfer?“

Mimbelwimbel schienen die gleichen Gedanken auch schon gekommen zu sein.

„Sie haben eine Kammer unter dem Dach des Wohnhauses.“

Mimbelwimbel sah sich noch mal um und dann auf Anemone, die tief und fest schlief.

„Wenn du sie weckst, sag ihr, dass sie uns im Morgengrauen wach machen soll. Je eher wir von hier verschwinden, desto besser.“

Damit rollte sich Mimbelwimbel in seine Decke und fing bald darauf leise zu schnarchen an. Max setzte sich neben die Tür, so dass er den Hof im Blickfeld hatte, aber selbst nicht gesehen werden konnte. Hinter dem Fenster einer der Gauben konnte er eine leichte Bewegung erkennen. So wie es aussah, war er nicht der einzige, der Wache hielt.

Die Nacht war sternenklar und der Mond schien so hell, dass Max kaum eine Regung auf dem Hof entging. Trotz der Anspannung hielt Max seine Wache nur mit Mühe und Not ohne einzuschlafen durch und war froh, als er Anemone wecken konnte. Er berichtete ihr kurz, was er und Mimbelwimbel beobachtet hatten und gab die Anweisung, im Morgengrauen aufzubrechen, weiter. Seufzend rollte er sich unter seiner Decke zusammen und war augenblicklich eingeschlafen.

Wie verabredet weckte Anemone sie, sobald das erste Licht über den Horizont kroch. Um sie herum erwachte auch der Bauernhof. Als sie aus der Scheune traten, herrschte bereits reges Treiben. Bauer Elvers kam auf sie zu und wünschte ihnen gerade noch eine gute Reise, als einer der Erntehelfer, die sie den ganzen gestrigen Abend beobachtet hatten, aus dem Haus stürzte.

„Haltet sie, sie haben mich bestohlen!“, schrie er laut und zeigte mit dem Finger auf die Drei.

Bauer Elvers schaute verdutzt und bestürzt in die entrüsteten Gesichter von Max, Mimbelwimbel und Anemone.

„Wann sollen wir denn das getan haben, wir haben das Haus doch gar nicht betreten!“, rief Mimbelwimbel empört.

„Hatte ich auch so in Erinnerung“, meinte der Bauer, unterstützt von seiner Frau, die hinzugekommen war.

„Was wurde denn eigentlich gestohlen, und wo ist dein Freund?“, fragte Max und schaute sich betont um.

Bauer Elvers tat es ihm gleich, und sein sonst so gutmütiges Gesicht verfinsterte sich.

„Jetzt reicht es mir!“, brüllte er den Erntehelfer an, der erschrocken zurückwich. „Ihr faules Pack! Erst arbeitet ihr nicht vernünftig und nutzt meine Gutmütigkeit aus, dann beklaut ihr euch gegenseitig und wollt es auch noch guten und ehrlichen Leuten in die Schuhe schieben! Raus mit dir, ich verzichte auf deine Hilfe!“

Er hatte die letzten Worte aus voller Lunge geschrien, so dass es jeder auf dem Hof mitbekam. Nun sah sich der Erntehelfer umringt von den Hofbewohnern und Saisonarbeitern, die ihn böse und verächtlich anschauten.

„Ich hole seine Sachen, er soll unser Haus nicht noch einmal betreten!“, sagte die Bäuerin und verschwand im Haus.

„Verzeiht die Unannehmlichkeiten“, schnaufte Bauer Elvers, in seiner Aufregung noch etwas außer Atem, und drückte Mimbelwimbel noch einmal die Hand zum Abschied.

Mimbelwimbel trieb sie zur Eile an und musste sich dabei nicht einmal anstrengen.

„Er wollte uns aufhalten, Zeit rausschinden“, keuchte Max, während sie einen lang gestreckten Hügel hinaufeilten.

„Der andere ist vielleicht los, um die Söldner aus dem Wald zu holen“, vermutete Anemone.

„Das denke ich auch“, stimmte Mimbelwimbel zu. „Wir erreichen bald die Furt durch die Unstet, danach ist es nicht mehr weit, bis die Wälder beginnen. Dann sollten wir von der Hauptstraße runter und abseits gehen. Diese Söldner werden nicht lockerlassen.“

Als ob sie seine Worte gehört hatten, erschien auf dem Hügel auf der anderen Seite des Tales eine Gruppe von Männern. Hastig überquerten die drei Freunde die Hügelkuppe in der Hoffnung, dass man sie nicht bemerkt hatte. Max und Mimbelwimbel schlichen zurück, um zu sehen, was geschah. Die Gruppe hatte das Tor fast erreicht, und der entlassene Erntehelfer kam ihnen entgegen.

„Ah, da ist der andere. Haben wir also richtig vermutet. Sie müssen die ganze Nacht durchgelaufen sein. Hoffentlich sind sie erschöpft und müde.“

Bauer Elvers begann mit den Söldnern eine heftige Diskussion.

„Hoffentlich passiert ihm nichts“, knurrte Mimbelwimbel.

Sie hatten genug gesehen und zogen sich zurück. Sie holten ihre Taschen bei Anemone ab, die ein Stück weiter mit Hund auf sie wartete.

„Wir müssen uns beeilen. Die Furt dürften wir am Nachmittag erreichen. Wir sollten noch einen Hügel zwischen uns und sie bringen, solange sie noch aufgehalten werden.“

Mimbelwimbel sprang los, und Max und Anemone eilten ihm hinterher.