Freiheit und ihre Dialektik

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II.4 Der Fetischcharakter der Ware – Signum kapitalistischer Herrschaft
II.4.1 Der Grund für den Fetischcharakter der Ware

»Leicht bildet das Denken tröstlich sich ein, an der Auflösung der Verdinglichung, des Warencharakters, den Stein der Weisen zu besitzen. Aber Verdinglichung selbst ist die Reflexionsform der falschen Objektivität; die Theorie um sie, eine Gestalt des Bewußtseins, zu zentrieren, macht dem herrschenden Bewußtsein und dem kollektiven Unbewußten die kritische Theorie idealistisch akzeptabel.«150

Mit dem Fetischcharakter der Ware beschreibt Marx den Schein der sachlichen Herrschaft in der Zirkulation. Dieser Schein ist zu erklären, wenn er auf das Wesen des kapitalistischen Produktionsverhältnisses bezogen wird. Dinge (Ware, Geld) erscheinen als Subjekt des gesellschaftlichen Prozesses und die Personen treten als ihre ›Hüter‹ auf. Aber dieser Schein hat seinen Grund nicht in der Zirkulation. Grundlage für die ›Herrschaft der Sachen‹ ist nicht ein falsches Bewusstsein der agierenden Personen und der ökonomischen Wissenschaft, sondern die Trennung der Arbeitskraft von den Bedingungen der Möglichkeit ihrer Verwirklichung bei gleichzeitiger formeller Gleichheit und Freiheit ihrer Träger.

Unter Fetischismus versteht Marx, dass ein soziales Verhältnis als ein Verhältnis von Dingen erscheint. Warum ist das so? Wenn Marx erklärt, dass der Warenfetisch darin besteht, dass die Waren »den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaft dieser Dinge zurückspiegelt«151, so steckt in diesem ›gesellschaftlichen Charakter‹ die widersprüchliche Bestimmung des kapitalistischen Arbeitsprozesses. »Es versteht sich also von vorn herein, daß der Arbeiter, der von Productionsmitteln entblöst ist, von Lebensmitteln entblöst ist, wie umgekehrt ein Mensch, der von Lebensmitteln entblöst ist, kein Productionsmittel schaffen kann.«152 Was dem Geld und der Ware »von vorn herein den Charakter von Capital aufdrückt, ist […] der Umstand, daß dieß Geld und diese Waare, diese Productionsmittel und Lebensmittel als selbstständige Mächte, personnificirt in ihren Besitzern, dem von allem gegenständlichen Reichthum entblösten Arbeitsvermögen gegenübertreten, daß also die zur Verwirklichung der Arbeit nothwendigen sachlichen Bedingungen dem Arbeiter selbst entfremdet sind, vielmehr als mit eigenem Willen und eigner Seele begabte Fetische erscheinen«.153 Sollen ›Entfremdung‹ und ›Verdinglichung‹ (eines gesellschaftlichen Verhältnisses) nicht verrätselt werden, bedarf es der Erklärung, nämlich der Analyse des Grundes dafür, warum Entfremdung stattfindet. »Die Arbeitsbedingungen thürmen sich als sociale Mächte gegenüber dem Arbeiter auf und in dieser Form sind sie capitalisirt154 Durch dieses ›Capitalisiren‹ werden Subjekt und Objekt verkehrt. Alle Formulierungen im 1. Kapitel des Kapital, die von dieser ›Verkehrung‹ handeln (so auch das ›Quidproquo‹), sind nicht aus dem Tausch heraus verständlich. Die ›Verkehrung‹ muss ›gemacht‹ werden und ist eine ›Verkehrung‹ im Bewusstsein nur deswegen, weil eine objektive Verkehrung zugrunde liegt. Die objektive Verkehrung setzt voraus, dass die Substanz des Werts, abstrakt menschliche Arbeit, mit der Installierung des Kapitalverhältnisses gesellschaftlich wirklich geworden ist. Damit erscheint in der Verkehrung von Subjekt und Objekt, welche Marx schon im 1. Kapitel unter ›Fetischisierung‹ beschreibt, kapitalistische Herrschaft. Diese kapitalistische Herrschaft äußert sich den unmittelbaren Produzenten gegenüber als Ökonomie in der Anwendung der lebendigen Arbeit.155

Den Subjekten in der Zirkulationssphäre, den Produktenaustauschern, erscheint es so: »Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.«156 Nun sind im Lohnarbeitsverhältnis die Individuen in einem rechtlichen Sinn frei und gleich. Doch Herrschaft wird gerade vermittels dieser Gleichheit und Freiheit und eben auch Freisetzung der Individuen ausgeübt. So erscheint das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital als eines zwischen Dingen und als eines von durch das dingliche Verhältnis beherrschten Personen. Damit stellt sich das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital, wenn Lohnarbeit und Warenproduktion sich allgemein durchgesetzt haben und persönliche Herrschafts- und Willkürverhältnisse gesellschaftlich nicht mehr vorherrschend sind, als sachliche Herrschaft dar.157 Nur unter dieser Bedingung findet Produktion von Wert und damit Mehrwert gesellschaftlich statt und nur unter dieser Bedingung erscheint das Wertgesetz als ein durch ›Sachzwänge‹ sich durchsetzendes Naturgesetz. »Nur der Lohnarbeit gegenüber werden die Sachen, die gegenständliche Bedingungen der Arbeit sind, also die Productionsmittel, und die Sachen, die gegenständliche Bedingungen für die Erhaltung des Arbeiters selbst sind, also die Lebensmittel, Capital. Capital ist kein Ding, so wenig wie Geld ein Ding ist. Im Capital, wie im Geld, stellen sich bestimmte gesellschaftliche Productionsverhältnisse der Personen als Verhältnisse von Dingen zu Personen dar, oder erscheinen bestimmte gesellschaftliche Beziehungen als gesellschaftliche Natureigenschaften von Dingen.«158 Deswegen gibt es einen systematischen Zusammenhang zwischen dem Fetischcharakter der Ware, dem Fetischcharakter des Geldes und dem Fetischcharakters des Kapitals (bis hin zu dem des zinstragenden Kapitals und der trinitarischen Formel159).

Die »Verkehrung von Subjekt und Objekt«, wie sie im kapitalistischen Produktionsprozess, der Einheit von Arbeitsprozess und Verwertungsprozess ist, dadurch hervorgebracht wird, dass die Maschinen den Arbeiter anwenden, erscheint in der Zirkulation als Fetisch, als den Dingen anhaftendes gesellschaftliches Verhältnis. Der Wert bestimmt das Verhältnis der Personen zueinander und ist selbst damit das Subjekt dieses Prozesses, Subjekt des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion. Dieser Fetisch ist aber seinerseits nicht zu hypostasieren – also zu einer eigenständigen Sache getrennt vom Kapitalverhältnis zu machen – und zu verklären160, sondern kann als Reflex aus dem Produktionsverhältnis erklärt werden.

II.4.2 ›Fehlgeleitete Opposition‹. Kritik an der Hypostasierung des Fetischs

Daher führt es nicht zum Kern, lediglich von einer »Kontrolle der Sachen« über die Menschen in »einer Waren produzierenden Gesellschaft« zu sprechen und dieser Kontrolle »›selbstverständliche Naturnotwendigkeit‹« abzusprechen161, wenn dabei ›sachliche Herrschaft‹ systematisch nicht auf das Kapitalverhältnis bezogen wird. Nicht (wie Heinrich annimmt), »weil sich die Menschen in einer besonderen Weise auf diese Sachen beziehen – nämlich als Waren«162, ist die »Unterwerfung unter ›Sachzwänge‹« vorherrschend, sondern weil die Arbeitskraft selbst zur Ware geworden ist. Die Argumentation Heinrichs verfängt sich an diesem Punkt in einem Zirkel, indem sie das Verhalten der Menschen im Warentausch aus der Beziehung der Menschen auf Waren zu erklären versucht.163 Dass der Wert als ›Subjekt‹ Herrschaft, konkret Zwänge ausübt und sich in einzelnen Gebrauchsgegenständen wie Lebens- und Produktionsmitteln darstellt, kann nicht subjektivistisch daraus erklärt werden, dass sich Menschen auf diese Sachen beziehen,164 sondern nur dadurch, dass den Lohnarbeitern die Lebens- und Produktionsmittel nicht anders als Wertdinge im Privateigentum anderer zugänglich sind und ihre einzige Ware, über die sie verfügen können, ihr abstraktes Arbeitsvermögen ist, wodurch der Wert tatsächlich zum Subjekt des Gesamtprozesses der gesellschaftlichen Produktion geworden ist.

Die gesellschaftliche Herstellung der Ware Arbeitskraft ist ein historischer, gewaltsamer Prozess,165 der nicht zu erklären ist aus einer bestimmen Weise des Bezugs auf Gegenstände. Vielmehr wäre zu erklären, warum sich die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft auf Sachen als Waren beziehen (müssen). Für Heinrich jedoch liegt die Erklärung des Fetischcharakters darin, dass sich »die Produzenten nicht unmittelbar gesellschaftlich aufeinander« beziehen,166 wogegen der Austausch erst »das Gesellschaftliche« der Arbeitsprodukte und damit den Wert erzeuge. Dabei bleibt unklar und unbestimmt, worin genau ›das Gesellschaftliche‹ liegt und wer die Produzenten sind, die ihre Arbeitsprodukte im Austausch aufeinander beziehen, und ob hiermit die von Produktionsmitteln befreiten, produktiv tätigen Arbeiter gemeint sind oder die Kapitale. Heinrich sieht nicht, dass die Arbeitsprodukte im Kapitalismus als Wertdinge produziert werden und dass mit diesem Wert-Sein der Produkte der Fetischismus gesetzt ist. Der Fetischismus besteht laut Heinrich »nicht bereits darin, dass Arbeitsprodukte als Wertgegenstände angesehen werden – in der bürgerlichen Gesellschaft besitzen Arbeitsprodukte, sofern sie ausgetauscht werden, ja tatsächlich Wertgegenständlichkeit – sondern darin, dass diese Wertgegenständlichkeit als eine ›selbstverständliche Naturnotwendigkeit‹ gilt.«167 Wertgegenständlichkeit komme Arbeitsprodukten also nur zu, wenn sie ausgetauscht und verkauft werden. Das bedeutete aber, dass die Maschinen, die im kapitalistischen Produktionsprozess fungieren und währenddessen nicht getauscht werden, nicht als Wertdinge gelten und folglich auch keinen Wert hätten. Zudem ist Heinrich mit Marx entgegenzuhalten, dass kapitalistische Produktion gesellschaftlicher Produktionsprozess ist. Gesellschaftliche Produktivkräfte werden real dem Kapital einverleibt und erscheinen daher als Produktivkräfte des Kapitals. »In diesem Prozeß, worin die gesellschaftlichen Charaktere ihrer Arbeit ihnen gewissermassen capitalisirt gegenübertreten […] findet natürlich dasselbe statt für die Naturkräfte und die Wissenschaft, das Product der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung in ihrer abstrakten Quintessenz – sie treten ihnen als Mächte des Capitals gegenüber.«168 Waren sind nicht erst von isolierten Privatproduzenten als Waren produziert und bilden im Tausch aus der Wertform heraus Wert. Marx zeigt vielmehr, dass gesellschaftliche Arbeit als sich betätigende Arbeit bereits dem Kapital einverleibt ist, weshalb nicht isolierte Privatproduzenten im Gegensatz zu gesellschaftlichem Tausch oder die Beziehung der Individuen durch den Tausch gesetzt werden können, um die Wertform zu erklären. Vielmehr ist es dem Kapitalverhältnis eigentümlich, dass das gesellschaftliche Herrschaftsverhältnis und damit die gesellschaftliche Produktion, wie sie das Kapital vorantreibt, als ein Verhältnis von Dingen erscheint, weil das Lohnarbeitsverhältnis seine Grundlage ist.

 

Wird davon abstrahiert, so wird die Argumentation in ihrer aufklärerischen Intention selbst ideologisch, indem das kapitalistische Herrschaftsverhältnis zu einem allumfassenden Bewusstseinsproblem und zu einem handlungstheoretisch zu fassenden Phänomen umgedeutet wird. So wird zunächst festgestellt, dass, was ihr Bewusstsein anbetrifft, alle Subjekte in der bürgerlichen Gesellschaft quasi a priori in fetischisierendem Bewusstsein befangen seien: »In der bürgerlichen Gesellschaft unterliegt das spontane Bewusstsein der Menschen dem Fetischismus von Ware und Geld.«169 Daraus wird dann gefolgert, dass es verkehrt sei, von einem Interesse an der Überwindung dieser falschen Vorstellung über die sachliche Herrschaft auszugehen: »dass es nämlich ein soziales Subjekt gäbe (die Arbeiterklasse), das aufgrund seiner besonderen Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft über eine besondere Fähigkeit zum Durchschauen der gesellschaftlichen Verhältnisse verfügen würde.«170 Da sämtliche in der bürgerlichen Gesellschaft handelnden Individuen in diesem Fetisch-Bewusstsein befangen seien, sei auch nicht von »einer privilegierten Erkenntnisposition der Arbeiterklasse« auszugehen. Marx dagegen sah das Interesse und die Erkenntnismöglichkeit derjenigen Menschen, die keine andere Ware als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, als einen in und durch Arbeitskämpfe zu bildenden Prozess an.

Verbleibt der Kritiker der kapitalistischen Gesellschaft (wie Heinrich) bei der Abtrennung des wissenschaftlichen Bewusstseins von dem fetischisierten Alltagsbewusstsein, so ergibt sich entsprechend die Besonderung der wissenschaftlichen Analyse gegenüber der Ideologie. Damit wird gleichsam wissenssoziologisch argumentiert, indem eine Trennung zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis von gesellschaftlichen Strukturen und der Erfahrung der Subjekte supponiert wird. »Solche Reduktion sogenannter Bewußtseinsformen ist wohlvereinbar mit philosophischer Apologetik. Ungestört bleibt der Wissenssoziologie die Ausflucht, Wahrheit oder Unwahrheit des philosophischen Gelehrten hätten nichts zu tun mit gesellschaftlichen Bedingungen; Relativismus und Arbeitsteilung verbünden sich.«171

Fehlgeleitet ist eine solche Opposition, weil sie ›Verdinglichung‹ isoliert für sich und als das zu Kritisierende nimmt und dabei stehenbleibt, dieser ›Subjektivität‹ entgegenzusetzen. ›Verdinglichung‹ selbst aber ist nicht Wesen, sondern Erscheinung kapitalistischer Herrschaft. Mit einer bei den Marx’schen Formulierungen des 1. Kapitels (Fetischcharakter der Ware) bloß stehenbleibenden Kritik der Verdinglichung werden daher die gesellschaftlichen Strukturen nicht erklärt, da das dialektische Verhältnis von falschem Bewusstsein und den herrschaftlichen Strukturen gesellschaftlicher Reproduktion nicht erörtert wird.172 »Aber Verdinglichung selbst ist die Reflexionsform der falschen Objektivität: die Theorie um sie, eine Gestalt des Bewußtseins, zu zentrieren, macht dem herrschenden Bewußtsein und dem kollektiven Unbewußten die kritische Theorie idealistisch akzeptabel.«173

Der Fetischismus der Warenform der Arbeitsprodukte besteht darin, dass »sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen.«174 Das gesellschaftliche Verhältnis der kapitalistischen Produktionsweise scheint so für die Erfahrung der einzelnen Subjekte in den Waren durch deren dingliche Gestalt ausgelöscht zu sein und ist verdeckt. Der Warenfetischismus ist für Marx jedoch nur die erste, offensichtlichste Gestalt der Fetischisierung, welche mit der kapitalistischen Produktionsweise einhergeht und welche aus der Form der Herrschaft zu erklären ist, welche in kapitalistisch produzierenden Gesellschaften vorherrscht, nämlich die Abpressung von Mehrarbeit bei gleichzeitigem Äquivalententausch. Weitere Gestalten folgen: der Fetischcharakter des Geldes, des Kapitals, des zinstragenden Kapitals, der trinitarischen Formel. Die »Fratze« des Vorrangs des Objekts175 zeigt sich unter diesen Bedingungen darin, dass die Gegenstände (Waren, Geld, Kapital) Macht über die Individuen ausüben – und diese Machtausübung liegt im Herrschaftsverhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit begründet. Daher ist die »Dinghaftigkeit der Welt auch Schein«176: Ein bestimmtes soziales Verhältnis erscheint in den Eigenschaften von Dingen.177 Herrschaft wird so durch einen Schein, welchen sie in dieser Form aus sich selbst erzeugt, verschleiert. Nicht aber ist dieser dingliche Schein bereits das, worauf die kritische Analyse sich zu richten hat, sondern eben eine Gestalt des Bewusstseins – Ideologie in dem Sinne eines gesellschaftlich erzeugten falschen Bewusstseins, welches seine Grundlage in der »sachliche[n] Form«178 gesellschaftlicher Reproduktion hat.

Auf diese Weise wird eine Trennung von Philosophie und Gesellschaftskritik vollzogen. Kritik des Kapitals soll als Wissenschaft vom Wert frei von metaphysischen Begriffen und normativen Argumenten möglich sein. In der obigen Auseinandersetzung hat sich dagegen gezeigt, dass die Entfaltung der Dialektik in den philosophischen Begriffen für die Marx’sche Kritik essenziell ist. Dass der Appell an die bürgerlichen Ideale von Freiheit und Gleichheit die bürgerliche Gesellschaft nicht in ihrem Wesen kritisiert, bedeutet nicht im Umkehrschluss, dass jegliche philosophische Argumentation aus der Kritik zu exilieren sei. In seinem Werk Die Wissenschaft vom Wert plädiert Heinrich an Althussers Unterscheidung von Wissenschaft und Ideologie179 anschließend für eine systematische Unterscheidung von wissenschaftlicher und politischer Kritik, wobei Marx’ Verdienst gerade darin liege, falsche Vorstellungen über die kapitalistische Vergesellschaftung offengelegt zu haben: »die Diagnose des ›Warenfetischismus‹ im Kapital [tritt; S. H.] keineswegs als Kritik an einer verkehrten Vergesellschaftung auf[], sondern als Kritik einer verkehrten Auffassung der vorliegenden Vergesellschaftung180 Heinrich verneint die Frage nach den normativen Fundamenten der Marx’schen Kritik und hat damit insofern recht, als Marx den wissenschaftlichen Charakter seiner Kritik stets hervorhebt und zeigt, dass eine ›moralisierende Kritik‹, welche es sich zur Grundlage machte, gegen den Kapitalismus das bürgerliche Ideal der Freiheit zu setzen, nicht das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise fasst. Wenn Heinrich daraus jedoch den Schluss zieht, nicht »die Kritik an einer Gesellschaftsform, sondern die Kritik eines in dieser Gesellschaftsform erzeugten (alltäglichen und wissenschaftlichen) Bewußtseins ist der Gegenstand des Fetischabschnittes«,181 und zugleich die Aufdeckung des Fetischismus als die zentrale wissenschaftliche Leistung von Marx hervorhebt, so trennt er szientifisch zwischen der Erkenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Kritik: »Marx behauptet nicht, daß die bürgerliche Vergesellschaftung gemessen an irgendeinem Ideal verkehrt sei, sondern daß sie verkehrt erscheint, anders als sie tatsächlich ist.«182 Insofern wäre die Marx’sche Kritik (und die kritische Theorie) in erster Linie eine erkenntnistheoretische Bewusstseinskritik, welche einem fetischisierten, ideologischem Bewusstsein von den gesellschaftlichen Verhältnissen ein wissenschaftliches, richtiges Bewusstsein entgegenhält, wobei für das Alltagsbewusstsein kein Entkommen aus dem Fetisch möglich zu sein scheint. Eine solche Bewusstseinskritik wäre dann erst einmal dem politischen Ziel, der Abschaffung des Kapitalismus, äußerlich.183 »Indem Marx die kategorialen Formen der bürgerlichen Ökonomie als Verkehrungen entschlüsselt, ist seine Darstellung zugleich Kritik eines in dieser Verkehrung befangenen Bewußtseins und einer auf diesem Bewußtsein beruhenden Wissenschaft. Eine solche Kritik benötigt keine normative Grundlage. Sie ist aber nur als Bruch mit dem theoretischen Feld der politischen Ökonomie möglich.«184 Heinrich fokussiert die Marx’sche Kritik auf die Kritik am Fetisch und trennt zwischen Darstellung und Kritik des Bewusstseins und Darstellung und Kritik des Gegenstandes, was er als »politische Kritik« bezeichnet. Die »wissenschaftliche Kritik«185 dagegen habe keineswegs die Kritik am Kapitalismus zur Voraussetzung. Heinrich führt Alfred Schmidt an und kritisiert diesen dafür, dass er annehme »›die Idee der Weltverbesserung‹ sei die Grundlage der Marxschen Theorie«.186 »Parteilich kann mit den Ergebnissen marxistischer Wissenschaft gearbeitet werden, diese selbst müssen aber ›rücksichtslos‹ und nicht ›rücksichtsvoll‹ gewonnen werden. Insofern kann es zwar einen wissenschaftlichen Sozialismus aber keine sozialistische Wissenschaft geben.«187 Die Konsequenz dieser strikten Trennung ist, dass das Ziel des Kommunismus zur Kritik der politischen Ökonomie in einem äußerlichen Zusammenhang stehend aufgefasst wird. Wie können Marx und Engels den Kommunismus rein wissenschaftlich in Heinrichs Sinn begründen? Dies wäre nur möglich, wenn ein Quasi-Naturgesetz im Kapitalismus walten würde, welches automatisch zum Sozialismus treiben würde, die Menschen also die ›wirkliche Bewegung‹ bloß noch zu erkennen brauchten. Eine solche geschichtsdeterministische Auffassung vertritt jedoch Marx nicht und auch Heinrich würde sich diese sicher nicht zu eigen machen. Ebenso wenig kann es Heinrich darum gehen, das wissenschaftlich erkannte Wertgesetz sozialistisch, bewusst und planmäßig anzuwenden, wie es der Marxismus-Leninismus vorgeblich vollführte.188 Eine solche Auffassung vom Wert verkennt, dass der Wert nicht ein neutrales Gesetz eines Verhältnisses189 ist, sondern Herrschaft. Die Kritik der politischen Ökonomie ist Kritik kapitalistischer Herrschaft und keine von moralischen Bestimmungen freie positive Wissenschaft.

»Der Sozialismus war für Marx und Engels kein Ideal, das der bürgerlichen Gesellschaft als Alternative gegenübergestellt werden sollte. Eine solche Auffassung bezeichneten sie als ›utopischen Sozialismus‹. Ihr Anspruch war vielmehr, aus den Entwicklungstendenzen der kapitalistischen Gesellschaft den Sozialismus wissenschaftlich zu begründen. Die Analyse des Kapitalismus sollte zeigen, daß dessen Widersprüche nur durch eine andere Produktionsweise, die sozialistische, aufgelöst werden können.«190 Betont Heinrich eine Seite zuvor noch, dass die wissenschaftliche Kritik keine Voraussetzung wie einen politischen Zweck habe und kritisiert dies an A. Schmidt, so wird nun die Begründung des Sozialismus zum außerwissenschaftlichen Zweck der Kritik der politischen Ökonomie erklärt. Es bleibt an dieser Stelle offen, wie eine Begründung des Sozialismus aus dem Kapitalismus aussieht und wie das Verhältnis von äußerem, politischem Zweck und wissenschaftlicher Analyse bestimmt ist – wenn weder ein Geschichtsautomatismus noch die ›sozialistische Anwendung des Wertgesetzes‹ gemeint sind.