Mein Weg ins L-ICH-T

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Meine Zahnärztin klebte mir die Zähne provisorisch wieder an und der Hausarzt empfahl mir Ruhe, da ich eine leichte Gehirnerschütterung hatte. Ruhe! Ich? Ohje! Na dann …

Danach ging es weiter. Ich bekam Pfeiffersches Drüsenfieber – zwei Mal sogar innerhalb kürzester Zeit, aber auch das warf mich nicht um. Ich rappelte mich immer wieder auf und ahnte nicht, dass alles eine »Bedeutung« hatte. Stattdessen fühlte ich mich vom Leben betrogen und mit Krankheit gestraft, da ständig etwas anderes war.

Auch die Kinder hatten von klein an des Öfteren »Erkrankungen«, was mich aus meiner heutigen Sicht nicht wundert. Von Keuchhusten über Mittelohrentzündungen bis hin zu Pseudokrupp-Husten und Neurodermitis war einiges vertreten, was für alle Beteiligten sehr anstrengend war. Der Schichtdienst meines Mannes machte die Situation auch nicht einfacher.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass er einmal nach der Nachtschicht morgens nach Hause kam und ich fix und fertig war, da unsere Kinder und ich nicht eine Minute geschlafen hatten. Am liebsten hätte ich ihm beide »Mäuse« auf den Arm gegeben und hätte mich hingelegt. Die Kinder spiegelten uns wunderbar, damit wir es besser erkennen konnten. Aus reiner Liebe nehmen sie uns auch so einiges ab und übernehmen quasi unsere Last, denke ich. Allerdings hatte ich damals nicht diese Sicht auf die Dinge, und deshalb war es, so wie es war, anscheinend richtig.

Es hilft niemandem – das weiß ich heute –, irgendwem die Schuld für etwas zu geben. Es war in der Situation eben genau richtig, weil wir es nicht anders wussten oder anders machen konnten. Wir erschaffen uns die Dinge und Situationen, ohne zu wissen, dass es so ist. So nahm alles seinen Lauf und das »Hamsterrad« drehte sich weiter.

Im Nachhinein finde ich es erstaunlich, wie lange ein Körper so wenig Eigenliebe und Eigenverantwortung mitmacht. Nach vielen Jahren »Funktionsmodus« und einigen Vorkommnissen in meiner Ursprungsfamilie war ich mit meinem Latein am Ende.

Im Anschluss an zahlreiche Auseinandersetzungen mit meinem Vater startete ich den Versuch, mit ihm ein vernünftiges Gespräch zu führen. Er bedauerte sich oft selbst und beklagte sich, dass er es im Leben nicht gut gehabt hätte. Oft malte er sein Leben »schwarz« aus, anstatt in hellen, leuchtenden Farben. Ihm die positiven Dinge in seinem Leben aufzuzählen, half dabei nicht.

Nach meiner damaligen Logik musste mein Vater doch verstehen, dass ich oft unter der Vergangenheit litt und es endlich »loswerden« wollte. Alle Versuche, ihm zu vermitteln, dass mir das Erlebte aus der Kindheit ständig wieder hochkam, sowie der Wunsch, es ein für alle Mal zu klären, scheiterten.

Ich wollte doch nur verstanden werden. Ich hatte doch nur reden wollen – ohne Vorwurf –, um ihm meinen Standpunkt zu vermitteln. Mein Vater und ich redeten wohl in zwei verschiedenen Sprachen – anders konnte ich es mir nicht erklären.

Ich möchte nicht alles aufführen, was danach geschah. Mein Vater fühlte sich angegriffen und reagierte dementsprechend. Heute weiß ich, dass meine Eltern mit ihren eigenen Geschichten und Mustern auch Pakete in den Händen hielten und deshalb nicht anders handeln konnten. Die Erfahrungen, die ich machte, schienen für meine eigene Ent-wicklung wichtig zu sein.

Es war nicht einfach zu nehmen, da ja Eltern »eigentlich« ihre Kinder schützen sollen, gerade in jungen Jahren, aber meine Eltern fühlten sich dazu wohl nicht in der Lage. Es ist auch nicht wichtig, dass ich Details nenne, damit du den weiteren Verlauf verstehst. Ich persönlich war nie davon angetan, wenn solche Geschichten einer Abrechnung glichen. So etwas würde weder zu mir passen noch irgendjemanden weiterbringen. Wenn meine Eltern nicht wären, wäre ich schließlich auch nicht. Dafür bin ich sehr dankbar. Sie haben mir das Leben geschenkt, und das ist das größte Geschenk, das es gibt.

Es kam erst mal zum Stillstand im Kontakt zu meinen Eltern – sie sprachen nicht mehr mit mir – und zum »Stillstand« in meinem Körper – er »funktionierte« nicht mehr. Ob Bandscheibenvorfall, Probleme mit Knien und Schultern, Verdacht auf Fibromyalgie, Migräne und … und … und … Nichts ging mehr.

Mit meinem heutigen Wissen ist mir klar, wie groß der Selbstwerteinbruch gewesen sein muss und wie viel Druck es mir bereitet hat. Ich will den Fokus nicht auf das legen, was laut der Schulmedizin defekt war, aber so kannst du vielleicht besser verstehen, dass es mich aus der Bahn warf.

Nach zahlreichen eigenen und therapeutischen Ansätzen, die mich wieder auf Kurs bringen sollten, begab ich mich erst mal völlig in schulmedizinische Hände. Da ich mich bisher immer lieber »Quarkwickeln und Co.« zugewandt hatte, war es für mich nicht einfach, mich der Schulmedizin quasi zu »ergeben«. Damals hatte ich aber vom Gefühl her keine andere »Wahl«.

Mein Leben spielte sich dann lange Zeit in Arztpraxen und bei Therapeuten ab. Eine Vielzahl von Tabletten gehörte zu meinem Alltag – angefangen bei Magentabletten, Schmerzmitteln, Betablockern und Wassertabletten ging es über Stimmungsaufheller bis hin zu Hormonpräparaten. Für mich eine unfassbare Situation. Hinzu kam die gefühlte Hölle – was auch immer das für dich bedeuten mag. Ich hatte Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen und noch mal Schmerzen.

Nach dem Motto »Wer suchet, der findet« wurde ich durch die Schulmedizin quasi »auf links gedreht«. Immer neue Ideen, wo es »herkommen könnte«, führten zu ständig neuen Untersuchungen und Behandlungsverfahren. Ich möchte das nicht werten, denn damals war ich froh, dass überhaupt etwas geschah.

Ob MRT oder CT, Arzttermine in sämtlichen Fachrichtungen oder Schlaflabor – nichts, was ich vorgeschlagen bekam, ließ ich unversucht. Allen Bemühungen zum Trotz rebellierte mein Körper weiter und schickte mir Schmerzen an immer wieder neue Stellen. Weder für meine Familie noch für mich war es erträglich. Eine große »Be-lastung« für alle! Der »Funktionsmodus« war futsch.

An manchen Tagen konnte ich kaum noch laufen, und selbst der Absatz eines Bürgersteigs war dann eine fast unüberwindbare Hürde. Ich musste schließlich mein Bein mit den Händen anheben. In meinem unteren Rücken fühlte es sich an, als würden dort einige Messer stecken.

Schon bald war ich seelisch auf dem Tiefpunkt. Ich war mit der Situation überfordert und oft maßlos traurig, fühlte mich »auch« vom Leben betrogen und verstand die Welt nicht mehr. Immer hatte ich es gut gemeint, und nun wurde ich dafür auch noch bestraft – »gefühlt« zumindest. Ein Glaubenssatz, der meinen Vater sein ganzes Leben begleitet hatte und der vielleicht durch mich erlöst werden konnte und durfte.

Mein Vater war zu keiner Zeit wirklich glücklich, sah nicht die schönen Dinge in seinem Leben – irgendwie schien er sich nie die Erlaubnis gegeben zu haben, das Glück beim Schopfe zu packen.

Töchter sind mit ihren Vätern oft sehr eng verbunden. Sie versuchen die Lasten zu tragen, die nicht ihre sind, und werden davon fast erdrückt.

Mir ging es immer schlechter, ich sah kein Licht mehr am Ende des Tunnels. Mein Mann und meine Kinder standen oft hilflos da und ich wusste nicht, ob es schlimmer war, dass ich litt oder dass meine Lieben dabei zusehen mussten.

Gerade in dieser Zeit war mein Kater Sammy oft genial. Er spürte, wie es mir ging, und kam zu mir, um mich zu trösten. Sein gleichmäßiges Schnurren beruhigte mich auf sanfte Weise. Ich sagte dann oft zu ihm: »Dich schickt der Himmel!«, ohne zu wissen, wie wahr meine Worte waren. Ich denke, dass ich diese Seele an die Seite gestellt bekam, um die damalige Phase meines Lebens besser überstehen zu können. Damals war mir noch nicht bewusst, wie kraftvoll meine Gedanken und Worte sind. Heute weiß ich es, Gott sei Dank.

Da ich berufstätig war und das »liebe Mädchen« nicht krank sein wollte und zusätzlich Respekt hatte, die Arbeit zu verlieren, hangelte ich mich sehr lange mit starken Schmerzen durch Job und Alltag. Zu dieser Zeit arbeitete ich im Einzelhandel und das tägliche Stehen, Bücken, Recken und das Tragen von Kartons machten das Ganze nicht einfacher.

Beruflich habe ich in meinem Leben einige Zwischenstationen eingelegt. Heute bin ich mir sicher, dass jede Station wichtig war und für alles Weitere, was noch kam und kommen wird, von großer Bedeutung war und ist.

Als ausgebildete Groß- und Außenhandelskauffrau wechselte ich damals in den Einkauf. Danach arbeitete ich einige Jahre lang als Bankangestellte, bis ich schwanger wurde. Es machte mir wirklich Spaß, da mir in der Bank im Kundenkontakt der Umgang mit den Menschen sehr wichtig war. Es lag mir, auf Kunden zuzugehen und auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten individuell einzugehen – durch meine offene Art eine Leichtigkeit.

Als beide Kinder da waren, wollte ich für sie da sein, sie versorgen und selbst erziehen.

Nach einigen Jahren Erziehungspause war es schwierig, wieder in das Berufsleben einzusteigen. Also versuchte ich, im Direktvertrieb Fuß zu fassen, was mir auch gelang. Ich konnte meine Termine so legen, dass mein Mann für die Kinder da war. Für einige Jahre war das genau mein Ding, zu festen Terminen zu Kunden nach Hause zu fahren und die Produkte anzubieten. Verkauf war und ist mein Element, wenn ich von den Produkten überzeugt bin. Anfangs war ich tagsüber unterwegs und später meistens in den Abendstunden.

Die Kinder wurden größer und ich wollte lieber wieder tagsüber zu festen Zeiten und Einkünften arbeiten. So arbeitete ich in einem Geschäft, in dem Mode verkauft wurde. Es machte mir Spaß und ich kam super bei den Kunden an. Dort lernte ich fürs Leben und wusste noch nicht, wie wichtig all diese Erfahrungen später einmal sein würden.

Alles, was wir tun, macht meiner Meinung nach Sinn, es gibt keine »sinn-losen« Situationen im Leben, egal ob wir es mit unserem Verstand begreifen können oder nicht.

 

Nach einiger Zeit wechselte ich in eine andere Filiale und arbeitete in einem Shoppingcenter. Immer noch artig im Funktionsmodus, signalisierte mir mein Körper ständig intensivere Schmerzen. Die längeren Öffnungszeiten und die unterschiedlichsten Tätigkeiten fielen mir immer schwerer. Es war nicht einfach, in der Arbeitswelt zu bestehen, weil es mir oft nicht gut ging.

Irgendwann empfahl mir mein Arzt eine stationäre Reha in einer Klinik, da immer mehr Beschwerden hinzukamen. Seelisch ging es weiter bergab. Ich weinte oft, da ich mich nur noch sehr eingeschränkt bewegen konnte und ohne Tabletten fast gar nichts mehr ging. Wenn man bedenkt, dass ich immer gerne gelaufen bin und stets flotten Fußes unterwegs war, nicht einfach zu nehmen. Vor allem mein unterer Rücken ließ kaum noch Bewegungsabläufe zu. Das Kreuzbein war völlig steif – wie mit Beton ausgegossen. Nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie war es ein Ausnahmezustand. Nach außen wahrte ich noch »den Schein«, aber zu Hause war es oft heftig.

Ich suchte nach dem Grund und sah einen Zusammenhang zwischen den Auseinandersetzungen mit meinem Elternhaus und meinen Beschwerden. Ich war enttäuscht und frustriert, wie mit allem umgegangen wurde, und wusste keinen Ausweg. Während dieser Zeit fühlte ich mich als »Opfer« der gesamten Situation und erkannte erst viel später die Zusammenhänge. Heute weiß ich, dass mich niemand verletzen kann. Wenn mich die Situation kränkt, berührt oder antriggert, wenn es sozusagen etwas mit mir macht, dann hatte ich für dieses Thema noch einen »Tiegel offen stehen«. Das bedeutet nach meiner Ansicht, dass ein altes Muster hochkommt und sich ein »bekanntes«, unterdrücktes Gefühl quasi zeigt, damit man hinschauen und es erlösen kann. Ich glaube, die Kunst ist, es dankend anzunehmen.

Ist mein »Glas« zu voll – später mehr dazu –, kann man es oft nicht annehmen, man fühlt sich schlecht. Ist mein »Glas« leer – ist mein System also nicht überladen –, kann ich es gut nehmen und verstehe den Sinn dahinter. Man bekommt eh so lange ähnliche Situationen vom Leben präsentiert, bis man »verstanden« hat und sich die Dinge erlöst haben.

Nach immer neuen Ansätzen suchend und mit der Hoffnung, dass mir doch irgendeine Therapieform Erleichterung verschaffen musste, probierte ich einiges aus. Chinesische Medizin, Dorn-Preuss-Anwendungen Osteopathie und Akupunktur brachten bei mir oft nicht die gewünschten Erfolge.

Für einige Wochen ging ich auf Empfehlung meines Hausarztes zu einem sehr guten Therapeuten. Ich fühlte mich dort gut aufgehoben, obwohl die Behandlung alles andere als angenehm war. Mein Gewebe war teilweise so verhärtet, dass es ziemlich schmerzhaft war, es wieder aufzulockern. Kam ich nach der Therapie nach Hause, fühlte es sich ganz gut an, aber spätestens am nächsten Tag war der Effekt wie verflogen und mein Körper machte wieder, was er wollte. Es war zum Verzweifeln!

Über einige Zeit begleitete mich eine Heilpraktikerin mit den unterschiedlichsten Therapieverfahren. Jedes Mal hoffte ich, dass sich eine langfristige Besserung einstellen würde. Kurzfristig war es zwar besser, aber so wirklich kam ich nicht weiter. Die Liste meiner Medikamente wurde länger und ich fühlte mich immer »machtloser«.

Da ich nicht weiterwusste, nahm ich sogar das Angebot an, zu einer Psychotherapeutin zu gehen, um eine Gesprächstherapie zu beginnen. Noch Jahre zuvor hätte ich mir das nicht vorstellen können. Ich kann mich noch gut an die ersten Stunden erinnern, in denen ich fast nur weinte. Ich versuchte meine Geschichte mit dem Argument abzutun, dass es ja nicht so schlimm sei und dass es bestimmt schwerere Fälle gäbe. Die Therapeutin schüttelte den Kopf, da sie merkte, wie tief die Vorkommnisse immer noch saßen. Sie erklärte, dass es oft nicht darauf ankam, was genau man erlebt hatte, sondern ob es immer noch »wehtat« und ob man es bereits verarbeitet hatte. Bei meinen weiteren Ausführungen merkte ich selbst, wie sehr es mich noch bewegte und belastete. In einer Sitzung musste ich ein Kissen in den Arm nehmen, stellvertretend für die kleine Sabine. Ich sollte sie trösten, da sie immer noch in einer Ecke saß und sehr traurig war. Ich konnte damals nicht aufhören zu weinen. Es ist schon enorm, wie viele Tränen nicht geweint werden und irgendwann doch hinauswollen.

Endlich waren die Reha-Anträge bewilligt und es ging bald los. Die Klinik lag in einem kleineren Ort in der Nähe von Göttingen. Gewünscht hätte ich mir einen ganz anderen Ort, aber da mein Arzt meinte, dass es dort sehr gut und auch schön sei, stimmte ich zu. Schließlich – da es keinen »Zufall« gab – musste es einen Grund haben, den ich in dem Moment noch nicht erkennen konnte, dass es mich dorthin verschlug, obwohl ich doch eigentlich an die See wollte. Das Meer hatte für mich schon immer eine besondere Anziehungskraft. Ich liebe den Geruch von Salz in der Luft, den Sand an den Füßen, die Wellen, auf die ich stundenlang schauen kann, ohne dass Langeweile aufkommt. Schon als Kind liebte ich die Urlaubswochen an der holländischen Nordsee. Die ersten Schritte meines Lebens machte ich dort mit einem Jahr im Sand, in einem kleinen Ort namens Wassenaar. Aber nun war ich umzingelt von Wald und unzähligen Tannenbäumen. Vielleicht würde ich den Sinn später verstehen.

Die Klinik vermittelte den Charme der 80er und war teilweise in die Jahre gekommen. Allerdings waren die Mitarbeiter dem Anschein nach sehr kompetent und neuen Verfahren gegenüber aufgeschlossen. Schon während der Aufnahmeuntersuchung stellte sich heraus, wie »unbeweglich« ich inzwischen war und dass einige Bewegungsabläufe gar nicht mehr möglich waren. Ich war nicht mehr in der Lage, »mich zu beugen«.

Eine Ärztin erstellte einen Therapieplan. Aus ihrer Sicht stand sofort fest, dass die mir verordneten drei Wochen nicht ausreichen würden, und sie verlängerte direkt auf vier Wochen. Mir kullerten die Tränen über die Wangen. Vier Wochen – das erschien mir so lang! Noch nie war ich so lange von zu Hause weg gewesen. Trotzdem vertraute ich darauf, dass es gut und wichtig war.

Ich belegte mein Zimmer mit gemischten Gefühlen und beschloss, diese Chance zu nutzen in der Hoffnung, dass sich ein kleines Wunder auftun würde.

Der Therapieplan war fertig, die Termine waren eng gelegt und ich war nonstop im Haus unterwegs. Sehr schnell fand ich Anschluss und blühte zumindest emotional wieder auf. Das war Balsam für die geschundene Seele. Ich hatte nette Menschen um mich herum und wir verstanden uns oft ohne Worte, da die meisten in ähnlichen Situationen steckten wie ich.

Wir unternahmen viel zusammen, wenn wir keine Termine hatten, und ich hatte nach längerer Zeit endlich wieder das Gefühl, am Leben teilzunehmen.

Mit einer Frau fühlte ich mich besonders verbunden. Es beeindruckte mich, dass sie trotz verschiedenster negativer Erfahrungen immer sehr positiv dachte. Mich hatten die letzten Jahre und sämtliche Beschwerden ziemlich frustriert und oft hatte mir das Licht am Ende des Tunnels gefehlt. Es war meine erste Reha und zusätzlich zu meinen Therapien bekam ich psychologische Unterstützung.

In den ersten Tagen unterhielt ich mich mit jemandem, der genau wie ich nur unter Schmerzen laufen konnte. Die Tage vergingen, und als ich ihn irgendwann später wiedersah, saß er im Fitnessraum auf dem Fahrrad und strampelte wie »beflügelt«. Ich fragte natürlich sofort nach, in welchen »Jungbrunnen« er gefallen sei und wo ich den finden könne. Er berichtete mir von einem neuen Therapieverfahren, das bei ihm gut half. Ein weiterer Hoffnungsschimmer tat sich auf. Abends erzählte ich davon in meiner Runde. Einige kannten das Verfahren bereits und hatten gute Erfahrungen damit gemacht.

Am nächsten Tag sprach ich meine Einzeltherapeutin an und sagte, dass ich diese Therapie gerne ausprobieren würde. Leider gab es hierfür bisher nur wenige ausgebildete Therapeuten und die Termine waren knapp. Ich drängte täglich weiter, bis ich in der letzten Reha-Woche eine Behandlung bekam.

Schon während der Behandlung – ich lag auf einer Therapieliege und an mir wurden verschiedene »Griffe« ausgeführt – spürte ich eine seltsame Entspannung. Als ich fertig war und aufstehen sollte, gelang es mir kaum, mich aufzurichten, und es fühlte sich an, als ob ich mit Blei ausgegossen worden wäre. Eine Entspannung breitete sich in meinem Körper aus, die ich so nicht kannte.

Einige berichteten Ähnliches und bei manchen waren danach auch die Schmerzen geringer. Die Therapeutin empfahl mir, auf jeden Fall zu Hause weiterzumachen, und schrieb mir den Namen einer Heilpraktikerin auf. Vielleicht handelte es sich bei dieser Therapie um das »Wunder«, das ich mir erhofft hatte.

Wieder zu Hause angekommen, machte ich direkt einige Termine aus. Ich wollte es versuchen, schaden konnte es ja nicht. Je nach Verkehrslage musste ich bis zu einer Stunde Fahrtzeit hin und auch zurück einplanen. Da ich inzwischen wieder arbeiten ging, war es oft aufwendig, und natürlich kostete es nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Diese neuere Therapie musste man selbst bezahlen.

Meine Schmerzen gingen nicht weg, aber irgendwie fühlte es sich anders an. Wenn ich am Tag nach einer Behandlung bei der Arbeit war und durch den Laden lief, war ich nicht mehr so »steif« wie vorher. Auch die Kolleginnen fragten nach, was ich denn da für eine Therapie mache. Sie bemerkten, dass ich mich ganz anders bewegte.

Oft hatte ich dadurch, dass sich im Körper einiges ausbalancierte, enorme Probleme nach der Anwendung, aber die nahm ich in Kauf, denn für mich und in meiner ausweglosen Situation sah ich endlich wieder Licht am Ende des Tunnels. Schließlich hatte man mir zum Abschluss meiner Reha keine großen Hoffnungen gemacht. Ich galt als »aus-therapiert« und man war der Meinung, dass die Schmerzen mich wohl immer begleiten würden. Das war nicht gerade aufbauend und mein Kämpfergeist wollte das so nicht annehmen. Ich vertraute darauf, dass das, was sich jetzt im Körper zeigte, wichtig war, um zu regenerieren.

Wenn beispielsweise ein Dampfer lange Zeit mit voller Kraft voraus in die »falsche« Richtung gefahren ist und man ihn anhalten beziehungsweise wenden möchte, dann dauerte es auch eine gewisse Zeit, bis man überhaupt bemerkt, dass man einen anderen Kurs eingeschlagen hat. Er fährt erst mal mit seiner ganzen Last geradeaus weiter, vielleicht schlingert er sogar. Und eine Wendung geht auch nicht so rucki-zucki, es braucht seine Zeit.

Wenn du den Film »Titanic« gesehen hast, dann weißt du bestimmt, was ich zum Ausdruck bringen möchte, denn da war ein Kurswechsel auch nicht mal eben möglich, nachdem der Eisberg gesichtet worden war.

Da ich es gewohnt war, mich durchzukämpfen, ließ ich mich weder vom Weg noch von den Kosten abschrecken. Ich fuhr weiter zur Behandlung und fühlte mich bei der Therapeutin sehr gut aufgehoben. Wir verstanden uns auf Anhieb. Sie empfahl mir damals unterstützend CDs von Robert Betz. Wahrscheinlich genau richtig zu dieser Zeit. Ich hatte noch nie von ihm gehört, war aber neugierig, hörte mir einiges von ihm an und kam mit seiner Art, die Dinge aufzugreifen, gut zurecht. Mit seinen Worten hielt er mich oft provokant mit der Nase in den besagten Haufen. Aber das gefiel mir. Lieber direkt als immer um den Pudding herum, denn das brachte mich nicht weiter. Ein weiterer Strohhalm, den ich gerne annahm.

Nach einiger Zeit und regelmäßigen Behandlungen merkte ich, dass ein kleines Pflänzchen in mir wuchs. Ich konnte es oft nicht benennen und der Schmerz war auch noch da, aber trotzdem veränderte sich etwas.

Mir kam eine Idee und ich fragte die Heilpraktikerin, ob man diese Art der Anwendungen auch als Laie bzw. Quereinsteiger erlernen könne. Irgendetwas in mir bewegte mich dazu. Damals folgte ich diesem Impuls und wusste nicht warum. Sie lächelte und meinte: »Sicher ist das möglich.« Ein Mann aus Australien hatte dieses Verfahren in den 50er Jahren quasi »gefunden« bzw. entwickelt. Auch er war kein Mediziner gewesen, sondern ein Zimmermann, der sich sehr für Sport interessierte.

Na dann, dachte ich, werde ich es versuchen. Und wenn ich es recht überlege, war Jesus, glaube ich, ebenfalls Zimmermann. Wenn man bedenkt, was er damals bei den Menschen alles »bewirkt« hat, war das schon enorm.

Es fühlte sich gut und richtig an. Irgendetwas trieb mich an. Mein Mann stutzte, sah die ganzen Kosten und war sehr unsicher, ob es richtig war. Doch ich war fest entschlossen und ließ mich durch nichts und niemanden abschrecken. Es war für mich gut zu schaffen, da das Wissen in Modulen an den Wochenenden vermittelt wurde. Ich konnte es nicht erklären, aber ich wusste, ich musste das tun – jetzt und nicht irgendwann! Es war eine Entscheidung, die von innen heraus kam. Schließlich tat ich es nicht nur für mich, ich wollte der ganzen Familie damit helfen. Mal wieder typisch für mich – selbst nicht fit, aber im Geiste schon die gesamte Familie unterstützen wollen. Da war mir noch immer nicht klar, dass ich es war, die die meiste Unterstützung brauchte. Wie so oft dachte ich: Wenn es den anderen erst mal besser geht, dann geht es mir bestimmt auch bald besser. Dass es nur anders herum funktioniert, ahnte ich da noch nicht.

 

Ich erkundigte mich nach Fördermöglichkeiten, die ich auch bekam. Ungefähr ein halbes Jahr nach dem Kennenlernen der Therapie in der Reha hatte ich bereits das Anmeldeformular in den Händen. Wow!

Bald darauf sollte es losgehen und ich war ziemlich aufgeregt. Ich hatte so etwas zuvor noch nie gemacht, aber ich war offen für alles.

Voller Hoffnung ging ich zu dem ersten Seminar. Ich hatte Respekt davor, andere Menschen zu berühren. Der sehr nette Lehrer machte mir immer wieder Mut und unterstützte mich. Heute weiß ich, dass es kein Zufall war, dass ich bei diesem Lehrer gelernt habe, er war wahrscheinlich zu der Zeit genau richtig für mich.

In den ersten Abschnitten der Ausbildung war ich nervös und gespannt zugleich. Wissbegierig nahm ich alles auf. Es war für mich körperlich sehr anstrengend und zwischendurch waren Pausen wirklich wichtig.

Als es mir einmal gar nicht gut ging und ich ziemliche Probleme mit meinem Unterleib hatte, kam ich in einem Gespräch mit einer Teilnehmerin auf das Thema »Mutter« zu sprechen. Sie arbeitete unter anderem mit Familienaufstellungen. Mir war schon bewusst, dass die Wurzeln im Leben sehr wichtig waren. Ich hatte darüber bereits ein Buch gelesen und war sehr interessiert. Den Zusammenhang zwischen meinen gesundheitlichen Problemen und dem Mutter-Thema kannte ich allerdings nicht.

Ich war neugierig auf die Zusammenhänge und machte mit der Teilnehmerin einen Termin aus.

Einige Wochen später nahm ich an einer Familienaufstellung teil und war sehr gespannt auf das Ergebnis. Nach einigen Ausführungen und Besprechungen über den Ablauf ging es los. Ich war fasziniert, dass es möglich war, in der Energie eines Menschen zu »stehen«, den man nicht kannte, aber genau zu spüren, wie derjenige sich fühlte.

Wir stellten meine Mutter auf. Hätte man mich im Vorfeld gefragt, wäre ich mir immer sicher gewesen, dass ich beim ersten Mal auf jeden Fall meinen Vater aufstellen würde, bei allem, was früher gewesen ist. Aber ich vertraute und ließ mich darauf ein.

Ich wählte eine fremde Person aus, die dann quasi für meine Mutter stand, und konnte alles von außen betrachten. Es war beeindruckend, dass die Regungen und das Verhalten dieser Fremden dem meiner Mutter glichen, ohne dass diese Person sie kannte.

Zuerst sollte ich alles als Zuschauer beobachten. Dann wurde ich selbst mit »hineingestellt« und ich stand der Person, die sich für meine Mutter zur Verfügung gestellt hatte, gegenüber. Es war sehr emotional und ich konnte mich »meiner Mutter« zunächst gar nicht annähern. Erst nach vielen Tränen und einer Übung mit einem Korb voller Steine, den ich meiner Mutter symbolisch zurückgeben sollte für eine Last, die sie mir in jungen Jahren unbewusst übergeben hatte, wurde es etwas leichter. Ich konnte mich nur schrittweise annähern und stoppte ein Stück vor »meiner Mutter«. Von da an ging es keinen Schritt voran.

Ich bekam eine weitere Person an die Seite gestellt, die mein inneres Kind darstellen sollte. Nun flossen die Tränen erst recht. Die kleine Sabine weinte wohl innerlich immer noch. Da schien ein längerer Lösungsweg auf mich zu warten. Ich war erstaunt, was alles möglich war. Es war eine besondere, neue Erfahrung.

In meiner Kindheit war durch die Vorkommnisse in unserer Familie die natürliche Ordnung durcheinandergeraten. Mutter und Vater stehen in der Familienordnung normalerweise immer hinter den Kindern, als Unterstützung und starke Kraft im Rücken. Bei uns war es so, dass ich mit meiner Mutter auf einer Ebene stand, eher wie eine Freundin.

Natürlich war es meiner Mutter damals nicht bewusst gewesen, sie machte das nicht, um mir zu schaden. Stattdessen war sie froh, diese unangenehmen Dinge mit mir teilen zu können, wie man es mit einer Freundin tut, ohne das Bewusstsein, dass sie mir damit einiges auflud.

Ich war gespannt, was sich durch diese Aufstellung in der Familie lösen bzw. erlösen würde. Ich konnte in Ruhe abwarten, ob sich etwas veränderte, denn mit Gesprächen kam man in diesen Situationen eh nicht weiter. Die gebundene Energie, die sich dadurch gelöst hatte, wirkte, ohne dass ich etwas tun musste. Vertrauen war da ein guter Ratgeber!

Die nächsten Abschnitte der Ausbildung wurden in Wetter an der Ruhr vermittelt, in einem kleinen, wunderschönen und familiären Seminarzentrum mit dem vielversprechenden Namen »energiezentrum24«. Das konnte ich gebrauchen, rund um die Uhr Energie, vierundzwanzig Stunden lang. Hier war ich richtig.

Ich fühlte mich wohl in unserer kleinen Lerngruppe, taute nach und nach auf und traute mir immer mehr zu. Wir hatten sehr viel Spaß miteinander und ich lernte nicht nur, bestimmte Griffe am Körper anzuwenden, sondern auch für das weitere Leben.

Ich nahm mir das »Recht«, mich für ein paar Tage aus dem »Alltagsgeschehen« herauszunehmen, und übernachtete in der Seminareinrichtung. Natürlich hätte ich von der Entfernung her auch jeden Tag wieder fahren können, aber so war es einfacher und auch schön, mal nicht den alltäglichen Trubel um die Ohren zu haben. Ein großer Schritt für mich, denn ich empfand es keinesfalls als selbstverständlich, zu Hause meine Tasche zu packen und allein loszufahren nach dem Motto: »So meine Lieben – ich bin dann mal weg!«

Es war jedes Mal besonders, wenn ich für ein paar Tage von zu Hause weg war, und ich tat es nur für mich. Eine neue »Errungenschaft«, denn bisher hatte ich mir zwar auch mal ein paar Tage mit einer Freundin oder mit den Kindern gegönnt, aber eine Auszeit für ein Seminar bisher noch nicht.

Früher oder später, wenn es mir wieder besser gehen würde, wollte ich gerne eine Pilgerreise machen, um den »Weg zu mir selbst« zu finden, von dem ich schon öfter in meinem Leben abgekommen war. Na dann – das waren ja gute Vorsätze!

Das Wissen im Seminar wurde in Modulen vermitteln, damit man zwischenzeitlich genügend Möglichkeit hatte, das Erlernte zu Hause zu üben.

Ich verstand mich sehr gut mit den anderen Teilnehmern und freute mich schon immer auf die nächsten Termine.

Oft ging es mir während der Seminare und auch danach nicht wirklich gut. Es war körperlich sehr anstrengend, mit all meinen Beschwerden an einer Therapieliege zu stehen. Außerdem löste sich des Öfteren durch die Griffabfolgen, die an einem selbst vorgenommen wurden, etwas »Altes«, und ich hatte unterschiedlichste und oft heftige Reaktionen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Lösungsphase während eines Seminars. Da es mir an diesem Wochenende ziemlich bescheiden ging und ich wohl dementsprechend schlecht aussah, bot mein Lehrer mir ein paar zusätzliche Griffe an. Er wollte mir etwas Erleichterung verschaffen.

Ich nahm das Angebot an und merkte sofort, dass sich da eine sogenannte »Heilspitze« anbahnte. Von Übelkeit über Durchfall, Zittern bis hin zu heftigen Schmerzen war alles vertreten. Ich tigerte im Vorraum an der Theke auf und ab und die Tränen liefen mir über das Gesicht.