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Verträumt 4

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Z serii: Verträumt #4
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7
Verzaubert

Schockiert blicken beide weiterhin vom schwankenden Schiffsdeck aus in die Ferne zum verschwundenen Waldzauber, bis Veronika Schritte wahrnimmt und sich daraufhin umdreht. Sie sieht in die gläsernen Augen einer Indianerfrau, die torkelnd ihr Gleichgewicht im Farbenspiel des Winds sucht.

»Nun habt ihr tatsächlich das geschafft, was kein Fremder zuvor, hicks, hinbekommen hatte. Kein Baum steht mehr da, wo er war und kein Strauch erblüht mehr in Grün, hicks. Entschuldigt meinen Schluckauf«, lallt die angeheiterte Frau und stoppt vor Veronika und ihrer herumfliegenden Fee.

»Du hast uns sicherlich mit dem Läuten der Glocke aus der Patsche geholfen? Ist es nun eine Falle und du wirst uns auf diesem Piratenschiff als Geisel nehmen oder darf ich aufatmen?«

»Ich bin alleine auf diesem Schiff, hicks. Es geht von mir keine Gefahr aus. Es schienen damals alle über Bord gegangen zu sein. Denn als die Zeitenwende begann, machten die Meerjungfrauen Jagd auf die Piraten. Nur ich habe hier vor langer Zeit Zuflucht gefunden. Nennt mich einfach Pocah, hicks. Ich sehe, dir wurden Verletzungen zugetragen. Kommt mit unter Deck, dort werde ich mich um deine Wunden kümmern können.«

»Wäre ich im Besitz meines Zauberstabes, hätte ich dies für Euch erledigen können«, lässt Verbena maßregelnd einfließen, woraufhin sie leise hinterherfliegend den anderen beiden unter Deck folgt.

Mit der Strömung treibt das Piratenschiff unsanft auf dem Märchensee, während der Vollmond hell am Horizont über das Reich der Traumwelt von Veronika wacht. Zugleich sucht sich der kalte Wind ein Schlupfloch in das Schiffsinnere, dessen Räumlichkeiten nur mit dem Lebensnotwendigsten ausgestattet sind.

In einer lauschigen, mit Fackeln versehenen, Kajüte nimmt Veronika auf einer Eckbank Platz. Von hier aus schaut sie Pocah hinterher, wie sie vor einem immens großen Bullauge, das in die Tiefe des Sees blicken lässt, eine mit Muscheln bedeckte Schatztruhe öffnet.

»Erst einmal, hicks, muss die Wunde desinfiziert werden. Oh, dieses auserlesene Behältnis muss für mich bestimmt sein. Es ist das einzig Wertvolle, was auf diesem Schiff vonnöten ist. Sie muss verzaubert sein, denn der sich darin befindende Alkohol, hicks, ist bisher nie leer geworden. Er ist seit Tagen meine Großmutter Weide. Wisst ihr«, unterbricht Pocah kurzzeitig ihren Redeschwall und schließt die eisgekühlte Schatztruhe mit einer Flasche Rum in der Hand. Unterwegs schnappt sich die Indianerin noch drei Trinkkrüge aus einem instabilen Holzregal.

»Lange habe ich versucht, den Wald vor Angriffen zu schützen. Doch manchmal, hicks, kann man einfach nichts dagegen tun, egal, wie sehr man es sich wünscht. Manchmal muss man fallen, um wieder aufstehen zu können und so denke ich, wird auch der Waldzauber, so wie die Tiefe des Märchensees und das Funkelschloss nach der Zeitenwende wieder neu aufleben.«

»Ah ja«, gibt Veronika desinteressiert von sich, wobei ihre Wunde am Oberarm mit einem in Rum getränkten Kissenbezug abgetupft wird.

»Ja, höre mir ruhig zu, hicks. Zu viele Menschen leiden darunter, wenn die Seele nicht befreit ist. Man sollte offen sein, für etwas Neues und Freunde haben, die einen auch unterstützen, hicks.«

»Irgendwie kann ich dir nicht folgen. Wir sind nicht auf dem gleichen Level. Schenk mir lieber auch endlich mal was von deinem Zaubertrank ein«, fordert Veronika verschmitzt auf und schenkt ihrer mürrischen Fee ein kurz umstrittenes, arrogantes Lächeln.

Dadurch ihre Aufmerksamkeit erweckt, flattert Verbena näher an Veronika heran.

»Seht, wir sind hier, Eure vertrauten Personen. Ihr lerntet uns in den Märchen Eures Vaters kennen, zu einer Zeit, in der Euer Herz noch lauschte. Personen in Eurer heutigen Zeit, ihnen schenkt Ihr kein Vertrauen. Im Gegenteil, Veronika. Ihr seid nun hier, um zu verarbeiten, richtig? Euer Wort an uns. Lasst mit Worten das Leid aus Eurer Seele fließen. Öffnet und befreit Euch von Eurer Infektion.«

»Eigentlich habe ich keine Probleme, außer man redet sie mir natürlich ein. Ich muss sagen, das ist das erste Mal, wo ich mich über einen Schluck Rum freue«, antwortet die eigentlich stets konsequente Veronika mit erhobenem Krug, um daraufhin mit Pocah anzustoßen.

Genüsslich zischt sie ihr alkoholhaltiges Getränk den Rachen hinunter, woraufhin ein nächster mit Rum gefüllter Krug folgt und sie sich weiterhin die Wunden von Pocah behandeln lässt.

»Auf das der Alkohol Eure Zunge lockert und die Tränen fließen lässt«, erhofft sich die gute Fee eine sentimentalere Veronika.

Im Anschluss genießen alle zusammen ein paar entspannte und wohlige Stunden in der schwankenden Kajüte. Voller Gelächter und voller Rum. Das Piratenschiff treibt derweil auf dem Märchensee immer mehr Richtung Funkelschloss.

»Meine Lieben, ich liebe Schiffe, ich liebe den Hafen und ich liebe das Essen aus dem Meer. Wenn ich irgendwann im Lotto gewinnen sollte, kaufe ich mir ein Küstenhaus.«

»Veronika, jeder hat seine Vorjüge, nich´ wahr?«, stammelt die kleine Fee Verbena mit roten Wangen versehen und solch müden Augen, sodass sie langsam auf der Schatztruhe eindöst.

»Unglaublich, ich kann hier genauso betrunken werden, wie in der Realität. Das merke ich gerade. Im Übrigen, Omache Ulli fühlt sich auf See ebenfalls pudelwohl, die trinkt uch gern ener über de Dorscht. Außerdem lehrte sie mich, ein Gesicht niemals zu vergessen.«

»Hicks, wer ist denn Omache Ulli?«

»Die Mutter meines verstorbenen Mannes. Eine kleine Frau mit einem großen Herzen. Das Einzige, was mir noch von meinem Mann übrig geblieben ist. Abgesehen von unseren Zwillingen, natürlich.«

»Ist er tot, dein Mann?«

»Ja, meine Liebe. Er ist tot und in jeder Sekunde, in der ich lebe, denke ich an ihn ununterbrochen.«

»Wie ist er gestorben, hicks?«

Angedudelt legt Veronika ihren Kopf in Pocahs behutsamen Schoß und lässt sich gesellig durch die Haare streifen. Sie denkt mit geschlossenen Augen an ihr erstes Halloween mit ihrem Mann, die erste Begegnung, die aufkeimende Liebe. Auch der Duft seines Parfüms kommt gedanklich zum Vorschein, welches ihr aus tiefster Erinnerung förmlich wieder in die Nase steigt.

»Wo bist du gerade, hicks? Lass mich daran teilhaben.«

»Wir gingen an unserem Jahrestag in unserem Restaurant essen, das wir damals am Tag unseres ersten Dates besucht hatten. Es wurde zum Stammlokal. Dass es dieses Jahr allerdings anders kam als gedacht, das ahnten wir jedoch nicht. Woher auch? Die Zwillinge brachten wir bei seinen Eltern unter. Die Einrichtung war bezaubernd. Kronleuchter hingen von der Decke herab und das winzige Feuer der Teelichter, in den kleinen ovalen Lichtschalen, flackerten in den Gesichtern der Gäste. Fisch gab es natürlich. Das Restaurant war immer gut besucht, so auch an diesem Tage. Doch das störte uns nicht weiter, wir sahen nur uns. Ich hatte keine Scheu, ihm meine düstersten Gedanken zu offenbaren, ganz im Gegenteil. Mein Mann war derjenige, der sie wieder aufhellte. Eifersucht in meinen Adern verspürte ich keine. Er besaß solch eine Geduld, eine Nächstenliebe, all das, was ich nicht hatte und doch so sehr an ihm schätzte.

Doch dieser Abend wurde von anderen, dunklen Gedanken überschattet. Mit Pistolen stürmten sie die Türen herein. Vier, fünf, lass es sechs Männer gewesen sein, die, mit schwarzen Strümpfen über ihren Gesichtern, unser romantisches Dinner zerstörten. Sie drückten die Pistolen an die Schläfe der Gäste und verlangten Geld, Schmuck, ihr Hab und Gut, welches wir alle am Leibe trugen. Ich spürte die panische Angst meines Mannes von der aller ersten Sekunde an. Seine Sorge, mich nicht vor diesen Pistolen beschützen zu können. Er hätte gleich diese Schwächlinge für mich auf den Boden geschmissen, das weiß ich. Aber ein Mensch, mit einer Knarre in der Hand, nein, das schüchterte ihn verständlicherweise ein und das, das machte ihm Angst.

Und dann kam einer dieser Ganoven, total flockig und lässig, so als würde er den ganzen Tag nichts anderes machen, an unseren Tisch. Pocah, wirklich, ich wurde fast ohnmächtig vor Angst. Mein Mann allerdings zeigte ab da an keine Furcht mehr. Niemals werde ich diese Stimme des Erpressers vergessen können, während dieser Drecksack meinem Mann die Pistole zwischen die Augen hielt. Er schrie: „Geld, Schmuck, alles was ihr besitzt! Her damit, ansonsten schieß ich dir eine Kugel ins Hirn!“

Ich war still und mein Mann erfüllte den Wunsch dieser Banditen. Dabei blickte er dem Tod schweigend ins Gesicht, während ich nur machtlos zusah und noch mehr Liebe für diesen Mann empfunden habe, als ich es eh schon tat.«

»Wurde dein Mann erschossen?«

»Nein, er wurde nicht erschossen. Sie sind geflohen, mit all dem Geld und Schmuck, welches die Gäste bei sich trugen. Sie sind geflohen, ohne Konsequenzen, ohne jeglichen Schaden genommen zu haben.«

»Wie ungerecht die Welt doch sein kann, hicks.«

Schlagartig wird das intime Gespräch durch einen dumpfen Knall unterbrochen, woraufhin Veronika geschwind aufschreckt. Selbst Verbena erwacht aus ihrem Schlaf und dreht sich hurtig zum Bullauge, durch das unzählige Meerjungfrauen in der Tiefe des Sees zu sichten sind. Sofort erkennt Veronika die angefressenen Flossen der Wassernixen, während ihre schrumplige Haut von zahlreichen Machtkämpfen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Mit einem boshaften Ausdruck und einem schrillen Geschrei hämmern die Damen des Sees wutentbrannt auf die Scheibe ein.

»Das, hicks, das ist gar nicht gut.«

»Ahhh…«, kreischen Pocah und Veronika auf einmal atemlos, während sich das gesamte Schiff auf die Seite neigt, da die Meerjungfrauen gemeinsam versuchen dieses zu kentern.

 

»Wir müssen schnell an die Oberfläche und nehmt brennende Fackeln mit«, organisiert Pocah mit einem Plan im Hinterkopf das Geschehen.

Sie erscheinen kurz darauf gemeinsam auf dem Schiffsdeck und halten sich aufgrund eines gewaltigen Sturms gegenseitig fest. Regen peitscht ihnen dabei ins Gesicht.

»Zu den Kanonen!«, pfeift Pocah ihre zwei Anhängseln zum Rand des Decks.

Dort zusammen angekommen, beugt sich Pocah über die Reling und erkennt mehrere Flossen auf- und abtauchen.

»Leute, die bombardieren wir ab! Jede einzelne, hicks!«

»Das ist Wahnsinn, wie viele Meerjungfrauen sind das denn noch?«, fragt sich Veronika patschnass und schützt dabei ermüdend die Flamme der Fackel.

»Sieben, um genau zu sein und sie fangen alle mit einem ›A‹ an. Denen mach ich den Garaus, hicks.«

»Bereitet ihnen ein Ende, ehe sie uns über Bord gehen lassen!«, feuert Fee Verbena in diesem turbulenten Unterfangen ihre zwei Gefährtinnen an.

Die Kanone wird von Pocah auf das Wasser zu den Nixen gerichtet und die Zündschnur wird von Veronikas flammender Fackel gezündet. Ein ohrenbetäubender Knall ertönt.

»Getroffen! Los, wir zünden gleich die nächste Schnur an!«, feiert sich Pocah jubelnd, nachdem lauter Einzelteile einer Flosse umhergewirbelt werden.

Aus heiterem Himmel braut sich ein schwerer Eissturm über dem Piratenschiff zusammen, dessen stechenden Temperaturen den Märchensee völlig zufrieren lassen. Und ab dieser Sekunde weht kein Lüftchen mehr. Eine rothaarige Meerjungfrau klopft zugleich aggressiv gegen die zugefrorene Wasseroberfläche. Außer sich vor Wut zeigt sie den Stinkefinger und schwimmt aufgebraust mit ihren restlichen Geschwistern wieder zurück in die Tiefe des Sees.

»Was ist passiert?«, fragt sich Veronika überrascht auf dem Boden des vereisten Schiffsdecks liegend.

»Sei still, hicks. Das scheint nichts Gutes zu sein«, übermittelt Pocah übereifrig und zieht sich und Veronika ein großes leeres Fass über den Kopf. Fee Verbena erhellt dabei das Versteck im Innern. Völlig unruhig gestimmt halten die Frauen inne. Sie bekommen zu hören, wie sich Menschen auf dem vereisten Schiff umhertreiben. Das Herz schlägt schneller und die Nervosität steigt. Gänsehaut verbreitet sich, während die Kälte bereits auch in das Fass hineingezogen ist.

Voller Zuversicht geht Veronika davon aus, die fremden Personen auf dem Schiff würden gleich wieder verschwinden. Deshalb reißt sie sich zusammen und gibt keinen Laut von sich.

»Schau da nach, Schwester. Hier waren Menschen. Ich will sie haben! Schau dich überall um, Anna. Irgendwo müssen sie sein«, erklingt eine unfreundliche Frauenstimme.

»Anna?«, fragt sich Veronika insgeheim, woraufhin sie den Mund von Pocah zugehalten bekommt, damit weitere Stille herrscht.

Doch selbst Pocah gelingt dies nicht, da ihr ein lauter Hicks entweicht. Entgeistert blicken sich die zwei Damen, vor Aufregung zitternd und mit fassungslosen Augen an. Urplötzlich bohrt sich die Spitze eines Eispickels, knapp über ihren Köpfen, durch den Boden des Fasses.

Mit einem hysterischen Laut, wirft Pocah reflexartig das Fass von sich und blickt anschließend in die bedrohlichen Augen einer jungen, brünetten Frau. Diese macht den Anschein, als wollte sie gerade mit dem Eispickel zu einem zweiten Schlag ausholen.

»Elsa, Schwesterherz! Ich habe sie gefunden!«, entfleucht es gehässig aus ihrem Mund.

Pocah und Veronika werden blitzschnell in einen, aus Eis bestehenden, Käfig gezaubert.

»Sehr gut gemacht, Anna«, applaudiert Elsa hoch erfreut, die mit ihren wasserstoffblonden Haaren und mit ihrer königlichen Anmut nur so vor Autorität strotzt.

»Was habt ihr mit uns vor?«, zittert Pocah nervös, während Veronika nur ratlos ihre Fee anschaut, die wiederum auf ihren fehlenden Zauberstab hinweist.

»Oh, wie befreiend dieses Gefühl doch ist, nicht wahr Anna? Los zieh sie mit dem Seil hinter dir her. Es ist von hier aus nicht mehr weit bis zum Königswasserfall. Dort werde ich mir dann etwas ganz besonders Grauenhaftes für meine Gefangenen überlegen«, befiehlt Elsa ihrer Schwester charmant böse, ohne überhaupt auf die Frage von Pocah einzugehen.

Von der Schiffsplanke aus, steigen die Anwesenden in dieser kühlen Atmosphäre hinab, wobei die einen freiwillig des Weges gehen und die anderen eher notgedrungen, in einem Käfig gefangen, den Schwestern folgen müssen.

Warm eingemummelt zieht Anna den Eiskäfig an einem straffen Seil hinter sich her, womit sie Kratzer auf der Eisschicht hinterlässt. Treu läuft sie ihrer Schwester auf dem zugefrorenen Märchensee hinterher. Veronika und Pocah suchen gleichzeitig nach einer Lösung, sich irgendwie aus dieser Situation zu befreien. Doch mehr, als die Schuld bei sich, kann Veronika nicht finden.

»Wieso habe ich nur den Zauberstab aus der Hand verloren? Der hätte jetzt ziemlich nützlich sein können.«

»Ein warmes Bett, hicks. Oh, was gäbe ich nur für ein warmes Bett. Wo ist dieser Waschbär, wenn man sein Fell mal braucht?«, erinnert sich Pocah an vergangene Zeiten.

»Wir müssen leider ausharren und warten wohin sie uns bringen. Ohne meinen Zauberstab bin ich machtlos«, stuft Fee Verbena diese Misere mit bekümmerter Mine als aussichtlos ein.

Elsas Lachen erklingt kurz darauf maliziös gen Nachthimmel.

»Habe ich das Lachen nicht gut geübt, Anna? Ich habe es mittlerweile perfektioniert, findest du nicht auch? Wenn wir mit diesen Märchenfiguren fertig sind, dann müssen die Bösen mich endlich in ihren Club aufnehmen. Wie viele soll ich denn noch strangulieren und massakrieren bis ich endlich Gehör bekomme? Ich habe doch schon dieses ziemlich blasse Flittchen an ihrer ›All Hallows´ Eve‹ Party im Wasserbecken voll Äpfel ertränkt. Und der schlafenden Trulla in der Ausnüchterungszelle hatte ich mit einer zerbrochenen Glasflasche die Kehle aufgeschlitzt. Nicht zu vergessen, oh, wie hieß die kleine Nebenbuhlerin gleich nochmal? Ich meine die mit den Stiefschwestern und dieser Stiefmutter.«

»Diese Dienstmagd? Ella?«

»Ach ja, genau die. Ich hatte sie mit ihrer fürchterlich kitschigen Kutsche vom Straßenrand weggedrängt, wodurch sie den Berghang hinuntergekracht ist. Die ganzen alten Klassiker, ich habe sie ausgelöscht. Bin ich deshalb nicht böse genug für die Aufnahme des Clubs?«

»Hat die zu viel Langeweile oder ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom?«, fragt sich Veronika leise, nachdem sie das Gespräch zwischen den zwei Schwestern belauscht hat.

»Oh, seht, der Königswasserfall«, stoppt Pocah Veronikas Gedankenfluss und zeigt enthusiastisch dabei nach vorne.

»Darüber liegt das Funkelschloss und dessen Schlosshof. Wie es dort wohl aussehen mag? Die Zeitenwende wird doch dort auch seine Spuren hinterlassen haben«, spricht Pocah ihre Bedenken aus.

Darauffolgend werden die Gefangenen durch eine Lücke im gefrorenen Wasserfall in eine Grotte voller Boote gezogen. Diese sind mit Moos übersät und das Tauwasser tropft von der Decke hinab. Brennende Fackeln erleuchten die Höhle, die mit Zeichnungen an den Wänden verziert sind.

Händereibend schenkt Anna den Gefangenen nun ihre Aufmerksamkeit.

»Ich darf immer entscheiden, wen Elsa sich als Erstes vorknöpfen soll, wisst ihr? Und ich weiß auch schon, wen ich nehme. Du nicht, kleine Fee. Dich zerdrückt man ja in der Hand. Die große Indianerin, Elsa. Nimm die, die wird Spaß machen. Wir binden sie mit einem Seil fest und verpassen ihr mit dem Eispickel fürchterliche Schmerzen.«

»Wenn ihr versucht abzuhauen, sobald ich die Käfigtür öffne, verwandel ich euer, noch schön schlagendes, Herz in Eis«, droht Elsa hundsgemein, nimmt eine brennende Fackel von der Wand und hält diese auf das vereiste Schloss.

»Wir werden uns hüten«, entgegnet Veronika spöttisch und schaut zur entsetzten Pocah.

»Es war eine kurzweilige, aber doch intensive Freundschaft, hicks. Wir haben noch nicht einmal Brüderschaft getrunken und deinen Namen weiß ich auch noch nicht.«

»Meine Liebe, ich heiße Veronika«, antwortet sie grinsend, woraufhin sie machtlos mit ansieht, wie die große Indianerin aus dem Eiskäfig herausgezerrt wird.

Elsa vereist sofort das Vorhängeschloss wieder.

»Haltet euch die Ohren zu. Ihre Schreie werden laut sein. Laut und schmerzerfüllt. Also sagt bye, bye«, winkt Elsa höhnisch und stößt Pocah in einen anderen dunklen Abschnitt der Grotte.

Anna folgt unterwürfig ihrer Schwester. Nicht imstande Pocah zu helfen, geschweige denn sich aus diesem Käfig zu befreien, verstummen Veronika und Verbena ratlos. Dabei bemerkt Veronika etwas Grünliches im Augenwinkel.

»Hallo Veronika und irgend ´ne gute Fee.«

»Das gibt’s ja nicht. Froggy, du lebst. Ich dachte schon, du wärst mit dem Waldzauber untergegangen«, spricht Veronika hocherfreut zu Froggy, die mit dem Zauberstab im Maul angehüpft kommt.

»Mein Zauberstab, wie verheißungsvoll«, fiebert Fee Verbena dem Fund entgegen und nimmt Froggy diesen Ballast freudig ab.

»Deinen Zauberstab hab ich am Rand des Märchensees gefunden, nachdem der Waldzauber verschwunden ist und sich die Sumpflandschaft ausgebreitet hat. Und als dann alles zugefroren war, bin ich geschwind über das Eis gehüpft und den Kratzspuren gefolgt.«

»Oh, wie vortrefflich. Nun denn, lass ich den Schwestern zuteilwerden, was ihnen gebührt. Meine Beharrlichkeit ist erschöpft.«

8
Verunglückt

»Mein Betrübnis ist vergangen. Nun bestimme ich die Regeln«, spricht Verbena weiterhin und schwingt voller Tatkraft ihren Zauberstab.

Ein farbenfroher Nebel umgibt die kleine Fee, welcher die Grotte kurzzeitig erstrahlen lässt. Erstaunt hält Veronika, noch immer gefangen im Eiskäfig, ihren Atem an und blickt zu dem größer werdenden Zaubernebel. Aus der kleinen Fee entsteht somit ein gigantisches Vulkanmonster, welches die Temperaturen, aufgrund seines Flammeninfernos, in die Höhe steigen lässt. Mit brennender, geballter Faust grölt es unüberhörbar um sich, während das Rauschen des Wasserfalls ebenfalls lautstark im Hintergrund erklingt.

»Nie wieder widerspreche ich dieser kleinen Fee«, feiert Veronika wagemutig diese Wendung, nachdem ihr Gefängnis geschmolzen ist.

»Wer wagt es, solch einen Aufstand zu machen?«, ruft Elsa erschüttert, bevor sie näher an das Geschehen herantritt und sprachlos in die flammenden Augen des Fabelwesens blickt.

»Game Over«, flüstert Froggy siegessicher und bekommt zu sehen, wie Elsa plötzlich versucht, das Vulkanmonster mit einem Eisstrahl zu schädigen.

Ihr Lachen ertönt dabei wieder mal maliziös. Doch das gehässige Lachen vergeht ihr schnell, da ihr Gegner sie mit seiner Faust gnadenlos in den Boden rammt.

Völlig verblüfft sehen Veronika und Froggy ihrer verwandelten Fee zu, wie sie nur noch eine zerquetschte Eiskönigin hinterlässt. Schließlich verwandelt sich Verbena nach diesem einfachen Sieg wieder zurück in die kleine schnuckelige Fee.

»Nein, meine Schwester! Oh Elsa! Sie wollte doch nur in den Live-Club aufgenommen werden. Dafür werdet ihr bezahlen! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue«, schallt es geschockt und zutiefst entsetzt, nach dem ganzen Tohuwabohu, aus vermeintlich sicherer Entfernung, aus Annas Mund.

»Mir scheint, nicht einmal das wird Euch gelingen«, prophezeit Verbena überzeugt und verzaubert Anna in eine Pfütze.

»Das war prima, irgend ´ne gute Fee. So prima. Da bekommt man ja Angst vor dir«, zelebriert Froggy.

»Schauen wir schnell, wo Pocahhicks ist«, lässt Veronika keine Zeit verstreichen und eilt zusammen mit Froggy und Verbena zum anderen Abschnitt der Grotte.

Auf dem Weg dahin stellt die Fee ihrem Schützling die Frage, wie weit denn der Blutmond im Handspiegel bereits aufgegangen sei. Doch Veronika interessiert diese Angelegenheit keines Falls.

Im anderen Abschnitt der feuchten Grotte angekommen bringt Verbena Licht ins Dunkle, woraufhin sie Pocah zu Gesicht bekommen. Sie sitzt in der Ecke, gefesselt an einem klapprigen Holzstuhl und freut sich sichtlich über die nahende Rettung.

»Hat man Euch Leid zugefügt?«, erkundigt sich Verbena, nachdem Veronika Pocah den Knebel aus dem Mund zieht und sie von den Fesseln befreit.

»Ein grelles Licht, hicks, hat ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weshalb die zwei Schwestern abgezischt sind, bevor sie etwas mit mir anrichten konnten. Mensch, hab ich einen Durscht«, lächelt Pocah verschmitzt ihren Rettern entgegen und wird über das Ableben der Schwestern aufgeklärt.

 

»Heiliger Rum. Ohne die Fee säßen wir jetzt ganz schön auf dem Trockenen. Oh, und was ist denn das für ein Kurzer?«

»Ich bin Froggy, schön dich kennenzulernen.«

»Freut mich, hicks, deine Bekanntschaft zu machen. Denkst hier gibt’s einen Weg nach oben zum Schlosshof. Ich bräuchte dringend ´ne Taverne.«

Sofort freunden sich Pocah und Froggy an und suchen anschließend gemeinsam einen Weg dorthin. Verbena kommt währenddessen auf das Thema mit Veronikas Handspiegel zurück. Deshalb holt Veronika entnervt, auf Wunsch ihrer guten Fee, diesen aus ihrer Hosentasche heraus und sichtet einen, zur Hälfte aufgestiegenen, Blutmond darin. Zu Beeindrucken ist sie damit nicht. Es scheint Veronika immer noch relativ egal zu sein. Verbena allerdings sieht das anders.

»Ich dachte, ein paar Sternbilder, die das Kennenlernen Eures verstorbenen Mannes aufzeigen, würden Gefühle entfesseln, die Euch zum Weinen ermutigen. Doch auch der Alkohol konnte Euch keine Träne entlocken. Nun muss ich stärkere Geschütze auffahren. Lasst uns zu einem Punkt Eures Lebens reisen und ihn noch einmal durchleben. Die Zeit wird knapp. Eure Infektion breitet sich aus. Und Tränen müssen fließen, ganz schnell!«

Musik sucht sich ihren Weg aus einer kleinen, mit Blumenaufklebern bedeckten, Stereoanlage. Diese wird von der Sonne ausgiebig angestrahlt und lässt ein warmherziges Gefühl aufkommen. Auf den Fensterbänken dieser idyllisch, weiß dekorierten Küche sprießen und gedeihen die verschiedensten Blumenarten, während der Innenhof von den wundersamsten Skulpturen verschönert wird. Zusätzlich erklingt im Hintergrund das Umblättern einer Zeitschrift.

Eine blondharrige Veronika strahlt, gemütlich sitzend auf einem Sessel in ihrer Küche, solch eine Gelassenheit heraus, während eine Klatschzeitschrift auf ihrem Schoß liegt. Durch die geöffnete Innenhoftür weht ein warmer Sommerwind.

Gedankenlos muss sie wegen eines Artikels schmunzeln, bis ihre Einsamkeit durch das Klingeln an der Haustür unterbrochen wird. Verwundert blickt Veronika auf ihre Armbanduhr, die sie an ihrem zarten Handgelenk trägt und lässt anschließend die Zeitschrift auf dem Sessel liegen.

Ziel gesteuert verlässt sie ihre heimische Küche, um den ellenlangen, hell durchfluteten Flur entlangzulaufen. Dabei kommt sie an vielen Familienfotos vorbei, auf denen Veronika, ihr Mann und ihre Zwillinge zu sehen sind. Porträts, Gruppenbilder, sowie Schnappschüsse zeigen das Leben dieser kleinen Familie. Auch Hochzeitsaufnahmen erinnern an Veronikas glücklichsten Tag ihres Lebens.

Gerade an der Haustür angekommen, wird die Türklingel wieder betätigt, woraufhin Veronika erst einmal neugierig durch den Türspion linst. Im Anschluss öffnet sie mit erwartungsvoll erhobener Augenbraue die Eingangstür und findet zwei Beamte vor. Die Ausweise vor die Nase gehalten, fragen die zwei Fremden mit einem betrübten Gesichtsausdruck, ob sie einen kurzen Augenblick hineinkommen dürften. Kopfschüttelnd verneint Veronika diese Frage.

»Nun sagen Sie schon, wem ist was passiert? Muss ich meine Tasche holen?«

»Nein, Frau Stein. Keine Tasche. Aber wir möchten Sie doch bitten, uns kurz hereinzulassen.«

»Meine Herren, um wen geht es denn?«

»Um Ihren Mann, Frau Stein.«

Völlig verkrampft befürchtet Veronika im ersten Moment das Allerschlimmste, doch sie versucht verzweifelt jeglichen furchtbaren Gedanken abzuwehren.

»Ist er im Krankenhaus? Ich hole schnell meine Tasche, dauert nur eine Sekunde.«

»Nein, Frau Stein. Sie brauchen keine Tasche. Es tut uns aufrichtig leid, ihr Mann ist heute früh mit dem Auto tödlich verunglückt. Noch ist nicht klar, wie er von der Fahrbahn abgekommen ist. Er starb noch am Unfallort.«

Ihr Herz pocht, der Puls rast und ihr wird ganz schwarz vor Augen. Hat sie denn in diesem Moment wirklich ihren Mann verloren? Sehnlichst wünscht sie sich den ersten April herbei und die Zuversicht, das wäre jetzt ein Scherz. Doch dieser Wunsch bleibt unerfüllt.

»Brauchen Sie Hilfe? Können wir jemanden für Sie anrufen? …«

Doch das Gerede interessiert Veronika nicht und sie schenkt den Herren ein zauberhaft aufgesetztes Lächeln.

»Sie entschuldigen mich«, verabschiedet sie die Beamten neben sich stehend, völlig aphatisch und schließt leise die Tür. Ihre Gedanken sind verworren. Angespannt kehrt Veronika der geschlossenen Haustür den Rücken zu und blickt verloren den ellenlangen Flur hinunter.

»Fabian? Median?«, kommt es schluchzend aus ihr heraus. Zitternd am ganzen Körper läuft sie den Flur entlang, bis sie auf halber Strecke stehen bleibt und ihre Blicke zu den Familienfotos schweifen.

Ein herzergreifender, lauter Schrei ertönt, der die vorhergehende bleierne Stille förmlich zerreißt.

Aufgrund des entsetzlichen Verlustes wird sie unbarmherzig auf die Knie gezwungen. Sie bricht vor lauter Kummer auf dem Boden zusammen und vergießt unzählige Tränen der Trauer. Nach und nach versucht sie an etwas festzuhalten, was ihr gerade genommen wurde, bis sie die beruhigende Wärme ihrer Zwillinge nahe an ihrem Körper spürt.

»Meine Lieben, ich bleib, ich bleibe stark für euch«, wispert Veronika stockend in die kleinen Ohren ihrer Söhne, um daraufhin mit ihnen zu verstummen.

»Kommt mal her Leute. Wir haben einen Weg nach oben gefunden«, scheuchen Pocah und Froggy, wieder in der Gegenwart angekommen, Veronika und Verbena zu sich.

»Keine Träne ist Euch entwischen?«, stellt die gute Fee ohne Süße fest.

»Ich verliere meinen Mann jeden Tag, wenn ich ohne ihn aufstehe, weil ich jeden Abend davor, mir vorstelle, er wäre bei mir. Verbena, meine Liebe, lass solch Versuche einfach, sie bringen nichts«, entmutigt Veronika ihre Fee und eilt zu Pocah und Froggy.

Von ihrer Entdeckung selbst begeistert, zeigt Pocah eine instabile Leiter, die nach oben zu einem Kanaldeckel führt.

»Hier sollte man zum Schlosshof gelangen, hicks«, fiebert Pocah einigen Gaststätten entgegen.

Und während Froggy bereits versucht hochzuhüpfen, verwickelt Veronika Pocah kurz in ein Gespräch.

»Meine Liebe, was hatte es mit diesem Live-Club auf sich, bei dem diese Elsa beitreten wollte und alle dafür umbrachte?«

»Der Live-Club? Das ist der Club der Bösewichte.«

»Dein Ernst? Der Club der Bösewichte?«

»Während die Prinzessinnen in diesem Traumreich ihr Happy End gefunden und somit nur noch Augen für ihren Prinzen hatten, bemerkten die Bösewichte bereits früher, hicks, dass sich diese Welt dem Ende näherte. Sie gründeten den Live-Club in einem Schutzbunker an einem unbekannten Ort, sorgten für reichlich Essen und genießen wohl heute noch unbeschwert die letzten Tage in dieser Welt. Während unsereins sich gegenseitig an die Gurgel geht und ums Überleben kämpfen.«

»Schlau, diese Bösewichte.«

»Ach, die Plätze in diesem Bunker sind natürlich begrenzt, hicks. Ein Platz ist allerdings, laut Aussage dieser Eiskönigin, noch frei, da ja einer der Bösewichte viel lieber in einem Turm tot von der Decke baumelt. Allerdings muss man halt, hicks, auch von Grund auf böse sein, um aufgenommen zu werden. Elsa versuchte es mit allen Mitteln, wie man sah.«

»Verrückte Welt«, antwortet Veronika, nachdem ihre Neugierde gestillt ist und sie mit Pocah vorsichtig die Leiter hinaufsteigt. Licht schenkt ihnen dabei Verbena.

»Die Luke geht aber verdammt schwer auf, hicks«, erwidert Pocah und versucht mit all ihrer Kraft den Kanaldeckel anzuheben.

»Versuche, meine Liebe, erst einmal das Rad aufzudrehen«, vermittelt Veronika ihr neckisch den Hinweis.

Und somit dreht Pocah am Rad, um daraufhin ohne weiteren Kraftaufwand die Luke zu öffnen. Vorsichtig blinzelt die Indianerin aus dieser heraus, wo sie dann ein Blatt Papier ins Gesicht geweht bekommt, auf dessen Vorder- und Rückseite in Großbuchstaben ›Prinzessin Jasmine vermisst‹ zu erlesen ist.

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