Lehren kompakt II (E-Book)

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Emotionale Leistung

Bei Jugendlichen ist der Einfluss des Frontallappens im Gehirn, der für die Hemmung und Steuerung von Gefühlen zuständig ist, vorübergehend eingeschränkt. (21) Deshalb reagieren Jugendliche oft impulsiv, ohne die Konsequenzen ihres Handelns richtig zu durchdenken. Auch nimmt bei pubertierenden Jugendlichen die Fähigkeit ab, Emotionen bei andern zu erkennen. Die Entwicklung des Frontallappens ist erst nach dem 20. Lebensjahr abgeschlossen, und erst voll entwickelte Gehirne erkennen Stimmungen und Gefühle aus Mimik und Gestik. Das bedeutet, dass Jugendliche egozentrisch und gefühllos handeln können, weil sie schlicht keine Empathie aufbringen können. Die Fähigkeit zur Empathie kommt im Verlaufe der Zeit wieder, sobald die Gehirnentwicklung einen gewissen Reifezustand erreicht hat. Dies heisst aber auch, dass Empathie und Einfühlung trainiert werden müssen, damit sich die entsprechenden Gehirnstrukturen entwickeln. Auch haben Jugendliche noch wenig Erfahrungen mit Identitäten und wissen wenig vom Werdegang grosser Persönlichkeiten. Sie fangen erst an, sich dafür zu interessieren, wie aus einem Menschen im Verlaufe seiner Biografie ein einmaliges Individuum entsteht. Das Verständnis für Schwächen anderer ist wenig ausgebildet, und Jugendliche sind fest davon überzeugt, es einmal besser zu machen als diese unvollkommenen Vorbilder, die wir Erwachsenen für sie sind.

Lernen als Herausforderung und Spiel

Positives Klima

Das Gehirn speichert die Gefühle beim Lernen mit dem Lerninhalt gemeinsam ab. Wird in schäbigen Klassenzimmern, in einer konfliktträchtigen Umgebung gelernt, sind die Lehrpersonen lustlos und abwertend, kann der Lernstoff kaum dauerhaft im Gedächtnis verankert werden. Was unter Angst gelernt wird, bleibt oft lebenslang mit Angstgefühlen verbunden. Spass am Lernen fördert also eher die Motivation, weiterzulernen, was wiederum zu Erfolgserlebnissen führt und Spass macht. Eine positive Lernspirale kommt in Gang. Die Lernforscher konnten überdies beweisen, dass Lernen am besten gelingt, wenn Druck und Stress wegfallen. Jugendliche müssen also (wie alle, die etwas lernen sollen oder wollen), positiv angesprochen werden, damit ein Lerneffekt erreicht wird. Erfolgserlebnisse spielen dabei eine wichtige Rolle, da sie das Belohnungszentrum im Gehirn aktivieren und wie Lerndoping wirken.

Aktiv lernen

Lernprozesse sind umso nachhaltiger, je mehr die Lerninhalte mit konkreten Tätigkeiten verbunden werden. Indem Lernende selbst aktiv werden, durch aktives Denken und Formulieren, werden im Gehirn neue Nervenschaltungen gebildet. Selbsttun ist also notwendige Voraussetzung für das Lernen. Aktiv lernen heisst auch: aktiv mitdenken, kritisch hinterfragen, mit Interesse bei der Sache sein. Wenn Sie diesen Text mit Interesse lesen, gleichzeitig innerlich Beispiele suchen für die gelesenen Sachverhalte und Behauptungen und mit der Autorin in einen inneren Diskurs treten, verändert sich Ihr Gehirn physisch. Das, was in diesem Augenblick in Ihrem Gehirn angelegt wird, wird reaktiviert und erweitert, sobald Sie sich in Zukunft wieder an das Gelesene erinnern.

Spielend lernen

Daraus ergibt sich eine interessante Schlussfolgerung: Lernen als lustvolle Aktivität ist Spiel, Spielen ist Lernen. Kinder machen es uns vor, wie das geht, lustvoll und entspannt handelnd zu lernen – und wir Erwachsenen bezeichnen das als «nur spielen». Könnten wir Lernende dazu bewegen, wieder einmal zu spielen, dann wäre lebenslanges Lernen keine Drohung mit Büffeln und Pauken mehr, sondern eine Einladung zur lustvollen Weiterentwicklung.

Denn Lernen ist die natürliche Lieblingsbeschäftigung unseres Gehirns. Um lustvoll und spielerisch zu lernen, müssen wir Interesse entwickeln, eine Beziehung zum Lernstoff aufbauen. Diese Beziehung, dieses Interesse führt uns dann vom Aufnehmen zum Lernen, indem wir das Gehörte oder Gelesene mit anderen Erkenntnissen in Zusammenhang setzen und damit eine innere Vorstellung vom Stoff aufbauen. Und erst wenn wir in unserer Begeisterung für den Lernstoff unsere Erkenntnisse mit jemand anderem geteilt haben, unsere Zusammenfassung also weitergegeben haben, ist aus dem «Mal-gelesen- oder Mal-gehört-Haben» etwas Gelerntes geworden.

Die Ergebnisse der modernen Lernforschung belegen diese Aussagen klar. Die Gestaltung einer stressfreien Lernumgebung, die Bereitstellung lernförderlicher Rahmenbedingungen, die Aktivierung der Lernenden sind wesentlich bedeutsamer und lernwirksamer als perfekte Präsentationstechniken der Lehrpersonen. Die folgenden sieben Merkmale ermöglichen ein aufbauendes Entwicklungsklima:

•Anerkennend

•Ressourcenorientiert

•Beziehungsorientiert

•Ohne Druck

•Wertebasiert

•Involvierend

•Selbstständigkeit fördernd (20b)

Mit der Schule kooperieren

Eine spezifische Schwierigkeit beim Lernen von Jugendlichen besteht darin, dass sich die Erwartungen der Schule üblicherweise weit von den Eigenheiten des jugendlichen Lernens wegbewegen. Diese Diskrepanz ist der Anlass, um in Kapitel 3 grundsätzlich über Unterrichtsgestaltung nachzudenken und im zweiten Teil dieses Buches die Lernformen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Übertriebene Erwartungen der Schule

Die Erwartungen, die an einen idealen Lernenden gestellt werden, hat Rolf Göppel (18, S. 179 f.) sehr anschaulich und vollständig ausgeführt. Ich lehne mich eng an seine Darstellung an.

Eine Ausbildungsinstitution erwartet von einem idealen Lernenden:

1.Wohlwollen und grundsätzliches Interesse gegenüber Bildung im Allgemeinen und der Schule im Speziellen

2.Respekt und Anstand, Freundlichkeit und konstruktive Zusammenarbeit gegenüber Lehrpersonen

3.Fragloses Akzeptieren der Rolle als Lernender und Lernbedürftiger

4.Aufmerksame und konzentrierte Mitarbeit im Unterricht

5.Bereitschaft, sich auf alle Unterrichtsinhalte einzulassen

6.Argumentative Fähigkeiten und kritisches Bewusstsein gegenüber dem Stoff

7.Hilfsbereitschaft innerhalb der Klasse

8.Effektive Lern- und Arbeitstechniken

9.Fähigkeit zum Auftreten und Präsentieren vor der Klasse

10.Engagement auch ausserhalb der Unterrichtszeit bei Hausaufgaben

11.Beharrungsvermögen und Zielstrebigkeit, um auch langfristige Lernziele zu erreichen

12.Akzeptieren der Zielsetzungen und Prioritäten, die die Lehrperson im Rahmen des Lehrplans setzt

13.Bereitschaft, es hinzunehmen, dass alle Lernleistungen beständig kontrolliert, verglichen, bewertet und benotet werden

14.Bereitschaft zur ständigen Verbesserung der Lernleistung

15.Realistische Selbsteinschätzung

Um diesen idealen Erwartungen zu entsprechen, müssten die Jugendlichen ihre Entwicklungsaufgaben bereits gelöst und die Sozial- und Selbstkompetenzen vollumfänglich zur Verfügung haben. Das kann aber niemals von 16-Jährigen erwartet werden. Nach der obligatorischen Schulpflicht ist es höchstens möglich, die Jugendlichen nach und nach mit diesen Erwartungen zu konfrontieren und sie bei der Erfüllung zu unterstützen. Die Aufgabe von Lehrpersonen ist es, dabei wirklich schrittweise zu verfahren und wohlwollend mit Rückschlägen und Misserfolgen umzugehen.

Disziplinprobleme als Folge

Disziplinprobleme entstehen vor allem aus der Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Schule an die Jugendlichen und deren tatsächlichen Fähigkeiten. Die Ursachen für Arbeits- und Motivationsstörungen, die sich dann in Disziplinlosigkeit und Störung des Unterrichts auswirken, sind im Wesentlichen

•Mangelndes Selbstvertrauen

•Mangelnde Sozialkompetenz

•Unrealistische Ziele und Vorstellungen

•Ungünstige Arbeitsstile und Lerndefizite

•Hohe Ablenkbarkeit

•Unrealistische Selbsteinschätzung

Gegen diese Ursachen kommen Lehrpersonen bloss an, wenn sie

•ehrlich und kontinuierlich Wertschätzung zeigen,

•Erfolgserlebnisse ermöglichen,

•Hilfestellungen bieten bei der Lern- und Arbeitstechnik (Zielsetzungen, Lernplanung, Zeitplanung, Prioritätensetzung, Lernorganisation, Lernen auf Prüfungen),

•Sozialkompetenzen einüben lassen (Kommunikation, Konfliktfähigkeit, Kooperation),

•regelmässig Rückmeldung und Bestätigung geben,

•da anknüpfen, wo Jugendliche interessiert sind (Social Media, Games, Peer-group, Fragen der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit, Bezug zur eigenen Lebensrealität).

Aufgrund ihres Entwicklungsstandes sind Jugendliche nicht in der Lage, objektiv und sachlich am Unterricht teilzunehmen und ihre persönlichen Probleme aussen vor zu lassen. Sie sind beschäftigt mit ihrer Sexualität und dem Einfluss der Gleichaltrigen. Sie haben oft zu wenig geschlafen und sind schlecht ernährt, sind durch Medien und Werbung abgelenkt und können selbst nicht erkennen, dass sie noch nicht erwachsen sind.

Jugendliche Lernende weichen dem Lernen in der schulischen Umgebung gerne aus. Sie versuchen, die Erwachsenen zu ignorieren oder auszutricksen. Es sei denn, sie treffen ein erwachsenes Gegenüber, das wohlwollend, fachkundig, authentisch und engagiert das Gleichgewicht wahren kann zwischen Fach, Klassenklima und den beteiligten Persönlichkeiten. Weder Gleichgültigkeit (die sich in fehlendem Feedback und unpersönlicher Interaktion äussert) noch emotionslose Fachlichkeit noch überhebliche Anspruchshaltung können die Jugendlichen aktivieren.

Deshalb müssen ihnen die Lehrpersonen hier entgegenkommen und immer wieder Einfluss nehmen, indem sie Lerngelegenheiten und Gesprächsmöglichkeiten bieten, auf dem Einhalten von Vereinbarungen bestehen und Fehlern wohlwollend begegnen. Und aus genau diesem Grund ist Erziehung aus dem Unterricht mit Jugendlichen nicht wegzudenken, sondern gehört noch dazu. Erziehung, verstanden als gezielte Einwirkung auf die Jugendlichen, um sie in ihrem Erwachsenwerden zu fördern. Darüber mehr im nächsten Kapitel.

 

Wenn die Lehrperson sowohl die persönliche wie auch die fachliche Entwicklung fördert, dann sind Jugendliche realistischerweise in der Lage,

•Interesse am Lernstoff aufzubringen,

•Regeln zur Zusammenarbeit mitzubestimmen und einzuhalten,

•mit andern kooperativ zusammenzuarbeiten,

•das eigene Lernen zu lernen,

•die eigene Leistung zu reflektieren,

•zunehmend Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen.


Kapitel 3

Pädagogische Leitlinien für den Unterricht

«Wenn du einen Menschen etwas lehren willst, wird er es niemals lernen.»

George Bernhard Shaw

Schulisches Umfeld

Jugendliche brauchen Klarheit, Sicherheit und Vertrauen. Sie schätzen es, wenn sie Freiräume haben und ernst genommen werden. Diese Bedürfnisse sind im Schulareal zu berücksichtigen. So sollte es Räume geben, wo man in Ruhe arbeiten kann, und es sollte klare Regeln geben, wo welche Aktivitäten gewünscht sind.

Das gesamte Team einer Ausbildungsstätte einschließlich Schulleitung und Mitarbeitende von zentralen Diensten sollten sich einig sein darüber, welche Normen und Regeln ganz grundsätzlich gelten. In Bezug auf die räumlichen Gegebenheiten kann dies eine Hausordnung sein, die Auskunft gibt darüber, was wo erlaubt ist und welche Regeln im Umgang mit der Infrastruktur gelten. In Bezug auf die didaktischen und pädagogischen Leitlinien ist ein Leitbild hilfreich, das die Unterrichtsformen, die Zusammenarbeit mit Aussenstehenden sowie die eigenen Qualitätsgrundsätze enthält. Alle Erwachsenen sollten sich klar gegen disziplinloses Verhalten aussprechen.

Die Kommunikationskultur aller Instanzen der Schule untereinander sollte offen, Austausch unter den Lehrpersonen und der Schulleitung und Zusammenarbeit aller mit allen sollten selbstverständlich sein. Lernende sollten die Möglichkeit haben, bei Problemen mit Verbesserungsvorschlägen etwas zum Schulklima beizutragen.

Jugendliche können nicht trennen zwischen privat und beruflich, zwischen persönlich und professionell. Die Übergänge zu Freizeit, zu gesellschaftlichen Einflüssen und Aktivitäten sind fliessend. Es ergibt deshalb viel Sinn, Schulsozialarbeiter und Jugendarbeiter herbeizuziehen und mit den Eltern und anderen Ausbildenden zusammenzuarbeiten. Dafür müssen Lehrpersonen bereit sein, sich auch mit erzieherischen Aspekten auseinanderzusetzen. Das heisst, Lehrpersonen sollten alle Lernenden als individuelle Persönlichkeit mit allen Facetten wahrnehmen. Sie können sich nicht darauf beschränken, einer Klasse von 20 Lernenden dasselbe Wissen zu vermitteln. Sie haben vielmehr die Aufgabe, ganzheitlich unter Einbezug von Lehren und Erziehen individuelle Persönlichkeiten zu fördern. Zu den erforderlichen Kompetenzen einer Lehrperson gehört es, förderorientiert diagnostizieren zu können. Sehr gute Hinweise dazu finden sich im Buch von Buholzer et al. (22)

Leitlinien zur Gestaltung der Institution Schule

•Gepflegte und schöne, stimmungsvolle Schulräumlichkeiten, in denen die Jugendlichen sich wohl fühlen, beugen Zerstörungen und Schmierereien vor. Der Zugang zu allen Räumlichkeiten ist auch behinderten Lernenden und Lehrpersonen möglich.

•Es braucht genügend Räumlichkeiten, die Gruppenarbeiten und individuelles Arbeiten unterstützen. Der Zugang zu Informationen (Mediathek) ist möglichst offen, denn restriktive Öffnungszeiten behindern die Nutzung.

•Alle Erwachsenen halten sich ausnahmslos an Hausordnung, Leitbild und sonstige schulübergreifende Regelungen. Die Lehrpersonen haben die volle Unterstützung der Schulleitung und des Kollegiums, wenn sie Regelungen durchsetzen. Die Einführung von Kleidungsvorschriften ist sehr prüfenswert.

•Lernende sollen die Möglichkeit haben, das, was sie stört oder belastet, jederzeit zu melden, möglicherweise auch anonym. Auftauchende Probleme sollten regelmässig in den Klassen und in den Sitzungen von Schulleitung und Lehrpersonen diskutiert werden.

•Die Zusammenarbeit mit Quartier, Sozialarbeitern, Eltern, Ausbildenden und anderen verwandten Institutionen ist zu fördern.

•Jugendliche brauchen Orte, wo sie ungestört ohne Einfluss von Erwachsenen etwas ausprobieren und entwickeln können. Es braucht auch mehr Mittel für sinnvolle Tätigkeiten. Projekte im Umfeld der Schule sollten also grosszügig toleriert und unterstützt werden.

•Die Schule sollte integrativ statt ausgrenzend wirken. Jugendliche mit Lernstörungen oder sonstigen Behinderungen (z. B. Herzfehler, Hirnfunktionsstörungen, Bewegungsstörungen, Autismus, Asperger Syndrom) sollen sozial integriert werden. Individuelle Zielvereinbarungen und Förderprogramme sind hierzu ebenso wertvoll wie Klassengespräche und das Erreichen gemeinsamer Ziele. Dafür müssen Lehrpersonen die nötigen Ressourcen und Ausbildungen gewährt werden.

•Damit Lehrpersonen den individuellen Besonderheiten der Lernenden gerecht werden können, sollten sie Instrumente zur strukturierten und quantifizierbaren Beobachtung kennen, die sie im Unterricht einsetzen können.

Lernklima und Disziplin

Eine erfahrene Lehrperson hat ihre Einschätzung des Unterrichts mit 16-Jährigen folgendermassen formuliert: «Unterricht mit Jugendlichen ist ganz anders als der Unterricht mit Erwachsenen. Von Erwachsenen kann man etwas erwarten und fordern. Von Jugendlichen weniger, die muss man animieren. Die Lernenden erzählen viel und gern, das dominante Thema ist die Ausbildung selbst. Und natürlich die typischen Jugendthemen: Medien, Musik, das andere Geschlecht, die Erwachsenen. Ich muss sie mit Methoden und Sozialformen stark fordern, damit sie beim Thema bleiben und nicht einfach plaudern. Ausserdem kann ich von Erwachsenen eine bessere Selbsteinschätzung erwarten, während Jugendliche sich eher so beurteilen, wie sie denken, dass ich als Respektsperson das erwarte – oder auch mal das Gegenteil, um ihre Protesthaltung zu unterstreichen.» Damit ist viel Wesentliches gesagt.

Das persönliche Verhalten der Lehrperson ist wichtig, wenn es darum geht, dass sich Jugendliche in der Schule wohlfühlen und mitarbeiten. Jugendliche fordern von Lehrpersonen Klarheit, Konsequenz, Mut und Ehrlichkeit. Zur Disziplin gehören also (auch aus Sicht der Jugendlichen) Regeln, Sanktionen, Kontrolle und Vorbild. Im Unterricht mit Jugendlichen ist es günstig, wenn die Regeln und Sanktionen gemeinsam ausgehandelt werden. In Form von Kontrakten oder Vereinbarungen wird festgelegt, welche Normen gelten und welche Folgen Übertretungen haben sollen. Der Lehrperson kommt dabei häufig eine ausgleichende Rolle zu, Jugendliche neigen zu Extremen. Auch sollte die Lehrperson darauf achten, dass keine Ausgrenzung, je nachdem von Ausländern oder Eingesessenen, Frauen oder Männern, Unattraktiven, Behinderten, stattfindet und die Normen realistisch sind, sodass sie weder über-noch unterfordern.

So sorgt eine gute Lehrperson gleichgewichtig für ein gutes Klima untereinander (Beziehungsprinzip) und für strukturiertes zielorientiertes Vorgehen (Ordnungsprinzip). Mehr zur Gestaltung dieser beiden Prinzipien finden Sie im Buch «Ausgeflaust – Jugendliche führen». (23a)

Ebenda sind verschiedene Stichworte im Zusammenhang mit dem Störungsmanagement (Classroom Management) detaillierter beschrieben. (23b) Störungshemmende Faktoren sind demnach: Führungswirksamkeit, Interventionen um Verhaltensmuster zu verändern sowie der präventive Umgang mit Lernkillern/Lernverhinderern.

Untersuchungen zum Verhalten von Lehrpersonen, die weniger Disziplinproblemen begegnen, haben gezeigt, dass diese Lehrpersonen totale Präsenz zeigen. Sie bewegen sich im ganzen Raum und gehen näher zu störenden Lernenden hin. Auf Störungen reagieren sie, ohne viel zu reden, beiläufig und häufig nonverbal, da diese Lehrpersonen auch bei der Beschäftigung mit der einen Gruppe die anderen Lernenden nicht aus den Augen lassen. Ihr Unterrichtsfluss funktioniert reibungslos und mit Schwung, die Lehrperson unterbricht sich nicht selbst, sondern bleibt beim Thema. Alle Geräte funktionieren, und Übergänge werden geplant und vorbereitet, sodass die Lernenden nicht warten müssen. (24) Vorrang hat immer der Lernprozess der gesamten Gruppe – Störungen werden so weit wie möglich so behandelt, dass sie den Lernfluss nicht stören.

Folgende Schritte bewähren sich grundsätzlich, wenn es darum geht, Disziplin zu fördern:

•Beobachtung des Lernenden durch die Lehrperson.

•Vertrauliches Gespräch mit dem Lernenden, in dem die Beobachtungen thematisiert und Ziele schriftlich vereinbart werden. Ein Gesprächsprotokoll kann in schwerwiegenden Fällen an andere Ausbildende oder Eltern gehen, mit Einverständnis des Lernenden.

•Abschlussgespräch, falls eine positive Veränderung eingetreten ist, oder Konfrontationsgespräch, wenn die Ziele nicht eingehalten wurden. Im Konfrontationsgespräch werden Termine gesetzt und Sanktionen angedroht. Solche Sanktionen sollten unter Kollegen und mit der Schulleitung abgesprochen und diskutiert werden.

•Werden die Ziele wiederum nicht eingehalten, müssen Fachpersonen hinzugezogen werden. Wann immer möglich, keinen Ausschluss vollziehen, Jugendlichen wird dadurch meistens nicht geholfen.

Vom Umgang mit Gewalt

Dass der Stärkere Gewalt anwenden darf und dass Gewalt ein normales Mittel ist, um Probleme zu lösen, wird täglich in Familien und Medien vorgelebt. Kinder lernen heute sehr früh, sich von den durch Gewaltszenen entstehenden Emotionen innerlich zu distanzieren. Sie sind abgebrüht und nehmen diese Handlungen nicht als Realität wahr. Wenn sie dann Zeugen werden von tatsächlicher Gewalt, verleitet sie diese abgebrühte Haltung zur Neugierde oder passivem Zuschauen oder Anfeuern – dass das Opfer dabei Schmerz und Leiden erfährt, wird ausgeblendet. Diese Dynamik wird durch brutale Computerspiele noch unterstützt.

Jugendliche halten Tätlichkeiten untereinander oft für harmlos, verglichen mit den Gräueltaten und Gemeinheiten, die sich Erwachsene täglich antun. Bis jetzt hat die Erwachsenenwelt aus Sicht der Jugendlichen nicht bewiesen, dass sie es besser machen kann. Auch viele Lehrpersonen sind in den Augen der Jugendlichen emotional keine Vorbilder. Die Jugendlichen verdienen von den Erwachsenen entschieden mehr Klarheit, mehr Konsequenz, mehr Mut und mehr Ehrlichkeit.

Jugendliche brauchen klare Regeln und Verhaltenscodes. Das Einhalten dieser Regeln muss überwacht werden. Übertretungen von Regeln müssen sanktioniert werden. Verhaltenscodes werden nur dann respektiert, wenn Erwachsene sie auch durchsetzen wollen und notfalls ein Risiko dabei eingehen. Deshalb sollten sich Erwachsene nicht verstecken. Und Lehrpersonen sollten besser Teamarbeit vorleben, statt untereinander Krieg zu führen. Wenn die Medien über Gewaltdelikte in der Erwachsenenwelt berichten (was sie ja leider gerne und oft sehr detailreich tun), sollten solche Missetaten thematisiert und klar abgelehnt werden. Erwachsene sind unglaubwürdig, wenn sie die eigene Gewaltbereitschaft tabuisieren, die Gewalt bei Jugendlichen dramatisieren und gleichzeitig Gewalt in Filmen und Medien mehr oder weniger versteckt und fasziniert zur Kenntnis nehmen.

Wo Gewalt gezeigt wird (Filme, Zeitungen, Internet), sollte gleichzeitig das Leiden der Opfer thematisiert werden. Jugendliche können sich häufig nicht vorstellen, was Schmerz und Leid für andere bedeuten. Sie müssen die Empathie für Schwächere erst (wieder) lernen.

Viele Unterrichtsmaterialien und Tests im Zusammenhang mit Gewalt finden sich auf der Webseite feel-ok.ch. (25a)

Leitlinien zur Steuerung des Lernklimas

•Der Unterricht sollte die Neugierde fördern, Erfolge ermöglichen und die Lernenden beim Erreichen ihrer Lernziele unterstützen. Alle Massnahmen sind diesem Grundsatz unterzuordnen.

 

•Kontrakte zu Beginn einer Ausbildung, gemeinsam mit den Lernenden erstellt, sind ein Muss. Damit wird eine Grundlage geschaffen, auf der eine Klasse auch länger gut zusammenarbeiten kann. Alle Lehrpersonen einer Klasse müssen die im Kontrakt getroffenen Abmachungen kennen und sich auch selbst daran halten.

•Solange eine Klasse noch keine Vertrautheit untereinander und mit der Lehrperson entwickelt hat, sind Gruppenarbeiten mit viel Umsicht einzusetzen. Es besteht nämlich die Gefahr, dass sich aus der Kindheit mitgebrachte Verhaltensmuster weiter verfestigen statt altersgerechteren Formen von Kooperation Platz zu machen.

•Gruppenarbeiten sollten mit zunehmender Vertrautheit häufiger auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit, die aufgetretenen Konflikte und die Entscheidungsfindungen analysiert und reflektiert werden. Die Art und Weise der Zusammenarbeit und der Konfliktlösung sollte durch die Lehrperson regelmässig zum Thema gemacht werden, damit die Jugendlichen Strategien zur Zusammenarbeit, zur Konfliktlösung und zur Entscheidungsfindung lernen können.

•Diskussionen unter Wahrung des gegenseitigen Respekts und respektvollen Zuhörens gehören mit zum Schulalltag, ebenso, dass Lehrpersonen Stellung beziehen und ihre eigenen Ansichten begründen.

•Die Zusammenarbeit mit Gleichaltrigen braucht viel Raum, damit hier die sozialen Kompetenzen eingeübt werden können, die später im Berufsleben wichtig sind.

•Lernende machen Fehler. Diese (ob fachlicher Art oder im Sozialverhalten oder in der Arbeitstechnik) sollten klar benannt und als Ausgangslage für das weitere Lernen verwendet werden. Dabei dürfen die Wertschätzung und der Respekt sowie der gesunde Menschenverstand nicht aus dem Blickfeld geraten.

•Statt in eine Negativspirale zu geraten und Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sind Lehrpersonen als Vorbilder aufgefordert, in positive Interaktion mit den Lernenden zu treten.

Leitlinien zur Disziplin

•Alle Lehrpersonen sind Vorbilder. Nur disziplinierte und konstruktive Zusammenarbeit im Lehrkörper und Lehrpersonen, die sich an die Hausordnung halten, sind für die Lernenden glaubwürdig. Ehrlichkeit, Klarheit und mutiges Hinstehen für die gemeinsamen Normen und Werte sind unabdingbar.

•Disziplinproblemen wird am besten vorgebeugt durch entsprechendes Lehrverhalten. Allgegenwärtig sein, mehreren Tätigkeiten gleichzeitig Aufmerksamkeit schenken, Reibungslosigkeit und Schwung sowie Aktivierung der ganzen Klasse (statt Einzelner) sind Erfolg versprechende Verhaltensweisen. Auch sollte der Unterricht störungsfrei und zügig vorangehen, Jugendliche vertragen und fordern mehr Abwechslung als Erwachsene und nutzen Wartezeiten gerne für Unfug.

•Je schneller, klarer und gerechter Regelverstösse geahndet werden, umso besser. Aber die Regeln selbst müssen mit den Lernenden gemeinsam ausgehandelt werden, damit sie besser beachtet werden. Fragen Sie im Zweifelsfall die Jugendlichen direkt: «Wie würden Sie es machen, wenn Sie Lehrperson wären?»

•Auffällige Jugendliche, die die Gleichaltrigen nutzen, um Widerstand zu machen, sollten nicht sanktioniert und nach Hause geschickt werden, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das Vertrauensverhältnis zu den Eltern gestört und wird durch Reklamationen seitens der Schule nicht verbessert. Eher angezeigt wäre der Versuch, diese Jugendlichen für das Mitmachen in irgendeinem Projekt zu gewinnen, um ihnen den Zugang zu möglichen Vertrauenspersonen zu öffnen.

•Eltern, Berufsbilderinnen und -bilder und Lehrpersonen müssen am gleichen Strick ziehen. Dies bedeutet, dass alle diese Personenkreise wissen sollten, welche Regeln gelten und was von den Jugendlichen verlangt wird.

•Lehrpersonen sollten auf persönliche Krisensymptome achten und gezielt eingreifen. Denn undiszipliniertes Verhalten ist oft ein Symptom einer persönlichen Krise (vgl. oben, Kapitel 2, Abschnitt «Disziplinprobleme als Folge»).

•Bei delinquentem Verhalten muss sofort Stellung bezogen werden. Die Lehrpersonen sind Vorbilder und Garanten von gesetzeskonformem Verhalten, deshalb ist es unumgänglich, sich einzumischen. Augenzudrücken hilft niemandem, besser ist die Zusammenarbeit mit Justiz und Jugendanwaltschaft.

Zum Umgang mit Gewalt

Beim Thema «Gewalt» wird unterschieden zwischen Prävention und Intervention. Für die Prävention beziehe ich mich auf ein nationales Präventionsprogramm, für die Intervention auf die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich.

Auf www.radix.ch wird auf das nationale Präventionsprogramm «Jugend und Gewalt» 2011 bis 2015 hingewiesen. In diesem Programm wurden wissenschaftliche und praxisorientierte Grundlagen zur nachhaltigen und wirksamen Gewaltprävention gebündelt.

Im Schlussbericht (27a) werden aus den folgenden Bereichen konkrete Hinweise und Empfehlungen für wirksame Programme gegeben:

•Schulmanagement (verbreitetes, störendes Verhalten, ineffektives Schulmanagement, mangelnde Klassendisziplin, ungenügende Schulhauskultur)

•Effektive Klassenführung (ineffektive Klassenführung, fehlende Disziplin im Klassenzimmer, Überforderung der Lehrperson)

•Anti-Mobbing-Programme (negatives Schulklima, Disziplinlosigkeit in der Klasse, Unterstützung der Täterinnen und Täter durch Gleichaltrige, mangelhafte Durchsetzung/Kontrolle von Regeln und Disziplinarmassnahmen in der Schule, mangelnde Hilfe für Mobbingopfer)

•Sozialkompetenztrainings (Aggressionsverhalten, geringe Empathie, schwach ausgeprägte Fähigkeit zur Lösung von zwischenmenschlichen Problemen, Impulsivität, schwach ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten, schwaches schulisches Engagement)

•Konfliktlösungs- und Peer-Mediationsprogramme (aggressives Verhalten, geringe Selbstkontrolle, mangelhafte Problemlösungsfähigkeit, eskalierende Konflikte, negative Schulhauskultur)

•Programme zur Prävention von sexueller Gewalt gegen Kinder

•Programme gegen Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen (Gewalt und Aggression in sexuellen Beziehungen, gewaltbefürwortende Einstellungen, fehlender Respekt in Paarbeziehungen, geringe soziale Kompetenzen, mangelnder Schutz von möglichen Opfern)

Zur Intervention bei speziellen Vorkommnissen gilt grundsätzlich «Je früher und konsequenter man gegen Gewalt einschreitet, desto eher gelingt es, Eskalationen und weitere Gewaltvorfälle zu vermeiden. Wichtig ist, dass zur Frage, wie man gegen Gewalt vorgehen soll, eine klare und von allen Mitgliedern der Schule mitgetragene Haltung eingenommen wird.» (26a)

Für jede Schule ist es empfehlenswert, ein Interventionsinventar für spezifische Situationen zu erarbeiten. Auf der Webseite der Erziehungsdirektion des Kantons Zürich stopp-gewalt.zh.ch finden sich als Grundlage dafür Merkblätter zur Intervention, zu Anzeichen für verdeckte Gewalt, zur Anzeige- und Auskunftspflicht, zur Melde- und Mitwirkungspflicht im Zusammenhang mit der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) sowie zu Strafanzeige – ja oder nein? (Kantonspolizei Zürich)

Ausserdem finden Sie auf derselben Webseite (26a) konkrete Angaben zum Umgang mit

•Körperlicher Gewalt

•Psychischer Gewalt

•Sexueller Gewalt

•Gewalt gegen Sachen

•Selbstaggression und Suizidgefährdung

•Häuslicher Gewalt

•Gewaltdrohungen

Diese Auflistung zeigt, wie unterschiedlich sich Gewalt manifestiert oder versteckt. Umso wichtiger ist es, dass eine Schule sich gemeinsam (einschliesslich des Personals aus Administration, technischem Dienst, IT, Mensa und Schulleitung) mit dem Thema «Gewalt» beschäftigt und sich auf Regeln und Vorgehensweisen einigt, die dann von allen eingehalten werden.

Jugendkriminalität und delinquentes Verhalten treten in der Jugendzeit gehäuft auf. Jugendliche erproben Grenzen und haben das Bedürfnis dazuzugehören. Es geht dabei nicht nur um die üblichen Konflikte mit dem Verkehrsgesetz oder Sachbeschädigungen und Diebstähle; auch neuere Formen von Delinquenz wie Verbreitung von Pornografie und Gewaltdarstellungen über Handy und Internet oder Schutzgelderpressung gegenüber Gleichaltrigen und Gewaltexzesse gehören dazu.

Bei delinquentem Verhalten darf keinesfalls weggeschaut werden, um nicht stillschweigende Zustimmung zur Tat zu signalisieren. Wann immer möglich, sollen die Täter angezeigt werden. Die Zusammenarbeit mit der ganzen Schule, den Berufsbildnerinnen und den familiären Bezugspersonen ist wichtig, allfällige Opfer sollen fachkompetente Betreuung erhalten.

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