Verbena II

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Z serii: Verbena #2
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GEBURTSTAG





Eine Hand strich über meine Wange. Ich schreckte hoch und sah in Alraunes freundliche Augen.



»Alles Gute zum Geburtstag, Liebes!« Sie setzte sich neben mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Wieso schläfst du in der Stube? Tss … nicht einmal deine Tasche hast du abgelegt.«



Es war schon hell!



Das Licht des Morgens schien durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden, erhellte die Stube Grau in Grau. Draußen prasselte der Regen unaufhörlich weiter – aber es war ein neuer Tag, mein Geburtstag. Plötzlich erschien mir unwirklich, was gestern Nacht passiert war.



»Alraune, wir …«



Doch sie bedeutete mir zu warten. Mit einer Hand kramte sie in ihrer Tasche, zog eine Holzschatulle heraus und reichte sie mir. »Der Baron hat mir geholfen, das für dich zu bestellen. Aus Kronenburg!«



Wie konnte sie mich so anstrahlen, wo wir doch … Tränen sprangen mir in die Augen. Die Worte lagen bereit, doch heraus kam nur ein Schluchzen.



Sie schlang ihre Arme um mich, hielt mich fest. »Wer wird denn an seinem Geburtstag weinen? Schau doch wenigstens hinein!«



Ich richtete mich auf, wischte mir über die Wangen. Sie sah so erwartungsvoll auf die kleine Kiste, dass ich nicht anders konnte. Kunstvoll war Eschas Zeichen – die zwei parallelen Wellen – in den Deckel geschnitzt. Ich fuhr mit den Fingern darüber, schob den Riegel beiseite und öffnete den Deckel. Heilerbesteck, fein gearbeitet!



Pinzetten, Skalpell, Knochensäge, Zangen … sogar gebogene Nadeln und aufgewickeltes Rosshaar war dabei! All das war ein Vermögen wert.



»Danke«, hauchte ich.



»Du bist jetzt achtzehn Winter und eine ausgebildete Heilerin. Ich könnte nicht stolzer auf dich sein!« Sie drückte mich noch einmal. Dann schob sie mich an den Schultern weg von sich. »Steck die Schatulle gleich ein. Du solltest sie immer dabeihaben!«



Ich hob die Tasche auf meinen Schoß und schlug die Lasche zurück. Sie war randvoll mit wichtigen Dingen. Was konnte ich entbehren? Kramend entschied ich mich für den Topf.



Alraune beobachtete mich verwundert. Mit dem Kopf deutete sie auf den riesigen Haufen Taschen. »Kannst du mir sagen, was das hier soll?«



»Wir müssen fliehen, jetzt gleich!«, stammelte ich.



Eine von Alraunes Augenbrauen zog nach oben. »Wegen Ulrik, meinst du?«



»Woher weißt du das?«



»Weil Roderik zusammengebrochen ist. Ich war die ganze Nacht auf der Burg.«



Der Baron … Das machte alles nur noch schlimmer!



Ich sprang auf, meine Stimme schrill. »Und Korvinus? Ist er schon auf dem Weg hierher?«



Alraune knetete ihre Hände und schüttelte den Kopf. »Den habe ich nicht gesehen. Es hieß, er sei in der Nebelschlucht und hebe aus, was dort noch zu finden sei – solange es regnet.«



»Und Finn? Hast du den gesehen?«



»Nein. Sollte ich?«



Erleichtert atmete ich auf. Trotzdem mussten wir fliehen, bevor Frias Geschwätz größere Kreise zog. Ich half Alraune von der Bank hoch. »Komm! Alles andere erkläre ich dir auf dem Weg.«



Sie setzte an zu protestieren.



Da klopfte es.



Wir erstarrten.



Bei Mavanja, waren sie schon da? Hatten sie meinen letzten Satz gehört?



Alraune sah auf die vielen Taschen auf dem Tisch, die Augen weit.



Schnell packte ich das Gepäck und verfrachtete es so leise wie möglich in die Küche und klapperte dort mit den Töpfen, als ob ich Frühstück bereitete.



»Moment, ich komme!«, rief Alraune derweil.



Es klopfte noch einmal, dringlicher. Und schon platzte jemand herein.



Gerade noch zog ich meinen Kopf in die Küche zurück, lauschte.



»Alraune, du musst kommen!«, keuchte Finn. Er war wohl gerannt, den ganzen Weg aus dem Dorf.



»Was ist passiert?«



»Hedwig und Ida! Sie … sie … ihnen geht’s nicht gut!«



Finns Schwestern. Nun wagte ich mich doch in die Stube hinaus.



Finn sah erschöpft aus. Genauso erschöpft, wie ich mich fühlte.



»Ein Unfall?«, fragte Alraune.



»Was? Nein, Bauchweh, Erbrechen … so schlimm hab ich es noch nie gesehen. Kommt schnell, bitte!«



Alraune wandte sich mir zu, unsere Blicke trafen sich. Sie legte ihre Hand auf meine Schulter, drückte sie kurz. »Du musst gehen, nachsehen, wie ernst es ist. Nimm Magenbitter mit.«





Aber wenn es dann zu spät ist?





Tränen wallten wieder in mir hoch, doch ich schluckte sie hinunter. Finn durfte sie nicht sehen, vor allem der nicht.



Alraune aber sah sie, die Angst in meinen Augen. Sie umarmte mich, machte es mir nur noch schwieriger, nicht loszuheulen. Ich vergrub mein Gesicht in ihrem Nacken.



»Sei stark, Verbena. Eine gute Heilerin lässt niemanden im Stich«, flüsterte sie mir ins Ohr und gab mich wieder frei.



Den Blick zu Boden gerichtet, stürmte ich in die Heilerei und steckte den Magenbitter in meine schon viel zu volle Tasche.



»Gehen wir«, sagte ich zu Finn und zog mir die Kapuze über den Kopf.



Alraune stand beim Tisch, winkte mir. »Ich warte auf dich.«



Schnellen Schrittes stapften Finn und ich durch den Regen.



»Was habt ihr vor?«, fragte er.



Weg von hier! Weg von dir! Und von Korvinus

.



Konnte Finn sich das nicht zusammenreimen, nach dem, was Fria ihm gestern erzählt hatte? Oder gab es noch Hoffnung? Einen Versuch war es wert.



»Nach Arnbruck. Alraune will mir die neue Heilerin dort vorstellen …«



Meine Güte, fiel mir das Lügen inzwischen leicht. Wie sehr ich mich selbst dafür verabscheute, mich und Korvinus und die Hüter, die mich dazu zwangen.



»… als Geburtstagsgeschenk«, fügte ich hinzu.



»Zum Henker!« Er schlug sich auf die Stirn. »Das habe ich in der Aufregung vergessen. Alles Gute!« Schon war sein Arm um meine Schulter. Er zog mich zu sich heran und drückte mir einen Kuss auf die Wange.



»Danke«, murmelte ich. Am liebsten hätte ich den feuchten Abdruck gleich wieder weggewischt. Ich wand mich unter seinem Arm heraus. »Deine Schwestern …«



Sofort wurde er wieder ernst und ging schneller. Er führte mich zu dem mir wohlbekannten Haus am Dorfplatz, gleich neben dem Tempel. Drinnen rannte er die steile Treppe hinauf und wies mir den Weg in eine der Kammern.



Es roch erbärmlich – nach Erbrochenem und Durchfall. Die armen Mädchen.



Finns Mutter kam mir entgegen. »Verbena, endlich! Escha sei Dank.«



»Erika, was ist passiert?«



Sie zog mich in die Kammer, in der unter der Dachschräge drei Betten standen. In zweien davon lagen die Mädchen, gekrümmt und wimmernd. Nur durch ein kleines, offenes Fenster in einer Gaube drang ein wenig Licht. Ich stellte mich daneben, um frische Luft zu haben.



»In der Nacht hat es angefangen. Hedwig zuerst, sie erbricht in einem durch. Ida nicht, aber sie hat Schmerzen, das sehe ich ihr an.« Erika setzte sich auf die Bettkante und strich ihrer kleineren Tochter über die Stirn.



Ida wälzte sich umher, die Augen geschlossen. Sie hustete und rang nach Atem.



Bei Escha, war es das, was ich vermutete?



Erika sah ratlos zu mir auf.



»Was haben die beiden gegessen?«, fragte ich sie.



»War nicht zu Hause gestern … auf Anprobe bei der Wirtin. Am Herd hing irgendeine Suppe.«



Ich rannte an Finn vorbei hinunter in die Küche. Über der kalten Feuerstelle war ein Kessel. Ich streckte die Nase hinein. Knoblauch?



Finn kam mir hinterher.



Ich sah zu ihm auf. »Wer hat das gesammelt?«



»Den Bärlauch?« Er hob die Schultern. »Die beiden waren gestern allein daheim.«





Während du in der Gaststube gesessen bist?!





»Schütt das weg! Am besten in eine Grube. Achte darauf, dass es niemand isst. Nicht einmal die Schweine«, fauchte ich ihn an. Dann schob ich ihn beiseite und rannte wieder hinauf.



»Erika, der Durchfall … ist er blutig?«



Sie sah mich entgeistert an. Dann nickte sie.



»Escha stehe uns bei!« Der Magenbitter würde in diesem Fall nicht helfen. Ich sank neben ihr auf die Knie und nahm ihre Hände für ein gemeinsames Gebet. »Escha, wir bitten dich, schenke Hedwig und Ida deine heilende Kraft!«

Denn du bist die Einzige, die ihnen noch helfen kann

, fügte ich in Gedanken dazu. Würde Finn heute seine beiden Schwestern verlieren? Wegen einer dummen Verwechslung?



Erika stand auf. »Was ist es? Sag es mir, Verbena!«



Ich brachte es kaum über die Lippen. »Herbstzeitlose, kein Bärlauch …« Kraftvoller setzte ich nach: »Wie oft haben Alraune und ich euch allen den Unterschied erklärt? Warum passiert das immer wieder?«



Erika wurde so aschfahl im Gesicht wie ihre Töchter. Sie schwankte. Gerade noch fing ich sie auf, bevor sie mit dem Kopf gegen die Dachschräge stieß. Vorsichtig setzte ich sie auf den Boden, lehnte sie an einen der Bettrahmen und tätschelte ihre Wange. »Erika, ich brauche dich jetzt! Du musst mir helfen!«



Als Erstes sah ich den beiden Mädchen in den Mund und entfernte jeden noch so kleinen grünen Rest.



Von unten waren Schritte zu hören. »Finn!«, rief ich die Stiege hinunter.



Doch statt seiner tauchte Fria am Treppenabsatz auf.



Sie war die Letzte, die ich sehen wollte. Ich sollte alles liegen lassen und davonlaufen, so schnell wie möglich, ohne einen Blick zurück, anstatt mich hier um andere zu kümmern.



Hinter mir hörte ich ein Würgen. Hedwig hing über der Bettkante und erleichterte sich in eine Waschschüssel. Säuerlicher Geruch breitete sich wieder aus. Ich hielt die Luft an. Nein, ich konnte sie nicht einfach sterben lassen. Auch wenn es nicht viel gab, um den beiden jetzt noch zu helfen – versuchen musste ich es!

 



Ich funkelte Fria an. Wenn sie schon da war, sollte sie sich wenigstens nützlich machen. »Hol Wasser … und Becher, schnell!«



Sie sah mich verblüfft an.



»Schnell habe ich gesagt!«



Nun spurte sie, eilte die Treppe hinunter und kam kurze Zeit später wieder herauf.



Ohne sie eines Blickes zu würdigen, nahm ich ihr alles ab. Einen der Becher gab ich Erika. »Hör mir gut zu, sie müssen so viel wie möglich trinken – egal, ob es ihnen oben oder unten herauskommt! Wir müssen das Gift aus ihnen herausspülen. Hast du mich verstanden?«



Tränen rannen ihr über die Wangen, aber sie lehnte die kleine Ida an sich und flößte ihr das Wasser ein.



Ich drückte Hedwig den anderen Becher in die Hand. »Trink! So viel du kannst«, sagte ich zu ihr.



»Was ist denn hier los?«, donnerte plötzlich Hederichs Stimme durch den Raum.



Ich drehte mich zur Tür und sah mindestens fünf Leute hereinlugen. »Vergiftet sind sie. Herbstzeitlose.«



»Bei Escha!« Ein Raunen zog die Treppe hinunter. Hatte sich das ganze Dorf in dem kleinen Haus zusammengedrängt?



Hedwig würgte wieder. Gerade noch trat ich einen Schritt zurück, drängte mich zu den Leuten, als der nächste Schwall in der übervollen Waschschüssel landete. Tropfen spritzten über die Ränder. Grünes Erbrochenes klebte nun an meinem Rock.



»Finn, bring mir saubere Waschschüsseln und Nachttöpfe. Und der Rest von euch, geht nach Hause!«, zischte ich die Leute an. Was dachten sie sich bloß dabei? Es war eindeutig zu eng hier, für so einen Auflauf.



Murrend löste sich die Versammlung auf.



»Wie Alraune.«



»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«



»Dass die immer so unfreundlich sein müssen.«



»Hexen.«



Ich verzog das Gesicht. Sollten sie doch glauben, was sie wollten. Mir lief die Zeit davon. Wenn Alraune und ich erst einmal weit weg waren, geflüchtet und wieder in Sicherheit … dann konnten sie alle zusehen, wie es ihnen erging, ohne kundige Heilerinnen.



Finn stand inzwischen mit zwei sauberen Nachttöpfen da. Ich nahm sie ihm ab und tauschte die volle Waschschüssel durch einen davon aus. »Die muss ausgeleert werden.«



Er starrte mich an.



»Mach schon. Und bring Tücher mit!«



Vorsichtig nahm er die Schüssel, bemüht, ihren Inhalt nicht zu verschütten.



Ich füllte Hedwigs Becher neu an und hielt ihn ihr hin.



Matt schüttelte sie den Kopf. »Kann nicht.«



»Du musst.« Ich zog sie an den Schultern hoch. »Setz dich weiter auf und trink!«



Nach dem zweiten Schluck kam es ihr gleich wieder hoch. Diesmal war ich bereit und hielt ihr den Nachttopf vors Gesicht.



»Wie geht es Ida?«, fragte ich Erika.



»Sie erbricht nicht, hat sie noch nie getan.«



»Dann steck ihr den Finger in den Hals!«



Egal wie sehr Erika es versuchte, das Mädchen wand sich und biss fest die Zähne aufeinander.



Ob ich ihr noch helfen konnte? Die Vergiftung war schon viel zu weit fortgeschritten.



Ich musste es zumindest versuchen.



»Habt ihr Salz, Brechwurz, irgendetwas?«



Erika schüttelte den Kopf.



Finn war noch nicht zurück. Wo blieb er nur so lange?



Ich schlüpfte in meinen Mantel und hängte mir die Tasche um. »Erika, ich laufe schnell in die Heilerei. Sieh zu, dass beide weiterhin viel trinken! Bin gleich zurück.«







SCHALL UND RAUCH





Es regnete immer noch, als ich unten die Haustür der Familie Freisinger öffnete.



Von draußen rammte mich jemand und schubste mich zurück ins Haus. Fria. Sie war außer Atem. Ihre nassen Haare klebten an den Wangen.



»Spinnst du? Ich hab’s eilig!«, fauchte ich sie an und versuchte, mich loszureißen.



»Sei still!«, zischte sie. »Sie werden gleich da sein.«



»Wer?«



»Hüter!« Schnell schloss sie die Tür hinter sich und sah sich um.



Hektisch schob sie mich in den Verschlag unter der Stiege. Sie zwängte sich zu mir und zog den Vorhang hinter sich zu.



Im letzten Augenblick.



Von draußen polterte jemand herein.



Wir hielten den Atem an.



»Hier drinnen ist sie, sagt ihr?«



»Ja, Herr, sie hilft oben den Freisinger Mädchen.« Das war die Stimme der Wirtin.

Elende Verräterin!



Schwere Schritte kamen näher, stiegen die Treppe hinauf. Durch die Fugen zwischen den Brettern sah ich einen Schatten über uns hinweggleiten. Staub rieselte herab. Danach ein Zweiter. Ich presste mich in die Ecke. Fria griff nach meiner Hand.



Hinter den beiden stieg die Wirtin hinauf. Unter ihrem Gewicht knarzte die Treppe erst recht.



»Bei den guten Geistern, hier stinkt es! Verbena Ackerl … wo ist sie?«, rief einer.



Erika brauchte einen Moment, um zu antworten. »Nicht hier, Herr.«



»Und das soll ich dir glauben?« Oben zerschellte etwas am Boden.



Die Frauen schrien.



»Jetzt …«, hauchte Fria.



Leise schlüpften wir unter dem Vorhang hervor, huschten in die Küche. Ich duckte mich hinter den Tresen. Fria lugte durch das offene Fenster. Von draußen war nichts zu hören. Zwei Schritte später war sie bei der Hintertür und winkte mir nachzukommen.



Die Treppe knarzte wieder. Die Hüter kamen herunter.



Blindlings rannte ich Fria nach. Hinter dem Haus war niemand. Lautlos zog sie die Tür ins Schloss. Große Tropfen klatschen mir ins Gesicht. Ich holte Luft, kämpfte gegen die Panik an.



Ich packte meine Tasche eng an mich und wir rannten über die Wiese, so schnell uns unsere Beine trugen. Nur weg von hier, auf den Waldrand zu.



Hatten sie Alraune schon?



Wir tauchten zwischen die Büsche. Ich konnte kaum atmen, so sehr schnürte es mir den Brustkorb zu.



Fria zog mich hinter einen breiten Stamm, warf einen Blick zurück. »Himmel, war das knapp!« Sie wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht. »Verbena, du musst flüchten, jetzt sofort!«



Aber was sagte sie da? War das nicht … »Alles deine Schuld! Warum hilfst du mir überhaupt?«



»Tsss.« Sie schüttelte den Kopf. »Das frage ich mich inzwischen auch. Ich habe dir gestern schon gesagt, ich würde dich nie verraten! Aber glaub, was du willst.« Trotzdem blieb sie stehen.



Ein beißender Geruch.



»Riechst du das?«



»Was?«



»Verbrannt.«



Ich sah mich um. Der Wald war nass. Wo kam das her?



Da spürte ich, wie mein Geist in Malves Körper gesaugt wurde.



Er schreckte hoch, kroch unter meiner Decke hervor. Durch die Tür der Kammer wehte Rauch. Auch durch die Spalten zwischen den Bodendielen.



Die Heilerei brannte!



Malve fauchte. Als ob er fliegen würde, sprang er auf den Schrank, kletterte durch das Loch in den Deckenbalken. Überall rauchte es. Am Dachboden rannte er zu einer gebrochenen Schindel, zwängte sich durch den kleinen Spalt nach draußen. Er lief das Dach hinunter, doch der niedrigere Anbau stand schon in Flammen. Eine dichte Rauchsäule wirbelnder Glut zischte im Regen.





Kehr um, Malve! Auf die andere Seite des Hauses …





Er rannte über den First. Auch dort stieg Rauch auf. Er krallte sich am Rand der Schindeln fest. Hinter ihm krachte es. Es gab kein Zurück.





Malve, spring!





Er trippelte vor und zurück. Das Dach ächzte, Flammen züngelten durch die Schindeln.



»Spring!«



»Verbena? Was ist mit dir?«



Ich spürte Frias Hand an meiner Wange. Sie kniete vor mir. Mein Körper lag am Waldboden. Ich setzte mich auf. Nasse Blätter klebten an meinen Händen.



Sie hatten Alraune … und Malve.



Der Albtraum war wahr geworden.



Ich schluchzte, musste wissen, ob Malve es geschafft hatte.



»Du bist auf einmal umgekippt«, sagte Fria.



»Ich weiß, warte!«



Warum war das Band zerrissen? War Malve nicht entkommen? Ich tastete nach dem Amulett, umschloss es mit den Fingern, suchte nach der Verbindung.





Alvar, hilf mir, bitte!





Doch ich fand Malve nicht.



Hatte das Feuer ihn mitgerissen?



Alraune gefangen, Malve tot?



»Verbena, was ist los mit dir?«



»Die Heilerei brennt.«



»Was? Woher weißt du das?«



Ich zog mich an einem Ast hoch, stolperte durch den Wald, musste ihn suchen gehen.



Fria folgte mir.



Ich lief voran, antwortete ihr nicht, tastete mich zwischen den Bäumen hindurch, die vor meinen Augen verschwammen.



Sie hielt mich zurück. »Bist du wahnsinnig? Du kannst dort jetzt nicht hin. Sie werden dich gefangen nehmen!«



»Aber Malve …« Ich riss mich los von ihr, querte den Weg Richtung Waldsee.



Da waren Stimmen. Hüter. Sie kamen von jenseits des Weihers.



Sollte ich es wagen? Ich musste.



Geduckt lief ich durch das Gebüsch, schob mich leise zwischen den Ästen hindurch zum kleinen Wasserfall. Dort lugte ich hinter den Felsen hervor. Flammen, überall Flammen, sie züngelten bis in den Himmel hinauf. Das Dach stürzte krachend ein, ließ eine Wolke heißer Glut aufsteigen.



Unser Zuhause … Alraune ….



Ich war zu spät

.



Bis über den Weiher wehte der beißende Rauch, brannte in den Augen.



Wo war Malve?



Fria zwängte sich neben mich. Ihre Stimme überschlug sich: »Verbena, du musst gehen, jetzt. Gleich wird der ganze Wald voll von Hütern sein!«



Doch ich konnte mich nicht bewegen, starrte nur auf die Flammen.



Fria stockte. »Meine Güte, Finn steht dort vorne. Es tut mir so leid. Bitte glaub mir, ich habe wirklich nichts gesagt.«



Tatsächlich, da stand Finn, neben Korvinus und all den anderen Hütern. Wie ein Hund bei seinem Herrn. Mir wurde schlecht. Wieso war er nicht bei seinen Schwestern?



Einer der Hüter – der mit der Glatze – trat zur Seite, gab den Blick auf Alraune frei. Sie lag auf der Wiese, war gezwungen, all das mit anzusehen.



Ich wollte schreien. Fria drückte mich nieder, hielt mir den Mund zu.



Ich stieß sie weg, versuchte, mich zu befreien.



Doch sie legte sich mit ihrem ganzen Gewicht auf mich. »Halt still! Willst du, dass sie uns erwischen?«



Aber Alraune … wie konnte er nur?



»Warum? Warum hat Korvinus uns das angetan??«



»Gestern Nacht hat er Finn rufen lassen, um in der Schlucht nach einer Schriftrolle zu suchen. Hast du den Köcher nicht abgegeben?«



»Was hätte ich tun sollen?«, schluchzte ich. »Wenn ich den Köcher in die Burg gebracht hätte, wären Alraune und ich erst recht gefangen genommen worden, gestern Abend noch.«



Fria legte ihren Arm um mich, drückte mich.



Immer mehr Leute kamen aus dem Dorf, gesellten sich dazu, um zu sehen, wie unser Haus niederbrannte.

Wie Schmeißfliegen

.



Malve spürte ich immer noch nicht.



Auf der anderen Seite des Weihers klatschte Korvinus in die Hände. »Voran Männer, werft die Alte in den Kerker. Hat noch niemand die kleine Hexe gefunden? Die kann nicht weit gekommen sein. Holt die Hunde!«, schnarrte er so laut, dass ich ihn sogar über das Plätschern des Wasserfalls hinweg hörte.



Bei Mavanja!



Wir duckten uns hinter den Felsen.



»Lauf!«, flüsterte Fria.



Neben mir im Gebüsch raschelte es.



Ich fuhr herum.



Schwarze Knopfaugen tauchten zwischen den Blättern auf. Malve keckerte vorwurfsvoll. Dann sprang er mir in den Schoß.



Ich schlang die Arme um ihn, so erleichtert wie nie zuvor in meinem Leben.



Er kletterte an mir hoch und legte sich um meinen Nacken.



Unschuldig lächelte ich und hob die Schultern.



Fria grinste. Vermutlich konnte sie sich jetzt eins und eins zusammenreimen.



»Geh schon! Ich werde sie ablenken.«



Doch ich schüttelte den Kopf. »Ich kann jetzt nicht gehen.«



»Verbena, bitte! Sie werden dich fangen und einsperren und …« Frias Stimme versiegte.



Sie hatte recht, ich musste aufbrechen. Langsam erhob ich mich und warf einen letzten Blick über den Weiher, auf unser brennendes Haus. Glut zischte im Regen. Der Himmel weinte – immer noch – nur nicht genug, um das Feuer zu löschen.



Einige der Hüter zogen ab und stießen Alraune über die kleine Brücke. Korvinus schlenderte hinter ihnen her, sein Werk vollbracht.



»Komm mit, bitte«, flüsterte ich Fria zu.

 



Leise kroch ich hinter den Felsen in den Wald. Neben uns gluckerte der Moosbach.



Die Hunde!

, schoss es mir durch den Kopf. Das Wasser würde meine Fährte mit sich nehmen.



Ich raffte die Röcke hoch und stieg in den Bach. Eisige Kälte sog sich in meine Stiefel. Mit den Zehen tastete ich voran, um wenigstens die seichteren Stellen zu finden.



»Kalt, kalt, kalt«, murrte Fria bei jedem Schritt, als sie hinter mir her tappte.



Ich wandte mich um und legte den Zeigefinger über die Lippen.



Erschrocken flüsterte sie: »Entschuldigung.«



Bis zur nächsten Kehre watete ich den Lauf des Baches entlang und stieg auf der anderen Seite auf das Ufer hinaus. Es würde die Hunde nicht lange aufhalten, aber wenigstens mussten sie auf und ab laufen, bis sie die Fährte wieder aufgenommen hatten. An der Böschung war der Wald dicht. Leise bog ich Äste beiseite, bedacht, keine umzuknicken. Finns Adleraugen würde so etwas sofort auffallen und den anderen Jägern und Hütern wahrscheinlich auch.



Wir zwängten uns zwischen Büschen hindurch, kämpften uns durch das Geäst. Im Inneren des Waldes war das Unterholz weniger dicht und wir kamen schneller voran. In großem Bogen umrundete ich die Heilerei.



Fria legte ihre Hand auf meine Schulter. »Verbena, was bitte willst du noch hier? Es ist viel zu gefährlich!«



»Auf die Burg, zum Baron. Und dir noch schnell für Ida eine Brechwurz geben.«



»Haben dich alle guten Geister verlassen? Ist der letzte Funke deiner Vernunft in der Heilerei verbrannt?«



»Wenn es einen Ort gibt, an dem Korvinus mich nicht suchen wird, dann in der Burg! Ich muss den Baron um Alraunes Leben bitten. Er ist der Einzige, der noch helfen kann. Ein letztes Mal.«



»Du bist verrückt. Noch dazu, …«, sie deutete auf meinen Kopf, »… mit deinen Heilerhaaren erkennt man dich doch zehn Meilen gegen den Wind!«



Ich langte nach einer der vielen verfilzten Strähnen, drehte sie zwischen den Fingern. Das stimmte wohl.



Kurzerhand zog ich Malve von der Schulter und steckte ihn in sein Fach in meiner Tasche. Dann holte ich die Schatulle heraus, öffnete sie und reichte Fria die Schere. »Mach es kurz und schmerzlos!«



Eine nach der anderen fielen mir die langen Strähnen in den Schoß. Ich sammelte sie, strich darüber. Ausgerechnet am Tag meiner Volljährigkeit, an dem Tag, an dem Alraune mich aus ihrer Ausbildung entließ, verlor ich meine Heilerhaare. Seit ich denken konnte, hatte Alraune sie mir gefilzt. Alraune, die mich aufgenommen hatte, mir wie eine Mutter gewesen war.



Wellen von Trauer und Hilflosigkeit schüttelten mich. Fria umarmte mich von hinten, hielt mich fest, während ich immer heftiger weinte.



In meiner Tasche grummelte es.



Sofort ließ Fria mich wieder los. Sie erinnerte sich offenbar noch gut an den Vorfall letztes Jahr, als Malve sie beinahe angefallen hätte.



Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. »Beruhige dich!«, sagte ich zu ihm und steckte die Hand durch die Klappe in sein Fach. Ich kraulte ihn am Kopf, ließ ihn spüren, was ich für Fria empfand – meine älteste, beste und inzwischen einzige Freundin. Sie hatte mich gerettet, obwohl ich sie weggestoßen hatte.



»Danke«, sagte ich zu ihr, »ich habe dir Unrecht getan. Es tut mir so leid! Ich hätte dir schon längst alles erzählen sollen.«



Sie schlang noch einmal ihre Arme um mich. »Alles Gute zum Geburtstag. Ich wünschte, ich hätte dir einfach Honigkuchen aus der Küche klauen können, so wie jedes Jahr«, flüsterte sie mir ins Ohr.



Dann stutzte sie und warf einen Blick hinunter auf meine Tasche. »Sag, ist es bei dir auch so, wie bei der alten Seggenseerin?«



Die alte Seggenseerin?

 »Wie kommst du denn darauf?«



»Na ja, wegen der Verbindung zu einem Tier … nur kein Ziegenbock, sondern ein Marder.«



Ich sah sie verdutzt an. »Woher weißt du überhaupt von der und ihrem Ziegenbock?«



»Diese Geschichte erzählen sich doch alle im Dorf.« Sie zuckte mit den Schultern und machte sich wieder ans Haareschneiden.



Taten sie das? Wie töricht von mir anzunehmen, dass Alraune mir das streng vertraulich zugesteckt hatte.



»Weiß nicht, vielleicht«, murmelte ich. Eine Begabte war sie gewesen, die alte Seggenseerin, aber mit ihr wollte ich beim besten Willen nicht verglichen werden – nach all den Schauermärchen, die Alraune mir über sie erzählt hatte.

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