WASTELAND – Schuld und Sühne

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Z serii: Wasteland #1
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Kapitel 5

Eineinhalb Stunden später legte Duke das Brenneisen weg und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Nachdem er sein Werk betrachtet hatte, wandte er sich an Doug.

»Mach' ein paar Fenster auf. Riecht hier wie bei einem Barbecue.«

Der Geruch verbrannten Fleisches hing noch schwer im Raum, weil er die Wunde kauterisiert hatte. Davor hatte er die Kugel in drei Fragmenten entfernt. Vor dem Eingriff hatte er der Frau noch eine weitere Dosis Morphium gespritzt und zusätzlich beim Hautgewebe um die Wunde ein Lokalanästhetikum verwendet.

Duke und Lucas gingen gemeinsam zur Tür und traten hinaus in die Morgensonne.

»Wie sieht's aus?«, fragte Lucas.

Duke inspizierte seine Fingernägel, bevor er Lucas direkt in die Augen sah. »Es steht 50:50. Sie hat eine Menge Blut verloren. Als Nächstes sollten wir ihr eine Transfusion verpassen.«

»Woher weißt du, welche Blutgruppe sie hat?«

»Spielt keine Rolle. Aaron ist Null Negativ. Ein Universalspender.«

Lucas nickte. »Was für ein glücklicher Zufall. Wie viel?«

»Sie braucht vermutlich einen halben bis einen Liter. Ich lege einen Zugang und gebe ihr dann die erste Konserve.«

»Nein. Ich meinte, was kostet mich das?«

Duke nannte ihm den Preis in Munition und Lucas pfiff leise. »Da geht meine Pension dahin.«

»Außer du hast mir Gold oder Silber anzubieten. In dem Fall kostet es eine Viertelunze Gold. Oder fünfzig Unzen Silber.«

»Du hortest also immer noch?«

»Verdammt richtig.« Duke hatte Lucas einmal erklärt, warum er Edelmetalle lagerte: Sollte der Handel zwischen den Nationen je wieder in Gang kommen, war die Wahrscheinlichkeit gleich null, dass die Gegenseite, nach diesem Währungsdebakel, etwas anderes als Gold akzeptieren würde.

Selbst jetzt, wo der ganze amerikanische Kontinent ein Ödland war, schätzte man immer noch Gold und Silber – sie waren selten, waren seit Jahrtausenden ein Zahlungsmittel gewesen und würden vermutlich auch in Zukunft wieder begehrt sein. Lucas hatte selbst zwanzig Goldmünzen, die er seit dem Kollaps für Notfälle aufbewahrte, aber er würde zunächst alles andere verkaufen, bevor er sich auch nur von einer Münze trennte.

»Nach der OP und der Bluttransfusion gehört dir schon die Hälfte meiner Waffen und der Munition.«

»Die besten Dinge im Leben sind gratis, sagt man, aber hier gibt es nichts umsonst.«

Lucas zuckte mit den Schultern. »Wie gewonnen, so zerronnen.«

»Ich lasse die Waffen und die Munition von Doug überprüfen, während ich Aaron schröpfe.«

»Schick ihn raus zu mir. Ich wollte sowieso nach Tango sehen.«

Duke studierte Lucas' eingefallene Züge. »Kumpel, du siehst aus wie hart geritten und nass eingestellt. Gönn' dir eine Pause.«

»Ich kann noch genug schlafen, wenn ich tot bin.«

»Du hast Mumm. Aber wenn du dir es anders überlegst: Da drüben ist ein schattiger Unterstand. Geht aufs Haus.« Duke dachte kurz nach. »Was weißt du über sie?«

»Konnte kein Wort mit ihr wechseln.«

Duke nickte. »Hast du das Tattoo auf ihrem Oberarm bemerkt?«

»Welches, dieses ägyptische Auge? Was ist damit?«

Duke bemerkte einen Blutfleck auf seinem Stiefel und verzog das Gesicht. »Ach, nichts.«

»Nun spuck es schon aus, Duke.«

»Warten wir doch erst mal ab, ob sie es übersteht.«

»Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es jetzt«, meinte Lucas ernst.

Duke schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab, um nach drinnen zu gehen. »Eigentlich geht es mich nichts an, Kumpel.«

Lucas blickte Duke irritiert hinterher und ging dann zu Tango hinüber, um seine Satteltaschen auszuräumen. Doug stieß ein paar Minuten später zu ihm und sie sahen zunächst die Gewehre durch. Der jüngere Mann prüfte die Kalaschnikows mit geübtem Auge und nickte, wenn er eines davon zur Seite legte.

»Sie sind alt, aber in gutem Zustand. Wir geben später ein paar Testschüsse ab.«

»Stammen vermutlich aus Mexiko«, bemerkte Lucas.

»Schauen wir uns mal die AR-15 an.«

Die Sturmgewehre waren alle für Dauerfeuer modifiziert worden, dem Anschein nach von jemandem mit Erfahrung. Die AR-15 war die zivile Version des M16, wurde aber als Einzelschussversion verkauft. Doch mit den richtigen Verschlussteilen konnte man sie in einer gut ausgerüsteten Werkstatt auf Vollautomatik umrüsten.

Doug grinste, als er das letzte Gewehr inspiziert hatte. »Saubere Arbeit. Woher hattest du die Dinger noch mal?«

»Aus der Wüste.«

»Duke wird zufrieden sein. Verglichen mit den AKs sehen die richtig neu aus.«

»Genau wie die Munition.«

Eine halbe Stunde später hatte Doug die Magazine gezählt und beiseitegelegt, was er haben wollte. Während der Arbeit war er etwas zugänglicher geworden und hatte, wie viele andere Menschen auch, die Lucas seit dem Kollaps getroffen hatte, ziemlich offen über die Umstände gesprochen, die dazu geführt hatten, dass er jetzt auf dem Handelsposten arbeitete.

»Früher war ich in Houston stationiert. Wir sollten eigentlich wieder in den Sandkasten ausgeflogen werden, aber als es soweit war, ging schon alles zum Teufel. Die meisten auf der Basis waren krank oder lagen im Sterben, und die paar Offiziere, die noch auf den Beinen waren, konnten wegen der widersprüchlichen Befehle aus Washington nichts machen. Letztendlich blieben wir, wo wir waren, bis mein Zug nach Dallas geschickt wurde, wo das Kriegsrecht verhängt worden war. Danach haben wir Leichen beseitigt. Da wurde es richtig hässlich.« Doug schluckte hart. »Jedenfalls ging es danach weiter bergab, wie du weißt. Irgendwann gab es keine Nahrungsmittel mehr und keinen Sold. Eines Tages gab es dann auch keine Vorgesetzten mehr.«

Es war die vertraute Geschichte: Soldaten, die noch halbe Kinder oder in ihren frühen Zwanzigern waren, bekamen von Offizieren, die selbst noch grün hinter den Ohren waren, den Befehl, auf ihre Mitbürger zu schießen. Bald herrschte in den Stadtgebieten offener Krieg, geführt von schwer bewaffneten kriminellen Gangs, Zivilisten, die sich selbst zu schützen versuchten und den Resten von Polizei und Militär. Als der Strom ausfiel und Nahrung und Wasser knapp wurden, beendete das Militär den hoffnungslosen Versuch, die Ordnung wiederherzustellen und ging zur Selbstverteidigung über, während Leichenberge die Straßen verstopften. Wen die Grippe nicht umgebracht hatte, der fiel dem Hunger, dem Durst und der Verzweiflung zum Opfer. Binnen Wochen wurden die großen Metropolen zu Geisterstädten, denn ein Großteil ihrer Bewohner war tot.

»Du warst nicht im Kampfeinsatz?«, fragte Lucas.

Doug wich seinem Blick aus. »Doch, reichlich. Alles in Texas. Einige der älteren Offiziere haben zum Schluss gesagt, der Irak sei im Vergleich zu Dallas wie ein Ausflug nach Disneyland gewesen.«

Lucas gähnte und rieb sich den Nacken. »Sag Duke, dass ich im Unterstand bin.«

»Wird gemacht.«

Es war schon Nachmittag, als Lucas von Duke geweckt wurde. Die Temperatur war gefallen und die Luft roch frisch. Lucas' Augen waren schmal, als er zu Duke aufsah.

»Irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte er.

»Hab ihr Antibiotika gespritzt – waren allerdings abgelaufen. Sie ist immer noch in einem ziemlich schlechten Zustand. Braucht das volle Programm. Die Wunden haben sich bereits entzündet.«

»Hast du noch was da?«

Duke schüttelte den Kopf. »Nichts, was ich ihr mit gutem Gewissen geben könnte.«

»Und jetzt?«

»Ich könnte Clem nach Loving schicken. Hab über Funk mit dem Doc gesprochen. Er hat noch was Brauchbares da.«

»Ich könnte sie doch selbst hinbringen.«

»Clem ist allein viel schneller als du mit der Trage hinter deinem müden Klepper.«

»Hey, Tango ist ein Kämpfer.«

»Ich sag' ja nur. Er sieht genauso müde aus wie du.«

Lucas dachte über das Angebot nach. »Hast vermutlich recht. Wie viel?«

»Noch mal 500 Schuss.«

»Was? Duke, du Halsabschneider.«

»So läuft das Geschäft. Wir sind nicht die Wohlfahrt.«

Lucas kroch aus dem Unterstand heraus und spuckte auf den Boden. »Erinnere mich daran, nie Karten mit dir zu spielen.«

»Wie gewonnen …«, sagte Duke grinsend.

Lucas wurde ernst. »Denkst du, sie kommt durch?«

»Seit der Transfusion sieht sie etwas besser aus. In der guten, alten Zeit hätten wir Blutplasma benutzt. Hätte ihre Chancen verbessert.«

»Ist sie zu sich gekommen?«

»Negativ. Sie steht auf der Kippe, Lucas. Schwer zu sagen, wie das ausgeht.«

»Ach zum Teufel, dann bin ich eben wieder pleite. Nimm dir den Rest meiner Munition, du alter Betrüger.«

»Ich leg' noch 'ne Mahlzeit obendrauf.«

Lucas nickte dankbar. »Sag Clem, er soll die Straßen meiden. Da sind neuerdings 'ne Menge Banditen.«

»Sag du es ihm. Er wird bald zu uns rüberkommen.«

Lucas schüttelte den Kopf. »Wollte noch was erledigen – war hinter einer Herde Mustangs her. Nur hier herumzusitzen bringt doch nichts.«

»Du willst weg?«

»Ich sehe nach ihr, sobald ich die Pferde habe. Sieht nicht so aus, als ob sie demnächst verreisen wollte.«

»Da hast du wohl recht.«

Lucas sah dem Händler in die Augen. »Duke? Ich lasse sie in deiner Obhut. Du bist dafür verantwortlich, dass ihr nichts geschieht.«

Duke nickte. »Alles klar, alter Kumpel. Niemand fasst sie an. Du hast mein Wort.«

»Gib ihr, was immer sie braucht. Geht auf mich.«

»Geht klar, Lucas.«

Schweigend ging Lucas zusammen mit Duke zurück zum Haupthaus und hoffte, dass er dem Händler bei seiner Rückkehr keinen Sarg schuldete.

 

Clem tauchte ein paar Minuten später mit einer Kalaschnikow in der Hand auf. Eine Plattenweste saß eng um seinen Brustkorb. Nach ein paar Stunden Schlaf nach seiner Schicht war er bereit zum Aufbruch. Duke warnte ihn wegen der Hauptstraßen und Clem nickte. Als er aufs Pferd stieg und anritt, salutierte er vor Lucas und Duke. Sie sahen zu, wie er auf seiner schlanken, braunen Stute davontrabte und eine dunkle Staubwolke hinterließ.

Duke stieß Lucas den Ellbogen in die Rippen. »Du musst mittlerweile ausgehungert sein. Man sollte essen, wenn man die Gelegenheit hat.«

Lucas sah auf die Uhr. Er hatte länger geschlafen als geplant – in ein paar Stunden würde es bereits dunkel sein. »Ich könnte schon was brauchen.«

»Dann hau rein, bevor du dich auf den Weg machst.«

»Was denkst du? Wie lange dauert es, bis Clem wieder da ist?«

»Wir haben vereinbart, dass er da unten das Pferd wechseln kann. Etwa sechs Stunden pro Wegstrecke bei schnellem Trab, vielleicht ein bisschen mehr.«

»Denkst du, dass er rechtzeitig wieder da ist?«

»Es muss wohl reichen.«

Lucas schnupperte, als sie sich dem Eingang näherten. »Was habt ihr auf dem Herd?«

»Rattenfrikassee«, erwiderte Duke grinsend.

»Hatte schon lange kein Frikassee mehr.«

»Das hier wirst du niemals vergessen.«

Tatsächlich bestand die Mahlzeit aus frischem Fisch vom Stausee, mit Maisgemüse und Kartoffeln.

Die Vorbereitungen dauerten fast eine Stunde. Als das Essen auf dem Tisch stand, aßen die Männer, bis sie fast platzten. Doug brachte einen Teller raus zu Travis, einem weiteren Mann in Dukes Truppe, der gerade Wachdienst hatte. Währenddessen blieb Lucas bei der Frau, die man zu einem alten Sofa getragen hatte, das mit einem frischen Laken abgedeckt worden war.

Duke gesellte sich zu ihm und legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Bin gleich wieder da«, sagte er und lief hinüber in seinen Schlafraum. Als er zurückkam, hielt er ein Fieberthermometer in der Hand. Er zog das Laken zurück, legte ihren bandagierten Brustkorb frei und schob es unter ihre Achsel. »Sie kann von Glück reden, dass die Kugel nicht mehr Schaden angerichtet hat. Hat ihre Lunge gerade mal um einen Zentimeter verfehlt. Seltsam nur, dass es keine Austrittswunde gibt. Das Schulterblatt muss sie aufgehalten haben.«

Lucas hatte ihm nichts von der Schutzweste der Frau erzählt.

Duke zog das Thermometer heraus und schüttelte traurig den Kopf. »Sie verbrennt von innen. Das ist nicht gut.«

»Kannst du denn gar nichts machen?«

»Nicht wirklich.«

Lucas ging zur Tür und stieß sie auf. Duke folgte ihm nach draußen und sprach weiter mit ihm, während Lucas aufsattelte. Als er fertig war, streichelte er geistesabwesend Tangos Flanke und rückte seinen Hut zurecht.

»Heute war wohl nicht viel los?«, fragte Lucas.

»Hast ein paar Händler aus Pecos verpasst, während du gepennt hast.«

»Ach. Was wollten sie denn haben?«

»Tauschten den Mais, den wir zum Abendessen hatten und ein paar andere Kleinigkeiten gegen ein Erbsengewehr ein. Wollten eine Kleinkaliberbüchse für die Jagd.«

»Haben sie erzählt, wie's da unten aussieht?«

Dukes Miene verdüsterte sich. »Nicht gut.«

»Wo genau kamen sie her?«

»Haben sie nicht gesagt.«

»Aha.«

In der Ferne erklangen Gewehrschüsse, leise, aber unverkennbar. Beide Männer erstarrten.

Kapitel 6

»Hast du das gehört?«, flüsterte Duke.

»Klar doch.«

»Klang so, als käme es aus dem Norden, stimmt's?«

Lucas nickte und sein Gesicht war ernst. »Oben vom Highway.«

Sie tauschten Blicke aus. »Denkst du, was ich denke?«, fragte Duke.

Wieder ein kurzes Nicken von Lucas. »Er hat die Straße genommen, obwohl du ihn gewarnt hast.«

»Lass es mich übers Funkgerät versuchen. Er hat ein Walkie-Talkie dabei und müsste noch in Reichweite sein.«

Sie gingen ins Gebäude zurück. Duke nahm einen Kopfhörer aus dem Regal neben dem Kurzwellengerät und schaltete es ein. Der Händler sprach hastig, wobei er die Sprechtaste gedrückt hielt. Als er sie losließ, lauschte er angespannt.

Es kam nichts außer Rauschen.

Duke versuchte es noch einmal, mit demselben Ergebnis, schüttelte den Kopf und legte den Kopfhörer neben das Funkgerät.

»Du weißt so viel wie ich.«

Sie hörten einen weiteren Schuss, noch leiser als die ersten. Lucas sah nachdenklich zur Tür, bevor er eine Entscheidung traf. »Wird Zeit für einen Ausritt.«

»Du willst seiner Spur folgen?«

»Ich sehe keine andere Möglichkeit.«

»Ich würde ja jemanden schicken, aber …«

»Ich weiß.«

Dukes Söldner verdienten sich ihren Lebensunterhalt, indem sie den Handelsposten verteidigten. Durch Clems Abwesenheit waren ihre Reihen bereits ausgedünnt. Duke konnte auf keinen seiner Männer verzichten, besonders kurz vor Einbruch der Dunkelheit. »Er kannte das Risiko.«

»Könnte auch irgendein anderes armes Schwein gewesen sein.«

»Das wäre aber ein seltsamer Zufall.«

Keiner von ihnen glaubte an Zufälle.

Lucas löste sein M4 von den Satteltaschen, prüfte das Magazin und stieg in den Sattel. »Wir verschwenden nur kostbare Zeit.«

»Pass auf deinen Arsch auf.«

Lucas ritt durchs Tor, seine Augen funkelten zornig. War Clem wirklich dumm genug gewesen, ihre Warnung zu ignorieren? Welche Folgen hatte es für das Überleben der Frau? Dukes Männer waren zäh, aber vielleicht hatten sie schon zu viel Zeit hinter den sicheren Mauern des Außenpostens verbracht. Es brauchte nicht viel, um da draußen sein Leben zu verlieren – eine schlechte Entscheidung genügte. Er hoffte, dass Clem sich nicht so dumm angestellt hatte, doch sein Bauchgefühl riet ihm, keine Wunder zu erwarten.

Auf einem Pfad entlang des Flusses fand er die Spur von Clems Pferd und folgte ihr in schnellem Trab. Normalerweise hätte er Tango die Entscheidung über das Tempo überlassen, aber er musste zuerst herausfinden, was geschehen war. Nach einer halben Stunde in nördlicher Richtung bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen – die Hufspuren führten zum alten Highway, der nur eine halbe Meile entfernt lag.

Statt denselben Fehler wie Clem zu machen, verlangsamte Lucas das Tempo und folgte weiter dem Fluss. Er blieb auf einem Wildpfad, der gerade breit genug für Tango war. An der nächsten Gabelung sah er sich gezwungen, einer zweispurigen Straße zu folgen, die zu einer Brücke über einen breiten Canyon führte. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als er hinübergaloppierte. Hier gab es keine Deckung, wenn es ein Heckenschütze auf ihn abgesehen hatte. Er ließ Tango immer wieder das Tempo wechseln und achtete auf verräterische Signale, aber er hörte nichts außer dem Wind und dem Rauschen des reißenden Flusses unter sich.

Auf der anderen Seite angekommen, wägte Lucas seine Chancen ab und zügelte Tango, damit er zu Atem kommen konnte. Noch während er das tat, bemerkte er eine Staubfahne über dem Highway. Er holte sein Fernglas aus der Satteltasche und hängte es sich um den Hals, bevor er hindurchblickte. Definitiv eine Staubwolke, der Größe nach von mehr als einem Reiter.

Er folgte einem anderen Pfad nordwärts. Als er sicher war, die Reiter umgangen zu haben, lenkte er Tango auf den Highway zu. Seine M4 hielt er griffbereit. Fünfzehn Minuten später erreichte er die Straße und hielt bei einer Gruppe Büsche, um abzusteigen.

Die Spuren im Straßenstaub waren frisch und sahen nach mindestens einem Dutzend Reiter aus. Da sie mitten auf dem Highway ritten, wusste Lucas, dass sie sich keine Sorgen um ihre Sicherheit machten – sie waren das Gefährlichste, was auf der Straße unterwegs war.

Er blickte nach Norden und hob das Fernglas wieder an seine Augen. Der Highway war weitestgehend leer, nur ein paar skelettierte Fahrzeugwracks lagen am Straßenrand. Es erstaunte ihn immer wieder, dass Überlebende allen Ernstes auf den Randstreifen fuhren, wenn ihren Wagen der Sprit ausging, als ob sie davon ausgingen, irgendwo Benzin aufzutreiben und zu ihren Autos zurückkehren zu können. Eine trügerische Hoffnung, wie sich erwiesen hatte.

Sein Großvater hatte mit dem Gedanken gespielt, seinen Maisschnaps solange zu destillieren, bis sie damit problemlos ein Auto betanken konnten, aber mit der Zeit hatte er die Idee fallengelassen. Lucas hatte immer argumentiert, dass ein funktionierendes Fahrzeug nur eine Einladung war, sich in Fetzen schießen zu lassen. Der Motorenlärm hätte in der einsamen Landschaft wie eine Alarmsirene gewirkt. Lucas war sich sicher, dass einige Fahrzeuge, insbesondere beim Militär, das Chaos überstanden hatten. Aber seiner Meinung nach war es Selbstmord, sich hier draußen, angesichts der vielen Halsabschneider, damit zu einem leichten Ziel zu machen.

Er ging zu Tango zurück, stieg wieder auf und lenkte ihn von der Straße herunter auf einen Pfad, der parallel dazu verlief. Dieser führte quer durch Farmland, das seit einem halben Jahrzehnt nicht mehr bepflanzt oder bewässert worden war. Sämtliche Zäune waren von Tornados weggepustet worden, die dann und wann über die karge Landschaft jagten. Nach einer Viertelmeile hielt er wieder an und spähte zum Highway hinüber. Diesmal erkannte er die unverwechselbare Silhouette eines menschlichen Körpers am gegenüberliegenden Fahrbahnrand.

Lucas trieb Tango hart an und sprang aus dem Sattel, als er Clems Körper erreichte. Er beugte sich hinab, rollte den Mann auf den Rücken und ignorierte die Fliegen, die bereits begonnen hatten, um den Kopf des Toten zu schwirren. Er hatte ein Einschussloch in der Schläfe. Ein Kleinkaliber, nach der Größe der Eintrittsöffnung und dem Fehlen einer Austrittswunde zu schließen. Sie war mit geronnenem Blut verkrustet. Clems offene Augen blickten ins Leere. Lucas bemerkte auch die zerquetschten Finger und den gebrochenen Arm – klare Anzeichen von Folter. Er sah auch zwei Wunden in Clems Unterbauch, wo seine Flakweste mehrere Projektile gestoppt hatte, bevor die Keramikplatte nachgegeben hatte. Das waren wohl die Gewehrschüsse gewesen, die sie zuerst gehört hatten. Der Gnadenschuss war dann nach der hektischen Befragung gefallen. Es gab keinen Zweifel daran, dass Clem seinen Mördern alles erzählt hatte, was sie wissen wollten. Jeder in seiner Lage hätte das getan.

Lucas hatte in seinen Jahren als Gesetzeshüter eine Menge übler Dinge gesehen, aber dann, als Überlebender, musste er entdecken, dass die Handschrift der Raider schlimmer war als alles, was er vor dem Kollaps erlebt hatte. Trotzdem ging ihm eine Frage nicht aus dem Kopf: Warum hatten sie ihn gefoltert, bevor sie ihn umbrachten? Er hatte ja nichts bei sich gehabt außer seiner Waffe und seinem Pferd. Beide waren jetzt weg, von den Schützen gestohlen.

Er zog Clem vom Randstreifen hinunter in die Büsche. Lucas war sich im Klaren, dass es bald dunkel sein würde und er seinen nächsten Schritt bedenken musste. Der Untergrund war weich – es würde ihn nicht viel Zeit kosten, ein einfaches Grab auszuheben und den Toten zu bestatten. Es würde Clem ersparen, von den Geiern ausgeweidet zu werden. Außerdem war Tango erschöpft und musste sich erst erholen. Lucas holte den Klappspaten aus seiner Satteltasche und begann zu graben, während es in seinem Kopf arbeitete.

Er konnte noch weitere vier bis fünf Stunden nach Norden reiten, das letzte Stück vermutlich bei Nacht. Er könnte dann die Medikamente für die Frau holen und Tango vor Ort zurücklassen, um mit einem frischen Pferd zum Handelsposten zu reiten, wieder in der Dunkelheit. Alternativ konnte er gleich zum Handelsposten zurückreiten, Duke die schlechte Nachricht überbringen und die Medikamente vergessen, was für die Frau womöglich ein Todesurteil war. Keine der beiden Möglichkeiten war wirklich erfreulich.

Er trat zurück und betrachtete die Grube, die er ausgehoben hatte, während ihm der Schweiß über das Gesicht lief.

»Das muss genügen«, murmelte er und zog, nachdem er den Spaten beiseitegelegt hatte, Clems Leichnam über den Rand und ließ ihn hineinrollen. Lucas füllte das Grab wieder mit Erde und sah sich um. Er entdeckte einen ordentlichen Felsbrocken und trug ihn zum Kopf des Grabhügels. Mit dem Hut in der Hand sprach er ein kurzes Gebet.

Wenn er auf so etwas wie eine göttliche Eingebung gewartet hatte, welchen Weg er einschlagen sollte, dann kam sie in Gestalt von Gewehrfeuer aus südlicher Richtung. Die Schüsse kamen etwa aus derselben Entfernung wie jene, die Clem niedergestreckt hatten. Jetzt war alles klar. Sie hatten Clem gefoltert, um etwas über Dukes Verteidigungsmaßnahmen herauszukriegen.

 

Die Reiter griffen den Handelsposten an.

Das tiefe Bellen von Dukes schwerem .50 Maschinengewehr traf für Lucas die Entscheidung. Der Kampf war in vollem Gang.

Und Lucas war noch nie vor einem Kampf davongelaufen.

Er sprang auf Tangos Rücken und drehte die Nase des Pferdes nach Süden. Seine Entscheidung stand fest: Er würde seinen Freunden helfen und sich danach um das Problem mit der Frau kümmern. Wenn der Handelsposten fiel, war sie tot sowieso besser dran. Also galt es, das zu verhindern.

Lucas gab sich keinen Illusionen hin, dass es einfach und ohne Risiko ablaufen würde.

Aber er sah keine Alternative.

Er hoffte nur, dass er noch rechtzeitig eintreffen würde.

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