Der mysteriöse Cavalier und andere Novellen

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„Woher kommt das Unglück?“, raune ich und erwarte mit Grauen die Antwort. „Von deinem Sohn – dem Johannes durch den Wald!“ Stattdessen wispert es neben mir: „Es ist schon bei Ihnen eingetreten, Großmächtiger Herr! Hüten Sie sich, – oh weh! – vor dem preußischen Werber!“

„Zigeuner, was weißt du von dem Preußen?“

„Hetzen Sie ihn nicht gegen den Johannes durch den Wald, gewaltiger Herr! Wer Johannes durch den Wald nimmt furchtbare Rache an Euch allen! Schicken Sie den Preußen auf dem Schub dahin zurück, woher er kommen ist!“

„Dummer Zigeuner! Der Preuße ist ja noch gar nicht da!“

„Er ist in Ihrem Schloß, –- der Pfiffes! Der mächtige Herr merkt es nur nicht!“

„Was plapperst du, Zigeuner?“

„Er hat sich heimlich eingeschlichen, damit es dem Johannes durch den Wald verborgen bleiben soll, daß er vorhanden ist! Dem Johannes durch den Wald wurd' aber flugs ein Zinken gesteckt ...“

Unter solchen Worten tritt dieses maivais sujet ganz gemächlich in den Steigbügel, schwingt sich auf seinen struppigen, aber nicht üblen Gaul und deutet breit grinsend mit dem Finger nach dem Schloßthor, wo der Porzellankrämer vom Überrhein mir aus dem Saal gefolgt ist und bescheiden in der Ecke steht. Nun aber sich aufreckt und über eine weite Regenlache hinweg einen Sprung wider den Zigeuner führt, wie man sich dessen eher von einem Tiger in Indien als von einem schlichten Großherzoglich Dalberg'schen Subjekt versehen möchte. „Halte-là!“ schreit er dabei mit gellender Stimme. „Steh, Zigeuner, und zeig', wer du bist!“

Der braune Kerl auf dem Roß aber wirft es herum, daß es in die Luft steigt, und meist mit der Rechten, unter dem aufflatternden Mantel hervor, ein schuhlanges Pistolet. Im selben Moment hat auch der Bandelkrämer ein doppelläufiges Terzerol aus seinem blauen Leinwandkittel gewonnen und seine Kehle gellt wie eine Trompete: „Du Schuft! Du bist Johannes durch den Wald!“

Die Augen des Zigeuners aber glühen und er lacht und er fährt, Antlitz und Pistolenmündung rückwärts gewendet, mit seinem windschnellen Roß über den Hof, daß Knechte und Mägde, Hunde und Cavaliere voll Entsetzen vor dem Johannes durch den Wald übereinanderpurzeln, rennen, sich in Winkeln ducken. „Ihr seid letztlich gewarnt!“, ruft er zurück. „Ich bin mit anderen Schelmen fertig geworden als mit Euch, – Herr von Arcularius!“

Wie dem Verruchten folgen? Es standen nur Gäule mit blankem Rücken und losen Trensen umher! Schon saß, nach Türkenmode mit einem Bocksprung von rückwärts, der Herr im blauen Kittel auf dem nächsten besten Tier, und nun merkte dieser sonst untraitable Krippensetzer, daß ihm ein Husar aus weiland Friederici des Großen Armee die Rippen zusammendrückte. Auf blankem Roß und wie mit ihm verwachsen, jagte, zu meinem ungläubigen Etonnement, der Herr Stabsrittmeister von Arcularius hinter dem Johannes durch den Wald drein. Aus der Faust des Zigeuners vorn blitzt die Pistole. Der Jahrmarktskrämer hinten feuert im vollen Galopp wider. So verlieren sich die beiden unheimlichen Gäste meines Schlosses in einer Hetzjagd, an den ackernden und sich hinterm Pflug bekreuzigenden Bauern vorbei, in der Ferne.

Ich, der regierende Graf, war total stupéfait. Der abgedankte Klosterbruder Dothias und der Herr Marquis, mein Marschall, mußten mich unter den Armen in das blaue Cabinet führen – so heftig war der Embarras meiner Nerven. Der Jägermeister O'Kelly ließ mich auf einen Stuhl gleiten, mein Kammerknecht Pompeo lüftete mir das Spitzenjabot, der Maestro Christoforo, mein Porzellanmaler, wedelte mir mit einem Straußenfächer Kühlung. Doch fühlte ich mich erst erquickt, als sich ein zarter und köstlicher Zephyr von Parfüm durch das Zimmer ausströmte, in das die Marquisin Xénais mit leichten Sohlen und hohen Stöckeln hereingetrippelt, und die Göttliche neben mir niederkniete und ihre Rosenfinger die Krähenfüße meiner Schläfen mit Lavendelgeist rieben!

Beglückt, mit geschlossenen Augen, murmelte ich: „Nun wird doch hoffentlich, Theure meiner Seele, der Herr von Wimmersheim seine Chocolate ohne uns löffeln?“

Sie aber, die schwarze Eva, blies mir mit süßer Stimme, unschuldig wie eine arkadische Hirtin, ins Ohr: „Nicht doch! Lassen mir ce pauvre Baron nicht nach dem Anblick Eurer Erlaucht schmachten! Die Visite wird Euer Gnaden, nach dieser Emotion, ein erfrischendes Divertissement bedeuten!“

Man kann sich nichts Ridicüleres ausmalen, als schon unsere Begrüßung durch Monsieur le Baron Maxence Marie César de Wimmersheim!

Sein Château – füglich eher ein Jagdschloß zu nennen – liegt mitten im dichten Gehölz und kein Einsichtiger wird es ihm unter den obwaltenden Zeitläuften verdenken können, daß er alle Fenster vorsorglich gegen den Johannes durch den Wald hat vergittern lassen. Aber daß jedes Fenster inmitten zierlichen eisernen Geschnörkels eine eiserne Strahlensonne aufweist und als Gesicht in ihr des Barons eigenes Konterfei, wie er dem Johannes ††† draußen höhnisch die Zunge bleckt – diese Imagination läßt schon errathen, was für ein Narr hinter diesen Eisenstäben haust.

Er tänzelte und scherwenzelte uns dienstbeflissen über die Freitreppe entgegen, machte mir unterwegs die possierlichsten tiefen Reverenzen, warf der Sylphe an meiner Seite neckische Kußfingerchen durch die Luft zu und begrüßte herablassend mit einem Wink eben dieser Finger ihren Vater, den Marquis.

Oh ... Xénais ... falsche Schlange unter Blumen ... Ich sah den vielsagenden Augenaufschlag von unten wohl, mit dem du des Barons Wimmersheim graziös gerundeten Arm nahmst, um hinter mir an seiner Seite deine Entrée in das Schloß zu halten. Ein Papagei krähte uns von seiner Stange entgegen. Die Natur hatte die Farben des Regenbogens über das wunderliche Geflügel ausgeschüttet und doch glich gemeldeter Vogel eher einer Krähe, wenn man ihn mit seinem Herrn daneben verglich. Der Baron de Wimmersheim hatte, um der Marquise und mir seine Verehrung zu bezeugen, einen rosarothen goldgestickten Frack angelegt. Daß er einen Schnürleib nach Weiberart darunter trug, sah man nur von hinten. Denn vorn kleidete er seinen hageren, an sich wohlgebildeten Leib mit drei langen Gilets in Klappen übereinandergeschuppt, von Aprikosen-, Flieder- und Perlmutter-Farbe. Die Escarpins waren aus violetter Seide. Silberschnallen an den weiß-seidenen Kniestrümpfen. Unter den Arm hatte dieser Herr einen schwarzsammtenen, goldgeränderten Dreispitz geklemmt, an der Seite einen kleinwinzigen, zerbrechlichen Galanteriedegen gleich einem Kinderspielzeug.

Ein ungeheures, buntseidenes Tuch würgte siebenfach geschlungen, seinen Hals bis zu den Ohren. Das Haar des Barons war in viel hundert kleinen Cherubim-Löckchen gebrannt und gekräuselt, sein faunisches Gesicht mit Reismehl weiß gepudert, Lippen und Augenbrauen mit blutrothem und schwarzem Stift nachgezogen, als sei er ein Pojatz bei den englischen Reitern.

Wo er ging und stand, umwehte ihn eine Wolke von Moschus, und dieser schwüle Odeur benebelte alle seine mit selbstgemachten Stickereien, Deckchen und Polstern complètement gefüllten Boudoirs, durch die uns dieser Imbécile geleitete.

Auf dem Tisch stand eine Collation bereit, und der Baron war nicht wenig stolz, uns auf Edelmanns Ehre zu versichern, daß er diese Pâtisserieen mit eigenen Händen gebacken. Ein kleiner Mohr in Türkentracht wartete auf. Es war freilich nur ein Bauernknäblein aus dem Dorf des Herrn von Wimmersheim, den er mit Kienruß geschwärzt hatte. Er durfte der göttlichen Xénais nicht zu nahe kommen, wenn anders garstige Flecken auf ihrem Putz und Staat vermieden werden wollten. Und in der That – die hartherzige Schöne hatte dem Baron zu Liebe alle verführerischen Reize ihres nachthaarigen, großäugigen wälschen Südens in ein schmachtendes Licht gerückt. Unter ihrer Robe von blutrothem, mit Stahlperlen gestickten, indischen Perkal, warf, in Kniehöhe vorkommend, eine Tunika die gefälligsten Wellen aus schwerem nilgrünem Sammet. Ein Brabanter Spitzenrand umkoste den weiß athmenden Busenausschnitt. In anmuthigster Art hob sie die zarten Arme in kurzen Puffärmeln und strich über das Löckchengewirr, unter dem ihr schmales und pikantes, weißgepudertes Gesichtchen auf das graziöseste dem Baron zulächelte. Für mich hatte sie niemals diesen Ausdruck von Amüsement auf dem kindlichen Linienschnitt ihrer Züge übriggehabt, und die Höllenpein der Eifersucht machte mein Innerstes erschauern. Denn – ach – ich war bei Jahren – und ce satané Monsieur de Wimmersheim – wenn schon ein ausbündiger Harlequin – war jung ...

Der Baron klapperte geschäftig mit Täßchen und Schälchen, bot uns wie eine Dame des Hauses die Honneurs, fächelte sich Kühlung, pirouettierte zum Fenster, um einen Fußschemel für Xénais zu apportieren, meckerte und kicherte, erzählte ihr Histörchen in das kleine Ohr, daß sie lachend abwehrte, ihm auf die Finger schlug und doch nicht von ihm abrückte. Dies encouragierte ihn, immer kühnere Schäferspiele aus Wien zu berichten, wo er zehn Jahre hindurch auf der wahren hohen Schule der Galanterie gewesen und sein Vermögen zugesetzt, nun aber, durch die Erbschaft der Gräfin-Tante, um ein Zehnfaches wiedergewonnen hatte. Erst als im vorigen Jahr der neu anhebende blutige Krieg zwischen Habsburg und Buonaparte mit unsanften Pausbacken die Redouten und Assembléen, Praterfahrten und Bals paré's auseinandergeblasen, hatte er, der Baron, sich gezwungenermaßen hierher auf sein Stammhaus im Walde retiriert, ersehnte aber nichts mehr als den nahen lieben Frieden und neues Pläsier.

„Pfui über den Krieg! Ich habe einen wahren Dégout gegen jedes Tröpflein Blut!“, gestand er vertraulich. „Mir wird schon blümerant, wenn ich mich nur an meinem Stickrahmen hier in den Finger steche!“ Ihm erwiderte Xénais, ihr Lachen hinter der Chocolate-Schaale verbeißend: „Sie reden recht wie ein Frauenzimmer, mein Herr!“ Er aber nahm dies für eine Schmeichelei, löffelte Zuckerwerk, sog sich Nervenstärkung aus seinem Riechfläschchen in die Nüstern, erzählte, er habe wohl an die hundert Tabatièren in seinen Gemächern stehen, auf jedem Tisch eine andere, – und wie er neulich seinen Mops habe hinrichten lassen müssen, und daß man sich die Hände nur einmal in der Woche mit frischgemolkener, noch warmer Ziegenmilch waschen müsse – sonst ja nicht und mit nichts anderem, und diesem geheimen Hausmittel, verdanke er, der Baron, seinen vielbewunderten, reinen und weichen Teint, – kurzum – es klapperte ein solcher Mühlbach von Thorheit aus seinem roth geschminkten Mund, daß ich zu meiner Satisfaktion merkte, wie es auch der göttlichen Xénais allgemach zu viel wurde und sie nur noch leer und unwillig zuhörte und leise seufzend nach der Thüre sah.

 

Dies rührende Bild ließ mich aufathmen! So hatte es denn dieser allzu offenherzige und schellenlaute Narr bei meiner Phyllis verspielt! Ich beorderte durch einen gnädigen Augenwink meinen Hofmarschall, das Anschirren der Pferde persönlich zu überwachen, setzte mich indeß wohlgefällig im Fauteuil zurecht, faltete die Hände und schloß etwas die Augen, denn ich mochte das wirre und krause Geschwätz dieser menschlichen Elster – dieses Herrn von Wimmersheim – nicht mehr hören.

Sei's darum, daß ich ein bißchen eingenickt bin! Jedenfalls zupfte mich nach geringer Zeit ein Meerkater – welch zahmen Affen sich der Baron, quasi in effigie seiner selbst, im Zimmer hielt – zerrte mich dieses Geschöpf, spitzbübisch grinsend, an dem Zöpfchen, das ich, der Zeit zum Trotz, im Nacken trage, und ich erwachte und sah, daß das Cabinet leer war.

Doch eben trat in diesem Augenblick Xénais wieder über die Schwelle, und der Baron hinter ihr, und ihre Wangen glühten unter dem Puder wie Feuer unter dem Schnee, und die dunklen, seelenvollen Mandeln ihrer Augen glänzten in schwärmerischem Aufschlag zum Himmel und ihr Busen wogte. Le Baron de Wimmersheim hatte ihr die Erbschaft der Gräfin- Tante gezeigt, die er vor den k. k. Kriegsläuften aus Wien hierher salviert: – Geschmeide wie aus dem Paradies: Verloques, Kameen – Intaglio's – Perlengeschnür – Diamantengehänge – rubinene Ringe – Türquisen und Amethysten. Nun aber erst das gemünzte Gold: Caroluspiaster und holländische Dukaten – spanische Dublonen und venezianische Zechinen – preußische Pistolen und harte Gulden Wiener Währung – alles schier in Scheffeln, und, sammt dem Geschmeide, in Schatullen in einer großen, eisernen Kiste aufbewahrt, diese aber wieder mit Ring und Ketten im Gebälk des Bodens angeschlossen, so daß der Johannes durch den Wald, wenn er selbst in das Schlafgemach des Barons eingedrungen, sich darin fruchtlos abplacken und ohne Gewinn abziehen müßte!

Die süße Stimme der Marquise Xénais zitterte und schwang, während sie mir diese Schätze des Großmoguls abschilderte. Das Gleißen des Goldes war ihr heißer zum Köpfchen gestiegen, als vorher der feurige Malvasier, an dem sie nur genippt. Sie gestand freimüthig, der Baron sei viel reicher als sie sich je im Traum habe beigehen lassen, und reichte ihn, beim Abschied, neckisch und verführerisch wie eine Circe, die Hand zum Kuß. Ich aber, der Graf, legte mir eine steife Reserve auf und schickte mich in einem bitteren Verdruß des Herzens zur Heimkehr.

Fahr' hin – du schnöde Welt! Ich mußte mich der Worte des rauhen Abbas Martin entsinnen, daß diese Erde ein Jammertal sei und mit Nichten ein Liebeshof! Mir missfiel, in Sturm, Regen und Abendgrauen um meine schwerfällig knarrende Hofkalesche, diese „beste aller Welten“, wie sie der geistreiche Franzose nennt. Ich spürte wiederum Lust, sie nicht mehr als ein verliebter Jupiter hinter Nymphen und Dryaden her zu durchschweifen, wie solch eine flüchtige Schöne, quasi in einen Baum verwandelt – so unbeseelt und kaltherzig, in einem grausamen Schweigen neben mir saß – sondern die Menschen nur noch von weitem, aus der Solitüde des Alters her, zu betrachten.

Ein Mensch aber läßt sich nicht bannen! Er gewinnt aus Nacht und Nebel um mich her Leben! Er wächst aus der weißen Luft, die über der Wiese braut! Er lugt aus jedem Dickicht wie ein Haufen Laub am Boden! Er steht wie ein Schatten hinter jeder Eiche am Weg! Er schaut mit fernen Geisteraugen aus dem Phosphorleuchten faulen Holzes dort tief im Forst! Er ist da und ist nicht da! Jeder nennt seinen Namen und keiner kennt ihn! Er schwebet aus dem Abendgespinnst um die Tannen durch die Luft auf mich zu ... Johannes durch den Wald ... mein Sohn ... Oder bist du's nicht, Abbadonna? ... Unseliger, den der Vaterfluch traf? ... Bist du es doch? ... Wehe, mir schauert!

Auf der Landstraße vor uns scholl ein lauter und grober Gesang von vielen Mannskerlen und Burschen:

„Auf – drunter und drüber –

Was Bauer will sein!

Mein Mus ist mir lieber

Als Braten und Wein!“

Mein sechsspänniger Reisewagen überholte viele Dutzend dahinziehende redliche Landleute in schwarzen Bauernhüten, langen blauen Röcken und weißen Zwillich-Hosen. Beim Schein ihrer Pechfackeln sah man, daß ein Jeder Dreschflegel, Sense, Holzaxt oder sonst eine taugliche Waffe auf der Schulter trug. Ihre Wachhunde bellten. Vorn schlug der Grobschmied wie ein Tambour auf einen Kupferkessel, um durch all dies hussah! und horridoh! eines wilden Heeres etwaige Räuber verzagt zu machen. Zwischen diesen Bauern karrten ein paar schwere Planwagen, die sie auf solche lärmende Manier bewachten, und an der Spitze des Zugs ritt im Dunkel, die gespannte Pistole am rechten Schenkel aufgesetzt, ein junger Herr im Dreispitz und engem, an den Schößen aufgeklapptem Reitfrack und winkte mir, im Vorbeifahren, in die Kalesche hinein einen Gruß und rief mit heller Stimme: „Bon Soir, Euer Liebden und Vetter!“

Ich steckte, indigniert über diese Vertraulichkeit des fremden jungen Cavaliers, den Kopf aus der Kutsche. Siehe – da war es die schöne Gräfin Amöne von Hohen-Sulz, die da in Junkerkleidung, wie zur Jagd, rittlings zu Pferde saß und frischweg lachte:

„Ich hab' an dem einen Rencontre gestern mit dem Johannes durch den Wald alleweil genug! Und dieweil ja der erlauchte Herr Cousin seine Straßen nicht schützen kann, so hab' ich meine neue Bauernschaft aufgeboten und mich an ihre Spitze als Hauptmännin und Feldobristin gesetzt und hole meine schwere Bagage mit Silber und Leinen und Pelzwerk und all meinem, übern Rhein mitgebrachten, Hab' und Gut selber vom Reichsstädtchen unten zu mir nach Heilig-Kreuz! Diesen redlichen Landsturm hier geht auch der Johannes durch den Wald nicht an! Die Leutche stecke voller Kurasch, weil ich sie führe – die ich dem Herrn Grafen eine geruhsame Nacht wünsche!“

Unter diesen übermüthigen Worten zog die unverzagte, junge Hohen-Sulz'sche Wittwe ihrem festen Haus zu, und was sie dort alsbald Absonderliches erlebte, muß ich später melden ...

Fidonc! ... Wie rümpfte ich indigniert die Nase, als mir beim Eintritt in die Treppenhalle meines Schlosses ein spürbarer übler alter Nachschmack von holländischem Rauch-Kanaster entgegenwehte. Von allen widerwärtigen Barbarenbräuchen der neuen Zeit ist mir dieses, den Indianern abgelauschte Brandopfer der Wachtstube gänzlich insupportabel und, ohne Ansehen der Person, in meinem Hofhalt strictissime verboten. Es war denn auch keiner meiner Subjecte der Schuldige gewesen, sondern der Herr Stabsrittmeister von Arcularius hatte die Ahnenhalle in eine Tabagie verwandelt.

Dieser Preuße – so berichtete mir mein Kammerknecht Pompeo Orlandi – war, bald nach meiner Abfahrt zu dem von Wimmersheim, aus den Wäldern zurückgekehrt, hatte sich, aus seinem Mantelsack und Doppelgänger heraus, bürgerlich, etwa in der Tracht eines Negocianten oder Musterreiters, gekleidet, die beste Bouteille aus dem Keller und, was der Bratspieß dazu hergab, auftischen lassen und hinterher ungescheut eine Pipe Tobak geschmaucht – wie das des Feldlagers Brauch, hatte er dem Pompeo erklärt – und er sei hier wider den Johannes durch den Wald im Felde!

„... der ihm aber doch zu schnell entritten zu sein scheint!“ merkte ich in einigem Ärger an.

Er habe sich, als ein erfahrener Husar und Parteigänger, wohl gehütet, sich von dem Johannes in den Wald hinein und in einen Hinterhalt locken zu lassen, – waren seine Worte – und habe sein an der Lisière des Gehölzes, zum Verdruß der innen lauernden Schelme, Kehrt geschwenkt und ihnen den Rücken präsentiert!

Päh – dieser Pesthauch verkohlten indianischen Krauts in den Lüften! Ich fächelte mit der gespreizten Rechten diesen plebejischen Odem einer neuen Zeit von mir ab, die den Tabak, statt, wie es sich gebührt, als Schnupfpulver zur Nase, gleich einer Brandfackel sich ins Maul führt! Ich recherchierte: „Und, nach ausgerauchtem Pfeifchen – was hat der Herr von Arcularius dann weiter angegeben?“

„Begehrte einen Pfeifenräumer, stocherte sich den Meerschaumkopf leer und wollte ihn sich von Neuem stopfen und anzünden! Da faßte ich mir ein Herz und bedeutete dem Herrn Stabsrittmeister, daß zuviel von dem blauen Dunst den erlauchten Ahnenbildern an den Wänden schädlich werden und sie schwärzen möge!“ Da schlug Seine Gestrengen mir auf die Achsel und lachte: „Da sei Gott vor, du Spitzbub! Also führe mich lieber in die Wachtstube! Die ist allerlande das rechte Tabakkollegium für alles, was Patronen beißt und in Steigbügel tritt ...“

„So geleitete ich denn“, fuhr der Pompeo fort, „diesen Herrn Husaren aus Preußen in das Gewölbe zur ebenen Erde, wo dero hochgräfliche Dragoner sich auf den Pritschen lümmelten und ihr Commandant, der Herr von Schindewolff, zwischen ihnen am Tisch hinter einer Kanne saß. Zu ihm setzte sich der Herr von Arcularius rittlings auf einen Stuhl, würfelte und trank mit ihm, spendete auch Euer Erlaucht gemeiner Reiterei ein freigebiges Biergeld, so daß er bald die ganze Soldateska in Gunst und um sich versammelt hielt, wie Kriegsleute aller Orten sich leicht als Freund oder Feind finden.“

Daß aber die gesammte monströse und für einen Edelmann unschickliche Begebenheit mit der qualmenden Pipe im Ahnensaal nur eine Kriegslist gewesen, um ohne Aufsehen und Mißtrauen durch meinen, allen Dragonern wohlbekannten Kammerknecht auf der Wachtstube eingeführt zu werden, – das ist erst später ans Licht gekommen.

Nun denn: der Rittmeister Gustav Adolf von Arcularius saß da, und hielt die Pfeife zwischen den Zähnen und seine Augen gingen durch den Qualm hin und her über die Kerle, als suchte er Etwas, und er erzählte tausend Schnurrpfeifereien von seiner Werberei in der großen Pfaffengass' längs des Rheins von Mainz bis Cöln, und vorher in hamburgischen Tavernen, unter wildem Seevolk, entsprungenen Galeeren-Züchtlingen, Schmugglern, Dieben und Deserteuren, aus welcher Crapüle es auch bei aller Umsicht nicht leicht gewesen sei, taugliche Individuen für Seine Majestät in Preußen herauszufischen!

Es läßt sich leicht abnehmen, welch ein wohlgefälliges und sachkundiges Auditorium der Herr Werbe-Offizier mit solchen Historien in der Wachtstube fand! Da war wohl Keiner, dem nicht noch das Fell irgendwo in der Erinnerung juckte. Mein guter Schindewolff konnte sich seine Leute auch nicht beim Pastor auswählen! In diesen Napoleonischen Läuften, in denen unser betrübter alter Erdtheil nur noch ein Haufen Kraut und Rüben, durfte man Niemanden lange fragen, woher er des Wegs kam! Man hätte doch nie die Wahrheit vernommen, und ich konnte froh sein, wenn meine Armee jetzt mit siebzehn Dragonern und einem Trompeter – dem schon gemeldeten Brabanter Bellonier – komplett angemustert und furchtgebietend dastand!

Die Dragoner waren hocherfreut, einmal einen adeligen Herrn zu finden, der ihre Gemütsart begriff, und wie es einem gemeinen Burschen zu Muth, der bald diesem, bald jenem König Seel' und Knochen verdingt, da, von den streifenden Husaren unbemerkt und so ohne Strick und Spießruthen aus diesem Lager desertiert, in jenem drüben wieder Handgeld nimmt, hinter den Armeen als Mérode-Bruder umschweift, und, von Winter und Schnee aus den Waldlöchern vertrieben, wieder horcht, wo die Trommel klingt und die harten Thaler über den aufgestellten Werbetisch springen.

Diese Noth eines armen, jungen Kriegskerls versteht keiner besser als ein Husar, der ja, nach seinem Métier, meist weit draußen vor dem Lager im Lande liegt, mit Bauer und Edelmann, Mönch und Bürger, Jud und Fuhrknecht gut Freund, in Feld und Flur daheim, und daher der Natur und den Menschen näher ist, als die hochmüthigen, bezopften Herren mit Sponton und Ringkragen in Reih' und Glied der Wachtparade. So drängten die Dragoner eifrig den Herrn von Arcularius, noch mehr von seinen hamburgischen Werber-Aventüren zum Besten zu geben, und er klopfte seine Pfeifenasche in die Bierlache auf dem Wacht-Tisch und erzählte:

 

„Es hat mir dort nicht mehr gefallen wollen, nachdem ich einmal schon beinahe durch fremde Bosheit in den Husarenhimmel, – will sagen: die Hölle – eingegangen. Es war da ein langer, rüstiger Kerl. Der wollte sich samt seinem Kameraden anmustern lassen und erbot sich, mich in die Herberge zu führen, wo sein Kumpan zu finden sei. Ich folgte ihm in eine verrufene Gasse und unter übles Volk. Das ließ ich mir unbedachtsam in den Rücken gerathen und unversehens warf sich, was an Galgenvögeln in diesem Wanzengemach hauste, auf mich, um mich kalt zu machen und – was ja allerwege die große Gefahr aller Werber ist – das viele Handgeld zu gewinnen, das ich im Hosensack bei mir führen mußte! Denn das wißt Ihr selber am besten: dem Vogel muß man flugs sein Futter hinhalten, wenn er kirr ist! Sonst fliegt er wieder fort!“

„Ei – und wie erging es denn dem Herrn Capitän?“

„Ich sprang durchs offene Fenster drei Stockwerke hinunter auf die Straße!“, sagte der Preuße kaltblütig und rauchte.

„Da müßte der Herr doch heute noch an Krücken gehen!“

„Nein! Denn unten war kein Pflaster aus Erde, sondern ein stinkendes, stilles Gewässer. Solche Wassergassen heißt man in Hamburg die Fleete. Da schwamm ich denn davon. Meldete, naß wie ein Pudel, einem hohen Senat mein übles Geschick. Flugs schickte das Niedergericht die Stadtknechte an den von mir bezeichneten Ort. Aber sie fanden schon das Nest leer und es gab so etliche ungehängte Schelme mehr auf der Welt!“

Auf das hin trank der Rittmeister von Arcularius seine Kanne leer, ließ seine Augen wieder über ein versammeltes, reichsgräflich Palmingen'sches Reichscontingent schweifen und klappte den Zinndeckel mit den Worten zu: „Seitdem hab' ich Hamburg gemieden und mich am Rhein besser gefallen! Da, ist ein leichtes und fröhliches Volk und gut sein! Es finden sich auch geschickte Leute zu Pferd' und Fuß genug! Ich wollte mich getrauen, zwischen Neumond und Vollmond ein ganzes Bataillon Husaren aufzurichten! Nur Eines freilich müßte ich mir aus dem preußischen Norden verschreiben und kommen lassen!“

„Was meint der Herr Kamerad für ein Manquement?“, murmelte der Commandant von Schindewolff schon halb schlaftrunken. Denn er hatte, nach seiner Art, trotz des frühen Abends, schon brav Bier geschluckt.

„Das sind die Trompeter!“ sprach der Herr Rittmeister. „Ihr blast hier am Rhein nicht herzhaft genug! Solch ein Alarmsignal bei uns Husaren in Preußen – hei! – das schmettert wie das Jüngste Gericht, daß Einem das Herz im Leibe lacht!“

„Ei – denkt der Herr Kamerad, wir tuten hier wie die Kuhhirten?“ replicierte der dicke, alte Schindewolff und strich sich beleidigt die Biertropfen aus dem weißen Schnauzbart. „Ich werde Ihnen gleich weisen, was mir können! ... He ... Bellonier! ... Trompeter! Trete einmal vor! – Das ist ein Brabanter, Herr Rittmeister, und mit sieben Wassern gewaschen!“

„Mir wohl bekannt, Herr Commandant!“

„So ... so! ... Woher denn wohl?“

„Nun – weil mir dieser Trompeter gestern die gnädige Invitation Seiner Erlaucht überbracht hat!“ sagte der Preuße langsam und leichthin und sah ihn an.

„Ah ... richtig! ... Ich vergaß! ... Hallaho ... Bellonier ... mon ami! ... En avant! ... Blase dem Herrn Stabscapitän unser Retraite-Signal! Das flutscht dir am besten!“

Der Brabanter – ein hagerer, schwarzer Geselle – placierte das Mundstück seiner Trompete unter dem dunklen Schnurrbart. Die schwarzen Augen liefen ihm, während er anhub, unruhig wie zwei gescheuchte Mäuse in dem gelben Gesicht hin und her, blieben dann an dem Herrn Husaren- Werber haften. Die Trompete aber gab nicht weiter die wild schmetternde, gräflich Palmingen'sche Rückzugs-Fanfare in Kriegszeiten von sich, sondern plötzlich einen gräßlichen, heulenden Ton wie den Aufschrei eines Sterbenden und verstummte dann gänzlich, und der Herr Stabsrittmeister lüpfte sich von seinem Reitsitz, knöpfte sich den Oberrock zu und sprach kalten Bluts zu dem Schindewolff: „Sie werden heute nicht viel Ehre mit dem Kerl einlegen, mon commandant, – denn er ist, nach meiner opinion, besoffen!“

„Besoffen wie ein Schwein!“, schrie der feiste Schindewolff, aufspringend und schnaubend ob seiner Blamage. „Hinaus mit dir und in dein Dorfquartier! Schnarch' deinen Rausch aus, du nichtsnutziger Teufels-Trompeter – warte!“

Der Bellonier war schon aus der Thür. Gleich hernach trat auch der Herr von Arcularius hinaus in den schwarzen, regnerischen Abend, nachdem er kurz von dem verdutzten alten Schindewolff Urlaub genommen. In ein paar Sprüngen hatte er den einsamen Kerl auf der Landstraße eingeholt.

„Steh', Canaille!“

„Ja – Herr Stabsrittmeister!“

„Warum schlotterst du am ganzen Leibe ...? Pfui! Ein Soldat!“ ...

„Huh! Gnade, Herr Rittmeister …!“

Dabei wirft sich selbiger Kerl mit den Knieen in den Schlamm am Boden und hebt die Hände. Der preußische Herr aber betrachtet ihn von oben und zuckt die Achseln.

„Um Gnade magst du ein hochnotpeinliches gräfliches Hals- und Blutgericht bitten, dem ich dich unweigerlich nach Rückkehr Seiner Erlaucht wegen mörderischen Überfalls auf mich in Hamburg denuncieren werde! Ich besorge aber, daß du doch den Sprung von der Leiter thun wirst! Geht der Welt auch nicht viel verloren!“

„Herr Rittmeister ... gnädiger Herr ... Es ist ja damals in Hamburg durch Gottes Gnade und Fügung alles noch gut verlaufen und Euer Wohlgeboren nicht zu Schaden gekommen! Ich habe nachher auch unser intendiertes Verbrechen bitterlich bereut und wieder hier ein ehrliches Soldatenhandwerk ergriffen. Der Herr Rittmeister sehen es ja!“

Der Herr von Arcularius lachte und beugte sich in Wind und Nacht über den Höllenbraten, der wie ein dunkler Klumpen unter ihm am Boden wimmerte, und hatte doch, zu einiger Vorsicht, die Hand an der Pistole im Sack.

„Ein ehrlicher Dragoner willst du sein, du Hund?“ sprach er.

„... und ein gottesfürchtiger Trompeter dazu.“

„Soll ich dir sagen, weswegen du dich in diese gräfliche Troupe hier hast einrollieren lassen?“

„Gnädigster Herr ...“

„Soll ich dir sagen, wer du bist, wenn man dir ins Gesicht leuchtet?“

„Leise ... leise ...“

„Ein Mitglied von der Bande des Johannes durch den Wald bist du! Und Keines von den Gemeinsten!“ versetzte der Husar, auch auf einmal gedämpft. „Ich habe dich auf der Stell', von Hamburg her, erkannt und mich nichts Gutes von dir versehen, wie du mir das hochgräfliche Schreiben auf meine Wirthskammer brachtest, und habe auch auf den erstencoup d'œil bemerkt, daß auf dem gefalteten Brief das Palmingen'sche Siegel mit heißem Federmesser abgesetzt und wieder aufpetschiert und also diese Post unterwegs erbrochen war! Ließ also lieber statt meiner den Mantelsack in der Kutsche reisen und behielt Recht ... Kerl – wann glaubst du, daß du gehenkt wirst? Es soll hier ein weißköpfiger, fünfundsechzigjähriger Scharfrichter beamtet sein, des Namens Nord, der seine Kunst meisterlich versteht!“

Der teuflische Wurm am Boden winselte nur und wand sich. Der Herr oben setzte ihm bedachtsam die Stiefelspitze' auf die Brust.

„Um dich zu fassen und zu halten, bin ich heute in Eure Wachtstuben niedergestiegen!“, sagte er, „und habe mich mit Euch losem Volk gemein gemacht! Nun Hab ich dich Brigant!“

„Erbarmen ... Erbarmen ...“

„Wirst schon sehen, wieviel Erbarmen eine hohe Palmingen'sche Justiz-Kanzlei mit Euch Räubern aufbringt, die just zum letzten die Menschen placken und zwacken!“