Der mysteriöse Cavalier und andere Novellen

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So durfte dann die gute Frau Reichsgräfin mit erlauchtem Sprossen und Bedienerin getrost in Nacht und Nebel hinausfahren. Sie reichte mir über den Kaleschenschlag noch herablassend die Hand zum Kuß, und während ich einen solchen graziös applicierte, beugte sie sich vor, wurde ein klein weniges roth und sagte: „Vielleicht läßt sich der Herr von Arcularius bei seinem dasigen Aufenthalt auch einmal in Heilig-Kreuz erblicken ...“

Mein schelmisches Zwinkern wollte Ihre Liebden nicht bemerken, sondern lehnte sich schnell in die Lederpfühle zurück, die Suite trabte los und die Räder rasselten.

Oh ... Xénais ...

Umschloß nicht zärtlich die musselindünne, weiße Robe, eng wie ein Hemd, mit langer Schleppe und buntgestickten Borten dein Nippes-Figürchen einer porzellanenen Schäferin? Öffnete sich nicht neckisch der tiefe Ausschnitt deiner hohen Wespentaille dem sanften Spiel deines weißen Busens? Lächelte nicht die kindliche Unschuld Elysiums aus der Nacht deiner großen, mandelförmigen Augen?

Oh – dieses Haar ... kraus, wirr, pikant in dem tiefen Blauschwarz seiner Perrücke ... dieses Gesichtchen – schmal und fein – geheimnisvoll weiß gepudert – mit den beweglichen Nasenflügeln von deiner heiteren Rasse, dem kleinen, rundlichen, elegischen Spitzbuben-Mäulchen ...

Oh ... Xénais ... Kind des Südens ... Tochter eines fremden Landes, in unsere barbarischen Wälder verschlagen – Xénais ... süße kleine Marquise ... Traumbild von einst – aus den Tagen meiner fernen Jugend ... vom Sonnenhof von Versailles ...

Und um den dünnen, weißen Hals trägst du ein schmales, vielsagendes rothes Band. Viele deiner Verwandten fielen unter der Guillotine. Du rettetest dich als Kind auf dem Arm des Vaters hierher auf mein Schloß! Hier blühtest du zur Jungfrau heran ...

Giebt es etwas Anmuthigeres – Ihr Amoretten, die Ihr mich unsichtbar umgaukelt, seid Zeugen! – als dein Spiel mit dem Longschal, den ich dir zum Wiegenfest verehrte? Er ist zweimal so lang wie du selber, türkisch gemustert, mit langen Franzen. Du aber weißt das lange schmiegsame Gewebe, einer Hamilton gleich, um dein Persönchen zu schlingen, dich in unbewußter Grazie darin zu drapieren, in klassischer Plastik einer deliciösen, immer wechselnden Haltung und Bewegung stets neu das Herz des alten Schäfers zu erfreuen ...

Oh Xénais ... dein Schäfer wird wieder jung ...

Drei ist die Zahl der Grazien. Zu dritt nur waren mir auch bei unserem Symposion: Ich, Xénais und ihr Vater, der Marquis.

Scherzhaft-geistreich, in der Sprache des Herrn von Voltaire, die den Ohren des Haushofmeisters, der aufwartenden Laquaien und des Leibjägers fremd, fing unsere Konversation, hin und her über den Tisch, die Bonmots und Aperçus auf, die wie leichtbeschwingte Falter den goldenen Glanz der Wachskerzen in den hohen Silberkandelabern umgaukelten. Wir handelten erst das Malheur der armen Gräfin ab, mit dem sie, vor dem großen Räuber Buonaparte flüchtend, unter die kleinen Räuber, den Johannes durch den Wald und sein Volk, gefallen, und ich konnte mich nicht entbrechen, anzumerken, es habe vielleicht gar noch auf dieser Reise Gott Amor, als preußischer Husar verkleidet, unserer Cousine Amöne den Pfeil ins Herz geschnellt ...

Amor ... das liebliche Kind ... Da waren wir denn wieder bei dem zärtlichen, kleinen Liebesgott! Ich faßte, indessen uns die Domestiquen Orange-Wasser über die Hände träufelten, Xénais, diese schalkhafte kleine Unschuld aus Welschland, bei den Fingerchen, und flötete leise: „Oh spröde Diana teutscher Wälder! ... Wann wirst du deinen Endymion erhören?“ Sie aber, die Marquisin, wiegt das brünette Köpfchen und spricht träumerisch: „Eben läutet es draußen das Ave!“ und ich verstand den feinen Stich wohl, daß keine andere Bresche zu dieser kleinen Festung offen, als die Kirchenthür zu Pfaff' und Altar ...

Dies war die erste Verstimmung, und es folgte sur le champ die zweite: die grausame Xénais fächelte sich Kühlung, trieb, voll erlesenen Geschmacks, das flüchtige Spiel des Schals zu einem Wellenwurf, der sie abwehrend beinahe völlig verhüllte, und ließ dabei wie beiläufig einfließen, sie sei, nebst dem Marquis, für morgen Nachmittag von dem Baron Maxence Marie von Wimmersheim auf sein nahes Schloß zur Chocolate genöthigt!

Im Nu waren in mir alle Dämonen der Eifersucht von ihren Fesseln der convenance gelöst! Ich versetzte, mit einer merklicheren Vibration der Kehle, als es Einem der Großen dieser Erde ansteht. „Ah – und wer ist das weiter – mein Nachbar ... le baron de Wimmersheim! ... Ein Mensch von niederem Adel ...“

„Mir ebenbürtig, Monseigneur!“ lächelte es von den kleinen, weißen Zähnen neben mir durch das Krachen einer Mandel. „Es kann nicht einem Jeden die Reichsstandschaft in die Wiege gebunden sein!“

„Ein Herr von mäßigen Vermögensumständen – fast arm zu nennen ...“ mäkelte ich erhitzt weiter. Xénais strich sich die weißen Musselinfalten ihres Gewandes glatt und erwiderte gelassen: „Nicht mehr, gnädiger Herr, seitdem ihn vor zwei Jahren die verewigte Gräfin-Tante in Wien mit großer barer Erbschaft begabt hat!“ Und – zu allem Unglück! – dies war wahr! Also höhnte ich erbittert zum dritten – und darauf gab es keine Parade – denn ich sagte nur, was der ganzen schönen Welt weithin bewußt: „Ma foi! Wen treffen Sie in dem Baron? Einen Harlekin! ... Einen ausgepichten Bajazzo, den nur alter Nam' und Schild vor dem Narrenthurm bewahren! ... Einen unmännlichen, verweichlichten Zärtling!“

Xénais hielt sich mit den kleinen Händen die kleinen rosigen Ohren zu. Ich jedoch beharrte in cholerischem Humor:

„Wenn Sie eines Mundkochs benöthigen, Marquise – le baron de Wimmersheim, diese ausgemachte Weibernatur, steht selbst am Herd und siedet und backt! Macht Ihre Garderoberin es Ihnen mit Nadel und Schere nicht zu Dank – le baron de Wimmersheim, fädelt und fertigt Perlenstickereien trotz einem Frauenzimmer! Gekleidet ist dieser Nachbar und Baron, daß seine Bauern lachen und es einen Schellen-Narren zu Fastnacht erbarmen möchte – so machet er aus sich in seiner Einfalt einen regenbogenfarbenen Affen! Ein Cavalier ohne Courage! Ein Glied der Noblesse ohne alle Mériten! Äh ... Fi donc!“

Das lose Kind an meiner Seite spielte mit ihrem Réticule und schnitt ein maliciöses Mündchen.

„Ein extraordinairer Vorzug ist dem Baron Wimmersheim doch vor Eurer gräflichen Erlaucht eigentümlich!“ ließ sie sich vernehmen und wieder zuckte es mir ins Herz. Denn dies wollte bedeuten: Er heirathet mich ohne Besinnen – die Tochter eines Marquis, dessen Schlösser und Güter – leider – nur noch im Monde liegen ... Und wenn ich noch die Zimperliche spiele – ei nur, weil ich lieber zur linken Hand des hochgebietenden Reichsgrafen von Palmingen getraut bin als zur rechten des kleinen Baron Wimmersheim ...

Aber beeilen Sie sich, Monseigneur ...

Just eben hörte ich in der Nacht draußen das Hufgetrappel und Säbelgeklirr meiner Armee, die victorieusement, ohne vom Johannes durch den Wald attackiert worden zu sein, von Heilig-Kreuz zurückkehrte. Ich ließ noch einen feurigen Blick eines treuen Ritters der Damen über Xénais hinleuchten. Sie aber schüttelte das eigensinnige, in eine chevelure à la sauvage der Perrücke gewirrte schwarze Köpfchen und sprach, vor sich hinlächelnd:

„Ich werde doch morgen bei dem Baron Wimmersheim ein Schälgen Chocolate nehmen!“

Da hob ich erzürnt die Tafel auf und verfügte mich allein in mein Cabinet, nicht anders erwartend, als in der Antichambre den Capitän von Schindewolff vorzufinden, der mir melden sollte, daß die Gräfin Amöne glücklich in Heilig-Kreuz einpassiert.

Doch wer tritt mir im Cabinet, wo er bekümmert vor dem Kamin gesessen, im Flackerschein der Flamme entgegen: der hochwürdige Abt Martin II. selber ...

Dieser vom Klosterthron gestoßene Mönchpriester ähnelte keineswegs den weltlichen Domherren am Rhein, die die Büste des Heiden Diderot auf ihrem Schreibtisch postieren und in Galanterien erfahren sind. Seine Gesichtsbildung war grob, ihr Aussehen streng, das graue Haar wirr, die Kutte rauh, Sandalen an den Füßen – mehr ein Waldbruder, denn ein Edelmann.

„Ich bin mit wendender Kutsche und deinen Dragonern hierher gereist, Florentinus!“ sprach er mit tiefer Stimme. Denn als nahe Vervetterte bedienen mir uns des „Du“. „Es ist an dem, daß ich eilends fliehen mußte. Der böse Feind hat seinen Vortheil erkannt und ist in Heilig-Kreuz eingedrungen!“

„Mit Hörnern und Klauen, Schwefel und Gestank?“

„Mit langem Haar und langen Röcken, heller Stimme und höchst holdselig zu schauen!“, rief der heilige Mann. „Wehe! Wehe! Wahre dein Seelenheil! Wo der Satan in Weibsgestalt umgeht, da weiche! Morgen ziehe ich mit den Patres weiter in österreichische Erblande, wo – dem Ewigen sei Dank – noch kein Klostersturm und Säkularisation erfunden wird und uns im Wallfahrtskloster St. Peregrin ein neuer irdischer Unterstand bereitet ist!“

„Also habt Ihr in Heilig-Kreuz nicht den Teufel ausgetrieben, sondern der Teufel Euch!“ scherzte ich und geleitete den Abt in meinen Schlaftempel, wo ich die bevorzugte Welt empfange. Wir setzten uns an den hohen und heißen, eisernen Ofen, der in zierlicher vergitterter Schmiedearbeit und mit gehämmerten Schildern den Thurmbau von Babel darstellt, und Martin II. sprach bedachtsam: „Schelte nicht, Florentinus, sondern sei auf dein eigenes Seelenheil bedacht! Du bist alt und müde! Freilich voll seichten Unglaubens und höhnischen Zweifels, als ein rechter Sproß eines nun abgethanen, achtzehnten Säculums. Aber wer an Allem zweifelt, muß auch an dem Unglauben zweifeln, und wer Nichts glaubt, darf auch nicht an den Zweifel glauben, und man hat solcher Exempel heilsamer Bekehrung schon mehr als eines erlebt, und die Gott läugnen, sind ihm heimlich oft schon wieder am nächsten! Darum komme zu uns nach St. Peregrin und verbringe da in Frieden deine letzten Tage!“

 

Ich vergoß still ein paar Zähren in mein Spitzentüchlein und dachte an Xénais. Der finstere Abt fuhr grollend fort:

„Was thust du noch in dieser Weltlichkeit? In wenigen Wochen oder Monden bringt dir der Wille des Schicksals eine Kutsche voll Schreiberseelen und Rechtsverdrehern vom Code Civil vor das Schloß. Du wirst als Souverän abgesetzt, mußt Herrschaft und Macht den gekrönten Dienern Napoleons übergeben und sinkst in das Dunkel der Unterthanen hinab!“

„Ha! Niemals!“ rief ich. Doch Herr Martin II. ließ sich das Wort nicht nehmen. „Ein Anderer möchte sich getrösten, daß sein Stamm noch blüht! Du aber bist der letzte Graf von Palmingen! Das gute, ehrliche Haus geht mit dir hin, nach Gottes Rath! Es wird einsam und Herbst um dich! Deine Gattin, die Frau Gräfin, starb früh vor dir dahin! Und wer kann sich erkühnen und sagen, daß dein einziger Sohn noch lebt?“

„Oh ... rede mir nicht von meinem Sohn!“, rief ich schluchzend und barg das thränennasse Antlitz in den Händen. Der vertriebene Klosterherr redete weiter:

„Ich weiß es wohl, daß du seit fünfzehn Jahren – seit er, vom Jakobinerteufel der Freiheit besessen, nach Paris ging, sich für einen Citoyen und Menschenrechtler, Feind der Fürsten und Pfaffen, und Anbeter der Göttin Vernunft erklärte und in den feurigen Abgrund der Revolution sprang – ich weiß, Florentinus, daß du deinen Sohn aus väterlichem Recht und Kraft des Statuts deines hochedlen Hauses als dessen Senior verstoßen und verflucht – auch männiglich untersagt hast, seiner noch je vor deinen Ohren zu gedenken und von ihm zu sprechen – wenn nicht dermaßen, als sei er todt! Wahrscheinlich ist er todt – wie denn diese greuelvolle Zeit der Sansculotten gleich Chronos alle ihre eigenen Kinder fraß – er muß todt sein! Denn man hat zu lange schon nichts von ihm vernommen?“

„Für mich ist der Unselige todt.“

„Was also hält dich noch hienieden auf Erden? Die Erde, auf der wir stehen, Florentinus, gehört uns nicht! Nur die Erde, in der wir ruhen! Alles Zeitliche schwindet jetzt dahin. Der Kaiser ist weg. Das Reich zerfällt. Wir werden Alle vertrieben, Jeder aus dem Seinigen! Du von den Justitiaren und Protokollanten der neuen hohen Herren Rheinbund-Potentaten und Franzosenknechte, – ich von einem jungen Frauenzimmer vom Adel wie der Hohen- Sulz'schen Gräfin!“

„Und der Gräfin wieder hat der Johannes durch den Wald das Ihre geraubt!“ seufzte ich. „Hoch zu Roß – vermummt – auf meinem Boden – recht wie ein Ritter von der Landstraße! Wann wurde das, seit dem gesegneten Mittelalter, je vernommen?“

„Der Johannes durch den Wald soll sein Pferd ohne Tadel meistern und tummeln – heißt es“, sprach Herr Martin II., „– nicht schlechter, als es manche unserer Vorfahren, leider Gottes, als Raubritter thaten!“

Ich mußte dazu nicken.

„... so als sei ihm ein altes und edles Geblüt eingeboren!“ sagte der Abt. „Wie würde auch aus einem gemeinen Schnappsack ein Kentaur?“

„Mag dem so sein, daß es ein ausgearteter Cadet aus großem Hause ist! ...“

„Nachdenklich, Florentinus, ist weiter das Factum, daß er gerade deine Grafschaft nebst Nachbarthümern heimsucht und plagt, und nicht nach anderer Räuber und Wölfe Art weithin im Lande auf- und abstreicht!“

„Lassen mir es, Abbas ...“

„Hier aber, in Palmingen'scher Herrschaft, ist ihm Weg und Steg bekannt, kein Schlupf und Gelegenheit verborgen, wie einem, der von Mutterbrust und Kindesbeinen an hier daheim gewesen ...“

„Genug denn ...“

„Nun aber ein wunderlicher Fingerzeig, Florentinus: was sich sonst an gemeinen Räubern in lichten Schaaren bei uns umtreibt, Juden wirft und sich beim Bauern die Nachtranzen mit Kamisolen und Dörrfleisch füllt – diese Brüderlein wissen, was ihre Thaten werth sind und daß sie nichts Besseres verdienen als Stockhaus und Hochgericht! Unser Ritter auf dem Rappen aber – ei – weiß er nicht dem Beraubten zum Hohn zu melden, jedwedes Eigenthum sei überkommener unrechter Besitz und wolle an seinen rechten Ort, zu denen, die da Nichts haben, zurück? ... Florentinus: hörst du da nicht die Höllenstimme des großen blutigen Babel Paris und der Schreckensherrschaft? Hat nicht Maître Robespierre, herausgeputzt à quatre épingles, zierlich einen Blumenstrauß in der Hand, beim Fest des höchsten Wesens in Paris solche Principien ausgerufen – und war unter den viel tausend schwarzen Schafen, die ihm lauschten, nicht auch ein junger Graf aus Teutschland?“

„Höre auf, Abbas!“, schrie ich aufspringend. Herr Martin aber predigte unverdrossen weiter:

„Verkündet nicht dieser unbekannte Junker Johannes durch den Wald, wenn er bei deinen Amtleuten Nächtens die Thüren einstößt, bei Fackelschein die Schafe wegtreibt, deine Zinsen und Gefälle aus den Kästen raubt – läßt er sich nicht da, hoch zu Roß in der Nacht, inmitten seines höllischen Haufens, mit einer fürchterlichen Stimme vernehmen, er hole sich nur wieder, was ihm mit Fug und Recht gebühre? So als sei er enterbt und verstoßen und um das Seinige gebracht ...“

„Ich mag nichts mehr hören!“

„Wer kann es sein, der mit einiger Raison – auch eines Bösewichts – sich solcher Worte vermessen darf? Keine Christenseele weiß es! Denn Niemand erblickte den Herrn Johannes durch den Wald noch anders als mit vermummtem Antlitz! Daraus ist unschwer abzusehen, daß ein Entsetzen durch das Land laufen und alle Gemüther verwirren würde, wenn man diesen mysterieusen Cavalier einmal mit bloßem Angesicht erkennen möchte! Denn was liegt an eines ordinairen Räubers gemeiner Gesichtsbildung? Selbst ein Bückler und Mathes, Veit und Manne, und was an weitverschrieenen, großen und berühmten Räubern sonst zur Zeit durch diese Gebirge schweift, hat selten das Antlitz geschwärzt und eine schwarze Larve vorgebunden, und trotzt meist offen Gott und der Obrigkeit!“

„Genug! Lieber Hochwürdiger und Vetter: Mach' ein Amen hinter deinem Sermon!“

„Ich bin am Amen! Denn weißt du, Florentinus, wohin ich hinaus will?“

„Sprich es nicht aus!“

„... Ahnst du, was mir seit Langem schwant?“

„Berufe es nicht!“

„Hörst du, was die gemeine Rede und des Volkes Murmeln längst rings im Lande ist?“

Ich faßte den Herrn Abt vorn an seiner stacheligen Wollkutte. Er ließ sich nicht in seinem Sprüchlein beirren.

„... was im Schloß hier schon die geringsten Heerdmägde und Stallbuben raunen – und es untersteht sich nur keiner, es vor dir zu verlauten ...?“

Mochte ich auch Herrn Martin in meiner Angst und Noth schütteln und beuteln – sein exemptes Gewand vergessend! – er rief athemlos und unverdrossen weiter:

Vox populi – vox Dei! ... Gott straft dich, Florentinus, für dein hartes Vaterherz! Denn siehe – wenn nicht alles trügt –“

Ein kalter Angstschweiß näßte mir die Stirne. Ich fiel in den nächsten seidenen Armstuhl und saß da schweigend und mit offenem Munde, und Herr Martinus der Andere schloß:

„– dann ist besagter vielberühmter Johannes durch den Wald der Erbgraf Otto Septimus, dein Sohn, den dein Fluch und wälsche Irrlehren dir aus der Fremde als deinen abgesagten Feind zurückgestellt haben!“

Wo blieb mir, in dieser regnichten und stürmischen Nacht, der Mohn des Morpheus? Ich wandelte ruhelos in meinem geräumigen Schlaftempel auf und nieder. Ich lehnte bekümmert am Fenster und tausend Pensee's jagten durch meine Seele! Ich nahm meine Zuflucht zu jener Funktion menschlichen Verstandes, die mir immer als die höchste erschienen und mein Leben durch dies, nun vollendete, merveilleuse achtzehnte Jahrhundert begleitet hat – zu dem Zweifel, und fand im Zweifel den gewohnten Trost eines hochgeborenen alten Philosophen! Was weiß ein Zelot in seiner Zelle – so raunte mir die freundliche Kupplerin Skepsis zu – was weiß er von der Menschen Meinung, Landstraß' und Lauf der Welt? Der rauhe und grobe Herr – zornig, daß ihn die schöne Hohen-Sulz'sche mit flammendem Schwert aus seinem Pfaffenparadies vertrieben – hat das empfangene Ungemach christlich an mich weitergeben wollen! Soll ihm aber nicht glücken!

So beschwichtigte ich mich – soi disant im Kampfe wider mich selbst – und erwartete mit Ungeduld den Morgen ....

Ein Reichsstand wie ich, Graf Florentin, sorgt sich sonst wenig um die paupere und eisenfresserische Nation der Preußen dort hoch oben im Norden, in Berlin und Warschau. Ich – und ein Jeder, der einer galanten und graziösen Conduite des Lebens beifällt – erfand die Preußen alle Zeit als steif und feind den Orten, wo wahrer bon ton und höfisches Ceremoniell, Feinheit jeglichen Pläsiers und exklusive Reserve wider Bourgeoisie und Canaille, der Welt ein leuchtendes Exempel geben – als wie im königlichen Paris und in der Kaiserstadt Wien.

Nun aber ersehnte ich nichts heftiger als die Ankunft des Herrn Stabsrittmeisters von Arcularius! Wie die gesammte Börse auf die Faro-Bank, so setzte ich auf diesen vielberufenen Prussien meine Lebenshoffnung. Diesem ausländischen Husaren-, Werber- und Abenteurer-Charakter, der ja bald wieder von dannen ritt, wollte ich mich gänzlich découvrieren und ihn bitten, mit allen seinen Listen den Johannes durch den Wald nicht gleich in Thurm und Eisen zu liefern, sondern vorerst ihm heimlich zu entlocken, wer er eigentlich sei – ob ein Kesselflicker oder eines heiligen Reiches Graf ...

Zu guter Stunde war an diesem Morgen ein großer, starker berittener Jude eilends beim Schlosse durchpassiert, welcher, als ein Geldwechsler auf dem Weg nach Frankfurt, mit seinen Dienern, die Halfterpistolen zur Hand, unverzagt, in gestrecktem Galopp, das Revier des Johannes durch den Wald durchmessen hatte und nun zum Gott seiner Väter aufathmete. Dieser juif en question berichtete, er habe unterwegs eine, bei heftigem Regen verschlossene Chaise hinter sich gelassen, in welcher, nach der Geschwätzigkeit des Kutschers auf dem Bock, ein zu mir reisender Herr Offizier in preußischen Diensten gesessen.

Nun sah ich abwechselnd auf jede der beiden großen Sackuhren, die ich anlangen, um den Hals geschlungenen, goldenen Ketten in meinen Gilet-Taschen trug, und wünschte den Herrn Stabsrittmeister herbei und setzte, auf einen jähen und erschrockenen, wälschen Schrei meines valet de chambre Pompeo Orlandi, den Fuß auf den Balkon ...

Da unten, um die Waldecke, kam der Wagen! Aber wie denn: Der Bock war leer! Die Zügel schleiften am Boden! Die beiden Gäule gingen im Schritt! Nun konnte man bemerken, daß hinter ihnen, hinkend und von Erde beschmutzt, der Kutscher lief! Der Mensch erreichte seine beiden Mähren gerade, als sie von selbst vor der Auffahrt meines Schlosses stillhielten.

Mit Beschämung muß ich eingestehen, daß ich einige eilige Schritte hin die Gravität des Auftretens vergaß! Erst beim Herniederwandeln über die Treppe gewann ich – den Hofceremonier Marquis de Fizeaux mit dem Marschallstab voran – meine landesherrliche Würde wieder mit der ich mein Vaterauge auf den schlotternden Postknecht blitzen ließ.

„Was ist arriviert? Melde Er!“

Der Kerl berichtete, noch außer Athem: – Ja ... zu Diensten ... Freilich habe er den Capitän von Arcularius durch den Wald gefahren, mit der Peitsche geknallt, recht um in seiner Bêtise die Räuber zu rufen – und sich Eines gepfiffen – da seien aus einer Tannenwildniß der Johannes mit der schwarzen Maske und zwei Gesellen vorgesprungen und hätten blindlings über den Kutschenschlag weg ihre Donnerbüchsen auf den armen Herrn innen gelöst, daß der Rauch aufwirbelte und die Gäule sich entsetzten und durchgingen, und er, der Kutscher, vom Bock purzelte. Er sei in Todesängsten hinterhergehumpelt. Lebe noch, mit der Heiligen Hilfe ... aber der Herr in der Chaise da herrinnen, den Seine gräflichen Gnaden auf das Schloß zu sich gefordert ... „Wie kann der Johannes durch den Wald das schon erfahren haben?“, frug ich wahrhaft entsetzt ...

„... Der Herr da drinnen ist todt! Er regt sich nicht mehr!“, verkündete heiser mein Jagdmeister O'Kelly! In der Ecke des Wagens lehnte, in sich gesunken, im Dämmern die Gestalt des unselig Verblichenen. Meine Livrée griff zu, um die Leiche herauszuheben. Ich wendete mich ab. Ich mochte den betrübten Anblick nicht schauen.

Da höre ich, in meiner Gegenwart, angesichts des Todes, ein allseitiges, lautes und unehrerbietiges Gelächter, mit dem die Burschen ungehobelt herausplatzen! Sie lüften den tabakbraunen, rauhwollenen Radmantel und Reisehut von dem Leichnam – und mon Dieu: – gemeldeter Leichnam ist nichts als ein dickes, wohlgestopftes Felleisen, an dessen Elenn-Leder und Messingbügeln die bübischen Pistolenkugeln, wie man deutlich sah, abgeschrammt und breitgeschlagen waren.

 

Doch der Herr Stabsrittmeister in persona, – wo war dieser listige Preuße geblieben? Nun kratzte sich der Tölpel auf dem Bock hinter dem Ohr und entsann sich, er habe, gleich nachdem er in den Wald gekommen, hinter sich etwas wie die Wagenthür schlagen hören. Da war der Husar heimlich, lange vor dem Überfall, herausgesprungen und hatte so, wie ein Fuchs den andern, den Johannes durch den Wald geprellt ...

Die Marquise Xénais schickte ihre Stubenheizerin und begehrte, zu wissen, was der Auflauf vorstelle? Ich verfügte mich höchstselbst zu ihr und brachte ihr, als ihr getreuer Serviteur, diese neue Post. Die Holdselige ruhte, in einem Negligée, dergleichen die Himmlischen erfunden haben mögen, und in der denkbar anmuthigsten Stellung, die Bänderschuhchen der Füßchen neckisch gekreuzt, schmachtend die gepuderte Wange in der aufgestützten kleinen Hand geborgen – ruhte, sage ich, auf einem geblümten Canapé, scherzte mit ihrem Wachtelhündchen und schüttelte eigensinnig die blauschwarze Nacht ihres Löckchengewirrs bei der inständigen Bitte ihres Schäfers, von der intendierten Chocolate bei dem Baron von Wimmersheim abzustehn!

Eh bien, marquise! So führte mir denn die Furie Eifersucht die Feder und in Angst, Xénais und le baron de Wimmersheim ohne mich bei einer Schäferstunde zu wissen, sandte ich ihm, kurz resolviert, ein Handschreiben und meldete mich selber für diesen Nachmittag auch bei der berühmten Chocolate zu Gast.

Dies gethan, promenierte ich in den Audienzsaal zurück. Es ist das Menschenrecht auch der Geringsten meiner Unterthanen, an jedem Freitag in der Woche, nachdem ich meinen mittäglichen Repas eingenommen, sich mir zu nahen und an mir einen huldvollen Herrn für ihr Gestammel und ihre Kniefälle zu finden. Der Zulauf der Supplikanten ist stets immens und auch heute mochte ihrer mindestens ein halbes Dutzend versammelt sein, die ich der Reihe nach, wie sie demüthig ihren Kratzfuß machten, mit meiner Ansprache beglückte.

Mein Schutzjude Moises Legusch beschwerte sich hart: Er war, als ein Viehschmuser und Ochsentreiber, sammt der Blümchen, seiner Tochter, kürzlich vom Johannes durch den Wald überfallen und ihm vier Häupter Rinder weggetrieben und nur mit einigen Maulschellen und Püffen bezahlt worden.

Dem Butternickel, einem Unterkäufer, der Speck und Schmalz bei den Bauern zusammenfeilschte und über den Rhein trug, wo ihm die Franzosen besser zahlten – ihm hatten die Bösewichter von des Johannes ††† Bande nur den leeren Sack gelassen. Meinem Amtsschreiber Papius hatten sie vorige Woch' mit einem Stachelstock übers Haupt geschlagen und an die hundert Carolin aus der Truhe entwendet.

Der hochwürdige Pfarrer Held mußte mir, als neuesten Schurkenstreich dieser Elenden, zu melden, daß sie die Ägydii Kapelle Nächtens aufgebrochen hatten, um die Wachskerzen auf dem Altar zu stehlen. Mit diesen angezündeten Pfundlichtern aber erleuchteten die Malefizkerle noch in gleicher Nacht den Keller des Schultheißen und Grenzwirths Geiger und rollten die Branntweinfässer auf Nimmerwiedersehen davon.

Es stieg ein übles Aroma aus dem Peuple auf. Ich verhehlte ein Gähnen und ennuyierte mich. Ich frug daher etwas mißgelaunt den Nächsten: „Und was – que, diable! – hat Ihm der Johannes durch den Wald zu Leid gethan?“

„Nichts, gnädiger Herr!“

Diese freimüthige Erwiderung frappierte mich und ich faßte den guten Gesellen wohlwollend ins Auge. Es war ein noch jüngerer gemeiner Mann in einem blauleinenen Fuhrmannskittel, kurzen, weißleinenen Hosen und Bändelschuhen. Er stand treuherzig und breitbeinig da und drehte seinen dreieckigen Bauernhut zwischen den Händen. Seine Mundart schien mir fremd. Der Marquis de Fizeaux, welcher mir die Individuen präsentierte, räusperte sich mit einer wichtigen und geheimnisvollen Miene.

„Es ist ein vazierender Bandkrämer, der sich der Käsvogel nennt“, wisperte er. „Er ist am Überrhein in Fürstprimas'schen Landen toleriert und handelt von da mit Pfeifenköpfen, bleiernen Knöpfen, Messern, Spiegeln ...“

„Eh – geh' Er damit zu den Bauern!“, sprach ich unwillig.

„... und mit steinernem Geschirr ...“

„Hol' der Böse seinen Plunder ...“

„... und mit Porzellan, hoher Herr!“, flüsterte der Krämer. „Ich weiß wohl, wo noch eine rare, kurfürstlich Mainzische Ware aus der in Asche gefallenen Fabrik in Höchst da und dort im Lande zu finden ist. Ich schaffe die schönsten und seltensten Grüppchen bei: Ochsenhetz und Löwenkampf, Liebesbrunnen und Hundehochzeit! Ich bin als ein Handelsmann in solchen gebrannten Dingen gut erfahren und Euer Gnaden gänzlich zu Diensten!“

„Sieh! Sieh!“ sprach ich erfreut. „Endlich einmal ein Bittsteller, der mir Etwas ins Haus trägt! Ich muß Ihn loben, Käsvogel – so ist ja wohl vulgo sein Name! Trete Er ans Fenster, wo uns der Populace nicht hört! Dort wollen wir des Weiteren über diese Affaire sprechen!“

Die Fenster des Saals öffneten sich gegen Mittag auf den Schloßhof hinaus. Im Hof war ein Trubel. Ich bemerkte den Frater Dothias, meinen Stallmeister. Weltlich ein Baron Galletta, ehemals in toscanischen Militärdiensten, dann als Laienbruder einem Kloster entlaufen, und – als ein eingeschworener Illuminat wie ich und mir darin mit Passion zur Hand – in Rosenkreuzerei, Athenischen Logen und Freimaurerei vom Flammenden Stern – dieser wahren Religion eines achtzehnten Jahrhunderts, – wohl noch besser erfahren als im Messehören und Hufbeschlag.

Dieser mein Ordens-Freund hatte etliche blanke Pferde an den Wassertrensen aus dem Stall ziehen lassen und wies sie einem braunen, schwarzhaarigen Zigeuner, der in den Hof geritten und von seinem Klepper abgetreten war. Mühlsteine und glühend Eisen sind zwar die einzigen Dinge, die ein Zigeuner liegen läßt und nicht mit sich gehen heißt. Doch genießt dies Volk von Ägypten aus, woher es gekommen, noch mancherlei Geheimnisse und weiß, mit Spinnweb, Speichel und Abrakadabra den Pferden Maule und Hahnentritt, Weben und Windsetzen zu vertreiben. Ich konnte es also nicht tadeln, wenn mein Dothias von der schwarzen Kunst des Zigeuners profitierte. Letzlicher stand in einem abgeschossenen langen Rock und hohen Stiefeln, als ein rechter Roßkamm und Roßtäuscher, vor den herausgeführten Gäulen. Aber er suchte nicht in ihrem Maul nach den Kunden in den Zähnen, sondern mit ernstem Aussehen, die langen Haare schüttelnd, nach Etwas in der flachen Hand des Dothias, welcher als ein Oberer vom zweiten Grad unserers heimlichen Ordens, unter seinem Oberrock statt der Nachteule schon den halben Mond am ponceaurothen Band trägt – Bruder Dothias, dieser in alle Eleusinischen Mysterien Insinuierte, blickt erhitzt zu mir herauf und ruft verzückt:

„Monseigneur! Der Zigeunerkerl hier kann mehr als Brot essen! Hier leuchten Pythagoräische Maximen aus fernen Zeiten auf! Er liest Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft untrüglich aus der Hand!“

Da durchbohrte mich der Pfeil einer sublimen Idee, daß ich vielleicht aus dem ungewaschenen Maul eines Zigeuners erfahren möchte, wer der Johannes durch den Wald sei, und ich begab mich hinunter auf den Hof und winkte den braunen Heiden vor mein Angesicht und ließ ihn kurz an: „Zigeuner – kannst du auch mir die Wahrheit sagen?“

Zur Antwort zeigt Jener lachend das Weiße in seinen Augen und die weißen Zähne in der kupferfarbigen Visage, beugt sich über meine Hand, ohne sie zu berühren, und die frohe Laune weicht von ihm und er flüstert ganz erschrocken, ganz leise, so daß nur ich es hören kann:

„Kohdle. Kyre – Großer Herr! ... Es steht grausames Unglück über Ihrem Schlosse! Das spür' ich als ein Sende, als ein Zigeuner!“