Löwenfisch

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4.

Auf dem Heimweg vom Sperl schaute Rumpler bei seinem Fleischhauer vorbei und kaufte ein ordentliches Stück Putenbrust. Als er schließlich bei seiner Wohnungstür angelangt war, sah Frau Kratochvil, seine gegenüber wohnende Nachbarin, die schon über achtzig Jahre alt war, mit schief gelegtem Kopf wie eine freundliche Knusperhexe zur Tür hinaus. „Hams schon ghört, Herr Kommissar? Unser Haus is angeblich verkauft worden.“

Nicht gut.

„Ich hab schon so was läuten ghört, aber ich hab gedacht, das dauert noch.“

„Das hab ich auch ghofft, aber jetzt hab ich ghört, die fangen womöglich schon in ein paar Wochen mit dem Umbauen und Wohnungen Herrichten an. In den alten Liftschacht wollen S’ auch wieder an Lift einbauen.“

Das war mehr als nur unangenehm. Zwei Wohnungen auf Rumplers Stiege waren schon länger frei, von denen die eine unmittelbar unter seiner lag. Wenn es größere Sanierungsarbeiten gab, womit zu rechnen war, würde es nicht nur staubig, sondern für einige Wochen, wenn nicht sogar Monate, wohl auch unerträglich laut werden.

„Hoff ma’s Beste.“

„Schönen Tag noch.“

„Ihnen auch.“

Rosamunde musste sein Kommen bemerkt und hinter der Wohnungstüre gewartet haben. Nach einer kurzen Begrüßung, bei der sie ihm betulich um die Beine strich, eskortierte sie ihn in die Küche, damit er seinen kulinarischen Pflichten nachkommen konnte. Er schnitt etwas Putenfleisch klein auf, dünstete es gemeinsam mit einem Stück fein geriebener Karotte weich und stellte ihren Napf auf den Boden. Während sie fraß, ging Rumpler ins Wohnzimmer zu seinem Schreibtisch, den er trotz seiner schon sehr deutlichen Abnutzung keinesfalls ausbessern oder gar neu aufpolieren lassen wollte. Gerade die zahlreichen Gebrauchsspuren waren es, die diesen Tisch für ihn so einzigartig und damit unentbehrlich machten. Während er Sonjas Nummer wählte, hatte Rosamunde mithilfe des Kartons sowie eines Beistelltisches den Schreibtisch erstiegen und sich treffsicher auf den Schreibblock, den Rumpler in der Zwischenzeit für das Gespräch hergerichtet hatte, fallen gelassen. Er lächelte und holte eben aus seiner Schreibtischlade einen weiteren Block, als sich Sonja meldete.

„Hallo Hans, vielen Dank für deinen Rückruf.“

„Hallo Sonja. Schön, dich zu hören. Was kann ich für dich tun?“

Das Zögern vor ihrer Antwort war nur minimal, aber es bewirkte doch, dass Rumplers Aufmerksamkeit sofort anstieg, ein Ergebnis jahrzehntelangen Trainings, derartige vermeintliche oder tatsächliche Auffälligkeiten präzise zu registrieren.

„Es tut mir leid, dass ich dich wegen einer Kleinigkeit stör. Wahrscheinlich ist gar nichts dran, aber ich bin trotzdem ein bissel verunsichert.“

Jetzt war er wirklich hellwach. Sonja war eine hochintelligente junge Frau, die zudem noch über ein sehr gutes Gespür verfügte. Wenn sie beunruhigt war, dann gab es dafür aller Wahrscheinlichkeit nach einen guten Grund.

„Erzähl!“

„Ich würd eigentlich lieber bei dir vorbeikommen. Hättest du in gut einer Stunde Zeit für mich?“

„Ja, klar. Magst bei mir was essen?“

„Höchstens eine Kleinigkeit, vielleicht einen Salat?“

„Gerne. Ich denk mir was aus. Bis bald.“

„Danke, dass ich kommen kann. Bis bald.“

Rumpler inspizierte seinen Kühlschrank. Nachdem er eine kleine Dose mit Granatapfelkernen vorrätig hatte, beschloss er, sie mit Oliven und Jungzwiebeln vermischt zu einem Salat zusammenzuführen. Einige grob gehackte Walnusskerne und ein kräftiger Schuss Olivenöl sowie Meersalzflocken und etwas frisch gemahlener Pfeffer würden den Granatapfelsalat geschmacklich abrunden.

Eine gute Stunde später saß Sonja auf einem von Rumplers etwas schäbigen, aber sehr bequemen Lederfauteuils, vor sich den verführerisch duftenden Salat, und erzählte.

„Vor drei Wochen hat mich ein ehemaliger Schulkollege angerufen, ein gewisser Anton Zargl. Ich hab schon länger nichts von ihm gehört und ihn nur gelegentlich bei einem Maturatreffen gesehen. Er ist Journalist, nach seiner eigenen Einschätzung ein Aufdeckungsjournalist. Ich hab aber das Gefühl, dass er nicht wirklich erfolgreich ist. Er hat ja schon in der Schule immer ein bissel angegeben mit seinen Entdeckungen, zum Beispiel, dass der Schulwart eine Freundin gehabt hat, obwohl er verheiratet war, und solche Sachen halt. Er hat damals alle etwas genervt, aber eigentlich war er ziemlich harmlos. Ein komischer Vogel.“

„Und was wollt er von dir?“

„Wie er mich angerufen hat, hat er ganz geheimnisvoll getan. Er hat gesagt, dass er an einer ganz großen Sache dran ist, etwas mit Drogen, und dass er seinen Computer schützen muss, damit ihn niemand ausspionieren kann.“

„Und hast du den Auftrag angenommen?“

„Ja, letztlich schon. Eigentlich hab ich nicht wollen, weil bei dem Anton war das meiste nur heiße Luft, aber er hat mir auch ein bissel leidgetan und mich so lang bekniet, bis ich nachgeben hab. Wir haben uns dann bei ihm getroffen und ich hab mir seinen PC flüchtig angeschaut. Das Sicherheitsniveau insgesamt war katastrophal, aber er hat gemeint, dass er bei seiner aktuellen Recherche durch eine geniale Verschlüsselung seines wichtigsten Dokuments trotzdem geschützt ist. Ich hab nachgefragt, ob die Verschlüsselung wirklich so gut ist, weil einfache Schlüssel halt sehr leicht geknackt werden. Er hat gelacht und hat gesagt, er hätte eine perfekte Verschlüsselung gefunden. Ich hab diesbezüglich natürlich große Zweifel gehabt, weil technisch war er ja nicht so ganz auf der Höhe. Das hat er mir wohl auch angesehen. Er hat mir dann das Ganze erklärt. Der verschlüsselte Text hat nur zur Ablenkung von eventuellen Hackern gedient. Er war angeblich reiner Nonsens, eine willkürliche Aneinanderreihung von Zeichen, ohne jede Bedeutung.“

„Aber warum wollte er dann überhaupt einen Schutz für seinen PC, wenn dieses vermeintliche Dokument ohnehin nicht zu entschlüsseln ist?“

„Da ist es ihm eher um seinen elektronischen Kalender gegangen, damit niemand sieht, wann er sich wo und mit wem trifft, und natürlich auch um seine E-Mails. Die wirklich brisante Information in seiner derzeitigen Recherche hätte er gar nicht verschlüsselt, sondern außerhalb seiner Wohnung versteckt, in einem Zwischenlager, wie er gesagt hat. Da stehen Namen drin, im Klartext, hat er gesagt. Das ist eine Bombe. Das Versteck hat angeblich mit seinem Sternzeichen was zu tun. Mehr wollt er mir aber nicht dazu sagen. Es wär besser für mich, wenn ich nichts darüber wüsste. Er hätte vor, das Dokument mit der Information möglichst bald aus dem Versteck zu holen und bis zum Abschluss seiner Recherchen bei einem Anwalt zu hinterlegen, damit es veröffentlicht wird, für den Fall, dass ihm etwas zustoßen sollte. Während meiner Arbeit hat er erwähnt, dass die Sache, an der er dran ist, vor allem deshalb so heikel ist, weil dabei auch jemand von der Polizei die Finger im Spiel hat. Der Anton hat behauptet, er hätte über einen Informanten, einen gewissen Reinhard Pritzler, herausgefunden, dass Drogen, die von der Polizei beschlagnahmt wurden und später vernichtet werden sollten, wieder in Umlauf gebracht werden.“

„Hm. Hat er außer Pritzler sonst noch Namen genannt?“

„Nein.“

„Und du hast dann auf eigene Faust noch ein bissel recherchiert?“

Sie blickte kurz auf und lachte entwaffnet. „Ja, hab ich. Kennst mich eh.“

„Warst vorsichtig? Das kann heikel sein.“

„Ja, klar. Ich bin ganz sicher, dass ich keine Spuren hinterlassen hab.“

„Und hast du irgendwas Interessantes gefunden?“

„Auf seinem PC nicht. Ich hab aber auf seinem Schreibtisch einen handgeschriebenen Zettel gesehen, auf dem ganz oben Info Pritzler gestanden ist. Darauf war ein Dreieck gezeichnet, mit X, Y und Z als Eckpunkten. Bei jedem der drei Buchstaben war ein kurzer Text und in der Mitte eine komische Zeichnung, die ich nicht verstanden hab.“

„Gut, dass es von diesem Zettel eine Kopie gibt.“

Sie drohte ihm lachend mit dem Finger. „Du kennst mich wirklich in- und auswendig. Du hast natürlich recht. Der Zettel ist mir im Zusammenhang mit seiner Geschichte interessant vorgekommen. Ich hab den Anton also um einen Espresso gebeten, er ist in die Küche gegangen und ich hab inzwischen ein Foto von der Zeichnung gemacht.“

„Könntest du mir einen Ausdruck davon machen?“

„Ja, klar.“ Sie verband ihr Mobiltelefon mit seinem Laptop. Nach wenigen Augenblicken lag das Blatt vor ihm, das er später noch gründlich unter die Lupe nehmen würde.

„Vielen Dank. Hast du vielleicht etwas im Zusammenhang mit seinem Sternzeichen gefunden?“

„Ja, schon. Er hat sich ungefähr zwei Monate vor unserem Treffen ein Horoskop machen lassen, richtig aufwendig, mit allem Drum und Dran. Sein Sternzeichen sind die Fische. Er hat das auch bei unserem Gespräch erwähnt, er sei im Zeichen der Fische geboren. Oder eigentlich im Zeichen der Raubfische, wie er gesagt hat. Auf meine Frage, wie er das meint, hat er nur gelacht. Wahrscheinlich hat er sich als Journalist wie ein Hecht im Karpfenteich gefühlt oder so was Ähnliches. Von dem Horoskop hat er auch noch erzählt, dass ihm schon bald ein ganz großer Schritt vorwärts bevorsteht, was sicher mit der von ihm geplanten großen Enthüllung zusammenhängt.“

„Das klingt eigentlich alles ziemlich harmlos.“

Sonja nickte bestätigend.

„Wie ist er so seinem Wesen nach?“

„Sehr zerfahren und sprunghaft. Er kommt oft vom Hundertsten ins Tausendste. Eine einzige Sache gibt es, bei der er immer schon ziemlich gut und kompetent war, auch in der Schule, und zwar Schachspielen. Auch beim normalen Reden hat er schon früher immer wieder Schachausdrücke verwendet. Bei unserem Gespräch hat er zum Beispiel gesagt, dass beim Endspiel die Türme wichtig werden. Zweimal hat er mir das gesagt, ohne jeden Zusammenhang, aber er war merkwürdig eindrücklich dabei.“

 

„Und obwohl das alles etwas seltsam, aber eigentlich harmlos ist, bist du trotzdem beunruhigt.“

„Irgendwie schon. Das ist nur so ein Gefühl. Da sind zwei Sachen, die mich irritieren. Das eine ist nur eine Kleinigkeit – er hat alle seine Termine, also auch den mit mir, in Klartext in seinem Kalender eingetragen. Wenn ihn also tatsächlich jemand bereits ausspioniert haben sollte, dann weiß der, dass ich involviert bin. Das muss nichts bedeuten, aber es ist doch irgendwie unangenehm. Und das zweite ist wirklich seltsam. Der Anton Zargl ist verschwunden.“

„Wie meinst du das – verschwunden?“

„Ich hab vor zwei Tagen das letzte Mal Kontakt mit ihm gehabt und wollt ihn gestern anrufen. Er hat nicht abgehoben. Per E-Mail hab ich ihn auch nicht erreicht.“

Für sich genommen war das nicht ungewöhnlich, aber in Verbindung mit Sonjas Gefühl doch. Sie hatte ein unglaublich feines Sensorium, das ihr offensichtlich eine Warnung zugeschickt hatte, und das nahm Rumpler ernst. „Hat er irgendwas erwähnt, was er für die nächste Zeit vorhat?“

„Ja, er hat gesagt, dass er dringend einen Ausgleich für seine Arbeit braucht und endlich wieder einmal hinaus ins Freie muss, wandern gehen. In einer Mail hat er mir dann noch geschrieben, dass er auf die Rax geht, den Weg über Teufels Badstuben.“

Die Rax ist ein besonders bei den Wienern beliebtes Ausflugsziel, mit nicht zu langer Anfahrt und spektakulären, schroffen Felsformationen. Es gibt dort einige schöne Wanderwege und leichte Klettersteige, die aber nicht ganz ungefährlich sind. Rumpler kannte den Weg über Teufels Badstuben noch aus seiner Jugendzeit, als er selbst viele Wanderungen und Touren unternommen hatte.

„Kennst du wen, der mit ihm näheren Kontakt hat?“

„Nein, nicht wirklich. Ich glaub, er hat allein gelebt.“

Sonja sprach plötzlich nicht weiter und zuckte unwillkürlich mit den Schultern, als wollte sie etwas abschütteln.

„Ich hab das grad so formuliert, als wär ihm etwas zugestoßen und dabei hab ich überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür.“ Wesentlich leiser fuhr sie fort: „Ich weiß, das muss jetzt verrückt für dich klingen, aber ich fürcht, er ist tot.“

„Das sollt sich rasch klären lassen. Es kommt nicht so oft vor, dass jemand spurlos verschwindet.“

„Wahrscheinlich ist ja auch gar nichts dahinter und ich bild mir nur was ein.“

„Schau ma mal.“

Rumpler ließ sich von ihr auf seinem Laptop einige Fotos des Verschwundenen ausdrucken. Sie zeigten einen Mann von etwa vierzig Jahren mit dunklem, wirrem Haar. Das Gesicht wirkte zerfahren, von einer inneren Unruhe durchdrungen.

„Ich werd den Alois Moser fragen, ob er dazu was weiß. Ich meld mich bei dir, sobald ich etwas herausgefunden hab.“

„Super. Danke für den herrlichen Salat. Das ist eine tolle Mischung, die Oliven mit den Granatapfelkernen. Muss ich mir merken.“

„Ich mag ihn auch sehr gern. Pass gut auf dich auf, Sonja.“

„Ich bin eh vorsichtig. Und danke für deine Hilfe. Übrigens – was ist das für ein komischer Anschlag bei euch unten am Schwarzen Brett? Wird euer Haus renoviert?“

„Ich fürchte, ja. Die bisherigen Eigentümer waren so angenehme Hausherren, schon ältere Herrschaften, und ich hab geglaubt, die hätten eigentlich nie einen Hausverkauf vorgehabt. Vielleicht ist ihnen die Arbeit mit dem Haus einfach zu viel geworden. Jetzt ist da leider nichts mehr zu machen und es soll alles renoviert werden. Unser alter Aufzug ist ja schon seit Jahren stillgelegt und jetzt soll in den Schacht auch noch ein neuer Aufzug eingebaut werden.“

„Aber das wird ja schrecklich für dich, mit dem Krach und dem Schmutz!“

„Das ist leider wahr. Ich schau mich eh schon nach einer Überbrückungsmöglichkeit um.“

„Ich halt dir die Daumen, dass du was Passendes findest.“ Nach der Verabschiedung drehte sie sich noch einmal kurz um. „Noch was hätt ich fast vergessen. Sag bitte Alma möglichst nichts von der ganzen Geschichte mit dem Anton Zargl, sonst macht sie sich nur unnötig Sorgen.“

Rumpler seufzte. „Das wird nicht einfach, aber ich versuchs.“

*

5.

Als Sonja gegangen war, dachte er kurz über ihren Wunsch nach, ihre Mutter Alma nicht zu informieren. Schwierig. Alma hatte ein mindestens ebenso feines Sensorium wie Sonja und es erschien Rumpler schier unmöglich, auf längere Sicht etwas Relevantes vor ihr geheim zu halten. Egal. Er hatte es Sonja versprochen und er würde es wenigstens versuchen. Einem plötzlichen Impuls folgend, trat er rasch ans Fenster und beobachtete, wie sie über die Straße zu ihrem winzigen Auto ging. Er entdeckte aber weder irgendwelche Verfolger noch sonst etwas Auffälliges. Während er mit der Linken Rosamunde sanft hinter den Ohren kraulte, rief er seinen Ex-Kollegen und Freund Alois Moser an, einen sehr erfahrenen Kriminalisten, der wenige Jahre vor seiner Pension stand.

Sein Anruf wurde in der Sekunde beantwortet. „Moser.“

„Hallo Stinker.“

Moser war weit davon entfernt, sich über die respektlose Anrede zu empören. Als ehemaliger Kettenraucher hatte er diesen Spitznamen von seinen Kollegen bekommen und sich mit der Zeit, auch in den späteren Jahren als strikter Nichtraucher, so an ihn gewöhnt, dass es ihm völlig normal erschien, so angesprochen zu werden.

„Hallo Hans. Wie geht’s dir?“

„Danke, ausgezeichnet. Und dir?“

„Na ja. Die Gitti hat sich vor zwei Monaten von mir getrennt. Es war ihr halt doch zu viel.“

Rumpler wusste ziemlich genau, welches zu viel Moser meinte, jene für die Angehörigen von Kriminalisten so schwierige Gemengelage aus völlig unregelmäßigen Dienstzeiten, zum Teil schwerstem Stress und oft gar nicht Aussprechbarem.

„Tut mir leid.“

„Geht schon wieder. Hat ja auch sein Gutes, das Alleinsein.“

Rumpler, der noch immer sein unerwartetes Glück mit Alma in vollen Zügen genoss, wollte das nicht näher kommentieren. „Ich hätt eine Frage, Stinker. Habts ihr vielleicht einen Verunglückten im Raxgebiet?“

Mosers Reaktion fiel heftig aus. „Woher weißt jetzt das schon wieder?“, stieß er hervor.

„Ich weiß gar nichts. Ich hab nur ein paar lose Anhaltspunkte.“

„Hm. Du und deine Anhaltspunkte. Also gut. Ja, gestern Abend ist dort ein Toter gefunden worden. Er dürft ein Stück oberhalb von einer Stelle, die Teufels Badstuben heißt, abgestürzt sein. Anzeichen für Fremdverschulden gibt es keine, wir haben die Meldung nur routinemäßig von den Kollegen gekriegt. Papiere hat er keine dabei ghabt, das Handy ist beschädigt und wird derzeit noch bearbeitet. Drum ist er noch nicht identifiziert, aber das kann nicht mehr lang dauern. Gemeldet hat sich bisher niemand, dem er abgeht.“

„Stinker, du hast sicher WhatsApp auf deinem Handy.“

„Hab ich.“

„Ich schick dir jetzt ein paar Bilder und du kannst schauen, ob das euer Mann ist.“

„Ok. Ich ruf dich gleich zurück.“

Rumpler schickte ihm zwei der Fotos, die ihm Sonja von Anton Zargl zur Verfügung gestellt hatte.

Zwei Minuten später rief ihn Moser an. Fassungslos. „Was ist das schon wieder für eine verfluchte Geschichte, Hans? Das ist unser Mann.“

„Ich mag nicht am Telefon drüber reden. Hast Zeit fürs Café Rathaus?“

„Ja, klar. Kannst in einer guten Stunde da sein? Ich muss vorher noch ein bissel was erledigen.“

„Kein Problem. Bis bald, Stinker.“

Rumpler räumte rasch das schmutzige Geschirr in den Geschirrspüler, versorgte Rosamunde mit einer kleinen Portion Trockenfutter, um ihr die Wartezeit zu verkürzen, und packte alle Unterlagen, die ihm Sonja zu Anton Zargl übergeben hatte, in eine Tasche. In seiner Aktivzeit war das Café Rathaus für Rumpler so etwas wie ein zweites Büro gewesen, das er besonders in schwierigen Situationen gerne und oft aufgesucht hatte, vor allem, wenn er das Gefühl gehabt hatte, in einem Fall stecken zu bleiben. „Schwimmen in Honig“, hatte Moser diesen Zustand früher genannt und Rumpler hatte wie schon so oft über die Treffsicherheit der Moserschen Formulierungen gestaunt, zumal dieser durchaus kein besonders belesener Mensch und auch kein Intellektueller war. Oder zumindest auf gar keinen Fall einer sein wollte.

Als er im Café Rathaus eintraf, war Moser bereits da. Der Stammplatz, den sie früher meistens benutzt hatten, war zu Rumplers Bedauern leider besetzt, aber immerhin hatten sie einen Tisch in einer der stark nachgefragten Fensternischen gefunden. Das Begrüßungsritual war ihm noch immer völlig vertraut, obwohl er Moser über ein halbes Jahr lang nicht getroffen hatte.

„Servus Stinker.“

„Servus Hans. Bevor du mir was erzählst, müssen wir bestellen. Auf nüchternen Magen halt ich das sonst nicht aus.“

Rumpler stimmte ihm zu. Während er eine Melange und ein Paar Sacherwürstel bestellte, nahm Moser neben einem doppelten Espresso noch eine Eierspeise von drei Eiern samt einer doppelten Portion Schinken. Zumindest hatte sich die Trennung von seiner Lebensgefährtin ihm nicht auf den Magen geschlagen. Ganz im Gegenteil, dachte Rumpler, während er kurz auf Mosers eindrucksvollen Bauch blickte, der das wie gewohnt zugeknöpfte Sakko straff gespannt hielt.

Moser hatte Rumplers Blick und Gedanken sofort verstanden. Er klopfte mit seiner Hand auf den Bauch. „Jetzt brauch ich wenigstens nimmer Diät halten. Ich hab den Grüntee und das Saftzeugs eh kaum mehr ausghalten. Hat alles auch sein Gutes.“

Für Rumpler war hinter Mosers Fröhlichkeit der Schmerz über die Trennung noch deutlich zu spüren.

Als der Kellner den Herren das Gewünschte gebracht hatte, widmeten sie sich ihrer Mahlzeit. Moser aß hastig. Die Ungeduld war ihm deutlich anzumerken.

Nachdem er in Windeseile seine Eierspeise samt Schinken gegessen hatte, kam er gleich zur Sache, während Rumpler noch mit seinem ersten Würstel beschäftigt war. „So. Und jetzt erzähl mir bitte, wie du in Dreiteufels Namen auf den Anton Zargl gestoßen bist.“

„Das hab ich von der Sonja.“

Moser blickte überrascht auf. Er kannte Sonja, die mit seiner Tochter Anna befreundet war, schon seit ihren Kindertagen. „Von der Sonja? Und wo hats die her?“

„Du weißt ja sicher von der Anna, Sonja hat mit ihrem Mann Max eine Firma für IT-Sicherheitsfragen. Der Anton Zargl war ein Schulkollege von ihr. Sie ist von ihm vor ein paar Tagen kontaktiert worden. Er war so eine Art selbst ernannter Enthüllungsjournalist und hat Sonja gegenüber behauptet, er wär an einer ganz großen Sache dran, etwas mit Drogen, die von der Polizei beschlagnahmt und dann wieder illegal in Umlauf gebracht werden, und bräuchte daher für seine Daten einen ganz besonderen Schutz. Sie hat das für eine Übertreibung gehalten, weil er schon in der Schule sehr oft behauptet hat, er hätte weiß Gott was entdeckt und dann war nichts dahinter. Er hat aber insistiert, dass er Hilfe braucht, und sie hat schließlich den Auftrag angenommen. Als sie ihn dann vorgestern nicht erreicht hat, hat sie so ein komisches Gefühl gehabt und mich kontaktiert. Aus einer Mail von ihm hat sie gewusst, dass er eine Wanderung im Raxgebiet vorhat und so bin ich zu dir gekommen.“

„Das ist ja eine komische Geschichte. Ich glaub, wir machen jetzt einmal unsere Hausaufgaben und sobald ich was hab, ruf ich dich an und wir setzen uns zusammen.“

„Bestens. Legts aber bitte die Untersuchungen sicherheitshalber so an, dass es keinen Verdacht auf Fremdverschulden gibt. Falls nämlich doch was dran sein sollte, dann hat vielleicht auch jemand von der Polizei die Finger im Spiel und das wär dann ganz heikel.“

„Ok. Ich glaub eigentlich, das ist alles nur heiße Luft, aber wenn du meinst …“

„Danke, Stinker. Die Sonja hat noch erwähnt, dass sie auf dem Schreibtisch vom Zargl einen Zettel mit einem gezeichneten Dreieck und etwas Text gesehen hat, der ihr interessant vorgekommen ist. Kannst du wen in die Wohnung schicken und den Zettel holen lassen?“

„Das wird kein Problem sein. Ich sags dir, wenn ich ihn hab.“

„Bestens. Seid ihr mit dem Handy vom Zargl schon weitergekommen?“

 

„Ja. Es war zwar vom Sturz beschädigt, drum hat das Ganze ein bissel gedauert, aber die Kollegen haben es trotzdem auswerten können. Es waren ein paar Fotos drauf, die er noch auf der Wanderung gemacht hat, weißt eh, nur Blumen und solche Sachen, nichts Brauchbares. Von den Zeitpunkten der Fotos her wissen wir, dass er um elf Uhr vier noch gelebt haben muss. Wann er dann gestorben ist, wissen wir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, aber es wird sicher nicht sehr viel später gewesen sein, weil das letzte Foto zeigt ein Bild von der Absturzstelle, das wir örtlich genau zugeordnet haben. Wir wissen natürlich nicht, wie lang er sich dort aufgehalten hat.“

„Kannst mir die Fotos per E-Mail schicken?“

„Geht nicht. Nicht mehr. Unsere E-Mails werden intern sehr oft kontrolliert. Aber papieren kannst du die Fotos natürlich haben. Ich hab dir einen Satz Kopien mitbracht.“ Er öffnete seine Aktentasche und übergab Rumpler eine dünne Mappe.

„Danke Stinker.“

„Die Sonja muss ich ja dann auch noch befragen, aber halt nur informell. Ich seh sie eh morgen, weil da besucht sie die Anna. Ich halt dich am Laufenden, Hans, falls sich irgendwas Interessantes ergibt. Ich glaub aber nicht. Auf den ersten Blick gibt’s überhaupt keinen Hinweis für ein Fremdverschulden. Aber weißt ja eh, grad in die Berg’ is so was immer schwierig, speziell wenns keine Zeugen gibt.“

„Ist schon klar. Schau ma mal.“