Die Akademisierungsfalle

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Länder in der
Akademisierungsfalle

Der missverstandene Trend zur «Wissensgesellschaft»

Seit Jahren erleben wir einen dramatischen Niedergang der Industrie in Südeuropa, aber auch in den alten Industrienationen Frankreich und Grossbritannien. Die Folge davon sind Arbeitslosenquoten bei Erwachsenen von über 10 Prozent und Jugendarbeitslosenquoten von weit über ­20 Prozent (► Grafiken 1.1, 1.2 und 1.3).

Die Europäischen Behörden reagierten zwar auf die Finanz- und Schuldenkrise unter der Führung der Europäischen Zentralbank EZB rasch, entschlossen und zumindest kurzfristig auch erfolgreich. Mit der strukturellen Arbeitslosigkeit und dem Drama der Jugendarbeitslosigkeit hingegen geht die Europäische Kommission hilflos um und reaktiviert bloss traditionelle Beschwörungsformeln für mehr Wachstum. Immerhin hat sie fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise auch das Problem der arbeitslosen Jugendlichen auf die Prioritätenliste gesetzt.1

Die wirtschaftspolitischen Konsequenzen dieses langfristigen Trends des industriellen Abbaus, der lange vor der Finanzkrise in aller Stille abgelaufen ist, sind dramatische Handelsbilanzdefizite. Die lateinischen und angelsächsischen Länder mit ihrer industriellen Schwäche konsumieren mehr, als sie selber produzieren, importieren mehr Waren, als sie exportieren, und leben auf Pump durch Kapitalzuflüsse aus dem Ausland. Dies ist auch die langfristige Fundamentalursache ihrer Verschuldungssituation.

Arbeitsmarktfähigkeit in der Ausbildung ist entscheidend

Liberale Ökonomen erklären die hohen Arbeitslosenquoten in Frankreich, Spanien, Portugal, Italien und Griechenland mit dem hohen Arbeitnehmerschutz, der die Arbeitsplätze den älteren Beschäftigten reserviert und den Jungen den Zugang verwehrt. Es brauche, so die Main­stream-Auffassung, mehr liberalisierte Arbeitsmärkte und mehr Mobilität.

Diese Erklärung ist einseitig, wenn nicht sogar falsch. Entscheidend für die Jugendarbeitslosigkeit ist in erster Linie die mangelnde Arbeitsmarktfähigkeit und die nicht arbeitsmarktorientierte Ausbildung. Der Liberalisierungsgrad des Arbeitsmarktes ist zweitrangig und in der Wirkung nicht klar: Grossbritannien zum Beispiel hat einen extrem deregulierten Arbeitsmarkt mit schwachem Kündigungsschutz – und kennt dennoch hohe Arbeitslosenquoten. Umgekehrt haben skandinavische High-Tech-Länder wie Finnland und Schweden einen ausgebauten Kündigungs- und Sozialschutz und weisen dennoch hohe Jugendarbeitslosenquoten auf, weil ein Berufsbildungssystem fehlt.

Entscheidend für das Niveau der Arbeitslosigkeit sind – wir haben es in Kapitel 1 bereits dargestellt – zwei Faktoren in diesen Ländern:

•Erstens die Arbeitsmarktfähigkeit (Employability) der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – vor allem auch der jungen Arbeits­kräfte. Und diese hängt vom System der Arbeitsmarktintegration ab, also von der Arbeitsmarktnähe der Ausbildung. Die duale Berufslehre ist bezüglich Arbeitsmarktbefähigung eindeutig überlegen.

•Zweitens die internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft. Diese ist von der Arbeitsproduktivität abhängig. Arbeitsproduktivität ist die Arbeitsleistung und Arbeitseffizienz pro Stunde und wird gemessen mit der Wertschöpfung pro Arbeitsstunde (resp. der Wertschöpfung pro vollzeitäquivalenten Beschäftigten in einem Jahr). Bessere Ausbildung und höhere Arbeitsqualität bringen qualitativ bessere, teurere Produkte hervor und erhöhen somit die Produktivität. Indirekt wird also auch dieser zweite Faktor, die internationale Konkurrenzfähigkeit, von der Qualitätsarbeit und der Ausbildung beeinflusst. In den lateinischen Ländern mit ihren arbeitsmarktfernen Bildungssystemen fehlt die indus­trielle Performance.

Mangelnde industrielle Berufsqualifikation führt zum industriellen ­Niedergang

Italien ist ein typisches Land mit einem ausgebauten, vollschulischen Bildungssystem. Die Quote der Jugendlichen mit maturitätsähnlichem Abschluss (Hochschulzutrittsquote) beträgt 74 Prozent2. Aber Italien kennt keine formalisierte Berufslehre mit einem staatlich anerkannten Abschluss. Die Folge: «Das Handwerk blieb ohne Nachwuchskräfte. Friseure, Tischler und Maler arbeiten in Ermangelung jüngerer Kollegen oftmals noch, wenn sie schon über 70 sind. Staatliche Lehrlingsförderprogramme gab es bisher nicht. Es wurde einfach noch so getan, als funktioniere Italien noch so wie in den 1950er-Jahren, als Handwerksbetriebe vom Vater auf den Sohn übergingen.»3 Wer den Hochschulabschluss nicht schafft, fällt zwischen Stuhl und Bank. Und von den Hochschulabsolventen sind viele arbeitslos oder arbeiten in Jobs, die nicht ihrer Hochschulbildung entsprechen.

In Frankreich, der ehemals starken Industrienation Europas, erleben wir einen dramatischen Niedergang der französischen Industrie. Der Gallois-Bericht von 2012 hat dies den Franzosen dramatisch vor Augen geführt.4 Bloss noch 11 Prozent aller Beschäftigten sind in der industriellen Produktion verblieben, in der Schweiz sind es doppelt so viele. Während Deutschlands Industrie einen Anteil von 26 Prozent an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung beiträgt, erwirtschaftet die französische Industrie mit 12 Prozent weniger als die Hälfte davon.5 «Die Kluft zu Deutschland, wo, anders als in Frankreich, auch Klein- und Mittelbetriebe für Exportdynamik sorgen und darüber hinaus ein duales Ausbildungssystem für Jugendliche Einstiegsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt bietet, verbreitert sich.»6 Frankreich hat eine Baccalauréat-Quote von 51 Prozent,7 ein elitäres Bildungssystem und eine auffallende Geringschätzung der handwerklichen und praktischen Qualifikationen. Wer nicht einen Hochschulabschluss vorweist, hat kaum Karrierechancen. Frankreich sitzt in der Akademisierungsfalle und bezahlt dies mit einem dramatischen Niedergang der Industrie und einem wachsenden Rückstand zum deutschen Produktivitätsniveau.

Dramatisch rasch ist die Desindustrialisierung in Griechenland, Spanien, Portugal verlaufen. In Griechenland gab es noch in den 1980er-Jahren fast auf jeder Insel eine gewerblich-industrielle lokale Produktion. Textil, Bekleidung, Leder, Schuhe, Möbel, Hausgeräte wurden in lokalen handwerklichen Betrieben hergestellt, auf relativ einfachem Technologieniveau zwar, aber sie generierte Wertschöpfung und Beschäftigung vor Ort. Diese Betriebe sind durch die asiatischen Billigimporte, erleichtert durch die hohe Euro-Kaufkraft des Landes, ersatzlos verdrängt worden.

Ostasien verdrängte die traditionellen Industrien Europas

Italien, Spanien, Portugal waren während Jahrzehnten die wichtigsten Textilproduzenten Europas, Exporteure von Bekleidung, Schuhen, Lederartikeln und Haushaltsgeräten. Doch in nur zwei Jahrzehnten sind diese Industriezweige weitgehend verschwunden – verdrängt durch asiatische Importprodukte. Mit der hohen Kaufkraft, die nach 2000 der Euro als Einheitswährung den Südeuropäern verlieh, konnten sie preisgünstig Kleider, Schuhe, Haushaltselektronik, Massenkonsumgüter aus Ostasien beziehen; zunächst aus den Philippinen, Taiwan, Südkorea, heute aus China, Indien und Bangladesch – und morgen wohl aus Vietnam und Burma zu noch tieferen Arbeitskosten. Was bemerkenswert ist: Die traditionellen Indus­trien in Italien, Spanien und Portugal konnten sich nicht durch Quali­tätsverbesserung und Spezialitätenproduktion nach oben anpassen. Sie­ ­wurden durch die Importkonkurrenz verdrängt und sind gänzlich verschwunden.

Wenn wir allein Chinas Exporte von verarbeiteten Industrieprodukten (meist Massenkonsumgütern) nach Europa in Rechnung stellen und das ungefähre Arbeitsvolumen der Fabrikation berücksichtigen, hat es durch seine Exportexpansion mindestens 26 Millionen Industriearbeitsplätze in Europa verdrängt resp. vernichtet.8 Wenn man tiefere Arbeitskosten in China zugrunde legt, sind es sogar bis 40 Millionen Arbeitsplätze.

Freilich hat China auch seine Importe massiv ausgedehnt, aber davon profitieren fast ausschliesslich die High-Tech-Länder mit ihren Investi­tionsgüterexporten, wie etwa die Schweiz, Deutschland, Österreich, ­die Niederlande und die skandinavischen Länder: Sie exportieren ­Tex­tilmaschinen, Trikotautomaten, elektrische High-Tech-Installationen, Roboter, Automaten, Messgeräte, Medizinaltechnik und Hoch­preisuhren. Südeuropa, aber auch (ehemalige) Industrienationen wie Frankreich und Gross­britannien, sind hingegen mit ihren In­dustrieprodukten mangels Qualität und Spezialität ins Hintertreffen geraten – bedingt durch Mängel an Innovationen, an Qualität und Präzision ihrer Industrien. Diese Mängel stehen in direktem Zusammenhang zu der fehlenden Arbeitsqualität, der nachhinkenden Innovation und indirekt eben auch zu der fehlenden High-Tech-Kompetenz ihrer traditionellen Industriearbeiterschaft.

Auch die Vereinigten Staaten (USA) erlebten und erleben eine dramatische Desindustrialisierung. Die industrielle Produktion wurde jahrelang ausgelagert und auf amerikanischem Boden vernachlässigt.

Trotz Studium in der Sackgasse


«Wir jungen Griechen sind nicht faul. Unser ­politisches System, unsere Regierung und die etablierten Parteien machen uns kaputt», klagt der 25-jährige Michalis Melianos, der an der Universität Athen Politikwissenschaft studiert. «Wir möchten ja arbeiten, studieren und unserem Land dienen, aber man lässt uns nicht.»

 

Deshalb will Melianos nur eines: So rasch wie möglich auswandern. In Griechenland sieht er für sich keine berufliche Perspektive. Denn zu viele seiner Kollegen, Uni-Abgänger auch sie, sind arbeitslos. «In Griechenland leben und gleichzeitig gute Zukunftsaussichten haben – diese beiden Dinge schliessen sich im Moment leider gegenseitig aus», sagt er. Melianos Wunschland ist Norwegen, allenfalls die Schweiz. Diese Länder seien reich, tolerant und vor allem keine EU-Mitglieder.

Melianos stammt aus einer Fischerfamilie der kleinen Dodekanes-Insel Lipsi, einer Randregion im Osten Griechenlands. Er ist der erste und einzige in seiner Familie und einer der wenigen im Dorf, die es überhaupt an eine Universität geschafft haben. Als Sohn einer armen und ungebildeten Familie musste er sich aus eigener Kraft und mit viel Fleiss durch die Mittelschule (Lykeio) und durch die Universitätszulassungsprüfung kämpfen. Private Nachhilfestunden, die die Söhne und Töchter aus reichem Hause regelmässig geniessen, gab es für ihn nicht. «Von meiner Familie erhielt ich zwar wenig Geld, aber sie haben mich immer moralisch unterstützt und mich in meinen Plänen bestärkt.»

Nach dem Gymnasium studierte Michalis Melianos zunächst während anderthalb Jahren historische Archäologie an der Universität Thessaloniki. Danach wechselte er in die Politikwissenschaft an der Universität Athen. Damit rechnete er sich konkrete Aufstiegschancen aus. Denn er wusste, dass sich für viele Oberschichtkinder mit diesem Studium die Türe zu einer Berufskarriere beim Staat öffnete. «Ich habe von einer Karriere als griechischer Diplomat oder als Beamter im Aussenministerium geträumt.»

Doch dann brach die Wirtschaftskrise aus – und mit ihr zerplatzten die Zukunftsträume des intelligenten, jungen Griechen. Seit nunmehr acht Monaten wartet er wie Hunderte andere griechische Studentinnen und Studenten darauf, endlich sein Bachelor-Examen in politischer Wissenschaft und Verwaltungswissenschaften mit Schwerpunkt internationale Beziehungen abschliessen zu können. Doch immer wieder legen Streiks, von der obersten Uni-Leitung als Protest gegen das Sparprogramm der Regierung proklamiert, den Unibetrieb lahm. Vorlesungen fallen aus, ­Prüfungen werden nicht abgehalten, Professoren bleiben zu Hause. Der Grund: Die Regierung hatte von der Universität Athen verlangt, 1350 Stellen in der aufgeblähten Uni-Verwaltung zu streichen. Doch die Bürokratie verteidigt sich mit Verweigerung – zum Schaden der Studierenden.

Hätte es für Michalis Melianos eine Alterna­tive zum Studieren gegeben? Er zuckt mit den Schultern. Eine wirkliche Alternative fällt ihm nicht ein. Kein Wunder, ein Berufsbildungssystem gibt es in Griechenland nicht. Sein jüngerer Bruder hat während zwei Jahren in einer privaten Schule Koch gelernt, was die Familie 6000 Euro gekostet hat – sehr viel Geld für eine arme Familie in Lipsi. Dieser hat aber nun mit dieser Ausbildung Aussichten, nach dem neunmonatigen Militärdienst einen Hoteljob zu erhalten. Der Koch ist derzeit chancenreicher als sein studierter Bruder.

Solches zermürbt. Aus Protest gegen die etablierten Parteien wählt Michalis Meliano nun die linksradikale Siriza-Partei. Aber eigentlich schwebt ihm ein sozial-liberales Griechenland nach dem Vorbild der skandinavischen Staaten vor. Die Sparpolitik der Troika hält er für verfehlt und zerstörerisch, seine Regierung für korrupt und unfähig.

Michalis Melianos versucht dennoch vorwärts zu blicken. Im Moment arbeitet er gelegentlich als Barkeeper für 3.50 Euro die Stunde. Nach dem Bachelor-Examen möchte er ein Masterstudium in Wirtschaft und Business anhängen. «Damit habe ich die besseren Berufschancen», ist er überzeugt. Denn das ist inzwischen das einzige Ziel: einen Job finden und Geld verdienen. Die hochfliegenden Pläne von früher sind verflogen.

Die industriell-handwerkliche Ausbildung war in den Vereinigten Staaten chancenlos, nur High Schools und Universities waren hoffähig. «Nur wenige Amerikaner können sich unter einer Berufslehre etwas vorstellen», schreibt eine Korrespondentin aus den USA.9 Hier machen die Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie nur noch acht Prozent aus. Sie sind dort verblieben, wo die Fabrikation noch konkurrenzfähig ist, vor allem in den (teilweise geschützten) Bereichen von Rüstungsgütern, High-Tech-Anlagen, Grosscomputern, Grossflugzeugen und in der (subventionierten) Autoproduktion.

Doch auch die USA erleben seit zwei Jahrzehnten einen Importboom von asiatischen Fabrikaten, anfänglich von Textilien, Schuhen, Spielzeugen und Haushaltsgeräten, dann von Haushaltselektronik und immer mehr auch von Automobilen asiatischer Produktion. Bedingt durch diese Trends der Desindustrialisierung – im anklagenden Jargon der Amerikaner ist dies eine «Industrievernichtung durch China» – entstand eine starke protektionistische Bewegung gegen den Freihandel. Die amerikanische Regierung steht unter ständigem Druck protektionistischer Forderungen seitens der Globalisierungsverlierer im eigenen Land. Erst in jüngster Zeit ist in der amerikanischen Wirtschaftspolitik eine Debatte über die Revitalisierung der amerikanischen Industrie entstanden; wir kommen später in diesem Kapitel darauf zurück.

Ausweichen auf Höherqualifizierung und Spezialisierung

Den Trend in Richtung Desindustrialisierung erleben auch die Schweiz, Deutschland, Österreich und die Länder Skandinaviens. Auch hier ist die Produktion von Massenkonsumgütern verdrängt worden – ähnlich wie in Südeuropa und zeitlich sogar noch früher. Man denke etwa an den praktisch vollständigen Niedergang der Schwerindustrie Deutschlands und Österreichs. Die Kohleminen, Hochöfen und Stahlkocher sind bis auf wenige Spezialitätenproduzenten oder subventionierte Betriebe verschwunden.

Doch hier, in den Berufsbildungsländern, wurden weniger Menschen aus dem Produktionsprozess hinausgedrängt, denn sie konnten umgeschult oder besser und anders qualifiziert werden. Mit technologisch angepassten Fähigkeiten und verbesserten Produktionstechnologien wurden viele Arbeitnehmer in kompetitive Nischen der industriellen Fertigung oder in wissensbasierte Dienstleistungsbranchen verschoben. In der Langzeitarbeitslosigkeit verharrten vor allem jene mit niederschwelligen Berufsqualifikationen.

Von allen Faktoren sind im technologischen Wandel die Arbeitsqualifikation und die rasche Weiterbildungsfähigkeit matchentscheidend. Selbstverständlich braucht es Ingenieure, Innovatoren, Erfinder, aber ohne die rasche Anpassung der industriellen Anwendungsmethoden (der Skills) in Richtung Präzision, Spezialitäten und High Tech erlangen die Innovationen nicht rechtzeitig Prozessreife. Beleg für diese anders laufende Entwicklung ist die hohe Exportkraft der Länder mit einem starken Berufs­bildungssystem: Trotz höherer Löhne und Preise können sie mehr exportieren, als sie importieren.

Konkurrenzfähigkeit mit High-Tech-Produktion

Die traditionelle Lehrbuchdoktrin besagt, Länder und Industrien würden sich dann auf dem Weltmarkt durchsetzen, wenn sie ihre Produkte billiger anbieten respektive tiefere Lohnstückkosten aufweisen.

Die Wirtschaftswirklichkeit gestaltet sich aber differenzierter: Wären nur die Preise und Löhne massgeblich für die Wettbewerbsfähigkeit, ­wären die Schweiz und andere Hochlohnländer wie Deutschland, Österreich, Niederlande, Schweden längst von den globalen Märkten verdrängt worden. Das Gegenteil ist der Fall. Ihre internationale Konkurrenzfähigkeit beruht aber nicht auf dem Preis, sondern vielmehr auf der hohen Qualität. In gewissen globalen Märkten sind bestimmte Qualitäts­eigenschaften entscheidend für die Konkurrenzfähigkeit.

Was sind solche Qualitätsmerkmale, die trotz hoher Preise die Konkurrenzfähigkeit von Produkten oder industriellen Lösungen garantieren? Wir zählen hier einige Eigenschaften auf, die matchentscheidend sein können:

•Exaktheit und Arbeitspräzision in der Fertigung

•Termintreue und Zuverlässigkeit bei der Ausführung oder Lieferung

•Angebot an Service-Diensten mit Reparaturen, Wartung, Ersatzteilen

•massgeschneiderte Lösungen statt Massenproduktion

•Spezialitäten für Nischenmärkte

•neuste Technologien, Materialien und Innovationen

•Kombinationen von Mechanik mit wissensbasierten IT-Lösungen

•effiziente, originelle Produktionsverfahren mit hoher Flexibilität

•hochwertiges Design von Markenartikeln im Hochprestige-Segment

Hochpreisländer können auf den Weltmärkten nur noch in jene Segmente eindringen, in denen die Qualität wichtiger ist als der Preis. Bei Massenkonsumgütern haben sie im Preiskampf mit wenigen Ausnahmen (etwa bei grossen Mengen dank Skaleneffekten) kaum eine Chance, wohl aber mit Innovation, Spezialität und bestimmten Qualitätseigenschaften. Die ► Grafik 2.1 zeigt, dass die Schweiz und Deutschland bei ihren Export­gütern einen grossen Anteil von 40 bis 60 Prozent an Produkten mit einem Qualitätsvorteil haben. Auf der anderen Seite spielen Exportmassengüter, die auf den internationalen Märkten noch einen Preisvorteil ausspielen können, eine immer geringere Rolle. Einzig einige deutsche Pharma- und Chemieexporte weisen auch noch Preisvorteile auf den Weltmärkten aus.10

Grafik 2.1


Die Schweiz und Deutschland sind auf den globalen Märkten wegen ihrer Innovationsfähigkeit, der Spezialitätenproduktion und Präzi­sions­arbeit konkurrenzfähig, zum Beispiel mit Textilmaschinen, Automationseinrichtungen, Robotern, IT-gesteuerten Starkstrom-Installationen,­ Prä­­zisions- und Messgeräten, Medizinaltechnik, Pharmaprodukten, Hochpreisuhren und Design-Markenartikeln mit Prestigecharakter.

Ein Beispiel: Bei sämtlichen weltweit nachgefragten Uhren hat die Schweiz bloss einen Marktanteil von 2,5 Prozent. Im hochpreisigen Marktsegment hingegen mit Uhren, die über 1000 Franken pro Stück kosten, hat die Schweizer Uhrenindustrie 95 Prozent Weltmarktanteil.

Vergleicht man wie in ► Grafik 2.2 den Einheitswert in Dollar pro Kilogramm Exportgut, so zeigt sich, dass besonders die Schweiz, teils auch Deutschland, im Vergleich mit anderen Ländern viel teurere Produkte auf den Weltmarkt bringt. Schlüssel zu dieser Spezialitätenproduktion ist die Qualitätsarbeit der industriellen Fachkräfte, und diese wiederum basiert auf der Berufsbildung.

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