Hitlers Vater

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Widersprüchlich und oft völlig unbrauchbar sind die Aussagen vieler anderer Zeitzeugen, ob sie nun aus der Zeit vor 1945 oder nachher stammen. Auf irgendeine Weise sind sie immer gefärbt und beeinflusst. Seither haben sich viele Autoren mit Hitlers Jugendzeit beschäftigt, zuerst einmal entsprechend kursorisch alle jene, die an einer Gesamtbiografie arbeiteten, vor allem aber jene, die sich speziell der Kindheits- und Jugendgeschichte zugewendet haben, darunter auch zahlreiche Entwicklungspsychologen, Pädagogen und Theologen, die viele Mosaiksteinchen finden und interessante Einsichten hinzufügen konnten, aber allzu oft auch vieles ungeprüft übernommen haben und sich vor allem mangels regionaler Kenntnisse mit den räumlichen, politischen und sozialen Gegebenheiten in Oberösterreich sehr schwer getan haben. Nicht zuletzt hat der eklatante Quellenmangel zu fiktiven Konstruktionen und skurrilen Geschichtsklitterungen geführt, auf die man gar nicht eingehen muss, wie zum Beispiel Norman Mailers Roman zum jungen Hitler

Das Schloss im Wald

 oder Ilse Krumpöcks Geschichtsroman

Hitlers Großmutter,

 weil dazu ohnehin aus berufenem Mund das Nötige gesagt wurde.

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Der dunkle Punkt in Adolf Hitlers Herkunft wurde verschwiegen: Die Ausstellung »Sippenforschung in Schule und Haus« 1937 im Berliner Stadthaus konnte auf die »20 Ahnentafel des Führers« nicht verzichten.









Die Last, aus der Provinz zu kommen





Alois Hitler alias Schicklgruber





Pfeife rauchen, im Wirtshaus sitzen, Bienen züchten, Kinder schlagen. Das ist der Grundton der meisten Aussagen über Hitlers Vater: zu Hause ein Patriarch, im Dienst ein Pedant, in der Öffentlichkeit rechthaberisch, gegen die Kinder ein brutaler Despot. Alois Hitler war sicherlich kein angenehmer Ehemann, Familienvater, Arbeitskollege und Staatsbürger. Was er aber sicher nicht war, war ein Alkoholiker oder Müßiggänger, der seine Zeit im Wirtshaus und in der Bienenhütte vergeudet hätte, auch kein Spießbürger oder Provinzbeamter, dessen Horizont nicht über Braunau hinausgereicht hätte, auch kein Ehemann, der die Familie seinen eigenen sexuellen Bedürfnissen oder seinem beruflichen Fortkommen gänzlich untergeordnet hätte, und schon gar nicht ein Kinderschänder und Teufelsbeschwörer, als den ihn Norman Mailer in seinem Hitler-Roman hingestellt hat. Alois Hitler scheiterte auf vielen Feldern: als Vater, Ehemann, Erzieher, Wirtschafter und letztlich auch als Mensch, ohne viele Freunde und ohne wirkliches Zuhause. Aber es gibt auch die anderen Seiten: Die penible Pflichterfüllung, das stete Karrierebewusstsein, den kritischen Bildungsdrang, das Interesse an Innovationen, die Freude an geselligen Zusammenkünften.



Alois Hitlers Herkunft und Kindheit ist von Mythen, Erfindungen und Vermutungen umgeben. Erstens, weil es kaum Quellen gibt: Wer hätte sich schon für eine kaum herausragende, weder reiche noch besonders auffällige und schon gar nicht wirklich hochrangige Person in der österreichischen Provinz interessieren sollen? Zweitens, weil Adolf Hitler, als er bekannt und mächtig wurde, alles getan hat, um seine eigene Geschichte und die seiner Eltern und Vorfahren zu verbergen oder in seinem Sinne zu drehen und so einerseits Quellen zu beseitigen und andererseits Mythen zu erzeugen. Und drittens, weil die meisten Darstellungen von Adolf Hitlers Kindheit ohne jede Ortskenntnis aus sehr weiter Distanz und vor allem ohne viel Kenntnis der damaligen Lebensweise in dem ländlich-kleinbürgerlichen Provinzmilieu ausgearbeitet sind, in welchem sich die Familie Hitler bewegte.



Tyrannische Väter und liebende Mütter sind kein Einzelfall in der Geschichte. Dass sich daraus Adolf Hitlers mörderischer und gewalttätiger politischer Weg ableiten ließe, ist nicht beweisbar. Einige Hinweise aber gibt es. Sich selbst zu überschätzen und andere Meinungen und Kenntnisse nicht gelten zu lassen, zeichnete sich schon beim Vater ab, ebenso die Neigung zur autodidaktischen Weiterbildung und zur Verachtung aller akademischen und schulischen Autoritäten. Auch der Hang zur Gewalt zeigt Parallelen, beim Vater im Erziehungsstil, beim Sohn im politischen Verhalten. In seinem Sexualleben hingegen unterschied sich der Vater ganz auffällig vom Sohn, auch wenn dieser mit ziemlicher Sicherheit nicht homosexuell war, was ihm gerade in der neuesten Literatur auffallend häufig unterstellt wird. Die ungeklärten Stellen und vorhandenen Lücken im familiären Stammbaum dürften zwar den Sohn mehr belastet haben als den Vater. Aber warum Alois Hitler im Alter von fast vierzig Jahren seinen Familiennamen von Schicklgruber auf Hitler ändern und eine Quasilegitimierung seiner unehelichen Geburt herbeiführen ließ, wirft bis heute Fragen nach dem Hergang und den Motiven auf.



Die Region, in der Alois Hitler sich Zeit seines Lebens bewegte, hat er durch viele erzwungene und freiwillige Ortswechsel in einem für damalige Verhältnisse überdurchschnittlichen Maß kennengelernt. Das beeinflusste seine Sprech- und Schreibgewohnheiten. Anders als bei den Wiener subalternen Zentralbeamten, deren Wienerisch durch das Schönbrunnerisch ihrer meist adeligen Vorgesetzten in einer häufig als herablassend empfundenen Weise verfärbt wurde, dominierte bei Alois Hitler die durch die vielen Milieuwechsel abgeschliffene regionale Mundart, der er mit hochdeutschen Floskeln, exzessivem Fremdwortgebrauch und bürokratischer Diktion einen amtlich-autoritären Ton zu geben versuchte. Seine Briefe schrieb Alois, obwohl ohne jegliche höhere Schulbildung, in einem gestelzten, mit Fachbegriffen untermischten Beamtendeutsch, in das sich immer wieder der Dialektgebrauch einschlich.



Alois Hitlers Herkunft war kleinbäuerlich, sein Status jener eines mittleren Beamten, seine Sehnsucht aber die nach einem Leben als Herrenbauer und einflussreichem Stadtbürger, nach einem Landgut, nach Pferd und Wagen und nach einem Grundbesitz, der über Bienenhütten oder den Umfang eines Kleingartens weit hinausging. Man hatte Dienstboten. Man pflegte Beziehungen zur Stadt. Die Taufpaten der Kinder nahm man aus Wien. Man machte Sommeraufenthalte im kühleren Waldviertel. Man schickte die Kinder in höhere Schulen. Was aber besonders hervorsticht: Man nahm nicht nur Anteil am politischen Geschehen, sondern suchte, es auch aktiv mitzugestalten.



Die zahlreichen Übersiedlungen hatten Alois in viele unterschiedliche Milieus gebracht: vom Waldviertel nach Wien, von dort nach Saalfelden und Salzburg, Wels, Braunau, Passau, Urfahr, Fischlham/Hafeld, Lambach und zuletzt Leonding und Linz. Sein Sohn Adolf hatte sie beginnend in Braunau mit dem Vater notgedrungen mitgemacht. Die ersten zehn oder zwanzig Jahre sind die prägenden Phasen im Leben eines Menschen: Es ist klar, dass Sprache, Ess- und Wohngewohnheiten, Umgangsformen, Bildung, Religion, Weltanschauung und sexuelle Gewohnheiten des jungen Hitler vom Elternhaus und von der Umgebung entscheidend vorgeprägt wurden. Über seine Herkunft wollte Adolf Hitler nie viel sprechen. Als Reichskanzler verbat er sich alle Veröffentlichungen darüber. Wesentliche Dokumente ließ er beschlagnahmen oder vernichten. Vieles bleibt daher ein Rätsel.



Eine Biografie ist immer ein Puzzle mit vielen Einzelteilen, aus denen die einzelnen Lebensabschnitte und die durchgehende Lebenslinie zusammengesetzt werden sollen. Doch es bleiben dazwischen nahezu unendlich viele Tage, gleichförmige und doch erlebnisreiche, über die man gar nichts weiß. Beim jungen Hitler und seinem Vater ist das in ganz besonderem Maße der Fall.








Der Mythos vom Ahnengau





Seine Vorfahren aus dem niederösterreichischen Waldviertel rückte Adolf Hitler in ein mythisch-mystisches Dunkel: »Als ich noch ein Bub war, fand sich das ganze Gebiet meiner Heimat mit Findlingen, erratischen Blöcken, übersät. Die Bauern sind hinaus, um die Findlinge zu sprengen. Es muss das ein Gletscherauslaufgebiet sein, Moränen haben sich vorgeschoben. Das geht herüber bis nach Niederösterreich. Irgendwie macht das die Landschaft liebenswert, sympathisch.«

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 Hitler irrte zwar in seiner Einschätzung der Geologie des Landes seiner Vorfahren. Denn vergletschert war das Waldviertel auch in der Eiszeit nie. Er bediente sich hier der romantischen Märchen und Mythen vom deutschen Wald, von seinen Geistern und Hexen, seiner Unzugänglichkeit und Einsamkeit.

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 Aber das herbe und kalte Hochland hatte den dort wohnenden und arbeitenden Menschen zu jeder Zeit viel abverlangt. Dem Dunkel des Waldes entsprach die soziale Situation der Leute im Waldviertel.



Als Adolf Hitlers Großmutter Maria Anna Schicklgruber schwanger wurde, war sie vierzig Jahre alt. Der Vater des Kindes war unbekannt: Ob der Müllergeselle und herumziehende Arbeiter Johann Georg Hiedler der Kindesvater war, der sie schließlich fünf Jahre nach der Entbindung heiratete, aber seine Vaterschaft nie offiziell anerkannte, oder dessen Bruder, der Bauer Johann Nepomuk Hüttler, der den Buben schließlich zu sich nahm, weil er vielleicht der wirkliche Vater war, aber als es um eine Legitimierung ging, seinen schon lange verstorbenen Bruder vorschob, ist unsicher. Oder ob irgendjemand aus der Nachbarschaft, aus der Dienstgeberschaft oder eine der vielen Zufallsbekanntschaften infrage kommt, die man in einem Leben einfach macht, oder vielleicht doch ein Jude, wie es sich die Sensationspresse und manche politische Gegner ausdachten? Eine sichere Antwort wird nie möglich sein.

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Uneheliche Kinder waren in Ober- und Niederösterreich so häufig, dass sie kaum Anstoß erregten. Als junge Arbeitskräfte waren sie auf den Bauernhöfen gut zu gebrauchen, auch wenn sie kaum Liebe, Anerkennung, finanzielle Abgeltung oder gar Erbansprüche erwarten konnten. Ebenso schwierig war die Situation für die ledigen Mütter, weil nicht nur manche Verwandte und ein paar Tratschtanten und Moralapostel im Dorf sich über sie den Mund zerrissen haben mögen, sondern weil auch die Kirche nicht müde wurde, in den Predigten und Beichtlehren jede Form vorehelicher Sexualität scharf zu verurteilen. Weil die Heiratschancen und Lebensbedingungen für alleinstehende Frauen mit Kindern deutlich ungünstiger waren, waren sie aus der Not heraus meist gezwungen, ihre Kinder zu Zieheltern wegzugeben. Das machte die Überlebens- und Lebenschancen für uneheliche Kinder deutlich schlechter als für eheliche. Niemand hat sich für ihr Schicksal wirklich interessiert. Und auch die Geschichtsforschung hätte sich für Alois Schicklgrubers uneheliche Herkunft nicht interessiert, wäre der Neugeborene nicht der Vater Adolf Hitlers geworden.

 



Die Geschichtsforschung interessierte sich aber merkwürdig ungenau. Schon was die Mutter des neugeborenen Alois und Großmutter des Diktators Adolf Hitler betraf. Maria Anna Schicklgruber, geboren am 1. Juli 1796, hatte eine ältere Schwester namens Anna Maria, die am 15. April 1795 geboren worden war.

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 Im Hochdeutschen sind diese beiden Vornamen tatsächlich zum Verwechseln ähnlich und unterscheiden sich nur durch die Wortfolge. Im mundartlich-bäuer-lichen Alltagsgebrauch war das allerdings ganz anders: Anna Maria wurde »Annamirl« gerufen, Maria Anna hingegen »Mariandl«. Die nur des Hochdeutschen mächtigen Hitler-Biografen haben diese Vornamen immer wieder durcheinandergebracht und Alois entweder die ältere Anna Maria als Mutter oder zumindest der tatsächlichen Mutter Maria Anna die Geburtsdaten ihrer älteren Schwester zugeordnet. Das mag in den meisten Fällen nicht viel ausmachen. Es bedeutet aber bei Frauen einen gewissen Unterschied, ob sie im Alter von 41 oder 42 Jahren ihr erstes Kind zur Welt bringen.

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Die Fehler begannen schon auf der im Sommer 1938 an der Kirchenmauer von Döllersheim angebrachten, heute nicht mehr vorhandenen Gedenktafel für Hitlers Großmutter mit dem Text »Hier ruht die Großmutter des Führers Maria A. Hitler, geborene Schicklgruber, geb. 17. April 1795 zu Strones, gest. 7. Januar 1847 zu Kl. Motten«, wo gleich zwei oder drei Fehler zusammenkamen: Das angeführte Geburtsdatum ist jenes der älteren Schwester Anna Maria, und auch das ist nicht einmal ganz genau, sondern um zwei Tage daneben, und »Hitler« hieß Maria Anna Schicklgruber nie, sondern nach der Heirat wie ihr Mann »Hiedler«. Auch das Grab selbst war ein Fake, weil es leer war. Seither schreiben fast alle Biografien von der bei der Entbindung im Jahre 1837 bereits 42-jährigen Hitler-Großmutter und verwenden das falsche Geburtsdatum.

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 Die dritte, jüngere Schwester Josefa (Pepi) Schicklgruber, verehelichte Trummelschlager, spielte nur am Rande eine Rolle, war aber der Grund, dass Maria Anna im Hause der Trummelschlager zur Entbindung kam. Daneben gab es drei überlebende Brüder namens Schicklgruber, und auch der alte Vater der Kindesmutter, Johann Schicklgruber, dem sie den Haushalt führte, war 1837 noch am Leben.



Die falsche Mutter und deren falsches Geburtsdatum sind aber nur das erste Missverständnis in einer langen Reihe. Die Spalte für den Vater blieb in der Döllersheimer Taufmatrik leer. Das nicht deshalb, weil Maria Anna keinen Vater genannt oder gewusst hätte, sondern weil es kirchenrechtlich bei unehelichen Kindern so vorgesehen war. Der Name des Vaters wurde nur dann nachgetragen, wenn das Kind durch eine spätere Heirat legitimiert wurde. Vermögensrechtlich hatte der Name des Vaters ohnehin keine Bedeutung, solange es keine Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen für einen unehelichen Vater gab und uneheliche Kinder selbstverständlich auch von jeglicher Erbberechtigung ausgeschlossen waren.



So blieb die Frage nach Alois Schicklgrubers Vater offen und wurde, je wichtiger der Enkel Adolf wurde, immer mehr zum Gegenstand von Mythen, Erfindungen und Verwechslungen. Dabei ging es weniger um Berufschancen und Geld als um Ehre, Ahnenpässe und arische Herkunft. In den 1920er Jahren, als Adolf Hitler erstmals das Feld der Öffentlichkeit und politischen Bühne betrat, begannen sich nicht nur seine Anhänger, sondern noch mehr seine politischen Gegner für seine Herkunft zu interessieren: für seinen ursprünglichen Namen Schicklgruber, für die ungeklärten Familienverhältnisse, für etwaige inzestuöse Verbindungen und vor allem für mögliche jüdische Glieder in der Ahnenreihe. Der fanatische Judenhasser Hitler selbst ein Jude? Der Führer einer Partei, die auf den Ahnenpass so viel Wert legt, selbst mit einer mehr als dunklen Lücke im Stammbaum!



Als der Wiener Skandaljournalist János Békessy (Hans Habe) 1932 damit an die Öffentlichkeit ging, wurden viele andere zur Beteiligung an dem Suchrätsel angespornt, von Österreichs Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der mehrere seiner Hofräte in Bewegung setzte, bis zu verschiedenen Berufs- und Hobbygenealogen und Adabeis. Mehr oder weniger gute Ahnenforscher wurden tätig. Einer davon war der Wiener Friedrich von Frank. Am 29. Februar 1932 beauftragte ihn Hitler gegen ein Honorar von 300 Mark mit der Erstellung eines Stammbaums. Im April desselben Jahres wurde das Ergebnis vorgelegt. Ein Vorname in dieser Stammtafel fiel auf: »Katharina Salomon«, was auch in der

Neuen Zürcher Zeitung

 am 16. Juni 1932 zu kritischen Kommentaren Anlass gab. Zwar hatte der Genealoge offenbar einen Fehler gemacht, den er umgehend korrigierte und die Katharina Salomon durch eine »Maria Hamberger« ersetzte.

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 Aber damit war den Spekulationen erst recht Nahrung gegeben. War das eine Gefälligkeit gegenüber dem Auftraggeber? Auch als ein anderer Genealoge, der Wiener Rudolf Koppensteiner, eine revidierte Fassung des Stammbaums erstellte, die alle Zweifel beseitigen sollte, half das nicht viel, weil dieser als weitschichtiger Verwandter Hitlers erst recht unter den Verdacht der Voreingenommenheit kam.

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Es war der mit dem Genealogen Friedrich von Frank zufällig namensgleiche berüchtigte Gauleiter des Generalgouvernements Dr. Hans Frank, der in seiner 1945 im Nürnberger Kriegsverbrechergefängnis verfassten Autobiografie

Im Angesicht des Galgens

 die Geschichte von Hitlers jüdischer Abstammung neuerlich aufwärmte: Ein Grazer Jude namens »Frankenberger, Frankenreiter (oder so ähnlich)«, bei dem Maria Anna Schicklgruber als Köchin gearbeitet habe, sei Hitlers Großvater. Die Behauptung war ohne viel Substanz, nicht nur weil Maria Anna wohl kaum in dem vom Waldviertel so weit entfernten Graz eine Beschäftigung angenommen haben wird, sondern weil es in Graz zu der fraglichen Zeit nicht nur keinen Juden mit dem Namen Frankenberger »oder so ähnlich«, sondern überhaupt keine Juden gab.

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Auch Salomon Rothschild, der reichste Kapitalist im vormärzlichen Österreich, der in Internet-Foren immer wieder als Hitlers Großvater genannt wird und dem man einen etwas lockeren Umgang mit kleinen Mädchen zuschrieb, ist mit Sicherheit auszuschließen, nicht nur weil Maria Anna kein junges Mädchen mehr war, sondern weil Salomon sich im fraglichen Jahr gar nicht in Wien aufhielt. Aber ein Propagandaerfolg wäre es tatsächlich gewesen, hätte man den nunmehr berühmt gewordenen Politiker und berüchtigten Antisemiten als Sohn eines Juden oder gar eines so bekannten Juden und Inbegriffs des Reichtums wie Salomon Rothschild entlarven können.

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 Auch Adolf Pereira-Arnstein, den Ilse Krumpöck, die langjährige Leiterin des kunsthistorischen Referates im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum, vor einigen Jahren in einer skurrilen »Romanbiografie« ohne haltbare Quellenbelege als »Hitlers Großvater« hervorzauberte, wohl wegen des Namens Adolf, vielleicht auch, weil dieser sein Palais in der Renngasse 6 hatte, nur wenige Meter von Rothschilds Renngasse 3 entfernt, kommt nicht infrage, wobei sie schon auf der ersten Seite ihre absurden Theorien mit dem obskuren Satz gegen jegliche Kritik zu immunisieren versuchte: »Jedes zweite Wort ist wahr.« Krumpöcks krause Zusammenstellung ist von Andreas Kusternig eindringlich korrigiert worden.

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 Doch gegen Verschwörungstheorien ist nicht wirklich anzukommen. Sie geistern unausrottbar durch die Weltgeschichte und das Internet.



Auch Hitler selbst versuchte seine Herkunft zu verschleiern. Wie viel wusste er? Wie sehr war er psychisch dadurch belastet? In

Mein Kampf

 gibt es nur zwei kurze, sich zudem widersprechende Sätze über die Vorfahren seines Vaters: »Als Sohn eines armen, kleinen Häuslers hatte es ihn schon einst nicht zu Hause gelitten …« und später, anlässlich seines eigenen Wienaufenthalts: »… immer das Bild des Vaters vor Augen, der sich einst vom armen Dorf- und Schusterjungen zum Staatsbeamten emporgerungen hatte.«

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 Er hat ausgerechnet bei diesen Sätzen sehr lange um die Formulierung gekämpft, ursprünglich hätte es »Häusler und Tagelöhner« heißen sollen. In welches Licht wollte und sollte er seine Herkunft setzen? In die schmerzliche Realität einer armen, niedrigen und ungeklärten Herkunft? Eines inzestuösen Verhältnisses? Einer Lüge?



Hitlers Schwester Paula jedenfalls behauptete 1945 gegenüber der US-Armee, über die Herkunft ihres Vaters im Unterschied zu jener der Mutter praktis