Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben – "5:04" – Eine Blau-Weisse Autobiografie

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1976 – Unsere erste gemeinsame Wohnung.

Da es sich bei meiner ersten eigenen Wohnung eher um ein Zimmer ohne Toilette über einer Kneipe handelte, war der Umzug mit Gudrun von Gelsenkirchen nach Münster gar nicht so schwer. Ich packte eine Reisetasche mit Klamotten und fertig. Gudrun hatte ihren damaligen Mann Wolfgang verlassen und somit auch nicht viel mitgenommen. Unser Plan: Eine möblierte Wohnung finden und der Rest kommt schon von ganz allein.

Wir sind aus Gelsenkirchen weggezogen, weil ich bei der Bundeswehr beim Verteidigung Bezirks Kommando (VBK) am Hindenburgplatz in Münster stationiert war. Natürlich wollten wir eine Wohnung nahe am meinem Standort finden. Anfangs schliefen wir an den Wochenenden gemeinsam in meinem Zimmer bei der Bundeswehr, in der Woche hatten wir für ein paar Tage ein günstiges Hotelzimmer gebucht. Aber schon nach kurzer Zeit wurde uns eine 2 ½ Zimmerwohnung in Münster-Kinderhaus angeboten, die wir natürlich dankend annahmen.

Die ganze Situation war schon ein wenig komisch für mich. Vor ein paar Tagen hatte ich noch mein Junggesellenleben und konnte machen, was ich wollte. Ich hatte keine Verantwortung für andere, für mich gab es nur die Schalke Mädels. Nun lebte ich in einer festen Beziehung, hatte die Verantwortung für eine Frau und ein fünfjähriges Kind sowie einen unterschriebenen Mietvertrag für eine möblierte Wohnung. Dabei fühlte ich mich selbst noch gar nicht richtig erwachsen. Trotzdem war ich froh, dass wird die möblierte Wohnung bekommen hatten, auch wenn diese nicht ganz billig war.

Natürlich war mein Hauptfeldwebel über alles informiert. Von ihm bekam ich den Tipp, mich beim Bundeswehr-Sozialdienst zu melden. Die Stelle vermittelte damals günstige, aber gute Wohnungen für Zeitsoldaten. Ich kannte den Bundeswehr-Sozialdienst nicht, aber ich meldete mich dort. Nervös wählte ich die Telefonnummer und war angenehm überrascht, wie schnell und unkompliziert alles über die Bühne ging. Nachdem die Formalitäten erledigt waren und ich meine Kontaktdaten, meinen Dienstgrad und meinen Wohnungswunsch durchgegeben hatte, gab es nur noch eine Frage der netten Sachbearbeiterin. »Herr Rojek, Sie sind doch verheiratet?“ Da ich ihr doch nicht sagen konnte, dass ich erst ein paar Tage in einer Beziehung lebe, antwortete ich wahrheitsgemäß »Nee, noch nicht.« Sie fragte mich daraufhin »Aber Sie wollen doch sicherlich heiraten?“ Ja natürlich wollte ich irgendwann einmal heiraten, also antwortete ich mit einem »Na klar will ich« und witzelte weiter »Wer will das nicht?« Mit einem »Na, dann ist ja alles gut, Herr Rojek. Wir melden uns.« verabschiedete sich die nette Sachbearbeiterin von mir.

Zwei Tage später bimmelte bei mir auf der Dienststelle das Telefon und die nette Dame vom Bundeswehr-Sozialdienst war an der anderen Leitung. Sie berichtete von einer Dreizimmer-Wohnung mit 75 qm Wohnfläche, die nur zwei Minuten von meiner Dienststelle entfernt sei. Die Kaltmiete lag bei 260 DM. Noch am gleichen Tag schauten Gudrun, Thomas und ich uns die Wohnung an und waren begeistert. Ja, das soll unser neues Zuhause werden. Am darauffolgenden Tag redete ich mit meinem Hauptfeldwebel und sagte, dass die Wohnung schön sei und wir den Mietvertrag unterschreiben wollen. Das Geld war knapp und ein paar Möbel konnten wir nur kaufen, wenn wir das Konto überziehen. Ich erklärte meinem Hauptfeldwebel also, dass ich wohl einen Kredit aufnehmen müsste. »Geh doch zur KKB, die geben Zeitsoldaten sofort einen Kredit«, meinte er zu mir. Ich kannte damals keine KKB Bank, wusste aber, dass in der Stadtmitte so eine Bank existierte. Die Terminvereinbarung dauerte nur zwei Minuten. Ich sollte Personalausweis, Dienstbescheinigung und meine alte Bankverbindung mitbringen.

Ehrlich gesagt, ich hatte wohl schon einmal mein Konto überzogen, aber einen Kredit hatte ich noch nie benötigt. Na gut, bei Gudrun habe ich die letzten Tage im Monat zwar immer auf Deckel getrunken, den habe ich aber bei der nächsten Soldzahlung beglichen. Aber das waren immer überschaubare Summen, sodass ich mir gar nicht vorstellen konnte, dass mir die Bank einen größeren Betrag im Voraus auszahlt. Ich war sehr gespannt, wie das ausgehen sollte.

Mit Gudrun hatte ich ausgerechnet, dass wir für eine „günstige“ Erstausstattung einen Kredit von etwa 7.500 DM benötigen. Und so fuhren wir nach Dienstschluss zur KKB in Münster. Gudrun sollte auf meinen Wunsch hin erst einmal im Auto warten, damit ich sehe, wie die Beratung läuft und ob wir auch einfach so einen Kredit bekommen. Gudrun wartete also im Auto. Es dauerte ungefähr 30 Minuten. Als ich wieder bei war, fragte sie zögerlich »Und? Geht wohl nicht, oder?« Ich grinste und zeigte auf meine Tasche. »Doch, es geht. Ich habe hier 18.000 DM in der Tasche.« Ich musste bei der KKB, nach Bonitätsprüfung, nur meine Abfindungsprämie als Zeitsoldat als Sicherheit abtreten.

Gleich am nächsten Tag meldete ich dem Bundeswehr-Sozialdienst, dass ich die Wohnung nehmen würde und zwei Tage später wurde der Mietvertrag unterschrieben. Mit dem vielen Geld richteten wir uns die Wohnung wie geplant besonders schön und modern ein. Wir leisteten uns sogar einen großen Farbfernseher und das war damals nicht normal. Ich weiß noch genau wie meine Mutter später mit unserer Wohnung angegeben hat. »Rolf und Gudrun haben einen bunten Fernseher und sogar ein grünes Telefon, bei dem man die Nummern nicht mehr drehen, sondern drücken kann.« Damit waren wir technisch auf dem neusten Stand. Das war eine schöne Zeit. Wir lachten viel und waren glücklich, so wie es (frisch) Verliebte nun einmal sind.

Nach zwei Monaten Liebesglück in der ersten gemeinsamen Wohnung meldete sich die nette Sachbearbeiterin vom Bundeswehr-Sozialdienst bei mir auf der Dienststelle und fragte, ob wir zwischenzeitlich schon geheiratet hätten. Immerhin hatte ich ihr gesagt, dass ich heiraten wollte. »Äh, ja, das ist so«, fing ich an zu stottern. Die nette Dame am anderen Ende der Leitung kam mir Gott sei Dank entgegen. »Wenn Sie noch nicht verheiratet sind, schicken Sie mir bitte das Aufgebot. Das reicht mir fürs erste.« Am Abend versuchte ich mit Gudrun das Problem irgendwie zu lösen. Aber es gab keine Lösung. Wir haben den Mietvertrag unterschrieben, wir haben die Wohnung renoviert und eingerichtet und wir hatten zudem einen Kredit am Arsch. Was jetzt? Und dann beschlossen wir, das zu machen, was wir für das Richtige hielten – wir wollten heiraten! Mag sein, dass dies der unromantischte Heiratsantrag war, der je gemacht wurde. Aber egal, wir liebten uns und wir bestellten das Aufgebot.

Na klar, hinterher kann jeder sagen, wie dumm habt ihr euch damals verhalten. Und ich gebe allen recht, das war schon ein großes Risiko, was wir beide da eingegangen sind. Gudrun hatte sich gerade von ihrem Mann getrennt und war noch nicht einmal geschieden. Meine Bundeswehrabfindung war abgetreten und ich hatte einen hohen Kredit zurückzuzahlen. Und da war noch der kleine Thomas, der das Recht auf eine sorgenfreie Kindheit hatte. Aber wir haben nie gezögert, sondern immer an uns geglaubt. Am 26. August 1977 haben wir auf dem Standesamt in Münster geheiratet und es bis heute nicht eine Sekunde bereut.

Heute kann ich sagen, dass die Bundeswehr bei mir und Gudrun als Heiratsvermittler fungiert hat. Und darüber bin ich noch immer froh.

Ach ja, um das Glück vollkommen zu machen, haben wir einen Monat nach unserer Hochzeit beschlossen, unsere Familie zu vergrößern. Schon zehn Monate später wurde unsere Tochter Susanne geboren.

»Liebe ist, zwei Körper, zwei Herzen, zwei Gedanken, aber nur ein Weg.«

1977 – Wie man(n) aus Kindern Schalker macht.

Man sagt ja immer Schalker wird man nicht, Schalker ist man. Trotzdem frage ich mich, kann man eigentlich Kinder zu Schalkern erziehen? Na ja, vielleicht wenn man bei der Zeugung Schalke-Bettwäsche aufgezogen hat, unterm Bett der S04-Wimpel liegt oder im Radio kein Lovesong läuft, sondern „Schalke 04, Liebe im Revier“ ertönt. Aber ehrlich, wer macht das schon? Also müssen wir unseren Kindern von Anfang an Schalke vorleben, damit sie „freiwillig“ zu Schalkern werden.

Jeder der unsere Familie kennt, weiß, dass sich bei uns immer und überall alles um den FC Schalke 04 und den Farben Blau und Weiß dreht. Schalke hat sich bei mir schon früh im Leben eingenistet. Bereits als Kind war ich Schalke-Verrückt. Diese Verrücktheit wurde mit zunehmendem Alter nicht besser, eher hat sie zugenommen. Ein bisschen ruhiger wurde es erstmals, als unsere Tochter Susanne im Juni 1977 auf die Welt kam. Ich erinnere mich noch genau, als Gudrun mir mitteilte, dass sie im Juni ein Baby erwarte. Was habe ich mich gefreut. Eigentlich war ich schon „Papa“, denn Gudrun hat aus erster Ehe ihren 5-jährigen Sohn Thomas mitgebracht. Nun war es aber so, dass ein paar Tage später, am 9. Oktober 1976, Schalke in München spielte. Da wollten wir unbedingt hin. Gudrun war aber jetzt schwanger und ich war mir nicht sicher, ob ich mit einer schwangeren Frau die anstrengende Reise antreten sollte. Aber Gudrun wollte unbedingt nach München. »Ich bin schwanger, nicht krank«, sagte sie.

Also ging es ab in die bayerische Landeshauptstadt. Trikot, Schal und Mütze – schnell war alles eingepackt. Natürlich durfte auch meine neue und moderne Fotokamera, eine Pocket-Kamera, nicht fehlen. Und wie das früher halt so war, fotografierte und fotografierte ich, im Bus, während der Fahrt und in der Stadt. Als wir im Stadion ankamen, hatte ich nur noch zwei Bilder auf meiner Kamera.

Als ich kurz vor Anpfiff meine Gudrun im Block stehen sah, mit einem ganz kleinen Babybäuchlein, musste ich einfach ein Foto machen. Unser Baby, noch nicht auf der Welt, aber schon im Münchner Olympiastadion. Da geht Papas Herz auf …

Überraschend führten wir zur Halbzeit mit 2:0 durch Tore von Klaus Fischer und Erwin Kremers. Ich sah nachdenklich auf die große Anzeigetafel und überlegte, ob ich mein letztes Foto für dieses Ergebnis opfern sollte, oder ob ich doch lieber bis zum Abpfiff warte. Ich traute unseren Schalker wohl nicht so viel zu und machte das Foto mit dem 0:2 auf der Anzeigetafel. Wer konnte denn auch ahnen, dass die Schalker nach der Pause noch fünfmal trafen und mit einem 7:0 Schalker Vereinsgeschichte schrieben …

 

Ob das wohl der Grund war, warum Susanne ein Schalker Mädchen geworden ist? Ich kann es nicht sagen, aber ich fuhr danach nicht mehr so oft zu den Schalke-Spielen. Dafür musste Susanne im Bauch aber immer mit Gudrun und mir WDR 2 hören, wenn es am Samstag wieder hieß Tore, Punkte, Meisterschaft.

Ich war am 28. Juni 1977 nicht bei der Geburt unserer Tochter Susanne dabei. Warum weiß ich gar nicht mehr so genau, aber ich glaube, es war damals noch nicht üblich, dass Väter live bei der Geburt dabei sind. Aber natürlich bekam Susanne von der Verwandtschaft zahlreiche Hemdchen und Kleidchen in „Rosa“ geschenkt. So war das halt, Mädchen in rosa Kleidung, Jungs in blauen Klamotten. Aber Gudrun und ich haben von Anfang an dafür gesorgt, dass Susanne viel blau-weiße Kleidung im Schrank hat. Doch blau-weiße Kleidung allein macht noch lange keinen Schalker.

Susanne war gesund und entwickelte sich prächtig. Natürlich bin ich in den ersten Monaten nach ihrer Geburt fast gar nicht mehr auf Schalke gegangen. Meine Familie war mir wichtiger. Dennoch haben wir die Schalke-Spiele jeden Samstag in der Sportschau verfolgt. Wir hatten damals in unserer ersten gemeinsamen Wohnung eine riesige, runde und moderne Sitzgarnitur. Dazu gab es einen großen Clubsessel und einen Hocker für die Füße. Immer, wenn die Sportschau im Fernsehen begann, saß ich auf dem großen Clubsessel, die Füße auf dem Hocker, und neben mir meine Tochter Susanne. Und jedes Mal, wenn die Schalke-Spiele gezeigt wurden, nahm ich ihr rechtes kleines Ärmchen in meine Hand, hob es hoch wie im Stadion und rief immer wieder das langgezogene »Schaaaalke, Schaaaalke, Schaaaalke.« Ich fand das lustig und Susanne hatte scheinbar auch Spaß daran, sie lachte zumindest immer. Ob sie mich nun ausgelacht hat oder vor Freude grinste, kann ich nicht sagen. Aber da Susanne eine richtige Schalkerin geworden ist, glaube ich eher, es war vor Freude.

Unsere Tochter wurde langsam größer und irgendwann war es dann so weit. Wir saßen in unserem bequemen Sessel und hatten die Sportschau an. Susanne zappelte schon die ganze Zeit nervös neben mir, lachte und quietschte vor Vergnügen. Die Sportschau fing mit irgendeinem Fußballspiel an als Susanne plötzlich ihre kleinen Ärmchen bewegte und so etwas rief wie »lale.« Oh ja, ich war stolz wie Oskar, denn ich war mir sicher, Susanne wollte »Schaaaalke« rufen. Von diesem Tag an wiederholte sich ihr Verhalten jedes Mal, wenn im Fernsehen eine Zuschauerkulisse zu hören war. Und ihr war es sowas von egal, ob Fußball lief, Schalke spielte oder ob es sich um ein Handballspiel handelte. Hauptsache es war eine Zuschauerkulisse zu hören.

Ihr seht, auf die richtige Erziehung kommt es an. Aber nicht, dass ihr meint, das hat nur bei unserer Susanne funktioniert. Nein, auch bei unserer anderen Tochter Melanie hat der Schalke-Virus zugeschlagen. Und dass, obwohl Melanie ein ganz anderer Typ als unsere Susanne war. Melanie war von Anfang an viel unruhiger und wilder. Sie war auch bestimmter und egoistischer als ihre Schwester, sie wusste genau, was sie wollte und wie sie es bekam. Melanie war ein kleiner, blonder Wonneproppen und Susanne ein dunkles, zartes Püppchen. Nur ihre Liebe zu den Farben Blau und Weiß war bei beiden gleich.

Ich werde nie vergessen, als wir in unserem Sporthaus in Osnabrück waren und anschließend in der Stadt einkaufen wollten. Wir gingen zu C&A, weil Gudrun für den Urlaub noch einige Sachen kaufen wollte. Während sie nach einem Nachthemd suchte, musste ich im Geschäft auf die drei Kinder aufpassen. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass dies nicht ganz einfach ist. Aber wer einen Bus mit 50 betrunkenen Schalke-Fans betreuen kann, der kann auch auf drei kleine Kinder aufpassen. Irgendwann rief mich dann Gudrun und ich verlor unsere Kinder für wenige Sekunden aus den Augen. Das reichte unserer kleinen Melanie schon, um irgendwo in einem Unterwäscheständer zu verschwinden. Sekunden später kam sie freudestrahlend wieder herausgekrochen und hatte einen Wäschebügel in der Hand, an dem ein roter Spitzenbüstenhalter mit passendem Slip hing. Melanie lief stolz durch den Laden, schwenkte dabei die Unterwäsche wie eine Fahne durch die Luft und rief laut: »Papa, Papa, ihhh, das ist Bayern.«

Was soll ich euch sagen, Schalker wird man nicht, Schalker ist man. Nur manchmal muss der Papa auch ein bisschen nachhelfen. Und was für die eigenen Kinder gut ist, muss auch für die Enkelkinder gut sein. Daher lehrte ich unserem Enkelkind Luca schon mit drei Jahren, dass Gelb die Zeckenfarbe ist. Und wisst ihr was passiert? Jedes Mal, wenn wir an irgendwelchen Blumengeschäften vorbeikommen, ruft Luca lauthals »Opa, Opa, ihhh Zecken-Blumen!«

Wie sich im Leben doch alles wiederholt …

„Kinder haben nur eine Kindheit. Darum macht sie unvergesslich.“

1982 – Vom Bauherr zum „Pleitegeier“: Unser Hauskauf in Saerbeck.

Saerbeck, ein schönes Dörfchen mit 4.900 Einwohnern im nördlichen Münsterland. Hier kennt jeder Jeden, hier ist die Welt noch in Ordnung. Ja, wir haben uns in Saerbeck sauwohl gefühlt. Wir wohnten damals in einer großen Doppelhaushälfte mit schönem Garten. Unsere Kinder gingen gerne in den Kindergarten und wir hatten viele gute Freunde. Dorfidylle pur.

Als Schalker gründete ich 1980 den Schalke Fan-Club Blau-Weiß Saerbeck, während ich beruflich erfolgreich als Versicherungskaufmann aktiv war und kurz davorstand, das alteingesessene Sportgeschäft Clausmeier in Osnabrück zu kaufen. Man könnte also sagen, unser Leben verlief prima.

Mit der Zeit kam unser Hausvermieter immer häufiger zu Besuch und wollte uns den Kauf der Doppelhaushälfte schmackhaft machen. Das Haus hatte rund 165 qm Wohnfläche, viele Zimmer, einen Keller und einen schönen Garten. Der Kaufpreis von 320.000 DM war eigentlich auch nicht zu hoch für das Objekt, trotzdem zögerten wir mit dem Kauf. Ich denke, wir waren noch nicht so weit, ein Haus zu kaufen. Mein damaliger Freund und gleichzeitiger Chef sowie meine Steuerberaterin haben mich zwar schon mehrfach dazu drängen wollen, dass ich mir bei meinem Verdient unbedingt eine Immobilie als Altersvorsorge zulegen sollte, aber der Kopf sagte noch immer nein. Dabei gab es keine finanziellen Probleme, im Gegenteil. Ich verdiente bei der Versicherung im Außendienst gutes Geld, ich hatte eine große Versicherungsagentur mit drei hauptamtlichen Mitarbeitern und betreute zudem 40 Vertreter im Nebenjob. Trotzdem bekam ich das Geld nicht geschenkt und musste dafür hart arbeiten.

Mein Alltag begann spätestens um 9.00 Uhr im Büro und endetet meist erst nach 20.00 Uhr. An den Wochenenden, an denen Schalke spielfrei hatte, saß ich auch in meinem Büro oder besuchte meine Kunden. Von nichts kommt nun einmal nichts! Trotz Zweifel machten Gudrun und ich uns immer mehr mit dem Gedanken vertraut, uns Eigentum anzuschaffen. Wenn unser damaliger Vermieter mit seinem Preis vielleicht etwas runtergegangen wäre, hätte er uns damit Verhandlungsbereitschaft signalisiert und wir vielleicht schon längst zugesagt.

Die Fußballbundesliga ging in die Sommerpause und in Spanien fing die WM an. Wie erwähnt, mein damaliger Chef bei der Vereinten Versicherung war auch gleichzeitig mein Freund. Wir beide waren als Zeitsoldaten in Münster stationiert. Er war fast ein Jahr früher als ich beim Bund fertig und startete anschließend eine Karriere bei der Versicherung. Mich holte er ein Jahr später dazu, weil er sicher war, dass ich dahin gehöre. Wir kickten auch jahrelang gemeinsam in der Betriebssportmannschaft und ich schaffte es, ihn nach und nach ein bisschen Schalke-Verrückt zu machen.

Hans-Jürgen, so hieß mein Chef und Freund, hatte mich und Gudrun zum Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Chile eingeladen. Wir wollten uns das Spiel gemeinsam bei Bier und Bratwurst anschauen. Kurz vor der Abfahrt fiel mir ein, dass wir noch kein Mitbringsel für die Ehefrau haben. Also ging es schnell ins Auto und zum einzigen Blumenladen, der genau in der Dorfmitte lag, um wenigsten einen Blumenstrauß mitzubringen. Die Verkäuferin war sehr freundlich und gemeinsam stellten wir einen bunten Strauß Blumen zusammen. Danach fragte sie mich, ob ich noch einen Wunsch hätte. Und so wie ich bin, äußerte ich meinen Wunsch, wenn auch nur aus Spaß.

»Ja, du kannst mir das Haus einpacken, ich suche noch eins.« Sie guckte mich an, lachte und antwortete genau so locker wie ich. »Super, wir wollen unser Haus verkaufen. Soll ich es in Papier oder Folie einwickeln?« Ich bekam große Augen und in meinem Kopf fing es sofort an zu arbeiten. »Ein Haus mit einem Ladenlokal mitten im Dorf, das wäre doch was.« Ich sagte ihr, dass ich jetzt leider keine Zeit hätte, aber ich mich gleich morgen früh bei ihr melden würde.

In Albachten schauten Gudrun und ich uns gemeinsam mit Hans-Jürgen und seiner Frau das Spiel an. Deutschland gewann 4:1. Aber das war für mich jetzt unwichtig, mir ging das Gespräch im Blumenladen nicht mehr aus dem Kopf. Direkt am Montagmorgen saß ich früh am Schreibtisch und machte Pläne, falls das mit dem Hauskauf funktionieren würde. Ein Blumenladen käme auf alle Fälle nicht mehr da rein. Auch nicht mein Versicherungsbüro, denn das hatte ich ja in Greven. Aber ich wusste durch mein gut funktionierendes Netzwerk, dass die beiden älteren Betreiber des einzigen Lottoladens in Saerbeck in Kürze schließen wollten. Lotto, das wäre was für mich, dachte ich. Und Gudrun ist außerdem eine fleißige Sammelbestellerin bei Quelle. Warum nicht auch eine Quelle-Agentur, überlegte ich. Das wären gleich zwei Gewerbe mit minimalem finanziellen Eigenaufwand. Ich nahm mir also vor, sofort nach dem Gespräch mit der Laden- und Hausbesitzerin, bei Lotto und Quelle anzurufen. Ja, ich war schon immer spontan. Ein paar Stunden später saß ich mit meiner Gudrun und den beiden Besitzern der Immobilie bei einem Kaffee zusammen. Wir machten eine Hausbesichtigung von maximal 15 Minuten, danach stand für uns fest: Wenn der Preis stimmt, schlagen wir zu.

Das Haus war zwar bedeutend kleiner als unsere Doppelhaushälfte und hatte nur knappe 110 qm Wohnfläche, dafür aber einen sehr schön angelegten Garten. Damit lässt es sich doch erst einmal leben, dachte ich. Gleichzeitig hatte ich aber schon andere Pläne im Kopf. Typisch für mich, den Kaufpreis kannten wir noch nicht, aber ich war gedanklich schon im Umbau.

Nun ja, mit 305.000 DM war das Objekt schon ziemlich nahe an unserer oberen Schmerzgrenze. Aber die Lage und meine Pläne glichen das wieder aus. So ging dann auch alles ganz schnell: Die Finanzierung über meinen Arbeitgeber war überhaupt kein Problem. Von der Lottozentrale aus Münster lag das OK für die Übernahme der alten Lottoannahmestelle vor und auch Quelle hatte bereits zugesagt. Ich denke, das war schon eine starke Aktion. Ein Haus mit Ladenlokal zu kaufen, dazu eine Lotto- und Quelle-Agentur übernehmen und das alles ohne Eigenkapital. Schon sechs Wochen später sind wir umgezogen und zwei weitere Wochen später gab es in Saerbeck eine große Neueröffnung zu feiern …

Es war ein schönes Ladenlokal. Die Lottoannahmestelle wurde durch Zeitschriften und Tabakwaren ergänzt und durch den Kontakt zu Rosi-Reisen in Marl haben wir zusätzlich ein „Mini-Reisebüro“ im Laden intrigiert. Ach ja, über Quelle bekamen wir auch noch eine Reinigungsannahmestelle. Ich habe es doch gleich gesagt, der Laden ist zu klein. Gudrun, als Besitzerin der Geschäfte, stöhnte über die viele Arbeit. Das hielt mich aber nicht davon ab, eine Kartenvorverkaufsstelle von Schalke und einige Fan-Artikel in den Laden zu holen….

Im laufenden und darauffolgenden Jahr erreichten wir so gute Umsätze, dass einem Ausbau des Objektes nichts mehr im Wege stand. Unser Architekt in Saerbeck war gut, aber auch teuer. Schnell hatte er die Pläne für die Vergrößerung des Ladenlokals fertig. Aber das war nicht alles. Ich wollte an dem kleinen Haus ein weiteres Haus anbauen lassen. Beide Häuser sollten bautechnisch als ein Wohnhaus bei der Gemeinde durchgehen, aber es sollte sich trotzdem um zwei verschieden Objekte handeln. Eine schwierige Aufgabe, aber für unseren guten Architekten kein Problem. So sah dann aber auch seine Rechnung aus. Mit der vom Architekten kalkulierten Bausumme inklusive aller Nebengebäude musste ich bei der Hausbank noch einmal 320.000 DM finanzieren …

 

Im Frühjahr sollte der Umbau beginnen, aber ich hatte noch gar keine Baufirma. Zum „Glück“ stellte mir mein damaliger Organisationsleiter meiner Versicherung einen Kontakt zu seinem guten Freund her, mit dem er in den letzten zwei Jahren vier Häuser gebaut hatte. Ich dachte, eine bessere Referenz kann es für mich nicht geben. Und mein Gespräch mit dem Bauunternehmer verlief durchweg positiv. Vielleicht lag es auch daran, dass ich noch nie ein Haus gebaut habe, denn ansonsten wäre mir vielleicht der günstige Preis aufgefallen. Aber so habe ich dann den Vertrag mit ruhigem Gewissen unterschrieben und damit begann das Unheil …

Ein paar Tage später standen Baukran und einige andere Geräte und Werkzeuge bei uns vor der Tür. Es wurde zügig und sauber gearbeitet, sodass mein Architekt zufrieden war. Und da ich ein guter Bauherr war, versorgte ich die Arbeiter und ihren Chef mit Kaffee und Brötchen oder manchmal auch mit einer leckeren Pizza. Schneller als geplant konnten wir das Richtfest feiern. Eines Tages kam der Bauunternehmer zu mir und meinte, ob ich vielleicht ein paar Helfer besorgen könnte, damit es noch schneller vorangehen würde. Na ja, er sah täglich meinen Schwager, meinen Bruder oder meinen Neffen bei uns herumlaufen. Ich sah daher keinen Grund, warum ich meine Verwandtschaft nicht ansprechen sollte. Was sollte dagegen sprechen sie zu fragen, ob sie helfen wollen? Schließlich könnte ich so viel Zeit und Geld sparen. Und natürlich packte meine Verwandtschaft mit an.

Trotz einer mehrwöchigen Sommerpause, die Mitarbeiter des Bauunternehmers mussten schließlich auch in den Urlaub gehen, ging es meines Erachtens gut voran. Das mein Architekt, der auch die Bauaufsicht hatte, sich öfters mit dem Bauunternehmer besprach, sollte eigentlich normal sein. Das sagten zumindest viele, die schon einmal selbst gebaut haben. Also machte ich mir da keine weiteren Gedanken.

Eines Tages nahm mich mein Bauunternehmer zur Seite und meinte, ich könnte über 5.000 DM sparen, wenn ich ihm die Bauaufsicht übertragen würde. Schließlich hätte er die Lizenz dazu. Natürlich war das anschließende Gespräch mit dem Architekten nicht so schön. Er fragte mich allen Ernstes, ob ich einen an der Waffel hätte, einem Bauunternehmer die Kontrolle für seine eigene Arbeit zu geben, nur um ein bisschen Geld zu sparen. Aber ich sagte ihm, dass mein Organisationsleiter, zu dem ich volles Vertrauen hatte, schon mehrere Häuser mit dem Bauunternehmer gebaut hat. Was soll da schon schiefgehen?

Noch heute habe ich seine Worte im Ohr: »Bitte schön, Herr Rojek. Ich habe Sie gewarnt. Hoffen wir, dass alles gut geht.« Aber es ging alles gut, zumindest bis die nächste Teilzahlung für die Bauleistung fällig war. Da kam der Bauunternehmer mit dem nächsten Verbesserungsvorschlag zu mir. Die ganze Arbeit würde noch effizienter laufen, wenn ich ihm eine Bankvollmacht über das Baukonto geben würde. Er bräuchte dann nicht mehr mit jeder einzelnen Rechnung, sei es vom Elektriker oder Installateur, zu mir kommen. Ich könnte damit Zeit und Geld sparen. Ja, dass die Bauaufsicht auch die Kontogewalt hatte, war nicht unüblich. Aber auch nur dann, wenn die Bauaufsicht nicht auch der Bauunternehmer war. Aber ich dachte, ich kann Geld sparen. Ihr wisst, was jetzt kommt. Eines Morgens stand ich auf, schaute aus dem Fenster und erstarrte. Der Baukran war weg!

Sofort rannte ich zum Telefon und rief den Bauunternehmer an, da ich glaubte, jemand hätte den Kran gestohlen. Er beruhigte mich und sagte nur, er hätte einen wichtigen Auftrag in Rheine dazwischen bekommen, dafür bräuchte er den Kran. Bei uns am Haus seien wir eh schon weiter als geplant und es würden noch irgendwelche Formsteine für die Außenverkleidung fehlen. Daher dachte er, ich hätte nichts dagegen, wenn er für ein paar Tage die Arbeit bei uns liegen lassen würde. Ich habe vom Hausbau keine Ahnung. Und auch wenn es mir nicht unbedingt gefallen hat, stimmte ich der kurzen Unterbrechung zu. Ich erinnerte ihn aber noch einmal an das Loch im Dach, das schon lange von ihm abgedichtet werden sollte. Das Loch behinderte zurzeit noch nicht den Kundenverkehr in unserem Laden, deshalb ließ ich mich auch vertrösten. Er wollte in den nächsten Tagen vorbeikommen, um das Loch notdürftig abzudichten.

Aus ein paar Tagen wurde eine Woche, ein Monat und es wurde letztendlich Winter. Das Loch in der Decke war noch da, die Heizung im Ladenlokal ging nicht mehr, die Textilien im Geschäft waren klamm und schimmelten und auch die Elektroteile waren genauso feucht wie die Lottoscheine, die damals noch in der Maschine registriert wurden. Nichts ging mehr, nichts war mehr zu gebrauchen. Seltsamerweise bekam ich seit ein paar Tagen immer mehr Mahnungen von Handwerkern, die noch auf ihre Bezahlung warteten. Ich war nicht nur ärgerlich, sondern auch richtig wütend. Kein Umsatz mehr in unseren Geschäften, offene Rechnungen und ein Bau, der nur halbfertig war.

Und dann kam es Schlag auf Schlag. Es gab Gespräche bei der Bank, das Konto war leer. Der Bauunternehmer hat täglich Geld abgeholt, um damit angeblich Rechnungen zu bezahlen. Von der gesamten Darlehenssumme waren nur noch ein paar Hunderter auf dem Konto. Die vielen Kontaktaufnahmen zum Bauunternehmer blieben erfolglos, selbst der mittlerweile eingeschaltete Anwalt erreichte nichts. Wir mussten das Gewerbe in dieser Bauruine abmelden. Alle Kreditkarten wurden gesperrt, die Auto-Leasing Bank forderte nach der dritten Mahnung den Wagen zurück. Eine Katastrophe! Ich war pleite.

Und so etwas spricht sich nicht nur in einem Dorf schnell herum. Jeder Handwerker mit einer offenen Rechnung schaltete alle rechtlichen Möglichkeiten gegen uns ein, um an sein Geld zu kommen.

Ich mache es kurz: Mit beiden Hypotheken, allen Handwerkerrechnungen inklusive aller fremden Rechtsanwaltskosten und Gebühren hatte ich über 700.000 DM Schulden am Arsch. Dazu kam die Leasing-Bank, die Schadensersatzansprüche von Quelle und noch der Kontoüberzug. Denn kurz bevor alles zusammenbrach, hatte ich für meine Frau und meine drei Kindern die letzten 10 Euroschecks vordatiert und eingelöst.

Damals herrschte die Hochzinsphase, und Zinsen über 10% waren völlig normal. Somit erhöhte sich mein Schuldenstand jährlich um über 100.000 DM. Wahrlich keine schöne Situation für eine junge Familie, bei denen vor einigen Monaten die Welt noch in Ordnung war. Unser Rechtsanwalt klagte in unserem Namen gegen den Bauunternehmer, der in der Zwischenzeit mit seiner GmbH Insolvenz war. Insolvenz ist Insolvenz, da gibt es nichts mehr zu holen.

Wir klagten wegen Betrug vor dem Landgericht in Hamm, haben den Prozess gewonnen und einen Titel bekommen. Nur hatte der Bauunternehmer trotzdem kein Geld, um uns etwas zurückgeben. Von einem Titel der 30 Jahre zählt, konnte ich meine Familie nicht am Kacken halten. Von heute auf morgen war alles zusammengebrochen. Aber aufgeben und den Kopf in den Sand stecken, das war noch nie eine Option für mich.

Natürlich genossen wir bisher einen sehr hohen Lebensstandard, dieser musste runtergefahren werden, aber ohne, dass unsere Kinder eine große Veränderung spüren sollten. Also ging ich zu meinem Chef Hans-Jürgen und führte eines der besten Gespräche. Ich erzählte offen und ehrlich, dass alle Konten, Schecks und Kreditkarten gesperrt seien. Ich hatte nur noch die letzten 4.000 DM von den 10 Euroschecks, das war alles. Noch hatte mich keiner der Gläubiger zum Offenbarungseid gezwungen, aber das war nur noch eine Frage der Zeit. Den Gerichtsvollzieher duzte ich mittlerweile, schaffte es aber bisher immer noch, ihn ohne Beute wieder wegschicken. Ich erklärte meinem Chef und Freund, dass meine Familie mir das Wichtigste ist und ich alles Menschenmögliche dafür geben würde, um aus dieser fatalen Lage wieder herauszukommen. Wir einigten uns darauf, dass er den Versicherungsvorstand in München anrufen würde, um einen Zinsstillstand zu erreichen. Gleichzeitig wollte er den Vorstand bitten, das Gleiche bei meiner Hausbank zu erfragen, die beiden waren immerhin die größten Gläubiger auf meiner Liste. In der Zwischenzeit wollte ich mich mit allen anderen Gläubigern in Verbindung setzen und ihnen vorschlagen, jeweils am Monatsende, nach Abzug all unserer Kosten, den Restbetrag unter allen aufzuteilen. Die einzige Voraussetzung war: Kein Gläubiger zwingt mich dazu, den Offenbarungseid zu leisten. Sollte das geschehen, würde ich sofort die Arbeit einstellen und keinen mehr bedienen.