Missionale Theologie

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Hartenstein und die Missio Dei

Das Konzept der Missio Dei geht, wie wir gesehen haben, auf Willingen zurück. Der Begriff kommt in den Dokumenten der Konferenz allerdings nicht vor und er wurde auch in den Diskussionen während der Konferenz nicht verwendet. Er wurde erst im Nachhinein von Karl Hartenstein, dem württembergischen Prälaten und ehemaligen Direktor der Basler Mission, kreiert, um die Stossrichtung des Missionsverständnisses von Willingen wiederzugeben.41 In den Worten von Hartenstein:

Die Mission ist nicht nur die Bekehrung der Einzelnen, sie ist nicht nur Gehorsam gegen ein Wort des Herrn, sie ist nicht nur Verpflichtung zur Sammlung der Gemeinde, sie ist Anteilhabe an der Sendung des Sohnes, der Missio Dei, mit dem umfassenden Ziel der Aufrichtung der Christusherrschaft über die ganze erlöste Schöpfung.42

Die gehaltvolle Zusammenfassung von Hartenstein gibt das breite Spektrum des Missionsverständnisses von Willingen treffend wieder. Von den Schwächen dieses Umstands war schon die Rede. Und die Stärken? Die Stärken der drei in Willingen vertretenen Modelle kommen einem missionalen Sendungsverständnis sehr nahe. Von Willingen aus lässt sich ohne weiteres eine ganzheitliche Sendungstheologie schmieden: Die Kirche folgt dem aus sich selbst herausgehenden Gott. Sie lässt sich in die Welt senden, um den Menschen die rettende Botschaft von Jesus Christus zu verkünden und Zeichen seines Friedensreiches aufzurichten. Wort und Tat finden auf dieser Grundlage zu einem wirkungsvollen Ganzen. Damit ist Mission als ganzheitliches Geschehen definiert. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass missionale Vertreter in der Diskussion um die Missio Dei einen der auslösenden Faktoren ihrer Theologie erblicken.

Missionsmodelle in Willingen


2.2Verhängnisvolle Entwicklungen nach Willingen

Die Weltmissionskonferenz in Willingen war die Initialzündung für das Konzept der Missio Dei und sollte in den folgenden Jahrzehnten eine beträchtliche missionstheologische Dynamik entwickeln.43

Vicedom und der nie eingelöste Scheck

Der lutherische Missionswissenschaftler Georg F. Vicedom legte mit seinem 1958 veröffentlichen Werk Missio Dei die erste systematische Abhandlung über das Konzept vor und trug damit entscheidend zu dessen Verbreitung bei. Bezug nehmend auf die missionstheologische Situation seiner Zeit sagt Vicedom zur Missio Dei:

Die Weltmissionskonferenz von Willingen 1952 hat den Begriff aufgenommen, um damit in der protestantischen Christenheit die Mission als Handeln des dreieinigen Gottes zu begründen. Er hat seitdem weithin das Denken in der protestantischen Missionstheologie bestimmt. Missio Dei erklärt die Sendung als Gottes eigene Sache, die er in seinem Sohn begonnen hat und die er durch den Heiligen Geist in seiner Kirche fortführt bis zum Ende der Zeit.44

Aus der Tatsache, dass Gott seinen Sohn sendet und diese Sendung durch den Heiligen Geist in der Kirche fortführt, folgert Vicedom:

Damit ist die Mission der Kirche an die Mission Gottes selbst angeschlossen. So steht die Kirche im Dienste Gottes zur Ausbreitung seines Evangeliums. Sie kann nicht Kirche sein, wenn sie nicht an der Sendung seines Sohnes beteiligt ist. Mission wird damit zur Grundfunktion der Kirche.“ 45

Unter dem Begriff „Sendung“ versteht Vicedom alles, was die Kirche zur Vermittlung des Heils zu tun gerufen ist:

Es wäre jedoch eine Verengung der Missio Dei, wollte man den Begriff nur auf die Sendung beziehen. Zu ihr gehört alles, was um der Heilsmitteilung willen getan werden muss und was Gott tut. Berufung, Vorbereitung, Sendung der Arbeiter wie die Durchführung ihrer vielfältigen Dienste sind Verwirklichung der von der Missio bestimmten Liebe Gottes.46

Georg Vicedom und Karl Hartenstein haben wesentlich zur Prägung des Begriffs Missio Dei und zu dessen Verbreitung beigetragen. Insbesondere haben sie die Missio Dei mit der Sendung der Kirche verknüpft und sie in einem heilsgeschichtlichen Ansatz untergebracht. Allerdings haben sie nach Schirrmacher den „wunderbaren Scheck“, den sie ausgestellt haben, nie eingelöst.47 Bei Hartenstein könne das auf die Kürze der von ihm stammenden Texte über die Missio Dei zurückgeführt werden. Vicedom hingegen habe trotz ausführlicher Beschäftigung mit dem Thema exegetische und systematische Ausführungen „über das innertrinitarische Sendungsverhältnis, über die Verbindung von Gott als Gesandtem zum Menschen als Gesandter, über das Verhältnis des Geistes Gottes, der seit Pfingsten Mission betreibt, zum missionalen Handeln der Kirche“ weitgehend vermissen lassen.48

So bleibt nach Willingen und dem Beitrag Vicedoms die Erkenntnis: Die christliche Mission wurzelt im Wesen Gottes, der ein sendender Gott ist. Die Mission der Kirche ist Teilhabe an der Mission Gottes. So wichtig diese Erkenntnis war, so vieldeutig blieb das Konzept seiner Unschärfe wegen.

Ein „neues“ Missionsverständnis

Das Konzept der Missio Dei wurde an den auf Willingen folgenden ökumenischen Weltmissionskonferenzen aufgenommen und weiterentwickelt.49 Allerdings nicht im Sinne Hartensteins, der die Missio Dei eng mit der Missio Ecclesiae verband: „Die Sendung des Sohnes zur Versöhnung des Alls durch die Macht des Geistes ist Grund und Ziel der Mission. Aus der ‚Missio Dei‘ allein kommt die ‚Missio Ecclesiae‘. Damit ist die Mission in den denkbar weitesten Rahmen der Heilsgeschichte und des Heilsplanes Gottes hineingestellt.“ 50 Für Hartenstein und die deutsche Delegation in Willingen gehörte das missionarische Handeln der Kirche untrennbar zur Missio Dei in der Welt.

Nun aber kam es in der ökumenischen Diskussion zu einer einseitigen Weiterentwicklung des an sich so wertvollen Konzepts. In den 1960er-Jahren übernahmen immer mehr ökumenische Theologen den Begriff der Missio Dei im Sinn des holländischen und des amerikanischen Modells.51 Der missionstheologische Fokus richtete sich weg von der Kirche auf das Wirken Gottes in der Welt – ein Umstand, der in der ökumenischen Bewegung nicht nur auf Zustimmung stieß, sondern auch substanzielle Kritik hervorrief.52 Die Mehrheit aber hatte zu einem „neuen“ Missionsverständnis gefunden: An Gottes Mission teilhaben bedeute, in der Welt mit Gott zusammenzuarbeiten. Ziel sei es, Gottes Schalom aufzurichten. Die Rolle der Kirche sei es, „diese Mission zu bezeugen – weil von ihr zu erwarten ist, dass sie weiß, was vor sich geht – und sich ihr anzuschließen, und zwar in dem Sinne, dass sie mit den Bewegungen in der Welt zusammenarbeitet, die den Schalom fördern, sei es nun, dass sie eine christliche Basis haben oder nicht.“ 53

Die Unterscheidung von Heilsgeschichte und Weltgeschichte, die in Willingen auf Drängen der deutschen Delegation noch aufrechterhalten worden war, wurde nun ganz aufgegeben.54 Damit einher ging ein verändertes Heilsverständnis und als Folge davon eine inhaltliche Neuausrichtung der Mission. Das Ziel war jetzt nicht mehr die Aufrichtung der Herrschaft Jesu durch die Verkündigung des Evangeliums, sondern die Herbeiführung des innerweltlichen Schalom durch christliches Handeln. Die Kirche war nicht mehr beauftragt, das Evangelium zu bezeugen und zum Glauben zu rufen, sie war jetzt nur noch Partnerin im Kampf für Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen und politischer Unterdrückung.

Zur vollen Blüte kam dieses veränderte Heilsverständnis an der siebten ökumenischen Weltmissionskonferenz von Bangkok 1973. Das Eintreten für das Heil wurde zum politischen Kampf, durch den der Mensch Anteil habe am Erlösungswerk Gottes in der Welt. Heil bedeute Friede in Vietnam oder Nordirland. Im Bericht der Sektion II „Heil und soziale Gerechtigkeit“ heißt es:

In dem umfassenden Heilsbegriff erkennen wir vier soziale Dimensionen des Erlösungswerkes: 1. Das Heil wirkt im Kampf um wirtschaftliche Gerechtigkeit gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. 2. Das Heil wirkt im Kampf um die Menschenwürde gegen politische Unterdrückung durch Mitmenschen. 3. Das Heil wirkt im Kampf um Solidarität gegen die Entfremdung der Menschen. 4. Das Heil wirkt im Kampf um die Hoffnung gegen die Verzweiflung im Leben des Einzelnen.55

Heil wird hier seiner eschatologischen Dimension beraubt und auf ein zwischenmenschliches Ereignis reduziert. Bangkok führte zu einer Umdeutung des Heilsverständnisses und damit zu einer radikalen Neuorientierung der Mission. Nicht mehr der Glaube an Christus und der Ruf zum Glauben standen im missionarischen Fokus. Es ging jetzt um die Verwirklichung des Heils im Diesseits durch den politischen Kampf. Die Missio Dei war auf Grund gelaufen.

Es kommt nicht von ungefähr, dass der Begriff der Missio Dei als „Containerbegriff“ bezeichnet wird, in den jeder das hineinlesen kann, was er will. So erstaunt es nicht, dass sich in der ökumenischen Missionstheologie das Schlagwort Missio Dei zwischen Willingen und Bangkok von seiner ursprünglichen Bedeutung emanzipierte und seine eigentliche Bedeutung ins Gegenteil verkehrt wurde. Diese Emanzipation hatte eine dreifache Auswirkung:

 

Erstens wurde mit der Umdeutung des Missio Dei-Begriffs zu einem innerweltlichen Kampfgeschehen die Tür zum Religionspluralismus aufgestoßen. Man war jetzt überzeugt, dass Gott sein Heil in der Welt auch ohne die Kirche wirkt. Gott sei in der Welt befreiend am Werk und bediene sich dazu auch revolutionärer Bewegungen. Gott sei auch in den nicht christlichen Religionen Heil schaffend am Werk. Islam, Hinduismus und Buddhismus seien legitime Heilswege. Verkündigung müsse durch Dialog ersetzt werden.56

Zweitens wurde die Kirche durch die einseitige Fokussierung auf Gottes Wirken in der Welt ihrer missionarischen Bedeutung beschnitten. Wenn Gott für die Mission verantwortlich ist, wenn sie von ihm ausgeht und wenn sie sein Werk ist, dann ist die Kirche nicht für die Missio Dei zuständig und wird dazu auch nicht benötigt. „Eine kirchenorientierte Mission mit dem Ziel einer Einfügung von Menschen in den Leib Christi und der Sammlung der Glaubenden, wie sie noch in der Vergangenheit praktiziert wurde, kann es somit nicht mehr geben.“57

Drittens kam die von den westlichen Ländern angeführte Mission zu einem Stillstand. Angesichts der missionstheologischen Entwicklungen wundert es nicht, dass in Bangkok ein Moratorium (Aufschub) für die Aussendung westlicher Missionare verlangt wurde.58 Die Krise von Willingen führte zum totalen Stillstand von Bangkok. Die Missio Dei hatte keines der drängenden missionstheologischen Probleme lösen können und war selbst zum Problem geworden.

Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten war die Missio Dei ins Gegenteil ihrer ursprünglichen Bedeutung verkehrt worden. Zumindest gilt das für das heilsgeschichtliche Verständnis von Mission, wie es Walter Freytag und Karl Hartenstein in Willingen vertraten. Nur so ist es zu verstehen, dass das Konzept der Missio Dei zur Begründung dafür wurde, die Kirche müsse überhaupt keine Mission mehr treiben.

2.3Die evangelikale Alternative

Man kann von einer Säkularisierung des Missio Dei-Begriffs zwischen Willingen 1952 und Bangkok 1973 reden. Mission wurde als Befreiung und Humanisierung verstanden, nicht mehr als das Angebot der Rechtfertigung durch den Glauben an Christus.59 Diese Veränderung im Missionsverständnis zeigte eine weitere Auswirkung: Die evangelikalen Kräfte schieden aus dem ökumenischen Prozess aus. Zwischen 1966 und 1974 fanden intensive Diskussionen zwischen Evangelikalen und Ökumenikern statt, in der Hoffnung, die sich öffnenden missionstheologischen Differenzen überbrücken zu können – ohne Erfolg.60 Der Bruch zwischen beiden Lagern trat immer sichtbarer zu Tage.61

Die Wheaton Erklärung 1966

Je mehr sich die Ökumeniker einem humanistischen Ziel der Mission verpflichtet fühlten, desto stärker begannen die Evangelikalen, eine Alternative zu entwickeln. Sie wollten das traditionelle Missionsverständnis beibehalten, es gleichzeitig aber mit den Herausforderungen der modernen Welt in Verbindung bringen. Zu diesem Zweck, und um die evangelikal gesinnten Kräfte zu bündeln, begannen sie, eigene Missionskonferenzen abzuhalten.

Vom 9. bis 16. April 1966 versammelten sich 938 Delegierte aus 71 Nationen in Wheaton, Illinois, um über die Aufgabe der Kirche in der Welt nachzudenken. Angesichts der Entwicklung in der ökumenischen Bewegung hin zu einem sozialen Evangelium, stand die Frage nach dem Verhältnis von Verkündigung und sozialer Verantwortung als ungelöste Frage im Raum. Die Delegierten in Wheaton räumten der Evangelisation Vorrang vor der sozialen Verantwortung ein und setzten damit einen Parameter, der über die Jahrtausendwende hinaus Gültigkeit haben sollte.62 Gleichzeitig wurde bedauert, dass sich die Evangelikalen zu wenig um soziale Fragen gekümmert hatten. In der Wheaton-Erklärung heißt es:

Wir haben schwer gesündigt. Wir haben uns einer unbiblischen Isolation von der Welt schuldig gemacht, die uns nur allzuoft davon abhält, ihren Anliegen offen ins Auge zu sehen und sie anzugehen (…) Während die Evangelikalen im 18. und 19. Jahrhundert führend waren in der sozialen Verantwortung, haben im 20. Jahrhundert viele die biblische Perspektive verloren und sich ausschließlich auf die Verkündigung eines Evangeliums der individuellen Erlösung beschränkt, ohne ausreichend ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Als der theologische Liberalismus und der Humanismus in die protestantischen Kirchen eindrangen und ein „soziales Evangelium“ proklamierten, wuchs unter den Evangelikalen die Überzeugung, es bestünde ein Gegensatz zwischen sozialer Aktion und der Verkündigung des Evangeliums. Heute hingegen sind die Evangelikalen zunehmend davon überzeugt, dass sie sich in die großen sozialen Probleme involvieren müssen, denen wir gegenüberstehen. Sie kümmern sich um die Bedürfnisse des ganzen Menschen wegen des Vorbilds ihres Herrn, seiner sie drängenden Liebe, ihrer Verbundenheit mit der menschlichen Rasse und der Herausforderung ihres evangelikalen Erbes. Evangelikale suchen in der Schrift nach Anleitung, was zu tun ist und wie weit sie gehen sollten, um ihre soziale Verantwortung auszuleben, ohne die Priorität der Verkündigung des Evangeliums der individuellen Erlösung einzuschränken.63

Die Wheaton-Erklärung macht deutlich, dass das soziale Gewissen der Evangelikalen aus seinem Tiefschlaf erwacht war. Dieser Umstand war einerseits auf die Herausforderung zurückzuführen, welche der missionstheologische Kurs der Genfer Ökumene darstellte. Anderseits waren es evangelikale Theologen aus der Zwei-Drittel-Welt, welche eine positive Einstellung zur sozialen Verantwortung einforderten.64 In Wheaton wurde ein vorsichtiger Anfang in der Aufnahme der sozialen Frage gemacht, doch „eine theologische Integration der sozialen Verpflichtung in den Missionsauftrag war in Wheaton noch nicht in Sicht“.65 Dennoch war Wheaton bedeutsam:

Wheaton ist bedeutsam durch die Tatsache, dass hier erstmals die sonst mehr auf Abgrenzung bemühten Evangelikalen in einem Kongress zusammenkommen und eine gemeinsame Erklärung zu den Fragen der Weltmission verabschieden, dass sie damit den Anschluss an die theologische und methodische Reflexion der Mission suchen, dass sie erstmals die sozialen Nöte und deren Bedeutung in der Mission ansprechen (…) und dass man sich von der seit 1961 in der Ökumene gängigen sichtbaren und universalen Interpretation der Heilsgeschichte distanzierte.66

Die Frankfurter Erklärung 1970

Ein weiterer Schritt in Richtung eines an die Bibel gebundenen Missionsverständnisses war die Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission von 1970.67 War die Wheaton-Erklärung eine Standortbestimmung für die sich sammelnden Evangelikalen selbst gewesen, suchte man mit der Frankfurter Erklärung die Konfrontation mit der Ökumene.

Positiv bejaht sie das Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden im Sinne einer Begleitung und Beglaubigung der Mission. Auch die humanisierenden Konsequenzen der Bekehrung wurden gewürdigt. Diese könnten aber nichts mehr als Hinweise auf den kommenden messianischen Frieden sein. Allerdings machen die bejahenden Aspekte nur einen kleinen Teil der Erklärung aus, denn sie geht von einer Situation der „inneren Zersetzung“ der Missionstheologie aus, auf die geantwortet werden musste.68

Negativ bemängelt wurde der missionstheologische Kurs der Genfer Ökumene. Dir „Irrlehre“, wonach die Religionen und Weltanschauungen „Heilswege neben dem Christusglauben seien“, müsse verworfen werden.69 Humanisierung sei nicht vorrangiges Ziel der Mission, sie könne nur Folge davon sein. Der immer stärker hervortretende Heilsuniversalismus der ökumenischen Bewegung wurde scharf kritisiert und als unvereinbar mit dem biblischen Zeugnis betrachtet:

Wir bestreiten, dass „christliche Präsenz“ unter den Anhängern der Fremdreligionen und wechselseitiger religiöser Austausch mit ihnen im Dialog ein Ersatz für die zur Bekehrung drängende Verkündigung des Evangeliums seien, statt allein eine gute Form missionarischer Anknüpfung. Wir bestreiten, dass die Entlehnung christlicher Ideen, Hoffnungsziele und sozialer Verhaltungsweisen – auch abgesehen von deren ausschließlicher Beziehung auf die Person Jesu Christi – die Fremdreligionen und Ideologien zu einem Ersatz für die Kirche Christi machen können. Sie geben ihnen vielmehr eine synkretistische und damit antichristliche Ausrichtung.70

Ursprünglich als Gesprächsgrundlage für die Verhandlungen mit der Abteilung für Weltmission und Evangelisation des Ökumenischen Rates der Kirchen gedacht, führte die Frankfurter Erklärung mit ihrer kategorischen Absage an die ökumenische Missionstheologie zu einer starken Polarisierung. Während Evangelikale wie Klaus Bockmühl die Frankfurter Erklärung für eine „notwendige und verdienstliche Thematisierung des berechtigten Unbehagens an der Genfer Linie“ begrüßten,71 kritisierte eine Minderheit die scharfe Abgrenzung, welche die Erklärung provozierte.72 Von den Ökumenikern, welche die Genfer Linie vertraten, wurde die Frankfurter Erklärung abgelehnt. Peter Beyerhaus, der die Federführung der Frankfurter Erklärung hatte, verteidigte sie, indem er darauf hinwies, dass durch den ökumenischen Kurs die Mission an sich gefährdet sei. Die Verfasser seien überzeugt, „dass es hier um das Sein oder Nichtsein nicht nur des gegenwärtigen Missionsbetriebs, sondern der christlichen Kirche und des christlichen Glaubens überhaupt geht“.73 Die Frankfurter Erklärung wolle „den bibeltheologischen Konsensus über Grund, Aufgabe und Ziel der Mission erneuern“.74

Die Frankfurter Erklärung erzielte insbesondere in der evangelikalen Missionslandschaft in Deutschland eine nachhaltige Wirkung. Sie ermöglichte eine missionstheologische Standortbestimmung in deren Folge „sich gegenüber der ökumenischen Missionstheologie eine eigenständig evangelikale Missionstheologie in Deutschland“ entwickelte.75 Einerseits trug die Frankfurter Erklärung so zur Bewahrung des missionstheologischen Erbes lutherisch-pietistischer Tradition bei. Anderseits wurde ihre anti-ökumenische Haltung zu einem identitätsbildenden Element evangelikaler Missionstheologie in Deutschland und zementierte so den Bruch zwischen Evangelikalen und Ökumenikern.76

Lausanne in Sicht

Als im Jahr 1974 der große evangelikale Weltevangelisationskongress in Lausanne stattfand, an welchem rund 4.000 Missionare, Theologen und Leitungspersönlichkeiten teilnahmen, hatten die Evangelikalen definitiv ihren eigenen Weg unter die Füße genommen. Der Bruch zwischen dem ökumenischen und dem evangelikalen Lager war vollzogen. Der Lausanner Kongress wurde von der Billy Graham Evangelistic Association aus dem Bewusstsein ins Leben gerufen, dass sich die ökumenische Missionstheologie immer weiter von ihren biblischen Grundlagen entfernte. So hält Billy Graham in seiner Autobiografie mit Blick auf Bangkok 1973 fest: „Man konzentrierte sich noch stärker auf Themen wie soziale und politische Gerechtigkeit. Die erlösende Kraft des Evangeliums für eine verlorene Welt spielte kaum noch eine Rolle (…) Dieser Trend alarmierte die evangelikalen Christen, die daraufhin begannen, sich um ein gründlicheres Verständnis der biblischen Theologie der Evangelisation zu bemühen.“77 Fortan wurde in der aus dem Kongress hervorgegangenen Lausanner Bewegung intensiv über Grundlage und Praxis der christlichen Mission diskutiert. Der Begriff der Missio Dei spielte dabei keine tragende Rolle. Er war für den ökumenischen Diskurs reserviert und sollte erst zu Beginn des neuen Jahrtausends auch für Evangelikale Bedeutung erlangen.