Missionale Theologie

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Wo liegt der Unterschied?

Was will die missionale Theologie und wofür steht sie? Im Vordergrund der missionalen Diskussion steht die missionarische Aufgabe der Kirche in der Postmoderne: „Die missionale Theologie will Impulse und Denkanstöße für Mission und Evangelisation der Kirche des 21. Jahrhunderts vermitteln. Sie will grundsätzliche Fragen zur Gestalt der Gemeinde in der postmodernen und nachchristlichen Kultur diskutieren.“ 10 Dabei geht es weniger um Gemeindemodelle als um eine Theologie der Kirche und ihres Auftrags: „Die missionale Theologie will keine Modelldiskussion führen, sondern intensiv über die Grundlagen der Kirche der Zukunft nachdenken.“11 Im Zentrum der missionalen Theologie steht der sendende Gott, der sein Volk beruft, missionarische Vertreter seiner Liebe und Herrlichkeit zu sein.12

Gilt eben Gesagtes nicht auch für das traditionelle Attribut „missionarisch“? Scharfe Abgrenzungen zwischen „missionarisch“ und „missional“ erweisen sich als schwierig, da beides damit zu tun hat, das Evangelium den Menschen zu bringen. Allerdings unterscheiden sie sich in der Art und Weise, wie dieser Auftrag verstanden wird. Auf die Gefahr hin, die Unterschiede zu überzeichnen, kann Folgendes gesagt werden:

Mission: Traditionell ist der Begriff „Mission“ ein geografischer Begriff. Mission fand in Übersee unter den nicht christianisierten Völkern statt.13 In der missionalen Theologie ist der Begriff „Mission“ ein Sendungsbegriff. Mission findet überall statt. Die Grenzen zwischen Heimat und Missionsland werden bewusst aufgehoben. Die missionale Theologie hat sich ganz besonders aus dem Bewusstsein entwickelt, dass der säkularisierte Westen Missionsland ist.

Missionsverständnis: Das traditionelle Missionsverständnis evangelikaler Prägung ist individualistischer Natur. Mission besteht in der Herausrettung von einzelnen Menschen aus der Welt. Der missionalen Theologie liegt ein ganzheitliches Missionsverständnis zugrunde. Sie möchte eine Theologie sein, welche die Kirche ausrüstet, den Menschen ganzheitlich, mit ihren geistlichen, leiblichen und seelischen Bedürfnissen, zu dienen.

Kirche: Die missionale Theologie ist eng mit der Ekklesiologie (Lehre von der Kirche) verbunden. Traditionell hat die Kirche eine Mission. Eine Kirche ist missionarisch, wenn sie Missionare aussendet oder die Mission finanziell unterstützt. Mission ist hier eine Tätigkeit der Kirche, ein Arbeitszweig unter anderen. Die missionale Theologie möchte in ihrem Verständnis von Kirche und Mission tiefer greifen. Die Kirche missioniert nicht nur, sie ist mit ihrem gemeinsamen Leben eine Demonstration der Botschaft, die sie verkündigt. Das Losungswort „Kirche ist Mission“ bringt diese Überzeugung treffend zum Ausdruck.

Fokus: Der Unterschied zwischen missional und missionarisch wird zuweilen auch mit Tun und Sein beschrieben. Missionarisch wird mit kirchlichen Handlungsformen in Verbindung gebracht, während missional eine Grundhaltung bezeichnet.

Demnach überschneiden sich „missionarisch“ und „missional“ inhaltlich, weisen aber durchaus eigene Akzente auf, weshalb gilt: Eine missionarische Kirche ist nicht zwingend missional, aber eine missionale Kirche ist immer auch missionarisch.

Zwei Missionsauffassungen


Wenn man das Missional Church Network nach der Bedeutung des Begriffs „missional“ befragt, erhält man einen guten Überblick über die Anliegen der Bewegung. Unter dem Titel „What is missional?“ werden drei Kernanliegen einer missionalen Kirche aufgeführt:

Erstens geht es in der missionalen Kirche um das missionarische Wesen Gottes und der von ihm gesendeten Kirche. Gott ist ein missionarischer Gott, der seine Kirche in die Welt sendet, so wie er selbst heilbringend wirkt.

Zweitens geht es in der missionalen Kirche um „inkarnatorischen Dienst“ in einem nachchristlichen Kontext. Das Modell von Kirche, die Menschen anzieht (attractional model), hat im nachchristlichen Westen seine Wirksamkeit eingebüßt. Die Kirche muss neue Wege wagen, sie muss zu den Menschen gehen und ihnen dienen (incarnational model).

Drittens geht es in der missionalen Kirche darum, Teil zu haben an Gottes Wirken in der Welt. Mission ist nicht ein bloßer Programmpunkt der Kirche, sondern ihr ureigenstes Wesen.14

Quellen missionaler Theologie

Missionale Theologie ist mehr als eine bestimmte Vorstellung, wie Kirche gelebt werden soll. Sie ist weder ein Konzept noch ein Programm, viel mehr eine Bewegung, die sich sauerteigartig über konfessionelle Grenzen hinweg ausbreitet. Sie ist im angelsächsischen Raum stark in Kirchen beheimatet, die der ökumenischen Bewegung nahestehen. In jüngster Zeit hat sie im deutschen Sprachraum auch unter Evangelikalen Fuß gefasst. Hier entsteht eine missionale Theologie evangelikalen Zuschnitts, die Impulse aus der ökumenischen Diskussion aufnimmt, aber auch eigene Quellen hat, aus denen sie sich speist.

Dieses Buch will die Geschichte der missionalen Theologie darstellen, mit besonderer Berücksichtigung ihrer evangelikalen Quellen und Ausprägung. Ich beschreibe einen geschichtlichen Weg auf dem fassbar werden soll, was missionale Theologie ist. Denn: Eine Bewegung versteht man am besten, wenn man mit ihrer Geschichte vertraut ist. Zudem gibt die Geschichte Auskunft über Einflüsse und Anliegen einer Bewegung und schafft Transparenz. Das ist für die missionale Theologie besonders wichtig, weil sie ein überkonfessionelles Phänomen darstellt.

Folgende drei Hauptquellen werde ich beschreiben:

Die erste Hauptquelle ist die Diskussion um den Begriff „Missio Dei“ in der ökumenischen Bewegung. Die entsprechende Diskussion begann an der fünften ökumenischen Weltmissionskonferenz im deutschen Willingen im Jahr 1952 und entwickelte eine beeindruckende Dynamik, obschon der Begriff „missional“ ursprünglich keine Verwendung fand. Missionale Vertreter berufen sich durchweg auf Willingen, um ihre Position zu erklären.

Die zweite Hauptquelle ist die Anstiftung zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis in der evangelikalen Bewegung. Diese Anstiftung geht zurück auf den Weltevangelisationskongress im schweizerischen Lausanne im Jahr 1974. Der Begriff „missional“ wurde in Lausanne und in den Folgekonferenzen zwar nicht verwendet, doch das, was sich abzeichnete, wurde immer klarer zu einem umfassenden Sendungsverständnis, wie es die missionale Theologie darstellt. Diese Quelle hat in der Literatur bisher wenig Aufmerksamkeit erhalten, ist für die Entstehung der missionalen Theologie evangelikalen Zuschnitts aber entscheidend. Ich werde ihr besondere Aufmerksamkeit schenken, um so eine Lücke in der jüngeren Missionsgeschichte zu schließen.

Die dritte Hauptquelle ist die Vision einer „Missional Church“ und die Entstehung des Gospel and Our Culture Networks in Nordamerika. Das Netzwerk wurde in den 1980er-Jahren gegründet und hat dem Begriff „missional“ seine heutige Prägung gegeben. Durch die theologischen Beiträge des Netzwerks sowie anderer Netzwerke fand das Konzept der missionalen Kirche weite Verbreitung.

Hauptquellen missionaler Theologie


Aus Platzgründen ist die folgende Darstellung verkürzend. So müsste, um Vollständigkeit zu erreichen, die Emerging Church berücksichtigt werden, denn gerade der Emergent-Dialog im deutschsprachigen Europa und die Diskussion um eine missionale Theologie weisen Parallelen auf, auch wenn sie nicht gleichzusetzen sind. Das aber würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen.15 Auch auf den Beitrag der Pfingstkirchen kann hier nicht eingegangen werden.16 Megakirchen wie die Willow Creek Community Church von Bill Hybels haben in den letzten Jahren ihre soziale Verantwortung entdeckt und rüsten ihre Mitglieder aus, um sich weltweit für Bedürftige einzusetzen. Entwicklungen wie diese müssen ebenfalls unberücksichtigt bleiben. Auch die Vielzahl von Blogs und Internetseiten über missionale Aktionen werde ich nur am Rande berücksichtigen, weil die Fülle des Materials eine eigene Darstellung verlangen würde. Stattdessen werde ich den Schwerpunkt auf die Missionstheologie legen. Von ihr gingen bisher wenig beachtete, aber entscheidende Impulse aus, die zur Entstehung einer missionalen Theologie evangelikaler Prägung geführt haben.

2.Die Missio Dei und die missionstheologische Entwicklung in der ökumenischen Bewegung seit Willingen 1952

Selten hat ein einzelner Begriff so weitreichende Bedeutung für die Missiologie erlangt wie der Begriff „Missio Dei“. Er gilt als gegenwärtig bedeutendster Leitbegriff für ein missionales Verständnis von Kirche. „Wie kein anderer Begriff hat ‚Missio Dei‘ die ökumenische und missionstheologische Diskussion der letzten 50 Jahre geprägt.“ 17 Diese Feststellung trifft in jüngster Zeit auch für die evangelikale Theologie im deutschsprachigen Europa zu. Immer häufiger berufen sich missionale Theologen und Institutionen auf die Missio Dei und benennen sie als ihr Losungswort.

 

Das Konzept der Missio Dei besagt, dass die Sendung der Kirche in Gottes Wesen und Handeln verankert ist. Der Gott der Bibel offenbart sich als aus sich selbst herausgehender Gott. Er redet, er erschafft, er offenbart sich. Er handelt zum Heil der Menschen und sucht sie zu diesem Zweck, um sie aus ihrer selbst verschuldeten Verlorenheit zu retten. Die christliche Mission hat ihren Ursprung in diesem Heilshandeln Gottes. „Mission ist demzufolge nicht nur eine Aktivität der Kirche, sondern primär eine Aktivität Gottes. Zentrale Mitte der Mission ist nicht die Kirche, sondern Gott selbst. In der Mission ist Gott selbst am Werk.“ 18

Woher stammt der Begriff Missio Dei? Und was vermag er für die Missionstheologie zu leisten? Dieser Teil will eine Antwort auf diese Fragen geben und damit ein zentrales Charakteristikum der missionalen Theologie benennen.

2.1Willingen – Mission in der Krise

Von der missionstheologischen Bedeutung der Missio Dei spricht man seit der ökumenischen Weltmissionskonferenz von Willingen im Jahr 1952. Allerdings wurde der Begriff schon früher verwendet. Das lateinische Wort „missio“ bedeutet „Sendung“ und wurde ursprünglich in der Dogmatik für die sogenannten „innertrinitarischen Sendungsvorgänge“ benutzt. Der Begriff wurde im 4. Jahrhundert n.Chr. vom Kirchenvater Augustin geprägt, um darzustellen, dass der Vater den Sohn sendet und der Sohn und der Vater zusammen den Geist senden.19 Nun wurde diese „innertrinitarische Bewegung“ um eine weitere ergänzt: Vater, Sohn und Geist senden die Kirche in die Welt.20 Dass Gott ein sendender Gott ist, ist kein neuer Gedanke, aber erst in der Folge der Missionskonferenz von Willingen erlangte er missiologische Bedeutung.21

Die Krise der Mission

Die fünfte ökumenische Weltmissionskonferenz fand vom 5. bis 17. Juli 1952 im deutschen Willingen unter dem Thema „Die missionarische Verpflichtung der Kirche“ statt. Das Thema deutet an, dass es angesichts der Herausforderungen der Zeit um eine theologische Besinnung auf die Grundlagen des Missionsauftrags ging.22 Willingen fand in einer Zeit der Krise der Mission statt.23

Es waren insbesondere zwei Umstände, durch welche die großen Umbrüche im Bereich der Mission sichtbar wurden. Zum einen zeichnete sich das Ende der Kolonialepoche mit ihren überragenden missionarischen Erfolgen ab. Die christliche Mission in der Kolonialzeit war außerordentlich erfolgreich gewesen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden enorme Kräfte für die Mission freigesetzt. Die Kirche breitete sich aus und veränderte nachhaltig das Gesicht von Kulturen, die bis dahin vom christlichen Glauben unberührt waren. Man konnte sich bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eines Gefühls der Überlegenheit der westlichen Kultur mit ihren christlichen Wurzeln kaum erwehren. Dieses Gefühl der Überlegenheit der westlichen Kultur und der mit ihr verbundenen Mission schwand. Die jungen Kirchen in den Missionsländern begannen selbstständig Mission zu treiben und traten den Weg in die theologische Mündigkeit an. Das führte zu einer Motivations- und Zielkrise der Mission.24 War die Rede von der „Kirchenpflanzung“ noch angebracht, wenn es immer mehr selbstständige Kirchen in den Missionsländern gab?

Der Westen verlor an allen Fronten seine dominante Stellung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mochte niemand mehr so recht daran glauben, dass die westliche Zivilisation in der Lage wäre, andere Kulturen positiv zu beeinflussen. Die Folge war neben der genannten Motivations- und Zielkrise eine Glaubwürdigkeitskrise der Mission, die eng mit der westlichen Zivilisation verbunden war. Die „Religion des weißen Mannes“ war durch den Krieg, der von einer „christlichen Nation“ ausging, in Misskredit geraten.25 Damit verschärfte sich die Krise der christlichen Mission, die schon mit dem Ersten Weltkrieg eingesetzt hatte:

An den Gräueltaten dieses Krieges [des Ersten Weltkrieges] mit seinem maschinellen Massenmorden, den Giftgaseinsätzen und Millionen von Toten zerbrach der Traum westlicher Überlegenheit. Hatte man sich um die Jahrhundertwende noch als die fortschrittlichste Zivilisation betrachtet, gemessen an rationaler Weltdeutung, wissenschaftlichen Erfindungen, wirtschaftlichem Fortschritt, militärischer Vormachtstellung und religiös-weltanschaulich-ethischer Überlegenheit, so wurde diese Sichtweise Lügen gestraft: Das sich selbst als aufgeklärt und rational verstehende Europa hatte sich durch die Grausamkeiten des Weltkrieges gründlich diskreditiert. Die Ära des Imperialismus ging allmählich ihrem Ende entgegen, ein Neuerwachen des Selbstbewusstseins außereuropäischer Kulturen und Religionen setzte ein.26

Die Erschütterung Europas durch die beiden Weltkriege erschütterte auch die Mission und warf Fragen von großer Tragweite auf: „Das Ende der Kolonialreiche und damit das Ende der Epoche der engen Verbindung von europäischer Expansion und Mission zeichnete sich ab. Was bedeutete das für die Mission? Würde sie als Teil des westlichen Imperialismus mit diesem aus den unabhängig werdenden Kolonien ausgeschlossen werden?“ 27

Zum andern wurde die Missionsarbeit durch die weltweite Ausdehnung des Kommunismus infrage gestellt. Nur gerade vier Jahre vor Willingen waren nach der kommunistischen Machtübernahme in China alle christlichen Missionare des Landes verwiesen worden. Osteuropa war unter den kommunistischen Hammer geraten. Die marxistische Ideologie breitete sich in rasend schnellem Tempo über den Globus aus und brachte einen aggressiven Atheismus hervor. Mehr als ein Drittel der Menschheit blieb so für die christliche Mission verschlossen. War die Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 noch vom begeisterten Motto „Das Evangelium der Welt in dieser Generation!“ getragen gewesen, rückte jetzt die Durchdringung der Welt mit dem Evangelium in unbestimmte Ferne.

Drei Missionsmodelle

Die Krise der Mission war in Willingen evident, sodass von einer „Orgie der Selbstkritik“ im Missionsdenken des Westens gesprochen wurde.28 Dass dieses Bewusstsein schon die Konferenzvorbereitungen prägte, zeigte sich am Bericht, den die amerikanische Delegation für Willingen erstellte. Er trug den bezeichnenden Titel „Why Missions?“ Wie konnte unter den genannten Umständen Mission überhaupt noch begründet und durchgeführt werden? Als Antwort auf diese Frage kristallisierten sich in Willingen drei unterschiedliche Missionsmodelle heraus:29

Da war zunächst das heilsgeschichtliche Modell, das vor allem von der deutschen Delegation vertreten wurde. Die Mission steht nach diesem Modell ganz im Zeichen der Eschatologie. Mission kann nur im Blick auf das Ende richtig verstanden werden. Am Ende aber erscheint Gott in der Person seines Sohnes Jesus Christus als Richter, vor dem sich alle Menschen verantworten müssen. Die Mission ist der heilsgeschichtliche Sinn der Zwischenzeit zwischen der Himmelfahrt Christi und seiner Wiederkunft. Bevor sich diese ereignen kann, muss das Evangelium zur Rettung der Menschen verkündigt werden; dann wird das Ende kommen. In diesem Modell spielt die Kirche eine zentrale Rolle: „Die Kirche ist mit ihrer Mission das Werkzeug ihres Herrn bei der Durchführung seines Heilsplans.“ 30

Dem heilsgeschichtlichen stand das verheissungsgeschichtliche Modell gegenüber, das hauptsächlich von den Holländern eingebracht wurde. Für sie war die gegenwärtige Zeit nicht bloß eine Zwischenzeit zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft. Vielmehr ist ihrer Auffassung nach zu betonen, dass mit dem Kommen Jesu das Reich Gottes angebrochen ist. Nicht das kommende Reich, sondern das gegenwärtige Reich steht im Zentrum der Überlegungen. Es geht in der Mission um die Gegenwart des Königreichs Gottes unter den Menschen und um die Anteilhabe der Kirche an diesem Werk. Die Kirche „geht als Werkzeug des Herrn mit den Aposteln hin, das Reich Gottes der Welt anzuzeigen und Zeichen des Schalom Gottes aufzurichten.“ 31 Die Kirche hat also nicht nur durch Verkündigung, sondern ebenso durch die christliche Tat Anteil am Wirken Gottes in der Welt.

Ein trinitarisches Modell vertrat nicht zuletzt die gewichtige nordamerikanische Delegation. Nach diesem Modell ist Gott sowohl der Herr der Kirche als auch der Welt. Um Gottes Handeln in der Kirche und in der Welt zu begründen, wird auf die Trinitätslehre zurückgegriffen. Die missionarische Verpflichtung der Kirche ist in der aus sich herausgehenden Aktivität Gottes begründet, der alle Menschen in seine Gemeinschaft ruft. Die Betonung liegt auf dem Wirken Gottes in der Welt. Im Kommissionsbericht „Why Missions?“ heißt es: „He is not only the Head of the Church but ahead of both the Church and the world, ‚making all things new‘“.32 Die Kirche muss sich, um Anteil an Gottes Wirken zu haben, der Welt zuwenden. Ein Missionsverständnis, das sich mit der Rettung von Seelen begnügt, wird abgelehnt.33 Stattdessen geht es in der Mission, ähnlich wie im verheißungsgeschichtlichen Modell, um die Verwandlung der Welt: „Die Mission der Kirche ist nichts anderes als die dynamische und vollständige Antwort auf die dynamische Aktivität des dreieinigen Gottes im Evangelium und in der gegenwärtigen Situation und zielt auf die Transformation des individuellen wie kulturellen Lebens der Menschen.“ 34

Heftiges Ringen

Die unterschiedlichen Missionsmodelle zeigen, wie breit das missionstheologische Spektrum in Willingen war. Dass diese nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen waren und dass damit Spannungen vorprogrammiert waren, liegt auf der Hand. Das von den Amerikanern vertretene Modell war äußerst optimistisch. Es war beeinflusst vom Social Gospel. Dieses ging von der Auffassung aus, dass sich das Heil in der Veränderung sozialer Strukturen zeigt und Demokratisierung und Fortschritt bewirkt.35 Ähnlich optimistisch war das Modell der Holländer. Es sah Gott dort am Werk, wo Fortschritt in der Weltgeschichte sichtbar wurde. Diesen Optimismus konnten die Deutschen nicht teilen. Sie hatten unter dem Nationalsozialismus Adolf Hitlers schmerzhaft erfahren, wie ein politischer Messianismus in die Katastrophe mündete.

Wie sollte der eschatologisch ausgerichtete Ansatz der Deutschen mit den optimistischen Ansätzen der Holländer und der Amerikaner unter ein Dach gebracht werden? Folge dieser kaum überbrückbaren Ansätze war ein heftiges Ringen um die richtige Verhältnisbestimmung der Mission. Sautter beschreibt eindrücklich, wie vor allem um die Bedeutung der Heilsgeschichte in der Mission debattiert wurde.36 Es gelang zwar, wichtige Anliegen des heilsgeschichtlichen Ansatzes aufzunehmen, aber im Grunde genommen hatten der holländische und der amerikanische Ansatz ein Übergewicht geschaffen. Günther fasst das Ringen um eine gemeinsame Sicht so zusammen:

Erst nach mehreren Anläufen gelingt es am Ende der Tagung, diese verschiedenen Begründungen der Mission in einer gemeinsamen Erklärung zusammenzufassen. Es ist ein Kompromiss, in dem diese Ansätze relativ unverbunden nebeneinander gestellt werden. Aber allen Erklärungsmustern ist ein wesentliches Element gemeinsam, nämlich dass die Mission letztlich in Gott selbst ihren Ursprung hat. Er selbst begründet die Mission. Sie ist letztlich Gottes Sache. Es ist sein Heilsplan, bei dem er die Mission der Kirche in der Zwischenzeit als sein Werkzeug benutzt. Es ist sein gegenwärtiges Reich, das die Kirche in ihrem Apostolat der Welt bezeugt. Es ist der dreieinige Gott selbst, der als Schöpfer, Sohn und Heiliger Geist missionarisch auf die Welt zugeht. Mit ihrer Mission reagiert die Kirche (nur) auf dieses Handeln Gottes. Nicht menschliches Wollen begründet also die Mission, nicht die Kirche ist der Träger der Mission, sondern sie geht von Gott selbst aus, die Kirche hat nur Anteil an dieser Mission, die immer Gottes Mission bleibt.37

Entsprechend dieses Ringens um eine gemeinsame Position heißt es in der Abschlusserklärung der Konferenz relativ unkonkret:

Die Missionsbewegung, von der wir Teil sind, hat ihren Ursprung in dem dreieinigen Gott. Aus den Tiefen seiner Liebe zu uns hat der Vater seinen eigenen Sohn gesandt, alle Dinge mit sich zu versöhnen (…) Als dieses Werk vollbracht (…) war, sandte Gott seinen Geist, den Geist Jesu (…) In Christus sind wir erwählt, mit Gott versöhnt durch ihn, zu Gliedern seines Leibes, Teilhabern seines Geistes und durch die Hoffnung auf sein Reich zu Erben gemacht, und durch eben diese Tatsachen sind wir zur vollen Teilnahme an seiner rettenden Sendung bestimmt. Man kann nicht an Christus teilhaben, ohne teilzuhaben an seiner Mission an die Welt. Die gleichen Taten Gottes, aus denen die Kirche ihre Existenz empfängt, sind es auch, die sie zu ihrer Weltmission verpflichten. ‚Wie mich der Vater gesandt hat, also sende ich euch.‘38

 

In der Erklärung der erweiterten Versammlung des Internationalen Missionsrates vom 19. Juli 1952, der im Anschluss an die Konferenz tagte, heißt es, diesen Faden aufnehmend, prägnant:

Die Berufung der Kirche zur Mission und zur Einheit entspringt aus Gottes eigenem Wesen, wie es uns entgegentritt in der gesamten biblischen Offenbarung über das Werk und den Plan Gottes in Christus.39

Damit war die Mission in Gottes Wesen und mit dem Hinweis auf Joh 20,21 in der Sendung Jesu verankert. Diese doppelte Verankerung der Mission sollte eine beeindruckende Wirkungsgeschichte erfahren. Wesentlichstes Ergebnis von Willingen war die Erkenntnis, dass die Mission ihren Ursprung in Gott selbst hat. Diese Verankerung der Mission im Wesen Gottes hatte zunächst eine befreiende Wirkung. Neu wurde bewusst: Christliche Mission ist Gottes Mission! Gott selbst ist in der Mission am Werk! Das wirkte angesichts des schwindenden Einflusses des Westens und der kommunistischen Drohkulisse wie eine Erlösung.40 So befreiend diese Erkenntnis angesichts der Krise der Mission war – sie konnte nicht über grundsätzliche Differenzen hinwegtäuschen. Man fand nur zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung, weil die unterschiedlichen Sichtweisen nebeneinander gestellt wurden. So blieb das Wesen der Mission unscharf. Das sollte sich in den auf Willingen folgenden Jahren als verhängnisvoll erweisen.