Sommer des Zorns

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Kapitel 4

„Kannst du das mal halten?“

Aiden reichte mir ein Stück Zaun. Wir mussten unbedingt den Acker vor den wilden Mustangs schützen. Die Herde war von unseren Arbeitern am Morgen hier in der Nähe gesichtet worden. Sie würden ins Feld galoppieren und das junge Getreide zerstören. Die zarten Halme waren vielleicht zehn Zentimeter hochgewachsen und leuchteten in frischem Grün. Wenn die Mustangs sich jetzt daran gütlich taten, war an eine erfolgreiche Ernte nicht mehr zu denken. Also setzten wir jetzt Pfähle und spannten einen Zaun, der sie davon abhalten sollte.

Ich fand es lächerlich. Kein Zaun in dieser Höhe hielt einen Mustang davon ab, seinen Weg fortzusetzen. Aber eine andere Möglichkeit hatten wir nicht.

Mein Blick glitt über das Feld. Der Weizen neigte sich mit seinen schlanken Halmen gen Westen. Hier wehte oft der Ostwind von den Bergen herab und gab den Halmen ihre Form. Die leichte Neigung behielten sie bis zur Ernte bei. Das hatte ich schon oft gesehen.

„Du bist nicht bei der Sache, Jacky. – Gib mir den Draht. Bitte!“

Aidens Tonfall klang ärgerlich. Aber zu Recht. Ich war mit meinen Gedanken beschäftigt und konzentrierte mich nicht auf die Arbeit. Meistens war er mit mir sehr nachsichtig. Aber diesen Tonfall kannte ich an ihm. Ich nahm es ihm nicht übel.

„Wie denkst du über die Zucht mit den wilden Mustangs? Wir könnten einen fangen?“

Ich handelte mir mit meiner Frage einen erstaunten Blick ein.

„Du weißt genau, was Jack davon hält. Warum denkst du noch darüber nach?“

„Hast du sie je beobachtet?“

„Fragst du das den Indianer oder den Iren in mir?“

Es wäre auf die gleiche Antwort hinausgelaufen. Michael, Aidens verstorbener Vater, war immer fasziniert von den Mustangs gewesen. Und die Indianer hatten von je her mit den Mustangs gelebt, sie gezähmt und zu Nutztieren gemacht. Natürlich beobachtete er sie.

„Denkst du, Jack hat Recht? – Ich meine, wir könnten es doch mal mit einem versuchen. Was vergeben wir uns damit?“

Aiden hob die Schultern an.

„Ich zweifele die Entscheidung des Bosses nicht an. Du hast da eine andere Position.“

Er lächelte leicht und konzentrierte sich darauf, den Draht durch die Öse zu ziehen, die er gerade in den Holzpfahl gedreht hatte. Mein Blick klebte an seinen feingliedrigen und durch die Sonne gebräunten Händen. Sein etwas dunklerer, indianischer Teint fiel kaum auf. Wir arbeiteten ständig im Freien und auch ich war mittlerweile sonnengebräunt.

„Aber, wenn der Chef dich fragen würde, wie du darüber denkst. Was würdest du dann sagen?“

„Ich bin deiner Meinung. Man könnte es mal mit einem Tier versuchen. Und dann weitersehen.“

„Ah!“

Somit fand ich in ihm einen Verbündeten.

„Wir könnten einfach mal einen einfangen. Jack müsste es ja nicht wissen.“

„Jacky! Du arbeitest an deinem Vater vorbei?“

Ich lachte. Manchmal musste Jack zu seinem Glück gezwungen werden.

„Kann ich mich auf dich verlassen?“

Er zuckte wieder die Achseln.

„Ich weiß nicht. – Vielleicht, wenn wir mal nicht so viel zu tun haben. Dann könnten wir in die Berge reiten und nach den Mustangs suchen.“

„Abgemacht?“

„Abgemacht.“

Er zog jetzt den Draht stramm und wickelte ihn zweimal um die Öse, damit er die Spannung hielt.

„Wie geht es dir eigentlich mit dieser Phoenix-Sache? Hast du dich mit Jack versöhnt?“

„Er weiß, ich habe nichts damit zu tun!“

„Ist mir schon klar. Jeder weiß das. Wie geht das jetzt weiter?“

Ich zuckte die Schultern und reichte ihm den Zweipfünder Hammer. Er musste damit die Eisenstange in den Boden treiben, um das Loch für den nächsten Pfahl vorzubereiten. Während er mit der im Boden steckenden Stange durch kreisende Bewegungen das Loch vergrößerte, hing mein Blick an seinen Oberarmen. Seine Muskeln waren angespannt bei dieser anstrengenden Arbeit, und die Oberarme gingen in einer sanften Rundung in die Schultern über. Leicht ausgestellt, Stärke demonstrierend, die mir jederzeit präsent war. Aiden war stark. Sein ganzes Leben lang hatte er auf dieser Ranch hart gearbeitet. Jetzt zog der Staub, der sich mit seinem Schweiß verband, eine fast graue Schicht über seine Schultern. Ich wusste, wie diese Schultern aussahen, wenn sie frisch geduscht waren. Aber warum dachte ich gerade jetzt darüber nach? Aiden war ein Mann. Immer schon. Für mich war er mehr ein Bruder gewesen, als jemand, der einem Frank Hoover Konkurrenz hätte machen können. Aber seit der Nacht mit David und der verblüffenden Ähnlichkeit mit Aiden, hatte ich mir immer öfter ins Gedächtnis gerufen, das Aiden in erster Linie ein Mann war, der nicht mit mir verwandt war. Wir waren keine Geschwister. Wohl als solche aufgewachsen. Aber er stammte aus einer anderen Familie als ich. Doch warum wurde mir das jetzt gerade bewusst? Empfand ich etwa mehr für ihn, als Geschwisterliebe? Immer häufiger erwischte ich mich in den letzten Tagen dabei, wie ich mir vorstellte, wenn er und ich… Ich war lange nicht mehr in Phoenix gewesen. Möglicherweise lag es daran.

Seit der Sache mit David hatte ich mir solche Touren verkniffen. Ich fürchtete mich sogar davor. War mir nicht im Klaren darüber, ob ich überhaupt jemals wieder nach Phoenix in diese Bar, oder in irgendeine andere Bar gehen würde.

„Jacky?“

„Sorry!“ Ich musste sehr in meine Gedankengänge vertieft gewesen sein und reichte ihm nach seiner Mahnung eine Öse.

„Vermisst du es?“

„Was?“ Ich hatte doch nicht etwa laut gedacht?

„Deine Ausflüge nach Phoenix?“

„Warum sollte ich sie vermissen?“

„Du warst seit jener Nacht nicht mehr dort.“

„Beobachtest du mich, Aiden?“

Er lächelte und wischte mit dem Handrücken den Schweiß an seiner Stirn weg. „Ich habe mich immer gefragt, was du machst, wenn du abends wegfährst und mitten in der Nacht erst wiederkommst.“

„Nun weißt du es ja!“

„Hast du niemals in Erwägung gezogen, dein Glück vielleicht vor der Haustür zu suchen?“

Ich suchte den Blickkontakt mit ihm und entdeckte etwas in seinen Augen, das wie Begehren wirkte. Das hatte ich in ihnen noch nie gesehen. Dabei liebte ich sie. Sie wirkten so geheimnisvoll dunkel. Dieses tiefklare Braun und die seidigen Wimpern. Weich, wie ein Meer aus Samt. Mein Herz schlug jetzt etwas schneller.

„Wir sollten sehen, dass wir mit dem Zaun fertig werden.“

Ich wich ihm aus. Aber ich verstand gerade meine Gefühle nicht gut genug, um klar denken zu können. Aiden war mein Bruder. Dabei war er es auch wiederum nicht. Wir waren nur wie Geschwister aufgewachsen. Und jetzt sah er so furchtbar sexy aus, so staubüberzogen und muskulös. Sein einfaches Achselshirt war vom Staub des Feldes verschmutzt und seine lässige Jeans umspielte seine Hüften, die weit schmaler waren, als seine Schultern. So hatte ich ihn noch nie betrachtet.

„Ich meine nur – warum Phoenix? Und warum immer irgendwelche Fremden?“

„Nur wegen des Geredes! Du siehst ja an Ted Middleton, was daraus werden kann. Mach jetzt weiter, McLeod.“

Manchmal sprach ich ihn einfach mit seinem Nachnamen an. Dabei wäre er als Partner für mich genauso passend, wie Frank. Aiden war hier aufgewachsen und kannte die Ranch und ihren Betrieb so gut, wie Jack oder ich. Er war nicht unser Vorabeiter, weil sein Vater es auch gewesen war. Er hielt diesen Posten inne, weil der dafür qualifiziert war, auch ohne Studium.

„Sieh dort!“ Er legte den Hammer weg und trat neben mich. Mit der Rechten deutete er zu den Bergen hin und die Linke legte er um meine Schulter. Zog mich leicht an sich.

Ich sah sie. Die Mustangs. Der Leithengst war ein graues, eher unscheinbares Tier. Aber jetzt riss er den Kopf in die Höhe und schlug damit, als wolle er uns verhöhnen und sagen: „Ja, baut ihr nur euren Zaun. Das hält mich nicht ab.“ Ein lautes Wiehern scholl zu uns herüber und ließ das Kribbeln unter meiner Kopfhaut stärker werden. Dann trieb er seine Herde wieder in die Berge zurück. Unsere Blicke verfolgten sie, bis sie ihnen entschwunden waren.

„Sind sie nicht wunderschön?“, flüsterte ich andächtig. Voller Bewunderung für diese Anmut und Schönheit.

Wir standen da, in einer fast zärtlichen Umarmung und sahen den Mustangs nach. Nur zaghaft löste ich mich aus seinen Armen. Wir hatten uns schon oft auf diese Weise umarmt. Aber heute schien es mir irgendwie anders zu sein.

Seine Hand verweilte noch einen Moment auf meinem Rücken. Wie Halt gebend, als würde er ahnen, dass mein Halt im Moment nicht allzu weit reichte.

„Ja, sie sind wunderschön. Aber sie zerstören unser Getreide.“

„So ist es!“ Ich reichte ihm den nächsten Holzpfahl von der Ladefläche des Pickups. Mit dem Sechspfünder trieb er ihn jetzt in das Loch, das er mit dem Eisen vorgebohrt hatte. Jeder Schlag saß. Ich beobachtete sein Muskelspiel, die Leichtigkeit, mit der er scheinbar den schweren Hammer schwang. Und das Kribbeln in meinem Bauch nahm zu.

Wir setzten die Pfähle und banden den Draht, bis das Feld komplett eingezäunt war. Dann kehrten wir zum Ranchgebäude zurück.

Der große Traktor stand mitten auf dem Hof und einige unserer Arbeiter standen um ihn herum und suchten scheinbar einen Fehler unter seine Motorhaube, die offenstand.

„Was ist hier los? Stimmt etwas nicht?“

Wir hatten den Pickup auf seinem Parkplatz abgestellt.

„Boss, er läuft unrund.“

Aiden nahm sich des Problems an und ich ging ins Haus, um zu duschen.

Dabei wanderten meine Gedanken zu Aiden. Er würde gleich auch eine Dusche nehmen, in dem kleinen Häuschen am Fluss unten. Warum empfand ich plötzlich so für ihn? Spürte die Schmetterlinge im Bauch. Lösten seine Bemerkungen diese Gedanken bei mir aus? Ich wusste ja noch nicht mal, ob er es auf sich bezogen hatte. Möglicherweise meinte er es nicht so.

 

Ich traf ihn beim Abendbrot wieder.

„Was stimmte nicht mit dem Traktor?“, wollte Jack wissen. Es sah Aiden prüfend an.

„Ein Hydraulikschlauch ist geplatzt. Ich habe ihn mir vorgenommen. Meines Erachtens war da ein Messer am Werk.“

„Du meinst Sabotage?“

Aiden nickte nachdenklich. „Es sah danach aus.“

Jack senkte den Kopf und stocherte in dem Kartoffelsalat herum, der auf seinem Teller lag. Waleah war eine hervorragende Köchin, aber sie reagierte auch gerne betroffen, wenn das Essen nicht zu schmecken schien. Ein kritischer Blick traf ihn von ihr.

„Das wäre fatal!“ murmelte Jack. Ich fragte mich, wer als Saboteur in Frage kommen könnte. Ted Middleton? Trieb er sich hier auf unserem Gelände herum? Nur unsere Mitarbeiter hatten Zugang zu unseren Maschinen.

„Ich kann mich vielleicht auch täuschen.“

Aiden klang nicht überzeugend. Er wollte Jack beruhigen. Aber damit war er nicht sehr erfolgreich.

„Wir müssen das im Auge behalten. Die Jungs sollen wachsam sein.“

„Ich werde mit ihnen sprechen.“

„Ja, aber nur mit denen, denen wir wirklich vertrauen können. Wir haben einige neue Männer eingestellt in den letzten Wochen. Möglicherweise ist einer von ihnen das faule Ei. Und versuche etwas über die Neuen herauszubekommen.“

„Kann es nicht einfach ein Materialfehler gewesen sein?“

Ich wollte nicht recht an Sabotage glauben. Warum sollte uns jemand schaden wollen? Wir hatten keine Feinde.

Aiden hob die Achseln. Er hatte ja schon gesagt, er könne sich täuschen. Aber er schien nicht davon überzeugt zu sein.

Nach dem Essen sattelte ich Princess und ließ meinen Fragen und ihren Hufen freien Lauf. So konnte ich am besten nachdenken. Die Tatsache, dass sich Middleton hier aufhalten könnte, veranlasste mich, mein Gewehr bei mir zu tragen.

Ich erreichte die große Weidefläche, verhielt einen Augenblick mein Pferd, bevor ich es wieder antrieb. Aiden wäre kein so schlechter Partner für mich. Er kannte die Ranch von klein auf und legte ebenso viel Herzblut hinein, wie ich. Und er war mein bester Freund. Ich vertraute ihm blind. Vermutlich würde ich wohl kaum einen Fremden finden, der den gleichen Enthusiasmus für die Ranch aufbringen würde. Mit Frank war es mir damals gelungen. Ja, Frank.

Durch die Ereignisse der letzten Tage, waren meine Gedanken an ihn nicht häufig aufgekommen.

Langsam fragte ich mich, was genau ich vermisste. War es Franks Wesen, seine Anwesenheit? Oder war es einfach die Nähe, die Zärtlichkeit, die zwischen uns herrschte? Die Zärtlichkeit hatte ich versucht zu ersetzen in diesen Nächten, die ich in Phoenix verbrachte.

War es vielleicht nur die fehlende Perspektive einer Alternative. Weil einfach kein neuer Partner in Sicht war? Es war schwierig, jemanden zu finden, der sein Leben aufgab um hier mit mir zu leben. Und ich würde mein Leben hier nicht aufgeben. Das wusste ich zu genau. Wäre Frank nicht von Anfang an bereit gewesen, hier her zu kommen, hätte es Schwierigkeiten gegeben. Das meine Zukunft hier stattfinden würde, stand für mich damals schon fest. So wie heute noch.

Für die Arbeit auf der Ranch fehlte er mir nicht mehr. Ich konnte mit Aiden oder Jack genauso über alles, na ja, über fast alles reden. Der Betrieb lief auch ohne Frank gut. Aiden war von uns verstärkt mit in die Leitung hineingenommen worden. Sein Interesse galt immer schon der Ranch. Somit fehlte Frank hier weniger. Ich arbeitete ja nun auch wieder voll mit und wir kamen damit klar. Was uns an Arbeitern fehlte, hatten Jack und Aiden eingestellt. Wir hatten für diesen Sommer einige neue Mitarbeiter benötigt.

Die Worte meines Vaters kamen mir in den Sinn. Sollte einer von ihnen ein sogenannter smarter Kunde sein und Sabotage bei uns betreiben? Bis jetzt war es nur ein Schlauch, der aussah, als wäre er mit einem Messer bearbeitet worden. Und Aiden hatte gesagt, er könne sich getäuscht haben.

Mein Blick wanderte über die Weiden, die ich durchstreifte. Frank! Ich dachte schon wieder nicht mehr an ihn? Wo war meine Trauer geblieben?

Ich ließ meinen Blick über die Hügelkämme gleiten und erblickte eine Gestalt am Horizont. Ein Reiter, der sich schwarz vor der untergehenden Sonne abhob. Das lange Haar wehte im leichten Abendwind. Ich wusste wer dort vor mir ritt und beschleunigte Princess. Mir war eben im Stall die leere Box seines Pferdes nicht aufgefallen.

Bei der Größe unseres Ranchgeländes war es sehr unwahrscheinlich, sich hier draußen zufällig zu treffen. Was also tat er hier?

Mir wurde bewusst, wie vorhersehbar ich war. Jeder auf der Ranch kannte meine Vorliebe für den Norden unseres Besitzes. Hier, wo die Weiden sanft die Hügel hinan stiegen, immer mehr von der roten Arizonaerde durchsetzt und durch einzelne Gruppen Ponderosakiefern oder Kakteen unterbrochen wurden und dann weiter höher in die rötlichen Klüfte der Rocky Mountains übergingen, hielt ich mich gerne auf. Es gab hier wenige Zäune und so konnte ich meinem Pferd freien Lauf lassen. Jeder, der mich kannte, wusste das. Möglicherweise wäre es klug, meine Taktik zu ändern und meine Gewohnheiten abzulegen.

Ich lenkte jetzt mein Pferd zu einer der Baumgruppen aus Kiefern und stieg ab. Princess durfte einfach etwas grasen. Es war nicht notwendig, sie anzubinden. Der Berglöwe existierte nicht mehr, so drohte keine Gefahr.

Wie immer ging ich meiner Lieblingsbeschäftigung nach, im Gras zu liegen und den Himmel zu beobachten. Heute zogen leichte Wolkenstreifen, von Flugzeugen verursacht, durch das zarte Rosa des Abendhimmels. Ich sank ins Gras und streckte mich lang aus. Was auch immer Aiden hier draußen hatte tun wollen, er würde auf jeden Fall herkommen, weil er mich gesehen hatte.

In der Tat dauerte es nur wenige Minuten, und er sprang vom fast noch galoppierenden Pferd ab und fiel neben mir ins Gras. Das hatten wir als Kinder oft gemacht, um den anderen zu erschrecken. Inzwischen kannten wir uns zu gut, als dass es noch gelang. Aber wir hatten uns diesen Scherz schon lange nicht mehr erlaubt. Wir waren jetzt erwachsen.

Er lächelte mich an und drehte sich auf den Bauch, zog einen Grashalm aus dem Wurzelhalm und kaute auf dem weißlichen Ende, das, wie ich nur zu gut wusste, einen leicht süßlichen Geschmack hatte.

„Was tust du hier?“, fragte er.

„Und du?“

Ich ließ mich nicht ausfragen.

„Habe nach den Mustangs gesehen.“

„Ich auch.“

Er lachte leicht. „Ja, klar, Springfield. – Ich denke, du hast Trübsinn geblasen.“

„Sehe ich etwa trübsinnig aus?“

Ich legte ein glanzvolles Lächeln auf mein Gesicht.

Er sah mich an, wider Erwarten sehr ernst.

„Wie oft schaust du eigentlich in den Spiegel, Springfield?“

„Vermutlich viel zu oft. Warum?“

„Hast du je gesehen, wie hübsch du bist?“

Ich war überrascht. Aiden hatte mir noch nie ein Kompliment gemacht und gleich tauchte dieses Kribbeln wieder auf, dass ich in den letzten Tagen häufiger in seiner Gegenwart verspürt hatte.

„Ach, Blödsinn, du Schmeichler. Was willst du mir damit sagen?“

„Du verkaufst dich unter Wert, wenn du dich Männern einfach so an den Hals wirfst.“

Ich fixierte seine Augen.

„Tue ich das denn?“

Er zuckte mit den Achseln und wich meinem Blick aus. Ich fragte mich, ob Jack mit ihm über Details aus Phoenix gesprochen hatte. Wenn er nur die Bruchteile mitbekommen hatte, die wir beim Abendessen besprochen hatten, konnte er solche Dinge nicht wissen. Woher glaubte er also zu wissen, was ich in Phoenix getan hatte?

Ich zog verächtlich den Mundwinkel hoch und atmete aus.

„Du weißt nichts über mich, McLeod!“

Was dachte er sich eigentlich? Er wusste noch nicht einmal etwas Genaues und verurteilte mich gleich? Ich wurde ärgerlich und erhob mich aus dem Gras. Ein Pfiff und Princess kam zu mir gelaufen. Mit einem Griff zum Sattelhorn und etwas Schwung saß ich auf ihrem Rücken.

Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, galoppierte ich davon.

Kapitel 5

Ich stellte Princess in ihre Box. Der Sattel war schnell weggeräumt und den Rest erledigte Phil, der Stallbursche. Ich dankte ihm kurz und verschwand im Haus, und duschte ein zweites Mal. Stand vor meinem Kleiderschrank und fühlte mich umtriebig. Warum sollte ich nicht nach Phoenix fahren? Ich könnte in den Billard-Saloon gehen, der eine Straße weiter neben dem Char‘s lag, dachte ich. Vielleicht nur eine Runde Pool spielen. Was war schon dabei? Ich vergab mir nichts. Und ich war nicht zwangsläufig darauf angewiesen, mich mit jemandem einzulassen. Nur etwas spielen. Ein bisschen flanieren und sich zeigen. Mehr nicht. Das war nicht verwerflich. Ich musste ja auch nicht bis tief in die Nacht wegbleiben. Ich musste nur ein paar Stunden hier herauskommen. Heraus aus dem Nest, bevor ich einen Koller bekam. Außerdem war es unwahrscheinlich, dass ich dort ein zweites Mal auf Ted Middleton treffen würde. Die Polizei suchte nach ihm, deshalb ging ich davon aus, dass er sich verstecken würde und nicht in Phoenix durch die Clubs zog.

Kurzerhand zog ich eine enge Jeans, Wasserfall-T-Shirt und Cowboy-Stiefel an. Kleidete mich nicht zu auffällig oder gar aufreizend. Den Hut nehmen und das Zimmer verlassen waren eine Bewegung. Auf der Treppe begegnete mir Jack.

„Du verlässt das Haus?“

„Habe ich etwa Ausgangssperre?“ Ich lief weiter, ohne eine Antwort abzuwarten.

„Jacky!“

Ich hielt ein und drehte mich nun doch langsam zu ihm um.

„Was, Jack? Ich bin achtundzwanzig Jahre alt.“

Der Drang, mein Verhalten zu rechtfertigen überwiegte. Aber es konnte nicht angehen, dass ich das noch erwähnen musste.

Er hob die Hand, aber nur um sie gleich wieder resigniert sinken zu lassen, dabei brummte er etwas Unverständliches und setzte seinen Weg nach oben fort.

Ich ging.

Bevor ich mich auf die Interstate nach Phoenix begab, stattete ich dem Supermarkt von Camp Verde noch einen Besuch ab. Ich musste noch ein paar Sachen besorgen. Und irgendwie hatte ich Verlangen nach etwas Süßem. Auf dem Parkplatz traf ich Nick, einen unserer Mitarbeiter.

„Hi, Nick!“

Er erwiderte nur kurz meinen Gruß und wirkte, als habe er es eilig. Ich sah etwas verwundert hinter ihm her, wandte mich dann aber dem Supermarkt zu. Was unsere Mitarbeiter in ihrer Freizeit taten, ging mich wenig an. Die Glastür öffnete sich und mein Blick fiel auf die Ausgangstür auf der anderen Seite der Kassen. Dort stand eine Frau. Sie starrte mich an und für einen Moment hatte ich das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. Gab es das, solch eine verblüffende Ähnlichkeit? Sie wandte sich lächelnd ab, zog ihren Cowboyhut tiefer ins Gesicht und verließ das Geschäft.

„Hast du noch etwas vergessen?“, fragte mich Milly aus der Drugstore-Abteilung. Ich sah sie fragend an.

„Nein, ich wollte etwas holen…“

„Noch etwas zu den Kopfschmerztabletten?“

„Ich brauche Kopfschmerztabletten. Und die Antibaby-pille.“

„Die hast du doch letzte Woche erst… - na ja, kann mir ja egal sein.“ Sie unterbrach sich selbst, legte mir die gewünschten Artikel auf den Tisch und nahm mein Geld in Empfang. Dann lachte sie unsicher. Ich wunderte mich über ihr seltsames Verhalten. Ich war seit Wochen nicht mehr hier gewesen.

Ich verließ den Supermarkt und fuhr weiter nach Phoenix.

Der Mann spielte jetzt schon die achte Runde gegen mich. Wie es schien, wurde er vom Ehrgeiz gepackt. Die erste Runde hatte er gewonnen, die zweite ging knapp an mich, die dritte wieder an ihn. Jedes Mal spielten wir zum Schluss um die Acht. Dann war ich wieder in Übung und auf der Höhe meines Billardkönnens angekommen. Er wollte um Geld spielen, aber das lehnte ich ab.

Die Idee, diese Billardkneipe aufzusuchen, war kein Fehler gewesen. Ich amüsierte mich. Es waren ungefähr dreißig Personen anwesend, zum Glück nicht nur Männer. Sie verteilten sich an den zehn Tischen oder saßen an der Bar. Wir belegten den zweiten Tisch und zogen langsam die Aufmerksamkeit der Leute an der Bar auf uns. Die Frau, die seit der dritten Runde jedes Spiel gewann, schien interessant zu sein. Ich hatte Spaß. Wenn ich auch meine Umgebung genau beobachtete. Es gab einige Männer, die offensichtlich, so wie mein Spielpartner, allein hier waren, einige waren in Begleitung ihrer Partnerinnen, andere als Männergruppe. Das Interesse der Letztgenannten wollte ich nicht wecken, aber zwangsläufig schenkten auch sie unserem Spiel ihre Aufmerksamkeit. Einzelne Männer postierten sich um unseren Billardtisch und gaben meinem Gegner Tipps, welche Kugeln er mit welchen Effets anspielen konnte, um sie in den entsprechenden Löchern zu versenken. Doch es klappte nicht immer, wie er es sich vorstellte. Er verlor auch die neunte Partie.

 

Ich wollte seine Blamage nicht noch größer werden lassen und lud ihn zu einem Bier ein. Ein belangloses Gespräch folgte. Er war ein guter Billardspieler, aber im Übrigen nicht mein Typ. Deswegen fiel es mir nicht schwer, den Abend nach dem Bier zu beenden. Ich verabschiedete mich freundlich und verließ die Bar.

Allerdings erwartete mich auf dem Parkplatz eine böse Überraschung. Die Reifen meines Cabriolets waren zerstochen. Alle vier. Einen hätte ich noch mit dem Ersatzrad bestreiten können. Aber vier, das war aussichtslos.

Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich rasch um. Es war mein Spielpartner, der auf mich zukam. Ich atmete auf.

„Scheint so, als mag dich jemand nicht.“

„Sieht so aus.“ Ich mimte die Coole, obwohl nach meinem letzten Erlebnis auf einem Parkplatz jetzt mein Herz raste und ich zugeben musste, ich hatte Angst. Möglicherweise war die Idee, diesen Club aufzusuchen doch nicht so toll gewesen.

„Hast du eine Idee, wer das gemacht haben könnte?“

Ich hatte wirklich keine Idee. Vielleicht war es doch Middleton gewesen, der meinen Wagen hier erkannt hatte. Wer mir sonst schaden wollte, wusste ich beim besten Willen nicht.

„Kann ich dich nach Hause bringen?“

„Ist vielleicht etwas weit. Ich wohne nicht gerade in der Nähe.“

Er hob die Schultern. „Ich dachte mir schon, dass du aus dem Norden kommst.“

„Gibt es Probleme, Jacky?“

Erleichterung machte sich in mir breit. Aidens Stimme zu hören tat einfach gut. Ich wollte nicht mit einem Fremden nach Hause fahren. Und ein Taxi zu nehmen, würde doch etwas teuer werden.

„Tja, wie man‘s nimmt!“, beantwortete ich seine Frage. „Nein, keine Probleme, nur vier zerstochene Reifen. Und wo kommst du jetzt her?“

Er stand neben mir und hob die Achseln an.

„Ich bin einfach etwas herumgefahren. Kam her und dachte: Die kennst du doch.“ Er lächelte schwach. Das sollte ich ihm glauben? Er war einfach so hier gelandet?

„Na, dann brauchst du meine Hilfe wohl nicht mehr. War nett mit dir.“

Mein Spielpartner griff sich an die Krempe des Cowboyhutes und ging zu seinem Wagen.

„Nicht dein Typ?“

Ich starrte Aiden an.

„Was tust du hier?“

„Dir anbieten, dich mit nach Hause zu nehmen?“

„Du bist mir gefolgt.“ Diese Erkenntnis trübte meine Erleichterung über sein Erscheinen. „Hat Jack dich geschickt?“

„Ich habe nicht mit Jack gesprochen. Und zugegeben, jetzt zu behaupten, ich sei zufällig hier, wäre glatt gelogen. Aber scheint so, als hätte es einen Sinn gehabt. – Also: Kommst du nun mit? Oder muss ich dich deinem Schicksal überlassen?“

Ich gab mich geschlagen. Durch seine Anwesenheit hatte ich das Glück, nun unbeschadet nach Hause zu kommen. Wir gingen zu seinem Dodge Ram Pickup.

Als Aiden so vor mir herging, fiel mein Blick auf seine Hüften und auf das Messer, das er stets am Gürtel trug. Für einen kurzen Moment zuckte ein Gedanke durch meinen Kopf. Was, wenn er… - nein! Das würde er nicht tun! Warum sollte Aiden die Reifen an meinem Wagen zerstechen? Vielleicht, um mir Angst zu machen und damit meine Ausflüge nach Phoenix zu verhindern? Aber mit welchem Sinn? Was brachte es ihm, wenn ich Angst hatte? Der ernste Blick, als ich letztens abends wegfuhr kam mir wieder in den Sinn. Wusste er schon länger als ich ahnte, was ich hier in Phoenix so tat?

Ich stieg in den Pickup und schnallte mich an. Aiden startete den Motor. Das tiefe Brabbeln des Fünf-Liter-Motors übte eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Wir waren oft gemeinsam mit dem Dodge auf der Ranch unterwegs. Ich schob meine Gedanken weg.

„Wärest du mit ihm gegangen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Warum sollte ich? – Ich gehe nicht mit jedem Mann.“

„Warum mit diesem David in jener Nacht?“

„Das war etwas Anderes.“

„Was war anders?“

„ER war anders! Warum willst du das wissen, McLeod? Es geht dich nichts an!“

„Ich versuche, dich zu verstehen.“

Ich lehnte meinen Kopf an die Kopfstütze und drehte ihn zu ihm hin, sah ihn an.

„Warum?“

„Nimm es doch einfach hin: Ich versuche, dich zu verstehen!“

„Es wundert mich, Bruder.“

„Bruder? – Du siehst mich also wirklich noch als Bruder?“

Das Wort Bruder schlüpfte unbeabsichtigt über meine Lippen. Ich benutzte es schon lange nicht mehr. Früher, in unserer Schulzeit, hatte ich Aiden gerne als meinen Bruder ausgegeben. Das beeindruckte vor allen Dingen die frechen Jungs, die mich ständig ärgerten. Vor Aiden hatten sie Respekt. Und die Tatsache, ihn zum Bruder zu haben, verhalf mir ebenso zu Respekt.

Ich lachte und er suchte sich kopfschüttelnd den Weg durch die Straßen von Phoenix, bis er die Interstate erreichte.

Ich war müde und hatte keine Lust auf solche komplizierten Gespräche. Ich wollte meine Ruhe haben und starrte aus dem Fenster in die Nacht. Dachte an David. Woher kannte Aiden den Namen? Ich hatte nicht mit ihm darüber gesprochen. Oder doch? Hatte er gelauscht, als Billy im Büro mit uns sprach? Ich war mir sicher, diesen Namen in seiner Gegenwart nicht ausgesprochen zu haben. Wir hatten über Ted gesprochen, aber nicht über David. Mit Aiden wollte ich darüber nicht reden. Vielleicht war es doch Jack? Ich schüttelte leicht den Kopf.

Aiden schwieg ebenfalls. Endlich, etwas mehr als eine Stunde später, bogen wir in die Auffahrt der Ranch ein. Er stoppte jäh den Wagen.

„Hör zu Jacky, es war kein Zufall, meine Anwesenheit heute Abend dort. Ich wollte nicht, dass sich das von letzter Woche wiederholt. Ehrlich gesagt habe ich mir etwas Sorgen gemacht. Dachte, du würdest den nächsten Fehler begehen.“

„Den nächsten Fehler? Ich verstehe nicht ganz, was du meinst? Ist es in deinen Augen ein Fehler, mich zu amüsieren? – Weißt du was, Aiden McLeod? – Ich brauche keinen Aufpasser. Wenn das so wäre, hätte ich meinen Dad mitgenommen. – Danke fürs Mitnehmen.“

Ich öffnete abrupt die Tür und sprang aus dem Pickup. Wütend fragte ich mich, was Aiden sich einbildete? Und ich wollte es lieber die halbe Meile bis zum Haus laufen, als mir seine Heldentaten noch einen Moment länger anhören zu müssen.

Aiden ließ den Pickup langsam neben mir her rollen. Das Fenster hatte er hinuntergelassen.

„Jacky, komm, steig ein. So war das doch nicht gemeint. Aber du hattest wirklich genug Schwierigkeiten in den letzten Wochen. Komm schon, Springfield.“

Entschlossen setzte ich meinen Weg fort. Ich würde nicht in seinen Truck einsteigen.

Der Motor verstummte und ich hörte wie die Autotür zuschlug. Aiden fasste mich am Arm, als er mich erreichte und brachte mich zum Stehen.

„Jacklyn. Bitte.“

„Was?“

„Ich – ich habe mir einfach Sorgen gemacht, du würdest dich wieder mit dem Falschen einlassen.“

Ich starrte ihn an. Jeder war der Falsche. Das wusste niemand besser als ich.

„Willst du damit sagen, du weißt, wer der Richtige für mich ist?“

„Ja, das weiß ich.“ Er kam näher zu mir heran. Seine Hand lag immer noch auf meinem Oberarm.

„Ach ja, Mr. Neunmalklug. Und wer sollte das sein?“

„Na, der hier!“

Aiden zog mich an sich und ich glaubte es kaum, aber er drückte seine Lippen auf meine. Erst etwas vorsichtig, er war eher der zurückhaltende Typ. Doch dann legte er die Arme um meine Hüften und konzentrierte sich ganz auf das, was er vorhatte. Ich war angenehm überrascht, wie zärtlich und weich seine Lippen waren.

Und in mir breitete sich das Gefühl aus, nach Hause zu kommen, als ich seinen Kuss erwiderte. Ich schloss die Augen und genoss seine Lippen, seine Zunge, seinen Geschmack, sog seinen Geruch in mich auf. Ich schmiegte mich an ihn.

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