Sommer des Zorns

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

„Was macht ein Mädchen wie du in solch einer Bar?“

Ich lachte nur.

„Willst du dich amüsieren? – Oder suchst du etwas Ernsthaftes?“

Mein Blick wurde bewusst ernst.

„Hey, Cowboy, das Leben ist ernsthaft genug. – Ich bin nur auf der Suche nach etwas Abwechslung von der Langeweile meiner Ranch.“

Er schmunzelte und nickte.

„Okay, Cowgirl, ich habe verstanden.“ Er zog mich jetzt etwas fester an sich. Und ich ließ es zu.

Wir tanzten fast den ganzen Abend, fanden einen gemeinsamen Rhythmus, schwammen auf den Klängen von Eric Clapton und Earl Hooker. Ich erfuhr, er kam aus Chicago und besuchte Phoenix geschäftlich. Zu Hause wartete niemand auf ihn und deswegen war er noch eine Nacht länger hiergeblieben. Sein Hotel…

Ich küsste ihn. Kurz. Brachte ihn damit zum Schweigen. Zumindest für eine halbe Minute. Das hatte ich mich damals bei Frank noch nicht getraut. Mir fehlte einfach die Erfahrung. Ich lauschte seiner angenehm weichen Stimme und ließ mich von ihr durch den Abend tragen. Wir sahen uns am nächsten Tag in einer Vorlesung über die ökologische Bewirtschaftung von Feldern in trockenen Regionen wieder. Ich hielt es für einen Hinweis des Schicksals, als er sich, ein paar Minuten zu spät, auf den Sitz neben mir gleiten ließ und mich anlächelte. Zuerst nur freundlich und dann freudig erstaunt.

Jetzt war ich erstaunt, wie weich und gefällig Davids Lippen waren. Wie leicht sie auf mich eingingen, erwartet hatten, was ich tat.

„Okay, ich habe verstanden!“, sagte er dicht an meinem Ohr und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Mein Blick tauchte in den dunklen Samt seiner Augen ein. „Du willst dich nur amüsieren.“, sagte er dann leise und zog mich fester an sich. Ich hatte ihm ein Signal gegeben und er ging darauf ein. Ein warmes Gefühl durchflutete mich. Das war es, was ich haben wollte. Diese Wärme, diese Nähe eines attraktiven Mannes spüren. Etwas, was mir sehr fehlte, seit Frank… - Nein! Nur nicht mehr an Frank denken, jetzt. Ich konzentrierte mich auf die braunen Augen, die im Moment versuchten, meine zu ergründen. Dunkel und unergründlich erschienen sie mir. Ich blendete die Vergangenheit aus und küsste ihn noch einmal, während wir uns in einen engen Blues fallen ließen.

„Lass uns gehen!“ Er forderte nach einer Weile und seine Stimme klang rau. Ich senkte den Kopf und sah ihn von unten herauf an.

„Sicher?“

Er nickte. „Absolut sicher!“

Sein Hotel befand sich in der Nähe. Auf dem Weg dorthin nutzten wir jede Nische der Häuserfluchten, um wilde Küsse auszutauschen. Sie ließen nur schwach erahnen, was uns erwartete.

David öffnete seine Zimmertür und kaum hatte sie sich hinter uns geschlossen, begann er fast schon hektisch, mich zu entkleiden.

„Stopp, mein Lieber!“ Ich fasste seine Handgelenke und schob ihn etwas zurück. „Ich mag es, wenn wir es langsam angehen.“

Er holte tief Luft und warf einen verzweifelten Blick zur Decke, bevor das Lächeln in sein Gesicht zurückkehrte. Dann küsste er meine Hände.

„Okay, Baby, entschuldige bitte, aber du bist so heiß, dass ich glatt meinen Anstand vergessen habe.“

Ich lächelte ihn an. „Schon okay. Lass mich für einen Moment ins Bad, ja?“

Wenn er jetzt keine Abwechslung bekam, war mein Abend in zehn Minuten zu Ende und danach stand mir nicht der Sinn. Ich küsste ihn zur Entschädigung und schubste ihn dann sanft weg und begab mich in das kleine Bad und schloss die Tür hinter mir.

Innen atmete ich erst tief durch. Mein Blick begegnete mir im Spiegel. Ich wich ihm nicht aus. Ich konnte mir noch in die Augen schauen, auch wenn das, was ich hier gerade tat, vielleicht verwerflich war. Zumindest würde mein Vater das so bezeichnen, wenn er es wüsste. Aber ich musste für einen Moment lang das Gefühl haben, zu leben, begehrenswert zu sein. Eine Anerkennung, die ich auf der Ranch nicht bekam, seit Frank… Nach seinem Tod hatte ich versucht, mir diese Bestätigung durch meine Ausflüge nach Phoenix zu verschaffen. Und manchmal endete es wie heute, in diesen Hotelzimmern, mit den Davids, die die Stadt mir bot. Nicht immer, nicht jedes Mal. Aber heute.

Mit kaltem Wasser kühlte ich mir die Handgelenke. Dann kontrollierte ich mein Make-Up und hoffte, dass David sich jetzt etwas entspannt hatte. Ich öffnete an meiner Bluse einen Knopf mehr und schob meinen kurzen Stretch-Rock ein wenig höher, zog meine Boots aus. Dann verließ ich das Bad.

Er telefonierte. Er gab mir ein kurzes Zeichen, aber ich war schon dabei, meine Schuhe wieder anzuziehen. Und er verstand mein Signal sofort.

„Hörzu, wir müssen das morgen klären. Ich habe noch einen Termin und muss jetzt Schluss machen!“, erklärte er der Gegenseite.

Ich hatte die Tür schon erreicht und öffnete sie einen Spalt, als er sie von hinten wieder zudrückte.

„Hey! Du wirst doch nicht so ungeduldig sein.“ Er lehnte jetzt auch den zweiten Arm gegen die Tür und schloss mich damit zwischen ihnen ein. Sein fragender Blick traf mich. „Oder magst du nicht mehr?“

„Ich dachte, du hättest das Interesse verloren.“

Er lächelte und küsste mich leicht am Hals. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut. Fühlte das leichte Prickeln auf meinem Körper, das sich ausbreitete, je öfter seine Lippen ihn berührten.

„Wie könnte ich bei einer so schönen Frau das Interesse verlieren? – Ich schalte mein Telefon jetzt aus. – Keine Störung mehr, okay?“

„Okay.“ Ich legte meine Arme um seinen Hals und ließ mich in einen langen Kuss fallen. Ich wollte meine Boots abstreifen. Doch er drehte mich leicht herum und stieß mich sanft Richtung Bett.

„Lass sie ruhig an. Finde ich besser!“

Er zog mich an sich. Sein Kuss war von Verlangen geprägt und er presste meinen Unterleib gegen seinen. Ich spürte seine Erregung und schloss für einen Moment die Augen, um zu genießen, wie sie sich auf meinen Körper übertrug. Ich atmete tief ein.

„Zieh mich bitte aus!“, befahl er leise. „Aber langsam!“ Seine höfliche Art gefiel mir und ich gehorchte. Langsam öffnete ich einen Knopf nach dem Anderen seines Hemdes. Ich erhaschte einen Blick auf sein Sixpack, das Tattoo auf der Brust. Ich ließ meine Finger zart darüber gleiten, malte die Schrift nach. Unsere Blicke verschlangen einander. Er küsste mich, wir ließen uns fallen. Ja, ich wollte diesen Körper, spürte seine Muskeln nach, als ich das Hemd über seine Schultern abstreifte und dabei meine Hände über seine Oberarme gleiten ließ. Ich wollte diesen Mann, jetzt!

Es dämmerte bereits, als ich mich vorsichtig aus seinen Armen befreite. Für einen Moment verweilte mein Blick an seinen gepflegten Händen. Ich dachte daran, wie sie in der Nacht weich und feinfühlig meinen Körper erforscht hatten. Leise raffte ich meine Sachen zusammen, sah die Visitenkarte auf dem Nachtschrank liegen, griff danach und schlich mich ins Bad. Lauschte kurz seinen regelmäßigen Atemzügen. Um keinen Preis der Welt wollte ich ihn wecken. Kein Abschied, keine leeren Versprechungen von einem möglichen Wiedersehen. Auch wenn mir die Nacht gefallen hatte, ich wollte ihn nicht noch einmal treffen.

Wenig später zog ich vorsichtig die Tür seines Hotelzimmers ins Schloss, hoffend, danach von innen kein Geräusch zu hören. Erst als ich auf der Straße vom kühlen Nachtwind umfangen wurde, atmete ich auf. Leichten Schrittes lief ich zum Parkplatz des ‚Char‘s‘ zurück, um nach Hause zu fahren.

David war Vergangenheit. Ich erreichte meinen Wagen.

„Hallo Schönheit!“

Vor Schreck fiel mir der Autoschlüssel aus der Hand, gerade als ich ihn ins Schloss der Fahrertür stecken wollte. Ich wandte mich langsam um. Diese Stimme kannte ich. Sie gehörte zu dem halslosen Kopf mit schütterem Haar. Zu den rötlichen Wangen, die auf einen erhöhten Blutdruck hinwiesen und den wässrigen blassblauen Augen. Dem Angestellten unserer Bank in Prescott. Ich lächelte verlegen.

„Hallo.“

„Na? Eine gute Nacht gehabt?“

„Kann ich helfen?“ Ich hatte ihn in unserer Bank nur kurz gesehen und gehofft, dass er mich nicht entdeckt hatte. An seinen Namen erinnerte ich mich gerade nicht, aber er war einer der Männer gewesen, die ich an einem dieser Abende im Char‘s getroffen hatte und abblitzen ließ. Er glich einem Frosch. Und ich hatte nicht einmal mit ihm getanzt. Warum lauerte er mir jetzt hier auf?

„Ich bin froh, dass ich dich noch mal hier treffe. Ich dachte schon, ich würde dich nie wiedersehen“, sagte er.

Ich lachte leicht.

„Ich bin immer wieder einmal hier.“

„Ja, Springfield, das weiß ich inzwischen auch.“

Das er meinen Namen kannte, traf mich! Er wusste, wer ich war! Das erschreckte mich jetzt wirklich.

„Ich weiß nicht, wovon du redest!“, sagte ich, bemüht, ihn meine Verunsicherung nicht spüren zu lassen. Ohne Erfolg.

„Es erschreckt dich wohl, erkannt worden zu sein, Lady, oder?“

„Ich weiß wirklich nicht, was meinst du?“ Ich hob jetzt meinen Schlüssel auf und hatte für einen Moment den Boden unter den Füßen wiedergewonnen. Als ich mich aufrichtete, stand er so dicht vor mir, dass ich den Alkohol des gesamten Abends in seinem Atem identifizieren konnte. Mir wurde übel.

„Du bist Jacklyn Springfield. Die Tochter von Jack Springfield und du bumst dich hier durch die Landschaft.“

Er grinste jetzt widerlich.

„Und ich weiß das!“ Sein Mund zog sich noch mehr in die Breite und er kam noch näher.

„Was willst du? Soll ich dir einen blasen, damit du es für dich behältst?“ Sarkasmus war seit geraumer Zeit mein Begleiter. Und für einen kurzen Moment ließ ich mich auf sein verbales Niveau hinab. Doch er gehörte zu den Menschen, die das nicht bemerkten.

„Kleine, damit kommst du mir nicht davon. Ich habe Großes mit dir vor. Was Jack Springfield wohl zu deinen Eskapaden hier sagen würde?“

 

„Wenn du nichts dagegen hast, fahre ich jetzt nach Hause.“ Ich setzte mein zauberhaftestes Lächeln auf, das ich unter diesen Umständen hervorbringen konnte und öffnete die Tür meines Wagens. Er kannte meinen Vater. Ich wollte einsteigen, wegfahren, verschwinden. Mich in Luft auflösen. Doch mit einem schnellen Stoß drückte er meine Autotür wieder zu.

„Sorry Baby, ich bin noch nicht fertig mit dir!“ Er drängte sein rechtes Knie zwischen meine Schenkel und berührte mich damit im Schritt. Ich konnte nicht weiter zurückweichen.

„Gibt es Probleme, Jacky?“

Ich atmete auf und befreite mich von diesem Mann, der durch die Ansprache Davids für einen Moment abgelenkt war und mir etwas Platz ließ. David stand hinter Ted. Ich fragte mich, wo er jetzt herkam? Es war mir egal. Er war da. Das zählte allein.

„Ich denke, Ted wollte gerade gehen. Wir haben uns lange nicht gesehen.“ Mir war der Name gerade wieder eingefallen. Ted Middleton.

„Wir sind noch nicht fertig miteinander!“, zischte Ted mir zu und zog sich zurück.

„Ich dachte, du könntest mir deine Telefonnummer geben, falls ich noch mal in die Stadt komme.“ David kam näher heran und stand jetzt unmittelbar neben Ted, musterte in abschätzend.

„Vergiss es, Junge. Sie betreibt es fast wie eine Professionelle.“ Ted lachte laut und übertrieben und mir schossen die Tränen in die Augen. Was wusste er schon. Zwei oder drei One-Night-Stands mochten es vielleicht gewesen sein, zu denen ich mich hatte hinreißen lassen. Dass er mich eine Hure nannte traf mich.

David sah mich an. „Jacky?“

„Tut mir leid. Ich bin müde und muss jetzt gehen.“

Ich stieg in meinen Wagen und fuhr weg. Ted würde schon dafür sorgen, dass David erfuhr wer und was ich war. Es interessierte mich im Augenblick nicht. Ich wollte David nicht wiedersehen, und Ted erst Recht nicht. Der Ärger, erkannt worden zu sein, beschäftigte mich. Wenn er meinem Vater berichtete, was auch immer er zu wissen glaubte, erwartete mich zu Hause eine hitzige Diskussion. Ich würde mich darauf einstellen. Ich war erwachsen und musste mich für mein Sexualleben nicht vor meinem Vater rechtfertigen. – Ich fühlte mich, als würde mein Wagen selbst den Weg durch die Stadt auf die Interstate suchen.

Kapitel 2

„Tut mir leid! Ich bin zu spät.“

Ich hatte das gemeinsame Frühstück verschlafen und Aiden grinste mich vielsagend an. Für einen Moment tauchte sein ernstes Gesicht von gestern wieder vor meinem geistigen Auge auf.

„Das war mir schon klar, als du gestern Abend wegfuhrst. – Was machst du dann eigentlich so?“ Seine Frage klang eine Spur zu beiläufig.

„Ich denke, du willst das nicht wissen!“

Ich wich seinem prüfenden Blick aus. Aiden war für mich mehr ein Freund, als nur der Mitarbeiter. Fast schon ein Bruder, aber die Details meiner Nächte in Phoenix musste er nicht kennen. Sie gingen ihn nichts an.

Damit beendete ich das Gespräch um die vergangene Nacht. Ted Middleton nistete sich in meinem Kopf ein und versetzte mich in schlechte Laune. Ich konnte ihn schlecht einschätzen. Wie würde er mit seinen Informationen umgehen? Ich fragte mich, ob ich seine Drohung ernst nehmen sollte. Doch was konnte ich dagegen unternehmen? Mir fiel ein, dass Jack heute Morgen zur Bank fahren wollte.

„Ich dachte mir, wir beginnen auf den Nordweiden.“

Ich stieg auf mein Pferd und kehrte gedanklich zu meiner Aufgabe zurück. Es war mir gleich, ob wir im Norden oder im Süden beginnen würden. Aiden war für den Überblick verantwortlich.

„Finde ich gut“, sagte ich, damit er meine Gleichgültigkeit nicht wahrnahm.

Er lenkte sein Pferd in diese Richtung und ich folgte ihm gedankenversunken.

Die Nordweide, jene Weide, die ich damals Frank als erste gezeigt hatte, als uns das Unwetter überraschte. Mein Blick wanderte an den Himmel. Einige kleine Wattewölkchen ließen das Unwetter von gestern vergessen. Ich wusste, dass nun die ständige Hitze unseres Wüstenstaates Überhand nehmen würde. Wenn er, also Frank, nun von einer dieser Wolken uns beobachtete, was würde er über meine Nächte in Phoenix denken?

„Denkst du noch oft an ihn?“

„Was?“ Ich löste meinen Blick nur zögernd von dem endlosen Blau und sah Aiden an.

„Ich meine Frank. Denkst du noch oft an ihn?“

„Ich vermisse ihn sehr.“

„Denkst du nicht manchmal über eine neue Beziehung nach?“

Ich musste lachen. Mit wem sollte ich denn hier eine neue Beziehung eingehen? Mir war nicht ein Mann bekannt, der als Partner für mich in Frage kommen würde. Hier lebten nur Cowboys. Und wieso fragte Aiden mich danach?

„Nein.“

„Möchtest du denn den Rest deines Lebens allein sein?“

„Nein, möchte ich nicht, aber soll ich mich deswegen dem Erstbesten an den Hals werfen? Männer wie Frank Hoover regnet es nicht vom Himmel.“ Ich lachte unsicher.

„Na ja“, Aiden blieb ernst, „vielleicht ist dein Anspruch ja auch zu hoch.“

„Meinst du denn nicht, ich hätte den Besten verdient?“

Er lächelte mich an. Aber ich glaubte, in seinen Augen einen Funken Spott erkennen zu können.

„Ja, aber das Beste ist nicht immer offensichtlich. Man muss es auch erkennen wollen.“

„Lass mich raten: Du zitierst gerade eine alte Indianische Weisheit.“

Er deutete mit seinem rechten Zeigefinger auf mich.

„Gut erkannt, Schülerin!“

„Arroganter Mensch!“ Er wusste genau, dass ich es nicht mochte, wenn er den Lehrer spielte und mich als seine Schülerin betrachtete. Ich glaubte mich ihm wissensmäßig überlegen. Ich hielt ihn nicht etwa für dumm, absolut nicht. Aber ich war diejenige, die studiert und auf meinen Reisen mit Frank die Welt gesehen hatte. Nicht er. Er war über Arizona noch nicht hinausgekommen.

Er lachte nur über meine Beschimpfung und das wiederum liebte ich an ihm. Bei ihm konnte ich ehrlich sein und sagen was ich dachte. Es gab nicht viel, was er mir übelnahm. Allerdings musste ich von ihm genauso viel einstecken. In dem Punkt waren wir uns ebenbürtig.

„Mach jetzt deine Arbeit, Cowboy!“, flachste ich ihn an. Und auch das nahm er mir nicht übel. Dafür kannte er mich zu gut.

Wir brauchten den ganzen Tag, um alle Zäune unseres Besitzes abzureiten und die Grenzzäune auf ihre Unversehrtheit zu überprüfen.

Und erst beim Abendessen begegnete ich Jack für heute zum ersten Mal.

„Hallo Jack!“, begrüßte ich ihn locker.

Aber er brummte nur. Offenbar hatte er schlechte Laune, doch ich beschloss, mich davon nicht beeindrucken zu lassen.

„Bei Gilyard Trees muss der Zaun ausgebessert werden. Die wilden Mustangs können ungehindert in unser Gelände eindringen. Aiden sagte, er hätte dort schon häufig Herden gesehen.“

Aiden nickte bestätigend.

„Hm.“

„Meinst du, es würde Sinn machen, einige von ihnen zu fangen und mit ihnen eine Zucht aufzubauen?“

Wieder nur brummte Jack als Antwort.

„Jack? Alles okay?“

Er hob den Kopf und sah mich jetzt an. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

„Sagt dir der Name Ted Middleton etwas, Jacklyn?“

Ich schluckte. Ted Middleton in Kombination mit meinem vollständigen Namen, war eine ernste Ansage. Es klang nach Ärger. Ich bemühte mich, so unbedarft wie möglich zu tun.

„Habe ihn schon mal getroffen. Warum?“

„Er machte heute so eine seltsame Bemerkung. – Ich meine, er ist ja nur so ein Speichellecker, aber als er die Unterlagen in die Besprechung mit Mister Withaker reichte, bestellte er mir schöne Grüße an dich. Das Grinsen in seinem Gesicht dabei gefiel mir überhaupt nicht.“

Jack beobachtete mich jetzt eingehend. „Als ich ihm später in der Bank begegnete, raunte er mir etwas über deine Rocklänge zu, die er dir, wäre er an meiner Stelle, verbieten würde.“

Er hob etwas den Kopf, jedoch ohne mich aus seinem Blick zu entlassen.

„Kannst du mir sagen, was er damit meinte, Jacky?“

Ich zog die Schultern an und rang nach Worten.

„Ehrlich gesagt, erinnere ich mich kaum an die Begegnung mit ihm. Geschweige denn daran, was ich dabei für Kleidung trug.“

Seinem intensiven Blick vermochte ich nicht auszuweichen. Er hob etwas die Stimme.

„Jacklyn! Ich weiß deine nächtlichen Ausflüge nicht einzuordnen. Es geht mich ja auch nicht unbedingt etwas an, weil du erwachsen bist. Aber vielleicht denkst du doch mal darüber nach, wer und was du bist. Dieser, dieser Middleton benutzte das Wort Hure, oder so ähnlich. Ich weiß nicht, was er damit sagen wollte, aber du warst es, die zum Namen Springfield zurückgekehrt ist. Also berücksichtige das bitte bei dem, was du tust.“

Er erhob sich von seinem Stuhl und verließ das Esszimmer. Das hatte er noch nie getan. Jack blieb immer bis zum Schluss. Er war wohl über die Bemerkung von Ted Middleton wirklich verärgert.

Aiden wich meinem Blick aus und stocherte in seinem Essen herum. Seine Mutter nahm ihm abrupt den Teller weg.

„Wenn es dir nicht schmeckt, musst du es nicht essen!“, sie klang verärgert und ich wusste nicht, worüber sie sich ärgerte war.

Ich rückte meinen Stuhl zurück und nahm meinen Teller, um ihn in die Küche zu stellen.

„Tut mir Leid, Waleah. Gutes Essen, schlechte Stimmung. Nicht deine Schuld.“

Damit verließ ich das Esszimmer.

Hure! Middleton hatte sich tatsächlich die Frechheit herausgenommen und meinen Vater auf unsere Begegnung angesprochen. Nachdem ich das verarbeitet hatte, musste ich mir genau überlegen, wie ich darauf reagieren wollte. Ich ging in mein Zimmer. Dort war es mir selbst am weitgeöffneten Fenster zu stickig. Die Hitze des Frühjahres lag auf den Dächern der Gebäude. Deswegen fand mich wenig später bei den Pferdeställen wieder.

Princess schnaubte freudig, als sie mich erkannte. Ich streichelte ihr samtweiches Maul. Sie schnaubte wieder. Es klang wie eine Aufforderung, sie aus der Box zu befreien.

„Okay, Lady, wie du willst. Ich habe aber schlechte Laune.“

Sie schlug wild mit dem Kopf, als würde sie mich verstehen und meiner Meinung sein. Ich lächelte und tätschelte ihr den Hals.

Schon wenige Minuten später verließen wir den Hof und sobald wir die Paddocks hinter uns gelassen hatten, ließ ich ihr freien Lauf.

Das Schönste hier auf der Ranch war, diese Freiheit zu fühlen, wenn ich auf dem Rücken meines Pferdes dahinflog. Die gleichmäßigen Bewegungen meiner Stute zu spüren, die mich in einem sanften Rhythmus schaukelten, wie in einem großen, weiten Meer.

Ich löste die Zügel aus den Händen, ließ sie sinken, streckte die Arme weit aus. Ein Freudenschrei entglitt meinen Lippen. Ich war so frei. Frei, zu tun und zu lassen, was auch immer ich wollte. Und niemand, wirklich niemand, auch kein Ted Middleton, würde mir sagen können, was ich tun oder lassen sollte. Ich war frei und selbst die Berge konnten mich nicht einschränken.

Ich kam erst wieder zu mir, als Princess ihren Lauf verlangsamte. Sie ging in einen leichten Trab über und wechselte in den Schritt. Die Zügel aufnehmend suchte ich den Weg vor mir nach der Ursache ihrer Reaktion ab. Ihre Anspannung spürte ich durch meine Schenkel.

„Was ist los, meine Liebe?“

Sie tänzelte etwas und wollte nicht weitergehen.

„Was ist los?“, fragte ich noch einmal, als ich auch schon das Fauchen vor uns registrierte. Princess stieg auf die Hinterläufe und weil ich damit nicht gerechnet hatte, stürzte ich von meinem Pferd. Sehr unsanft landete ich auf dem Rücken, mitten auf dem harten Weg.

Für einen Moment raubte mir der Sturz die Sinne, während Princess immer noch wild mit den vorderen Hufen schlagend auf den Hinterläufen stand. Ich schaffte es soeben noch, zur Seite zu rollen, um nicht selbst von ihr getreten zu werden. Denn sie drehte jetzt um und galoppierte davon.

Ich erhob mich langsam und bewegte meine Gelenke durch. Das Fauchen hatte ich natürlich richtig eingeordnet. Meine linke Hand fuhr automatisch an meine rechte Hüfte, aber ich hatte mein Messer vor dem Abendessen abgelegt. Mit einem Pfiff versuchte ich meine Stute zu mir zurück zu locken, doch sie dachte nicht daran, auch nur einen Moment länger hier zu verweilen, als notwendig. Mit den Augen suchte ich nach einem Stock, den ich zur Abwehr benutzen konnte. Es war aussichtlos, weil es hier keine Bäume gab. Also griff ich nach einem größeren Stein. Das einzige, was mir zur Wehr blieb.

 

Wieder hörte ich das Knurren und Fauchen des Berglöwen, der mein Pferd so sehr erschreckt hatte. Und dann konnte ich ihn auch sehen. Geschmeidig bewegte er sich durch das hohe Gras der Weide zu meiner Linken. Dann trat er selbstbewusst auf den Weg. Unsere Augen fixierten sich. Dabei wusste ich nur zu gut, es war genau das, was ich nicht tun durfte. Aber ich war zu wütend, um darüber nachzudenken. Alle Warnungen, die Aiden und die Jacks mir beigebracht hatten, waren vergessen. Jetzt stand die Wildkatze nur da und starrte mich an. Und ich starrte sie an.

„Verzieh dich!“ Ich konnte genauso fauchen, wie dieses Tier. Und das Land hier gehörte mir. Und wegen dem Sturz taten mir jetzt meine Glieder weh. Das alles machte mich wütend.

„Hau ab!“ Ich schrie es laut aus mir heraus und die Raubkatze zuckte leicht zusammen. Aber an Rückzug dachte sie nicht. Ganz im Gegenteil, sie setzte zum Sprung an. Ich erkannte diese Haltung, wenn sie leicht zurück in die Beuge ging, um Schwung für den Absprung zu holen. Wusste genau um die Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen, wenn sie springen würde. Und sie würde springen.

Ich war verloren. Ohne Waffe war ich verloren. Regungslos verharrte ich, das Tier anstarrend. Sie hatte schon mehrmals Menschen angegriffen und wir jagten sie bereits seit einigen Wochen. Ohne Aussicht auf Erfolg. Ich war verloren. – Frank, dachte ich in diesem Moment, ich sehe dich jetzt wieder! Sie setzte zum Sprung an. Ich wich zur Seite und behielt sie fest im Blick, aber sie hatte meine Bewegung verfolgt und drehte noch im Sprung, als ein Schuss die tödliche Stille zwischen der Katze und mir zerriss. Der Berglöwe brach getroffen vor meinen Füßen zusammen und ich flog herum zu dem, der geschossen hatte. Atemlos.

Es war Aiden, der mit dem Gewehr im Anschlag hinter mir stand.

„Das war knapp!“ Er ging an mir vorbei, das Gewehr immer noch im Anschlag haltend, falls der Berglöwe noch einmal zucken würde. Ich sank auf die Knie. Und mir wurde bewusst, ich hatte soeben mit meinem Leben abgeschlossen. Als Aiden auch schon wieder auf mich zu kam und mir die Hand reichte, um mir auf die Beine zu helfen.

„Wo warst du nur mit deinen Gedanken? Dieser Ted Irgendwas scheint ja mit seiner Bemerkung was angerichtet zu haben.“

Ich starrte Aiden an. Wer dachte denn jetzt an Ted Irgendwas?

„Danke!“, murmelte ich nur.

„Schon gut. Eigentlich wollte ich mit dir reden, und nicht deinen Hintern retten.“

Ich zog entschuldigend die Schultern hoch. Der Puma musste weggebracht werden und es war eine Herausforderung für Aiden Pferd, das tote Tier zu tragen. Wir erreichten die Ranch erst, als es bereits stockfinster war. Auf dem gesamten Weg nach Hause hatten wir geschwiegen. Was auch immer Aiden mit mir bereden wollte, er sagte nichts. Und ich ebenfalls nicht.

Princess hatte den Weg in ihre Box gefunden.

„Alter Verräter. Hast mich ziemlich im Stich gelassen!“, schimpfte ich mit ihr, während ich sie absattelte. Dann rief ich Aiden noch ein ‚Gute Nacht‘ zu und zog mich in mein Zimmer zurück. Was hatte er mir sagen wollen. Oder wollte er mit mir über das Reden, was er zwangsweise beim Abendessen mitbekommen hatte. Es wäre mir lieber gewesen, Jack hätte mich mit Middletons Aussage in seinem Arbeitszimmer konfrontiert und nicht in der Anwesenheit von Waleah und Aiden.