Sprachwitze

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Aktives Wissen ist ständig und dauerhaft abrufbar, wenn man gefragt wird. „Wie heißt der Franzose, der General war, dann Erster Konsul und später Kaiser?“ Mit dieser Frage will der Professor das aktive Wissen des Studenten prüfen. Passives Wissen bedeutet, dass man etwas zwar nicht sagen oder erklären kann, wenn man danach gefragt wird, es jedoch erkennt, wenn man es hört. Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass der Student „Napoleon Bonaparte“ als richtige Antwort erkennt, sobald der Name gefallen ist.

Zwei Mütter unterhalten sich. „Mein Sohn wird gemobbt.“ – „Oh wirklich? Meiner kann sich selbst waschen.“

Das ist ein moderner Flachwitz, er könnte genauso gut aus dem Repertoire der Frau Pollak von Parnegg stammen.

Von Mittler über Herz-Kestranek zu Slupetzky – Schüttelreime

Schüttelreime sind eine Unterkategorie jener Sprachwitze, bei denen Laute ausgetauscht werden. In den Witzen rund um die Wörter „Schirm“, „Scharm“ etc. sind es die Vokale im Wortinneren (siehe S. 98, 203 f.), bei den Schüttelreimen die Konsonanten der letzten und der vorletzten Silbe.

Und weil er Geld in Menge hatte, / Lag stets er in der Hängematte.

Dieses Beispiel bringt Sigmund Freud in seinem Buch über den Witz (S. 105). Wir sehen, dass nicht die Schriftform entscheidend ist, es geht um die gesprochene Sprache: „Menge hatte“ – „Hängematte“. Bei einem Schüttelreim reimt sich also nicht nur der Schluss („hatte“ und „Matte“), es reimen sich auch Silben davor („Menge“ und „Hänge“), wobei zusätzlich Buchstaben ausgetauscht werden.

Dabei können auch Wörter zerteilt werden. Im Folgenden einige Beispiele aus Benno Papentrigk’s Schüttelreime wie er sie seiner Freundschaft auf den Ostertisch zu legen pflegte, erschienen 1939:

Bello die Wurst vom Teller schnappt; / Der Bösewicht wird schnell ertappt.

Nackt tanzen auf dem Rasen Nymphen, / die Neider ihre Nasen rümpfen.

Der Juchzer von den Höhn erschallt / Des Jägers Jagdhorn schöner hallt.

Schüttelreime sind im deutschen Sprachraum seit dem 13. Jahrhundert eine bekannte Gedichtform. So richtig popularisiert wurden sie 1882 in Berlin vom Juxclub „Allgemeiner Deutscher Reimverein“, ein Vordenker war der Ingenieur und Schriftsteller Heinrich Seidel (1842–1906). Es galt als große Kunst, lange Texte in Schüttelreimen zu verfassen, sogar ganze Bücher wurden in Schüttelreimform herausgegeben, zum Beispiel Versionen von Goethes Faust. Später waren Schüttelreime vor allem witzige Zweizeiler.

Für Freud sind Schüttelreime „die harmlosesten aller Witze“ (Freud, S. 105). Ihre Technik sei „die mehrfache Verwendung desselben Materials mit einer ganz eigenartigen Modifikation“.

Schüttelreime haben also keine jüdischen Wurzeln, aber das Schütteln wurde von Juden besonders gepflegt, erinnert es doch frappierend an eine Methode zur Exegese der heiligen Schriften der Juden. Darauf werde ich später zurückkommen (siehe S. 98 ff.).

Die vielleicht berühmteste Sammlung von Schüttelreimen ist jene von Felix Mittler, er war Pianist bei den Vorträgen von Karl Kraus. Friedrich Torberg hat diese gesammelten Schüttelreime von allhöchster Qualität herausgegeben.

Du glaubst, dir ist die Lotte treu? / Das ist die ärgste Trottelei.

Nur Kindern droht der Spuk des Erlkönigs / Erwachsenen tut dieser Kerl eh nix.

Was einstmals war des Ghettos Brut, / Verdient heut’ an Librettos gut.

Ein Kapitel des Buches ist mit dem Titel Leicht dialektgefärbt versehen.

Nur wegen dieser schiachen Katz / Vergriff er sich am Kirchenschatz.

Was ist’s mit dir, du stierer Hund? / Auf dich wart’ ich schon hier a Stund!

Mein Lieber, ohne Dritten sama / Zu wenig für ein Sittendrama.

Die „leichte Dialektfärbung“ trägt dazu bei, dass Schüttelreime möglich werden, die in der Standardsprache nicht funktionieren würden: „schiachen“ (= hässlichen) und „Kiachn“, „stiera“ (= sturer) und „hier a“ (= hier eine), „sama“ (= sind wir) und „Drama“.

Große Anerkennung und Bewunderung unter den Schüttelreimen genießen die Vierzeiler.

Macht man denn aus Kalk die Terzen?! / Nein, man macht aus Talg die Kerzen. / Also heißt’s kerziärer Talg? / Nein, mein Kind: tertiärer Kalk!

In dem Sketch Urlaubssorgen spielt Karl Farkas in gereimter Form auf ein politisches Ereignis aus den 1920er Jahren an.

Und in Frankfurt ward mir auf ein Haar / Der Unterschied zwischen Wienern und Frankfurtern klar. / Denn die Frankfurter werden mit Senf garniert / Und die Wiener, die werden in Genf saniert.

Dieser Schüttelreim hatte damals einen aktuellen Bezug. Im Jahr 1922 übernahmen mit der „Genfer Anleihe“ einzelne Völkerbundstaaten Garantien für österreichische Auslandskredite, um einen Kollaps des Staatshaushalts und der Wirtschaft zu verhindern. Diese Anleihe war mit scharfen Auflagen verbunden, wogegen die Opposition begreiflicherweise polemisierte.

Wer einmal schüttelt, der schüttelt immer. Das folgende Beispiel stammt aus einer Doppelconférence vom 30. Juni 1970, zu der Karl Farkas seinen kabarettistischen Konkurrenten Gerhard Bronner eingeladen hatte. Farkas nennt seinen Schüttelreim Song im Iglu.

Der Eskimo hat fahle Wangen, / Wie gerne möchte er Wale fangen. / Seit Wochen gab’s – zum Weinen – Aal, / Doch endlich sieht er einen Wal. / Der Eskimo führt leicht das Ruder, / Doch nimmer er erreicht das Luder. / Das schwimmt um die polarsche Eckn / Und denkt: Kannst mich am …

Schüttelreime sind also besonders schräge Reime, und schräge Reime sind auch dann witzig, wenn nicht geschüttelt wird.

Der folgende Dialog aus einer Kabarettnummer der Zwischenkriegszeit wurde von Karl Farkas und Franz Engel dargeboten. Farkas gab vor, ein Blitzdichter zu sein. Man müsse ihm nur ein Stichwort zurufen, und schon könne er aus dem Stegreif einen Reim daraus machen. Dass die Zurufe spontan aus dem Publikum kamen, ist eine Legende, worauf Gerhard Bronner in Interviews später hingewiesen hat. Entweder saß ein zuvor ausgewählter Zurufer versteckt im Publikum oder der Stichwortgeber war ein Schauspielerkollege auf der Bühne. In beiden Fällen war vorher ausgemacht, wie die Stichwörter lauteten.

Engel: Machen Sie einen Reim auf folgenden Satz: „Wenn der Feber vorbei ist, dann märzelts.“

Farkas: I kannt’ eine Maid voll raffinierter Finessen. / Sie ist bei einem Frühlingsfest im Likörzelt gesessen. / Und da sprach sie im Innersten des Likörzelts: / Wenn der Feber vorbei ist, dann märzelts. (Karl Farkas, Franz Engel: Dichterschlacht am Mikrofon)

Karlheinz Hackl und Heinz Marecek feierten große Erfolge mit einer Wiederauflage der legendären Doppelconférencen von Fritz Grünbaum und Karl Farkas aus den 1920er und 1930er Jahren. Sie brachten in dem Programm Was lachen Sie? schräg gereimte Spontangedichte und noch schrägere Schüttelreime.

Leubusch: Was ist der Lieblingswunsch Ihres Sohnes?

Stransky: A braunes Lederjackl.

Leubusch (schüttelt): Heutzutag will jeder Lackl / Schon ein braunes Lederjackl. (Marecek, S. 44)

Nach einer Lernphase gelingt auch Stransky, dargestellt von Karlheinz Hackl, ein guter Schüttelreim …

Stransky: Man verdient, wenn man Arzt in Prein an der Rax is’ /

Ein paar Hunderttausend, rein an der Praxis. (Marecek, S. 45)

… und er kann in der Folge vom Schütteln nicht mehr lassen:

Stransky: Man darf sich ja unter den Pöbel mischen / Aber sollte nie unter die Möbel …

Der bedeutendste Schüttelreimer der Gegenwart, und auch Sammler von Schüttelreimen, ist zweifellos Miguel Herz-Kestranek.

Sein Buch Mir zugeschüttelt, erschienen bei Christian Bandstätter, enthält ein umfangreiches Kapitel, das mit Erotisches überschrieben ist, und ein weiteres mit Mehr Erotisches bis Pornografisches. „Jaaa, ich weiß, der Leser, der nicht ins Inhaltsverzeichnis geschaut und nicht sofort hierher geblättert hat, ist nun eeendlich bei den beiden Kapiteln angelangt, deretwegen solche Bücher in Wahrheit gekauft werden“, schreibt Herz-Kestranek in der Einleitung. Dies wisse er „von einem Buchhändler, der sich auskennt“. Nun gilt aber wirklich die verkaufsfördernde Warnung: „Nix für Kinder!“ Auf Popmusik-CDs steht heute in solchen Fällen: „Parental Advisory. Explicit Content“.

Die Nacht lang spielt der Witzler Karten, / ich muss mit prallem Kitzler warten.

„Was hast du so a Wut, Fee?“ / „Mir tut heut so die Fut weh!“

Lewinsky sagt: „Dreh’s Licht weg, / wenn ich an deinem Wicht leck’!“

Das sei in den Abhörprotokollen der CIA zu lesen gewesen, ergänzt Herz-Kestranek, in denen die Gespräche zwischen Bill Clinton und Monica Lewinsky aufgezeichnet worden waren.

Eine ganze CD mit Schüttelreimliedern brachte Stefan Slupetzky mit seinem Trio Lepschi unter dem Titel Warz und Schweiß heraus. Die komplexen Geschichten mit vielen Strophen sind zum Teil im Wiener Dialekt gehalten.

Vüü gscheida, ois a Heisl z baun / is, si auf d Nocht ins Beisl z haun, / wäu, wear am ochtn Kriagl ziagt, / gaunz von allaa an Ziagl kriagt …

In diesem Fall muss man wissen, dass im Wienerischen ein halber Liter Bier ein „Krügel“ ist und der Rausch auch „Ziegel“ genannt wird.

In dem Lied Saunamassaker wird nicht dialektal, sondern standardsprachlich geschüttelt.

Am Anfang saßen sie mit blassen Nasen, / die Füße suchten auf dem Boden Halt. / Doch bald schon stöhnten sie mit nassen Blasen, / der Schweiß, er tropfte von den Hoden bald …

Für das Lied Fernsehkoch, das in französisierendem Tonfall vorgetragen wird, rezitiert Slupetzky lange Zutatenlisten. Herausgekommen sind dabei kulinarische Köstlichkeiten wie …

 

… ein Hirschenkalb, zwei Kirschen halb, / ein Kalberlschwanz, zwei Schwalberl ganz.

Das Menü kulminiert in dem Sinnspruch:

Merke: Ist das Fleischerl bockig, / wird auch meist das Beischerl flockig! / Darum gehört auch das Kalb gehackt, / Gut faschiert ist halb gekackt!

In dem Booklet zur CD erläutert Slupetzky, wie das Erfinden von Schüttelreimen abläuft: „Die Manie des Schüttelreimens lässt den Reimenden fortwährend in die Sumpflöcher des Unkorrekten und Obszönen stürzen … Ohne eine Chance auf Linderung müssen wir jedes Wort so lange schnetzeln und pürieren, bis etwas Schlüpfriges, Brutales oder wenigstens Verschrobenes dabei herauskommt.“

Während bei den Witzen mit sexuellen Themen die Frauen längst die Herrschaft übernommen haben, sind die Schüttelreime noch immer eine Domäne der Männer.

Die Produzenten und Konsumenten von Schüttelreimen diskutieren auch gerne darüber, welcher Schüttelreim der kürzeste ist. Hier einige Kandidaten, die Hans Weigel genannt hat:

Du bist / Buddhist! ◊ Ick war / Vikar ◊ Wo bist / Bovist?

(Weigel, 1963, S. 29)

Dumme Feststellungen werden gespiegelt – No-na-Witze

Jeder kennt sie, sie sind zeitlos. Ganz alte No-Na-Witze habe ich bei Heinrich Eisenbach gefunden. Seine Witzesammlungen erschienen 1905 und 1906. Die Pointe wurde damals noch mit „Nü na“ und mit „Nu na“ eingeleitet:

In einer galizischen Provinzstadt kommt ein Reisender ins Hotel. Wie er das unreine Zimmer sieht, fragt er den Hotelier: „Haben Sie do of die Wänd Wanzen?“ Drauf sagt der Hotelier: „Nü na, e Tizian wer’ ich Ihnen hinhängen.“ (Eisenbach, VII, S. 12)

In einem Kaffeehaus steht am Anstandsort die Aufschrift: „Juden hinaus!“ Der Kohn schreibt darunter: „Nu na, do wer ma bleiben!“ (Eisenbach, VII, S. 13)

Ein Kennzeichen für die Talmud-Debatte ist laut Salcia Landmann die klärende e-contrario-Frage. Juristen sprechen von einem argumentum e contrario, einem Umkehrschluss oder Gegenschluss, der zur Auslegung von Gesetzen dient. „Hunde ohne Maulkorb haben keinen Zutritt!“ Dies bedeutet, dass Hunde mit Maulkorb mitgenommen werden dürfen. Die No-na-Witze sind laut Landmann eine dem Talmud bereits entfremdete Form würden aber mit gutem Grund als jüdisch empfunden werden. (Landmann, 2010, S. 47)

Außerdem sieht sie einen Zusammenhang mit der phänomenologischen Reduktion Edmund Husserls – sie wird auch eidetische Reduktion genannt. Laut Husserl ist das Bewusstsein immer auf einen Inhalt beziehungsweise ein Objekt gerichtet, wobei unter Objekt auch ein komplexes inneres Erlebnis wie Liebe, Angst etc. verstanden werden kann. Wenn man zum Wesen eines Objekts vordringen will, dann müsse man das Gemeinsame, das Gleichbleibende, das Notwendige erkennen und alles andere ausblenden. Das Gemeinsame der Objekte „Auto“ sind „vier Räder“ und „ein Motor“, nicht Attribute wie „verschmutzt“, „mit Metallic-Lackierung“ oder „teuer“.

Lutz Röhrich bezeichnet die No-na-Witze als typisch wienerisch: „Mit den stehenden Figuren Graf Bobby und Frau Pollak erschöpft sich (…) der Wiener Witz nicht. Es gibt zum Beispiel noch eine andere Kategorie von Wiener Geschichten. Es sind die sogenannten No-na-Witze, in denen die witzige Replik mit einer stereotypen sprachlichen Formel, eben einem wienerisch-raunzigen ‚No-na!‘ eingeleitet wird.“ (Röhrich, S. 248)

Die No-na-Witze sind aber nur insoweit wienerisch, als sie im jüdischen Milieu Wiens besonders kultiviert wurden.

Die Bauart dieser Witze ist immer gleich: Die einleitende Frage oder Feststellung ist unlogisch, unnötig oder sonstwie provoziernd. Eigentlich müsste die Reaktion lauten: „Frag nicht so dumm!“ Geantwortet wird aber mit einem Gedanken, der die vorherige Aussage ad absurdum führt.

Im Restaurant bestellt der Gast eine Kalbsbrust. „Mit Salat?“, fragt der Kellner. „No na, mit Büstenhalter!“ (Landmann, 1988, S. 218; 2007, S. 93)

In diesem Witz besteht das entscheidende Merkmal des Objekts darin, dass es dazu dient, den Inhalt eindrucksvoll zu präsentieren. Die Vorstellung, dass ein Koch seine kulinarische Kreation mit einem BH auf dem Teller serviert, ist die durch Unsinn geprägte Pointe. Aber nicht alle No-na-Witze funktionieren nach diesem Muster, und nicht alle sind Unsinnswitze.

Beim Kartenspiel. „Moische, du schaust mir in die Karten!“ – „No na, hasardieren werd’ ich.“ (Landmann, 1988, S. 219; 2007, S. 94)

In diesem Fall ist der einleitende Satz ein berechtigter Vorwurf, und Moisches überraschende Antwort ist nicht unsinnig. In seiner Verteidigungsrede leugnet er gar nicht. Zu erwarten wäre, dass er sagt: „Ich schau’ dir doch gar nicht in die Karten!“ oder „Halt die Karten zurück, sonst sehe ich zwangsläufig dein Blatt!“ Moische aber nennt sogleich das Motiv für sein Verhalten: „Warum soll ich nicht in dein Blatt schauen? Dadurch erhalte ich zusätzliche Informationen, wie ich spielen soll.“ Witze mit einem einleitenden „No na“ können auch mit einer Aussage enden, die man als Chuzpe bezeichnen kann.

Die No-na-Witze sind vermutlich deshalb zeitlos, weil jeder von uns im täglichen Leben immer wieder mit Aussagen konfrontiert wird, die ein „No na“ rechtfertigen würden. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist dieses „No na“ ein Diskursmarker: Er lässt den Zuhörer des Witzes aufhorchen, er wird neugierig, wartet auf eine unsinnige Feststellung. Wird bei einem No-na-Witz der Diskursmarker weggelassen, kommt das Gefühl auf: Hoppla, da fehlt doch was!

Ich zitiere in der Folge aus Hellmuth Karaseks Buch Soll das ein Witz sein?

Ein Zug setzt sich langsam in Bewegung. Sagt ein Passagier zu dem ihm gegenübersitzenden Juden: „Scheint’s fahren wir schon.“ „Die Häuser werden sie für uns vorbeitragen“, sagt der andere. (Karasek, S. 90)

Da fehlt das „No na“, und das ist eine Katastrophe. Dabei will Karasek offensichtlich zeigen, dass Witze mit derartiger Technik jüdischen Ursprungs sind. Der Witz impliziert aber auch, dass ein Jude auf die beiläufige Bemerkung eines Goj mit hämischer Schärfe reagiert. Die Version von Salcia Landmann vermeidet diese negative Wirkung:

Zwei Reisende sitzen im Abteil. Der Zug setzt sich in Bewegung. Der eine: „Mir scheint, wir fahren schon.“ Der andere: „No na, die Fassaden wird man an uns vorbeiziehen!“ (Landmann, 2007, S. 95)

Manche No-na-Witze haben die Judenverfolgung durch die Nazis als Hintergrund.

Hält ein Gestapobeamter einen Mann auf der Straße an, zeigt auf den Judenstern und fragt: „Jude, was?“ Drauf der andere: „No na, Sheriff.“

Der Judenstern und der Sheriffstern haben mehrere gemeinsame Merkmale: Sie sind mehrzackig und werden sichtbar am Gewand getragen. Selbst die Farbe ist ähnlich: Der Judenstern ist gelb, der Sheriffstern ist meist goldfarben.

Mit dem Satz „No na, Sheriff.“ wird dieser Zusammenhang zwischen den beiden Zeichen genial auf den Punkt gebracht. Gleichzeitig ist die Antwort ein Triumph des Unterdrückten über seinen Unterdrücker – ihr habt die Macht, aber wir haben den Witz!

Sigmund Freud bezeichnet in seiner Witzeanalyse Gemeinsamkeiten verschiedener Dinge als Unifizierung. Aber neben dem Gemeinsamen muss auch Unterschiedliches hinzukommen, damit ein Kontrast entsteht. Während der Sheriffstern Ausdruck einer staatlichen Macht ist und den Träger gegenüber den anderen Menschen emporhebt, leistet der Judenstern das genaue Gegenteil: Der Träger wird zum „Untermenschen“, wie es die Nazis in ihrer antisemitischen und rassistischen Diktion formulierten.

Kohn kommt auf den Bahnsteig gerannt und sieht nur noch die Rücklichter des abfahrenden Zuges. Der Bahnhofsvorstand: „Na? Zug verpasst?“ – „No na, verscheucht werd’ ich ihn haben!“

Man muss annehmen, dass der Bahnhofsvorstand ein Nazi ist, er will Kohn mit einer provozierenden und hämischen Frage, eingeleitet mit einem „Na?“, demütigen. Auch in diesem Fall kann der Jude durch die No-na-Antwort für einen Augenblick über den Beamten triumphieren: „Wie absurd! Ihr scheint uns Juden sogar zuzutrauen, dass wir einen Zug verscheuchen!“

Salcia Landmann bringt in diesem Fall eine irritierende Version. In ihrer Fassung wird ein „teilnahmsvoller“ Bahnvorstand von einem Juden arrogant zurechtgewiesen.

Schmul stürzt auf den Bahnhof, sieht aber nur noch die Schlusslichter des abfahrenden Zuges. Teilnahmsvoll erkundigt sich der Bahnvorstand: „Haben Sie den Zug versäumt?“ Schmul: „No na, verscheucht hab’ ich ihn.“ (Landmann, 2007, S. 94)

Hellmuth Karasek macht aus dem klassischen Zwei-Personen-Dialog eine Geschichte mit drei Personen. Das jüdische Milieu ist nicht mehr erkennbar, auch in diesem Fall fehlt das „No na“. Dabei soll dieser Witz doch den jüdischen Humor illustrieren – die Fähigkeit, selbst über die Häme der Antisemiten Witze zu machen.

Ein Reisender sieht einen anderen auf den Bahnsteig stürzen, atemlos schaut der den Schlusslichtern des abfahrenden Zuges hinterher. Fragt ein anderer Mann auf dem Bahnsteig: „Haben Sie den Zug verpasst?“ Antwortet der: „Verscheucht werd’ ich ihn haben!“ (Karasek, S. 90)

Sigmund Freud erwähnt No-na-Witze mit keinem Wort. Aber er beschreibt einen Typus, der den No-na-Witzen nahekommt. In seinen Beispielen geht es nicht um eine dumme Frage, die ad absurdum geführt wird, sondern um eine dumme Verhaltensweise, eine dumme Einstellung etc.

Itzig ist zur Artillerie assentiert worden. Er ist offenbar ein intelligenter Bursche, aber ungefügig und ohne Interesse für den Dienst. Einer seiner Vorgesetzten, der ihm wohlgesinnt ist, nimmt ihn beiseite und sagt ihm: „Itzig, du taugst nicht zu uns. Ich will dir einen Rat geben. Kauf dir eine Kanon’ und mach dich selbständig!“ (Freud, S. 71–72)

Der Offizier hätte laut Freud sagen können: „Itzig, ich weiß, du bist ein intelligenter Geschäftsmann. Aber ich sage dir, es ist eine große Dummheit, wenn du nicht einsiehst, dass es beim Militär unmöglich so zugehen kann wie im Geschäftsleben, wo jeder auf eigene Faust und gegen den anderen arbeitet. Beim Militär heißt es sich unterordnen und zusammenwirken.“

Freud spricht in diesem Fall von einem Unsinnswitz. Es werde in der Pointe des Witzes etwas Dummes, Unsinniges vorgebracht, um zu veranschaulichen, dass das zuvor Gesagte ebenfalls dumm und unsinnig war. Freuds Definition wird durch das folgende Beispiel noch deutlicher:

Ein Mann, der verreisen muss, vertraut seine Tochter einem Freunde an mit der Bitte, während seiner Abwesenheit über ihre Tugend zu wachen. Er kommt nach Monaten zurück und findet sie geschwängert. Natürlich macht er dem Freund Vorwürfe. Der kann sich den Unglücksfall angeblich nicht erklären. „Wo hat sie denn geschlafen“, fragt endlich der Vater. „Im Zimmer mit meinem Sohn.“

„Aber wie kannst du sie im selben Zimmer mit deinem Sohn schlafen lassen, nachdem ich dich so gebeten habe, sie zu behüten?“ – „Es war doch eine spanische Wand zwischen ihnen. Da war das Bett von deiner Tochter, da das Bett von meinem Sohn und dazwischen die spanische Wand.“ – „Und wenn er um die spanische Wand herumgegangen ist?“ – „Außer das“, meint der andere nachdenklich. „So wäre es möglich.“ (Freud, S. 73; vgl. Landmann, 2010, S. 489)

Eine Reduktion des Witzes aus der Sicht des Freundes könnte so lauten: „Wie kannst du denn so dumm sein, deine Tochter in ein Haus zu geben, in dem sie in der beständigen Gesellschaft eines jungen Mannes leben muss? Als ob es einem Fremden möglich wäre, unter solchen Umständen für die Tugend eines Mädchens einzustehen!“ Die scheinbare Dummheit des Freundes ist also nur die Spiegelung der Dummheit des Vaters.

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