Traum-Heiler

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Wenn wir glauben, unsere Welt sei verloren, wenn alles, worauf wir gebaut haben, eingestürzt ist, finden wir in dieser unglaublichen Geschichte Mut und Führung. Wenn Sie in Ihrer Welt durch ein Loch gefallen sind, dann stehen Sie auf und tanzen Sie sich eine neue Welt zusammen. Um sicher auf Ihre neue Erde zu gelangen, müssen Sie Verbindung zu Ihren animalischen Kräften aufnehmen.

Die großartige Erlösungsgeschichte der Leute der Inselfrau ist die Geschichte von Hiawatha und dem Friedensstifter. Bevor Hiawatha Sprecher und Meister für den Friedensstifter wurde, war er ein gefallener Mensch. Er stürzte so tief ab, dass er zum Kannibalen wurde, der sich von seinen Mitmenschen ernährte. Seine Transformation begann, als er sein wahres Gesicht im Spiegel sah - es spiegelte sich auf der Wasseroberfläche im Topf, in dem er die Organe eines abgeschlachteten Feindes kochen wollte. Als er die strahlende Schönheit seines größeren Selbst erblickte, gab er seine alten Gewohnheiten auf und machte sich auf den Weg seines Herzens. Am Ende wurde er der »Mann des guten Geistes«, der seine Leute aus den dunklen Zeiten herausführte.

Als Hiawatha seinen schlimmsten Feind, einen tyrannischen Zauberer, besiegt hatte, tötete er ihn nicht. Stattdessen kämmte er die Schlangen des Bösen aus den Haaren des Zauberers. Nach dieser spirituellen Reinigung nahm er seinen ehemaligen Feind in die Reihen der Männer des guten Geistes, die rotiyaner, auf. Sie werden von den Klanmüttern als die traditionellen Häuptlinge der Irokesen angesehen. Die Mohawks unter ihnen sind es, die das Tor zum Osten hüten.4

Es fiel mir schwer, die Tränen zurückzuhalten, als die Wahrheit der Inselfrau meinen Geist und meine inneren Sinne durchdrang. Die wichtigsten Erkenntnisse kommen durch die Wiederbelebung dessen, was die Seele längst weiß.

Meine Begegnungen mit der Inselfrau erweckten mich für Wege, die von den Weisen unter all unseren Ahnen gegangen wurden. Für den Frieden und die Heilung unserer Erde und unseres Lebens müssen wir diese Wege zurückholen, und mehr als je zuvor ist der richtige Zeitpunkt jetzt.

Hier sind ein paar der Dinge, die Sie auf der Reise, die nun in diesem Buch beginnt, entdecken werden oder an die Sie sich wieder erinnern werden:

 Die Essenz der schamanischen Kräfte zu reisen und zu heilen ist die Fähigkeit, intensiv zu träumen. In unserem modernen Alltag stehen wir am Rand dieser Kräfte, wenn wir träumen und uns daran erinnern, etwas aus diesen Träumen zu machen. Wenn Sie ein Schamane sein wollen, dann fangen Sie schon am Frühstückstisch damit an, indem Sie Ihre Träume auf die richtige Weise mit Ihrer Familie und Ihren Freunden teilen.

 Träume enthüllen Ebenen und Aspekte der Psyche, die schlummern oder im wachen Bewusstsein womöglich fehlen. Auch bieten sie uns Landkarten, die wir nutzen können, um dahin zu reisen, wo wir Teile unserer Lebensessenz finden und nach Hause mitbringen können. Der Königsweg zur Seelenheilung ist, wenn man einen Traum zum Tor seiner persönlichen Reise macht. Ein Traum ist eine Reise und er ist auch eine Stätte. Sie sind im Traum an irgendeinen Ort gegangen, der Ihrem normalen Lebensbereich nah oder fern sein kann. Da Sie an diesem Ort nun schon einmal gewesen sind, können Sie dorthin zurückkehren.

 Ein wesentlicher Schritt der Seelenheilung ist, Platz für mehr von Ihnen zu machen, indem Sie in sich und um sich herum etwas Platz freimachen. Sie werden einfache und praktische Methoden der spirituellen Reinigung kennen lernen. Darunter sind auch Techniken, wie Sie schwere und ungewollte Energien loswerden können, die nicht zu Ihnen gehören.

 Wir brauchen die Wege der Träume nicht alleine zu erkunden. Wenn wir die Fähigkeiten des Spurensuchers erlernen, können wir Freunde auf ihren Reisen begleiten, um Seelenanteile zurückzuholen und Angst und Bedauern zu überwinden, so wie wahre Seelengefährten es tun.

 Sie können im Reich der Fantasie ein Haus der Heilung errichten und ausbauen, zu dem Sie jederzeit reisen können.

 Träumer sind Zeitreisende. Sie können durch die Zeit reisen, um Probleme, die Widersacher in der Vergangenheit oder Zukunft betreffen, zu verstehen und zu lösen. Sie können auch jüngere Versionen von sich in deren Jetztzeit aufsuchen. Sie können einem jüngeren Selbst, das in einer Zeit unerträglicher Schmerzen oder Schwierigkeiten lebt, Mut machen und Ratschläge geben. Daraus kann eine deutliche Heilung für Sie beide in Ihrer jeweiligen (Jetzt-) Zeit eintreten.

 Vielleicht wollen wir uns nicht mit unseren Ahnen beschäftigen, doch sie beschäftigen sich mit uns. Ob wir es wollen oder nicht - wir sind mit den Ahnen unserer Blutsverwandten verbunden, und ihre Schablonen können unsere Gewohnheiten und Verhaltensweisen steuern, solange wir das Muster nicht erkennen und auflösen. Außerdem sind wir mit den Vorfahren des Landes, auf dem wir leben, verbunden. Wir sollten Seelenverbindungen zu unseren weisen Ahnen und Verstorbenen aufnehmen und pflegen, doch damit solche Beziehungen gedeihen können, müssen wir uns zuerst von ungesunden Vermächtnissen und damit verbundenen Energien reinigen.

 Sie können eine geheime Bibliothek aufsuchen, in der Sie Zugang zu jeder Information und zu jedem Thema erhalten, die Sie interessieren. Hier können Sie den Kontakt zu Lehrmeistern aufnehmen. Sie können möglicherweise Einblick in Ihr Lebensbuch nehmen - dem Buch, das Ihnen helfen wird, mehr über sich zu erfahren, wie beispielsweise Ihre Verbundenheit zu Persönlichkeiten in anderen früheren und zukünftigen Leben und das geheime Muster in Ihren gegenwärtigen Beziehungen. Wenn Sie richtig mutig sind, können Sie vielleicht sogar Ihren heiligen Vertrag einsehen, in dem auch die Aufgabe steht, die Sie vor der Geburt in Ihr jetziges Leben übernommen haben, und ihre Bedingungen.

 Das bewusste Zeitreisen ermöglicht es uns, in andere Zeiten zu gehen und Bedingungen aus erster Hand zu erfahren, die wir dann recherchieren und verifizieren können. Wir können Wissenschaftler und Heilspezialisten in ihren Bemühungen unterstützen, über das bisher Verstandene hinauszugehen. Wir können das Beste uralter Traditionen und Rituale auf authentische, hilfreiche und rechtzeitige Weise zurückholen. Und dadurch können wir bei der kulturellen oder kollektiven Seelenheilung behilflich sein.

 Von allen führenden und unterstützenden Kräften in unserem Leben ist die wichtigste wohl diejenige, die wir oft gar nicht erkennen, weil wir vergessen haben, dass es sie gibt, oder weil wir sie für etwas anderes halten. Dies ist ein Freund der Seele, der uns niemals belügt und nie verurteilt. Es ist das Selbst, das eine höhere Ebene als unser gewöhnliches Selbst einnimmt. Es ist das Gesicht, das uns das Größere Selbst zeigt, wenn wir bereit sind, es zu sehen. Sie werden lernen, wie Sie Ihre Verbindung zu dem, was Sufis so poetisch die Seele der Seele nennen, wiederherstellen und aufrechterhalten können.

Es geht nicht nur darum, die Seele im Körper zu lassen und uns daran zu erinnern, dass wir von den Sternen kommen und dass unsere Geschichten in mehr als nur einer Zeitphase - und auch jetzt - stattfinden. Es geht darum, die Seele wachsen zu lassen, mehr zu werden, als wir je waren, das größere oder höhere Selbst noch mehr zu verkörpern. Dazu brauchen wir den Willen, den kreativen Sprung zu machen und etwas Neues in unser Leben und unsere Welt hineinzubringen. Ein Mythos, den wir im Geist und im Leben wiederaufleben lassen, schenkt uns kreative Kraft und dient der Seele. Träumend finden wir die Mythen, die wir leben können, die Geschichten, die die Seele ans Steuer des Schiffs unserer Odysseen stellt.

1. Schamanen als Träumer

Um handeln zu können, brauchte ich Träume. - Isaac Tens, Gitksan-Schamane

Was ist ein Schamane? Das Wort wurde Anthropologen des Volkes der Tungus in Sibirien entliehen. Seine ursprüngliche Bedeutung ist unklar. Manche glauben, es bedeutet »Priester«, doch Schamanen, schamanische Heiler, die sich unmittelbar mit der Erleuchtung beschäftigen, sind etwas ganz anderes als Priester, die Hüter von empfangenen Doktrinen und Ritualen. Der Begriff Schamane wurde durch die Veröffentlichung von Mircea Eliades Klassiker Schamanismus und archaische Ekstasetechnik bekannt. Nach Eliades Darstellung ist ein Schamane ein spiritueller Meister in der Kunst des Reisens außerhalb des irdischen Körpers. Er reist auf diese Art, um mit den Geistern zu kommunizieren, die Seelen der Lebenden und der Toten zu lenken und ihnen Heilung zu bringen.

Hier sind einige der Merkmale, die Schamanen definieren:

 Sie können in versteckte Dimensionen der Realität reisen.

 Sie arbeiten mit Krafttieren und Geisthelfern.

 Ihr Aufgabengebiet ist die Fürsorge und Führung der Seele.

 Sie sind über den Tod hinausgegangen und zurückgekommen.

 Ihre Fähigkeiten und Dienste werden von ihrer Gemeinde geschätzt.

Bei den Völkern in Zentralasien ist die wichtigste Reiseausrüstung eines Schamanen die eingefasste einköpfige Trommel, die wir in Kreisen des aktiven Träumens verwenden. Es gibt eine Geschichte aus Buryat (der Mongolei) darüber, wie der Schamane zur Trommel gekommen ist. Vor langer Zeit beschwerte sich der Tod beim Hohen Gott darüber, dass ein mächtiger Schamane das Gleichgewicht aller Dinge stören würde. Dieser Schamane war in seinen Bemühungen, die Seelen der Sterbenden in den Körper zurückzuholen, so erfolgreich, dass der Tod um seinen Anteil betrogen wurde. Daraufhin griff der Hohe Gott hinunter auf die Erde, pflückte die lebendige Seele eines völlig gesunden Mannes aus dessen Körper, verbannte sie in eine Flasche und setzte sich wieder auf seinen hohen Thron. Dort wartete er ab, was der Schamane tun würde. Der Schamane, der von der Familie des unglücklichen leblosen Mannes aufgesucht worden war, bestieg seine Trommel - die er sein »Pferd« nannte - und ritt auf der Suche nach der vermissten Seele durch die Untere Welt und die Mittlere Welt. Um sein Ziel zu erreichen, musste er höher als je zuvor bis hinauf in die Obere Welt reisen, bis er schließlich den Hohen Gott auf seinem hohen Thron erblickte, der die Seele in einer Flasche festhielt. An diesem Punkt hätte wohl selbst der abgebrühteste Schamane aufgegeben. Doch unser Schamane weigerte sich, seine Mission abzubrechen. Er verwandelte sich in die Gestalt einer Wespe und stach den Hohen Gott in die Stirn. In seinem Schock und Schmerz ließ der Hohe Gott die Flasche los. Der Schamane griff nach der gefangenen Seele und galoppierte mit ihr zurück zu seinem Dorf. Zornig schleuderte ihm der Hohe Gott einen Blitz hinterher. Der Blitz schlug in die zweiköpfige Trommel des Schamanen ein und zerbrach sie in zwei Stücke. Daher kommt die klassische Form der Trommel, wie wir sie heute kennen.

 

Diese ungestüme archaische Geschichte zeigt mehrere ganz wichtige Aspekte, wie ein Schamane arbeitet. Er arbeitet mit Seelen. Er hat die Fähigkeit, durch ein dreischichtiges Universum zu reisen - die Untere Welt, die Mittlere Welt, die Obere Welt -, das sich in einen multidimensionalen Kosmos öffnet. Der Schamane übt die Kunst des »Shapeshifting« aus. Er ist mit dem Tod vertraut. Er ist bereit, die Grenzen des Möglichen zu testen. Und er dient der Gemeinschaft.

Diese Aussagen treffen auf echte Schamanen in vielen verschiedenen Kulturen zu. »Das einzig Wichtige am Menschen ist seine Seele«, sagte ein Schamane der Inuit, auch angakok genannt, zu dem Forscher Knud Rasmussen. Die alten Taoisten in China haben das Herzstück ihrer schamanischen Tätigkeit als »die Kunst, bei hellem Tageslicht vom Himmel zu steigen« beschrieben und sich in der Technik des »Kranichreitens« versucht - auf den Flügeln des Kranichs oder der Wildente, des Drachens oder des fliegenden Tigers zum Himmel aufzusteigen.1 Ein Geist der Aborigines, der gefragt wurde, wie er andere heilte, erklärte dem Jungianer Robert Bosnak: »Ich werde zum Adler«.2 Wie Holger Kalweit festgestellt hat, balanciert der Schamane am Rande des Todes. Er kennt die Wege des Jenseits, weil er sie selbst bereist hat. »Er stirbt tatsächlich und wird tatsächlich wiedergeboren.«3

In Kulturen der Naturvölker können Schamanen in eine bestimmte Blutlinie hineingeboren werden und eine rituelle Ausbildung, Prüfung und Einweihung absolvieren. Doch die Berufung zum Schamanen enthüllt sich gewöhnlich durch eine höchst individuelle Krise. Dies könnte beispielsweise eine ernste Krankheit oder ein Nahtoderlebnis sein. Meistens kündigt sich die Berufung zum Schamanen jedoch in Träumen und Visionen an. Bei den Ojibwa ist die Enthüllung der Berufung zum Schamanen - oder was immer die Aufgabe der Seele sein mag - häufig die Begabung zum Traumführer oder pawauganuk.

In allen Beschreibungen des Schamanen in der Literatur - als verwundeter Heiler, als Seelenführer, als Pendler zwischen den Welten, als einer, der mit Geistern verhandelt - findet sich ein wesentliches Element, das nur selten stark genug hervorgehoben wird und das manchmal sogar ganz übersehen wird. Der Schamane ist vor allem eines: ein Träumer. Schamanen werden in Träumen ihrer Berufung zugeführt. Sie werden in der Traumzeit eingeführt und ausgebildet. Der Kern ihrer Tätigkeit ist die bewusst gewollte Traumreise. Sie können Träume ausbrüten, um eine Diagnose zu stellen und die richtige Behandlung für den Patienten auszuwählen. Sie gehen - hellwach und bewusst - in ihren Traumkörpern auf die Reise, um verlorene Seelen wiederzufinden, mit den Geistern zu verhandeln, gegen Zauberer anzukämpfen und den Geist der Verstorbenen auf den richtigen Weg zu bringen.

Ja, Halluzinogene oder Entheogene sind in manchen Teilen der Welt - vor allem in Südamerika - charakteristische Merkmale schamanischer Traditionen. Doch die Meisterschamanen produzieren ihre eigenen Chemikalien im Körper und wirklich mächtige Träumer brauchen keine Halluzinogene. Ich selbst habe sie noch nie angewandt, aber ich wurde schon in früher Kindheit von Träumen berufen und habe die Realität anderer Welten während meiner lebensbedrohlichen Krankheit kennen gelernt. Daher verurteile ich andere nicht, die Hilfe suchen, indem sie das scharfe Auge der Vision öffnen.

Schamanen werden nicht nur durch Träume berufen, sondern das Träumen bildet auch den Kern ihrer Tätigkeit. Eine geläufige Beschreibung für Schamanen in der westlichen Hemisphäre ist ganz einfach »jemand, der träumt«. In der Sprache der Mohawks ist eine Schamanin, wie schon erwähnt, eine atetshents, »adze-edze-ots« ausgesprochen (die männliche Form lautet ratetshents). Das bedeutet »Träumer/in« im Sinne von jemandem, der lebhaft träumt, der die Wahrheit träumt, der im Traum reisen und andere im Traumraum heilen kann. Außerdem bedeutet es auch noch »Doktor« und »Heiler«. Hier findet sich das uralte Verständnis, dass man in den Traumwelten zu Hause sein muss, um ein Schamane, Arzt oder Heiler sein zu können.

Bei dem Daur-Stamm der zentralen Mongolei ist der Schamane (yadgan) ein starker Träumer, der in seinen Träumen sicher und effektiv Seelenwege beschreiten kann, auf denen andere sich verlaufen würden. Wenn die Vermutung eines partiellen Seelenverlusts naheliegt, versucht der Schamane, in einem besonderen Traum (soolong) die Wahrheit herauszufinden. »Der Soolong-Traum war die wichtigste Methode der Weissagung vor einer schamanischen Séance, und der Schamane konnte durch diese Methode den Leuten sagen, welcher Geist aktiv war, wo im Universum er sich befand und an welchem Tag die Zusammenführung stattfinden sollte.«4 Schamanen handeln mit ihrer Traumgabe wie mit einem kostbaren Gut, und es kann passieren, dass sie sich weigern, für andere zu träumen, solange sie nicht mit Geschenken und Anerkennung dazu bewogen werden. Die Familienangehörigen eines Sterbenden bitten einen Schamanen, »über seinen Traum zu wachen«, um herauszufinden, ob eine Nachtreise (dolbor) durchgeführt werden muss, und wenn ja, welcher Weg zu gehen ist.5 Der Daur-Schamane fordert seine Patienten auch auf, selbst zu träumen. »Wenn du keinen Traum hast, kann das Ritual nicht durchgeführt werden«, erklärte ein mongolischer Schamane einem Gast, der ihn wegen eines Magenleidens um Hilfe anflehte.6 Interessanterweise ist das mongolische Wort für den Traum des Schamanen, soolong, mit dem Wort für »Regenbogen« (solongo) verwandt. Daraus ergibt sich der Hinweis, dass ein Traum eine Regenbogenbrücke zwischen den Welten ist.

Unter den Worora in Australien heißt es: »Wenn ein Schamane mit den Geistern der Toten spricht, geschieht das, indem seine Seele seinen Körper im Schlaf verlässt.« Dann begegnet der Schamane dem »Schatten« des Verstorbenen, der ihn ins Reich der Toten und wieder hinaus führt. Der Schamane bringt heilige Tänze und Lieder (von seiner Reise) mit.7

Die Aborigines in Walcott Inlet, Australien, glauben, dass der Schlangengott Unggud potenzielle Schamanen in ihren Träumen zu sich ruft. Die Einweihung hängt von der Fähigkeit des Einzelnen ab, Mut zu beweisen und sich einer Reihe von beängstigenden Prüfungen zu unterziehen. Am Schluss wird er in einem neuen Körper und mit einem neuen Gehirn wiedergeboren, das mit Licht angefüllt ist. Nun besitzt der Schamane die Fähigkeit, ein Traumdouble zu projizieren. Seine Fähigkeiten werden miriru genannt. In Aboriginal Men of High Degree schreibt A. P. Elkin, dass miriru im Grunde genommen »die Fähigkeit eines Medizinmannes ist, sich in einen Traumzustand oder eine Trance mit all ihren Möglichkeiten zu versetzen«.8 In der Sprache des ältesten Menschenstamms findet sich das Verständnis, dass die Kraft eines Schamanen oder einer Schamanin in seiner oder ihrer Fähigkeit zu träumen liegt.

EIN SINGENDER SCHAMANE, DER VON DER EULE UND TRÄUMEN GERUFEN WIRD

Eine klassische Schilderung, wie Schamanen durch Träume zu ihrer Tätigkeit berufen werden, stammt von Isaac Tens, einem halaait (Schamanen) des Gitksan-Volkes im Nordwesten des Pazifiks. Der französisch-kanadische Wissenschaftler Marius Barbeau schrieb 1920 Tens’ Erzählung und seine Lieder in Hazelton, British Columbia, nieder. Es ist eine wilde Geschichte, in der Träume in die physikalische Welt überschwappen und in der sich Vögel und Tiere wie Geister benehmen (so wie Schamanen es von ihnen kennen).

»Dreißig Jahre nach meiner Geburt«, berichtet Tens, hätte er in der Dämmerung Holz gehackt, als eine riesige Eule auf ihn zugeflogen sei. »Die Eule hat mich gepackt, mein Gesicht ergriffen und versucht, mich hochzuheben.« Tens verlor das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, stellte er fest, dass er im Schnee gestürzt war und ihm das Blut aus dem Mund rann. Seine Welt wurde immer seltsamer. Während er sich nach Hause schleppte, schienen die Bäume sich über ihn zu beugen und ihm dann wie Schlangen hinterherzuschlängeln. Zu Hause im Bett verfiel er in einen wirren Zustand. Ihm war, als wäre er in eine starke Strömung gefallen.

Seine Familie holte zwei Schamanen herbei, die in diesem spirituellen Notfall eine mögliche Berufung sahen. Sie sagten Isaac Tens, er sei dazu bestimmt, ein Schamane wie sie zu werden. Doch das wollte er nicht hören. Als er sich wieder erholt hatte, ging er auf die Jagd. Er schoss und rupfte ein paar Eisvögel. Dann erblickte er wieder eine riesige Eule. Er schoss sie ab und sah, wie sie zu Boden fiel. Doch als er an die Stelle ging, um den Kadaver zu holen, war die Eule spurlos verschwunden. Als Tens in seine Hütte zurückkehrte, hatte er den Eindruck, als würde eine ganze Reihe von Geistern ihm folgen. Er fiel in Trance in den Schnee.

Als er sich wieder aufgerappelt hatte und über einen eingefrorenen Fluss nach Hause zurückging, schien sein Körper zu kochen und ein Lied stieg in seiner Kehle auf. »Gesang kam aus mir heraus, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.« Um ihn herum und nur für ihn sichtbar waren Geistertiere. »Visionen wie diese tauchen auf, wenn ein Mensch dabei ist, ein halaait zu werden. Die Lieder steigen vollendet in ihm hoch, ohne jegliche Bemühung, sie zu komponieren.«

Die Schamanenlieder strömten weiterhin aus ihm heraus. Jetzt nahm er seine Berufung an. Ihm wurde geraten, zu ihrer Erlernung abgeschottet zu leben und nur mit vier Cousins in Verbindung zu bleiben. Sie waren Mitglieder des Wolfclans, die über ihn wachten. Das Schlüsselelement in dieser Trainings- und Vorbereitungsphase war das Träumen. »Um handeln zu können, musste ich träumen.«

Etablierte Medizinmänner teilten ihr Wissen mit Tens, als er anfing, mit eigenen Patienten zu arbeiten. Doch am stärksten wurde er von Träumen und Visionen geleitet. »Ich fing an, die Krankheitsfälle durchs Träumen zu diagnostizieren.« Seine Träume zeigten ihm, welche Lieder, Talismane und Tiergeister er in einem bestimmten Fall verwenden sollte. Um eine Krankheit - oder genauer gesagt, den bösen Geist, der die Krankheit in den Körper des Patienten getragen hatte - auszutreiben, legte er einen Talisman auf sich und verlängerte ihn, um den Patienten zu erreichen oder zu bedecken. Der Talisman »war nie ein realer Gegenstand, sondern immer einer, der mir in einem Traum erschienen war.«

Im Traum erhielt Tens ein Geistkanu, das er als Heilmittel einsetzte. »In einem Traum, den ich einmal über den Hügeln hatte, sah ich ein Kanu. Es erschien mir in vielen Träumen. Manchmal schaukelte das Kanu auf dem Wasser und manchmal auf den Wolken. Immer wenn irgendwo ein Problem auftauchte, konnte ich in Visionen mein Kanu sehen.«

Schließlich hatte er dreiundzwanzig Lieder der Energie und Heilkraft zusammen; die meisten wurden ihm unmittelbar in Träumen und Visionen überliefert. Er träumte ein Lied vom Lachs:

Das Dorf wird geheilt sein, wenn mein Lachsgeist hineinschwimmt.

Er träumte, dass seine beiden verstorbenen Onkel ihm für beide Hände Rasseln gaben und dass ein Grizzlybär durchs Haus rannte und sich dann hinauf in die Lüfte und zwischen die Wolken schwang. Er schwenkte die Rasseln in den Händen und machte die Geräusche des Bären nach, der es auf der Erde hatte donnern lassen und dann hinaufgeschwebt war.

In einer Vision reiste er in ein fremdes Land voller Bienen. Die Bienen zerstachen seinen ganzen Körper. Danach half ihm eine uralte Frau zu wachsen. Er sang:

 

Ein Bienenschwarm zerstach meinen Körper. Großmutter bringt mich in meiner Vision zum Wachsen. Eyiwaw!

In einer anderen Vision fiel er aus großer Höhe in ein Kanu, das ihn hinauf zwischen die Gebirgshöhen trug. Dort hörte er die Gebirgsgeister, die sich mit Stimmen unterhielten, die wie Glocken klangen. Er sang:

Die Berge sprechen miteinander.

Wenn er seine ernstesten Fälle behandelte, trug Isaac Tens ein Bärenfell mit einer Kapuze aus einer Bärenklaue und eignete sich die Kraft des größten Medizintiers in Nordamerika an, dessen Lied er in seinen eigenen Träumen übernahm. Bei solchen Anlässen versammelten sich die Familie, die Freunde und andere Schamanen, um eine heilende Gemeinschaft zu bilden.

Häufig ging es um die Rückführung einer Seele. »Wenn der Patient sehr geschwächt ist, fängt der Schamane seine Seele mit den Händen ein und bläst sanft darauf, um ihr mehr Atem einzuflößen. Bei einem noch geschwächteren Patienten nimmt der halaait einen heißen Stein von der Feuerstelle und hält die Seele darüber. Er kann auch ein wenig Fett auf dem heißen Stein zum Schmelzen bringen. Seine Hände drehen den Stein von einer Seite auf die andere und nähren so den kranken Geist.« Zum Schluss wird die Seele in den Kopf des Patienten geleitet.9