Weltordnungskrieg

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In der monozentrischen Hegemonie der letzten Weltmacht gibt es auf dieser Ebene überhaupt keine Konkurrenz mehr, also noch viel weniger das Potential für einen Weltkrieg zwischen ebenbürtigen Großmächten. Aber die transnationale Krisenkonkurrenz lässt erst recht keinen „kapitalistischen Weltfrieden“ zu (was ein Widerspruch in sich wäre), sondern setzt als ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln neue Formen bewaffneter Zusammenstöße frei, die nicht mehr auf der Ebene der alten Großmachtkonflikte liegen und nicht mehr in deren Kategorien beschrieben werden können. In dieser neuen Weltkrisenkonstellation vollendet sich eine tiefgreifende qualitative Metamorphose des imperialen Zugriffs, die ihren Anfang schon in der bipolaren Supermachtstruktur der Nachkriegsgeschichte genommen hatte.

Vom territorialen Nationalimperialismus zum „ideellen Gesamtimperialismus“

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die USA nicht nur die letzte und andererseits „erste wirkliche“ Weltmacht, sondern sie sind damit auch in einen anderen Status als alle vorherigen imperialen Mächte eingerückt. Der monozentrische Charakter dieser Weltmacht, die an den historischen Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise gewissermaßen die globalen Widersprüche verwalten muss, verweist auf eine Transformation des Imperialismus, in der dieser nicht mehr seinem bisherigen Begriff entspricht, sondern auf einer anderen Widerspruchsebene angesiedelt ist.

In der Reife ihrer Macht müsste die Position der USA - vom Standpunkt des alten, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gültigen Verständnisses aus gesehen - sogar als eine gewissermaßen „postimperialistische“ erscheinen. Gewaltsamkeit, Brutalität und Zynismus der Zugriffe und ihrer Legitimation sind um keinen Deut geringer geworden, aber der Inhalt hat sich qualitativ vom ursprünglichen Begriff eines modernen „Imperiums“ entfernt. Den drei Entwicklungsstadien der polyzentrischen, der bipolaren und der monozentrischen politisch-militärischen Hegemonie in der modernen Welt entspricht ein fortlaufender Veränderungsprozess im Charakter des Imperialismus, der den Übergang von der Aufstiegs- und Durchsetzungsgeschichte des kapitalistischen Weltsystems zu seiner Krisenreife widerspiegelt.

In der Epoche des alten, polyzentrischen Imperialismus der industriekapitalistischen europäischen Mächte (ungefähr von 1870 bis 1945) ging es vor allem um die territoriale Aufteilung der Welt in nationale Kolonien und „Einflussgebiete“. Dieser klassische europäische Nationalimperialismus war im territorialen Prinzip des bürgerlichen Nationalstaats verwurzelt, wie es sich im Gegensatz zum dynastischen oder personalen Prinzip der feudalen Agrargesellschaft herausgebildet hatte. Die territoriale Expansion der kapitalistischen Nationalstaaten, die schon in der frühen Neuzeit begonnen hatte, setzte sich dabei auf industrieller Grundlage und im großen Maßstab fort; Ziel war stets die Ausdehnung der eigenen territorialen Kontrolle. Kein grenzenloser Weltmarkt lag dieser Entwicklung zugrunde und schon gar keine transnationale Globalisierung des Kapitals, sondern genau umgekehrt eine zunehmend staatsökonomische und nationalzentrierte Formierung des Akkumulationsprozesses. Die Expansion der ökonomischen Bewegung nahm daher die Form eines Strebens nach bloß partiellen und relativen, von nationalen „Großreichen“ kontrollierten „Weltwirtschaften“ (im nationalen Plural) an.

Ganz in diesem Sinne war in allen europäischen Großmächten des Kapitals die außen- und gesellschaftspolitische Debatte nach einem Wort des wilhelminischen Generals Friedrich von Bernhardi von der nationalzentrierten Parole „Weltmacht oder Niedergang“ (zit. nach: Gollwitzer 1982/2, 25) gekennzeichnet. Als Grundlage für strategische Orientierungen entwickelte sich dabei die sogenannte „Geopolitik“, in Deutschland vor allem durch Karl Haushofer (1869-1946), der im Nazireich zum führenden strategischen Stichwortgeber aufstieg. Schon der Titel seines dreibändigen Werkes „Macht und Erde“ verweist auf den territorialen Charakter der damaligen imperialen Expansionstendenz. In einem anderen exemplarischen Text Haushofers heißt es dementsprechend: „Großmächte sind ‚Ausdehnungsstaaten‘… Deshalb sehen wir sie alle mit einem größeren oder kleineren Anhang von Einflussgebieten auftreten, die zum Begriff der Großmacht gehören wie der Schweif zum Kometen…“ (zit. nach: Gollwitzer, a.a.O., 562).

Ein zentraler Begriff dieser territorialen Expansion war der des „Großraums“, d.h. eines nationalimperial beherrschten partiellen Weltreichs auf der Grundlage einer kohärenten kapitalistischen „Großraumwirtschaft“, die nichts anderes sein konnte als die Erweiterung einer großen Nationalökonomie um Kolonien, abhängige Zonen und schlicht annektierte Gebiete. Der unheimliche Jurist und reaktionäre Gesellschaftstheoretiker Carl Schmitt, der sich lange Zeit den Nazis zur Verfügung stellte, verfasste dazu zeitlich passend 1939 (mit der 4. Auflage schon 1941) die rechtstheoretische Schrift „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht“ (zit. nach: Gollwitzer, a.a.O., 567).

Dieser geopolitische Begriff des Großraums, oft vitalistisch umgeformt zum „Lebensraum“, gehörte bekanntlich auch zum Lieblingsvokabular Hitlers. „Volk ohne Raum“ hieß der einschlägige Roman-Bestseller des völkischen Kolonialschriftstellers Hans Grimm (1926). Nachdem der Welthandel zwischen den Großmächten in der Zwischenkriegszeit tief eingebrochen war, erhielten sogar Bestrebungen einer nationalen Autarkie Oberwasser, die schon von Anfang an den klassischen Imperialismus begleitet hatten. Ziel dieser Autarkiepolitik war, so auf einem wirtschaftsliberalen Gegenkongress Anfang der 30er Jahre der Volkswirtschaftler Wilhelm Gerloff, die „Schaffung eines sich in Produktion und Konsumtion selbst genügenden Wirtschaftsgebietes, das jedoch auf so große Räume und so reiche Hilfsquellen gestellt ist, dass es allen wirtschaftlichen und kulturellen Daseinsbedingungen seiner Mitglieder genügen kann…“ (Gerloff 1932, 13).

Dass dies keineswegs bloß eine durch ideologische Gegnerschaft motivierte Zuschreibung war, geht aus der politisch-ökonomischen Strategie und Weichenstellung der Nazis hervor. Werner Daitz, einer der obersten „Wirtschaftsführer“ der NSDAP, formulierte die autarkistische Tendenz des Nationalimperialismus ausdrücklich gegen das „jüdisch-materialistische Denken liberaler Wirtschaftswissenschaftler“, deren „unvölkisches Gelddenken“ die deutsche Wirtschaft in die „Weltwirtschaft“, also in „Freihandel und internationale Arbeitsteilung“ geführt habe, zu ihrem Schaden im Weltkrieg und in der Weltwirtschaftskrise. Daitz setzt dieser wirtschaftsliberalen Weltmarktorientierung die autarkistische Programmatik der Nazis für ein autonomes Nationalimperium entgegen: „Die Entdeckung neuer freier Räume und ihre Besiedlung (Kolonisation)… bedeutet nur dann eine Stärkung der Wachstums- und Lebenskräfte der heimatlichen Volkswirtschaften, wenn sie ihrer Disziplin und ihrem Machtbereich nicht entgleiten… Jede Volksgemeinschaft muss ihre Wirtschaftsführung so disziplinieren, dass sie die eiserne Ration an Nahrungsmitteln und gewerblichen Rohstoffen stets innerhalb ihrer Mauern hat“ (Daitz 1938 I, 64 f.).

In diesem autarkistischen Sinne definiert er auch die vom Nazi-Reich anzustrebende europäische „Großraumwirtschaft“ unter deutsch-völkischer Kontrolle: „Kontinentaleuropa kann sich … unter den übrigen Erdteilen als wirtschaftliche und kulturelle Einheit nur selbst behaupten, wenn es aus der eigenen Kraft seiner Völker und seines Raumes im Notfall allein leben kann. Deshalb muss Kontinentaleuropa als raumpolitische Einheit von Gibraltar bis zum Ural und vom Nordkap bis zur Insel Zypern reichen. Nur in diesem Raum sind alle Möglichkeiten an landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Erdschätzen vorhanden, die mit Hilfe einer hochentwickelten Technik den Völkern dieses Raumes bei entsprechender Zusammenarbeit ein Leben aus eigener Kraft ermöglichen“ (Daitz 1938 II, 45 f.).

Dabei handelte es sich keineswegs um ein bloßes Fernziel oder einen Traum der Nazi-Strategen, sondern zum Zeitpunkt des Räsonnements von Daitz bereits um eine knallharte reale Wirtschafts- und Außenpolitik, die vom Management der deutschen Konzerne aus klaren Eigeninteressen heraus im wesentlichen gebilligt und unterstützt wurde, wie die einschlägige Zeitgeschichtsschreibung feststellt: „Die von Hitler getroffene Entscheidung, ohne Rücksicht auf Kostendeckung in den Sektoren Brennstoffversorgung und Eisenproduktion sowie synthetischer Gummiherstellung (Buna) eine 100%ige Autarkie binnen vier Jahren zu erreichen, wurde von den führenden Wirtschaftsvertretern einerseits aus Profitinteressen, andererseits wegen der Schwierigkeiten, den Weltmarkt binnen kürzester Frist zu reorganisieren, gutgeheißen. Die ohnehin an staatlichen Protektionismus seit 1879 gewöhnte Eisen-, Kohle- und Stahlindustrie vermochte ihre kontinentale Hegemonie weiter auszubauen, im Weltmaßstab war sie ohnehin nicht konkurrenzfähig, und zielte in ihren politischen Ambitionen fortan, analog zu den Friedensplänen der Alldeutschen im Ersten Weltkrieg, auf einen deutsch beherrschten mitteleuropäischen Großwirtschaftsraum“ (Martin 1989, 203).

Die Autarkiepolitik der Nazis setzte also nur die bereits vor dem Ersten Weltkrieg angelegte, nationalimperial bestimmte Tendenz fort. Dieser Logik folgte aber nicht allein das Deutsche Reich etwa aufgrund seiner besonderen nationalpolitischen Entwicklung seit dem Kaiserreich. Ein ähnliches autarkistisches Denken für nationalimperiale „Großraumwirtschaften“ findet sich vielmehr sowohl in der Vor- als auch in der Zwischenkriegszeit in allen Ländern des kapitalistischen Zentrums, wenn auch sicherlich im angelsächsischen Bereich nicht derart ausgeprägt wie bei den Nazis.

 

Der wirklichen Sachlage und dem vorherrschenden imperialen Diskurs gemäß hatte Lenin in seiner berühmten Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ (1917) das nationalimperiale Bestreben wesentlich als territoriale Annexionspolitik bestimmt: „Jetzt sehen wir, dass … ein ungeheurer ‚Aufschwung‘ der kolonialen Eroberungen beginnt und der Kampf um die territoriale Aufteilung der Welt sich im höchsten Grade verschärft… Die Jagd aller kapitalistischen Staaten nach Kolonien gegen Ende des 19. Jahrhunderts und besonders seit den achtziger Jahren ist eine allbekannte Tatsache in der Geschichte der Diplomatie und der Außenpolitik… Für den Imperialismus ist … das Bestreben charakteristisch, nicht nur agrarische Gebiete, sondern sogar höchst entwickelte Industriegebiete zu annektieren (Deutschlands Gelüste auf Belgien, Frankreichs auf Lothringen), denn erstens zwingt die abgeschlossene Aufteilung der Erde, bei einer Neuaufteilung die Hand nach jedem beliebigen Land auszustrecken, und zweitens ist für den Imperialismus wesentlich der Wettkampf einiger Großmächte in ihrem Streben nach Hegemonie, d.h. nach der Eroberung von Ländern, nicht so sehr direkt für sich als vielmehr zur Schwächung des Gegners und Untergrabung seiner Hegemonie…“ (Lenin 1970/1917, 82 f., 97).

Auch wenn Lenins Analyse von einem arbeiterbewegungsmarxistisch beschränkten und verkürzten Begriff des Kapitals ausgeht, der eine falsche Gegenüberstellung von Konkurrenz- und sogenanntem Monopolkapitalismus impliziert, so trifft er mit seiner Charakterisierung des Imperialismus als polyzentrischer nationaler Annexionspolitik durchaus die tatsächliche Erscheinungsform der damaligen weltkapitalistischen Entwicklung. Diese Epoche, die 1945 zu Ende gegangen ist, war aber eben noch keineswegs das „letzte und höchste Stadium des Kapitalismus“, das Lenin zeitbedingt vor allem unter dem Aspekt weniger einer kategorialen Krise der ökonomischen Formen, als vielmehr des politischen Zusammenbruchs der bisherigen weltkapitalistischen Konstellation sah.

Solange sich die USA noch im Windschatten der polyzentrisch um die Welthegemonie kämpfenden europäischen Großmächte entwickelten, also im 19. und im frühen 20. Jahrhundert, folgten sie ebenfalls der Logik einer nationalimperialen „Ausdehnungsmacht“. Schon 1823 hatte der damalige US-Präsident James Monroe die nach ihm benannte Doktrin verkündet, wonach die USA keine europäische Intervention auf amerikanischem Boden dulden wollten. Die Monroe-Doktrin, die den lateinamerikanischen Unabhängigkeitskampf gegen Spanien zum Hintergrund hatte und die USA zur selbsternannten „Schutzmacht“ des südlichen Teilkontinents machte, wurde geradezu ein Präzedenzfall; nicht umsonst berief sich noch Carl Schmitt in seiner Schrift über „Großraumordnung und Interventionsverbot“ darauf. Auch die nationalimperiale direkte Annexionspolitik war den USA nicht fremd: 1848 rissen sie sich nach dem erfolgreichen Krieg gegen Mexiko Texas, New Mexico und Kalifornien mitsamt den dortigen Goldfeldern unter den Nagel; 1898 annektierten sie im Krieg gegen Spanien die Philippinen, die (nach der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg) erst 1946 in die staatliche Unabhängigkeit entlassen wurden.

Schon in der Epoche von „Wirtschaftswunder“ und Kaltem Krieg, in der die USA zur alleinigen Führungsmacht des westlichen Kapitalismus aufstiegen, änderte sich jedoch die Sachlage grundsätzlich. Unter dem Dach der Pax Americana machte der Status der Weltmacht zusammen mit der Entwicklung des Weltkapitals eine entscheidende Metamorphose durch, in der die alte nationalimperiale Expansionspolitik obsolet zu werden begann. Als erste Weltmacht im buchstäblichen Sinne konnten die USA keine territoriale „Ausdehnungsmacht“ mehr sein, und das galt eine Etage tiefer auch für die nunmehr abhängigen, als Vormächte abgetakelten europäischen Nationalstaaten. Diese grundsätzliche Metamorphose war vor allem durch zwei Momente bestimmt, ein politisch-militärisches und ein ökonomisches.

Zum einen war der Kalte Krieg mit der Gegenweltmacht der „nachholenden Modernisierung“ von vornherein nicht mehr im Stil einer nationalökonomisch fundierten territorialen Kontrolle über ein partikulares „Weltreich“ zu führen, sondern nur als langfristige strategische Orientierung in einem unmittelbar globalen Maßstab. Als „Weltpolizist“ mit dem selbst gegebenen Auftrag, das staatskapitalistische Gegenimperium und „Reich des Bösen“ (Reagan) niederzuringen, musste der US-Imperialismus gewissermaßen zum „ideellen Gesamtimperialisten“ werden, also auf einer Meta-Ebene jenseits der bloß nationalen Expansion operieren.

Es ging insofern nicht um eine neue Konstellation innerhalb der alten Logik der Konflikte, sondern um einen transitorischen Charakter des Konflikts selbst. Schon der Ausdruck „Weltpolizist“, ursprünglich wohl in einem kritischen Sinne gemeint, verweist ja ungewollt darauf, dass es dabei um die Option eines militärisch gestützten globalen Kontrollmonopols jenseits der nationalökonomischen Grenzen ging statt um deren Hinausschieben als Erweiterung des eigenen Territoriums.

Auf dieser Ebene war also nicht mehr der Gedanke eines eigenen imperialen „Großraums“ und einer dazugehörigen „Großraumwirtschaft“ bestimmend, sondern die globale Absicherung der kapitalistischen Produktionsweise als solcher. Die USA wurden insofern gewissermaßen zur weltweiten „Schutzmacht“ des Kapitals überhaupt, wobei dieses nur in seiner westlichen, privat- und konkurrenzkapitalistischen Form akzeptiert wurde und die östlich-südlichen Varianten des Staatskapitalismus als feindliches Störprinzip erschienen.

Der Drang ging dahin, den eisernen Vorhang zu durchbrechen und die gesamte Welt für den privatkapitalistischen Zugang (welcher Nationalität auch immer) zu „öffnen“, also ein einheitliches kapitalistisches Weltsystem herzustellen. In diesem Sinne gründeten die USA 1949 die NATO, deren Organisationsrahmen dazu diente, die zweit- und drittrangig gewordenen europäischen Nationalstaaten direkt in die strategischen Operationen der weltkapitalistischen US-„Schutzmacht“ einzubinden und sie als „Flugzeugträger“ der US-Army zu benutzen.

Weil aber dieser Weltmacht-Status den Charakter eines „ideellen Gesamtimperialisten“ implizierte und nicht mehr unmittelbar identisch sein konnte mit einem nationalimperialen Expansionsinteresse, machte sich der Widerspruch zwischen den USA als Nationalstaat und den USA als Weltmacht neuen Typs durch zunehmende Reibungsverluste bemerkbar. Zwar verwenden die USA bis heute für ihr globales Vorgehen als „Weltpolizist“ gewohnheitsmäßig und geradezu unschuldig den Begriff des „nationalen Interesses“, und sie nutzen ihre Weltmachtposition, die Rolle des Dollar als Weltgeld etc. natürlich auch weidlich für sich selbst aus, wo es nur möglich ist. Trotzdem waren der im Verlauf des Kalten Krieges erlittene Verlust jener am Ende des Zweiten Weltkriegs erreichten absoluten ökonomischen Übermacht, der Rückgang des nationalen Weltmarktanteils, das relative Zurückfallen in der industriellen Produktivität und schließlich die exorbitante Innen- und Außenverschuldung zu großen Teilen auf die kapitalistisch unproduktive Last des politisch-militärischen „Weltmachtkonsums“ zurückzuführen.

Dieser Sachverhalt ist mehrfach beschrieben und beklagt worden, zuletzt wieder von Paul Kennedy, der dabei Analogien zu den früheren Vormächten der Modernisierungsgeschichte seit dem 16. Jahrhundert aufmacht (Kennedy 1991/1987). Die Rolle als „Weltpolizist“ oder „ideeller Gesamtimperialist“ blieb daher in den außen- und gesellschaftspolitischen Debatten der USA stets umstritten; aber gleichzeitig waren diese durch die weltkapitalistische Entwicklung gewissermaßen zu dieser Rolle verdammt.

Zum andern wurde die alte nationalimperiale Annexionspolitik aber nicht nur durch die äußerliche weltpolitische Konstellation des Kalten Krieges und seiner bipolaren Machtstruktur obsolet, sondern auch durch den inneren ökonomischen Prozess der kapitalistischen Produktionsweise selbst - wofür allerdings die weltumspannende politische Vereinheitlichung des Privatkapitals durch die Supermacht USA durchaus eine Rahmenbedingung bildete. Denn unter dem Dach der Pax Americana wurde der bereits von Lenin und Rudolf Hilferding als neues Strukturmerkmal des Kapitals ausgerufene Kapitalexport überhaupt erst in einem großen Maßstab real.

Lenin hatte den Kapitalexport (im Unterschied zum bloßen Warenexport) noch in der alten Konstellation der nationalökonomisch zentrierten „Ausdehnungsmächte“ gesehen. Aber auf diesem Entwicklungsniveau des Weltkapitals konnte der Kapitalexport noch gar kein relevantes Ausmaß annehmen. Bis 1913 expandierte zwar der Welthandel unter den kapitalistischen Nationalökonomien stetig, aber die Auslandsinvestitionen (vor allem in Sachkapital) blieben fast ganz auf die eigenen nationalen Kolonien oder Einflusszonen beschränkt, also auf den jeweiligen nationalimperialen „Großraum“. Im polyzentrischen Kampf der europäischen Großmächte um die kapitalistische Hegemonie war gar nichts anderes möglich.

Im Rahmen der Pax Americana nach dem Zweiten Weltkrieg dagegen wurde nicht nur das politische Weltsystem unter den bipolaren „Systemkonflikt“ zwischen Privat- und Staatskapitalismus subsumiert, sondern gleichzeitig die westliche Hemisphäre bereits monozentrisch ausgerichtet. Unter der politischen Glocke dieses Monozentrismus wurde überhaupt erst die Bedingung für ein rapides Anwachsen des Kapitalexports geschaffen: nämlich die Möglichkeit, innerhalb der entwickelten industriekapitalistischen Länder selber Kapital in einem nie dagewesenen Umfang zu exportieren, also große Produktionsunternehmen im früheren „Feindesland“ zu eröffnen. Pax Americana bedeutete in dieser Hinsicht nichts anderes, als dass sich die in diesem Rahmen entstehenden multinationalen Konzerne (Multis) allmählich gegen ihren nationalökonomischen Zusammenhang zu verselbständigen begannen. Damit wurde schon die Krisenstruktur eines neuen Widerspruchs von Einzelkapital einerseits und Nationalökonomie bzw. Nationalstaatlichkeit andererseits in ersten Konturen sichtbar.