Weltordnungskrieg

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Pax Americana: Der Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft ist entschieden

Als Resultat der Weltkriegsepoche war die aus dem gescheiterten europäischen Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft resultierende Entwicklung wesentlich von einer politisch-militärischen Wachablösung bestimmt, und zwar in doppelter Weise.

Zum einen nutzten die kolonialen, abhängigen und/oder kapitalistisch „unterentwickelten“ Weltregionen an der Peripherie des Weltmarkts die Schwäche der blutenden und ihre Wunden leckenden europäischen Hegemonialstaaten des kapitalistischen Zentrums, um die koloniale Herrschaft Europas und damit ihre äußerliche politische Abhängigkeit abzuschütteln.

Den Startschuss für diesen das ganze 20. Jahrhundert durchziehenden Prozess der Entkolonisierung und „nachholenden Modernisierung“ gab unmittelbar am Ende des Ersten Weltkriegs die russische Oktoberrevolution, gewissermaßen die Französische Revolution des Ostens. Zwar gehörte das Zarenreich selber zu den traditionellen europäischen Mächten und hatte sich ebenfalls ein koloniales Imperium zusammengeraubt, wenn auch nicht in Übersee, sondern als Expansion in der kontinentalen eurasischen Landmasse. Aber gleichzeitig war Russland eben auch selber Peripherie ohne eigenständige industrielle Basis und in vieler Hinsicht den kolonialen und abhängigen Weltregionen strukturell durchaus verwandt. Lenin sah die russische Revolution immer im doppelten Zusammenhang von antieuropäischer kolonialer Revolution einerseits und „nachholender Modernisierung“ als bewusstes „Lernen von Westeuropa“ andererseits.

Die damit verbundene Zielbestimmung, obwohl als staatskapitalistischer „Sozialismus“ ideologisch verkleidet, konnte nur darin bestehen, eine eigenständige industrielle Basis und einen Binnenmarkt mit nationalstaatlichem Rahmen zu schaffen, um als selbständiges Nationalsubjekt am kapitalistischen Weltmarkt teilzunehmen. Und genau in dieser Hinsicht strahlte das Paradigma der Oktoberrevolution auf die gesamte Peripherie aus und machte die Sowjetunion zum „Gegenzentrum“ der mit dem Westen konkurrierenden historischen Nachzügler. Die schiere Masse von Bevölkerung, Land und naturalen Ressourcen, staatskapitalistisch mobilisiert im repressiven Industrialisierungsprozess der Stalin-Ära, machte das sowjetische Gegenzentrum auch politisch und militärisch zur Gegenweltmacht, der das von seinen zerfleischenden Kämpfen um die globale Hegemonie erschöpfte europäische Zentrum des westlichen Kapitalismus wenig hätte entgegensetzen können.

Aber in derselben Entwicklung, die den europäischen Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft als Patt ausgelaugter und demoralisierter Nationalsubjekte hatte enden lassen, war auch das westliche kapitalistische Machtzentrum selber entscheidend und irreversibel transformiert worden. Denn zum andern hatten sich, parallel zur politisch-militärischen Emanzipation und „nachholenden Modernisierung“ des globalen Ostens und Südens, die USA auf gar nicht einmal so leisen Pfoten, aber dennoch in gewisser Weise hinter dem Rücken der ursprünglichen europäischen Zentralmächte des Kapitals, zur neuen Weltmacht Nr. l aufgeschwungen.

Das Machtzentrum des Kapitalismus hatte sich über den Atlantik nach Nordamerika verlagert. Durchaus ähnlich wie im Fall der Sowjetunion, nur in einer gänzlich anderen, nämlich konkurrenzkapitalistischen statt staatsbürokratischen Tradition, war es die schiere Bevölkerungsmasse auf einer bereits längst entwickelten industriellen Basis, die den Koloss USA im Vergleich zu den eher mickrigen europäischen Nationen als wirkliche Führungsmacht des Kapitals prädestinierte.

Der kontinentale Umfang des Landes zwischen Atlantik und Pazifik (mit dem Blick eines Januskopfes gleichzeitig nach Europa und Asien), die wie in Russland scheinbare Unerschöpflichkeit der natürlichen Ressourcen und die (im Unterschied zu Russland) geballte Masse der Kaufkraft konstituierten den bis heute größten Binnenmarkt der Welt. Deshalb gingen die wichtigsten kapitalistischen Entwicklungen, sozialen Strukturveränderungen, technologischen und kulturellen Trends zunehmend von den USA aus, um anschließend in mehr oder minder großem Ausmaß die Welt zu überrollen. Kein Wunder, dass das 20. Jahrhundert „das amerikanische Jahrhundert“ genannt wurde (zuerst von Henry Luce im Jahr 1941, wie der US-Historiker Paul Kennedy bemerkt).

Vor diesem Hintergrund wuchs auch die militärische Potenz der aufsteigenden Weltmacht USA in eine bis dahin unbekannte Dimension hinein. Schon die beiden Weltkriege waren nur durch das Eingreifen der USA entschieden worden, und die europäischen „Siegermächte“ sahen dem deutschen Verlierer nicht nur hinsichtlich der erlittenen Schäden zum Verwechseln ähnlich, sondern sanken auch rasch zu mehr oder weniger verschämten bzw. aufmüpfigen, die eigene imperiale „Ehre“ pflegenden Hintersassen der USA herab; dabei in mancher Hinsicht ehemaligen Diven vergleichbar, die im bitteren Alter den verflossenen Zeiten ihrer jugendlichen Erfolge nachtrauern.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die Überlegenheit der neuen Weltmacht Nr. l in jeder Hinsicht derart erdrückend, dass sie die wechselnden Vorteile aller früheren, immer nur vorübergehenden europäischen Vormächte weit übertraf. Nicht ohne Stolz stellt Paul Kennedy fest: „Weil der Rest der Welt nach dem Krieg so erschöpft war oder sich immer noch im Zustand kolonialer ,Unterentwicklung‘ befand, war die amerikanische Macht 1945 - in Ermangelung eines besseren Begriffs - künstlich so hoch wie beispielsweise die britische um 1815. Trotzdem waren die tatsächlichen Dimensionen ihrer Macht in absoluten Zahlen historisch beispiellos… In der Tat expandierte die Industrie in den Vereinigten Staaten in den Jahren 1940 bis 1944 schneller - über 15 Prozent im Jahr - als je zuvor oder danach… Der Lebensstandard und die Produktivität pro Kopf waren höher als in allen anderen Ländern. Die Vereinigten Staaten waren das einzige Land unter den Großmächten, das durch den Krieg reicher - und tatsächlich viel reicher - wurde statt ärmer“ (Kennedy 1991/1987, 533 f.).

Zwei Drittel der gesamten Goldreserven der Welt lagerten am Ende des Zweiten Weltkriegs in Fort Knox, dem Schatzhaus Washingtons. Und dieser monetären absoluten Überlegenheit entsprach die industrielle: „1945 befinden sich drei Viertel des auf der Welt investierten Kapitals und zwei Drittel der intakten industriellen Produktionskapazitäten in den USA“ (Ott/Schäfer 1984, 420). Mit dieser überwältigenden ökonomischen Macht im Rücken entstand seit dem Zweiten Weltkrieg die „permanente Kriegswirtschaft“ der USA, deren Rüstungsindustrie, Armeestärke, permanent weiterentwickelte technologische Ausrüstung und globale militärische Präsenz (heute in 65 Ländern aller Kontinente) für die übrigen Mächte des westlichen kapitalistischen Zentrums rasch uneinholbar wurden.

Nur die Sowjetunion als staatskapitalistische Gegenweltmacht der historischen Nachzügler konnte den USA nach 1945 politisch-militärisch noch einige Zeit Paroli bieten, wie umgekehrt allein die USA als westliche Vormacht an Stelle der abgetakelten europäischen Mächte das konkurrierende staatskapitalistische Gegensystem (und dessen Ausstrahlungskraft auf die gesamte Peripherie) in Schach zu halten vermochten.

Schon im 19. Jahrhundert hatte der französische Historiker und Gesellschaftstheoretiker Alexis de Tocqueville diese Konstellation in einer berühmten, immer wieder zitierten Prognose richtig vorausgesehen: „Es gibt heute auf Erden zwei große Völker, die, von verschiedenen Punkten ausgegangen, dem gleichen Ziel zuzustreben scheinen: die Russen und die Angloamerikaner. Beide sind im Verborgenen groß geworden, und während die Blicke der Menschen sich anderswohin richteten, sind sie plötzlich in die vorderste Reihe der Nationen getreten, und die Welt hat fast zur gleichen Zeit von ihrer Geburt wie von ihrer Größe erfahren. Alle anderen Völker scheinen die Grenzen ungefähr erreicht zu haben, die ihnen die Natur gezogen hat, und nur noch zum Bewahren dazusein; sie aber wachsen: alle anderen stehen still oder schreiten nur mit großer Mühe weiter; sie allein gehen leichten und raschen Schrittes auf einer Bahn, deren Ende das Auge noch nicht zu erkennen vermag. Der Amerikaner kämpft gegen die Hindernisse, die ihm die Natur entgegenstellt; der Russe ringt mit den Menschen. Der eine bekämpft die Wildnis und die Barbarei, der andere die mit all ihren Waffen gerüstete Zivilisation: so erfolgen denn die Eroberungen des Amerikaners mit der Pflugschar des Bauern, die des Russen mit dem Schwert des Soldaten. Um sein Ziel zu erreichen, stützt sich der eine auf den persönlichen Vorteil und lässt die Kraft und die Vernunft der einzelnen Menschen handeln, ohne sie zu lenken. Der zweite fasst gewissermaßen in einem Manne die ganze Macht der Gesellschaft zusammen. Dem einen ist Hauptmittel des Wirkens die Freiheit, dem andern die Knechtschaft. Ihr Ausgangspunkt ist verschieden, ihre Wege sind ungleich; dennoch scheint jeder von ihnen nach einem geheimen Plan der Vorsehung berufen, eines Tages die Geschicke der halben Welt in seiner Hand zu halten“ (Tocqueville 1987/1835, 613).

Was Tocqueville hier in der Sprache des 19. Jahrhunderts formuliert, ist erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wahr geworden: die Aufteilung der Welt unter die USA und die Sowjetunion, und die letzte Zuspitzung des Kampfes um die Weltherrschaft innerhalb des modernen warenproduzierenden Systems zwischen diesen beiden Mächten, die in der Epoche des Kalten Krieges auf durchaus zutreffende Weise im Unterschied zu den vorherigen Groß-, Vor- und Weltmächten als „Supermächte“ bezeichnet wurden; beide gleichermaßen und nicht zufällig „multiethnische“ Bundesstaaten von kontinentalen Ausmaßen, die über den beschränkten kapitalistischen Nationsbegriff Europas in allen seinen Varianten hinausgewuchert waren.

 

Auch an der gegensätzlichen Struktur dieser beiden Mächte, die nach 1945 als „Systemkonflikt“ begrifflich überdehnt wurde, hatte Tocqueville etwas Richtiges wahrgenommen, es allerdings bereits nicht weniger überspitzt und nur halb wahr formuliert wie die Protagonisten dieses Gegensatzes mehr als ein Jahrhundert später. Die heutige Welt ist noch immer ebenso unfähig, das gemeinsame kategoriale Bezugssystem der modernen Warenproduktion als eine distinkte historische Gesellschaftsform (statt als ahistorische gesellschaftliche Ontologie) wahrzunehmen wie die Zeit Tocquevilles. Was bereits diesem als grundsätzliche Differenz erschien, sind nur die beiden Pole kapitalistischer Vergesellschaftung von Markt und Staat; beide im gleichen Ausmaß repressiv, denn der bürokratischen Macht steht nicht die „Freiheit“ schlechthin gegenüber, sondern nur die durch den Zwang der Konkurrenz selber in Despotismus umschlagende sogenannte Marktfreiheit.

Der Staatskapitalismus war in Wahrheit nicht nur in Russland (schon zur Zarenzeit), sondern auch in West- und Mitteleuropa die ursprüngliche Konstitutionsform der kapitalistischen Produktionsweise, wie sie der feudalen Agrargesellschaft übergestülpt wurde. Es gehörte neben dem industriellen Entwicklungsstand und der kontinentalen Dimension des Binnenmarktes zur einzigartigen kapitalistischen Potenz der USA, dass dort diese ursprüngliche europäische Transformationsform überflüssig war und sich das Kapital von vornherein in systemisch fortgeschrittenen Formen entwickeln konnte; ganz unbehindert durch eine historische Sedimentierung vormoderner Produktionsweisen und Kulturen, denn die europäischen Kolonisatoren hatten ja nicht nur losgelöst von den zurückgelassenen Strukturen auf dem Nullpunkt eines neuen Entwicklungsniveaus beginnen können, sondern auch die Gesellschaften der Ureinwohner nahezu ausgerottet und auf diese Weise die nördliche Hemisphäre der „Neuen Welt“ zum gewissermaßen jungfräulichen Boden und einmaligen Experimentierfeld der Modernisierung gemacht. Sobald im 20. Jahrhundert Kapitalstock und Industrialisierungsgrad der USA über das Niveau der alten europäischen Zentralmächte hinauswuchsen, gab dieser besondere historisch-kulturelle Charakter dem Aufstieg zur Supermacht eine zusätzliche Schubkraft.

Im Verhältnis der beiden Supermächte waren also die USA eindeutig die bei weitem fortgeschrittenere Gesellschaft auf dem Boden des modernen warenproduzierenden Systems. Deshalb hätte es eigentlich keinen Zweifel geben dürfen, wie der letzte Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft ausgehen musste. Diese Zweifel rührten auch immer nur daher, dass der Sowjetunion qua vermeintlich alternativer „sozialistischer“ Systemqualität eine Durchhalte- und Entwicklungsfähigkeit zugetraut wurde, die sie gar nicht hatte - eben weil die gemeinsame, über den Weltmarkt vermittelte Qualität als warenproduzierende Gesellschaft außerhalb der kritischen Analyse blieb. Genau dieser gemeinsamen gesellschaftlichen Basisform wegen war die Sowjetunion nun einmal keine historische Alternative, sondern nur die staatskapitalistische Gegenweltmacht der historischen Nachzügler und als solche auf die Dauer unterlegen.

Diese Unterlegenheit schlug sich nicht zuletzt auch in militärischer Hinsicht nieder. Weder von der Kapitalkraft noch von den wissenschaftlich-technologischen Mitteln her konnte die Sowjetunion den permanenten Rüstungswettlauf durchhalten. Wie das staatskapitalistische Gegensystem generell unfähig war, den Übergang zur dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik in der gesamten gesellschaftlichen Reproduktion mitzuvollziehen, so fiel die sowjetische Militärmacht auch bei der mikroelektronischen Aufrüstung durch Hightech-Waffensysteme immer weiter hinter die USA zurück. Damit scheiterte der östliche Staatskapitalismus in den 80er Jahren ökonomisch am Weltmarkt, an dessen Kriterien und Standards er sich als warenproduzierendes System messen lassen musste, und er wurde gleichzeitig militärisch totgerüstet. Der vollständige Zusammenbruch war die logische Konsequenz.

War der polyzentrische Kampf der alten europäischen Kapitalmächte um die Welthegemonie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in das bipolare Ringen der beiden Supermächte umgeschlagen, so hat sich am Ende des 20. Jahrhunderts eine neue monozentrische Struktur und ein einheitliches kapitalistisches Weltsystem unter alleiniger Ägide der USA herausgebildet. Es ist keine Macht mehr denkbar, die sich auf der gesellschaftlichen Grundlage des modernen warenproduzierenden Systems noch einmal zur welthegemonialen Rivalität aufschwingen könnte, weder hinsichtlich der militärisch-technologischen Potenz noch hinsichtlich der ökonomischen und politischen Dimension oder der Finanzkraft.

Die USA sind heute wirklich „die einzige Weltmacht“, wie der US-Politologe Zbigniew Brzezinski (Professor für Außenpolitik in Baltimore und Berater am „Zentrum für Strategische und Internationale Studien“ in Washington) in seinem so betitelten, 1997 erschienenen Buch über die globale US-Hegemonie feststellt: „Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat sich die Weltlage tiefgreifend verändert. Zum ersten Mal in der Geschichte trat ein außereurasischer Staat nicht nur als der Schiedsrichter eurasischer Machtverhältnisse, sondern als die überragende Weltmacht schlechthin hervor. Mit dem Scheitern und dem Zusammenbruch der Sowjetunion stieg ein Land der westlichen Hemisphäre, nämlich die Vereinigten Staaten, zur einzigen und im Grunde ersten wirklichen Weltmacht auf“ (Brzezinski 1999, 15).

Dieser neue Charakter der einzigen übrig gebliebenen Supermacht ist nicht allein durch die besonderen historischen Qualitäten und die äußere Dimension der USA bestimmt, sondern auch durch den kapitalistischen Entwicklungsstand am Ende des 20. Jahrhunderts. Erst die mikroelektronische dritte industrielle Revolution, an der die Gegensupermacht Sowjetunion mangels Kapitalkraft gescheitert ist, hat überhaupt eine Weltmacht im buchstäblichen Sinne ermöglicht, also eine unmittelbare globale Zugriffsfähigkeit. Zwar erfordern großangelegte militärische Expeditionen weiterhin eine entsprechend weiträumige und aufwendige Logistik, aber diese wird durch eine weltumspannende Kommunikationstechnologie bedeutend erleichtert.

Mussten sich die alten europäischen Großmächte auf der Basis der klassischen Industrialisierung noch mit schwerfälligen und schwer kontrollierbaren militärischen Aufmärschen begnügen, die heute fast schon antik wirken (etwa mittels Schlachtschiffen und Panzerarmeen), so kann die Kriegsmaschine der USA inzwischen tatsächlich bis zu einem gewissen Grad als omnipräsent und universell einsetzbar gelten - allerdings nur auf der Ebene des Krieges zwischen regulären Armeen. Militärische Großexpeditionen wie in den beiden Weltordnungskriegen nach dem Untergang des Staatskapitalismus (gegen den Irak und gegen Restjugoslawien) werden dadurch nicht bloß vereinfacht, sondern auch durch vorher nie dagewesene Zugriffsfähigkeiten ergänzt. An die Stelle schwerfälliger Boden- oder Wasseroperationen (die allerdings nicht völlig überflüssig werden) können inzwischen sehr flexible, mikroelektronisch gesteuerte Luftschläge treten.

Zwar wurde schon Nazi-Deutschland zu einem erheblichen Grad durch die seit 1944 drückende Luftüberlegenheit der Alliierten und den Bombenhagel aus der Luft (Zerstörung der Kriegsindustrien, der Nachschubwege usw.) besiegt, auch wenn das keineswegs der einzige kriegsentscheidende Faktor war. Aber außerdem mussten die Luftflotten selber erst mühsam in den Radius der Einsatzzonen verschafft werden. War die Atlantiküberquerung im Flugzeug bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch ein Abenteuer, so kann die US-Luftwaffe heute von eigenem Territorium aus jeden beliebigen Ort der Welt in einer beispiellos kurzen Zeit erreichen. Gleichzeitig ermöglicht die ebenfalls mikroelektronisch gesteuerte Satellitenüberwachung vom Weltraum aus mit einem Auflösungsvermögen von großer Genauigkeit eine weiter gehende Kontrolle aller oberirdischen Bewegungen und Operationen auf dem Globus als jemals in der Vergangenheit. Im Verein mit der kontinentalen Dimension ihres Territoriums, der Kapitalkraft und der führenden Rolle in der Kommunikationstechnologie bedingen die konkurrenzlosen und ständig weiterentwickelten High-Tech-Waffensysteme der USA eine qualitativ neue Art der globalen Hegemonie in der kapitalistischen Staatenwelt.

Eine derartige Überlegenheit verführt leicht dazu, die Kontrollfähigkeit der US-Supermacht zu verabsolutieren und die tatsächliche Erweiterung der mikroelektronisch gestützten Zugriffsmöglichkeiten zu einem „elektronischen Waffenmythos“ zu überhöhen, obwohl die Fähigkeit zur unmittelbar globalen Operation keineswegs gleichbedeutend mit absoluter Kontrolle ist (was eine logische und praktische Unmöglichkeit wäre). Vor allem, und das ist hier schon festzuhalten, bezieht sich die politisch-militärische Hegemonie der USA eben nur auf die Welt der kapitalistischen Nationalstaaten und die dazugehörigen industriellen, gleichsam „fordistischen“ Armeen, also gewissermaßen auf die Makro-Ebene der internationalen kapitalistischen Verhältnisse. In dieser Hinsicht ist die Hightech-Armee der USA uneinholbar überlegen und kann demnach jeden größeren oder kleineren Krieg gegen jede beliebige Armee von einzelnen oder koalierenden Nationalstaaten dieser Welt gewinnen.

Die letzte Weltmacht an der historischen Systemgrenze

Überwältigend ist die Hegemonie der einzigen übrig gebliebenen Supermacht USA somit im Verhältnis zu den anderen sogenannten Mächten der kapitalistischen Welt, seien es die Europäische Union (EU), Japan, das heruntergekommene und auch militärisch verlotterte Russland oder die Pseudo-Regionalmächte vom Iran bis zu Indien, Pakistan oder gar dem vermeintlichen Koloss China, dessen ungeheure Bevölkerungsmasse im umgekehrten Verhältnis zu seiner sowohl ökonomischen als auch politisch-militärischen Potenz steht. Darin zeigt sich eine grundlegende Tendenz der weltkapitalistischen Entwicklung, in der die Ungleichzeitigkeiten, Disparitäten und uneinholbaren Abstände in der Reproduktionsfähigkeit des Kapitals umso mehr zunehmen, je unwiderstehlicher sich das Kapitalverhältnis irreversibel als unmittelbares Weltverhältnis darstellt und die nationalen Grenzen in vieler Hinsicht zu verschwimmen beginnen.

Die USA sind allerdings ironischerweise nur in dem Maße zur nicht mehr einholbaren Weltmacht Nr. 1 des Kapitals geworden, wie sich die kapitalistische Produktionsweise als solche zu erschöpfen beginnt. Hatten die früheren europäischen Vormächte ihre nationalen Trümpfe in bestimmten Epochen des kapitalistischen Aufstiegs zum globalen System ausgespielt, also im Binnenraum der bürgerlichen Modernisierungsgeschichte, so ist die Hegemonie der USA bereits an den Grenzen des Kapitalismus als gesellschaftlicher Reproduktionsform angesiedelt. Insofern sind die USA am Ende des 20. Jahrhunderts nicht nur die einzige, sondern auch die letzte Weltmacht. Es ist wie im Märchen: In dem Augenblick, in dem sich der Traum erfüllt, wird er zum Alptraum und unwahr, weil sich die Brüchigkeit und geradezu die Absurdität seiner Voraussetzungen enthüllt.

Der Prozess, in dem sich der unaufhaltsame Aufstieg der USA zur einzigen und letzten Welt- und Supermacht vollzog, war gleichzeitig die Entfaltung der Krise des modernen warenproduzierenden Systems. Konnte die zweite industrielle Revolution des so genannten Fordismus (Automobilmachung, Wirtschaftswunder) in der Nachkriegsgeschichte noch eine Art „Weltentwicklungsplan“ suggerieren, so hat die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik das globale Entwicklungsgefälle derart verschärft, dass ganze Weltregionen aus der kapitalistischen Reproduktionsfähigkeit herauszufallen beginnen.

Gleichzeitig hat sich der sozialökonomische Krisenprozess seit den 80er Jahren bis in die Zentren des Kapitals vorangefressen. Das Ausbrennen der kapitalistischen „Arbeitssubstanz“ kann nur noch durch den Vorgriff auf real nie mehr eintreffende zukünftige Geldeinkommen und Profite kaschiert werden, also durch ausufernde globale Verschuldungsprozesse sämtlicher Wirtschaftssubjekte (Staaten, Unternehmen, Private) und durch das Aufblähen historisch beispielloser spekulativer Finanzblasen auf den Aktienmärkten. Das Recycling stets wachsender Massen von „fiktivem Kapital“ (Marx) in den Wirtschaftskreislauf hat das Abheben der Finanzmärkte von der Realökonomie zur Grundbedingung der globalen Kapitalverwertung gemacht. Das Weltkapital ist in einen Zustand der Simulation übergegangen, der die Weltgesellschaft wie nie zuvor polarisiert: Auf dem einen Pol häufen sich Massenarmut und Elend an, ökonomische Zusammenbruchsprozesse wiederholen sich in kurzen Abständen. Auf dem anderen Pol häuft sich ein ebenso astronomischer wie substanzloser Geldreichtum an, dessen Brüchigkeit auf den prekär gewordenen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise als solcher verweist.

 

Die monozentrische Hegemonie der USA steht im Mittelpunkt dieser herangereiften Widersprüche des Weltkapitals. Zwar ist die politisch-militärische Überlegenheit der letzten Weltmacht nicht mehr zu übertrumpfen (und nur insofern „absolut“), aber gleichzeitig erleidet die Politik als solche, auch in ihrer Gestalt als hegemoniale Weltpolitik, einen wesentlichen Bedeutungsverlust gegenüber den weltökonomischen Prozessen, die sich auf eine qualitativ neue Weise krisenhaft verselbständigt haben; ablesbar übrigens nicht zuletzt daran, dass das politische Personal wie überall in der Welt auch in den USA im Verhältnis zur ökonomischen Funktionselite auf ein drittklassiges Niveau herabgesunken ist. Die letzte Weltmacht sieht sich mit einem inneren wie äußeren Krisenprozess konfrontiert, der die ganze Welt erfasst und seiner Natur nach durch keinerlei politisch-militärisches Potential in Schach zu halten ist.

Die früher oder später zwangsläufig zur Zerreißprobe führenden Widersprüche zwischen dem monozentrischen Weltmachtcharakter der USA und dem Krisencharakter der dritten industriellen Revolution, wie er die herrschende Produktionsweise von innen heraus zerstört, werden dabei in mehrfacher Hinsicht deutlich.

Politische Mächte können überhaupt nur auf nationalstaatlicher Grundlage existieren und sich entfalten, auch wenn es sich um einen der Herkunft seiner Bürger nach bunt gemischten Großstaat von kontinentalen Ausmaßen handelt. Dieser nationalstaatliche Charakter auch der letzten Weltmacht steht aber im Widerspruch zur transnationalen Metamorphose des Kapitals durch den Prozess der Globalisierung. In demselben Maße, wie die strukturelle Krise Massenarbeitslosigkeit und/oder große Billiglohnsektoren erzeugt, den Sozialstaat zurückfährt usw., wird die Kaufkraft auf den nationalen Binnenmärkten abgeschmolzen und das Kapital ist gezwungen, sich mit einer nie dagewesenen Dynamik betriebswirtschaftlich über die Weltmärkte zu zerstreuen, um das globale Kostengefälle optimal zu nutzen und andererseits Kaufkraft auf sich zu ziehen, wo immer es diese noch gibt auf der Welt.

Diese Transnationalisierung des Kapitals und die gleichzeitige, ebenfalls und sogar noch mehr transnational bestimmte Flucht in den neuen simulativen Finanzkapitalismus ist es aber, die dem Nationalstaat sukzessive die ökonomischen Grundlagen entzieht; und das gilt eben auch für die übrig gebliebene Supermacht USA. Auch das US-Kapital macht die transnationale Metamorphose durch und damit ungewollt den Weltmachtstaat obsolet.

Andererseits können die USA als ein trotz ihres Supermachtstatus begrenzter Nationalstaat auch nicht unmittelbar als Weltstaat agieren, der in der Lage wäre, das transnational werdende Weltsystem der kapitalistischen Krisenökonomie zu regulieren, wie bisher die Nationalstaaten ihre jeweilige Binnenökonomie reguliert hatten. So erweist sich die letzte Weltmacht als getrieben von den Zwängen und Verlaufsformen eines längst mit politischen Mitteln unbeherrschbaren Weltkrisenprozesses, auf den sie mitsamt ihrer militärisch unbesiegbaren Hightech-Armee immer nur äußerlich und letzten Endes inadäquat reagieren kann.

Dass die USA bloß die Vormacht eines unheilbar an sich selbst erkrankten und vergifteten Weltsystems sind, zeigt sich auch am Zustand ihrer eigenen Binnenökonomie unter Einschluss des Staates. Innerhalb der USA ist der abstrakte Geldreichtum nicht nur am stärksten innerhalb der westlichen Welt polarisiert, sondern auch sein Glanz am meisten von ökonomischem Talmi herrührend. Denn die USA sind heute, ganz im Gegensatz zu ihrer komfortablen und auch ökonomisch konkurrenzlosen Ausgangsposition am Ende des Zweiten Weltkriegs, das Land sowohl mit der größten Binnenverschuldung als auch der größten Außenverschuldung der Welt. Die absolute Überlegenheit ist rein auf das militärische Potential zusammengeschrumpft.

Man könnte einwenden, der den phantastischen Verschuldungsprozess der USA tragende Zustrom von Geldkapital aus aller Welt sei eben der Tribut, den diese kapitalistische Welt ihrer Führungsmacht zollen muss. Aber es handelt sich dabei nicht um einen Tribut herkömmlicher Art, wie ihn stets besiegte oder unterlegene „Völker“ und „Nationen“ als solche entrichten mussten, sondern um einen Zustrom von transnationalem privatem Geldkapital, das als Kreditgeld eine gefährliche Forderung an die US-Ökonomie darstellt, weil es jederzeit abgezogen werden (oder durch Finanzkräche gewissermaßen „verdampfen“) und dadurch die ganze Weltmachtherrlichkeit zum Einsturz bringen kann.

Diese Gefahr betrifft nicht zuletzt den Hightech-Militärapparat selbst, der ja permanent Unsummen verschlingt und damit erst recht am Tropf des transnationalen Finanzkapitals hängt. Denn es handelt sich dabei um eine abgeleitete Finanzierung, die somit reell auf einer eigenständigen nationalökonomischen Potenz beruhen müsste, die den USA jedoch schon längst abhanden gekommen ist. Das militärische Potential für sich allein ist in seiner gewissermaßen „naturalen“ Gestalt nicht lebensfähig, da es eben wie alles in der kapitalistischen Welt durch das Nadelöhr der „Finanzierbarkeit“ hindurch muss.

Das gilt keineswegs allein für sozialstaatliche Leistungen oder die medizinische Versorgung, sondern ganz genauso für Cruise Missiles, Stealth-Bomber und Flugzeugträger. Rein ökonomisch gesehen unterscheiden sich Sozialstaat und Militärapparat nicht, in beiden Fällen ist eine vermittelte, externe Finanzierung durch staatliche Geldabschöpfung erforderlich. Und wer oder was auch immer sich durch Raketen und Fernbomber in die Knie zwingen lässt, die transnationalen Finanzmärkte gehören jedenfalls nicht dazu. Wenn also die globale Finanzblase platzt, wird die militärische Welthoheit der USA gleich mit in die Luft fliegen.

Der arrogante und militärisch muskelstrotzende Koloss der letzten Weltmacht steht auf tönernen Füßen. Aber nicht mehr deswegen, weil noch einmal ein anderer Koloss heranwachsen würde, der ihn stürzen könnte. Sondern allein aus dem Grund, dass die aller modernen Weltmacht zugrunde liegende kapitalistische Produktionsweise an ihre absolute Grenze zu stoßen beginnt. Die USA können nicht mehr an einer konkurrierenden Weltmacht scheitern, aber sie werden an ihrer eigenen Logik scheitern, und das ist die Logik des kapitalisierten Geldes. Die globale Kontrollfähigkeit der letzten Weltmacht geht zusammen mit der Pseudozivilisation des Geldes unter.

Deshalb kann es auch keinen Weltkrieg vom Typus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mehr geben, der daraus entstanden war, dass gleichwertige Weltmächte innerhalb eines polyzentrischen Weltsystems im Kampf um die Hegemonie aufeinander prallten. Schon in der bipolaren Struktur des Kalten Krieges war dieser Zusammenstoß durch das atomare „Gleichgewicht des Schreckens“ blockiert worden; die Sowjetunion konnte nicht in einem Weltkrieg besiegt, sondern musste ökonomisch niederkonkurriert und militärisch totgerüstet werden.