Ein moderner Lederstrumpf

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»Bitte, Miss, 50 Cents für die Hängematte,« sagte der Wirth, als sie von ihm das Rad forderte.

Der lernbegierige Deutsche war schon ganz ein braver Yankee geworden.

Das Rad stand im Schuppen, blitzblank geputzt, geölt.

»Wer hat mein Rad geputzt?«

»Ich. 50 Cents, für das Räderputzen, bitte.«

»Geben Sie es ihm nicht,« liess sich Starke vernehmen. »Ich habe es ja gethan.«

»Ah so. I beg your pardon. Richtig, dieser Gentleman war es.«

»Was kostet denn mein Revolverschuss vorhin?« spottete Starke, wenn auch in seiner gleichmüthigen Weise, dass man es für eine ernste Frage nehmen konnte.

Der Wirth blinzelte ihm nur pfiffig mit einem Auge zu, dann fuhr Ellen ab, ihr nach Starke.

Noch einige Städtchen und Ansiedlungen, manchmal schon recht hinterwäldlerisch aussehend, dazwischen Felder, Wiesen und jene prairienähnlichen Weiden mit viel Vieh, ein grosser Wald, für ein Londoner Kind schon ein undurchdringlicher Urwald, aber immer guter Weg; auf der Landstrasse Viehheerden, Wagen, Reiter und Fussgänger, ab und zu auch ein Radfahrer, einmal gleich fünf Automobile hintereinander; einmal eine Rast in einem idyllischen Farmhause, in welchem man Milch, Maiskuchen und die köstlichen Aepfel durchaus nicht bezahlt haben wollte, und mit der untergehenden Sonne sah sich Ellen nach einem Nachtquartier um.

Sie hatte wirklich fast noch 30 Meilen gemacht, heute im Ganzen 50, und das in aller Bequemlichkeit. Allerdings unter den günstigsten Bedingungen, am Nachmittage hatte sich der Weg immer gesenkt. Aber dafür war es auch der erste Tag, ihre Leistungsfähigkeit würde sicher zunehmen. So sagte sie sich.

An einem Kreuzwege stand ein Gasthaus, etwas armselig aussehend, nur eine Schänke für Viehtreiber. Ach was, Hôtels gab es in England genug, sie brauchte nur ein Bett, nur ein Brett; sie musste sich doch daran gewöhnen.

»Bis nach Shrywell, einer ansehnlichen Stadt, sind nur noch 2 Meilen.«

Nun natürlich erst recht hinein!

Der grosse, von einer Hängelampe erleuchtete Raum diente gleichzeitig als Wohnstube, als Schankzimmer und als Küche, vielleicht auch noch zum Schlafen für die Familie. Hinter der mit Flaschen und Gläsern besetzten Bar hantirte der Wirth; die unsauber aussehende Frau schälte Kartoffeln und schimpfte über die um sie herumspielenden Kinder; vor dem offenen Heerdfeuer, über dem einige Kessel hingen, sassen vier Männer, die Füsse auf dem Ofensims, und spuckten abwechselnd unter die Töpfe in's Feuer. Es mochten Ochsen- oder Schweinetreiber sein, verwitterte Gestalten, auch ihre Kleider mehr verwittert als zerlumpt. Mit einem Grusse trat Ellen, ihr Rad durch die Thüre zwängend, ein, ihr nach Starke. Einen Augenblick aufmerksamer Musterung, die vier Männer hörten auf, zu spucken, wendeten die Köpfe; dann wurde tactmässig weiter gespuckt. Es waren Amerikaner, deshalb mokirten sie sich nicht, selbst wenn sie noch keine Dame im Herrenkostüm gesehen hätten, besonders darum nicht, weil es eben eine Lady war.

Ellen fragte den Wirth, ob sie ein gutes Zimmer und Abendbrot bekommen könne.

»Sind Sie englisch, Missis?« meinte Jener, in ihrer Sprache die NasalIaute der Yankees vermissend. »Ich bin's auch, halte mir noch den Londoner Morning Leader. Ja, ein Zimmer können Sie bekommen, haben schon einmal so ein paar drin geschlafen, die auf solchen Dingern gefahren kamen.«

»Natürlich für mich allein, ich kenne diesen Mann gar nicht!«

»So, so. Können Sie auch haben, ein feines Zimmer. Gekochtes Hammel- und Rindfleisch giebt es. Alte, bediene die Lady.«

Auf ihren Wunsch, sich zu waschen, wurde ihr in dieser Stube ein Pferdeeimer mit Wasser auf eine Bank gesetzt — draussen war es ja schon dunkel —, ein Stück Seife und ein wenigstens sauberes Handtuch daneben gelegt, auf welchem mit grossen Buchstaben gedruckt stand: gestohlen aus Jefferkins Boardinghouse.

Es ging wirklich schon recht hinterwäldlerisch zu, mitten im Staate New-York, und Ellen erfasste diese Romantik; lächelnd half sie sich, wie sie konnte. Gestern und heute, welch ein Unterschied! Denn sie übersprang im Geiste die ganze Seereise, sie durfte es thun, und von welchem Luxus und von welchen Bequemlichkeiten war sie da noch umgeben gewesen. Miss Howard wusch sich im Pferdeeimer, trocknete sich mit einem gestohlenen Handtuch ab, in solcher Gesellschaft — sie musste ein lautes Auflachen unterdrücken. Ja, es war wirklich herrlich. Einer der spuckenden Männer hob die Beine noch höher, um die Frau nach den Töpfen durchkriechen zu lassen, bald standen vor Ellen auf dem Holztisch zwei Teller, auf jedem ein Berg dampfendes Fleisch — so, Vogel, nun friss oder stirb. Alles sah so unappetitlich aus wie die Teller schmutzig waren, wie Messer und Gabel, wie der Tisch, wie die Frau.

Aber Ellen wollte nun einmal mitmachen, sie wollte sich auf Künftiges vorbereiten; wer wusste, was sie noch vorgesetzt bekam, und der Wille bezwingt Alles. Mit diesem Entschlusse langte sie zu, und dann wunderte sie sich doch selbst, wie ihr das so gut schmecken konnte, und zugleich freute sie sich. Als Starke, welcher sich einige Zeit entfernt hatte, wieder eintrat, hielt er ein frisch geschlachtetes, aber schon gerupftes Huhn in der Hand. Zuerst blickte er aufmerksam nach ihrem Tische, und wenn er auch nicht den Kopf schüttelte, Ellen glaubte es doch zu sehen. Dann traf er Vorbereitungen zu seiner Abendmahlzeit, er schien selbst kochen zu wollen, wusch auch noch ein rohes Stück Fleisch ab, scheuerte eine Pfanne aus, roch an der Butter.

»Macht Platz, Gentlemen, ich will mein Fleisch braten.«

Der Eine nahm die Stiefel vom Sims und rückte zur Seite, dass er an's Feuer konnte. Die Butter begann zu prasseln.

»Nun hört gefälligst auf zu spucken, wenn ich koche.«

Ein Murmeln entstand; sie meinten, das thäte doch dem Essen nichts schaden, wenn sie in's Feuer spuckten, in die Töpfe spuckten sie doch nicht.

»Ich liebe es aber nicht, wenn man mir unter die Töpfe spuckt!«

War bei dieser Beschreibung der Bissen in Ellen's Munde gequollen, so sah sie jetzt angstvoll nach den wilden, vom Feuer gerötheten Gestalten, welche ebenfalls das Revolverfutteral am Gürtel hatten. Hoch aufgerichtet stand Starke vor ihnen, mit dem Haupte fast die Decke berührend, und wenn er jetzt auch noch statt des Revolvers die prosaische Bratpfanne in der Hand hielt — Ellen ahnte, was kommen musste, sie hatte schon genug solche wilde Scenen gelesen, sie hörte schon die Revolverschüsse krachen.

Ellen hatte falsch geahnt. Die vier Männer standen einfach auf und setzten sich anderswo hin. Jetzt griff Starke in die Tasche und warf einen Silberdollar auf den Tisch.

»Einen drink für die Gentlemen.«

Wie ein Alp fiel es von Ellen's Brust. Sie beobachtete scharf und dachte gern über ihre Beobachtungen nach. Wenn er dies gleich gethan, hätte er klüger gehandelt; dass er aber erst nachträglich für die Männer ein Getränk bestellte, als er sein Ziel schon erreicht, das war entschieden männlicher.

Der Wirth bekam eine complicirte Aufgabe zu lösen. Der Eine verlangte Whisky mit wenig Wasser und viel Zucker, der Andere Brandy mit gar kein Wasser und wenig Zucker, der Dritte Gin und Pfeffermünz, der Vierte bestellte einen cock-tail und rührte die vielerlei Ingredienzien mit einem Eifer zusammen, wie der Alchimist die Substanzen zum Steine des Weisen. Starke trank Rum.

»Auf Ihre Gesundheit, Miss,« sagte er.

Mit einem Ruck fuhr Alles herum und hob ehrerbietig das Glas.

»Good luck, Miss.«

Ellen wäre kein Weib gewesen, wenn sie nicht erröthend und freundlich lächelnd gedankt hätte, und kein gebildetes, wenn sie nicht die ihr widerfahrene Ehre, oder den eigentlichen Kern der Huldigung, verstanden hätte. In diesem Augenblicke, als sie mit einem Glückwunsch das Glas gegen die fremde Dame erhoben, waren diese zerlumpten, rohen, wüsten Gesellen wirkliche Gentlemen, vornehm, stolz, und doch ehrerbietig. Es imponirte, das war amerikanisch, so etwas findet man bei keinem anderen Volke.

Starke wusch einen Teller ab und ass statt des ausgekochten und dennoch harten Fleisches Hammelcotelettes, Lendensteaks und ein junges Huhn. Ja, er verstand auf seinen Wanderungen

doch zu leben, Ellen konnte noch viel von ihm lernen. Merkwürdig war nur, dass er jetzt so eigen mit der Sauberkeit war, während er heute Morgen nicht einmal den schweissigen Hut ausgespült, überhaupt gethan hatte, als sei jeder Wassertropfen Gold.

Der Wirth brannte ein dickes Wachslicht an und führte die danach Begehrende hinauf, ihr Rad tragend. Das »feine« Zimmer war eine elende Kammer, nichts weiter als ein mit Wolldecken belegtes Bett und einen alten Holztisch enthaltend, nicht einmal einen Stuhl. Aber ein Schlüssel war vorhanden.

Das Licht wurde auf den Tisch geklebt, und der Wirth schickte sich zum Gehen an.

»Sonst noch etwas? Wasser ist unten im Hofe. Wenn Sie frühzeitig abfahren wollen, wie die damals auch thaten — das Haus ist immer offen, die Hunde wachen, lassen Jeden hinaus, aber keinen herein. In einer halben Stunde bringt Jim den Morning Leader, wenn Sie ihn lesen wollen.«

Ellen bat darum und sie war allein. Erst putzte und ölte sie die Maschine, dann setzte sie sich auf das Bett, sann eine Weile vor sich hin und plötzlich begann sie zu weinen. Es war Heimweh. Nicht die nackte Kammer, nicht das erbärmliche Bett, es war eben Heimweh, sie sehnte sich nach ihrem Club, nach ihrer Zofe, nach Londons erleuchteten Strassen, sie kam sich so allein vor.

Lange währte dieser Gefühlsausbruch freilich nicht. Aergerlich über sich selbst lachend, wischte sie die Thränen aus den Augen. Vorwärts, um die Erde, morgen schien die Sonne wieder, und wenn es regnete, wurde einfach im Regen geradelt, und um am Tage Kraft zu haben, muss man des Nachts schlafen, was brauchte sie die englische Zeitung!

 

Sie schloss die Thüre ab und begann sich zu entkleiden. Da kam Starke, sie erkannte ihn schon, am Schritt. Jetzt setzte er das Rad nieder. Ah, er schlief hier in der Kammer neben ihr. Halbangekleidet blieb Ellen auf dem Bette sitzen und lauschte, während ihr die Gedanken durch den Kopf jagten.

Er rumorte drüben, als habe er viele Möbel zum Umräumen. Dann wurde es still. Flötentöne. Ein Läufer, ein Triller, eine Fuge, sehr fingergewandt und rein, ein Volkslied, dann ging es in ein Stück über, welches Ellen doch — — richtig, am Beethoven-Abend in der Exceterhalle hatte sie es gehört. Wie kam denn dieser ungebildete Mensch dazu, dieses klagende Adagio von Beethoven auf der Flöte zu spielen, noch dazu in solch' schmelzenden Tönen?

Dann wurde es wieder still. Dafür ein neuer Schritt; der auf seine englische Zeitung an der Landstrasse ungemein stolze Wirth fragte, ob sie den Morning Leader haben wolle, und nun nahm ihn Ellen doch, liess sich das Papier durch die Thürspalte zustecken.

Die dicke Wachskerze brannte hell und sehr langsam.

Der »Morning Leader« ist ein Sensationsblatt ersten Ranges. Am liebsten ist es der Redaction, wenn jeden Tag ein Raubmord passirt und eine Pulverfabrik explodirt, und in jeder Feuilleton-Nummer wird Jemand lebendig begraben, wenn man ihn nicht zu Tode martert.

Es war die Nummer vom 1. September. Ein Raubmord fehlte, aber dafür fett gedruckt »Eine sensationelle Wette.«

Ellen las über ihre eigene Angelegenheit, im blüthenreichen Reporterstil abgefasst, und der Berichterstatter wusste Alles, als ob er selbst damals im Champion-Club zugegen gewesen sei, und dabei war nichts Wunderbares: die Züngelchen der Champion-Damen würden schon dafür gesorgt haben, dass die neueste Neuigkeit schnell unter das Publicum kam. Auch sonst wusste der Schreiber Alles — solch ein englischer Reporter ist ja überhaupt allwissend — sogar, in welchem Frisirsalon sie sich das Haar hatte kürzen lassen, um wieviel Decimeter und Millimeter — und da, richtig, da war natürlich auch ihr Bild. Sie sah schrecklich verwegen aus, sogar eine Elephantenbüchse hatte sie über der Schulter.

Die Leserin lächelte. Recht so, nach 300 Tagen sollte man sich noch viel mehr mit ihr beschäftigen. Dann aber erweiterten sich ihre Augen.

»Gleichzeitig hat Sir Robin Munro mit Lord Wood, dem bekannten Sportsman, eine andere Wette abgeschlossen, welche eng mit jener zusammenhängt. Sir Munro, obgleich ein grundsätzlicher Gegner alles Radfahrens, ist verlobt mit Miss Howard. Als es ihm nicht durch fussfällige Bitten und Thränen gelang, das zarte Mädchen von dem gefährlichen Wagestück abzuhalten, erhob er sich mit stolzer Manneswürde und erklärte seiner Braut, so werde er selbst sie begleiten, natürlich zu Pferd, denn noch nie hat Sir Munro ein Rad bestiegen, er wolle sie schützen gegen jegliche Gefahr, sie durch Feuer und Wasser tragen, und wenn sie ohnmächtig von der Maschine stürze, so wolle er sie auffangen und fragen, ob sie nun seine gehorsame, ihn liebende Gattin werden möge. Darauf eilte er hinweg, der Bitten seiner Braut, dies doch nicht zu thun, nicht achtend. Er traf seinen Freund Lord Wood, und diesem theilte er seine feste Absicht mit, zugleich hinzufügend, dass es Miss Howard, ein schwaches Mädchen, doch nicht einmal bis nach San Francisco aushielte. Lord Wood denkt anders über das schwache Geschlecht, insbesondere über Miss Howard. Hieraus entsprang die Wette, welche um nicht weniger als 60 000 Pfund Sterling geht. Lord Wood sagt: Miss Howard erfüllt ihre Bedingungen; und Sir Munro behauptet: sie kommt nicht einmal bis nach San Francisco, sie wird nie mehr radfahren, und ausserdem soll sie innerhalb von 100 Tagen, von heute an gerechnet, meine Frau sein ............«.

Mit einem unterdrückten Schrei schleuderte Ellen das zusammengeballte Blatt an den Boden.

»Das mir, das mir!« keuchte sie, aufspringend. »Oh, dieser Elende! So will er mich demüthigen!«

Sofort wusste sie, was sie zu thun hatte; hastig kleidete sie sich wieder an, hob die Zeitung auf und öffnete die Thür. Sie musste etwas Schweres zurückschieben, das aber gleich von selbst wich. Es war der Hund gewesen, der vor ihrer Thür gelegen hatte. Sie klopfte an der benachbarten Kammer an.

»Mr. Starke, sind Sie noch wach?«


»Come in.«

Die Thür war nicht verschlossen. Er hatte alle Betten aus dem Holzgestelle geworfen, lag auf der Pritsche, statt des Kopfkissens seinen Tornister, war vollständig angezogen, Stiefel an, selbst den Hut noch auf dem Kopfe, rauchte und las in einem dünnen, abgegriffenen Büchelchen im Schein seiner Wachskerze.

»Was wünschen Sie?« fragte er, ohne aufzustehen, ohne seine Lage zu verändern.

»Hier, lesen Sie das!«

Er legte das Buch auf den Tisch und nahm die Zeitung.

Für fünf Minuten war Ellen beschäftigungslos. Sie sah auf dem Tische eine kleine, hölzerne, ganz einfache Holzpfeife liegen, und obgleich ihre aufgeregten Gedanken mit etwas ganz Anderem beschäftigt waren, wunderte sie sich doch in diesem Augenblicke, wie er diesem simplen Instrumente solche weiche Töne entlocken, mit ihm solche künstliche Melodien spielen könne. Und was las er? Das Titelblatt lag aufgeschlagen. Ellen traute ihren Augen nicht. Es war eine französische Ausgabe von Larochefoucauld's Reflexionen und Maximen!

So berühmt dieses Buch des philosophischen Herzogs auch ist, Ellen hatte es doch nur einmal zufällig in die Hände bekommen. Und die bitteren Betrachtungen über das Leben unter Ludwig XIII. und XIV. bildeten die Abendlectüre dieses Menschen? Sie sah auf der Innenseite des Einbandes etwas Geschriebenes stehen; sie beugte sich herab, es zu lesen: Seinem Freunde Gurt Starke zur Erinnerung, Paris, im Februar 1889 — Alexandre, Vicomte de Larochefoucauld.

»Mumpitz,« sagte Starke, und sie dachte nicht mehr an diese Widmung.

»Wie meinen Sie?«

»Das heisst auf englisch: nonsense. Das riecht nach englischem Zeitungsklatsch.«

»Sie glauben nicht daran? Aber ich! Ich halte Sir Munro für fähig, mich so im Schmutze herum zu ziehen. Solch eine Gemeinheit!«

»Nicht so schnell. Man soll keinen Menschen verurtheilen, ohne ihn erst gehört zu haben, Jeder muss sich vertheidigen können. In Indianopolis treffen wir uns wieder, und ich werde ihn fragen, ob dies auf Wahrheit beruht oder nicht. Wenn es der Fall ist, stehe ich nicht mehr in seinen Diensten.«

Ellen stutzte. Deshalb war sie ja eben gekommen. Doch konnte sie ihn auch nicht recht verstanden haben.

»Dann würden Sie mich nicht mehr begleiten?« fragte sie mit leisem Staunen.

»Dann stände ich nicht mehr in seinen Diensten. Ich glaubte mich von einem Ehrenmanne engagirt, und wenn er wirklich diese Wette hinter meinem Rücken abgeschlossen hat, so ist er ein Lump, und einem Lumpen diene ich nicht.«

Ellen bekam doch etwas Hochachtung vor diesem Mann und seinen Kraftausdrücken. Ausserdem aber sah sie sich schon von dem ihr so unliebsamen Begleiter befreit, und wenn selbst nur unliebsam deshalb, weil er ihren Ruhm schmälerte.

»Ich zweifle nicht im geringsten, dass er es gethan hat, er liess mir gegenüber thatsächlich ganz dieselben Worte fallen. Wann werden wir in Indianopolis sein?«

»In 12 — 13 Tagen, wenn Sie so weiterfahren. Ich will 15 bis 16 rechnen.«

»Wir können telegraphisch anfragen ....«

»Nicht telegraphisch, nicht brieflich. Ich muss ihm in's Auge sehen, wenn ich ihn frage, dann weiss ich, ob er die Wahrheit spricht oder nicht.«

»Also nochmals: wenn dieser Bericht den Thatsachen entspricht, so werden Sie mich verlassen?«

,,Ja, wenn Sie es fordern.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Starke.« Sie nahm die Zeitung wieder mit.

Drüben las sie den Bericht noch einmal; erst jetzt brach die bittere Empfindung bei ihr durch, und diesmal waren es keine Thränen des Heimwehs, sondern solche des Jammers. Sie liebte ihn — oder sie hatte ihn doch geliebt, und unter Thränen schlief sie endlich ein.

Mitten in der Nacht erwachte sie. Der Mondschein hatte durch das unverhüllte Fenster ihr Gesicht getroffen, und dieser weckte sie immer. Ihre Uhr zeigte einhalb Drei. Einen Blick zum Fenster hinaus — klarer Himmel, Vollmond, anscheinend windstill. Schnell hatte das thatkräftige Mädchen seinen Entschluss gefasst. Jener Mann dort drüben sollte merken, dass sie ihn nicht brauchte, dass er ihr überhaupt gar nicht folgen konnte, wenn sie nicht wollte. Seine gelassene Ruhe, wie er gestern Morgen behauptete, er würde sie begleiten, ob sie nun wolle oder nicht, steckte ihr doch noch recht in den Gliedern, und diese Glieder waren auch recht steif; aber es würde gehen, es musste gehen, er sollte sie nicht einholen! Nur heimlich entfernen musste sie sich.

Also leise, ganz leise angekleidet, nicht einmal Licht gemacht, der Mond leuchtete hell genug, sie zog auch noch nicht die Stiefel an; nun zunächst die Thür geöffnet — aber oh weh, seinen Hund hatte sie ganz vergessen, den sie jetzt zurückschob.

Doch dieser schien sich nicht um die nächtliche Ausreisserin zu kümmern, lag wohl nur zufällig gerade vor der Thür. Er stand auf und rollte sich neben der Thür seines Herrn gleich wieder zusammen.

Jetzt das Rad über die Schulter genommen, auf dem Gange ein Streichholz angebrannt, geräuschlos schlich sie die Treppe hinab, geräuschlos öffnete sie die Hausthür, sie stand im Freien. Nun noch schnell die Stiefel angeschnürt und dann hinauf auf's Rad und losgetreten! Die Petroleumlampe brauchte sie nicht, es war tageshell; verfahren konnte sie sich nicht, hier gab es nur noch directe Hauptstrassen.

So, wenn dann die Sonne aufging, konnte sie ihr ungestört entgegenjubeln, und nun sollte er sie wieder einzuholen versuchen! Sie jubelte schon jetzt, weit genug entfernt war sie bereits.

Sie jauchzte nochmals auf, sie fühlte sich so leicht, so frei, gar nicht mehr so beengt ....

»Good morning, Miss!« sagte es da dicht hinter ihr. »Sie haben Ihren Gürtel mit dem Revolver und der Patronentasche liegen lassen.«

Beinahe wäre Ellen vor Schreck vom Rade gefallen.


— — — — — — — —

Im Lady-Champion-Club war »kleiner Abend«. Die Erste, welche ihre Garderobe abgab, war Judith; dann kam als Zweite die tolle Lady Oliva Hobwell.

Judith konnte sonst dieses verrückte Weib mit ihrem verrückten Benehmen und haarsträubenden Redensarten um den Tod nicht leiden, heute eilte sie ihr gleich entgegen,

»Wissen Sie schon? Es ist Thatsache, Sir Munro hat jenen Curt Starke engagirt, Miss Howard zu begleiten. Hiergegen lege ich ...!«

»Sie legen gar nichts, weder Eier noch Proteste,« unterbrach sie die tolle Lady, während sie die Handschuhe von den diamantengepanzerten Fingern streifte. »Sonst mache ich Sie herunter, dass kein Hund ein Stückchen Brot mehr von Ihnen nimmt.«

»Waas?« hauchte Judith erbleichend. Das war toller als toll.

»Lassen Sie mich ausreden. Mir ist es ganz gleichgültig, ob Ellen diese alberne Wette gewinnt oder verliert, aber wenn Sie etwas dagegen einzuwenden haben, dass dieser Curt Starke die Ellen begleitet, so werde ich etwas von Ihnen erzählen. Ich war nämlich heute Morgen auf der Redaction der »Chronicle Post«. Dieses Schundblatt hatte ohne meine Erlaubniss mein Bild gebracht. Da hörte ich im Nebenzimmer eine Unterhaltung .... Sehen Sie? Trotz Ihrer dunkelen Couleur werden Sie weisser als ein Schneeball. Gut, Sie wissen also, was ich meine. So lassen Sie sich nur noch Eines sagen und Sie werden mir kein Wort erwidern: Sie sind ein ganz miserabeles Frauenzimmer. Pfui Deibel!!«

Und die tolle Lady warf die knisternde Seidenschleppe über den Arm, dass man ihre spitzenbesetzten Beinkleider trotz deren Kürze sah, und liess Judith stehen.

Es kamen hier manchmal wuchtige Scenen vor, besonders wenn sich die Champion-Damen in die Haare geriethen, aber solche starke Worte waren doch noch nicht gefallen.

Es war noch nicht Alles: Zwei andere Damen traten ein, freudestrahlend hüpfte die tolle Lady auf sie zu.

»Wissen Sie schon? Zu übermorgen hat Lady Judith uns alle zum Souper in ihre Wohnung, eingeladen. Und extra für mich will sie selber die Schlagsahne peitschen, das könnte sie grossartig. Nicht wahr, liebste Judith?«

 

»Wenn es den Damen angenehm ist,« lächelte Judith höflich.

Da war die Lady Oliva schon wieder bei ihr, klopfte ihr hinten auf die Schulter und blickte ihr ebenfalls lächelnd in's Gesicht.

»Aber recht steif schlagen, liebste Judith, nicht wahr? Sonst frisst mein Mops sie nicht.«

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