Die Schatzkammer des Pharao

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Leonore kehrte schnell mit einer neuen Schale von Äpfel, Birnen, den verschiedensten Nüssen, Rosinen, Datteln, Feigen und anderen getrockneten Früchten zurück. Sie hatte wie Dr. Tannert ihre Selbstbeherrschung wiedergefunden.

Der eigentümliche Vorfall, den nur dieser Name bewirkt hatte, sollte erst später seine Erklärung finden.

»Bitte, langen Sie doch zu. Sie essen ja gar nichts. Wir naschen den ganzen Tag.«

»Sie leben wohl nur von Früchten und Nüssen?« konnte er schon wieder unbefangen lächeln.«

»Ausschließlich.«

»Wirklich nur von Früchten und Nüssen?'«

»Tatsache. Wir essen auch kein Brot, nichts gebackenes. Nur Nüsse und frische oder getrocknete Früchte. Wir sind von kleinauf nichts anderes gewöhnt. Und sehen wir etwa schwächlich aus?«

Der junge Gelehrte bekam nicht etwas für ihm ganz Neues zu hören. Besonders in Amerika und in England gibt es schon viele Tausende, die sich nur von rohen Früchten und Nüssen nähren. Nach wissenschaftlichen Gesetzen reicht das auch, in der nötigen Menge genossen, zur vollkommenen Ernährung aus. Nüsse haben einen hohen Gehalt an Eiweiß und Fett, reichliche Mengen das letzteren machen die Kohlehydrate, das Stärkemehl, überflüssig. Diese Lebensweise geht von den Theosophen aus, die schon mehr bis zu den Rosenkreuzlern zurückgreifen, welche ihren Durst sogar nur mit Morgentau stillen, oder mit Regenwasser. Im übrigen hängt das zusammen mit dem Schlagwort »Zurück zur Natur«! Natürlich haben diese Nahrungskünstler, Theosophen oder nicht, gleich Vereine gebildet, wollen durch Zeitschriften und Flugblätter nun die ganze Menschheit beglücken.

»Nach Pausanias bekamen die griechischen Athleten, die in Olympia um die Siegespalme ringen wollten, vorher wochenlang von ihren Trainern, den Gymnasien oder Aleipten, nur möglichst trockene Datteln zu essen«, zeigte der Bruder wieder seine Belesenheit, wobei es freilich um die Athletik handelte, die er wohl auch so wie seine Schwester betrieb oder doch betrieben hatte.

»Wird solch eine Fruchtnahrung auf die Dauer nicht recht eintönig?« meinte Dr. Tannert etwas kleinlaut, denn er war ein Freund von einem saftigen Beefsteak, möglichst groß.

»Eintönig?« wiederholte Leonore. »Aber ich bitte Sie! Hier in dieser Schale liegen acht verschiedene Apfelsorten, jede von einem total anderem Geschmack. Sauer und süß und nach Muskat und nach sonst was schmeckend. Und nun die vielen anderen Früchte. Und hier sind vier Sorten von Nüssen. Und es sind schon zweierlei Haselnüsse, deren Unterschied im Geschmack ein noch viel größerer ist als zwischen gekochten Hammelrippchen und einem Schweinebraten. Nein, an Reichhaltigkeit des Geschmacks kann der Tisch eines Fruchtessers niemals von dem eines Fleischessers übertroffen werden. Und es ist so bequem. Man hat die Früchte immer zur Hand, ist, wenn man Appetit hat, ist unabhängig, kein Sklave eines Kochs. Aber ich will Sie nicht etwa zur Fruchtnahrung bekehren! Das liegt mir fern. Soll ich klingeln? Wollen Sie einen Schinkenknochen haben? Sie können ihn hier ruhig abnagen.«

Lachend wehrte Tannert ab, er habe schon eine reichliche Abendmahlzeit hinter sich, aber er freute sich wirklich sehr, daß man ihm dieses Angebot gemacht hatte. Denn Dr. Tannert war der ganz vernünftigen Ansicht, daß ja jeder Mensch täglich einen Zentner Heu fr ... verspeisen kann, wenn es ihn glücklich macht. Aber er soll nur andere Menschen mit seinem Heu in Ruhe lassen. Wem's schmeckt, der wird schon von ganz allein einmal dahinter

kommen. Und dann vielleicht erlernt er auch noch das Wiederkäuen.

»Aber ein Glas Punsch trinken Sie doch mit uns«, fuhr Leonore fort, unter der silbernen Teekanne, wahrscheinlich Eigentum, den Spiritus anzündend.

»Oho. Seit wann sind denn Vegetarier und besonders solche Fruchtesser dem Alkohol ergeben?« Der Irrtum wurde gleich aufgeklärt.

»Es ist alkoholfreie Punschessenz, nichts weiter als Fruchtsaft«, erklärte der Bruder, »ich trinke das Zeug auch nicht gern, es schmeckt so nach Lack, und für einen ehemaligen Studenten, wird es erst recht nichts sein. Haben Sie nicht etwas Kräftigeres auf Ihrem Zimmer? Oder vielleicht die Mrs. Haller?«

Ach, das waren ja prächtige, unbezahlbare Menschen! Solche fand man ja gar nicht wieder.

Und es war noch nicht alles.

»Ach«, sagte Leonore noch, als er sich schon erhob, um die Rumflasche zu holen, die ihm ein Onkel für das nebelige England eingepackt hatte, für die er freilich einen fabelhaften Zoll hatte zahlen müssen, »ach, da bringen Sie doch auch Ihre Fuhrmannspfeife mit, bitte!«

»Was, Fuhrmannspfeife?« lachte Tannert. »Was wissen denn Sie Französin davon, und das ich überhaupt eine lange Pfeife habe?«

»Na, ich hab's doch gleich gerochen, als Sie heute früh Ihre Zimmertür aufmachten. Ich konnte auch ein bißchen hineinblicken. Herr Gott, war das ein Nebel! Wir hatten in Avignon einmal einen deutschen Herrn zu Besuch, der rauchte auch so eine mächtige Pfeife, und da sagte unsere Mutter immer: das riecht hier so gut nach Fuhrmann.«

Tannert lachte noch aus vollem Herzen, als er in seinem Zimmer die Rumflasche auspackte, und wiederum wußte er gar nicht, daß er dies tat. Mit seiner qualmenden pfeife kam er zurück.

»So, nun werde ich Ihnen ein Glas Grog brauen. O, das kann ich auch. Ohne Zitrone? Desto besser, weil wir gar keine hier haben. Ach, riecht Ihre Pfeife gut, so gemütlich.«

»Rauchen Sie denn nicht?« fragte Tannert, in der Meinung, daß die Französin diese Gelegenheit nur abgewartet hatte, um gleich nach dem Zigarettenetui zu greifen.

»Ich? Ich rauche nicht. Ich habe ja gar nichts dagegen, wenn Damen rauchen, aber ich mache das nicht mit. Ich habe keinen Genuß daran, habe es noch gar nicht probiert. Auch Harris raucht nicht.«

»Wie, auch Ihr Herr Bruder raucht nicht?« stieß Tannert förmlich bestürzt hervor.

»Nein, warum sollte er denn?«

Es war schwer zu beschreiben, was den Doktor in förmliche Bestürzung versetzte. Man findet selten solche Menschen, die Nichtraucher sind und anderen das Rauchen nicht nur erlauben, sondern sie sogar darum bitten, doch zu rauchen.

»Aber ich kann doch unmöglich hier rauchen, wenn Sie selbst....«

»Pfaffen Sie! Jetzt befehle ich es Ihnen! Immer qualmen Sie! Mehr, mehr! Und wenn Sie zufälliger Weise eine Kanone bei sich haben, und Sie möchten gerne schießen - immer schießen Sie. Wenn es die Nachbarschaft nicht stört - uns stört's nicht im geringsten.

Dr. Tannert gehorchte, pfaffte und qualmte. Nein, solche Menschen gab es nicht wieder, wenigstens kein solches Geschwisterpaar.

Das Gespräch kam wieder aus Petra, der Gelehrte wurde immer ausführlicher.

»Ich möchte gern selbst einmal die Bücher lesen, die Sie da anführen«, sagte Harris.

»Die sind aber nur im Britischen Museum zu haben.«

»Die Bücher werden doch ausgeliehen?«

»Nein. Diese Bibliothek leiht kein einziges Buch aus.«

»Gegen genügende Sicherheit,«

»Nicht gegen Deponierung einer Million. Das ist so eins der eigentümlichen Gesetze im konservativen England. Der Gründer des Britischen Museums war Sir Sloane, der seine Sammlungen und seine kolossale Bibliothek dem englischen Volke vermachte, unter der Bedingung, daß nur Mitglieder der königlichen Familie Bücher mit nach Hause nehmen dürfen. Und das wird heute noch ganz wörtlich befolgt. Ich habe es erst selbst nicht glauben wollen, sprach erst gestern mit dem Generalkonsul darüber, als ich mich ihm vorstellte. Mir selbst ist die Sache äußerst unangenehm. Ich kann nicht aufmerksam lesen, wenn andere um mich herum sind, fremde Menschen, und so vortrefflich dort auch alles eingerichtet ist, ganz kleine Lesekabinetts, in denen nur einer Platz hat - es ist doch nicht dasselbe wie zu Hause in seinem stillen Studierzimmer. Eine Ausnahme kann nur ein Regierungsbefehl machen, oder sogar ein direkter Befehl des Königs muß es sein. Aber um den zu erlangen, das ist wieder eine ganz verzwickte Geschichte. Da nützt es noch nichts, daß ich deutscher Staatsbeamter bin. Da müßte erst die deutsche Gesandtschaft in förmlich politische Verhandlungen mit der englischen Regierung treten. Und so etwas wird wegen meiner Leserei natürlich nicht gemacht.«

Er sah nach der Uhr.

»Schon Mitternacht vorüber. Es ist wohl bald Zeit schlafen zu gehen.«

»Nicht für uns«, sagte Leonore, »für uns ist jetzt Mittag.«

»Wie meinen Sie?«

»Wir schlafen am Tage, stehen Nachmittags so gegen vier Uhr auf, warten die Dämmerung ab, wenn es genügend dunkel ist, gehen wir zusammen durch möglichst einsame Straßen spazieren, oder ins Theater, in ein Konzert, in einen Vortrag, oder ich gehe allein in so ein Gymnasium oder in eine Schwimmhalle, die bis Mitternacht offen ist. Um Mitternacht sind wir spätestens wieder zu Hause, und während dann für die andere Welt das Leben erlischt, fängt es für uns erst richtig an. Dann wird bis früh gegen acht gelesen. Dann geht's zu Bett.«

»Sie sind ja die reinsten Wahabiten. Habe schon vorhin einmal daran gedacht, und Sie werden es ja immer mehr!« staunte Dr. Tannert.

»Was sollen wir sein?«

»Wahabiten. Wissen Sie nicht, was das für eine arabische Sekte ist?«

»Nein. Noch niemals davon gehört.«

»Natürlich - verzeihen Sie mir - ich falle manchmal noch in den Fehler zu glauben, daß alle anderen Menschen das wissen müssen, was meine ganze Gedankenwelt ausmacht. Kennen Sie nicht den alten Witz mit dem Geschichtsprofessor, der auf der Eisenbahnstation sein Cupe verläßt, sieht sich die Nummer des Waggons, 715, prägt sich die zur Vorsicht mnemotechnisch ein, 715 vor Christi Geburt: Numa Pompilius wird als zweiter römischer König auf den Thron erhoben - jetzt geht er beruhigt in das Restaurant. Der Zug wird abgeläutet, der Herr Professor stürzt heraus, findet seinen Waggon nicht, hat die Nummer vergessen - aber er hat sie sich ja mnemotechnisch gemerkt. Also er stürzt auf einen Schaffner los: »Schaffner, Schaffner, wann hat Numa Pompilius den römischen Königsthron bestiegen?!!«

 

Die Geschwister lachten.

»Und wie ist es nun mit den Wahabiten?«

Der Gelehrte wurde etwas gründlicher, als es nötig gewesen wäre.

»Eine mohammedanische Sekte, die sich im 18. Jahrhundert furchtbar gemacht hat. Ihr Stifter war ein reicher Kaufmann namens Abd el Wahab in der Provinz Nedschd, das fruchtbare Hochland im Herzen Arabiens. Ihm gefiel die immer mehr zunehmende Vergötterung des Propheten Mohammed nicht, womit auch die Lockerheit der Sitten seiner Landsleute wuchs. Für ihn war Mohammed nur ein einfaches Werkzeug Allahs gewesen, er hätte sich eben so gut in jedem anderen Menschen offenbaren können. Und tatsächlich war Mohammed auch ein recht minderwertiger Geist, litt an epileptischen Anfällen, was dort aber, weil den Leute unbegreifliches, als ein Zeichen der Heiligkeit gilt. Wahab wollte den ganzen Koran nicht gelten lassen, den Mohammed erst später diktiert hat, als er nur noch seinen Herrschergelüsten nachging, als er die Vielweiberei eingeführt hatte und anderes mehr. Für Wahab galt nur die Sunna, das ist die reine Lehre, die ersten Religionsformeln Mohammeds, die nicht niedergeschrieben worden sind, nicht geschrieben werden durften, die nur als Sprichwörter von Mund zu Mund gehen. Übrigens hat, nebenbei bemerkt, des Propheten erste Frau, die ganz gewaltige Aische, die wahrscheinlich viel bedeutender war als Mohammed selbst, ihm von dem Verfassen des Korans abgeraten, und das ist der Grund, warum die Wahabiten dann ihren Herrscher aus der Verwandtschaft dieser Aische wählten, warum sie noch heute lieber eine Emira als einen Emir haben, lieber eine Fürstin als einen Fürsten, und warum noch heute bei den Wahabiten auch die jüngeren Frauen mit in den Kampf ziehen, wofür sie natürlich auch ganz anderes Ansehen genießen, als sonst bei den Mohammedanern üblich ist.

Abd al Wahab fand schnell Anhänger, die streng nach der Sunna lebten. Der Koran zählte alles gewissenhaft bis ins Kleinste auf, was erlaubt und mehr noch was verboten ist. Das Weintrinken ist verboten. Aber nicht das Trinken von Bier und Branntwein. Weshalb nicht? Weil Mohammed noch nichts von Bier und Schnaps wußte. Heute zechen die meisten Mohammedaner ganz tüchtig. Bier wird massenhaft vertilgt, die Schnapsbrüder torkeln auf der Straße herum. Nur keinen Wein! Die Sunna aber sagt: du sollst kein berauschendes Getränk trinken. Also natürlich auch kein Bier und keinen Branntwein. Rauchen heißt auf arabisch ischrub tuchan, das ist Tabak trinken, weil der Orientale den Rauch doch stets inhaliert, und daß das den Kopf betäubt, weiß jeder, der es probiert hat. Also darf auch nicht geraucht werden. Der Koran zählt allen Luxus auf, der verboten ist. Die Sunna verbietet einfach jeglichen Luxus, jeden Schmuck. So dürfen die Wahabiten nicht den geringsten Zierrat tragen, sich keine Blume anstecken, von Ringen und dergleichen gar nicht zu sprechen. Sie tragen Kleidung in größtmöglicher Einfachheit, auch im Essen und so weiter.

Dann als die Sekte der Wahabiten zu einer Macht angeschwollen war, die sich zum Religionskrieg rüstete, erfand Wahab aus eigener Initiative eine Vorschrift, welche seine Anhänger so furchtbar machte. Wenn sich die Wahabiten im Kriege befanden - und das waren sie ja immer - wurde die Nacht zum Tage gemacht und umgekehrt. Am Tage schlief im Lager alles, bei Nacht waren sie wach. Das erscheint höchst unbedeutend. In Wirklichkeit wurden die Wahabiten dadurch so furchtbar. Am Tage wichen sie dem Feinde aus, überließen ihm unter Umständen sogar ihr Lager. Sie griffen den Feind in der Nacht an, oder bei Nacht erschienen die Geflohenen wieder, und die nächtliche Finsternis war ihr Element geworden, da sahen sie wie die Katzen, da nahm jeder Mann zehn Feinde auf sich, die im Finsteren herumtappten. Die Wahabiten hatten im Laufe zweier Jahrhunderte keine einzige ihrer zahllosen Schlachten verloren, die sie bei Nacht lieferten. - Sehen Sie, daran dachte ich. Sie nähren sich nur von den einfachsten Naturprodukten, trinken keinen Alkohol, rauchen nicht, ich bemerke an Ihnen - verzeihen Sie, daß ich darauf Obacht gegeben habe - gar keinen Schmuck, Monsieur Lavoir dort hat zwar eine goldene Uhr, hat sie aber an einem einfachen schwarzen Bindfädchen hängen, und nun offenbaren Sie mir auch noch, daß Sie die Nacht zum Tage machen, nur überhaupt in der Nacht leben - Sie sind ja die echten Wahabiten.«

Die Geschwister lachten wieder.

»Brennen die auch solche Wachskerzen?«

»Das weiß ich allerdings nicht. Ich bezweifle es. Die wollen sich ihre Augen ja durch kein Licht verderben. Die brennen wohl nur Kameldünger, um ihre Brotfladen zu backen.«

»Leben sie auch nur von Früchten und Nüssen?«

»Nun die Dattel spielt sicher eine große Rolle. Sonst besteht die Hauptnahrung aus Reis und durra, das ist Hirse.«

»Kein Fleisch?«

»Das kommt dort selten vor, daß einmal ein Zicklein geschlachtet werden kann, so daß darüber gar kein Verbot zu existieren braucht. - Bekommt Ihnen denn dieses Nachtleben?«

»Wie Sie sehen. Sind wir etwa melancholisch?«

»Sind Sie davon nicht nervös geworden?«

»Na nun hören Sie aber auf!« wurde gelacht.

»Wie sind Sie denn darauf gekommen?«

»So nach und nach. Durch langes Aufbleiben und spätes Aufstehen. Und das wurde immer länger ausgedehnt. Jetzt sind wir vollkommen daran gewöhnt, sind richtige Nachtvögel geworden. Ach es gibt doch zahllose Menschen, die die Nacht zum Tage machen, es tun müssen, denken Sie doch nur an die vielen Bäcker und Verkehrsbeamten. Na, und die werden auch nicht krank. Und in die helle Sonne können wir auch noch gehen, in die Sonne blicken aber kann irgend ein anderer Mensch so wenig wie wir. - Was ist nun aus diesen Wahabiten geworden?«

»Zuletzt wurden sie doch geschlagen. Erst von Ibrahim Pascha, dann von dem gleichfalls ägyptischen Pascha Khurschid. Die ägyptischen Soldaten wurden speziell im Nachtkampf ausgebildet, wurden deswegen in Nachtvögel verwandelt. In den letzten fünfzig Jahren haben die Wahabiten Ruhe gehalten, haben aber wohl viel innere Kämpfe auszufechten, wegen der Thronnachfolge. Es sind zwei Parteien entstanden, die jede ihren eigenen Emir haben will. Wenn sie sich da geeinigt haben, dann werden die Wahabiten schon wieder von sich hören lassen.«

»Wo wohnen sie jetzt?«

»Immer noch in der Provinz Nadschd. Das ist ein Gebiet so groß wie Deutschland, für arabische Verhältnisse ein gar reiches, fettes Land. Es sind ziemlich anderthalb Millionen Wahabiten, die in mehr als 300 Ortschaften wohnen. Jetzt haben sie wieder eine Fürstin, die Emira Aische al Sela, das heißt übersetzt, das Brot von Stein, das steinerne Brot/

»Das steinerne Brot? Ein seltsamer Name!«

»Nur für uns, wenn wir es übersetzen. Aische heißt Brot, und das ist für die Araber schön ein heiliger Begriff. Dem Fremden wird Brot und Salz gereicht als Zeichen, daß er die unverletzliche Gastfreundschaft genießt. Nun, und die Emira wird wohl eine steinerne Jungfrau sein, sowohl dem Herzen wie dem Körper nach, ein tüchtiges Kriegsweib, das Lanze und Schwert zu schwingen versteht. Die Gegenpartei möchte lieber einen Emir aus einer anderen Dynastie haben. Vorläufig aber herrscht die Emira al Sela.«

»Sie sprechen arabisch?« fragte der Bruder, der sich sonst nur selten am Gespräch beteiligte.

»Ja, vollständig.«

»Und natürlich auch türkisch.«

»Nein, türkisch nicht.«

»Dort wo Sie hingehen, wird aber doch zumeist türkisch gesprochen.«

»O nein. Nur arabisch.«

»Syrien ist aber doch eine türkische Provinz.«

»Ja, dem Namen nach. Nur auf dem Papier. Ganz Arabien ist ja eigentlich ein türkischer Vasallenstaat, mit Ausnahme des Sultanats Maskat. Aber kommen Sie mal hin. Selbst dort oben in Syrien, dicht an der Grenze vom türkischen Kleinasien, wo die türkische Macht wirklich herrscht, werden die vorgeschriebenen Steuern nie eingehoben. Die Araberscheichs würden die türkischen Steuereinzieher nicht schlecht auslachen. Oder wahrscheinlich etwas anderes mit ihnen machen Es gibt gar keinen selbstherrlicheren Fürsten als solch einen Beduinenscheich, wenn er auch nur über ein Duzend Lanzen gebietet. Es ist ja diesen Beduinen auch gar nicht beizukommen. Die Araber haben uns Europäer oft genug besiegt, sind über Spanien bis nach Frankreich vorgedrungen, dort wurden sie von Karl Martell geschlagen - aber in ihrer Heimat hat ihnen noch niemand etwas anhaben können, wenn sie eine offene Schlacht vermeiden. In diesen Wüsten kann sich keine europäische Kavallerie halten, und auch die türkischen Wüstenreiter können mit den arabischen Beduinen nicht im entferntesten konkurrieren. Was die für Pferde haben! Die sich bei ihrer Leistungskraft mit Datteln begnügen. Die Beduinen ziehen sich in die Wüsten zurück, vergiften hinter sich die Brunnen, und wenn die Feinde schon als halbe Leichen im Sattel hängen, fallen sie über sie her. Nein, da ist nichts zu wollen. - Nein, dort oben wird nicht türkisch gesprochen. Man kann es wohl, will es aber nicht verstehen.

Der Erzähler machte eine Pause, und wie er vor sich hin pfaffte, wurde sein Gesicht recht verdrießlich.

»Das ist es eben! Unsere Expedition ist falsch eingeleitet. Die Deutsche Regierung hat dem Kommerzienrat ihre Unterstützung zugesagt - das ist ja recht schön und gut, aber besser wäre es, wenn sie es nicht täte. Nun hat sie sich schon an die Pforte gewendet, an die türkische Regierung in Konstantinopel, wegen Pässen usw., die Türkei hat uns ihren Schutz denn auch sofort zugesichert, uns eine Schwadron Arnauten, türkische Polizeisoldaten, zur Verfügung gestellt. Diese Schutzwache, gegen hundert Mann, erwarten uns in el Arisch. In dieser Hafenstadt geht es ja noch. Nun rücken wir aber in die Wüste hinein. Diese hundert Mann muß Kommerzienrat Kluge aus seiner Tasche unterhalten. Was das kostet? Und was deswegen wieder für ein Proviant und Futter mitgeschleppt werden muß. Wo wir allein manchmal froh sein werden, wenn wir nur Trinkwasser für uns genug finden. Und nun sind es verhaßte Türken, auch noch Polizeisoldaten dazu. Anstatt das uns die dort hausenden Araber behilflich sind, werden sie uns alle Schwierigkeiten in den Weg legen. Und den Ferman des Sultans, den Schutzbrief, können wir nur gleich ins Feuer stecken.. Die lachen uns ja aus, wenn wir den vorzeigen.«

»So tun Sie's doch. Nehmen Sie die türkische Schutzwache nicht mit.«

»Das geht nun auch nicht mehr rückgängig zu machen. Die Pforte würde sich natürlich beleidigt fühlen. Das ist jetzt eben politisch geworden. Es ist traurig. Jetzt aber verzeihen Sie - oder Sie brauchen mir auch nicht zu verzeihen, Mademoiselle - ich muß unbedingt schlafen gehen. Ich habe morgen früh viel zu tun.«

Die Sitzung wurde aufgehoben.

»Aber morgen kommen Sie wieder, erzählen uns mehr, nicht wahr?«

»Wenn Sie erlauben ....«

»Ich erlaube es.«

»Bitte lassen Sie mich aussprechen. Wenn Sie erlauben werde ich morgen oder eigentlich heute Mittag wieder bei Ihnen anklopfen.«

»Nein, nein, nein, das erlaube ich nicht!« lachte Leonore. »Da liegen wir ja im tiefsten Schlafe.«

»Sehen Sie, seien Sie ein andermal nicht so voreilig mit dem Geben Ihrer Erlaubnis. Dann morgen oder vielmehr heute Abend auf Wiedersehen. Gute Nacht.«

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