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Abschied von der »Terra Nova«

Sonnabend, 21. Januar 1911. Die Sorge um das Schiff ließ mich nicht ruhen, und als ich während der Nacht die Hütte verließ, um Ausschau zu halten, sah ich gleich, dass es sich in der übelsten Lage befand. Bei anschwellendem Wind und nördlicher Dünung begann das Eis aufzubrechen und die »Terra Nova« war völlig dem Wind ausgesetzt. Zum Glück hielten noch einige der Eisanker, und die Mannschaft war dabei, sie anderswo zu befestigen. Pennell hatte anheizen lassen und ich weckte unsere Leute zur Hilfe. Um 6 war Dampf auf und ich sah mit Freude, dass das Schiff sich windwärts bewegte, das Sammeln der Eisanker und Taue uns überlassend. Es hielt nach Westen ab und fast unmittelbar hinterher trieb ein großer Eisberg heran und geriet an der Stelle, wo es noch eben gelegen hatte, auf Grund.

Nachmittags kehrte das Schiff an den nördlichen Eisrand zurück. Der Wind war noch immer stark und längs des Randes schwamm überall loses Eis; meine Leute liefen mit den Eisankern hin und ich sah das Schiff wieder westwärts gehen.

Als ich aber nachher auf das Eisfeld hinausging, erhielt ich die erschreckende Nachricht, die »Terra Nova« sei auf Grund geraten! Ich eilte mit Evans zum Vorgebirge und sah nun, dass die Nachricht nur allzu richtig war. Das Schiff saß gründlich fest und schien in sehr bedenklicher Lage zu sein. Wie ich hinterher hörte, wollte es hinter den Eisberg steuern und war dabei plötzlich aufgerannt, obgleich Penneil schon eine Weile die Maschine hatte rückwärts arbeiten lassen.

Ich sandte Evans zum Sondieren im Walfischboot hinaus, ließ die Eisanker wieder einsammeln und beobachtete mit größter Aufregung jede Bewegung unseres Schiffes. Wenn es zugrunde ging oder nicht mehr nach Neuseeland zurückkehren konnte und hier sechzig Menschen vergebens auf Erlösung warteten – Vorstellungen dieser Art zermarterten mein Gehirn, und der einzige Trost, den ich aus diesen Schreckbildern der Fantasie ziehen konnte, war der feste Vorsatz, mein Ziel trotz alledem zu erreichen und mich in meiner Aufgabe durch nichts irremachen zu lassen.

An Bord rannte alles hastig hin und her; die Ladung wurde achtern umgestaut, und da das Schiff während der Flutzeit aufgerannt war, fand ich mich schon mit dem Gedanken ab, die ganze Ladung mithilfe von Booten löschen zu müssen, um es wieder flott zu machen – eine niederschmetternde Aussicht.

Da begann sich das Schiff langsam zu drehen. Man sah die Matrosen von der einen Seite zur anderen laufen, um es abzubringen, und durch das Seitwärtsrollen verstärkte sich auch die Drehbewegung. Aber dann saß es wieder fest. Bange Minuten vergingen – die Maschine arbeitete immerfort rückwärts und endlich wurde eine leichte Bewegung bemerkbar. Ein Hurra an Bord und ein noch lauteres aus dem Walfischboot – die »Terra Nova«, an deren glücklicher Heimkehr unser aller Schicksal hing, war wieder flott!

Jetzt liegt sie sicher verankert am Rand des nördlichen Eises und die Mannschaft ruht von der übergroßen Anstrengung, die sie mit bewundernswerter Ausdauer und Geduld geleistet hat, vom Offizier bis zu jedem Matrosen, Pennells gar nicht zu gedenken, und es macht mich wahrhaft stolz, der selbstlosen, treuen Hilfe all dieser Tapferen hier danken zu können.

Montag, 23. Januar. Gestern war ein überaus friedlicher Tag, den wir zur Vollendung unserer Ausrüstung und Instandsetzung unserer Kleidung alle fleißig nähend zubrachten. Aber solche Idyllen dauern hierorts nicht lange. Als ich heute früh um 5 bei schönstem windstillem Wetter aufstand, sah ich zu meinem Erstaunen, dass sich zwischen Land und Buchteis eine Wasserrinne geöffnet hatte und das Buchteis Miene machte, als feste Masse ins Meer hinauszutreiben. Auf dem Schiff hatte man das natürlich auch bemerkt; man machte die Eisanker los, sandte ein Boot an Land und ging in See, um mit dem Schleppnetz zu fischen. Bald darauf aber brachte Meares die Nachricht, auch das Eis der südlichen Bucht gerate ins Treiben! Das stellte sich zwar bei näherem Zusehen als Übertreibung heraus, aber ein ungeheures Stück des Eisfeldes hatte sich doch schon vom Land gelöst. Immerhin zog es sich noch etwa 4 Kilometer weit längs der Klippen unseres Vorgebirges hin und wir entdeckten bei dieser Gelegenheit auch einen Weg, auf dem die Ponys auf das Eis hinuntergelangen konnten. Aber nur die Ponys, nicht auch das Gepäck! Dieses muss uns die »Terra Nova« zur Gletscherzunge bringen.

Als ich mir darüber klar geworden war, wurde Hand angelegt und alles ging mit Dampf. Sämtliche Schlitten, unsere ganze Ausrüstung, selbst die Hunde mit den Ponygeschirren wurden auf das Schiff gebracht, und nur die Ponys sollen schon morgen versuchen, auf der Südstraße zur Gletscherzunge zu gelangen. Dort werden sie dann wieder beladen und wir beginnen mit dem Marsch zur Hüttenspitze unsere Depotreise. Zu warten, bis alles Eis hinaustreibt und dem Schiff gestattet, bis zur Hüttenspitze vorzudringen – diese lange Ungewissheit und mögliche Verzögerung können wir nicht riskieren. Ich bete zu Gott, dass sich die Ponystraße noch die wenigen Stunden über halten möge!

Dienstag, 24. Januar. Fast die ganze Nacht durch wurde in der Hütte fleißig gearbeitet und um 9 Uhr brachen wir auf. Ein Boot der »Terra Nova« holte die Westabteilung und mich ab, als eben die Ponys aus dem Stall geführt wurden und Meares und Wilson schon vorausgingen, um den Pfad zu untersuchen. An Bord musste ich zunächst Lühes Ausbeute an Seetieren auf dem gestrigen Fang bewundern: große Mengen Schwämme, Isopoden, Pentapoden, mächtige Krabben, Korallen und so weiter – aber die pièce de résistance waren mehrere Eimer voll Cephalodiscus, von dem bisher nur sieben Exemplare gefangen worden waren. Lillie ist überglücklich und meint, dieser Fang allein müsse schon das ganze Unternehmen bezahlt machen.

Während des Vormittags steuerten wir an der Küste der Ross-Insel entlang und loteten im Norden und Westen des kleinen Inaccessible Island 55 bis 73 Meter Tiefe. Durch unser Fernrohr konnten wir die lange Reihe der Ponys auf dem Meereis gleichmäßig vorrücken sehen, und sobald sie schon ziemlich weit gekommen waren, dampften auch wir zur Gletscherzunge hin. Das offene Wasser reichte gerade noch um die Ecke herum und die »Terra Nova« legte in dem engen Winkel an, den das Eis mit dem Gletscher bildete, wobei ihre Backbordseite sich in gleicher Höhe mit der Gletscheroberfläche befand.

Ich ging hinüber, um die Ponys zu erwarten, die auch ohne viel Schwierigkeit an den Gletscher herankamen, ihn überschritten und dann neben dem Schiff auf dem Meereis angepflockt wurden. Campbell untersuchte derweil eine Spalte, die sich auf dem Eis der südlichen Bucht hinzog und sich als unüberschreitbar herausstellte. Er musste deshalb einen anderen Weg über den Gletscher ausfindig machen, bis er über die Spalte hinaus war, und steckte diesen mit Pflöcken ab. Den Ponys wurde alles Gepäck abgenommen, sie sollten nun diesen spaltenlosen Weg entlanggeführt werden. Alles ging gut, bis die Tiere auf das Niveau des Eisfeldes hinunterkamen und Oates sie über eine alte, zugeschneite Spalte leitete. Sein Pony und das nächste kamen hinüber, das dritte aber machte einen Sprung nach dem Rand hin und sank mitten in der Spalte bis an den Bauch ein. Alle Anstrengungen, die es machte, brachten es nur noch tiefer hinunter, bis schließlich nur noch sein Kopf und die Vorderbeine aus dem Eisschlamm hervorsahen. Wir legten mit beträchtlicher Mühe Kopf und Beine in Seilschlingen und zogen alle Mann das arme Tier wieder heraus; es sah nach dieser Prozedur sehr schwach und elend aus und zitterte vor Schreck am ganzen Leib.

Doch schließlich waren sie alle glücklich auf das Eisfeld heruntergekommen. Wir gaben ihnen ein wenig zu fressen, packten ihnen ihre Lasten wieder auf und ließen sie dann weiterziehen. Inzwischen kamen die Hunde an die Reihe und verursachten uns viel Ärger. Da ihre Last leicht war, stürmten sie über alles hinweg und waren kaum zu halten; Wilson und ich lenkten ein Gespann, Evans und Meares das andere, und es war ein wahres Wunder, dass wir alle unversehrt das Eisfeld erreichten. Wilson hält sehr viel von den Hunden, aber ich zweifle, dass sie sich gut machen werden. Dagegen arbeiten die Ponys mit außerordentlicher Sicherheit, marschieren flott und munter und folgen einander auf dem Fuß. Sie haben nur einen Nachteil, dass sie im weichen Schnee leicht einsinken und schon da durchbrechen, wo ein Menschenfuß kaum einen Eindruck auf die Oberfläche macht. Zwar arbeiten sie sich wieder mutig heraus, aber es gehört eine immense Geduld dazu, sie vor solchen Unfällen zu behüten.

Dann wurde unser ganzes Gepäck aus dem Schiff geholt und etwa 10 Kilometer weit vom Gletscher und 4 Kilometer von der Hüttenspitze aus das erste Lager der Depotreise aufgeschlagen.

Morgen soll nun die Herbstabteilung ihre Wanderung beginnen. Wir sind im Ganzen zwölf Mann: Atkinson und Crean, Leutnant Evans, Forde und Keohane, Meares und Wilson mit den Hunden und ich; und schließlich Bowers, Oates, Cherry-Garrard und Gran. Dazu acht Ponys und sechsundzwanzig Hunde. Ehe wir all unsere Lasten in Sicherheit haben, werden wohl noch drei Tage vergehen; das Aufbrechen des Meereises darf uns bis dahin nicht über den Hals kommen. Lebensmittel und Feuerungsmaterial habe ich auf 14 Wochen berechnet. An Pressheu, Hundekuchen und Haferschrot haben wir zusammen 7550 Kilo. Dazu die Schlitten mit Geschirr, Riemen und Wasserbehälter, Zelt mit Stangen, Seil, Öl, Spirituskocher und Primusapparate, Schlafsäcke und Schneeschuhe und die zahlreichen Werkzeuge, die Reserveausrüstung für jeden Mann an Kleidern und was sonst noch jeder Einzelne an Unentbehrlichem mitzunehmen hat – alles in allem ein Transport, mit dem Ponys und Hunde ihre Arbeit haben werden.

 

Donnerstag, 26. Januar. Der letzte Tag auf der »Terra Nova«. Gestern begab ich mich mit einem Hundegespann aufs Schiff. Die Fahrt ging so weit ganz gut, bis die Hunde in der 9 Meter breiten Spalte, die wir vorgestern hatten umgehen müssen, einen Wal erblickten und sofort drauflosstürmten! Es gelang uns nur noch eben, sie zum Stehen zu bringen, ehe sie das Wasser erreichten.

Den Tag verbrachte ich mit Briefschreiben und Anordnungen für das Schiff. In der Nacht erhob sich eine frische nördliche Brise, und die »Terra Nova« stieß gegen den Gletscher, bis Packeis herantrieb, das sich als Schutz gegen die Dünung erwies.

Heute Mittag um 1 Uhr kamen Ponys und Hunde wieder an und um 5 begaben wir uns alle hinaus, um endgültig aufzubrechen. Kurz vorher hatte Pennell die Mannschaft auf dem Achterdeck antreten lassen und ich dankte ihnen allen für ihre tüchtigen Leistungen. Sie haben sich sämtlich als tapfere Kerle benommen, eine prächtigere Gesellschaft ist nie zusammen auf einem Schiff gesegelt. Ihre herzlichen Lebewohlrufe taten mir wahrhaft wohl.

Erster Vorstoß nach Süden:
Das Ein-Tonnen-Depot

Sonnabend, 28. Januar 1911. Langsam, aber sicher entgehen wir der Gefahr, mit dem Meereis fortgetrieben zu werden. Heute holten die Ponys die letzte Last aus Lager 1, und ich ging aus, um einen Weg um den großen neuen Presseisrücken zu finden, der mir am 16. bei meinem Ausflug zur Discoveryhütte aufgefallen war. Das Eis auf der Höhe von Kap Armitage, von dem wir anderthalb Kilometer entfernt sind, schien gefährlich dünn und war nach Süden hin mit unregelmäßigen Schneefahnen bedeckt, es galt also einen Umweg nach Osten zu machen, um auf die Barriere hinauf und dort in Sicherheit zu gelangen. Das zerbrochene Eis jenes Rückens endete im Osten in einer unheimlich großen Welle, deren Tal zu meiner Linken seichtes Wasser zeigte, worin unzählige Seehunde umherplätscherten. Aber dieser Weg schien für die Ponys gangbar, ich kehrte daher ins Lager zurück, wo ich hörte, dass eins der Tiere, das »Jakobsschwein«, lahm geworden war und Oates sehr pessimistisch in die Zukunft sah, während er noch gestern stolz auf seine Schützlinge war, die ohne Mühe Lasten von 360 bis 400 Kilo gezogen hatten. Dagegen waren die Hunde gestern Abend sehr müde, und ich habe den Befehl über das zweite Gespann endgültig an Wilson abgegeben, der sehr erpicht darauf war und gewiss seine Sache gut machen wird; aber ebenso gewiss werden die Hunde keine großen Lasten ziehen; 220 Kilo haben ihnen gestern beinahe den Rücken gebrochen und die 350 Gramm Hundekuchen, auf die Meares ihr tägliches Futter veranschlagt hat, werden auch schwerlich reichen. Auch Bowers’ Pony leidet an Schwäche in den Vorderbeinen, so kräftig es sonst ist; doch das wusste ich längst; bei ihm fragt es sich nur, wie lange es überhaupt noch aushalten wird.

Sonntag, 29. Januar. Lager 2. Heute nach dem Frühstück hielt ich Gottesdienst, und dann begann ein famoser Tag. Die sieben gesunden Ponys machten zwei Fuhren nach der Barriere und legten dabei 33 Kilometer zurück, die Hälfte davon schwer beladen, und doch war keines erschöpft.

Wilson hatte, wie er mir erzählte, mit seinen Hunden eine endlose Schererei. Wenn sie Seehunde witterten oder sahen, waren sie wie toll, und dabei lagen Robben zu Hunderten umher und reckten oft urplötzlich aus irgendeinem Luftloch im Eis ein paar Meter weit vor dem Gespann ihren Kopf heraus. Im selben Augenblick stürmten auch schon die Hunde drauflos. Wenn dann Wilson mit der Peitsche dazwischenfuhr, verwickelten sich Geschirr und Leinen, und während er sie wieder zu entwirren suchte, sauste auf einmal das ganze Elfergespann davon; er konnte höchstens eine Leine oder ein Stück des Schlittens erwischen und wurde nun im Karacho mitgeschleift, bis die Köter des Galopps überdrüssig waren und er sich wieder auf die Füße emporarbeiten konnte. Aber er ließ sich das nicht verdrießen, passte scharf auf und brauchte fleißig seine russischen Kutscherausdrücke, die alles umfassen, was man im Verkehr mit einem Hundegespann zu sagen hat.

Montag, 10. Januar. Lager 3, Sicherheitslager; 77° 55’ südlicher Breite. Als wir heute an dem auf der Barriere aufgestapelten Pressheu vorbei zum Sicherheitslager zogen, hatten wir einen großen Schrecken: Die Ponys sanken sehr tief ein und die letzten drei Kilometer griffen sie mehr an als der ganze übrige Marsch. Wir hielten deshalb nach dem zweiten Frühstück Kriegsrat und beschlossen mit Proviant auf fünf Wochen für Menschen und Tiere weiter vorzudringen, nach zwölf oder dreizehn Tagen ein Depot anzulegen, das Lebensmittel auf zwei Wochen enthält, und dann wieder zurückzukehren.

Donnerstag, 2. Februar. Lager 4. Endlich auf dem Marsch – nach zwei verlorenen Tagen!

Als wir nun heute Vormittag ½ 11 glücklich aufbrachen, war es mir eine angenehme Enttäuschung, dass die Ponys wenigstens in der ersten Stunde gar nicht tief einsanken und auch später, trotz schlechterer Oberfläche, gut vorwärtskamen, sodass wir 9 Kilometer zurücklegten. Bowers’ Pony überanstrengte sich aber dabei so, dass es schließlich ganz mit Schaum bedeckt war. Der heutige Marsch brachte mich aber auf den Gedanken, dass bei größerer Kälte während der Nacht und am Morgen zu dieser Zeit auf bessere Eisverhältnisse zu rechnen sein müsse, und mein Vorschlag, von jetzt an Nachtmärsche zu machen, fand allgemeinen Beifall. Die Tiere werden sich dann in den warmen Tagesstunden weit besser ausruhen können.

So warten wir denn einstweilen in unserem Zelt bis zum Abend. Auf der großen weiten Straße liegt unser kleines grünes Zelt wie ein winziger Punkt. Der Lärm des Marsches, die überlauten Worte, wenn jeder sein Pferd anfeuert oder schilt, das eilfertige Trippeln der Hundepfoten, das scharfe Aufschlagen der Ponyhufe und das Sausen der nachfolgenden Schlitten sind verhallt. Schweigen herrscht in der weißen Wüste, nur ab und zu unterbrochen vom Winseln eines Hundes, Wiehern eines Pferdes oder vom Krachen eines Fußtritts, der die Schneekruste durchbricht. Leicht flattern die Wände unserer Leinwandbehausung, das Summen des Primusofens dringt herüber, und aus dem Ventilator strömt der willkommene Duft des Spirituskochers. Aus Süden treiben Schneewolken heran, bleiche gelbe Girlanden, die nahen Sturm verkünden und die scharfen Konturen des Landes nach und nach verwischen. Ein Orkan, der Protest der Natur, ist im Anzug. Schneepuder wirbelt umher, wie feinstes Mehl dringt er durch jede Ritze und in jede Ecke, sogar unter die Kopfbedeckung, und sticht wie Sand. Die Gestalt der Sonne wird immer verzerrter, sie blickt scheu durch das auf und nieder tanzende Gestöber und spendet nur fahles, schattenloses Licht. Einer nach dem anderen verschwindet in den verführerischen Falten seines Schlafsackes.

Freitag, 3. Februar. Lager 5. Gestern Abend weckte ich um 10, und um ½ 1 begann der Marsch. Nach und nach besserte sich die Oberfläche, aber als wir nach 16 Kilometer Weg mit zweistündiger Zwischenrast haltmachen wollten, sank Bowers mit seinem Pony plötzlich in weichen Schnee ein; was ihm auf dem Fuße folgte, teilte sein Schicksal und im Handumdrehen zappelten drei Tiere in einer Schneewehe.

Welche Summe von Ungewissheit birgt doch unsere Aufgabe! Jeder Tag bringt eine neue Überraschung, jede Stunde kann ein neues Hindernis drohend heraufsteigen. Aber vielleicht ist es gerade dieser stete Wechsel der Gefahr, der das Spiel so spielenswert macht!

Sonnabend, 4. Februar. Lager 6, Ecklager. Ein guter Nachtmarsch von fast 20 Kilometern. Im Anfang mussten sich die Ponys auf schlechter Oberfläche sehr abschinden, dann aber besserte sich das Eis, nur dass jetzt mehrere Spalten zu überschreiten waren, in die ein Pony zweimal hineingeriet.

Sonntag, 5. Februar. Ecklager. Gestern Nachmittag um 4überfiel uns ein Orkan, der noch jetzt unser kleines schwaches Zelt tüchtig hin und her rüttelt. Auch er wird vorübergehen, aber man denkt dabei an all das, was über die Dauer der Orkane in der Nähe des Kap Crozier berichtet wird. Wir schlafen und essen und unterhalten uns in den Zwischenpausen so gut wie möglich.

Je mehr ich über unsere Ausrüstung nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass sie für zivilisierte Leute in unserer Lage nicht vollkommener sein kann. Die Grenzlinie zwischen Notwendigem und Luxus ist zwar recht undeutlich gezogen, und wir hätten auf Kosten unserer Behaglichkeit wohl etwas Gepäck ersparen können.

Auch könnte man sagen, wir hätten zu viel Lebensmittel mitgenommen, nämlich pro Mann täglich 900 Gramm. Aber ich erinnere mich zu deutlich der großen Schwäche, die uns im Jahre 1903 infolge des Hungers überfiel, als wir vier bis fünf Wochen hindurch von nur 630 Gramm täglich leben mussten und von Tag zu Tag mehr abfielen.

Mittwoch, 8. Februar. Lager 7; 78° 13’ südlicher Breite. Fünfundsiebzig Stunden hat der Orkan geweht und unsere Geduld auf eine schreckliche Probe gestellt! Die Schneewehen um das Lager herum waren sehr hoch, und die Schlitten mussten gestern geradezu ausgegraben werden. Außerhalb des Zeltes konnte man sich kaum aufhalten; aber die Ponys mussten gefüttert und die Hunde versorgt werden, und bei uns gibt es keine Drückeberger. Im Übrigen bestand unsere Tagesordnung aus Essen und Schlafen, Schlafen und Essen – merkwürdig, wie viel man schlafen kann!

Gestern Nachmittag erst legte sich der Sturm, die Sonne kam wieder hervor und bald war der ganze südliche Himmel wolkenlos. Die Ponys hat der Orkan sehr angegriffen, das merkten wir auf unserem heutigen Nachtmarsch, der jetzt geradewegs südwärts führte. Vermutlich haben sie zu wenig geschlafen; alle sehen stumpfsinnig aus, und zwei oder drei sind sichtlich magerer geworden. Bei gutem Extrafutter werden sich die Tiere hoffentlich wieder erholen, aber weitere Orkane werden sie schwerlich aushalten. Ich fürchte, wir werden nicht allzu weit kommen, müssen aber auf jeden Fall die Mehrzahl der Ponys am Leben erhalten. Den Hunden geht es gut; sie haben sich während des Orkans unter dem Schnee zusammengerollt und kamen zu den Mahlzeiten aus dampfend warmen Höhlen heraus, für sie war der Sturm nur eine angenehme Ruhepause.

Freitag, 10. Februar. Lager 9. Unsere Gesellschaft macht sich wieder heraus: vorgestern 19, gestern 20, heute 22 Kilometer bei guter Oberfläche und teilweise sonnigem Wetter. Allmählich lernt man, wie wir die Sache im nächsten Jahr anfangen müssen, wenn die Ponys aushalten. Wenn –!

Abends 9 Uhr kriechen wir aus unseren Schlafsäcken. Gegen ½ 12 brülle ich Oates, dem »Soldaten«, zu: »Wie steht’s draußen?« Die Antwort lautet, alles sei bereit, und nun hantieren eilfertige Gestalten zwischen Schlitten und Ponys – eine kalte Arbeit für die Finger und auch keine warme für die Füße. Den Tieren werden die Decken abgenommen und die Geschirre angelegt, Zelte und Lagereinrichtung auf die Schlitten geladen. Futterbeutel für die nächste Rast gefüllt und den Ponys die Schlitten angehängt. Wer zuerst fertig ist, wird beim Warten auf die Übrigen leicht ungeduldig. Wilson und Meares gehen umher, überall hilfreich Hand anlegend.

Aber noch immer geht es nicht los! Die Stricke müssen eingesammelt, die Riemen einiger Ponys zurechtgerückt werden und einige aus der Gesellschaft haben sich beim Zusammenpacken ihres Zeltes verspätet. Mit erstarrten Fingern hält man den Zügel seines Pferdes, das seinen Kopf vom Wind wegdreht, und hier und da knurrt einer.

Endlich heißt es: »Fertig; Bowers voran!«, und »Birdie« (Vögelchen), wie sein Spitzname lautet, führt sein großes Tier vorwärts, immer gleichmäßigen Schritts. Auch die Pferde sind kalt geworden, und sobald das Kommando ertönt, ziehen sie los, einige sogar so stürmisch, dass ihre Begleiter kaum Schritt halten können, denn die Finnenschuhe fassen auf den schlüpfrigen Sastrugi* schlecht. Bewegung erwärmt, und in zehn Minuten hat sich die ganze Kolonne in ein gleichmäßiges Tempo einmarschiert.

Im Anfang geht es noch lebhaft; die Beleuchtung ist schlecht, dann und wann tritt einer auf eine schlüpfrige Stelle und fällt hin. Das sind die einzigen wirklichen Ereignisse auf dem Marsch – im Übrigen vergeht er in gleichmäßigem Dahintrotten bei geringfügiger Veränderung der Oberflächengestalt. Die schwächeren Ponys bleiben ein wenig zurück, kommen aber, wenn Rast gehalten wird, bald wieder in Marschlinie.

Wenn wir den halben Marsch hinter uns haben, gebe ich auf meiner Signalpfeife ein Zeichen. Dann wendet Bowers ein wenig nach links, seine Zeltkameraden gehen jeder einige Schritte weiter rechts, um die nötige Entfernung zwischen den Ponys einzuhalten; Oates und ich machen hinter Bowers und Evans halt, die beiden anderen Schlitten unserer Abteilung hinter Bowers’ beiden anderen. So ist die Lagerformation fertig. Die Seile zum Festmachen werden im rechten Winkel quer über unseren Weg gezogen und an den beiden Schlitten an jedem Ende befestigt. In wenigen Minuten sind die Ponys festgebunden und zugedeckt, die Zelte aufgeschlagen und die Kochapparate angezündet.

 

Inzwischen haben die Hundelenker nach langer kalter Wartezeit im alten Lager den letzten Schlitten gepackt und kommen auf unserer Spur angetrabt. Sie möchten möglichst gleich hinter uns ankommen, und meist gelingt es ihnen auch.

Die Rast dauert eine bis anderthalb Stunden, dann geht es weiter. Das Nachtlager wird gewöhnlich gegen 8 Uhr aufgeschlagen und nach anderthalb Stunden stecken die meisten von uns schon im Schlafsack.

Während des langen Aufenthalts am Tage bauen wir Schneewälle für die Ponys, versorgen sie mit Decken und tun für sie, was nur irgend möglich ist. Damit ist einstweilen unsere Tagesordnung erschöpft.

Sonntag, 12. Februar. Lager 11. Die Oberfläche ist so schlecht geworden, dass Evans, Forde und Keohane mit ihren drei schwachen Ponys zurückgehen müssen! Wir kommen mit solchen Nachzüglern nicht vorwärts; gestern 20, heute nur 18 Kilometer. Dabei haben wir im Lager 7 zwei Ballen Pressheu deponiert und lassen im heutigen wieder einen Ballen zurück. Wir müssen unbedingt sehen, so weit wie möglich an den 80. Breitengrad heranzukommen. Wir sind jetzt in der Nähe des 79. Grades; dieser Ort soll »Blufflager« heißen.

Der Himmel war den ganzen Tag überzogen; im Süden sieht es bedenklich nach Schnee aus und einen Kurs zu steuern ist fast unmöglich.

Montag, 13. Februar. Lager 12. Wir haben wirklich Pech! Schon wieder liegen wir im Zelt, von einem Schneesturm festgehalten, nachdem wir heute nur 17 Kilometer weiter gekommen sind. Vorübergehend hellte es sich auf und wir konnten wenigstens eine genaue Peilung vornehmen mithilfe der Südecke des Bluff, die in einer Linie mit dem Mount Discovery lag, während sich die Weiße Insel ziemlich klar gegen den östlichen Abhang des Mount Erebus abhob. Wilson mit den Hunden ist noch nicht da; er hat im vorigen Lager erst den Aufbruch der Zurückkehrenden abwarten wollen. Wenn er nur überhaupt hat marschieren können.

Dienstag, 14. Februar. Lager 13. Wieder ein Tag voller Enttäuschungen! Das Wetter hatte sich aufgeklärt, die Nacht war schön, wenn auch kalt, die Temperatur ziemlich weit unter -18 Grad Celsius, und aus Südwesten wehte es scharf, wie überhaupt alle Winde aus dieser Richtung kommen; dadurch bekommen auch die Sastrugi eine deutliche Richtung nach Südwesten. Infolge des Orkans lag der Schnee in sandartigen Haufen und die Ponys sanken oft bis über das Sprunggelenk ein. Gran musste mit seinem »müden Willy« als Nachhut zurückbleiben. Als ich aber dann Oates über die zurückzulegende Entfernung zurate zog, meinte er ganz vergnügt: 27 Kilometer am Tag! Das reizte mich ein wenig und ich marschierte drauflos, bis der Geschwindigkeitsmesser meines Schlittens fast 13 Kilometer anzeigte. Inzwischen war aber der »müde Willy« wohl anderthalb Kilometer weit zurückgeblieben und die Hundegespanne näherten sich.

Freitag, 17. Februar. Lager 15, Ein-Tonnen-Lager; 79° 28 ½’ südlicher Breite. Die Ponys können nicht weiter und wir müssen umkehren. Die Oberfläche wurde vorgestern geradezu scheußlich, allenthalben Schneewehen, die sich an die Kufen der Schlitten hefteten, und leichte Eiskrusten, die unter jedem Schritt der Tiere zerbrachen.

Die Temperatur sank während des gestrigen Nachtmarsches auf 29 ½ Grad unter null. Einige Mitglieder meiner Gesellschaft scheinen solche Frühlingsreisen etwas angreifend zu finden. Oates’ Nase ist immer drauf und dran zu erfrieren, und Meares hat eine widerspenstige Zehe, die ihm viel zu schaffen macht. Selbst Bowers’ Übermut rächte sich gestern. Wie gewöhnlich zog er mit seinem Filzhütchen und bloßen Ohren daher. Auf dem Marsch sah ich ihn mir einmal an und wie ich gefürchtet hatte: Seine Ohren waren ganz weiß! Cherry und ich rieben sie, bis das Blut zurückkehrte, während der Patient dabei nichts weiter empfand als Verwunderung und Ärger über die Tatsache, dass er solch widerspenstige Ohren besaß. Auch bei mir zeigte sich eine leichte Froststelle in der Backe und Cherry-Garrard ging es ebenso. Also kehrt!

Es ist zwar schade, dass wir nicht bis zum 80. Breitengrad gekommen sind und das Ein-Tonnen-Depot schon auf 79° 28’ südlicher Breite errichten müssen, aber wir werden auch hier einen guten Stützpunkt im nächsten Jahr haben und können auf alle Fälle bis hierhin die Ponys ausreichend füttern. Wir haben also heute hier deponiert: Proviant auf 7 Wochen, Öl auf 12 Wochen, ferner Schiffszwieback, Haferschrot, Hundekuchen und Pressheu, im Ganzen 990 Kilo; außerdem zwei Paar Schneeschuhe und zwei Schneeschuhstäbe, zwei 3 ½ Meter lange Schlitten und ein Ponygeschirr, ein Minimumthermometer, eine Blechdose mit Zündhölzern und eine mit Kakao, sind also beim Aufstapeln dieser Vorräte bedeutend mehr als eine Tonne Gepäck losgeworden.

Schließlich haben wir unser Depot so gut markiert, dass es viele Kilometer weit zu sehen sein muss. Der Depothügel ist etwa 2 Meter hoch. Außer der Fahnenstange mit der schwarzen Flagge haben wir volle und leere Zwiebackdosen aufgestapelt, die als Reflexspiegel dienen sollen, und auch an den aufrecht in den Schnee gestellten Schlitten Teebüchsen befestigt. Zudem ist das Ein-Tonnen-Depot ziemlich stattlich und sehr fest und die Ponywälle ringsum sind auch noch da.

* gefrorene Meereswellen.

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