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Im Packeis gefangen

Sonntag, 11. Dezember 1910. Das Eis schloss sich während der Nacht enger zusammen und um 6 Uhr erschien jeder Versuch, vorwärts zu kommen, aussichtslos; wir ließen also das Feuer ausgehen. Die Eisfelder sind fast einen Meter dick, sehr fest und eng aneinandergedrängt. Die Fläche, die dieses Eis jetzt einnimmt, ist viel größer als zu der Zeit, wo es noch eine einzige Tafel bildete. Wenn also das Ross-Meer im Frühling ganz zugefroren ist, muss die Masse des aus ihm stammenden Packeises im Norden ungeheuer sein. Jedenfalls kommt das Eis um uns aus dem Ross-Meer, nur ist das Fehlen von Pressungen unerklärlich.

Am Abend liefen die Matrosen auf Schneeschuhen übers Eis und genossen diese herrliche Körperbewegung ausgiebig.

Montag, 12. Dezember. Das Packeis war heute Morgen etwas lockerer und eine lang gezogene Dünung deutlich bemerkbar. Oates, Bowers und Gran begaben sich auf Schneeschuhen nach einer angeblichen Insel, die sich aber, wie ich gleich vermutet hatte, als ein seltsam kuppenförmiger Eisberg mit niedrigen Klippen ringsum herausstellte.

Um Mittag haben wir wieder angeheizt und machen gute, aber ungleichmäßige Fortschritte. Bald dünne Eisfelder, die sich leicht zerbrechen lassen, bald ältere, die uns völlig lahmlegen; hin und wieder auch ein massiger aufgepresster Eisberg. Trotzdem sind wir 27 Kilometer südwestwärts getrieben, wenn auch sehr langsam.

Wir probieren heute Atkinsons Speckofen mit gutem Erfolg. Das Innere enthält ein Rohr mit nur einer Windung, die an der Unterseite durchlöchert ist, und aus diesen Löchern tropft der Tran auf einen Asbestbrenner. Der Speck befindet sich in einem den Schornstein umgebenden Behälter, und ein Hahn reguliert das Einfließen des Trans in das Zufuhrrohr. Sehr einfach, aber wirkungsvoll; der Ofen heizt sehr gut, allerdings riecht er auch etwas nach Tran. Aber man würde mit solchen Öfen weder warmes Essen noch eine warme Hütte unten im Süden zu entbehren brauchen.

Ich sprach heute mit Wright, einem unserer Geologen, über die merkwürdige Erscheinung, die für Reisen im Eismeer von großer Wichtigkeit ist: Wenn das Meereis zu Hügeln emporgepresst ist, scheiden diese Eishügel, falls sie vom Seewasser nicht mehr erreichbar sind und nicht wieder davon durchtränkt werden können, ihr Salz vollständig aus; durch Schmelzen kann aus ihnen Süßwasser gewonnen werden, das zum Trinken, zum Füllen der Dampfkessel usw. durchaus brauchbar ist.

Dienstag, 13. Dezember. Ich war fast die ganze Nacht auf den Beinen und habe eine so schnelle, immerwährende Veränderung aller Aussichten noch nie erlebt. Frisch gebildeter Eisschlamm, in dem das Schiff unter vollen Segeln 7 bis 9 Kilometer in der Stunde machte, wechselte mit festem Eis, gegen das aller Kampf vergeblich war. Dann kamen offene Kanäle und leicht überfrorene Rinnen, die uns guten Raum gaben, aber mit einem Mal saßen wir wieder in mächtigen Feldern mit höckrigem Buchteis fest, das zwei bis drei Meter über dem Wasser emporragte und sehr tief hinabreichte, uns aber wenigstens Gelegenheit bot, das Schiff mit Wasser zu versorgen. Schließlich konnten wir nicht mehr von der Stelle und mussten die Feuer ausgehen lassen. Gerade solchem Eis begegneten wir vor neun Jahren mit der »Discovery« bei König-Eduard-Land und es fragt sich immer wieder, ob es auch richtig war, so weit im Osten südwärts zu gehen. Was soll unter diesen Umständen aus unseren Kohlenvorräten werden? Während der letzten Tage sind wir nach Osten abgedrängt worden. Ist das die normale Stromrichtung hier oder die Wirkung vorherrschender Westwinde? Vielleicht ist diese Tatsache für den Zeitpunkt unserer Befreiung von größter Wichtigkeit. Jedenfalls aber ist nichts nervenaufregender und anspannender als dieser stündliche Wechsel aller Möglichkeiten.

Einstweilen können wir nicht vorwärts und nicht rückwärts, und die großen Eisfelder scheinen sich aneinanderschließen zu wollen. Geduld! Inzwischen können wir Lotungen und manche biologische Arbeit ausführen.

Mittwoch, 14. Dezember. Vom »Krähennest« (der Ausgucktonne) aus ist an mehreren Seiten offenes Wasser zu sehen, im Übrigen aber ist die Szene unverändert: ödes, hügeliges Packeis. Das Schiff dreht sich mit dem Wind und die Eisfelder ringsum sind in ständiger Bewegung; sie wechseln ihre Lage in langsamer, verstohlener, schleichender Weise. Die Lufttemperatur ist 2 Grad Celsius über null, die des Wassers ungefähr 1 Grad unter null.

Das Packeis ist in der Regel ein sonnenloser Ort; nach einigen Stunden Sonnenschein gestern Morgen bewölkte sich der Himmel und es schneite trostlos. In solchen Stunden vergegenwärtigt man sich die entsetzliche Eintönigkeit langer Gefangenschaft im Packeis, wie Nansen und andere sie kennengelernt haben, und die Fantasie dehnt solche Tage zu endlosen Monaten und Jahren aus. Heute aber haben wir prächtigsten Sonnenschein, und wir waren alle mit Schneeschuhen auf dem Eisfeld, an dem wir uns heute Morgen verankerten. Es war so heiß, dass ein Kleidungsstück nach dem anderen abgelegt wurde und Oates und Atkinson einige Zeit nackt bis zum Gürtel umherliefen.

Wenn unsere Gefangenschaft nicht zu lange dauert, ist sie uns ganz willkommen; sie übt uns in der Anwendung unserer Tiefseeausrüstung und wir brennen alle darauf, von dem Norweger Gran Schneeschuhlaufen zu lernen. Von Ungeduld ist daher noch nichts zu spüren. Die Dünung ist heute bedeutend stärker geworden, aber aus welcher Richtung sie kommt, ist unbestimmt.

Donnerstag, 15. Dezember. Meares brachte heute zweimal sieben Hunde mit einem Schlitten auf das Eis, und zwar die, die am schlechtesten aussahen. Sie atmeten schwer und es ist ganz unverständlich, wie sie so fett werden konnten, denn sie bekommen täglich höchstens zweieinhalb Hundekuchen.

Wir treiben beständig nordwärts, was recht ärgerlich ist, aber doch wenigstens nicht nach Osten. Unsere Beobachtungen ergaben bisher, dass die Eisfelder bei Nordwest- und Westwind sich zusammendrängen und bei Windstille auseinandergehen. Wir hoffen nun, dass sie sich bei Ost- oder Südostwind öffnen werden. Rennick lotete heute 3370 Meter Tiefe.

Sonnabend, 17. Dezember. Gestern Morgen setzte der Wind aus Nordosten ein und brachte Schnee, leichten Hagel und Regen, der bis heute Morgen währte. Es ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich jenseits des Südpolarkreises Regen erlebe. Das Eisfeld, auf dem wir Schneeschuh liefen, hat sich zerteilt; wir zogen daher gestern die Eisanker wieder ein, und mithilfe der Segel drängte sich das Schiff langsam durch die umfangreichen Eisfelder. Im Ganzen kamen wir etwa 6 Kilometer vorwärts, mussten aber schließlich wieder an einem ungeheueren Eisfeld anlegen, wo das Schiff unter Segel nicht durchkam, und heute haben wir uns den ganzen Tag kaum von der Stelle gerührt. Aber Eisberge, die uns im Lauf der Woche schon alte Freunde wurden, setzen sich in Bewegung; einer hat sich genähert und uns fast umkreist. Sie bewegen sich sehr unregelmäßig, müssen aber, genauso wie wir, in den letzten zwei Tagen etwas ostwärts gewandert sein.

Sonntag, 18. Dezember. Was ist das doch für ein aufregendes Spiel! Nichts lässt sich für eine halbe, ja für eine Viertelstunde voraussagen! Eben sieht noch alles günstig aus – im nächsten Augenblick schon möchte man wieder verzweifeln!

Um 3 Uhr früh wurde gemeldet, dass das Eis auseinandergehe, und daraufhin sofort angeheizt. Anfangs sah es schlimm aus, es dauerte mehr als eine halbe Stunde, ehe wir in Gang kamen, um uns nach einem großen Eisfeld hinzuarbeiten, das das Schiff unter Dampf voraussichtlich zerbrechen konnte. Dann aber weigerte es sich zu meinem Entsetzen, den Kampf mit dem Eisfeld aufzunehmen, und wir mussten unter endlosen Schwierigkeiten eine Rinne aufsuchen, die das Feld durchsetzte. Ein neues Feld stellte sich uns entgegen, es wurde umfahren und nun waren wir von 6 Uhr an ziemlich imstande, unseren Kurs zu halten. Um 8 Uhr erreichten wir sogar eine lange Durchfahrt offenen Wassers und frohlockten schon, aber dann stießen wir wieder auf mächtiges Buchteis. Unzweifelhaft verursacht dieses Buchteis die offenen Rinnen.

Schneeböen sind in Pausen vorübergezogen, der Wind bleibt nordwestlich und es ist verhältnismäßig warm. Heute Abend sahen wir den ersten Kaiserpinguin.

Montag, 19. Dezember. In der Nacht drängten wir uns durch einige der ungeheuersten Eisfelder, die ich je gesehen habe. Die Presseisrücken überragten die Oberfläche um 7 Meter, das Eis musste also mindestens 9 Meter in die Tiefe gehen, und die Stöße, die wir erhielten, machten den Eindruck unwiderstehlicher Festigkeit. Später kamen wir in lange Wasserkanäle und dünnes loses Packeis und machten Fortschritte. Aber der Ausblick heute Morgen ist der schlimmste, den wir bisher hatten. Ringsum mächtiges, aufgepresstes Packeis, so weit das Auge reicht, und überall gleich beunruhigend! Dabei fürchte ich, dass wir unser Steuer überanstrengt haben; nach einer Richtung hin funktioniert es nicht mehr! Wohl oder übel habe ich mich jetzt entschlossen, nach Westen vorzudringen – bloß heraus aus diesen fürchterlichen Eisfeldern! Es ist wirklich Pech!

Mittags. 67° 54 ½’ südlicher Breite, 178° 28’ westlicher Länge. Schon wieder alles verändert! Ich weiß nicht, ob zum Guten oder Bösen! Das alte Eis ist weniger geworden, aber die Jungeisfelder, die ohne Zweifel alte Schollen umschließen, sind ungeheuer an Umfang gewachsen. Eines, das wir gerade passiert haben, muss fast 2 Kilometer breit sein; also ist die Dünung gleich null und das offene Wasser sehr fern!

Nachmittags 5 Uhr 30. Wir fuhren an zwei ungeheueren Eisbergen vorüber, die lange Furchen offenen Wassers im Packeis hinterließen. Durch diese Furchen kamen wir mit fast 6 Kilometer Geschwindigkeit vorwärts, aber leider nach Südosten, und mit schwerem Herzen beobachtete ich das Anwachsen der Eisfelder auf beiden Seiten unserer Kanäle zu riesigen Dimensionen. Nur eins überraschte mich angenehm: Sie nahmen an Dicke ab. Gegen ½ 5 Uhr kamen wir an einem halben Dutzend tafelförmiger Eisberge von 5 bis 6 Metern Höhe vorüber.

 

Jenseits dieser Berge, wurde dann gemeldet, gäbe es kein offenes Wasser mehr! Was nun? Mich packte die heftigste Unruhe. Ich sah uns schon auf endlose Wochen im Eis gefangen und nordwärts treiben und schließlich in weit vorgeschrittener Jahreszeit erst wieder frei werden. Umso erfreulicher war dann der Kontrast dieser trübseligen Vorstellungen mit der Wirklichkeit. Das Eis ringsumher erwies sich als kaum einen Meter dick, Wassertümpel standen darauf und allenthalben öffneten sich Durchfahrten mit leichtem und losem Packeis. Welch eine Erleichterung! Es schien uns fast wie eine Erlösung aus langer, grauenhafter Gefangenschaft. Evans riet zweimal dringend haltzumachen, und dreimal schwankte ich selbst! Welch ein Glück, dass ich mich nicht habe umstimmen lassen! Wenigstens liegt jetzt wieder eine gewaltige Fläche gefügigen Eises hinter uns!

Wir sahen heute Morgen einen jungen Kaiserpinguin; als wir ihn zu fangen versuchten, tauchte ein Walfisch mit einer über einen Meter hohen, säbelförmigen Rückenflosse dicht neben dem Schiff auf; Wilson hält ihn für eine neue Art. Am Abend sahen wir zwei Seeleoparden; der eine machte kurze, lässige Tauchversuche unter den Eisfeldern und hatte schöne schlängelnde Bewegungen. Ein hübscher Anblick ist es auch, wenn die Schneesturmschwalbe und der Eissturmvogel in ihrer geduckten Haltung auf umgeschlagenen, überfluteten Schollen tauchen.

Dienstag, 22. Dezember. Wir scheinen uns wieder in Geduld üben zu müssen. Das Eis hat sich abermals geschlossen und wir haben das Feuer ausgehen lassen müssen! Die Anzeichen von Pressungen haben sich wieder vermehrt. Eisberge waren die vorige Nacht nur wenige sichtbar, aber heute erscheinen sie wieder. Der Wind weht aus Westsüdwest mit Stärke 6; wenn er sich legt, wird sich das Eis wohl wieder öffnen!

Mittwoch, 21. Dezember. Wilson ging über das Eisfeld, um einige Pinguine zu fangen. Er legte sich der Länge nach auf den Boden und begann zu singen, worauf die Tiere eilig auf ihn zuwatschelten; aber sobald er aufhörte, machten sie sich wieder davon. Es waren lauter einjährige Vögel, deren unüberwindliche Neugierde stark mit Furcht gemischt war. Gesang übt auf sie die größte Anziehungskraft aus; Meares mit seiner vollen, wohlklingenden Stimme lockt sie am besten. Wenn er sein »Gott erhalte unseren König« anstimmt, stürzen sie sich fast regelmäßig ins Wasser.

Ponting hat wunderschöne Fotografien aufgenommen und Wilson ebenso entzückende Bilder des Packeises und der Eisberge gemalt. Auch von den Übrigen entpuppen sich Day, Taylor, Debenham und Wright als talentvolle Zeichner.

Donnerstag, 22. Dezember. Die Glücksgöttin scheint uns jede Art Hindernis in den Weg legen zu wollen. Alles ist unverändert, nur haben wir das Feuer ausgehen lassen, obgleich sich Eisberge dem Schiff nähern. Aber wir müssen es darauf ankommen lassen, wie wir ihnen entwischen, wir dürfen keine Kohlen mehr vergeuden. Auch mit den Ponys geht es beständig bergab.

Freitag, 23. Dezember. Gestern Abend gegen 10 Uhr wurde der Wind gelinder, und das Schiff drehte sich um seinen Anker. Die Segel wurden auf dem Fockmast gesetzt, und wir drangen ein paar Hundert Meter nordwärts vor, aber dann war es wieder aus.

Heute Morgen sah ich einen von Wilsons neuen Walfischen von etwa 8 oder 10 Metern Länge. Adeliepinguine begegnen uns in Scharen von zwanzig und mehr; ich erinnere mich nicht, im Packeis je so viele beisammen gesehen zu haben.

Sonntag, 25. Dezember, Weihnachten. 69° 5’ südlicher Breite, 178° 30’ westlicher Länge. Es ist etwas allzu weihnachtlich um uns. Eis umgibt uns, niedrige Regenwolken verdunkeln den Himmel und streuen von Zeit zu Zeit leichte Schneeflocken hernieder. Hier und dort bilden kleine Tümpel offenen Wassers schwarze Schatten, aber leider herrscht dieses Schwarz nur in der Richtung vor, aus der wir gekommen sind, sonst leuchtet überallhin eine einzige weiße Nebelfläche. Wir sind regelrecht gefangen und können weder unter Segel noch unter Dampf einen Schritt vorwärts. Wieder heißt es Geduld und abermals Geduld! Doch sind wir hier wenigstens in ziemlicher Sicherheit. Das Eis ist so dünn, dass sein Pressen uns nichts anhaben kann, und Eisberge sind nur in weiter Ferne zu sehen. Meine feste Absicht war, westwärts zu gehen, weil auf dieser Seite die meisten Durchfahrten liegen, und nie ist ein Schiff in eine so schlimme Lage geraten wie das unsrige. Soll ich nun versuchen, mich ostwärts zu wenden? Es wird wohl nichts anderes übrig bleiben.

Trotz unserer traurigen Lage ist an Bord alles heiter. Die Offiziersmesse ist zur Feier des Weihnachtstages mit bunten Fahnen geschmückt, und heute Morgen war allgemeiner Gottesdienst, wobei die Kirchenlieder kräftig über das Eis schallten. Unser festliches Abendessen bestand aus Tomatensuppe, gedämpfter Pinguinbrust als Vorgericht, Rinderbraten, Plumpudding, kleinen Pasteten, Spargel, dazu Champagner, Portwein und Liköre, ein wahres Festmenü. Fünf Stunden lang hat die Gesellschaft unter fröhlichen Gesängen bei der Tafel gesessen. Die Mannschaft hatte ihr Festmahl mit ungefähr den gleichen Speisen um Mittag, aber mit Bier und etwas Whisky, und sie schien ebenfalls sehr vergnügt dabei zu sein.

Auf dem Eisfeld dicht neben dem Schiff hausen drei Gruppen Pinguine, im Ganzen neununddreißig Vögel; sie müssen daher im Packeis genügend Nahrung finden. Heute Abend beobachtete ich, wie sich eine Skuamöwe auf den Rand einer Scholle niedersetzte, wo verschiedene Pinguine sich zur Nachtruhe vorbereiteten. Zwischen diesen begann eine lärmende Konferenz, deren Gegenstand offenbar die Möwe war, und endlich fassten sie sich ein Herz und rückten in geschlossener Phalanx auf sie los. Ein paar Schritte von ihr entfernt machte der vorderste Pinguin kehrt, und so sehr die anderen auch nachdrängten, scheute sich immer wieder der vorderste, als Erster an den Feind heranzukommen. Die Möwe saß auf einem Eisblock und tat sehr gleichgültig. Als schließlich die Pinguine sich immer näher herandrängelten, flatterte sie ein paar Meter weiter auf die andere Seite der angreifenden Schar. Diese drehte sich nun um und wiederholte ihre frühere Taktik, bis die Skua schließlich endgültig fortflog. Es war wirklich hochinteressant, die schüchternen Protestbewegungen der Pinguine zu beobachten.

Auf der anderen Seite des Schiffes zankten sich mehrere Pinguine um den Besitz eines kleinen Eisblocks, der noch dazu einen sehr unsicheren Sitzplatz bot. Es war ungemein unterhaltend, wie jeder Vogel sich aufs Äußerste anstrengte, um sich den Platz zu sichern, der eine den anderen fortstieß und der glückliche Sieger, sobald er den Gipfel seines Ehrgeizes erreicht hatte, sofort wieder das Gleichgewicht verlor und der Kampf aufs Neue begann.

Mittwoch, 28. Dezember. Wir haben gestern und heute einige Kilometer gewonnen und das Packeis scheint sich wirklich beträchtlich gelockert zu haben. Selbst das dicke Eis scheint zu brechen. Wir können unmöglich von der Südgrenze des Packeises noch weit entfernt sein, ich habe deshalb befohlen anzuheizen.

Gestern Abend stürzte ein Pony und ich ließ das Tier heute ins Freie bringen. Es ist in traurigster Verfassung, sehr mager, sehr schwach auf den Hinterbeinen und leidet an einer lästigen Hautkrankheit, durch die es die Haare in großen Mengen verliert. Ein paar Tage in frischer Luft werden ihm guttun, und solange wir noch im Packeis sind und das Schiff infolgedessen nicht schwankt, wäre das offene Deck ein gewisser Spielraum zur Bewegung der Tiere. Ihre Erhaltung ist jetzt genauso wichtig wie der Kohlenverbrauch.

Heute Morgen tauchten um das Schiff herum und unter ihm eine Anzahl Pinguine. Es ist das erste Mal, dass sie so dicht herankamen; die Bewegungslosigkeit der Schraube hat sie kühn gemacht. Der Adeliepinguin ist gar zu drollig, ob er nun schläft, zankt oder spielt, ob er neugierig, erschrocken oder böse ist; aber im Wasser ist er etwas ganz anderes; wenn er in drei, vier Metern Tiefe unter dem Wasser pfeilschnell umherschießt, sich wie ein Delfin in die Luft schnellt und leicht über die gekräuselte Fläche einer Wasserrinne hinschwimmt, erregt er ausschließlich Bewunderung. Seine Geschwindigkeit wird vermutlich überschätzt, aber seine Geschicklichkeit im Drehen und Wenden und seine vollkommene Herrschaft über alle seine Bewegungen sind ebenso schön wie erstaunlich.

Blickt man über die öden Strecken des Packeises hin, so kann man sich schwer vergegenwärtigen, wie viel fruchtbares Leben unmittelbar unter seiner Oberfläche existiert. Ein Schleppnetz füllt sich in kurzer Zeit mit Diatomeen, woraus hervorgeht, dass das schwimmende Pflanzenleben hier viel reicher ist als in den Meeren der gemäßigten oder der tropischen Zone. Meist bestehen diese Algen aus drei oder vier bekannten Arten. Von diesen leben wieder Tausende kleiner Krebse (Euphausia), die am Rande jedes Eisfeldes schwimmen und von den umgekippten Schollen heruntergespült werden. Diese Krebse sind wieder die Nahrung der Krabbenfresser-Seehunde, Pinguine, Eissturmvögel und Schneesturmschwalben und einer Unzahl großer und kleiner Fische. Auch diese Fische müssen sehr zahlreich sein; wir fingen einen auf einer umgekippten Scholle, und als vor zwei Tagen mehrere Matrosen am Heck des Schiffes lehnten, schrien sie plötzlich alle auf: Sie hatten ein halbes Dutzend oder mehr Fische von etwa 30 Zentimeter Länge gesehen, die unter einem Eisfeld verschwanden. Diese Fische werden von Robben und Pinguinen, aber auch von Raubmöwen und Sturmvögeln gefangen.

Und dann die größeren Säugetiere. Da ist zunächst der lange, geschmeidige Seeleopard, der ohne Zweifel einen Pinguin oder zwei und vielleicht sogar einen jungen Krabbenfresser-Seehund im Magen hat, denn er ist mit fürchterlichen Reißzähnen bewaffnet. Der gefräßige Schwertwal (Orca gladiator), der jedes kleinere Tier verschlingt, zeigt sich weniger häufig im Packeis, sondern ist an den Küsten stark verbreitet. Überaus zahlreich sind aber hier draußen die anderen Wale, vom Riesenwal (Balaenoptera Sibbaldi), dem größten Säugetier der Welt, bis zu dem kleineren Schnabelwal und anderen Arten. Wenn man diese riesigen Tiere umherschwimmen sieht, kann man sich vergegenwärtigen, welche Unmasse Nahrungsmittel zu ihrer Erhaltung erforderlich ist und wie ungeheuer groß daher in diesem Meer der Vorrat an kleinen Seetieren sein muss. So tobt unter den riesigen Eisfeldern und in den Wasserflächen unaufhörlich der alte Kampf ums Dasein.

Abends 10 Uhr. Wir fuhren um 8 Uhr los; bis jetzt scheint noch alles gut zu gehen. Das Eis ist verhältnismäßig dünn, die Eisfelder höchstens einen Meter dick, die hügeligen Stellen natürlich ausgenommen. Zwischen ihnen liegen Eisschichten, die nur 15 bis 30 Zentimeter dick sind, und auch zahlreiche Wasserlöcher. Wenn das Schiff auch oft durch dickere Schollen zum Stillstand gebracht wird, legt es doch etwa 6 Kilometer in der Stunde zurück. Der Himmel ist bewölkt und es weht aus Nordnordwest, beides ein Vorteil für uns, da die Segel mithelfen können und der Offizier auf Wache leichter beobachten kann, wenn ihm die Sonne nicht in die Augen scheint. Während ich dies schreibe, sieht das Packeis etwas loser aus. Wenn es sich nur nicht wieder zusammenschließt – nach Süden hin ist leider kein Zeichen offenen Wassers zu sehen!

Donnerstag, 29. Dezember. Endlich ist der lang ersehnte Umschwung eingetreten! Wir dampfen zwischen Eisfeldern von geringem Umfang, die augenscheinlich infolge der Dünung geborsten sind und deren Ränder sich durch Reibung abgeschliffen haben. Der Übergang vollzog sich urplötzlich. Einmal hatten wir in der Nacht eine Stunde lang gar kein Eis, sodass wir trefflich vorwärtskamen. Heute Morgen durchbrachen wir große, zusammenhängende Eisfelder und jetzt werden die Eisschichten immer dünner. Sie sind in ziemlich regelmäßige Figuren zerborsten, von denen keine mehr als 30 Meter Durchmesser hat – der beste Beweis für die Nähe offenen Wassers. Der Wind bleibt nördlich und hilft uns vorwärts, der Himmel ist bewölkt, und leichter Graupelregen fällt; die Sonne versuchte ein- oder zweimal vergeblich, die Wolken zu durchbrechen. In der letzten Nacht hatten wir Glatteis; das Schiff war überall, auf jeder Planke und auf jedem Tau, von einer dünnen Eisschicht überzogen infolge des gefrierenden Regens.

Es ist kein Zweifel mehr: Unsere Gefangenschaft geht zu Ende! Alles in allem haben wir zwanzig Tage und einige Stunden gebraucht, um durch das Packeis hindurchzukommen, und in gerader Linie mehr als 680 Kilometer zurückgelegt, 34 Kilometer am Tag. Aber wir haben auch 61 Tonnen Kohlen verbraucht, um uns diesen Weg zu bahnen, also auf 11 Kilometern durchschnittlich eine Tonne. Von zwanzig Tagen waren wir neun unter Dampf. Diese Zahlen sind nicht gerade sehr günstig, aber wenn man die außergewöhnlichen Verhältnisse erwägt, in die wir hineingeraten sind, darf man wohl sagen, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können.