Scarlett und der Lord

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Kapitel 2

Am Samstag schien die Sonne. Scarlett stand in ihrem Zimmer vor dem Spiegel und begutachtete sich. Sie hatte eine weiße Jeans und die neue Bluse mit den Blümchen angezogen. Sie ging hinunter in den Salon. Gloria hatte ihren Mittagsschlaf um eine halbe Stunde verkürzt. Der Tisch war mit dem Sonntagsporzellan gedeckt. Kuchen und kleine Törtchen standen bereit. Den Tee brühte Jenny frisch auf, wenn der Gast eingetroffen war.

Die Türglocke läutete. Scarlett war nervös. Jeden Moment würde der Lord vor ihr stehen. Sie bat Jenny zu öffnen und setzte sich mit Grandma auf das Sofa. Stimmen kamen näher. Die Tür ging auf. »Treten Sie ein, Lord Sinclair«, forderte Jenny den Mann auf. Er stand vor Ihnen, groß, muskulös, braungebrannt, mit grauer Hose und dunkelblauem Hemd, die Ärmel leicht hochgekrempelt. Seine dunklen Augen ruhten für Sekunden auf Scarlett.

»Philipp, wie schön, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Das ist meine Enkelin, Scarlett Södermann.«

»Ich habe zu danken, meine liebe Gloria. Wie geht es Ihnen?« Er griff nach ihrer Hand und hauchte einen Kuss darauf.

»Danke, Philipp, erstaunlich gut.«

Scarlett begrüßte er, indem er ihr zunickte. »Freut mich, Sie kennenzulernen«, brachte er charmant hervor, mit angenehm tiefer Stimme.

Ein bisschen zu theatralisch, aber ein erotischer Mann, fand Scarlett und antwortete: »Wir hätten uns früher kennengelernt, wenn Sie nicht mit geschlossenen Augen herumspazierten.«

»Ich verstehe nicht?«, sagte er und runzelte die Stirn.

»Das erste Mal sind Sie mit Ihrem Pferd an mir vorbeigeritten, als wäre ich durchsichtig. Das zweite Mal konnte ich verhindern, dass sie mich auf der Treppe zur Stadt umgerannt hätten.«

»Ach, das waren Sie? Das konnte ich nicht ahnen. Tut mir leid. Im Allgemeinen pflege ich keine Kommunikation mit Fremden.« Er lachte, aber es klang künstlich.

»Nehmen Sie meiner Enkelin den Angriff nicht übel. »Sie sagt, ohne Umschweife, was sie denkt«, ließ sich ihre Grandma vernehmen.

»So bin ich. Ich gedenke nicht, mich zu ändern«, gab Scarlett trotzig von sich. Sie sah, dass er grinste.

Jenny brachte den Tee.

»Gehen wir zum gemütlichen Teil über. »Scarlett, gießt du bitte Tee ein.«

Scarlett lächelte, füllte die Tassen und reichte Gebäck. »Kann ich mir bei Ihnen ein Pferd leihen, zum Ausreiten?«

»Können Sie mit Pferden umgehen?«, fragte der Lord.

»Wer ausreitet, kennt sich auch mit Pferden aus.«

»Das stimmt. Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte er. »Wir unternehmen einen gemeinsamen Ausritt. Ich zeige Ihnen die schönsten Reitwege, mit fantastischen Ausblicken. Was halten Sie davon?«

»Wären Sie beleidigt, wenn ich alleine ausreite?«, fragte Scarlett.

»Wie es Ihnen beliebt, Miss Södermann.«

»Der erste Ausritt gehört dem Pferd und mir«, sagte sie.

»Verstehe«, entgegnete der Lord. »Das schafft Vertrauen zwischen Ihnen und dem Tier.«

Scarlett nickte. »Das wäre schön. Es soll nicht der einzige Ausritt bleiben.«

»Warum tragen Sie nicht den Namen von Lady Gloria?« Fragend zog er die linke Braue nach oben.

Bevor Scarlett antworten konnte, schaltete sich ihre Grandma ein.

»Meine Enkelin ist eine echte Montgomery, das kann ich Ihnen versichern, Philipp. Als mein Sohn vor siebenundzwanzig Jahren, bei einem Urlaub in Deutschland, Scarletts Mutter kennengelernt hatte, gab es für ihn kein Zurück mehr. Sie heirateten, mein Sohn nahm den Namen seiner Frau an, und sie eröffneten eine winzige Gaststätte, die sie Jahr um Jahr vergrößerten.«

Lord Sinclair nickte. »Ich wusste nicht, dass er seinen Namen geändert hatte.«

»Ich glaubte, es erwähnt zu haben«, sagte Gloria.

Sie plauderten über Dies und Das, bis sich der Lord verabschiedete. »Vielen Dank, für den unterhaltsamen Nachmittag, Gloria. Auch Ihnen meinen Dank, Miss …?«

»Sagen Sie Scarlett zu mir.«

Dann bis Morgen, Miss Scarlett. Auf Wiedersehen, die Damen«, verabschiedete er sich höflich.

»Was sagst du zu ihm?« Gloria grinste.

»Mal sehen, er ist zumindest kein Langweiler.« Scarlett zwinkerte Ihrer Grandma zu.

Wie an jedem Morgen half Scarlett ihrer Grandma beim Ankleiden. Nach einem kleinen Frühstück verabschiedete sie sich. »Ich bin in zwei Stunden zurück«, sagte sie.

»Viel Spaß, du Wirbelwind.«

»Danke.«

Sie fuhr die drei Kilometer bis zum Gut Sinclair mit Grandmas Wagen, einem silbergrauen Range Rover. Seit sie krank war, stand er in der Garage. Toller Wagen, dachte sie. Wenig später sah sie das Gut vor sich. Es war von einem Zaun umgeben, das Tor stand offen. Langsam ließ sie den Wagen hineingleiten. Vor einem imposanten Herrenhaus blieb sie stehen. Lord Sinclair kam auf sie zu. »Guten Morgen. Kommen Sie, ich habe Ihnen eine Reithose und Stiefel zurecht gelegt.« Er öffnete die Haustür und bat sie einzutreten. »Zum Umkleiden gehen Sie links in den kleinen Salon«, bemerkte er liebenswürdig.

Scarlett war sprachlos über dieses prachtvolle Gebäude, in weißen Sandstein gebaut. Es sah aus, wie ein Schloss. Als sie aus dem Haus trat, stand er wartend davor. »Ich bin beeindruckt von Ihrem Outfit, steht Ihnen gut. Hinten am Ende der Halle wartet Fee auf sie. Ein liebes, ruhiges Pferd, das sich wunderbar anpasst. Halten Sie die Zügel locker, Fee führt Sie auf den Weg, der ihr bekannt ist. Viel Vergnügen«, wünschte Lord Sinclair.

Scarlett schritt zügig auf das Pferd zu. Es stand gesattelt bereit. Der Stallbursche half ihr beim Aufsteigen. Sie streichelte die Nüstern des Tieres, drückte leicht ihre Schenkel an seinen Körper. Sie trabten zum Tor hinaus auf einen Pfad, der zum Strand führte. Scarlett war begeistert von Fee, einem einfühlsamen Tier, das auf die kleinste Berührung reagierte. Am Strand legte sie einen Galopp ein, pausierte eine Weile im warmen Sand um anschließend gemütlich zurück zu traben. Das Wetter war traumhaft, sonnig und warm. Auf dem Hof übergab sie die Zügel dem Pferdepfleger und ging zu ihrem Wagen. Sie sah Philipp auf das Gut fahren. Neben ihr hielt er an und stieg aus. »Habe ich Ihnen zu viel versprochen?«

Scarlett schüttelte lachend den Kopf. »Ein herrliches Tier. Darf ich morgen wiederkommen?«

»Sie können kommen, wann Sie wollen. Behalten Sie die Reitbekleidung so lange Sie sie brauchen«, entgegnete der Lord.

»Danke, das ist nett von Ihnen, Lord Sinclair.«

»Moment, Miss Scarlett. Ich wiederhole hiermit meinen Vorschlag, morgen gemeinsam mit Ihnen auszureiten.«

»Einverstanden. Ich komme gegen zehn Uhr«, versprach sie.

Das Mittagessen stand bereit, als sie ankam. Jenny servierte leckere Bratkartoffel, mit Fleischstücke überbacken.

»Wie findest du unseren merkwürdigen Lord?«, fragte Gloria.

»Er ist nett. Ich bin ihm kurz begegnet. Der Ausritt mit dem Pferd war erlebnisreich. Werde ihn morgen wiederholen. Ein tolles Tier.«

»Das freut mich für dich. Ein bisschen Abwechslung schadet nicht.«

»Phillip hat darum gebeten, mich zu begleiten. Dein Wagen ist eine Wucht, Grandma«, schwärmte Scarlett, um einer Frage auszuweichen.

»Da bin ich deiner Meinung. Ob ich nach der Krankheit damit fahren werde, weiß ich nicht. Ich behalte ihn für Gäste, und wenn es sein muss, lasse ich mich chauffieren.« Sie lachte.

Jenny räumte ab. »Wie hat es geschmeckt?«

»Danke, gut«, beteuerte Gloria.

»Ich stimme Grandma zu. War lecker«, bestätigte Scarlett.

»Ich bummele ein wenig durch die Ortschaften. Darf ich deinen Wagen nochmal benutzen? Morgen soll es regnen. Du machst ohnehin deinen Mittagsschlaf, Grandma. Du kannst aber mitkommen.«

»Das lass ich mal bleiben. Ein anderes Mal gerne. Ein bisschen Ruhe kann ich vertragen, Kind. Du musst nicht fragen, wenn du den Wagen brauchst, nimm ihn dir. Wir sehen uns zum Tee oder früher. Du kannst mich jederzeit stören. Viel Spaß, fahre langsam und denke an den Linksverkehr.«

»Mach ich, Grandma.«

Es war ein trüber Tag, Dunst waberte über den Feldern und dem Meer. Philipp stand am Tor, als sie ankam. In seiner Reitbekleidung machte er eine gute Figur.

»Guten Morgen, wie schön, dass Sie pünktlich sind. Ich warte nicht gerne«, sagte er.

»Da sind wir uns einig. Mir geht es genauso.«

»Ich stelle fest, wir haben vieles gemeinsam.« Er lächelte verschmitzt.

»Wenn Sie das sagen, Lord Sinclair.«

»Für Sie Philipp.«

»Es ist mir eine Ehre«, entgegnete sie.

»Gehen wir zu den Pferden, sie stehen bereit«, bat der Lord.

Minuten später saßen sie im Sattel und trabten davon.

»Ich sehe, Sie kommen gut zurecht«, äußerte sich Philipp.

»Kein Wunder, ich reite zuhause regelmäßig. Mein Vater hatte es mir als Kind beigebracht.«

»Eine echte Montgomery«, lachte er.

»Scarlett gab ihrer Schimmelstute Fee die Sporen. Philipp folgte. Es ging über Wiesen und Felder hinunter zum Strand. Dort verlangsamten sie und überließen den Pferden das Tempo.

»Ich bin beeindruckt«, bemerkte Philipp. »Sie reiten ausgezeichnet.«

»Danke. Wie lange existiert das Gut?«, fragte Scarlett.

»Seit 1880, mehr als vier Generationen lebten hier. Ich kann es bis zu meinem Urgroßvater zurückverfolgen. Früher betrieben die Sinclairs Landwirtschaft. Ich habe ein Pferdegut, mit Züchtungen verschiedener Rassen, erschaffen«, erklärte Philipp. »Demnächst veranstalten wir ein großes Fest. Für zwei meiner Pferde habe ich einen Pokal erhalten. Das feiern wir. Sie kommen doch, oder?«

»Wenn Sie mich einladen.«

 

»Das tue ich hiermit. Schriftliche Einladungen verschicke ich rechtzeitig.«

Die Pferde blieben stehen.

»Steigen wir einen Moment ab und genießen den Blick auf das Meer«, schlug Philipp vor. Der Nebel hatte sich gelichtet. Von weitem konnten sie die Bucht erkennen und eine Reihe kleiner Cottages.

»Es ist schön hier«, schwärmte Scarlett. Sie schwiegen eine Weile, bis sie sagte: »Reiten wir zurück, ich will Grandma nicht zu lange alleine lassen.«

Philipp nickte und trat auf sie zu. Seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht und sie sah das Blitzen in ihnen. Sie schenkte ihm ein Lächeln, das ihn ermutigte, sie in die Arme zu ziehen und zu küssen. Scarlett, davon überrascht, riss sich von ihm los. »Du bist verrückt!«, fuhr es aus ihr heraus. Sie stieg auf das Pferd und gab ihm die Sporen. Ihre rotblonden Haare flatternden im Wind. Er heftete sich an ihre Seite und rief: »Scarlett, bitte verzeih mir, das war zu heftig, zu überstürzt. Du bringst mich in Rage. Ich mag dich. Ich frage dich das nächste Mal vorher um Erlaubnis.«

Sie musste lächeln, wenn sie daran dachte, wie er sie anflehte: ›Bitte, darf ich dich küssen?‹ Irre. »Vergessen wir das. Ich nehme deine Entschuldigung an. Jetzt lass uns nach Hause reiten«, rief sie ihm zu.

Auf dem Gut angekommen, nahm ein Pfleger die Pferde entgegen, um sie abzureiben.

»Danke, für den Ausritt, Philipp«, verabschiedete sie sich.

»Bitte, sei mir nicht böse«, brachte er reumütig heraus.

Er sah sie an, mit einem verzweifelten Blick.

»Ich bin dir nicht böse, du hast mich erschreckt. Für ein schnelles Vergnügen zwischendurch bin ich nicht geeignet.«

»Es ist nicht, wie du denkst«, stotterte Philipp.

Scarlett sah ihm an, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass sie so heftig reagierte. Sie stieg in den Wagen, winkte und brauste davon. Ein erstaunlicher, erotischer Mann, das musste Sie sich eingestehen. Aber er hatte es, für ihren Geschmack, zu eilig.

Kapitel 3

Die Sonne schien und Scarlett summte fröhlich vor sich hin. Sie fuhr gemütlich durch die Dörfer, an reetgedeckten Cottages vorbei. Bewunderte die aus grauem Granit gebauten kleinen Häuser. An einem gemütlichen Restaurant parkte sie und bestellte sich einen Becher Eis. Nach einem Spaziergang lenkte sie den Range Rover zurück nach Fowey, in Richtung Hafen. Sie genoss den Blick auf das Meer, die Boote, die kreischenden Möwen. An einer Tafel las sie, dass im August eine Royal Regatta-Woche stattfand. Das würde sie interessieren. Sie fuhr nach Hause, stellte den Wagen in die Garage, und besuchte Jenny in der Küche. »Hallo, ich brauche was zum Trinken, das Eis hat meinen Durst nicht gelöscht.«

Jenny reichte ihr ein Glas Orangensaft. »Ihre Grandma sitzt im Salon. Der Mittagsschlaf fiel heute kurz aus. Dr. Miller hat sich angemeldet.«

»Sie mag ihn«, sagte Scarlett.

»Jenny seufzte. »Wer mag ihn nicht?«

Hallo, Grandma«, grüßte die Enkelin, als sie in den Salon trat.

»Hallo, Liebes, schön, dass du kommst.«

»Hat dich der Doktor um deinen Mittagsschlaf betrogen?«, fragte Scarlett.

»Soll ich Dr. Miller im Bett empfangen?« Sie lachte. »Er wird gleich eintreffen.«

»Philipp wird demnächst ein Fest ausrichten, um seine Rassepferde zu ehren. Er schickt eine Einladung.«

Gloria nickte. »Er hatte es erwähnt. Ich werde nicht daran teilnehmen, in meiner Situation. Es kommen viele Leute und es wird turbulent. Dem bin ich nicht gewachsen«, gestand sie. »Aber Dr. Miller ist sicher eingeladen. Ich werde ihn bitten, dich zu begleiten.«

»Hältst du das für notwendig, Grandma?«

»Du kennst niemand von den Gästen. Da ist es vorteilhafter, wenn du nicht alleine hingehst.«

Sie nickte und dachte ironisch: Ob das Phillip gefällt?

»Wir können ihn gleich fragen«, bestimmte Grandma.

Scarlett hatte nicht zugehört. »Wen?«

»Dr. Miller. Träumst du, Liebes?«

»Entschuldige, Grandma, ich war in Gedanken bei dem Fest.«

»Du bist anders. Ist was vorgefallen?«, fragte Grandma kopfschüttelnd.

»Nicht, das ich wüsste.«

Sie hörten die Türglocke.

»Er ist pünktlich.« Gloria lächelte.

»Gehen Sie in den Salon, die Damen erwarten Sie«, hörten sie Jenny sagen.

Es klopfte. »Kommen Sie herein!«, rief Gloria.

Dr. Miller begrüßte sie freundlich und sagte: »Ich sehe es Ihnen an, Lady Gloria, Sie fühlen sich topfit.«

»Richtig getippt, Doktor. Es geht mir Tag für Tag besser.«

»Das höre ich gerne. Es genügt, wenn ich jede zweite Woche zu Ihnen komme. Nicht mehr lange und Sie werden mich nicht mehr brauchen.«

Sie lächelte. »Ich freue mich immer, wenn Sie vorbeischauen. Schreiben Sie mir ein Paar von den Kreislauftabletten auf«, bat sie.

»Ich messe Ihnen erstmal den Blutdruck.« Er holte die Bandage aus seinem Koffer und legte sie um ihren Arm. »Wie geht es Ihnen, Miss Scarlett?«

»Bestens, Dr. Miller, danke.«

»Also, Lady Gloria, der Blutdruck ist normal. Ich verordne Ihnen das Medikament, aber es ist für den Notfall gedacht.«

»Das ist mir klar«, versicherte sie. »Jetzt habe ich eine Bitte, Herr Doktor. Lord Sinclair beabsichtigt ein Fest zu veranstalten. Haben Sie eine Einladung bekommen?«

»Bisher nicht. Aber ich weiß von dem Fest.«

»Könnten Sie meine Enkelin dorthin begleiten? Ich möchte nicht, dass sie alleine geht.« Sie schaute ihn fragend an.

»Sehr gerne, Lady Gloria. Es wäre mir eine Ehre. Ich melde mich, wenn der Termin bekannt ist. Dann wünsche ich den Damen noch einen schönen Tag«, verabschiedete er sich.

»Das wäre geklärt«, freute sich Gloria. »Du wirst dich sicherer fühlen, zwischen all den fremden Menschen.«

»Ich bin nicht schüchtern.«

»Das weiß ich, meine Liebe.«

Sie lachten.

»Grandma, macht es dich traurig, wenn ich zum Reiten fahre? Ich bin bis zum Abendessen zurück.«

»Warum sollte ich traurig sein?«, fragte sie lächelnd. »Lass dich nicht aufhalten und schöne Grüße an Philipp.«

Scarlett drückte ihrer Grandma einen Kuss auf die Wange. »Richte ich aus, falls ich ihn sehe. Bis später.«

Mit dem Rover fuhr sie zum Gut. Sie parkte und lief zielgerecht zu der Stallanlage.

»Hallo, Miss Montgomery!«, rief ihr der Pferdepfleger John entgegen.

»Guten Morgen, John, ich heiße Södermann. Nennen Sie mich Scarlett.«

»Entschuldigen Sie. Ich dachte, Sie sind die Enkelin von Lady Montgomery.«

»Das stimmt. Mein Vater hat den Namen meiner Mutter angenommen. Satteln Sie mir bitte Fee.« Philipp hatte ihr erlaubt zu reiten, wann es ihr beliebt. Dass er hinter ihr stand und das Gespräch mitangehört hatte, wurde ihr klar, als er zu John sagte: »Mach deine Arbeit und rede nicht unentwegt, John.«

Der junge Mann bekam einen roten Kopf und murmelte: »Tut mir leid, Lord Sinclair.«

Scarlett sah Hass in seinen Augen.

»Wenn ein weibliches Wesen auf den Hof kommt, fängt John an zu reden, wie ein Wasserfall«, sagte Philipp zu ihr gewandt. »Schön, das du da bist. Darf ich dich begleiten?«

Sie wäre lieber alleine geritten. »Das ist dein gutes Recht«, erwiderte sie. »Aber eifersüchtig auf John brauchst du nicht zu sein.«

Er zuckte mit den Schultern und rief in die Box: »Sattle Black, ich reite ebenfalls aus, John. Beeile dich.«

Da war er, dieser raue herrschende Ton, den Scarlett nicht mochte. Trotz seiner barschen Art, fühlte sie sich von ihm angezogen und spürte in seiner Nähe ein Kribbeln im Bauch.

»Wir reiten heute zu den Klippen. Von da aus haben wir einen atemberaubenden Blick auf die Landschaft«, schlug Philipp vor.

Scarlett stieg auf. Wenig später trabten sie vom Hof.

Eine Zeitlang ritten sie schweigend nebeneinanderher, bis Philipp die Stille unterbrach. »Am Wochenende findet das Fest statt. Ich lade dich und Gloria hiermit offiziell ein. Eine schriftliche Einladung ist unterwegs.«

»Das ist in vier Tagen. So viel ich weiß, wird meine Grandma, wegen ihrer Beschwerden nicht daran teilnehmen. Sie fühlt sich zu unsicher.«

»Das muss ich wohl akzeptieren«, antwortete Lord Sinclair.

Der Weg zu den Klippen war beschwerlich, aber wunderschön. Oben auf dem Plateau angekommen, ließen sie die Pferde ruhen. Sie marschierten ein Stück zu Fuß.

»Warum behandelst du deine Angestellten so herablassend?« Scarlett konnte sich nicht zurückhalten. Sie musste es fragen.

Er schaute sie an, als habe sie ihn geohrfeigt. »Herablassend? Sie arbeiten für mich, erhalten ein anständiges Gehalt. Muss ich ihnen in den Hintern kriechen?«, fragte er aufsässig.

»Philipp!«, rief sie empört. »Es sind Menschen und ihnen gebührt der gleiche Respekt, den du von ihnen erwartest.«

»Du traust dich was. Das sind Dinge, die dich nichts angehen.«

»Mag sein, aber ich hasse es, wenn jemand ungerecht behandelt wird.«

»Lass uns nicht streiten, ich werde mich bemühen, freundlicher zu sein. Einverstanden?«

Scarlett nickte. Er schaute sie an. Sie sah das Feuer in seinen Augen und ein Zucken um seinen Mund. Ihre Herzen brannten, sie spürte es.

»Philipp, lass es, bitte.« Sie sagte es, bevor er sich rührte.

»Ich kann und will nicht. Ich denke Tag und Nacht an dich.

Scarlett, darf ich dich küssen? Wenn du nein sagst, wage ich es trotzdem.«

Sie spürte große Lust, sich an ihn zu pressen. Langsam trat sie vor ihn hin und flüsterte: »Küss mich.«

Philipp nahm sie behutsam in den Arm, umschloss mit seinen Händen ihr Gesicht und drückte zärtlich seine Lippen auf ihren Mund. Scarlett schlang ihre Arme um seinen Hals. Wie zwei Ertrinkende küssten sie sich und eine erregende Welle schwemmte über Scarlett hinweg. Als sie sich voneinander lösten, sagte Philipp: »Ich habe mich in dich verliebt. Du bist die erste Frau, nach Marys Tod, die ich anziehend finde.«

»Lass es uns langsam angehen«, erwiderte Scarlett. Sie kuschelte sich in seinen Arm. Schweigend schauten sie hinunter auf das tiefblaue Meer.

»Du bist nicht gebunden?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Mit Micha bin ich seit fünf Jahren befreundet. Wir haben viel miteinander unternommen, können uns alles anvertrauen. Sozusagen, eine platonische Liebe. Zwischendurch hatte ich eine Beziehung. Dauerte sechs Monate, war nicht das Richtige. Bei dir ist es anders. Es erregt mich, wenn du mich berührst. Darf ich dich was fragen, Philipp?«

»Alles, was du willst.«

»Warum ist deine Frau ertrunken? War sie keine gute Schwimmerin?«

Er seufzte. »Scarlett, ich habe bisher mit keinem darüber gesprochen. Du bist die Einzige, der ich die Wahrheit erzähle. Mary ist nach langer Zeit endlich schwanger geworden. Wir waren beide glücklich. Das Schicksal meinte es nicht gut mit uns. Im 3. Monat verlor sie das Baby, kurz bevor wir uns entschlossen hatten, unser Geheimnis preis zu geben. Niemand hat davon erfahren. Mary war ein anderer Mensch geworden. Sie sprach kaum, aß nichts mehr, ging mir aus dem Weg. Stundenlang wanderte sie am Strand entlang, bis sie eines Tages nicht zurückkam. Ich ging sie suchen und fand sie tot im Sand. Sie war nicht weit hinausgegangen. Die Wellen spülten sie zurück ans Ufer. Der Arzt stellte fest, dass sie ertrunken war. Mary war eine hervorragende Schwimmerin. Sie hatte eindeutig Selbstmord begangen. Ich konnte mit meinem Schmerz nicht umgehen und entfernte mich von Freunden und Bekannten.« Philipp hielt inne. »Bitte, Scarlett, das bleibt unter uns.«

»Versprochen. Aber es ist traurig, dass euch so ein Leid geschehen ist.«

Die Pferde schnaubten.

»Komm, Liebes, wir reiten zurück.« Philipp drückte sie liebevoll, bevor sie die Pferde bestiegen.