Die Hirntod-Falle

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Eine lang anhaltende Wirkung einer Erfahrung, die nur wenige Minuten dauerte

Dank der Forschungsarbeit37 des niederländischen Kardiologen Dr. Pim van Lommel ist es möglich geworden, den Blick auf die Geheimnisse des menschlichen Daseins nochmals zu erweitern. Van Lommel ist allerdings nicht der erste, der sich zu Fragen des »endlosen Bewusstseins« äußert, wie etwa der Hirnforscher und Nobelpreisträger für Medizin, Sir John Eccles (1903 – 1997). Ausgehend von Berichten von Menschen mit Nahtoderfahrung (NTE) zieht van Lommel die Möglichkeit in Betracht, dass Menschen während eines Herzstillstandes noch ein Bewusstsein haben können. Dabei handelt es sich um Menschen, die nach einem klinischen Tod wiederbelebt wurden und von ungewöhnlichen Bewusstseinserfahrungen während dieser wenigen Minuten berichteten. Es werden auch andere Umstände wie Schock, Koma, naher Tod durch Ertrinken genannt, bei denen von solchen Nahtoderfahrungen berichtet wird. Nach einer aktuellen Stichprobe in Deutschland und den USA müssen vier Prozent der gesamten Bevölkerung eine Nahtoderfahrung gehabt haben. Das wären in Deutschland drei Millionen Menschen. Davon berichtet wird allerdings eher selten – aus Furcht, von Ärzten nicht ernst genommen zu werden, wie van Lommel bestätigt:

»Eines Tages hatten wir eine Konferenz zu Nahtoderfahrungen mit mehr als 300 Menschen in einem Universitätskrankenhaus. Am Ende eines Vortrags stand ein Mann auf und sagte: ›Ich bin seit 25 Jahren Kardiologe und ich habe noch nie so absurde Geschichten gehört! Das ist totaler Unsinn. Ich glaube kein Wort davon.‹ Darauf stand ein anderer Mann im Publikum auf und erwiderte: ›Ich bin einer Ihrer Patienten. Ich hatte während eines Herzstillstandes eine Nahtoderfahrung. Und Sie wären der Letzte, dem ich davon erzählen würde.‹«38

Im Jahr 1969 war van Lommel zum ersten Mal mit Nahtoderfahrungen in Kontakt gekommen. Während seiner Facharztausbildung als Kardiologe wurde ein Patient erfolgreich wiederbelebt. Er war zum Erstaunen aller sehr enttäuscht, als er aufgewacht war und erzählte, dass er durch einen Tunnel gegangen sei und ein Licht und schöne Farben gesehen habe und Musik gehört hätte. Jahre später, 1975, schrieb Raymond Moody zum ersten Mal ein Buch über Nahtoderfahrungen. Dabei handelte es sich um Phänomene, die weltweit in allen Kulturen und zu allen Zeiten beschrieben worden waren. Bekannt ist auch das Bild von Hieronymus Bosch aus dem Jahr 1480, auf dem zu sehen ist, wie Verstorbene durch einen Tunnel ins Licht geleitet werden.

Van Lommel selbst begann 1986 systematisch seine Patienten zu befragen. Er wollte wissen, warum Menschen während der Phase des klinischen Todes Bewusstsein erleben können. Er und seine Kollegen fragten 344 Patienten, die einen Herzstillstand überlebt hatten.

18 Prozent der Patienten hatten eine Erinnerung. Niemand schilderte eine negative Erfahrung. Acht Jahre beanspruchte die Langzeitstudie insgesamt. Das paradoxe Ergebnis: »Dass gerade in einer Phase, in der die Durchblutung des Gehirns vollkommen zum Erliegen kommt, ein erweitertes Bewusstsein sowie logische Denkprozesse möglich sind, führt uns zu der für unser heutiges Verständnis besonders heiklen Frage zwischen Bewusstsein und Gehirnfunktionen. Das Gehirn müsste eigentlich die Funktion des Bewusstseins stoppen. Die Menschen haben einen Herzstillstand, keinen Körperreflex, keine Hirnstammaktivitäten mehr, haben keinen Atem mehr, und in diesem Moment haben die Patienten ein erweitertes, sehr helles Bewusstsein, erweiterter als je zuvor.

›Die heutige Wissenschaft hat das Bewusstsein bisher ausschließlich im Gehirn verankert.‹ (…) Wir müssen zugeben, dass es nicht möglich ist, das Bewusstsein auf neuronale Prozesse zu reduzieren, denn es ist eine unbewiesene Annahme, dass das Bewusstsein und die Erinnerung dem Gehirn alleine entstammen.«39

Würden diese Forschungsergebnisse in weiteren Kreisen der Medizin wahrgenommen werden, müsste das zu einem Paradigmenwechsel in der westlichen Wissenschaft führen. Das hätte dann praktische Auswirkungen, zum Beispiel bei der Pflege komatöser oder sterbender Patienten und auch vordringlich bei der Organentnahme zu Transplantationszwecken. Denn es ist zu befürchten, dass die Patienten das inhumane Geschehen auf einer bestimmten Ebene noch wahrnehmen werden.

EINE KURZE GESCHICHTE DER UN- UND HALB-WAHRHEITEN

»Sie können nicht einfach hergehen und den Leuten die Herzen rausnehmen.«

Dr. Irvine H. Page (1901 – 1991), Präsident der American Heart Association, kritisierte 1968 Christiaan Barnard nach seiner ersten Herztransplantation. Zitiert nach: Barnard, Christiaan: Das zweite Leben, München 1993.

Als am 3. Dezember 1967 in Kapstadt das erste Herz verpflanzt wurde, ging die Nachricht als Zeichen der Hoffnung um die ganze Welt. Es war zugleich ein Angriff auf die Integrität und Würde der nicht einwilligungsfähigen Patienten. Sie wurden wider Willen sogenannte »Organspender«. Bis 1967 hatte es kein Chirurg gewagt, ein Herz zu transplantieren, obwohl die Operationstechnik vielfach an Tieren erprobt worden war. Die US-amerikanischen Ärzte Norman Edward Shumway (1923 – 2006) und Richard Rowland Lower (1929 – 2008) hatten die entscheidende Forschung für Organtransplantationen geleistet und ihre Erkenntnisse in medizinischen Fachzeitschriften publiziert. Dennoch konnten sich die US-Behörden zunächst zu keiner Genehmigung durchringen. In Südafrika, im damaligen Land der Apartheid, aber waren die rechtlichen und ethischen Barrieren niedriger als in westlichen Industrienationen, und so brach der Bure Christiaan Barnard (1922 – 2001) das Tabu und griff zum Skalpell, nachdem er die Technik von den amerikanischen Chirurgen studiert hatte. Er wurde berühmt – zunächst als Herzchirurg, dann als Herzensbrecher. Ein Journalist der New York Times warf in einem Interview Barnard vor: »Dr. Dwight E. Harken aus Boston behauptet, Sie hätten Shumway die Technik gestohlen?«40 Und im Washington Evening Star hieß es unter der Headline »Südamerikaner schafft es als erster: Gemüsehändler lebt mit verpflanztem Herzen« weiter: »In den Kommentaren führender amerikanischer Herzspezialisten, die gehofft hatten, auf dem Gebiet der Herztransplantation die ersten zu sein, gibt es gewisse Anzeichen von Berufsneid.«2

War die verletzte 25-jährige Denise Darvall wirklich bereits tot?

Das Herz als Verkörperung der Lebensmitte oder Sitz der Seele war plötzlich zum auswechselbaren Ersatzteil geworden. Welche Identitätskrisen für den Empfänger durch die Implantation eines fremden Herzens entstehen würden und auch gesundheitliche Probleme, war ungeklärt. Dennoch genügte die Tatsache als solche, ein Herz verpflanzen zu können, um die Weltöffentlichkeit zu interessieren. Doch annähernd alle Kriterien, die als Voraussetzung für ein Überleben nach der Operation des 54-jährigen Empfängers Louis Washkansky (1913 – 1967) hätten berücksichtigt werden müssen, ignorierte der Chirurg Barnard: Die Gewebeverträglichkeit war unzureichend, das Herz der 25-jährigen Spenderin Denise Ann Darvall (1942 – 1967) war zu klein, die Immunsuppression war noch unterentwickelt und man war noch nicht in der Lage, ein Herz über einen längeren Zeitraum zu konservieren.

Der Düsseldorfer Kardiologe und spätere Nobelpreisträger Prof. Dr. Werner O. T. Forßmann (1904 – 1979) sprach damals von einem »operativen Eingriff ohne Belang, weil unsere Kenntnisse von der Immunologie überpflanzter Gewebe noch nicht ausgereift sind. Wer aber unter solchen Voraussetzungen operiert, missachtet das oberste Gebot der Chirurgie ›nil nocere‹ (nicht schaden).«41 In der FAZ vom 03. 01. 1968 bezeichnet Forßmann Barnards Vorgehen als leichtsinnig und »unseriös« und warf ihm Manipulation bei der Todesfeststellung vor.

War die durch einen Verkehrsunfall verletzte Denise Darvall wirklich bereits tot, als sie ins Hospital eingeliefert und so ungewollt und ungefragt zur »Organspenderin« wurde? Nach den damals geltenden standesrechtlichen Kriterien musste diese Frage verneint werden. Denn anders konnte der kurzfristige Erfolg der Transplantation nicht erklärt werden, galt doch der Herz-Kreislauftod damals noch als das einzige eindeutige Todeskriterium. Denise Darvall erlitt zwar irreversible Hirnverletzungen, wurde aber intensivmedizinisch versorgt, bis die Herzentnahme ihr Leben beendete.

Barnard: »Ich hätte nicht operieren dürfen.«

Fragen der Zustimmung waren ebenso schnell geregelt wie die juristischen. Denise Darvall war bei einem Bummel mit ihrer Mutter von einem Auto angefahren worden. Die Mutter starb noch an der Unfallstelle und Denise erlitt eine irreparable Kopfverletzung. Vater Edward Darvall konnte schnell überzeugt werden und erteilte seine Zustimmung für die Organentnahme. Nachdem das sogenannte irreversible Hirnversagen festgestellt war, stellte Barnard, wie er selber schreibt, das Beatmungsgerät ab und öffnete den Brustkorb, als bei ihrem Herzen das Kammerflimmern eingesetzt hatte.42 Bei dem 55-jährigen Organempfänger Louis Washkansky beendete eine Lungenentzündung das »Transplantationswunder« nach 18 Tagen. Als der Patient verstarb, kam Barnard, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, zu der verspäteten Erkenntnis: »Ich hätte nicht operieren dürfen.« Die Behandlung zur Vermeidung der Abstoßung des fremden Herzens hatte die Widerstandskraft des Patienten derart geschwächt, dass tödliche Organismen über eine Kanüle ungehindert in den Körper eindringen konnten. Zudem hatte Louis Washkansky Diabetes, war geschwächt. Erst 1982 kommt Cyclosporin A zur Verhinderung der Abstoßung eines Organs auf den Markt und wird von der Schweizer Firma Sandoz (heute Novartis) als immunsuppressives Medikament unter der Bezeichnung Sandimmun verkauft.

 

Der nächste Herzempfänger, der Zahnarzt Philip Blaiberg (1909 – 1969), dem Barnard am 2. Januar 1968 ebenfalls ein Ersatzherz implantierte, überlebte 593 Tage. Bei aller Begeisterung ließ Kritik nicht lange auf sich warten. Das dritte Herz entnahm Barnard einem Patienten, ohne zuvor die Einwilligung der Angehörigen einzuholen.

Sowjetische Ärzte erklärten der Weltöffentlichkeit, der Spender des Herzens für Blaiberg könnte noch leben, wenn Barnard ihn nicht zu früh für tot erklärt hätte.

Vision von Leichenfledderern

Zeitungen machten nach der ersten Operation den Vorschlag, man möge Barnard vor dem Internationalen Gerichtshof des Mordes anklagen, weil er einem Menschen ein lebendes Herz entnommen hatte. Das Konzept des »Gehirntodes« wurde weder nicht verstanden, noch war es akzeptiert und stand im Kreuzfeuer der Kritik. Der Präsident der American Heart Association, Dr. Irvine Page, kritisierte Barnard: »Sie können nicht einfach hergehen und den Leuten die Herzen rausnehmen«, und ein anderer Arzt in Washington: »Ich habe die schreckliche Vision von Leichenfledderern, die mit gezückten Messern um ein Unfallopfer herumschleichen und darauf warten, seine Organe herausschneiden zu können, sobald es für tot erklärt ist.«.43

Der Düsseldorfer Kardiologe und Nobelpreisträger Prof. Dr. Werner Forßmann schrieb: »Die Chancen sind also am allergrößten, wenn das Organ einem gesunden und in voller Lebenskraft stehenden Menschen entnommen wird. Deshalb liegt es im Interesse des Empfängers und des Operateurs, den sterbenden Spender so früh wie möglich für tot zu erklären, um über ihn verfügen zu können.«44 Zu ganz anderen Urteilen kam die FAZ. Die Zukunft dieser neuen Technik sei sehr ermutigend.45 Oder Die Welt: Herztransplantationen seien ein »notwendiges Experiment«, denn die Medizin »verdankt ihren Fortschritt Männern, die sich durch Rückschläge nicht entmutigen ließen. Mit dem Fortschritt ist aber der Mut zum Wagnis und zum Risiko untrennbar verbunden«.46

Bis Barnard, an Arthritis leidend, die Hände kaum noch bewegen konnte, war er an insgesamt 46 Herzübertragungen beteiligt. 1977 griff er erneut zum Skalpell, um einer 25-jährigen Italienerin mit einem zusätzlichen Pavianherzen das Leben zu verlängern. Das Experiment musste scheitern, da sämtliche Xenotransplantationen zuvor auch schon tödlich endeten.

Me too: Rekorde und das vorläufige Ende in den USA

Spätestens aber mit dem Triumph der gelungenen zweiten Transplantation von Philip Blaiberg mit einem Herzen des 35-jährigen farbigen Clive Haupt (1944 – 1968) waren alle Bedenken und Skrupel zerstreut. Die rassistische Regierung Südafrikas machte gute Miene zum bösen Spiel, obwohl bei der zweiten Operation das Herz eines farbigen Afrikaners in die Brust eines Weißen verpflanzt worden war. Barnards Ruhm löste bei amerikanischen Ärzten Neid aus, wie Barnard konsterniert feststellte, und auch einen »Me-too-Effekt«. Bereits drei Tage nach der ersten Herztransplantation – das Ad Hoc Commitee der Harvard Medical School hatte noch nicht seinen »Segen« erteilt – implantierte der New Yorker Adrian Kantrowitz einem zweieinhalbwöchigen weiblichen Baby ein Herz – mit tödlichem Ausgang wenige Stunden später. Das hinderte Kantrowitz vom Maimonides-Krankenhaus in New York nicht daran, sich als erster amerikanischer Transplanteur, gemeinsam mit Barnard, in der USweit ausgestrahlten TV-Show, »Face of the Nation« der CBS feiern zu lassen.

Den überstürzten Eingriff an einem wehrlosen Opfer bezeichnete der Düsseldorfer Kardiologe Forßmann als Mord. In Wirklichkeit aber war es ein Doppelmord, denn das wehrlose Opfer, dem das Herz entnommen wurde, war ein anenzephales neugeborenes Kind. Das sind Kinder, die nur mit Hirnstamm, aber ohne Großhirn geboren werden und spontan atmen können. Sie galten für manche amerikanische Ärzte als tot. Die schlichte und zugleich pragmatische Argumentation, vergleichbar mit der des Harvard Ad-hoc-Berichts, lautete: Angehörige von anenzephalen Kindern werden durch den herbeigeführten Tod entlastet, indem u. a. eine Organspende diesem noch einen Sinn gibt. Da diesen Kindern die »Personalität« von Geburt an fehle, galten sie in den USA als lebende Organbanken. Vorauseilend lieferten hier Ärzte Agumentationen, die später auch den »Hirntod« als Tod des Menschen legitimieren sollten. Dem ersten »Mord« folgten noch viele weitere. Ob vor der Organentnahme von anenzephalen Neugeborenen jeweils der Tod des Stammhirns abgewartet wurde, konnte bei Recherchen einer Arbeitsgruppe nicht immer festgestellt werden. Bei nur 29 von 80 explantierten anenzephalen Kindern war der Hirntod protokolliert worden.47

Einen Monat später zelebrierte Norman E. Shumway aus Palo Alto, der sich schon lange auf Herzimplantationen vorbereitet hatte, seinen ersten Auftritt. Bis Oktober 1968 transplantierte er fünf weitere Herzen. Der Texaner Cooley überbot Shumway mit siebzehn verpflanzten Herzen in acht Monaten. Sein Ziel hatte er damit aber noch nicht erreicht: Am Montagmorgen nach der ersten Operation in Kapstadt hatte er Barnard ein Telegramm geschickt: »Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Transplantation, Chris. Ich werde bald über meine ersten hundert referieren.«

Insgesamt 66 Herztransplantationen meldeten die Agenturen 1968 aus aller Welt. Vier Fünftel der Patienten starben vor Ablauf eines Jahres. Dann kehrte wieder Ruhe ein. Demotiviert von Misserfolgen, vertagten Herzchirurgen ihre Aktivitäten bis zur Einführung von Cyclosporin A48 der Firma Novartis (damals Sandoz), 1982, das die Abstoßung eines Organs verhindern soll. Als schließlich auch Blaiberg, Barnards zweiter Patient, der bis dahin die längste Überlebenszeit vorzuweisen hatte, im August 1969 einer chronischen Abstoßungsreaktion erlag, wendete sich die Stimmung. Die Transplantationsteams vereinbarten ein weltweites Moratorium, das erst nach 10 Jahren wieder aufgehoben wurde.

Christiaan Barnard 1985: Aktive Sterbehilfe bei eigener Mutter

Während sich Barnard als Vortragsreisender und Preisempfänger einerseits immer noch für die Förderung der Transplantationsmedizin einsetzte, machte er sich andererseits für die Gesundheits-Ökonomie stark. Anlässlich der Preisverleihung an Barnard beim 5. Europäischen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), 1985, sprach er sich für die passive und aktive Sterbehilfe aus. Im Kongressbericht wird er mit den Worten zitiert:

»Ich schäme mich nicht, einzugestehen, dass ich passive Sterbehilfe praktiziert habe. Ich weiß nicht wie oft, ich habe das nicht gezählt; ich schäme mich jedoch nicht, es zu sagen, und bitte niemanden dafür um Vergebung, dass ich zugebe, passive Sterbehilfe praktiziert zu haben. Ich habe sie sogar bei meiner eigenen Mutter angewandt.« Und weiter: »Was ist eigentlich der Unterschied zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe? Es ist schwierig, einen echten Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen herauszuarbeiten (…). Ich sehe sehr wenig Unterschied zwischen dem bewussten Akt der Unterlassung, der ausschließlich den Tod bezweckt, oder dem bewussten Akt einer begangenen Handlung, die dem gleichen Ziel dient. (…)

In einigen Ländern kann es für die Familie zu einer enormen finanziellen Belastung werden, wenn man einen Patienten mit allen Mitteln am Leben erhält – eine Belastung, die völlig sinnlos ist. Ich glaube also, dass Sie mir zustimmen werden, dass es für die aktive Sterbehilfe durchaus einen Bedarf gibt. Wir brauchen sie. (…) Ich glaube nicht, dass es richtig ist, wenn die Familie allein die Entscheidung trifft. Ich finde, dass die Familie damit unnötig belastet wird, und ich halte es auch für falsch, mit ihr den Augenblick der aktiven Sterbehilfe zu bestimmen. Das ist etwas, was allein von den Ärzten entschieden werden sollte, und die Injektion sollte gegeben werden, ohne dass die Familie oder der Patient weiß, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, wo der Arzt eine Spritze gibt, die es dem Patienten erlauben wird, zu sterben.«

1985: Hochkonjunktur für Zyankali in Deutschland

1985 war die Zeit, als in Deutschland Zyankali Hochkonjunktur hatte und Millionengewinne versprach. Im selben Jahr wurde die Frage offiziell gestellt, ob der § 216 des Strafgesetzes (»Tötung auf Verlangen«) novelliert werden sollte. Ausgelöst durch Gerichtsurteile hatte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zu diesem Zweck Experten geladen.49 Es lag sogar ein Änderungsentwurf für § 216 StGB vor, der ein Jahr später publiziert wurde. Geladen waren u. a. auch die damaligen Protagonisten der aktiven Sterbehilfe, Hans Henning Atrott, Präsident der DGHS, der später verurteilt wurde, Prof. Dr. Julius Hackethal (1921 – 1997) (ging später auf Distanz zur aktiven Sterbehilfe) und Prof. Dr. Herbert Jäger (1928 – 2014) von der Humanistischen Union. Letzterer verstieg sich ganz im Sinne von Barnard zu dem Vorschlag: »Ernstlich zu überlegen ist, ob in Fällen, in denen eine tödliche Erkrankung einen endgültigen, durch Heilbehandlung nicht mehr zu beeinflussenden Verlauf genommen hat, der Arzt nicht sogar zu Maßnahmen indirekter, auch lebensverkürzender Sterbehilfe verpflichtet sein soll, wenn der Patient sie nicht ausdrücklich abgelehnt hat.«50 Analog zu Jägers heimtückischem Vorschlag ist die gesetzliche Widerspruchslösung bei der Organtransplantation zu sehen. Man könnte sie auch als eine Art Falle betrachten.

Christiaan Barnard: Fetozid bei Neugeborenen mit Missbildungen

In seiner Rede zur Preisverleihung der DGHS befürwortete Barnard mehrfach die Verletzungen des deutschen Strafrechtes, das Töten von Menschen unter Strafe stellt. Während der australische Bioethiker Peter Singer, wann immer er eine Deutschlandtournee plante, mit heftiger Kritik zu rechnen hatte, sprach sich Barnard ebenso wie Singer öffentlich für einen Fetozid bei Neugeborenen mit »angeborenen Missbildungen« aus, die »mit der Lebensqualität unvereinbar sind«. »Ich würde ein solches Kind sterben lassen, weil es nicht die Aufgabe des .Arztes ist, Leben zu verlängern, sondern die Lebensqualität zu verbessern. Und wenn mir das nicht möglich ist, würde ich dieses Leben, dieses Dasein, enden lassen.« Demselben Kongressbericht sind Theorien zu »Das Recht auf einen selbstbestimmten Tod« des Düsseldorfer Philosophieprofessors Dieter Birnbacher zu entnehmen.