Reisen im Kongogebiet

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Wie traurig die Vegetationsverhältnisse auf den Bergen des unteren Kongolandes beschaffen sind, zeigte uns der Garten der Mission. Früher hatten die Missionare am Fuße des Hügels unmittelbar am Strom gewohnt, bis man sich durch die dort herrschenden sehr schlechten gesundheitlichen Umstände genötigt sah, auf die Höhe zu ziehen. Um nun hier einen Garten anzulegen, war man gezwungen, von einer recht entfernten Stelle bessere Erde kistenweise durch schwarze Arbeiter antragen und bis zu einer gewissen Höhe aufschütten zu lassen, während andere beschäftigt waren, um das so gewonnene Gartenland eine Mauer zu ziehen, damit die Regen das Erdreich nicht wieder in die Tiefe führten. Durch Überdachung mit Bananenblättern mußte man die Pflanzungen vor den sengenden Sonnenstrahlen schützen, während ununterbrochen einige Boys vom Stromufer zur Höhe Wasser zu tragen und die Anlagen – auch noch in der Regenzeit – zu begießen hatten. Trotz dieser großen Mühe und Sorgfalt hatte der »Garten«, als ich nach mehreren Monaten wieder nach Tondoa kam, nur einige Kartoffeln, Tomaten und Mohrrüben geliefert.

Während unserer Anwesenheit, der Zeit der sprießenden Vegetation, hatten wir mit Herrn Hughes einige Jagdausflüge auf Antilopen, von denen man am unteren Kongo drei oder vier Arten, die eine größer als unsere Hirsche, kennt. Die Tiere stellten sich mit großer Regelmäßigkeit um Sonnenuntergang in einem nicht sehr weit entfernten Talgrunde ein, und mehrfach hatten wir das Glück eines Erfolges, obschon die Jagd auf dem unbeschreiblich steinigen Boden und bei der bis Sonnenuntergang herrschenden Hitze, dann aber bei der schnell hereinbrechenden Dunkelheit fast zu viel der Mühe kostete. Mit Höherwerden des Grases verbietet sich übrigens das Jagen in der Kampine7 bald von selbst. Das Land ist im allgemeinen recht herzlich arm an jagdbarem Wild, neben den Antilopen birgt die Kampine höchstens noch Klippschliefer8, Ratten und anderes kleines Getier; im Ufergelände des Kongo und in dem Rawinenbusch finden sich langgeschwänzte Meerkatzen, auf den Baobabs und anderen hohen Bäumen Geier und Fischadler, die indessen nicht einmal von den Schwarzen – welche sonst nicht leicht irgend eine Art mbisi, d.i. Fleisch, verachten – genossen werden, sonst auch noch Ibisse und Reiher, im Strome selbst zahlreiche Krokodile und zwar mehrere Arten, die ein etwaiges Baden zu unmittelbarer Lebensgefahr machen.

An Fischfang oder Angeln kann man bei der Schnelligkeit der Strömung gar nicht denken – trotzdem der Strom äußerst interessante Tiere bergen dürfte, ich erinnere nur an die Spring- und Kofferfische – ganz abgesehen von der Schwierigkeit, sich bei diesen Beschäftigungen der Einwirkung der Sonne und zahlreicher Moskitos zu entziehen.

Mehrfach machten wir Besuche in der Umgebung, so in Kalla-Kalla in der englischen und in Ango-Ango in der holländischen Faktorei, welche letztere einem Portugiesen unterstellt war, der einen außerordentlich lebhaften Tauschhandel betrieb (ich sah einige Male gegen 1 000 Träger dort versammelt), für welchen jetzt aber erstere Niederlassung Konkurrenz zu bieten begann. Kalla-Kalla war übrigens damals die am unteren Strome höchstgelegene Faktorei, bis die Holländer noch näher zu den Fällen am linken Ufer Fuka-Fuka und die Portugiesen am rechten Ufer zwei andere Faktoreien errichteten.

Ein anderes Mal begleiteten wir einen nach dem Stanley-pool reisenden Missionar einige Stunden bis in die Nähe der Station der amerikanischen Baptisten, Pallaballa, von wo aus wir freilich das Getöse der Yellalakatarakte hörten, dieselben indessen nicht zu Gesicht bekommen konnten.

Der Gedanke des Premierleutnant Schulze, für die Afrikanische Gesellschaft in Deutschland Terrain zu erwerben, um dort eine Station zu errichten, die als Ausgangs- und Stützpunkt für fernere Expeditionen dienen sollte, führte uns einige Male den Kongo abwärts, wo der Leutnant in einem Besitztum des Königs Ne-Moiri, zwischen Noki und Mussuka, eine günstige Gelegenheit gefunden zu haben glaubte.

Schon zur damaligen Zeit nämlich waren die Ufer des unteren Konto fast vollständig in den Besitz der Assoziation, sowie der kaufmännischen Firmen und der Missionsgesellschaften übergegangen, so daß es in der Tat dem Leutnant sehr gelegen schien, als er erfuhr, daß jenes Gebiet noch Eigentum der Eingeborenen sei. Zu Boot begaben wir uns daher am 29. November zu jener Uferstelle, um dort zuerst unter einem riesigen Affenbrotbaum den Vorräten des Mr. Hughes – der uns auch für diese Entdeckungstour seine Unterstützung gewährte – tüchtig zuzusprechen, dann aber den Weg zum Dorfe Ne-Moiris anzutreten, wo wir nach etwa zweistündigem Marsche über sehr bergiges und steiniges Terrain anlangten und König und Volk in wichtiger Angelegenheit sprechen zu wollen erklärten. Man brachte uns Stühle auf den von Bananenbüschen umschatteten Dorfplatz, wo sich bald die Männer, jedweder mit langem Stab in der Hand, einzufinden begannen, während der Chief durch Trompetensignale herbeigerufen wurde. Er erschien, ein würdiger alter Mann, mit Sommerüberzieher, einem Lendentuche und einem federgeschmückten Dreimaster bekleidet, um inmitten der auf der Erde hockenden Großen seines Dorfes auf erhöhtem Sitz uns gegenüber sich niederzulassen. Nach manchem Hin- und Herreden, abgesonderten Beratungen der Eingeborenen, Geschenken an den König und die Sprecher, erhielten wir die Versicherung, daß das fragliche Terrain bisher noch nicht verkauft und man willens sei, mit uns am zweitfolgenden Tage an Ort und Stelle über die Grenzen und den Kaufpreis zu verhandeln. Während des Palawers hatten uns die Weiber Bananen und Eier gebracht, und wir hatten diese, sobald sie von den mitgenommenen Boys zubereitet waren, während der Reden der Eingeborenen verspeist. Zum Abschied erhielten wir vom Chief noch einige Hühner als Dash, wofür wir uns mit einigen rotkarierten Taschentüchern revanchierten, um dann nach lebhaftem Händeschütteln zu unserm Boot zurückzukehren, wo wir bei Sonnenuntergang ankamen und nach einer Stunde Fahrt kongoaufwärts bei Tondoa landeten.

Am festgesetzten Tage fanden unter unserem Baobab die Verhandlungen über Grenzen und Kaufpreis statt. Nach Beendigung des Palawers begaben wir uns zum jenseitigen Kongoufer und nach der Station Nkungula, um dem Chef derselben einen Besuch zu machen und ihm unser Übereinkommen mit den Eingeborenen mitzuteilen, da wir durch dasselbe Gebietsnachbarn der Assoziation wurden, doch erhielten wir hier zu unserer höchsten Überraschung die Kunde, daß das fragliche Gebiet bereits seit einiger Zeit Eigentum der Assoziation geworden sei, worüber wir in Vivi Dokumente und Auskunft erhalten könnten.

Am Dienstag den 2. Dezember begaben sich daher Mr. Hughes, Premierleutnant Schulze und ich selbst in das mit acht starken Ruderern bemannte Boot, um nach dem unfernen Vivi, dessen weißgetünchte Häuser man in Tondoa deutlich sieht, zu fahren. Die Strömung oberhalb Tondoa ist eine so gewaltige, daß es der größten Anstrengung unserer Leute bedurfte, dieselbe zu überwinden, und sie mehrfach das Boot verlassen mußten, um dasselbe durch lange um Felsen und Bäume geschlungene Taue stromaufwärts zu ziehen. Dazu entstehen oft und ganz plötzlich Wirbelströmungen, in denen das hineingeratene Boot weder Steuer noch Ruder gehorcht. In einem dieser Wirbel brach eines unserer Ruder, so daß wir in Kalla-Kalla an Land gehen und dort ein anderes leihen mußten. Glücklich kreuzten wir dann zum anderen Ufer, doch wurde hier das Steuerruder durch die gewaltige Strömung den Händen eines Kruboys entrissen, als er dasselbe in seinen Angeln gehoben hatte, um es dem Aufstoßen auf einem Felsenriff zu entziehen, und sofort durch den Strom entführt. Es war auch nicht wiederzuerlangen, trotzdem sich sogleich einige der Leute in das Wasser stürzten. Wir mußten nun auf eine Fortsetzung der Fahrt verzichten und das Ufer zu erreichen suchen, was nach einiger Zeit und großer Anstrengung gelang. Als wir endlich das Land betraten, fanden wir uns noch durch einige Berge von Vivi geschieden, wohin wir uns nun zu Fuß aufmachten und wo wir endlich vier Stunden nach der Abfahrt von Tondoa in hohem Grade erschöpft eintrafen.

Der damalige Hauptplatz der Assoziation – jetzt ist der Regierungssitz nach Boma verlegt – bestand in seiner neueren Anlage Neu-Vivi (im Gegensatze zu dem noch von Stanley gegründeten Alt-Vivi, welches man wegen der gesundheitlichen Mißverhältnisse aufzugeben gezwungen war) aus zwei oder drei Wohnhäusern und einigen Warenschuppen, in deren ersteren einem wir beim Major Parminter, einem liebenswürdigen englischen Herrn, Stärkung und Erholung fanden. Wir machten später dem Chiefadministrator Colonel Sir Francis de Winton, den wir in Hemdsärmeln antrafen, einen Besuch und erhielten von diesem die Zusicherung der möglichsten Unterstützung für die Ziele unserer Expedition. In Bezug auf das von Premierleutnant Schulze in Aussicht genommene Gebiet konnte indessen kein Abschluß erzielt werden, da nur ein Duplikat eines Kaufvertrages vorlag, welcher mit irgend einem Chief zwischen Noki und Mussukula – nicht mit Ne-Moiri – abgeschlossen war, in welchem Schriftstück aber nicht die Grenzen des gekauften Terrains angegeben waren(!). Ich will gleich hier erwähnen, daß Premierleutnant Schulze nach einer Fahrt nach Boma, um dort befindliche Papiere einzusehen, schließlich in Vivi mit der Assoziation einen Kaufvertrag abschloß – ob dieser Vertrag aber von der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland ratifiziert worden ist, vermag ich nicht einmal zu sagen. Nach den Berliner Festsetzungen über den Kongostaat gehört übrigens das in Rede stehende Terrain noch zu dem Portugal zugesprochenen Gebiet, dessen Grenze auf dem linken Kongoufer durch den Bach von Ango-Ango gebildet wird.

Nach einer Besichtigung der Baulichkeiten, des Versuchs eines Gartens, des Kirchhofes und der näheren Umgebung des Platzes, der auf einer Hügelabflachung etwa 100 Meter über dem Strom gelegen ist, nahmen wir mit Dank das Anerbieten des Colonel an, uns in einem Dampfboot zu unserer Missionsstation zurückzuführen, die wir nach einer Fahrt von fünfzehn Minuten erreichten, während unsere Leute mit dem steuerlosen Boot erst sehr viel später dort eintrafen.

 

In Tondoa begrüßte uns Premierleutnant Kund, der im Laufe des Nachmittags dieses Tages (2. Dez.) nebst Leutnant Tappenbeck mit großen Warenvorräten, die er im holländischen Hause in Banana gekauft hatte, in Ango-Ango eingetroffen war und dort, um die Mission von Tondoa nicht zu sehr zu belasten, seinen Aufenthalt genommen hatte. Er brachte auch die zwanzig jugendlichen Loangos mit, die es gelungen war mit Mr. Combers Unterstützung auf ein Jahr zu engagieren.

Wir konnten dagegen die erfreuliche Mitteilung machen, daß bereits vor zwei Tagen ein Brief von Mr. Weeks aus San Salvador eingetroffen war, nach welchem der König von Kongo unsere Geschenke erhalten hatte und uns dafür seinen Dank aussprechen ließ. »Er würde sehr bald seinen Sohn mit Trägern zu uns entsenden, um uns zur Residenz zu führen; er habe auch Boten zum großen Kiamwo geschickt, die wegen unseres Besuches dort anfragen sollten«. Letzteres erwies sich übrigens später als unwahr, auch die für Kiamwo bestimmten Geschenke waren in die Koffer des Totila von Konto, denn so ist der Titel dieses Großkönigs, gewandert.

Wir gingen nun an die Umpackung des Gepäcks und der Waren, von denen wir einen großen Teil zu Wasser von Ango-Ango nach Tondoa führten, in Trägerlasten, die im Gewicht von circa sechzig Pfund angefertigt wurden. Durch Kornelius und die Loangoleute, von denen wir die größere Mehrzahl für Tondoa übernahmen, ließ ich die Stoffe, die verschiedenen Sorten Perlen, alte Uniformstücke und Regenschirme, Hüte und viele als Geschenke zu verwendende Kleinigkeiten, als Metallglöckchen, Spiegel, Angelhaken, Nähnadeln und Zwirn, Messer u.s.f. in wassergeschützte Ballen packen und einnähen und fertigte zu jedem derselben Verzeichnisse an. Ferner gab es Bettstellen und Zelte, Stühle und Decken zu verpacken; viele Sachen mußten in tragbare Kisten und Koffer untergebracht werden, wie die Kücheneinrichtung, die persönliche Ausrüstung, die Munition für die Gewehre, die Vorräte an Konserve, Bücher und Schreibmaterialien, Preßpapier und Pressen, Sammelgläser und Spiritus, Streichhölzer und Tabak – kurz alle jene tausend Dinge, die uns für die Inlandreise nötig zu sein schienen.

Als recht nützlich und anstellig erwies sich bei diesen Arbeiten ein älterer Zögling der Mission, Malewo, ein Sohn des Königs von Kongo. Malewo, oder – um ihm seinen angestammten Titel nicht vorzuenthalten – Prince Henrique d’Agua Rosada, war schon seit fünf oder sechs Jahren in der englischen Baptistenmission, in der er recht gut englisch zu sprechen, lesen und auch etwas zu schreiben gelernt hatte. Er konnte seine Muttersprache, das Fiote der Kongesen, lesen und schreiben und verstand Portugiesisch.

Er wußte ferner einige Hymnen in Englisch und Fiote zu singen und hatte sich bei den Missionaren daran gewöhnt, Beinkleider, Strümpfe und Stiefel zu tragen – kurz er erwies sich mit seinen sechzehn oder siebzehn Jahren als ein recht gebildeter junger black gentleman. Anfänglich im Missionshause zu San Salvador erzogen, war er mehrfach auch in Begleitung seiner Lehrer zum Kongo gekommen und verstand infolgedessen manches von der Art und Weise des Reisens weißer Leute und von ihren Bedürfnissen. Er wußte die Speisen für europäische Gaumen erträglich zuzubereiten und benutzte selbst bisweilen Teller und Tischgeräte, er verstand Zelte und Betten aufzuschlagen und wieder ordnungsgemäß einzupacken, er konnte bis zu einem gewissen Grade unser Bedürfnis nach Wäsche begreifen und reinigte manchmal sogar die seine – er besaß in der Tat so viele nützliche Kenntnisse, daß ich Mr. Hughes bat, den jungen Menschen entlassen zu wollen, wenn derselbe geneigt sein sollte, in die Dienste der Expedition und zwar als mein persönlicher Boy zu treten. Wider Erwarten fand ich Mr. Hughes dazu bereit, er würde sogar nicht einmal das Fortgehen des jungen Malewo bedauern, dessen Brauchbarkeit für uns er zwar anerkannte, vor dessen Charakter zu warnen er sich aber verpflichtet fühlte. Derselbe habe sich bei verschiedenen Missionaren als unzuverlässig und unehrlich erwiesen, er sei von versteckter und eigennütziger Gemütsart.

Ich glaubte diesen Eigenschaften im Innern des Landes, wo er auf mich angewiesen sein würde, entgegentreten zu können und engagierte den jungen Prinzen vorläufig nur für die Reise nach San Salvador. Malewo schien hocherfreut von der Aussicht reisen zu können – die Eingeborenen zeigen einen sehr ausgeprägten Wandertrieb – und versprach seinem bisherigen Herrn, Mr. Hughes, der Mission, in der er erzogen worden sei, keine Schande zu machen, sondern sich als treuen und nützlichen Diener zu zeigen.

Am Sonntag den 7. Dezember machten sich die Herren Kund und Tappenbeck in der Frühe auf, um von Ango-Ango auf den linksseitigen Uferbergen zum Mposu zu gehen und von der an der Einmündung dieses Flusses in den Kongo gelegenen Station der Assoziation sich nach Vivi übersetzen zu lassen. Begleitet von nur einigen der eben engagierten Loangoboys, vermieden sie den gebräuchlichen über Tondoa an den Mposu führenden Weg, sondern gingen quer über das steinige Terrain, in dem das Gras noch niedrig stand, Hügel auf Hügel ab. Nach zwei oder drei Stunden in die Nähe eines Dorfes gelangt, ließen sie dieses zur Seite liegen, um durch eine Talsenke ihren Marsch fortzusetzen. Bewaffnete Eingeborene kamen jetzt aus jenem Dorf hervor, den Herren laut und drohend zurufend, und, als sich diese nicht darum kümmerten, sie verfolgend. Die Zahl der Verfolger vermehrte sich zusehends und den Drohungen folgten Gewehrschüsse, die freilich der weiten Entfernung halber keine unmittelbare Gefahr boten. Als die Schüsse aber häufiger fielen und die Verfolger sich beständig näherten, suchten die Herren die Gegner, deren Gebaren sie durchaus nicht verstanden, durch pantomimische Drohungen zurückzuschrecken. Diese blieben indessen ohne Erfolg und die Verfolgung währte bereits einige Stunden, als Leutnant Tappenbeck endlich drei Schüsse abgab, den ersten über die Köpfe der Angreifer hinweg, die beiden letzten auf diese selbst. Die Verfolger blieben nun zurück und unsere Herren kamen sehr erschöpft aber unverwundet an den Mposufluß, auf dessen jenseitigem Ufer die Station gelegen ist. Der Chef derselben kam freilich ans Ufer, konnte aber nur sein Bedauern aussprechen, aus Mangel eines Kanus die Herren nicht zu seiner Station überfahren lassen zu können. Da dieselben der Feinde halber nicht an der weiter oberhalb gelegenen Fährstelle der Eingeborenen den Fluß kreuzen konnten, die sehr reißende Strömung aber ein Durchschwimmen zu Unmöglichkeit machte, hißte der Stationschef Flaggensignale, um von Vivi einen Dampfer herbeizurufen, der die Herren nach dort überführen sollte. Sei es nun, daß man in Vivi die Flaggen und abgegebenen Signalschüsse nicht beachtete oder ein Fahrzeug nicht anwesend war, – kurz, es kam keine Hülfe für unsere Herren, die die Nacht herannahen sahen und, da sie keine Lebensmittel mit sich führten, an Hunger und Erschöpfung litten. An eine Rückkehr nach Ango-Ango war zumal zur Nachtzeit wegen der Verfolger nicht zu denken, und so mußten sie nebst ihren jugendlichen Dienern am Ufer des Mposu, im Angesicht der Station, die Nacht auf dem steinigen Boden ohne Feuer und Nahrung, ohne Zelt und Decken zubringen. Mit Tagesanbruch wendeten sie sich nach Ango-Ango zurück, wo sie gegen Mittag ungefährdet, aber in sehr erschöpftem Zustande anlangten.

Dieses Abenteuer hatte indessen noch sein Nachspiel. Die Eingeborenen erschienen in der holländischen Faktorei Ango-Ango mit der Drohung, den Handel dieses Hauses zu sperren, wenn ihnen nicht Genugtuung geleistet würde für einen getöteten und einen verwundeten Mann ihres Dorfes, die Opfer der Notwehr seitens der beiden Herren. Nach dem Grund der Verfolgung gefragt, behaupteten sie in gutem Recht gehandelt zu haben, denn die beiden weißen Männer hätten trotz vielfacher Zurufe – die die Herren, sowie ihre Loangos freilich nicht verstanden hatten – ihr Fetischtal betreten, dessen Zugang einem Nichteingeweihten und zumal einem Fremden sonst unbedingt das Leben kosten müsse. Unter den Eingeborenen gibt es nämlich geheime Gesellschaften, deren Mitglieder sich zuzeiten in abgelegene Gegenden zurückziehen, um dort ihren mystischen Satzungen zu leben. Da diese Gesellschaften der verschiedenen Gebiete des Lanes untereinander in Konnex stehen, so drohten jetzt für den Aufbruch und das Weiterkommen der Expedition die unvorhergesehensten und weitgehendsten Hindernisse zu entstehen – wenn nicht der Streitfall zur endgültigen Schlichtung käme.

Der Chef der holländischen Faktorei berief infolgedessen die angesehensten Männer des betreffenden Dorfes nach Ango-Ango, wo am 9. Dezember ein feierliches Palawer in Gegenwart einiger Missionare, Kaufleute und der Herren Schulze, Kund, Tappenbeck und meiner selbst stattfand. Ein Endbeschluß konnte indessen nicht erzielt werden, da Leutnant Tappenbeck zum mindesten bezweifelte, durch seine Schüsse den Tod eines Mannes und die Verwundung eines zweiten herbeigeführt zu haben. Mr. Hughes erklärte sich darauf bereit, sich in das feindliche Dorf zu begeben, um dort die Behauptung der Eingeborenen auf ihre Wahrheit zu prüfen. In der Tat kamen am Mittag des folgenden Tages eine Anzahl der Dorfleute, um Mr. Hughes zu ihrem Dorfe zu tragen. Als derselbe am Abende zurückkehrte, berichtete er uns, daß man ihm einen an der Schulter verwundeten Mann gezeigt hatte, dessen Verletzung offenbar die Folge einer aus europäischem Gewehr abgeschossenen Kugel sei, daß man ihn sodann an einen frisch aufgeworfenen Grabhügel geführt hatte, mit der Versicherung, derselbe enthalte den im Streit gefallenen Mann. Wir bezweifelten nun freilich sehr diese Versicherung, doch drängten uns die Umstände, das Palawer bald und glücklich zu Ende zu führen. Aus Furcht vor den Eingeborenen waren schon die Loangoboys von Ango-Ango nach Tondoa entlaufen und wollten dorthin nicht wieder zurückkehren. Außerdem kamen unter Führung Pansus, eins älteren Bruders (Halbbruders) Malewos, am 11. Dezember vormittags fünfzig Träger aus San Salvador an, so daß unser Aufbruch nach der Residenz nahe bevorstand.

Am Nachmittag desselben Tages fand daher in Ango-Ango ein Schlußpalawer statt, in dem die Eingeborenen nochmals versuchten, ein möglichst hohes Schmerzens- und Genugtuungsgeld zu erlangen; sie mußten sich indessen mit einer geringen Abfindungssumme zufrieden geben, die ihnen – da wir durchaus nicht wollten, daß dem gastfreundlichen holländischen Hause irgend ein Schaden durch die Expedition erwüchse – auch sofort in Gestalt von Zeug, Perlen und Rum ausgezahlt wurde, worauf die versöhnten Gegner heimkehrten.

Wir, Premierleutnant Schulze und ich selbst, begaben uns am Abend nach Tondoa zurück, wo am nächsten Tage die Verteilung der Lasten an unsere Träger stattfinden sollte, damit wir am nächstfolgenden Tage, dem 13. Dezember, den Landmarsch antreten könnten.

6Noch einmal an den Kongo zurückgekehrt, starb Revd. Comber im Sommer 1887. Sein Tod bedeutete einen außerordentlichen Verlust sowohl für die Mission als für die Afrikaforschung.

7D. h. die Grassteppe (Red.).

8Auch Klippdachs genannt, der einem Murmeltier ähnelt.