Reisen im Kongogebiet

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Nach seiner Rückkehr nach Deutschland arbeitete Richard Büttner ab 1890 an einem Gymnasium in Berlin, um jedoch im selben Jahr wieder nach Afrika zurückzukehren, wo er in Togo bis 1891 die nicht lange zuvor gegründete Station Bismarckburg leitete. Danach ist er wieder als Lehrer in Berlin tätig, wo er 1927 verstarb. Wissenschaftlich konnte sich Büttner als Mineraloge sowie als Botaniker einen gewissen Namen machen. Er selbst sagt, dass er mit dem entsprechenden Ertrag seiner Reise vor dem Hintergrund der permanenten Schwierigkeiten doch recht zufrieden sei. So brachte er eine reiche Ausbeute an Präparaten nach Europa mit, eine ganze Reihe von Pflanzen beschrieb er zum ersten Mal – und eine Aloe-Art trägt seinen Namen. Außerdem wirkte sich der koloniale Aufbruch in Deutschland auch im Bereich der Wissenschaften aus. Im Jahr 1887 wurde an der Universität Berlin das Seminar für Orientkunde gegründet, dessen wichtigste Aufgabe der Sprach- und Kulturunterricht für die deutschen Kolonialbeamten war. Das Seminar an der vom Deutschen Reich und Preußen gemeinsam verwalteten Universität erfüllte damit auch staatliche Aufgaben. Die politischen Interessen sorgten dafür, dass ihm recht bald schon ein Lehrstuhl für afrikanische Sprachen angegliedert wurde, für dessen Einrichtung Richard Büttner einen entscheidenden Beitrag leistete und damit am Anfang einer Entwicklung steht, die 1925 in Berlin zur Gründung des Fachs Afrikanistik führte.

Historische Reiseberichte sind immer auch Dokumente der Zeit, in der sie entstanden. Autoren bedienen sich der Ausdrucksweise und der Sprache ihrer eigenen Epoche und vertreten deren Wertesystem. Reiseberichte sind damit also immer wichtige historische Quellen, zugleich aber reine Lesetexte, die zur Zeit ihrer Entstehung wie auch heute noch ihr Publikum fanden und finden. So hat Richard Büttner sein Reisetagebuch schon bald nach seiner Rückkehr überarbeitet und in ein literarisches Gewand gebracht, das 1890 unter dem Titel »Reisen im Kongolande« erschien. Dabei beweist die hohe Anzahl an ähnlichen Publikationen, dass es damals ein großes Interesse an solchen Werken gab, die über fremde Menschen, Länder und Gebräuche berichteten – Texte, die es wert sind, auch heute noch gelesen zu werden.

Lars Hoffmann, Mainz

Weiterführende Literatur:

W. BAUMGART, Europäisches Konzert und Nationale Bewegung. Internationale Beziehungen 1830–1878. 2., ergänzte und durchgesehene Aufl. Paderborn 2007.

Th. Ehrsam, K. Horlacher, M. Puhan (Hrg.), Der weiße Fleck. Die Entdeckung des Kongo 1875–1903. Mit einem Essay von Hans Christoph Buch. Zürich 2006.

F. TH. GATTER (Hrg.), Protokolle und Generalakte der Berliner Afrika-Konferenz 1884–1985. Bremen 1984.

B. HEINTZE, Deutsche Afrikareisende in Angola. Ethnographische Aneignungen zwischen Sklavenhandel, Kolonialismus und Wissenschaft. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 2007, S. 178–189.

A. HOCHSCHILD, Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen. 3. Aufl. Stuttgart 2000.

J. SCHILDKNECHT, Bismarck, Südwestafrika und die Kongokonferenz. Münster/W. 2000.

Titel der Originalausgabe

REISEN IM KONGOLANDE

AUSGEFÜHRT IM AUFTRAGE DER AFRIKANISCHEN

GESELLSCHAFT IN DEUTSCHLAND

Von

Dr. Richard Büttner

Mit einer Karte von Dr. Richard Kiepert

Leipzig

J. C. Hinrichs’sche Buchhandlung

1890

VORWORT

Seit dem Eintritt des Deutschen Reiches in eine aktive Kolonialpolitik hat man es für praktisch gehalten, die staatlich unterstützte Afrikaforschung auf die unter dem Reichsschutz stehenden Gebiete zu beschränken, und die Reichsregierung hat die Förderung der Forschung selbst in die Hand genommen. Infolgedessen hat die »Afrikanische Gesellschaft in Deutschland«, die Auftraggeberin meiner in diesem Buche beschriebenen Reisen im Kongolande, bereits vor einiger Zeit ihre Auflösung beschlossen, die landesherrliche Genehmigung dazu ist im Januar dieses Jahres erfolgt, die »Mitteilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland «haben mit dem dritten Hefte des fünften Bandes im Mai ihren Abschluß gefunden und die Liquidation des Gesellschaftsvermögens ist soeben beendet worden.

Die selbständige Forschungsarbeit des Reiches ist noch zu neuerlichen Datums, als daß man schon berechtigt wäre, sie im Vergleich zu derjenigen der aufgelösten Gesellschaft zu setzen, indeßen darf wohl der Hoffnung Ausdruck gegeben werden, daß die staatlichen Gründungen in unseren westafrikanischen Schutzgebieten, denen man den Namen von wissenschaftlichen Stationen gegeben hat, die wissenschaftliche Forschung im Hinblick auf das rein Praktische nicht zu sehr in den Hintergrund treten lassen möchten.

Man erwarte aber nicht in der folgenden Beschreibung strenge Wissenschaft zu finden. Zu meinem eigenen größten Leidwesen waren die Verhältnisse während meiner Reise nicht dazu angetan, daß ich mich der wissenschaftlichen Forschung so widmen konnte, wie ich es wohl gewünscht hätte. Der Mangel an Instrumenten und die eigene Führung einer großen wandernden Expedition – beide veranlaßt durch den Umstand, daß Herr Premierleutnant Kund, statt nach San Salvador zu kommen und die Führerschaft der Gesamtexpedition zu übernehmen, es vorzog, nach dem Stanleypool zu marschieren und so unsere Trennung ständig zu machen – waren die hauptsächlichsten Ursachen einer mäßigen wissenschaftlichen Ausbeute. Im Vergleich zu anderen sogenannten Forschungsreisen in Afrika – mehr oder weniger berühmten Kilometerabschreitungen – ist freilich diese Ausbeute noch namhaft zu nennen.

Ich habe aber diesem Buche einen durchaus allgemeinen Charakter wahren wollen und deshalb habe ich die Bearbeitung des wissenschaftlichen Materials – soweit es zur damaligen Zeit vorlag – bereits im Frühjahr dieses Jahres im letzten (fünften) Band die »Mitteilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland«, Berlin 1886–1889, p. 168–271 veröffentlicht.

Doch einen andern Anspruch erhebt dieses Buch: es will eine wahre Schilderung der berührten Verhältnisse geben. Wenn nun freilich die individuelle Brille bei der Auffassung der Umstände nicht immer fortgelassen werden kann, so liegt doch in der Selbständigkeit, mit der sich die Reisenden und Forscher der aufgelösten Gesellschaft in einem uns durch keine aktiven kolonialen Beziehungen verbundenen Gebiete bewegen konnten, eine gewissen Gewähr für eine unparteiische Berichterstattung und freie Meinungsäußerung, die wir in der Art von den dort angestellten Beamten und Offizieren nicht erwarten können. Dieser Umstand muß sicherlich bei der abweichenden Darstellung derselben Verhältnisse seitens verschiedener Berichterstatter in Betracht gezogen werden. Außerdem scheint mir, daß sich derjenige größere Verdienste um eine Unternehmung erwirbt, der auch ihre Mängel und die Widerstrebungen, welchen sie ausgesetzt ist, bekannt gibt, als derjenige, der nur ihre Vorzüge und das Entgegenkommen, welches sie manchmal findet, meldet. Der Erfolg kann doch durch seine kundgewordene Schwierigkeit nur an Bedeutung gewinnen.

Andere Bemerkungen dem Buch mit auf den Weg zu geben, erachte ich als unnötig, wohl aber ist es mir eine angenehme Pflicht, noch einmal meinen Dank allen denen auszusprechen, die mir auf meiner Reise oder bei der Bearbeitung des heimgebrachten Materials ihre Unterstützung gewährt haben.

Potsdam, im November 1889

Dr. Richard Büttner

1. KAPITEL:
VON DER ELBE BIS ZUM KONGO

Am 1. August 1884 verließ ich die »deutsche Expedition zur Erforschung des südlichen Kongobeckens« an Bord des »Professor Woermann« Hamburg. Die Expedition setzte sich zusammen aus den Herren Premierleutnant Schulze als Leiter, Premierleutnant Kund, Sekundärleutnant Tappenbeck, Dr. med. M. Wolff als Arzt und meiner Wenigkeit als naturwissenschaftlichem Mitgliede. Wir hatten die Ehre gehabt, von der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland zu Berlin, deren Vorsitz zur damaligen Zeit Admiral von Schleinitz führte, gewählt zu werden, um mitzuarbeiten am Werk der Erforschung des tropischen Afrika, welches Werk diese Gesellschaft durch ihre Reisenden und Expeditionen in so ausgezeichnetem Maße gefördert und seinem Endziele näher gebracht hat.

Der Tag der Abreise machte der unruhig bewegten Zeit der Vorbereitungen – die leider in meinem Fall nur zwei oder drei Monate betrug – ein Ende und führte die Mitglieder der Expedition, die bis dahin einander kaum bekannt waren, auf einige Wochen zusammen.

Außer uns befanden sich noch an Bord ein Missionar der Baseler Gesellschaft, der mit der Gattin auf seinen Posten nach Quitta zurückkehrte und unter deren Schutz eine junge Dame reiste, die – mit einem Missionsangestellten verlobt – dessen Leben im fernen Land zu teilen willens war. Die übrigen Herren waren Kaufleute, zum weitaus größeren Teil dem Hause Woermann angehörig, die als Neulinge dem anderen Erdteile zustrebten, oder solche, die bereits einige Jahre dort zugebracht hatten und nun nach einer Zeit der Erholung in Europa zu ihren Stellungen zurückkehrten. Zu diesen letzteren gehörte auch Herr Schmidt, Hauptagent des Woermannschen Monrovialgeschäfts und deutscher Konsul für die Negerrepublik Liberia, der die Zeit des Urlaubes sowohl zur Wiederherstellung seiner Gesundheit in der deutschen Heimat als auch zur Instandsetzung und Ausrüstung seines Hauses in Monrovia angewendet hatte, denn er beabsichtigte sofort nach der Ankunft auf seinem Posten die jugendliche Braut, eine Tochter Liberias, heimzuführen. Unter solchen Umständen war es nur natürlich, daß sich unter der Ladung unseres Dampfers auch Salonspiegel und ein Pianino befanden, dessen weiße Tasten in den Dienst der zierlichen Finger der jungen schwarzen Herrin gestellt werden sollten.

 

Mit gutem Wetter fuhren wir am 3. August um die Mittagszeit in den Kanal ein und konnten dort für eine gute Weile zugleich auf die beiden Küsten blicken, wobei wir aber der englischen sehr viel näher blieben und eine interessante Ausschau auf ihre weißen Kalkmauern und die zahlreichen Ortschaften hatten. Die See ging hier höher als in dem deutschen Meer, welche Veränderung sofort die unvollständige Besetzung der Tafel im Salon zur Folge hatte; das Wetter blieb indessen klar und ruhig, und am folgenden Tage verließen wir bei der Insel l’Ouessant den Kanal, um in das hohe Meer zu steuern.

Nebel hinderten uns am 6. August Kap Finisterre in Sicht zu bekommen, veranlaßten dagegen halbe Fahrgeschwindigkeit und machten das häufige Ertönen der Signalpfeife notwendig. Am 9. standen alle Passagiere schon zu früher Morgenstunde – zum Landen bis auf Stiefel, Hut und Sonnenschirm bereit – auf Deck, sehnsüchtig durch die Gläser nach der Insel Madeira schauend, wo der »Professor Woermann« in Funchal Kohlen einzunehmen hatte und uns somit die günstige Gelegenheit geboten schien, eines der schönsten Stücke der Erde kennen zu lernen. Als wir uns indessen der Reede näherten und die weißen Häuser der Stadt aus den Gärten hervortauchten, als uns schon die ersten Palmen zuzuwinken schienen und mit roten Blüten überladene Mandelbäume vom grünen Hintergrunde sich abhoben – kündigte ein uns entgegengekommenes Regierungsboot »quarantaine grande«1 an.

Als der »Professor Woermann« die gelbe Flagge hißte und weit über einen Kilometer vom Lande entfernt vor Anker ging, war eine trübe Stimmung über die Passagiere gekommen, die durch den acht- oder zehnstündigen Anblick der unerreichbaren schönen Insel durchaus nicht gehoben wurde, auch weder den uns unter Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln an Bord gereichten Früchten (Bananen, Pfirsichen, Erdbeeren, Pflaumen, Birnen, Trauben u.a.m.) noch den flüssigen Inhalt einiger blaugekapselter Flaschen vom Hause Blandy Brothers weichen wollte. Ohne Bedauern hörten wir am Abend die Anker heben und bald entschwand uns die Insel in der hereinbrechenden Dunkelheit.

Am folgenden Tage nahm das Schiff den Kurs zwischen Palma und Teneriffa. Der Pik letzterer Insel war am Morgen für einige Stunden sichtbar gewesen, am Abend leuchteten die Lichter der Stadt Santa Cruz zu uns herüber.

Erst am 14. kam wieder Land in Sicht, das Kap Verde mit seinen Palmbäumen und dem auf einem der Points stehenden Leuchtturm. Dahinter erschien sehr bald die Insel Gorée, auf deren Reede unsere Anker um die Mittagszeit in die Tiefe rasselten. Nach Erfüllung der Formalitäten wurde die liberté de descendre2 erteilt, von welcher Erlaubnis seitens der Passagiere sofort Gebrauch gemacht wurde, hatte sich unser aller doch eine förmliche Sehnsucht nach Land bemächtigt. Am Ufer angekommen, machten wir einen Gang durch die Stadt, die etwa 6 000 Einwohner, darunter etwa hundert Weiße, haben soll, besuchten einige Geschäfte, um uns unter anderem mit der Spezialität von Gorée, Korkhelmen, zu versehen, die Post, die Befestigungen und den Markt. Die Stadt zeigt orientalischen Charakter; in engen Straßen blickt man auf die weißen fensterlosen Fronten, während die von Veranden umgebenen Höfe einen Blick auf das häusliche Leben der Bewohner darbieten. Der Marktplatz des Ortes ist von Kokos- und Dattelpalmen, Akazien und Tamarinden beschattet: auf ihm spielte sich gerade ein Gottesdienst der Mohamedaner ab, die hier keine eigene Moschee haben.

Da die Ladung für den Platz – 1 000 Sack Reis – an diesem Tage nicht vollständig gelöscht werden konnte, so machten wir am nächsten Morgen der Insel noch einen Besuch, um erst gegen Mittag an Bord zurückzukehren, worauf sehr bald der »Professor Woermann« seine Fahrt wieder aufnahm.

Trübes Wetter gestattete während einiger Tage keine Ortsbestimmungen, und so befanden wir uns am 19. August nachmittags um etwa 100 engl. Meilen über unser nächstes Ziel, Monrovia, hinausgelaufen. Umkehrend erreichten wir abends Gran Bassa, um dort einige Boote abzusetzen. Um Mitternacht wurde der Kurs nordwärts fortgesetzt und am 20. August morgens gingen wir vor Monrovia vor Anker. Der Kapitän gestattete nur einen kurzen Aufenthalt an Land, kaum hinreichend zu einem flüchtigen Besuch in der deutschen Faktorei und einen eiligen Gang durch das Krunegerdorf und die Straßen der Stadt.

Konsul Schmidt verließ uns hier, mit ihm gingen seine prächtigen Doggen Poggie und Box, die während der dreiwöchentlichen Fahrt gute Freundschaft mit den Schiffsbewohnern gehalten hatten, wenn sie auch öfters durch unangebrachtes Apportieren das Shibble- oder Shuffelboardspiel3 gestört hatten.

Nachdem noch fünfundzwanzig Kruboys4 für den Schiffsdienst und die südlicheren Plätze an Bord genommen waren, verließen wir Monrovia, um am folgenden Tage in Ni-su die Zahl dieser besten der westafrikanischen Arbeiter zu vervollständigen.

Das unfreundliche Wetter hielt an: Regenschauer gingen mehrfach auf uns nieder und die Wärme war sehr mäßig. Das Meer zeigte sich oft fast unbewegt; durch den Kiel unseres Dampfers in Aufruhr versetzt, erglänzte es zur Nachtzeit in Millionen von Funken. Fliegende Fische sah man häufig auf unglaubliche Strecken sich aus dem Wasser erheben, Delphine, Tümmler und Haie folgten dem Schiff und ließen oft ihre Flossen über der Oberfläche des Wassers erblicken.

Am 23. langten wir vor Accra an, einem der bedeutendsten Plätze der englischen Goldküste – man sprach uns von 15 000 Einwohnern. Auf kleinen von Eingeborenen gezogenen Wagen kommt man in kurzer Zeit zu der Baseler Missionsanstalt Christiansborg, deren Handwerkstätten sich an der ganzen Westküste einer wohlverdienten Rühmlichkeit erfreuen, und deren Zöglinge, als Maurer, Tischler, Zimmerleute und Köche, auch als Schreiber, wir überall an der Küste und selbst noch auf den fernsten Stationen des Kongostaates antrafen. Eine ganze Anzahl solcher Handwerker nahm auf unserem Dampfer Passagierscheine, die meisten für Gabun, die anderen für südlichere Plätze.

Als wir den Strand von Accra betraten, wurden wir zu unserem Erstaunen von einem gentlemanmäßig gekleideten Schwarzen in deutscher Sprache angeredet, der in den Dienst unserer Expedition zu treten wünschte. Premierleutnant Schulze, nachdem er über die Persönlichkeit in den Faktoreien Erkundigungen eingezogen hatte, engagierte in der Tat den Mann, der sich David Kornelius Bardo nannte, etwa vierzig Jahre zählte und zur Zeit Besitzer zweier Häuser und eines nicht ganz unbedeutenden Geschäfts in Accra war. Kornelius stammte von Cape Coast und hatte in der Baseler Missionsanstalt eine recht gute Erziehung genossen, war auch durch diese Mission nach Europa gekommen, wo er sich in verschiedenen Ländern und Stellungen mehrere Jahre aufgehalten hatte. Zurückgekehrt nach Afrika hatte er als Lehrer der Mission gedient, später einen weißen Kaufmann auf seiner Fahrt den Niger aufwärts begleitet und endlich den Krieg der Engländer gegen die Aschantis mitgemacht.

Von der Voraussetzung ausgehend, daß ein so erfahrener Mann der Expedition von Nutzen sein müsse, in Anbetracht der nicht ungünstigen Berichte der weißen Kaufleute über ihren schwarzen Konkurrenten und im Vertrauen endlich auf das intelligente und gutmütige Gesicht, das sich mit wohlgepflegtem Schnurr- und Knebelbart nicht unbedeutend ausnahm, hatte ich dem Entschluß des Premierleutnants Schulze gern zugestimmt, und der weitere Reisebericht wird zeigen, daß jene Wahl eine in der Tat gut getroffene gewesen ist. Da Kornelius für eine voraussichtlich längere Abwesenheit die Verhältnisse seines Besitztums zu ordnen hatte, so wurde vereinbart, daß er mit dem nächsten Accra berührenden, nach Süden gehenden Dampfer dem Premierleutnant Schulze nach Ambrizette, von wo man die Expedition anzutreten beschlossen hatte, folgen sollte.

Über Adda, wo das Landen an der felsigen Küste fast zu einem Wagestück wird, und wo ich zum ersten Male in einem Kokospalmenbestand, freilich in knöcheltiefem Sande, wandelte, kamen wir nach Quitta, um hier einen Teil unserer weißen Mitpassagiere abzusetzen. Außer den Missionsleuten ging hier auch ein Angestellter und Verwandter des Bremer Hauses Vietor und Söhne an Land, welche Firma an diesem Küstenstrich eine Anzahl Faktoreien besitzt, durch die man bestrebt ist, die Ziele der Mission zu unterstützen, indem man unter anderem den Branntweinhandel untersagt und den jungen Angestellten einen möglichst christlichen Lebenswandel zur Verpflichtung gemacht hat.

Am 25. August sahen wir über dem gelben Küstenstreifen, auf dem sich in trostloser Verlassenheit eine oder zwei deutsche Faktoreien erheben, die den Namen Lomé oder Baybeach führen, die deutsche Kriegs- und Konsulatsflagge wehen. Schon in Monrovia hatten wir von dem Vorgehen Dr. Nachtigals und Dr. Buchners gehört, und mit einem gewissen Bewußtsein traten wir jetzt auf den Sand des neuen deutschen Protektoratsgebietes.

In Bagidda – alle diese Plätze liegen nur einige Stunden Dampferfahrt voneinander entfernt – fanden wir in einem jungen Angestellten der Wölber und Brohmschen Faktorei den provisorischen Konsul für Lomé, Bagidda und Porto Seguro, der uns eingehend über die Ursachen und Vorgänge der Besitzergreifung Bericht erstatten konnte.

Am Morgen des 27. August lagen wir vor Little Popo, dessen König oder Chief und drei der angesehensten Männer vor kurzem die »Sophie« gefangen genommen und nach Deutschland geführt hatte. Zur Zeit unserer Anwesenheit herrschte dort eine große politische Verwirrung, indem sowohl die Deutschen als auch die Engländer und Franzosen je einen König aufgestellt hatten. Wir ignorierten natürlich die anderen Prätendenten und machten dem nationalen Cudjovi einen Besuch, bei welchem derselbe in weißem, großem Schultertuch und in schwarzem Zylinderhut erschien und uns eine Flasche Rum vorsetzte. Für noch feierlichere Staatsaktionen bedient sich der Alte eines blauen Klapphutes.

In Little Popo stellten uns die deutschen Herren in ihrer ausgezeichneten Liebenswürdigkeit – die man uns überall an der Küste in den Faktoreien der Firmen Woermann, Gödel und Götschow, Gödel, Wölber und Brohm, Vietor und Söhne und in der Baseler und Bremer Mission entgegenbrachte – für die Lagunenfahrt nach Whyda ihr hübsches Boot mit Bedienung und splendider Verproviantierung zur Verfügung. In kurzer Entfernung von der Küste zieht sich nämlich parallel mit derselben ein ausgedehntes System von Lagunenkanälen hin, die eine bequeme Verbindung der Küstenplätze darbieten, während die Dampfer natürlich ihren Weg auf dem Meere zu nehmen haben.

Der 28. August ließ uns in achtstündiger Fahrt auf der Lagune nach Grand Popo gelangen. Unser Boot war durch ein Segeldach vor den Strahlen der Sonne geschützt und wurde von drei Schwarzen durch Palmblattrippen verhältnismäßig schnell vorwärts gestoßen. Die Kanäle sind von verschiedener Breite, die bisweilen bis auf einige hundert Meter steigen mag, und von sehr einförmiger Mangroven- und Buschvegetation eingefaßt. Hier wurde uns auch zum ersten Mal der Anblick gewaltiger Krokodile zu teil, die an sonnigen Uferstellen der Ruhe pflegten, bei Annäherung unseres Bootes jedoch stets in das Wasser stürzten.

Grand Popo ist ein Ort von etwa 8 000 Einwohnern mit bedeutendem Handel und zahlreichen Faktoreien. Nach gastfreundlichster Bewirtung und moskitoumschwärmter Nacht unternahmen wir am nächsten Morgen auf dem von Gräben durchzogenen, sehr sumpfigen Gebiete in Nähe des Ortes eine zweistündige Jagdpartie, der eine Anzahl größerer Vögel, zumeist Reiherarten, zum Opfer fielen.

Nach dem Frühstück wurde die Bootfahrt auf der Lagune wieder aufgenommen, die in sechs Stunden an einer Uferstelle endete, von wo wir uns – um nach Whyda zu kommen – noch einem einstündigen, in der Dunkelheit etwas abenteuerlichen Landtransport über sehr sumpfiges Gebiet in Hängematten und auf den Schultern der aus der Gödelschen Faktorei entgegengesandten Accra- und Kruleute zu unterziehen hatten.

Das Gödelsche Haus in Whyda unterscheidet sich von den schuppenartigen und recht primitiven Faktoreien von Lomé, Little und Grand Popo durch elegante, ja selbst luxuriöse Ausstattung. Das stattliche steinerne Gebäude liegt an erhöhter Stelle der Stadt, an einem mit rotblühendem Clerodendrongesträuch bestandenen Platz. Von der Veranda erblickt man durch ein Fernrohr über die Stadt hinweg gerade noch die Spitzen der Masten der auf der Reede liegenden Schiffe, und hatten wir am 29. August das Vergnügen diejenigen des »Professor Woermann« zu entdecken.

Whyda bietet des Interessanten sehr viel. Die aus rotem Lehm gefertigten und mit Palmblättern gedeckten Häuser der Stadt, die an 40 000 Einwohner zählen soll, sind in regelrechten und teilweise mit Orangenbäumen bepflanzten Straßen angeordnet. Alle Häuser, Straßen und Stadtviertel haben Spezialfetische, die in den absonderlichsten Formen erscheinen, oft freilich nur aus ein paar Topfscherben bestehen, in denen Speisereste sich befinden. Stadtfetisch sind die Schlangen, denen man ein Heim in dem weitbekannten Schlangentempel gegeben hat. Derselbe ist ein nicht bedeutendes, ummauertes, mit einigen Bäumen bestandenes Gebiet inmitten der Stadt und enthält in einigen offenen Pavillons eine ganze Anzahl verschiedenartiger Schlangen, die sich freilich oft genug in den Häusern der Bewohner einfinden, wo die Tiere, nachdem die Tempeldiener benachrichtigt worden sind, mit Geschick wieder eingefangen und in Säcken feierlichst in ihr Quartier zurücktransportiert werden. Gewisse Verehrung genießt auch der große Fetischbaum – ein Baumwollbaum – dessen gewaltiger Stamm von Rindenstreben gestützt ist, die in einem Kreise von etwa fünfzig Meter Umfang liegen. Auffallend sind ferner die zahlreichen großen, nackthalsigen Geier, die – gleich Krähen auf den Dachfirsten sitzend – für gewissenhafte Reinigung der Straßen sorgen. Einige große Bäume inmitten der Stadt sind während der Tagszeit völlig behängt mit Scharen dicht aneinander gedrängter fliegender Hunde, die des Nachts ihre Streifzüge in die Umgegend unternehmen. Zur Zeit unserer Anwesenheit war die Stadt verhältnismäßig ruhig, denn alle angesehenen Leute, sowie die Amazonen des Königs, waren in der einige Tagereisen entfernten Residenzstadt Abómé, in der gerade die alljährlichen customs abgehalten wurden, jene Feste, bei denen die Gefangenen, die man früher als Sklaven exportiert hätte, zu Hebung der Feierlichkeit, und um sich derselben zu entledigen, in großer Zahl geschlachtet werden.

 

Das Königreich ist in jeder Beziehung gut organisiert und das Beamtenwesen sehr ausgebildet, so daß überall im Lande Ruhe und Ordnung herrschen, die dem krassen Despotismus des Königs, dem auch die weißen Kaufleute sich fügen müssen, als ein Verdienst anzurechnen sind.

Am Morgen des 30. August erhielten wir in der Faktorei den Besuch eines der Würdenträger des Staates, der von Abómé gekommen war, um Dr. Nachtigal die Geneigtheit des Königs, den Deutschen gewisse Rechte im Land einzuräumen, anzukündigen und ihn zum Behuf der Verhandlungen nach der Residenz einzuladen. Da die Gesandtschaft Dr. Nachtigal nicht mehr an der Küste angetroffen hatte, so wurden wir als Vertreter der deutschen Nation für würdig befunden, diese Botschaft des Königs an unseren Generalkonsul – den wir auf der Fahrt südwärts voraussichtlich treffen würden – weiter zu bestellen. Der Gesandte des Königs brachte als Legitimation einen Stock seines Herrn mit sich, bei dessen Anblick die Eingeborenen auf die Erde zu fallen, die Weißen aber die Hüte zu lüften haben.

Nach dem Frühstück am 31. August nahmen wir Abschied von unseren Gastfreunden und stiegen zur Beach hinab, wo wir über Sumpf und Lagune nach zwei Stunden anlangten, aber noch dieselbe Zeit in Sicht des Dampfers zu warten hatten, da die Erlaubnis des Stadtvorstehers, das Land zu verlassen, noch nicht eingetroffen war. Als diese Erlaubnis endlich in Gestalt des Stockes desselben anlangte, gingen wir zu Boot, um unter den Beschwörungen des Steuermanns und eines von den Faktoreien besoldeten Fetischmannes – die dadurch die Macht der Brecher zu besänftigen haben – glücklich wieder an Bord unseres Dampfers zu gelangen.

Am 3. September lagen wir vor dem Kamerundelta; am folgenden Morgen aber erst führte der offizielle schwarze Lotse, Herr Bottlebeer, den Dampfer den Fluß aufwärts, wo wir vor der Woermannschen Faktorei vor Anker gingen, um sofort in der herzlichsten Weise von den deutschen Herren begrüßt zu werden. Es waren dies Dr. Buchner, der zur Zeit hier als Reichskommissär postiert war, ferner die Herren Dr. Passavant und Dr. Pauli, welche das Hinterland zu erforschen hierher gekommen waren und ihre Wohnung auf der »Hamburger Louise«, der Hulk5 des biederen Kapitäns Voß, aufgeschlagen hatten, dessen Liebenswürdigkeit kennen zu lernen auch wir mehrfach Gelegenheit nahmen. Im übrigen fanden wir eine Anzahl Kaufleute vor, darunter auch Hern Panthenius, der als Agent der zweiten Woermannschen Kamerunfaktorei einige Monate später bei Gelegenheit des Kampfes unserer Marine ein Opfer der Bestialität der Eingeborenen werden sollte.

Einen wesentlich günstigeren Eindruck als die öde Sandküste des nördlichen Protektoratgebietes macht das erhöhte und gut mit Vegetation bestandene linke Ufer des Kamerunflusses, von dem herab dem Ankömmling Bananen, Kokos- und Ölpalmen, Pandanus und Baumwollbäume entgegenwinken. Auch ein Gang durch die Dörfer King Bells und King Akwas läßt das freundliche Bild nicht erblassen, denn das Auge trifft auf allerdings nur bescheidene Kulturen von Zuckerrohr, Voandzieen, Yams, Bataten, Kolokasien, Maniok und Bananen.

Bei einem unserer Spaziergänge mit Dr. Buchner kehrten wir im Hause Chief Joss’ ein, der uns frische Kokosnußmilch und von der Weinpalme gewonnenen Palmsaft in Karaffen und Gläsern vorsetzen ließ. Die Wohnung dieses wohlhabenden Mannes zeigte Überfluß an europäischen Artikeln, wie Stühlen, Bildern, Spiegeln, Uhren, Lampen und anderen Dingen mehr.

Das Leben auf dem Flusse ist zuzeiten ein bewegtes; so bei den von den Eingeborenen beliebten Ruderwettkämpfen, die wir mehrfach beobachteten und die in langen, von dreißig, vierzig, ja bis siebzig Leuten bemannten, originell verzierten Kanus abgehalten werden; oder auch bei der Ankunft von reich mit Fahnen geschmückten Handelskanus, die mit Palmöl und Kernen, Elfenbein, Ebenholz und Rotholz beladen unter Gesang, Geläut und Trommellärm zu den Faktoreien oder Hulks gerudert werden.

Ein anderes Bild muß der Fluß kurze Zeit vor unserer Ankunft geboten haben, denn es war, wie es alle vier Jahre zu Ende August oder Anfang September geschehen soll, ein ungeheurer Zug von Krebsen, eine Art Langschwänze, die Flüsse abwärts gekommen, und die gesamte Bewohnerschaft war mehrere Tage und Nächte beschäftigt gewesen, den Segen zu bergen und am Ufer bei großen Feuern aus den Tieren verschiedene Nahrungsmittel und Öl zu bereiten. Dieser Krebsniedergang ist die Ursache des Namens Kamerun geworden; aus den camerones und cameroes der älteren portugiesischen Seefahrer und Geschichtsschreiber ist das englische Cameroons und aus diesem das deutsche Kamerun entstanden.

Über die Eingeborenen selbst, ihre Trommelsprache, ihre und der Weißen Lebensweise, über das Kamerungebirge und andere Gebiete dieses unser Interesse in hohem Maße in Anspruch nehmenden Landes kann ich füglicherweise schweigen, da seit jener Zeit mehrfach und einige Male von berufener Seite darüber berichtet worden ist.

Unser Aufenthalt in Kamerun währte fünf Tage, ohne daß wir das Vergnügen gehabt hätten, den Kamerunberg auch nur einmal aus dem ihn umhüllenden Nebel hervortreten zu sehen.

Am 8. September verließ der »Professor Woermann« den Platz und am anderen Morgen liefen wir zugleich mit dem für Woermann gecharterten Dampfer »Graßbroek« die spanische Insel Klein-Cloby an, auf der sich die Depots von Woermann, Jansen und Thormählen und einigen anderen Firmen befinden. Von diesen Depots aus werden die einzelnen Faktoreien an der Küste sowie an den Flüssen durch kleinere Dampfer oder Boote mit Waren versehen, und hierher strömen die dort eingehandelten Produkte zusammen. Die Insel ist sehr klein und in einer halben Stunde zu umgehen, jedoch bot sie uns ein interessantes Bild eines Tropenwaldes. Am 11. lief die »Möve« mit Dr. Nachtigal an Bord die Insel an, und fand der Generalkonsul, trotzdem sein Aufenthalt nur wenige Stunden währte und diese der Korrespondenz gewidmet werden mußten, doch in seiner liebenswürdigen Weise Zeit genug, mit uns über die Aussichten und Verhältnisse unserer Expedition zu plaudern.