Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Untergang des Römischen Reiches Deutscher Nation – bei Jürgen Ruszkowski

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Z serii: gelbe Buchreihe #180
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Seiner Gesinnung getreu hatte Graf Waldeck die Schwenkung des Kurfürsten zum Kaiser hinüber nicht mitgemacht; schon im Mai des Jahres 1658, bald nachdem das Bündnis mit dem Kaiser zustande gekommen war, verließ er den brandenburgischen Dienst, um später in schwedischen zu treten. Vergebens hatte ihn der kaiserliche Gesandte Lisola, der seinen Wert erkannte, durch große Vergünstigungen für den Dienst des Kaisers zu gewinnen versucht. Viele Jahre später sollte er den Kurfürsten, seinen ehemaligen Herrn und Freund, unter sehr veränderten Verhältnissen wiedersehen.

* * *

Der Rheinbund

Der Rheinbund

Der Kurfürst von Brandenburg war nicht der einzige, der als Haupt einer Allianz die Führung im Reich an sich zu bringen dachte: ein katholischer Fürst war es, dem das gleiche Ziel vorschwebte, der Kurfürst Johann Philipp von Mainz.


Johann Philipp von Schönborn (* 6. August 1605 auf Burg Eschbach (heute Laubuseschbach) im Östlichen Hintertaunus; † 12. Februar 1673 in Würzburg) war Kurfürst und Erzbischof von Mainz

Schon durch seine Stellung als Erzkanzler des Reichs war Johann Philipp der bedeutendste unter den rheinischen Fürsten; aber er war es auch durch seine Person. Johann Philipp von Schönborn hatte im Dreißigjährigen Krieg als Offizier in kaiserlichem Dienst gestanden, war dann, 25jährig, Kapitular von Würzburg geworden und hatte als solcher den Einfluss des edlen und unglücklichen Spee erfahren. Was von dessen hochherziger Menschlichkeit auf ihn übergegangen sein mochte, gestaltete sich in ihm zur Duldsamkeit in religiösen Fragen und zu allgemeiner Friedensliebe, soweit beides nicht zu seinem fürstlichen Ansehen in Widerspruch stand. Den Hexenprozessen hat er in seinem Land ein Ende gemacht. Es gab keinen Fürsten im Reich, für den das fürstliche Ansehen nicht ausschlaggebend gewesen wäre, alle beherrschte die Sucht, ihr Gebiet, sei es groß oder klein, zu vergrößern und möglichst ertragreich zu machen. Als Johann Philipp im Jahr 1647 Kurfürst von Mainz wurde, war sein Kurfürstentum noch zum großen Teil von französischen Truppen besetzt, und er glaubte, den König von Frankreich am ehesten durch Nachgiebigkeit in allen Dingen zur Räumung bewegen zu können. Die Politik des Anschlusses an Frankreich war ihm nicht neu, er hatte dem Kaiser schon früh widerstrebt, als derselbe energischeres Vorgehen gegen Frankreich forderte.


Maximilian von Bayern (1573 – 1651)

Im Verein mit dem streng katholischen Maximilian von Bayern hatte er den Kaiser zur Abtretung des Elsass an Frankreich gedrängt. Allerdings war seine Politik von der des bigotten, auf Österreich eifersüchtigen Bayern doch verschieden.


Johann Philipp

Johann Philipp missbilligte die protestantenfeindliche Haltung des Kaisers, er selbst war in seinem Land milde gegen sie, hatte Protestanten in seinem Dienst und scheute sich sogar nicht, einem protestantischen Gottesdienst beizuwohnen. Vor allen Dingen hielt er dafür, dass der Friede für Deutschland notwendig sei und dass, da die gänzliche Unterwerfung der Protestanten, die der Kaiser wünschte, sich als unmöglich erwiesen habe, man sich mit ihnen vertragen müsse. Die Lage brachte den begabten, ehrgeizigen Johann Philipp auf den Gedanken, die Führung der Reichsangelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen in der Weise, dass er zunächst die rheinischen Länder in einer Allianz zusammenfasste, in die allmählich nach Möglichkeit auch andere Reichsfürsten ohne Unterschied der Konfession aufgenommen würden. Für jeden Reichsfürsten, ganz besonders aber für den Erzkanzler des Reiches, wäre es ordnungsgemäß gewesen, den Plan des Rheinbundes dem Kaiser zu unterbreiten und ihn zu bitten, sich an seine Spitze zu stellen. Nach Johann Philipps Meinung aber sollte der Bund in gewissem Sinne gegen den Kaiser gerichtet sein, insofern er etwaige kriegslustige oder herrschsüchtige Gelüste desselben in Schach halten sollte. War es schon eine Beleidigung des Kaisers, dass er nicht zum Eintritt in die Allianz eingeladen wurde, so war die Aufnahme des Königs von Frankreich vollends eine Herausforderung.

Das volkreiche und geldreiche, kräftestrotzende Frankreich musste notwendigerweise einen Druck auf das verarmte, verödete Reich ausüben und gegen dasselbe vordringen. Seit der Zeit Richelieus war zu deutlichem Ausdruck gekommen, welches das Eroberungsziel des geeinigten Landes war. Im Jahr 1632 erschien ein Buch des königlichen Rats Jacques de Cassan unter dem Titel La recherche des droits du Roy et de la couronne de France; es war Richelieu gewidmet. In diesem Buch wurde festgestellt, dass ganz Deutschland mitsamt seinem Anhang eigentlich Frankreich gehöre, außerdem Portugal und große Teile von Spanien und Italien. Für den Drang Frankreichs, mindestens den Rhein zu erreichen und womöglich die Kaiserkrone zu erringen, schien jetzt die Stunde der Ausführung gekommen zu sein. An der Spitze des an Hilfsmitteln überreichen Landes stand ein junger, begabter, höchst ehrgeiziger und völlig skrupelloser König, der sich zur Herrschaft über Europa berufen fühlte. Zu der Anziehungskraft der Macht, die Frankreich ausübte, kam die einer Kultur, die innerhalb der Schranken französischer Eigenart einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht hatte. In der Ausbildung der Sprache, in Poesie und Wissenschaft war Frankreich Deutschland weit überlegen, eine Menge vorzüglicher Ingenieure, Diplomaten, Soldaten, Feldherren, Staatsmänner, Gewerbetreibender, Dichter und Gelehrter wetteiferten, Frankreich groß zu machen und den Monarchen zu verherrlichen. Über die Rechte seines Landes, über die Anschauungen und die Willensrichtung der Untertanen gebot der König unbeschränkt; mit dem Kaiser verglichen war er fast allmächtig.

Die rheinischen Fürsten, die sich nach dem verwüstenden Krieg in ihren Ländern wieder leidlich einzurichten suchten, erfüllte gegenüber dem gewaltigen Nachbarn Schrecken und Bewunderung. Da sie es für unmöglich hielten, ihm zu widerstehen, schien es das Beste, sich gut mit ihm zu stellen. Indem er ein Glied des Bundes und ihr Freund und Beschützer wurde, war er zugleich unschädlich gemacht. Es war im Jahr 1655, als Johann Philipp einer schon bestehenden Allianz zwischen einigen rheinischen Fürsten beitrat, um sie zum Ausgangspunkt seines Planes zu machen. Als der einzige Staatsmann mit bestimmten Zielen war er bald der Leiter des Bundes und bemühte sich, ihn in seinem Sinne auszubauen. Mitten in die angeknüpften Verhandlungen fiel ein folgenschweres Ereignis, der Tod des Kaisers Ferdinand III.


Ferdinand III. (* 13. Juli 1608 in Graz; † 2. April 1657 in Wien ), geboren als Ferdinand Ernst, Erzherzog von Österreich aus dem Hause Habsburg, war vom 15. Februar 1637 bis zu seinem Tod.

Er starb im Frühling 1657, nachdem er während der letzten Jahre infolge des Todes seines geliebten ältesten Sohnes in Schwermut versunken gewesen war. Nicht nur die Fürsten im Reich, ganz Europa wurde durch die bevorstehende Kaiserwahl in Aufregung versetzt.


Jules Mazarin, eigentlich „Giulio Mazzarino“, er unterzeichnete aber bis zu seiner Übersiedlung nach Frankreich als „Giulio Mazzarini“, (* 14. Juli 1602 in Pescina, Königreich Neapel; † 9. März 1661 im Schloss Vincennes, Königreich Frankreich), war ein französischer Diplomat und Kardinal italienischer Abstammung, seit 1659 Herzog von Nevers und Rethel sowie von 1642 bis 1661.

Mazarin, damals leitender Minister in Frankreich, hätte die Kaiserkrone am liebsten seinem König, dem jungen Ludwig XIV., zugewendet, allein er sah ein, dass das trotz aller Versprechungen, die die Kurfürsten ihm gelegentlich machten und die Karl Ludwig von der Pfalz vielleicht sogar ernst meinte, nicht durchzusetzen sein werde.


Karl I. Ludwig (Pfalz) Karl I. Ludwig (* 22. Dezember 1617 in Heidelberg; † 28. August 1680 bei Edingen) aus der pfälzischen Linie der Familie der Wittelsbacher.

Da die Politik der deutschen Fürsten von jeher bezweckte, die Macht des Kaisers zu schwächen, hätten sie sich den größten Tort angetan, wenn sie den mächtigsten Monarchen Europas sich zum Herrn gesetzt hätten.

Gegen Karl V., so gewaltig er war, hatten sie Frankreich aufbieten können; wer sollte sie vor einem Kaiser schützen, der zugleich König von Frankreich war? Wenn der König von Frankreich aber für sich selbst verzichten musste, sollte wenigstens ein von ihm abhängiger Kandidat die Krone erringen, und dazu ersah Mazarin den jungen Kurfürsten von Bayern, Ferdinand Maria. Ausnahmsweise aber verhielt sich Bayern ablehnend gegen Frankreich: unter dem Einfluss seiner Mutter, die eine österreichische Prinzessin war, und seiner Österreich freundlichen Räte verpflichtete sich der noch sehr junge Kurfürst, die Wahl nicht anzunehmen. Mochten auch hie und da Gedanken an ein protestantisches Kaisertum und an die Kurfürsten von Sachsen oder Brandenburg auftauchen, so waren das doch nur Träume ohne Folge. Es war wieder so, dass man aus Verlegenheit an dem verhassten Hause Habsburg hängen blieb. Sehr wichtig war es, dass die Kaiserwahl grade in die Zeit fiel, wo der Kurfürst von Brandenburg sich mit dem Kaiser gegen Schweden verbinden wollte und deshalb dem in Österreich regierenden Herrn seine Stimme nicht entziehen konnte. Der Kurfürst von Köln, ein Wittelsbacher, der seinen bayrischen Verwandten gewählt hätte, ließ sich, da dieser ablehnte, mit einer mäßigen Bestechungssumme, wie die Habsburger sie aufzuwenden pflegten, gewinnen. Mainz war umso eher geneigt, sich für Österreich zu erklären, als es ein Mittel hatte, noch über die Wahlkapitulation hinaus den Kaiser in Schranken zu halten, nämlich den Rheinbund.

 

Wenn der König von Frankreich ihm beitrat, so hatte man, meinte der Erzkanzler des Reiches, ein Gegengewicht, das den Kaiser an seine Verpflichtung, Spanien nicht gegen Frankreich zu unterstützen, fest binden und dadurch den Frieden sichern würde. Er glaubte, trotz des Königs von Frankreich, die leitende Macht im Bunde zu bleiben und dadurch die ausschlaggebende Macht im Reich werden zu können, der Friedensbringer.

Eine ganz uneigennützige Friedensliebe war von allen diesen Herren, auch von Johann Philipp von Schönborn, nicht zu erwarten. Den unersättlichen Geldhunger der deutschen Fürsten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts konnte nur Frankreich befriedigen. Ist es immer schwer, die ineinander verschlungenen Fäden des Guten und Bösen zu entwirren, so lässt sich auch nicht leicht beurteilen, wieweit Geldgier und wieweit vernünftige politische Gründe für die Handlungen der Fürsten maßgebend waren. Point d'argent point de Mayence pflegte man in Frankreich zu sagen. Alle fanden es selbstverständlich, dass sie für ihre Dienste gut bezahlt wurden. Die Kaiser wandten viel weniger auf Bestechung als die französischen Könige, teils weil sie kein Geld hatten, teils weil sie zu stolz waren, um sich die Anhängerschaft der Reichsstände zu erkaufen.

In den Jahren 1658 bis 1666 traten dem Bunde nacheinander bei: Frankreich, Kur-Mainz, Kur-Köln, Schweden, Pfalz-Neuburg, Braunschweig, beide Hessen, Württemberg, Zweibrücken, der Bischof von Basel, der Bischof von Straßburg, Kur-Brandenburg, der Markgraf von Brandenburg. Der Kurfürst von Brandenburg war einer der letzten, der sich anschloss; nicht die Mitgliedschaft Frankreichs schreckte ihn ab, mit dem er ohnehin verbündet war, wohl aber die Mitgliedschaft Schwedens, dem er das fast schon eroberte Pommern wieder hatte herausgeben müssen.

Es wäre ein Wunder gewesen, wenn so viele deutsche Fürsten sich längere Zeit miteinander vertragen hätten. Der Gegensatz zwischen Kurfürsten und Fürsten, zwischen Katholiken und Protestanten machte sich bald bemerkbar. Dass der Kurfürst von Mainz sich mit Hilfe französischer Truppen der protestantischen Stadt Erfurt bemächtigte, auf die er Ansprüche hatte, gab den Protestanten gerechten Anlass zum Unwillen. Es zeigte sich bei dieser Gelegenheit, welches eigennützige Interesse der Kurfürst an der Verbindung mit Frankreich hatte: er, der Friedensstifter, der so eifrig daran gearbeitet hatte zu verhindern, dass spanische Truppen den Reichsboden beträten, erlaubte sich, mit französischen Truppen den Frieden zu brechen.

Übrigens war die Sorge, der Kaiser möchte trotz eingegangener Verpflichtungen Spanien gegen Frankreich unterstützen und dadurch das Reich in Krieg verwickeln, schon hinfällig geworden, als im Jahr 1659 der Pyrenäische Friede zustande kam und einen Krieg abschloss, der 24 Jahre gedauert hatte. Er entschied das Übergewicht Frankreichs in Europa und das endgültige Abgleiten Spaniens von der gebietenden Stellung, die es zur Zeit Karls V. und Philipps II. eingenommen hatte.

* * *

Ludwig und Leopold

Ludwig und Leopold

Bald nach dem Abschluss des Pyrenäischen Friedens starb Mazarin, der Nachfolger Richelieus, und an die Spitze Frankreichs trat der junge König Ludwig XIV. mit der Absicht, die Regierungsgeschäfte selbst in die Hand zu nehmen.


Ludwig XIV., französisch Louis XIV (* 5. September 1638 in Schloss Saint-Germain-en-Laye; † 1. September 1715 in Schloss Versailles)

Er war der erste Monarch in Europa, der die neue Staatsrechtslehre von der Unteilbarkeit und Allmacht der Staatsgewalt bewusst und mit dem Einsatz einer starken Willenskraft verwirklichte. Er war durchaus kein Genie, aber erfüllt von Selbstbewusstsein und Ruhmsucht war er höchst geeignet, die Kräfte eines blühenden, geeinigten Landes in sich zusammenzufassen und blendend darzustellen. Die Art, wie er sich selbst als Idol setzte, so dass die persönliche Eigenart sich verflüchtigte, gab ihm etwas Starres; vielleicht aber war es gerade das, dass er mehr götzenhaft als gottähnlich war, was ihm damals und später so viele Bewunderer verschaffte.

Der historische Gegner Frankreichs war der Kaiser. Karl V. hatte einst dem König Franz I. als Mensch und Fürst überlegen gegenübergestanden, Leopold stand in mancher Hinsicht hinter Ludwig zurück.


Kaiser Leopold I. (1672) Leopold I. (* 9. Juni 1640 in Wien; † 5. Mai 1705 ebenda), VI. aus dem Hause Habsburg, geboren als Leopold Ignaz Joseph Balthasar Franz Felician, war von 1658 bis 1705 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Er war so verschieden von ihm wie das bunte, mannigfaltige Völkerreich Österreich von dem geschlossenen Staat Frankreich.

Als er im Jahr 1659 zur Regierung kam, war er erst 18 Jahre alt, eine äußerlich etwas kümmerliche Erscheinung. Er hatte nicht das blonde Haar, das eigentliche Kennzeichen der Habsburger, er war dunkel, und nur die außergewöhnlich dicke hängende Unterlippe, die unverschämt große Goschen, wie Karl Ludwig von der Pfalz sagte, konnte als Familienmerkmal angesprochen werden. Als jüngerer Sohn war er zum Geistlichen bestimmt und jesuitisch erzogen worden, seine natürliche Anlage zum Jähzorn, zum Selbstbewusstsein und zum Stolz hatte man unterdrückt.


Leopold I.

Nicht nur infolge der Erziehung, sondern auch von Natur war er durchaus unkriegerisch und hatte keinen Funken politischer Leidenschaft.

In diesem Punkt war Ludwig ihm weit überlegen. Er besaß, was den Eroberer macht: einen festen auf ein festes Ziel gerichteten Willen. Dies Ziel war durch die großen Minister, die ihm vorausgegangen waren und ihm vorgearbeitet hatten, vorgeschrieben: die Rheingrenze und folglich die Einverleibung derjenigen Gebiete, die Frankreich vom Rhein trennten. Darüber hinaus gab es einen fernen Gipfel, den schimmerndes Gewölk verhüllte: die Kaiserkrone, die noch immer das edelste Diadem der Christenheit war, und dann, was vielleicht jedes Eroberers heimlicher Endwunsch ist, die Weltherrschaft, wenn man den erreichbaren Erdkreis Welt nennen will. Diese Herrschaft konnte nicht unmittelbare Aneignung sein, wohl aber wirksamer Einfluss, schiedsrichterliche Stellung. Ludwig als Kaiser würde der wahre Dominus mundi sein, dem selbst der Papst Untertan wäre. Gab es irgendeine Macht, die ihm erfolgreichen Widerstand hätte leisten können? Über England regierte der Stuart Karl II., den seine Absicht, England wieder zu katholisieren und ein absolutistisches Regiment aufzurichten, zum Gefolgsmann Frankreichs machte, und der ohnehin durch seinen Charakter wie durch das gegensätzliche Verhältnis zu seinem Volk ein gering zu schätzender Feind gewesen wäre. Holland hatte soeben einen großen Seekrieg mit England ruhmreich beendet, durch welchen England Hollands Übergewicht zur See zu brechen versucht hatte.


König Stuart Karl II. England (1630 – 1685)

Wie natürlich war der Anschluss an Frankreich für einen Staat, der sein Entstehen einem 80jährigen Kampf gegen Spanien verdankte!


Johan de Witt (auch Jan de Wit; * 24. September 1625 in Dordrecht; † 20. August 1672 in Den Haag) war als Ratspensionär von Holland für nahezu 20 Jahre der dominierende niederländische Staatsmann, und damit einer der ersten Nicht-Monarchen an der Spitze einer europäischen Großmacht.

Jan de Witt, der Ratspensionär von Holland, ein kultivierter, bedeutender Mann, glaubte im herkömmlichen Anschluss an Frankreich den Frieden am besten erhalten zu können, und Frieden erschien der ersten europäischen Handelsmacht als wichtigstes Erfordernis. Den Frieden und die durch den Kongress von Osnabrück und Münster notdürftig geordneten Verhältnisse zu erhalten, war der allgemeine Wunsch im Reich, das Ludwig auch ohnehin durch den Rheinbund beherrschte. Die meisten Reichsfürsten waren außerdem noch durch Subsidien an Frankreich gefesselt. Es blieb Österreich als etwa zu fürchtender Gegner; aber gegen Österreich konnte Ludwig die Ungarn und die Türken hetzen. Regent, Diplomaten, Feldherren, Finanzen waren überhaupt derart in Österreich, dass der König von Frankreich ohne Mühe mit ihnen fertig werden zu können glaubte.

Seit Leopold die Regierung angetreten hatte, war er außerordentlich fleißig; aber wenn er stundenlang Berichte gelesen und Briefe geschrieben und die disgusti, die die Politik mit sich bringt, ausgehalten hatte, glaubte er eine recreazion verdient zu haben und ergab sich mit frohem Herzen dem, was das Eigentliche war. Das Eigentliche waren Musik und Liebe. In seine jeweilige Frau war er sehr verliebt, besonders wenn sie seine Cousine war. Seine erste Frau, eine spanische Prinzessin, war so vielfach mit ihm verwandt, dass sie fast wie eine Schwester war, und doch eine Fremde, etwas unwiderstehlich Anziehendes. In der Musik war er selbst ausübend, und Musik zu hören konnte er nicht entbehren. Wenn eine Oper aufgeführt wurde, stahl er sich selbst dann hin, wenn die Hoftrauer um irgendein Glied seiner Familie es ihm eigentlich verbot. Auch den Balletten, den Turnieren, den Jagden und sonstigen Festlichkeiten widmete er sich mit Hingebung. Neben einem steifen und pompösen Zeremoniell, das streng nach den Gebräuchen der Vorfahren eingerichtet war und unerschütterlich gehandhabt wurde, ging es am Hof wienerisch gemütlich zu. Viele fanden es anstößig, dass Leopold in Frankfurt während der Kaiserwahl sich mit Kegelschieben unterhalten und dabei vertraulich mit seinen Begleitern verkehrt hatte. Er konnte das tun, weil er wusste, dass sie nie die Grenze überschreiten würden, die zwischen dem Herrn und seinen Dienern gezogen war. Vielleicht war es eine Art Hochmut, dass er sich so unbekümmert in seiner Menschlichkeit gehen ließ; aber jedenfalls war es ein Hochmut, der ihm die Menschen näherbrachte, anstatt sie von ihm zu entfernen. Die Dietrichstein, Portia, Lobkowitz, Liechtenstein, Piccolomini, Esterhazy, Österreicher, Reichsdeutsche, Italiener, Böhmen, Ungarn, die die Hufe ihrer Pferde mit Silber beschlagen lassen konnten, die viele Güter besaßen und reicher waren als der Kaiser, hielten sich in Wien auf, weil sie nur am Hof ihres Lebens froh werden konnten. Zu den Beschäftigungen, die dem Kaiser am Herzen lagen, gehörte auch das Besuchen von Kirchen und Klöstern, die Wallfahrten, die gottesdienstlichen Verrichtungen. Er war sehr kirchlich und aus Überlieferung und Gewohnheit fromm. Gott war für ihn ein besonders vornehmes Glied der Familie, eine Art sagenhafter Ur-Habsburger, der wohl einmal, temperamentvoll, wie er war, die Zuchtrute über ihm schwingen konnte, der aber doch schließlich ein Einsehen haben und die Seinigen gut hinausführen würde.

Dem leidenschaftlichen Erobererwillen Ludwig XIV. hatte er diese Frömmigkeit und sein Pflichtgefühl entgegenzusetzen, und etwas, was freilich auch Magie war: das habsburgische Cäsarenbewusstsein, das sich mit seiner kindlich-spielerischen Natur wunderlich vereinte. Dadurch, dass er nichts tat, ermöglichte er es zuweilen der Zeit und dem Zufall, etwas für ihn zu tun. Etwas österreichischer Skeptizismus und Fatalismus war auch dabei; er sah um sich herum so viele Leute, auch seine eigenen Kinder, sterben, sah so viele Glückswechsel, Erwartungen und Enttäuschungen: basta, pazienza, man musste es geschehen lassen, man konnte nichts tun, als hoffen, dass es besser komme.

 

So war es aber doch nicht, dass sich Leopold des Gegensatzes zu Frankreich, der ein Erbteil seiner Familie war, nicht bewusst gewesen wäre. Frankreich gegenüber fühlte er sich deutsch und erhob sich auch wohl zu dem Gefühl der Verantwortung, die er als Kaiser für das Reich übernommen hatte. Seine Briefe waren, wie gewiss auch seine Rede, gespickt mit lateinischen, italienischen, spanischen Brocken, denn diese Sprachen beherrschte er und hatte viel Gelegenheit, sie zu brauchen; aber nie kommt ein französischer Ausdruck vor. Es musste ihn erbittern, dass Ludwig ihm in Spanien den Rang ablief und die Hand der ältesten Tochter des spanischen Königs errang, die er schon als die seinige betrachtet hatte. Durch unablässiges Werben und Drängen setzte er die Vermählung mit der zweiten, Margarethe Theresia, durch, einem zarten, gebrechlichen Wesen, das nach mehreren Geburten geduldig starb. Einstweilen jedoch bestanden zwischen Versailles und Wien gute Beziehungen, Leopolds vertrautester Rat, Lobkowitz, war sogar ein Bewunderer des französischen Königs.


Wenzel Eusebius Fürst Lobkowitz (1609–1677)

Vergleicht man die Persönlichkeit der beiden Regenten, so musste, wenn es sich um kriegerische Entscheidungen handelte, Leopold hinter Ludwig zurückstehen; noch weit mehr aber war das der Fall, wenn man den Unterschied in der Verfassung der Länder bedenkt. Ludwig verfügte über alle finanziellen und militärischen Kräfte Frankreichs; wenn auch Leopold keinen Widerstand der Stände mehr zu befürchten hatte, so war doch Österreich bei weitem nicht so zentralisiert wie Frankreich, und auf den österreichischen Adel musste viel mehr Rücksicht genommen werden. Als Kaiser bedeutete Leopold militärisch überhaupt nichts. Ob das Reich, das unter einem Führer eine fast unwiderstehliche Macht ins Feld hätte schicken können, sich ihm anschließen wollte, hing vom Belieben der einzelnen Reichsstände ab, von denen ein großer Teil an Frankreich verkauft war. Ohne Verbindung mit einer auswärtigen Macht konnte Leopold kaum einen Krieg mit Frankreich wagen.

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