Der Dreißigjährige Krieg

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11.

Auf der Stra­ße, die durch die Ber­ge der Ei­fel nach Dü­ren führ­te, über­hol­te ein Trupp Mans­fel­di­scher Rei­ter ei­ni­ge Land­leu­te, die eine Hoch­zeit zu voll­zie­hen sich in das nächs­te Kirch­dorf be­ga­ben. Es wa­ren das Braut­paar, des­sen El­tern und die Ver­wandt­schaft mit ih­ren Kin­dern, alle sau­ber ge­klei­det, die Braut mit Bän­dern und ei­ner tur­mar­ti­gen Kro­ne ge­schmückt, un­ter der ihr jun­ger Kopf sich ernst und scham­haft beug­te. Beim An­blick der Rei­ter er­schra­ken die Leu­te, be­ru­hig­ten sich aber, als ei­ner der­sel­ben, ih­ren Dia­lekt ko­misch nach­ah­mend, sie freund­lich an­sprach, nach dem Wege frag­te und ver­si­cher­te, dass sie nichts Feind­li­ches im Sin­ne hät­ten, viel­mehr selbst der Hil­fe be­dürf­tig wä­ren. Die vom Schreck be­frei­ten Bau­ern ga­ben Be­scheid, wor­auf die Rei­ter sich ih­nen an­schlos­sen und un­ter dem müh­se­lig ge­führ­ten Ge­spräch zur Hoch­zeit ein­lu­den, da sie noch nichts im Lei­be hät­ten, auch Ge­nüg­sam­keit ge­lob­ten, als die Leu­te auf das ge­rin­ge Maß der im Dor­fe vor­han­de­nen Vor­rä­te hin­wie­sen. Es war An­fang Ja­nu­ar, und nach lan­gen Re­gen­ta­gen setz­te schar­fe Käl­te ein; ein bei­ßen­der Nord­wind pfiff durch das lee­re Gins­ter­ge­strüpp, das hie und da die Hü­gel be­wuchs, und die erst durch­weich­ten, nun ge­fro­re­nen Wege wa­ren für die bar­fuß lau­fen­den Kin­der schwer zu be­ge­hen. Eine Vier­tel­stun­de von dem Dor­fe ka­men den Hoch­zei­tern Be­freun­de­te ent­ge­gen, de­nen Spi­el­leu­te vor­an­gin­gen, und wie­der­um zer­streu­te die gute Lau­ne der Rei­ter die Be­sorg­nis, die ihr un­er­war­te­tes Er­schei­nen ein­flö­ßte. Da sich zeig­te, dass sie gute Ka­tho­li­ken wa­ren, die Knie beug­ten und be­te­ten wie die an­de­ren, war die Ein­woh­ner­schaft vollends zu gast­li­cher Auf­nah­me wil­lig, und das Hoch­zeits­mahl wur­de durch her­zu­ge­tra­ge­nes Brot, Fleisch und Dünn­bier, so gut es ge­hen woll­te, er­wei­tert. Beim Tan­ze, der sich an das Es­sen an­schloss, ent­spann sich ein Streit, in­dem ein be­trun­ke­ner Rei­ter die Braut um die sil­ber­nen Be­schlä­ge an­sprach, die ihr Mie­der zier­ten und die sei­ne Hab­gier reiz­ten. Der Bräu­ti­gam lief zu ih­rem Schut­ze her­bei, der Rei­ter wur­de hit­zig, zog die Braut an sich und stach ihr, als sie sich ihm schrei­end ent­win­den woll­te, ein kur­z­es Schwert, das ihm an der Sei­te hing, ins Herz. Daraus ent­wi­ckel­te sich ein all­ge­mei­nes wil­des Kämp­fen, das durch die plötz­li­che An­kunft Mans­felds, des Re­gi­ment­s­obers­ten, un­ter­bro­chen wur­de. Er sprang so­fort vom Pfer­de, trat un­ter die Wü­ten­den und hieß einen der Sei­ni­gen spre­chen, der die Schuld des Ge­sche­he­nen auf die Bau­ern zu schie­ben such­te, als hät­ten sie einen lis­ti­gen Über­fall vor­be­rei­tet, des­sen sie, die Sol­da­ten, sich ge­walt­sam hät­ten er­weh­ren müs­sen. Mans­feld stell­te sich an, als ob er ihm Glau­ben schenk­te, be­fahl sei­nen Leu­ten, al­les her­aus­zu­ge­ben, was sie sich etwa den Bau­ern Ge­hö­ri­ges an­ge­eig­net hät­ten, ließ sie auf­sit­zen und spreng­te mit der gan­zen, nun ver­ei­nig­ten Trup­pe so schnell wie mög­lich da­von, ohne dass die Bau­ern der be­waff­ne­ten Über­macht ge­gen­über Wi­der­stand zu leis­ten hät­ten wa­gen kön­nen.

Schon lag das frü­he Dun­kel auf den Hü­geln, über die die Rei­ter hin­jag­ten. Mans­feld war ver­stimmt und sag­te un­ge­hal­ten zu dem Leut­nant, der die Schul­di­gen an­ge­führt hat­te, er durch­schaue den wah­ren Sach­ver­halt wohl und wür­de eine blu­ti­ge Stra­fe ver­hängt ha­ben, wenn er nicht hof­fen kön­ne, dass die Tat in die­sem ver­las­se­nen Win­kel be­gra­ben blei­be. Als der Leut­nant sich da­mit ent­schul­di­gen woll­te, dass nach lan­gem Fas­ten ih­nen Es­sen und Trin­ken zu Kop­fe ge­stie­gen sei, hieß ihn Mans­feld schwei­gen; er müs­se für ihre Zü­gel­lo­sig­keit bü­ßen, ihm häng­ten sie den Na­men ei­nes Mord­bren­ners an, der die Ka­tho­li­ken so we­nig ver­scho­ne wie die Evan­ge­li­schen. An ei­ner Weg­schei­de ließ er Halt ma­chen, sprach sein Miss­fal­len und die Hoff­nung aus, die Übel­tä­ter wür­den sich be­ei­fern, ihr Schel­men­stück durch eine sol­da­ten­mä­ßi­ge Hel­den­tat wie­der gutz­u­ma­chen. Ei­ni­ge Mei­len ent­fernt lie­ge das Städt­chen Schley­den, das in Fein­des­hand, aber un­ge­nü­gend be­setzt sei und leicht über­rum­pelt wer­den kön­ne. Dort wol­le er sich fest­set­zen, um mit si­che­rem Rück­halt Streif­zü­ge zu wa­gen und wei­ter um sich zu grei­fen. Die­ser Über­fall ge­lang; aber schon am fol­gen­den Tage er­schi­en eine star­ke Ab­tei­lung bran­den­bur­gi­scher Sol­da­ten un­ter dem Gra­fen Fried­rich Solms, de­nen ge­gen­über Mans­feld den schwach be­fes­tig­ten Ort nicht hal­ten konn­te. Nach tap­fe­rer Ge­gen­wehr muss­te er sich mit den über­le­ben­den Sol­da­ten ge­fan­gen ge­ben, wur­de nach Dü­ren ge­bracht und war­te­te dort un­ge­dul­dig auf das Lö­se­geld, das sein Kriegs­herr, Erz­her­zog Leo­pold, für ihn zu er­le­gen auf­ge­for­dert wur­de.

Wäh­rend der er­zwun­ge­nen Un­tä­tig­keit, die ihn von Tag zu Tag un­leid­li­cher drück­te, lief an Mans­felds Geis­te sein ver­gan­ge­nes Le­ben, aus Kampf, Ent­täu­schung und Bit­ter­keit be­ste­hend, vor­über. In sei­nem zehn­ten Le­bens­jah­re hat­te es sich be­ge­ben, dass er in die Bü­cher, die ihm ge­hör­ten, ein paar fran­zö­si­sche An­dachts­bre­vie­re, eine Be­fes­ti­gungs­leh­re und einen la­tei­ni­schen Plut­arch, ne­ben sei­nen Na­men Pe­ter Ernst Mans­feld den Wahl­spruch sei­nes Va­ters ge­schrie­ben hat­te, der ihm über­aus wohl­ge­fiel: For­ce m’est trop. Dies hat­te der Hof­meis­ter der Pa­gen, mit de­nen er er­zo­gen wur­de, ge­se­hen und ihn auf Be­fehl sei­nes Va­ters mit Schlä­gen so ge­züch­tigt, dass Blut ge­flos­sen war. Es wur­de ihm da­bei ge­sagt, dass er der Ge­walt sich zu fü­gen ler­nen müs­se, dass das stör­ri­sche, un­bän­di­ge We­sen ihm aus­ge­trie­ben wer­den sol­le, und als er sich zor­nig be­klag­te, ein Fürs­ten­sohn dür­fe nicht wie ein Knecht be­han­delt wer­den, wur­de ihm ent­geg­net, er sei ein Ba­stard, sol­le nach dem Wil­len sei­nes Va­ters nicht an­ders be­han­delt wer­den als die Pa­gen, die im Schlos­se dienten, und habe kein Recht, sei­nes Wap­pens und Wahl­spruchs sich zu be­die­nen. Wenn ihn seit­dem ein Geg­ner mit dem Na­men Ba­stard ge­höhnt hat­te, über­lief ihn je­des Mal das­sel­be Ge­fühl von Scham und ohn­mäch­ti­ger Wut, das da­mals sei­ne kind­li­che Brust fast er­drückt hat­te. Hass und un­er­sätt­li­che Ra­che ge­gen den Va­ter durch­dran­gen ihn, des­sen ge­sun­des Al­ter kalt, zu­frie­den und wür­de­voll in sei­nen Sch­lös­sern thron­te und der sei­nen Sohn na­men­los, ohne Hei­mat, Erbe und Ehre zu­rück­ließ. Oft sehn­te er sich da­nach, den hoch­mü­ti­gen Greis, dem man sich nur voll Ehr­furcht und un­ter Bück­lin­gen ge­nä­hert hat­te, aus der Erde her­aus­zu­wüh­len und öf­fent­lich ver­letz­ter Va­ter­pflicht und un­na­tür­li­cher Grau­sam­keit an­zu­kla­gen. Fluch über ihn, der sei­nen Sohn wie Is­ma­el in die Wüs­te ge­sto­ßen hat­te. Noch jetzt muss­te er oft rüh­men hö­ren, wie treu sein Va­ter als Gou­ver­neur von Lu­xem­burg dem Hau­se Habs­burg ge­dient und ih­nen so­gar alle sei­ne Gü­ter hin­ter­las­sen habe; ihm schi­en es nicht rüh­mens­wert, dass er den über­mü­ti­gen Her­ren sei­nen Über­fluss ver­mach­te und sei­nen Sohn ih­rer Gna­de zu emp­feh­len sich be­gnüg­te. Er hat­te es nicht an­ders ge­wusst, als dass er im Diens­te des Hau­ses Ös­ter­reich das Schwert füh­ren müs­se, und hat­te es ge­tan, so gut er es ver­stand, tap­fer und ohne sein Le­ben zu scho­nen; sie da­ge­gen hat­ten ihn we­gen ei­nes fehl­ge­schla­ge­nen Kriegs­un­ter­neh­mens, wor­an er sich un­schul­dig glaub­te, kas­siert. Zu­rück­set­zun­gen und Krän­kun­gen al­ler Art wa­ren ihm zu­teil ge­wor­den, so­dass er sich end­lich klar­ge­macht hat­te, er als be­rech­tig­ter Er­ban­spre­cher der vä­ter­li­chen Hin­ter­las­sen­schaft sei ih­nen im Wege. Wa­rum ließ er sich tre­ten von de­nen, die ihn aus­ge­plün­dert hat­ten? Er konn­te leicht an­ders­wo sein Glück fin­den, ja es wa­ren ihm schon An­trä­ge von evan­ge­li­scher Sei­te ge­macht wor­den; dann konn­te er viel­leicht den Geg­nern mit Ge­walt neh­men, was sie dem ge­dul­di­gen Die­ner vor­ent­hiel­ten. Im­mer, wenn er die Mög­lich­keit er­wog, zur Uni­on über­zu­ge­hen, stör­te ihn die Vor­stel­lung, dass er sich gleich­sam als ein Flücht­ling und Ver­schmäh­ter de­nen an­schloss, auf die er als auf Ket­zer und Re­bel­len her­ab­zu­se­hen ge­wohnt war; da­ge­gen sag­te er sich, dass er der Mann sei, ih­nen sei­nen Wert zu er­wei­sen. Das Er­geb­nis lan­ger Kämp­fe war, dass er den Gra­fen Solms bat, ihn ge­gen Ehren­wort zu ent­las­sen, da­mit er den Erz­her­zog Leo­pold per­sön­lich auf­for­dern kön­ne, ihn aus­zu­lö­sen, wid­ri­gen­falls er zur Uni­on über­ge­hen wol­le; wei­ge­re sich Leo­pold, so sei er ent­schlos­sen, die Dro­hung aus­zu­füh­ren. Graf Solms zö­ger­te mit der Ant­wort; denn er hat­te die Mei­nung, dass das Ehren­wort ei­nes Ba­stards nicht gel­te, und war nahe dar­an, ihm dies zu ver­ste­hen zu ge­ben. In­dem er aber Mans­feld in das klu­ge, reiz­ba­re Ge­sicht sah, das sich rö­te­te und arg­wöh­nisch lei­dend ver­zog, weil er des Un­schlüs­si­gen Zwei­fel rich­tig deu­te­te, be­sann er sich plötz­lich ei­nes an­de­ren, reich­te dem Bit­ten­den die Hand und sag­te: »Ich habe Euch kämp­fen se­hen wie einen Edel­mann, und als ei­nem sol­chen gebe ich Euch die Frei­heit«, wor­auf Mans­feld dank­te und da­von­ritt.

Von Erz­her­zog Leo­pold, der sein er­träum­tes Reich von Jü­lich aus zer­flie­ßen sah, ohne Geld, weil er selbst keins habe, und mit den spöt­ti­schen Wor­ten ent­las­sen, er sol­le un­ter Freun­den und Ver­wand­ten für sich sam­meln las­sen, kehr­te er grol­len­den Her­zens nach Dü­ren zu­rück. Nicht nur re­de­ten ihm Ans­bach, An­halt und Solms zu, sich nun­mehr der Uni­on an­zu­schlie­ßen, son­dern Solms schenk­te ihm auch die Frei­heit, groß­mü­tig auf das Lö­se­geld ver­zich­tend; al­lein das be­stärk­te Mans­feld in dem Vor­satz, nur an der Spit­ze ei­nes Re­gi­ments, nicht als Bett­ler zu den bis­he­ri­gen Fein­den zu kom­men. Ei­ni­ge Mo­na­te ver­gin­gen, die er im Bel­gi­schen und Lu­xem­bur­gi­schen, wer­bend und strei­fend im Diens­te des Erz­her­zogs, zu­brach­te, im­mer noch ein Zei­chen er­war­tend, das ihm An­lass gäbe, bei der al­ten Fah­ne zu blei­ben. An­statt des­sen ge­riet er in einen Wort­wech­sel mit Leo­pold, weil die­ser sich wei­ger­te, den Söld­nern, die Mans­feld für ihn ge­wor­ben hat­te, den Sold aus­zu­zah­len. Im Ver­trau­en auf sei­ne, des Erz­her­zogs, Ehre habe er den Söld­nern sein Wort ver­pfän­det, warf ihm Mans­feld vor, wor­auf der Erz­her­zog spot­te­te, er sei ja dem Gra­fen Solms das Lö­se­geld schul­dig ge­blie­ben, und der­sel­be habe das Recht, Mans­felds Na­men auf den Schand­pfahl zu schla­gen. Des Lö­se­gelds sol­le er ewig ein­ge­denk sein, ant­wor­te­te Mans­feld kurz, dreh­te sich um und ver­ließ Leo­pold, ent­schlos­sen, nun ein Ende zu ma­chen. Un­ter dem Vor­wan­de, einen Fut­ter­trans­port es­kor­tie­ren zu müs­sen, ver­ließ er mit sei­nem Re­gi­ment das El­saß, wo­hin er sich zu­rück­ge­zo­gen hat­te, und führ­te es dem eins­ti­gen Fein­de zu. Auf ei­nem frei­en Fel­de hielt er eine An­spra­che, in der er die Grün­de, die ihn be­weg­ten, aus­ein­an­der­setz­te. Er sprach von dem Geiz und der Un­dank­bar­keit des Hau­ses Habs­burg und wie lan­ge er die Ty­ran­nei des­sel­ben er­tra­gen habe in der Mei­nung, es müs­se so sein, dass ei­ni­ge Hun­ger und Durst, Frost und Hit­ze, Ent­beh­rung und Man­gel lit­ten, wäh­rend an­de­re in Über­fluss, Gü­tern und Ti­teln schwelg­ten. Es sei nicht so; das Evan­ge­li­um der Frei­heit sei längst aus­ge­gan­gen in die Welt, man hät­te es ih­nen aber vor­ent­hal­ten. Zur evan­ge­li­schen Frei­heit wol­le er von nun an sich hal­ten. Er sei als Fürst ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen so gut wie ein Erz­her­zog, das Haus Habs­burg habe ihn sei­nes Lan­des und sei­ner Rech­te, so wie sie ih­res Sol­des, be­raubt. Er sei jetzt, ob­wohl ein Fürst, arm, habe aber ein Schwert, mit dem er sich die Welt er­kämp­fen kön­ne. Dem Schwert und der Frei­heit wol­le er ver­trau­en; wie er sie nicht ver­lie­ße, soll­ten sie ihm treu blei­ben.

 

Die­se und ähn­li­che Wor­te sprach er vom Pfer­de her­un­ter, den Hut in der Hand, zu den Sol­da­ten, die ihm als ei­nem ver­we­ge­nen und groß­mü­ti­gen, wenn auch mit­un­ter maß­los hef­ti­gen Füh­rer im gan­zen zu­ge­tan wa­ren. Die meis­ten ju­bel­ten ihm zu, umso mehr, als sie größ­ten­teils Pro­tes­tan­ten wa­ren; an­de­re gin­gen einst­wei­len mit, um sich ge­le­gent­lich zu ver­lie­ren, wenn ih­nen der Wech­sel nicht zu­sa­gen soll­te; nur we­ni­ge kehr­ten aus An­häng­lich­keit an die ein­mal er­grif­fe­ne Sa­che oder aus Miss­trau­en ge­gen die neue zu­rück.

12.

Wäh­rend im Nord­wes­ten des Rei­ches die Waf­fen klirr­ten, reis­ten die Kur­fürs­ten von Köln, Mainz und Sach­sen nach Prag zu ei­nem Kon­vent, den der Kai­ser zur Be­ra­tung der schwe­ben­den Fra­gen aus­ge­schrie­ben hat­te, näm­lich der Jü­li­cher Suk­zes­si­on, des Strei­tes um Do­nau­wörth, sei­nes Han­dels mit Matt­hi­as und der Nach­fol­ge im Reich. We­gen der Aussöh­nung des Kai­ser mit Matt­hi­as hat­te sich Ernst von Köln wäh­rend des Win­ters län­ge­re Zeit in Prag auf­ge­hal­ten, aber kei­ne Au­di­enz beim Kai­ser er­hal­ten kön­nen, so­dass er über die Ein­la­dung, die er gleich nach sei­ner Rück­kehr er­hielt, füg­lich er­staunt war; da je­doch die mil­de­re Jah­res­zeit her­an­rück­te und die Kriegs­fra­ge für ihn als Nach­bar von Jü­lich von ho­hem Be­lang war, mach­te er sich ge­dul­dig wie­der auf den Weg. Im gan­zen sa­hen die Her­ren ei­ner fröh­li­chen Zeit ent­ge­gen, da sie in Prag Gäs­te des Kai­sers sein soll­ten, der zu großer Ver­le­gen­heit des Finanz­ra­tes die Fürs­ten üp­pig zu be­wir­ten lieb­te.

Nach fei­er­li­cher Er­öff­nung durch den Kai­ser lei­te­te der Kon­vent sei­ne Tä­tig­keit da­durch ein, dass er von meh­re­ren Uni­ver­si­tä­ten Gut­ach­ten über die ver­wi­ckel­te Jü­li­cher Erb­fol­ge ein­zu­ho­len be­schloss, wel­cher denn von den ver­schie­de­nen Er­ban­spre­chern, zu de­nen auch der Kur­fürst von Sach­sen ge­hör­te, das bes­te Recht hät­te. Sie wa­ren noch in Er­war­tung der Ant­wor­ten, als die Nach­richt von der Er­mor­dung Hein­richs IV. von Frank­reich ein­traf, wo­durch die Kriegs­ge­fahr sich er­heb­lich ver­rin­ger­te. Her­zog Hein­rich Ju­li­us von Braun­schweig-Wol­fen­büt­tel, der we­gen sei­nes Strei­tes mit der Stadt Braun­schweig sich schon vor meh­re­ren Jah­ren per­sön­lich mit dem Kai­ser in Ver­bin­dung ge­setzt und ihn ganz auf sei­ne Sei­te ge­bracht hat­te und der auch jetzt wie­der in Prag an­we­send und von dem ihm be­son­ders ver­trau­ten Kai­ser zum Kon­ven­te zu­ge­zo­gen war, gab bei die­ser Ge­le­gen­heit ein Gast­mahl, des­sen vor­nehms­te Ta­fel­zier­de ein die Ju­dith mit dem Haup­te des Ho­lo­fer­nes dar­stel­len­des Schau­stück bil­de­te. Es be­stand aus Man­deln, Ho­nig und Mehl­teig und war da­durch merk­wür­dig, dass der Zucker­bä­cker auf An­wei­sung des Her­zogs von Braun­schweig dem von der Ju­dith am Schop­fe ge­hal­te­nen Haup­te die Züge Hein­richs IV. zu ge­ben ver­sucht hat­te. Er sei selbst in der Werk­statt des Meis­ters ge­we­sen und habe nicht un­ge­schickt mit zu­ge­grif­fen, er­zähl­te der Her­zog sei­nen Gäs­ten, die denn auch die Ar­beit wohl­ge­lun­gen und des Kö­nigs Nase und Bart wohl­ge­trof­fen fan­den. Der rüs­ti­gen Mör­de­rin, er­klär­te der Her­zog, habe er nur das Ge­sicht ei­nes be­lie­bi­gen schö­nen, ge­sun­den Weibs­bil­des ge­ben las­sen, denn er wis­se nicht, wie der Mann be­schaf­fen sei, der den Kö­nig er­sto­chen habe, auch sei das Gan­ze mehr als ein Sym­bo­lum auf­zu­fas­sen. Wer er auch sei und ob man auch die Mord­tat nicht bil­li­gen kön­ne, sag­te der Erz­bi­schof von Köln, so sei sie, wenn nicht auf An­stif­tung, doch un­ter Zu­las­sung Got­tes ge­sche­hen, der das from­me Kaiser­haus au­gen­schein­lich be­schüt­ze. Der ke­cke und un­ru­hi­ge Geist des Kö­nigs hät­te ein hüb­sches Kriegs­feu­er am Rhei­ne an­zün­den kön­nen, dar­an sie lan­ge zu lö­schen ge­habt hät­ten. Ja, sag­te Kur­fürst Chris­ti­an von Sach­sen, mit Fromm­sein und Zu­war­ten übe man meist die feins­te Po­li­tik aus, in­dem Gott die Ent­schei­dung in al­len Din­gen zu­ste­he und er al­les zum Bes­ten der From­men ein­rich­te.

Um nun die Jü­li­cher Fra­ge vollends zum Ende zu brin­gen, er­klär­te sich der Kai­ser ein­ver­stan­den, den Kur­fürs­ten von Sach­sen mit dem er­le­dig­ten Her­zog­tum zu be­leh­nen, wel­che Hand­lung gleich wäh­rend des Kon­ven­tes fei­er­lich voll­zo­gen wer­den soll­te. Hat­te Ru­dolf es auch be­reits sei­nem Nef­fen Leo­pold ver­spro­chen, so konn­te doch in­zwi­schen der säch­si­sche Kur­fürst da­mit zu­frie­den­ge­stellt wer­den, den als den mäch­tigs­ten evan­ge­li­schen Fürs­ten von Zeit zu Zeit durch eine un­vor­greif­li­che Ver­güns­ti­gung zu ver­pflich­ten ein Haupt­stück der kai­ser­li­chen Re­gie­rungs­kunst im Rei­che war. Mit Ei­fer nahm sich die­ser Sa­che der Her­zog von Wol­fen­büt­tel an, in­dem er für die rich­ti­ge Aus­füh­rung des Be­leh­nungs­ak­tes nach den Vor­schrif­ten der Gol­de­nen Bul­le, die er aus­wen­dig wuss­te, Sor­ge trug. Die Fürs­ten, wel­che sei­ne Ge­lehr­sam­keit be­wun­der­ten, füg­ten sich sei­nen An­ord­nun­gen und ka­men in dem Gast­hof, den er be­wohn­te, zu­sam­men, um dem Kur­fürs­ten von Sach­sen sei­ne Rol­le ein­zu­stu­die­ren. Chris­ti­an näm­lich war von großer, brei­ter, mus­kel­star­ker Ge­stalt, hat­te sich als Jüng­ling bei Tur­nie­ren aus­ge­zeich­net und pfleg­te sich von den Bild­hau­ern als Her­ku­les dar­stel­len zu las­sen; aber das über­mä­ßi­ge Trin­ken hat­te ihn auf­ge­schwemmt und zu ei­ner trä­gen, un­för­mi­gen Mas­se ge­macht, so­dass es nicht leicht war, ihn sei­nem al­ten Ruh­me ge­mäß ein­drucks­voll zu ver­wen­den. Vor­nehm­lich schwer wur­de ihm das Nie­der­kni­en vor dem Kai­ser, das den wich­tigs­ten Punkt der Dar­stel­lung bil­de­te, da er in der en­gen und schwe­ren Rüs­tung, die dazu ge­hör­te, noch un­be­weg­li­cher als sonst war. Die Erz­bi­schö­fe mus­ter­ten et­was be­sorgt das rot­ge­dun­se­ne Ge­sicht mit den schlaff hän­gen­den Ba­cken un­ter dem Kur­hu­te, an dem der Schweiß hin­un­ter­zu­lau­fen be­gann, wäh­rend der Her­zog ihn un­nach­sich­tig den Knie­fall wie­der­ho­len ließ, bis es ohne An­stoß ge­lun­gen wäre. Es habe nichts auf sich, sag­te der Her­zog, wenn der Kur­fürst sich et­was lang­sam und un­an­stel­lig ge­bär­de, nur dür­fe er we­der la­chen noch grei­nen oder das Maul hän­gen las­sen, eben­so­we­nig tau­meln oder stol­pern oder schnau­fen, was al­les der fürst­li­chen Ma­je­stät Ab­bruch tue, vor al­len Din­gen aber beim Nie­der­kni­en nicht wie ein vol­ler Sack zu Bo­den plump­sen, son­dern sich ge­lin­de und gleich­sam aus frei­en Stücken nie­der­las­sen und wie­der auf­ste­hen. Schließ­lich ka­men die Fürs­ten über­ein, dass es bes­ser wäre, dem Kur­fürs­ten zwei Knap­pen bei­zu­ge­ben, die ihm beim Nie­der­kni­en und Wie­der­auf­ste­hen un­ter die Arme grif­fen, da man sonst doch sich ei­nes Un­falls be­sor­gen müs­se.

Der Kur­fürst, den das häu­fi­ge Pro­ben et­was ver­dros­sen hat­te, ge­wann bei dem sich dar­an­schlie­ßen­den Ge­la­ge sei­ne gute Lau­ne wie­der, über­nahm sich aber im Trin­ken so sehr, dass er am fol­gen­den Mor­gen, als die Be­leh­nung vor­ge­nom­men wer­den soll­te, gänz­lich un­fä­hig und sei­ner nicht mäch­tig war und da­durch die Fürs­ten in nicht ge­rin­gen Schre­cken ver­setz­te. Sie soll­ten ihm einen Hum­pen voll zu trin­ken ge­ben, sag­te Chris­ti­an übel­lau­nig zu ih­nen, die ihn vor­wurfs­voll um­stan­den, dann wer­de er al­les or­dent­lich aus­rich­ten, erst müss­te er al­le­mal den Schlaf, der ihm wie Blei in den Glie­dern lie­ge, mit ei­nem Frühtrunk fort­spü­len. Dem wi­der­setz­te sich an­fangs der Her­zog von Braun­schweig, da es ers­tens der Gül­de­nen Bul­le nicht ge­mäß sei und zwei­tens auch ge­fähr­lich, in­dem der Kur­fürst sich wie­der über­neh­men und da­durch al­les zum Schei­tern brin­gen kön­ne; al­lein auf Zu­re­den der an­de­ren, dass Chris­ti­an in ei­ner mä­ßi­gen Trun­ken­heit bes­ser fi­gu­rie­ren kön­ne als nüch­tern, ließ ihm der Her­zog einen Krug Bier ver­ab­rei­chen, wor­auf er sich er­hol­te und die Ze­re­mo­nie un­ter großem Ge­prän­ge und Zu­lauf vor­ge­nom­men wur­de und auch leid­lich ab­ging. Das Ge­sicht des Kai­sers blick­te fahl und trau­rig aus dem star­ren­den Or­nat, mit dem er be­han­gen war; er hat­te sich in der letz­ten Zeit von den ge­mein­sa­men Zu­sam­men­künf­ten zu­rück­ge­zo­gen, da die Fürs­ten all­mäh­lich ab­rei­sen und vor­her das­je­ni­ge Ge­schäft er­le­di­gen woll­ten, das ihm wi­der­wär­tig war, näm­lich die Aussöh­nung mit Matt­hi­as.

Auch die­ser woll­te an­fangs nichts da­von hö­ren, aber der Her­zog von Braun­schweig, der un­ver­dros­sen nach Wien reis­te, um ihn zu be­ar­bei­ten, brach­te ihn da­hin, dass er die Waf­fen nie­der­zu­le­gen ver­sprach, wenn der Kai­ser das Kriegs­volk entlie­ße, das er im Bis­tum Passau ge­wor­ben hat­te und das ge­gen ihn be­stimmt sei. Da­rauf woll­te Ru­dolf je­doch nicht ein­ge­hen: das Pas­sau­er Kriegs­volk, sag­te er, ge­hö­re sei­nem Nef­fen Leo­pold und sol­le in der Jü­li­cher Feh­de ver­wen­det wer­den; er habe nichts da­mit ge­gen Matt­hi­as im Sin­ne, aber er und sei­ne üb­ri­gen Brü­der und Nef­fen, mit Aus­nah­me Leo­polds, wä­ren ein va­ter­mör­de­ri­sches Ge­schlecht und woll­ten ihn wehr­los ma­chen, um ihn de­sto bes­ser aus­plün­dern zu kön­nen. Die Fürs­ten wa­ren über Ru­dolfs selt­sa­me Geis­tes­kon­stel­la­ti­on et­was be­tre­ten, lie­ßen aber nicht nach, auf ihn ein­zu­re­den, bis er ein­wil­lig­te, die Pas­sau­er zu ent­las­sen und die Ab­bit­te der schul­di­gen Ver­wand­ten ent­ge­gen­zu­neh­men, nur Matt­hi­as wol­le er nicht se­hen. Es wur­de also aus­ge­macht, dass an­statt sei­ner die Erz­her­zö­ge Ma­xi­mi­li­an und Fer­di­nand vor ihm er­schei­nen soll­ten; aber eine neue Schwie­rig­keit ent­stand da­durch, dass der Kai­ser die Be­din­gung stell­te, sie müss­ten die Ab­bit­te kni­end vor­tra­gen, wozu sich wohl Fer­di­nand, aber nicht Ma­xi­mi­li­an ver­ste­hen woll­te. Als dem Kai­ser end­lich mit­ge­teilt wer­den konn­te, dass sein Bru­der in Hin­sicht auf den Knie­fall nach­ge­ge­ben habe, fing er an zu wei­nen und sag­te, er wol­le nun und nim­mer­mehr einen Habs­bur­ger auf den Kni­en se­hen, son­dern wer­de Ma­xi­mi­li­an auf­he­ben, so­bald er die Knie zu beu­gen be­gon­nen ha­ben wer­de. Dies führ­te er auch aus, reich­te bei­den Erz­her­zö­gen die Hand und sprach sie freund­lich an, in­dem er sich nach Fer­di­n­ands Frau und Kin­dern er­kun­dig­te.

 

Nach­dem die­se An­ge­le­gen­heit er­le­digt war, be­sprach sich der Kai­ser mit den Fürs­ten noch über die Nach­fol­ge im Reich, die er kei­nes­wegs Matt­hi­as, son­dern sei­nem Nef­fen Leo­pold zu­wen­den woll­te. Die Kur­fürs­ten wi­der­spra­chen ihm nicht, son­dern er­klär­ten sich be­reit, Leo­pold die Stim­me zu ge­ben; Tri­er und Köln woll­ten Matt­hi­as we­gen sei­ner An­zet­te­lun­gen mit den Pro­tes­tan­ten nicht wohl und wa­ren es des­we­gen zu­frie­den, ihn zu über­ge­hen. Um die Stim­men der pro­tes­tan­ti­schen Kur­fürs­ten zu ge­win­nen, knüpf­te Ru­dolf ein­ge­hen­de Ver­hand­lun­gen mit Pfalz an, wo­bei er sich auf den Ma­je­stäts­brief be­rief und auch im Rei­che den For­de­run­gen der Evan­ge­li­schen Rech­nung zu tra­gen ver­hieß. In­des­sen wur­de die­se Übe­rein­kunft durch den Tod des Pfalz­gra­fen, der im Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res 1610 er­folg­te, ab­ge­ris­sen.

Nach­dem die Fes­tung Jü­lich von den Unier­ten er­obert war, kehr­te Leo­pold ruhm­los nach Prag zu­rück, dop­pelt auf große Un­ter­neh­mun­gen er­picht, durch die er sei­ne Nie­der­la­ge wett­ma­chen woll­te. Er flö­ßte sei­nem Oheim Mut ein, mit den in Passau ge­wor­be­nen Trup­pen Matt­hi­as Un­garn und Ös­ter­reich wie­der ab­zu­neh­men, was denn auch in ge­hei­mer Übe­rein­kunft be­schlos­sen wur­de. Als nun Matt­hi­as, der in­zwi­schen sein Heer, dem ge­ge­be­nen Ver­spre­chen ge­mäß, ent­las­sen hat­te, auf die Ent­las­sung der Pas­sau­er drang und der Her­zog von Braun­schweig des­we­gen beim Kai­ser vor­stel­lig wur­de, ent­schul­dig­te sich die­ser, er habe kein Geld, den Pas­sau­ern ih­ren Sold, näm­lich 400.000 Gul­den, aus­zu­zah­len, ohne wel­chen sie nicht aus­ein­an­der­ge­hen woll­ten. Der Sold müs­se auf­ge­bracht wer­den, sag­te der Her­zog eif­rig, er ma­che sich dazu an­hei­schig, wenn es nicht an­ders sei. Die Sa­che wur­de näm­lich da­durch drin­gen­der und ge­fähr­li­cher, dass die Pas­sau­er er­klär­ten, das Bis­tum sei jetzt gänz­lich er­schöpft und er­näh­re sie nicht mehr, sie müss­ten wohl oder übel nach Böh­men zie­hen und sich dort er­ho­len. Die Angst vor die­sem Heuschre­cken­schwarm be­wog die böh­mi­schen Stän­de, dem Her­zo­ge, der sie dar­um an­ging, 300.000 Gul­den zu ver­spre­chen, wor­auf er ei­ni­ge ver­mö­gen­de Pra­ger Bür­ger über­re­de­te, das üb­ri­ge da­zu­zu­steu­ern. Froh über das Er­reich­te, er­bot sich der Her­zog selbst, nach Passau zu ei­len und die Ent­loh­nung des Hee­res zu be­trei­ben, das mit dem Ein­fall in Böh­men droh­te; das Geld ver­sprach der Kai­ser, so­wie es flüs­sig ge­macht wäre, nebst ei­ner Voll­macht dem Her­zog durch einen Zahl­meis­ter nach­zu­schi­cken.

Es war ein kal­ter Nach­mit­tag im De­zem­ber, als der Wa­gen des Her­zogs, sich der Bi­schofs­stadt nä­hernd, plötz­lich an­ge­hal­ten wur­de. Als der Her­zog, um zu se­hen, was es gäbe, sich aus dem Kut­schen­fens­ter beug­te, er­blick­te er einen Hau­fen zer­lump­ter Män­ner, die Al­mo­sen heisch­ten, und er er­kann­te nun wohl, dass er mit­ten in das La­ger der Pas­sau­er ge­ra­ten war. Vie­le von den Leu­ten gli­chen mehr Bett­lern als Sol­da­ten, hat­ten Wei­ber­rö­cke und Tü­cher um­ge­bun­den, um sich vor der Käl­te zu schüt­zen, und die blo­ßen Füße, auf de­nen sie müh­sam forthink­ten, in alte Fli­cken ge­wi­ckelt. Ver­dutzt und er­schreckt über die­sen er­bärm­li­chen An­blick, ver­teil­te der Her­zog, was er an Mün­ze bei sich hat­te, und frag­te, ob kein Leut­nant oder Haupt­mann da sei; denn die­sem dach­te er zu er­öff­nen, wer er sei, und ihn mit der bal­di­gen An­kunft des Sol­des zu ver­trös­ten. Der Leut­nant lie­ge be­sof­fen in sei­nem Zel­te, wur­de ihm mit­ge­teilt, er habe mit drei oder vier Sol­da­ten einen Aus­zug in die nächs­ten Dör­fer un­ter­nom­men und ein Fäß­lein Wein heim­ge­bracht, jetzt müs­se er den Rausch aus­schla­fen.

Hie und da brann­te ein Holz­feu­er, von dem fei­ner, bläu­li­cher Rauch steil in die graue Schnee­luft hin­auf­klet­ter­te. Über einen großen, von Wei­den und Er­len um­stan­de­nen Sumpf hat­te sich eine Frost­haut ge­zo­gen, un­ter der es lei­se glucks­te und pol­ter­te. Nach­dem er sich auf­merk­sam um­ge­se­hen hat­te, gab der Her­zog dem Kut­scher ein Zei­chen, schnell wei­ter­zu­fah­ren und sich durch­aus nicht von den Hei­schen­den oder Dro­hen­den auf­hal­ten zu las­sen. In der bi­schöf­li­chen Re­si­denz fand er den Erz­her­zog Leo­pold mit den an­de­ren ho­hen Of­fi­zie­ren, näm­lich den Gra­fen Sulz und Al­than, den Her­ren Trautt­mans­dorff und Ramée, die ihn höf­lich auf­nah­men und be­wir­te­ten. Er hät­te nicht ge­dacht, sag­te der Her­zog, dass es so böse im La­ger aus­se­he; er kön­ne den elen­den An­blick nicht aus den Ge­dan­ken schla­gen und sei froh, dass er das nahe Ende die­ses kläg­li­chen Zu­stan­des an­kün­di­gen kön­ne. Der Zahl­meis­ter des Kai­sers kam je­doch we­der am nächs­ten noch an den fol­gen­den Ta­gen, wor­auf der Erz­her­zog mit Sulz, Al­than und Trautt­mans­dorff nach Prag ab­reis­te, um, wie er sag­te, sich nach dem Ver­bleib des Gel­des zu er­kun­di­gen. Also blieb Hein­rich Ju­li­us mit Ramée al­lein zu­rück, der ein wort­kar­ger Ge­sell­schaf­ter und dem Her­zo­ge schon durch sein Äu­ße­res un­heim­lich war. Es ging näm­lich durch sein ei­nes Auge eine Nar­be und ver­ur­sach­te, dass es von un­ten her aus ei­nem Hin­ter­halt zu lau­ern schi­en, un­ab­hän­gig von der Blick­rich­tung des an­de­ren; in­fol­ge­des­sen war es un­mög­lich, aus sei­ner Mie­ne et­was ab­zu­le­sen, ab­ge­se­hen da­von, dass er auch ab­sicht­lich sei­ne Ge­dan­ken ver­ber­gen zu wol­len schi­en. Um sich das Zu­sam­men­sein mit ihm zu ver­kür­zen, schlug der Her­zog ein Kar­ten­spiel vor, wor­auf Ramée auch ein­ging und wo­bei er fort­wäh­rend ge­wann. Er spiel­te schweig­sam, rasch und si­cher, strich schwei­gend das Geld ein und ver­teil­te die Kar­ten un­auf­halt­sam, wo­bei er den Her­zog mit sei­nem hei­len Auge un­ver­wandt an­sah. Ob­wohl die­sen der an­dau­ern­de Ver­lust wurm­te, hielt er doch an sich und sag­te nur ein­mal wie im Scher­ze, Ramée ver­ste­he wohl die Kunst, die Kar­ten mit den Fin­gern zu se­hen. Nein, sag­te Ramée, wäh­rend ein dia­bo­li­sches Lä­cheln um sei­nen Mund lau­er­te, er habe nur die Ge­wohn­heit, vor dem Spiel drei­mal auf die Kar­ten zu klop­fen und da­bei für sich zu spre­chen: ›Im Na­men der hei­li­gen Jung­frau‹; das hel­fe zum Ge­win­nen, der Her­zog kön­ne es auch ver­su­chen. Der Her­zog spiel­te und ver­lor dar­auf­hin wei­ter, ohne et­was zu sa­gen, und sehn­te den Tag her­bei, wo der Zahl­meis­ter aus Prag ein­trä­fe.

End­lich sag­te Ramée, er müs­se die Trup­pen nun in ein an­de­res Quar­tier füh­ren, wenn sie nicht alle Hun­gers ster­ben soll­ten. Der Her­zog habe ja nicht ein­mal eine Voll­macht, man kön­ne nicht wis­sen, ob er wirk­lich einen Auf­trag vom Kai­ser emp­fan­gen habe. Wie er es wa­gen kön­ne, sei­ne fürst­li­che Ehre an­zu­tas­ten, schrie der Her­zog zor­nig; wer er sei, sich sol­cher Spra­che ge­gen einen Reichs­fürs­ten zu un­ter­ste­hen! Der Her­zog sol­le sich nicht auf­re­gen, sag­te Ramée, wenn das Geld kom­me, sei er be­reit, ihn um Ver­zei­hung zu bit­ten. Un­ter­des­sen möge er die Trup­pen be­schwich­ti­gen, die sich zu­sam­men­ge­rot­tet hät­ten und ih­ren Sold ver­lang­ten. Dazu er­klär­te sich der Her­zog be­reit, rüs­te­te sich, stieg zu Pfer­de und ließ sich von Ramée auf einen Platz füh­ren, wo die Meu­te­rer in ei­nem Hau­fen zu­sam­men­stan­den. Bei sei­nem An­blick er­hob sich ein lau­tes Mur­ren, Pfei­fen und An­ein­an­der­schla­gen der Waf­fen, auch an dro­hen­den Ge­bär­den und Zu­ru­fen fehl­te es nicht. Wü­tend sprang der Her­zog vom Pfer­de, riss ei­nem eine Trom­mel aus der Hand, schlug mit dem Griff sei­nes Schwer­tes dar­auf und ver­schaff­te sich end­lich Ge­hör, wor­auf er sag­te, die Trup­pen hät­ten zwar ein Recht auf ih­ren Sold, aber ihn auf die­se meu­te­ri­sche1 Art zu ver­lan­gen, ste­he recht­schaf­fe­nen Sol­da­ten nicht zu. In zwei Ta­gen wer­de das Geld ein­tref­fen, er ste­he mit sei­nem fürst­li­chen Wort da­für, so lan­ge soll­ten sie sich ge­dul­den.