Umweltstrafsachen

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Ist eine behördliche Gestattung unter Auflagen ergangen, ist ein Verstoß gegen die Auflage in jedem Fall dann strafrechtlich irrelevant, wenn diese nicht unmittelbar dem Gewässerschutz dient und sich ein Zuwiderhandeln demnach auch nicht auf die Gewässereigenschaften nachteilig auswirken kann.[368] Hierzu zählen z.B. die in § 13 Abs. 2 WHG aufgezählten Nebenbestimmungen (Maßnahmen zur Beobachtung, Bestellung eines Betriebsbeauftragten, Leistung von Beiträgen u.ä.). Dies bedeutet, dass eine Abwassereinleitung auch dann befugt erfolgt, wenn der Benutzer entgegen der ihm erteilten Auflage der Behörde keine Untersuchungen über die Eigenmesskontrollen[369] zur Verfügung stellt, im Übrigen aber keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die aufgegebenen Grenzwerte überschritten wurden.[370]

Wird eine unmittelbar dem Gewässerschutz dienende Auflage, z.B. der Bau einer Kläranlage, nicht erfüllt, ist zu differenzieren: Existiert bereits eine Einleiteerlaubnis und wird erst nachträglich die Auflage zum Bau erteilt, kann dies konsequenterweise nur in der Weise geschehen, dass die bestehende Einleiteerlaubnis (ohne Auflage) bis zur Fertigstellung der Kläranlage fortwirkt. Selbst wenn die Kläranlage tatsächlich nicht erbaut wird, macht dieser Auflagenverstoß die Gewässerbenutzung nicht rechtswidrig. Anders liegt der Fall, wenn für die Erfüllung einer neuen Auflage eine bestimmte Frist festgelegt wird oder die Erlaubnis von vornherein in der Weise mit der Auflage verknüpft wird, dass die Abwassereinleitung ohne diese nicht erlaubt ist. Hier kann – im einen Fall nach Fristablauf, im anderen Fall mit der ersten Gewässerbenutzung ohne Erfüllung der Auflage – die Einleitung von Abwässern unbefugt erfolgen. Dieses Beispiel[371] macht jedoch andererseits deutlich, dass auch der Verstoß gegen eine dem Gewässerschutz dienende Auflage nur dann i.S.d. § 324 StGB relevant ist, wenn die Gewässerverunreinigung konkret auf den Auflagenverstoß zurückzuführen ist. Dies ist jedenfalls – wie der Beispielsfall zeigt – dann nicht gegeben, wenn aus den tatsächlichen Umständen oder dem Verhalten der Behörde zu entnehmen ist, dass die Gewässerbenutzung, wenn auch nur für eine Übergangszeit, ohne die Erfüllung der Auflage gestattet ist.

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Ob und inwieweit die bloße Duldung durch die Behörde eine förmlich nicht erteilte Gestattung für eine Gewässerbenutzung ersetzen kann, ist umstritten.[372] Während die ältere Rechtsprechung[373] auch der „bloßen“ (oder „passiven“) Duldung durch die Behörde unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes gegenüber dem Bürger eine rechtfertigende Wirkung beigemessen hat, verneint die heute h.M., dass durch ein bloßes Untätigbleiben der Behörde (zumal, wenn dieses auf Unkenntnis zurückzuführen ist) die Strafbarkeit beseitigt werden kann.[374] Begründet wird diese Auffassung überwiegend damit, dass das Verwaltungsrecht keine informellen Gestattungsakte oder Befugnisse kennt und demnach die Behörde hierzu auch nicht ermächtigt sein kann. Eine tatbestandliche Gewässerverunreinigung ist deshalb auch dann „unbefugt“, wenn der Gewässerbenutzer sich darauf berufen kann, dass die Verwaltungsbehörde untätig geblieben ist und seine Abwassereinleitungen nicht verhindert hat.[375] Anders wird die Situation beurteilt, in der sich ein Gewässerbenutzer nicht nur auf die Kenntnis und das Untätigsein der Behörde berufen kann, sondern zudem darauf, dass sich diese nach außen erkennbar zustimmend verhalten hat.[376] Dieser Fall, der einer konkludenten Erlaubniserteilung gleichkommt[377], wird gemeinhin als „aktive Duldung“ bezeichnet.[378] Hierunter fallen Absprachen zwischen Behörde und Unternehmer über eine bestimmte Form der Gewässerbenutzung,[379] die Kenntnis und positive Billigung der Behörde bezüglich einer Abwassereinleitung[380] oder der Fall, dass einem Unternehmen seitens der Behörde für eine Übergangszeit (Umschlussmaßnahmen) oder im Hinblick auf Modernisierungsarbeiten (z.B. während der Errichtung einer Kläranlage) formlos die Weiterführung der Produktion ermöglicht werden soll.[381]

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Das Hauptanwendungsgebiet für die rechtfertigende Duldung werden allerdings diejenigen Fälle sein, in denen der industrielle Gewässerbenutzer zwar über alte, aber zwischenzeitlich aufgrund der fortgeschrittenen industriellen Entwicklung wohl unzulängliche und überholte Einleiterechte verfügt. Eine „Nachbesserung“ der Einleitebescheide wurde in derartigen Fällen im Allgemeinen von der (wasserrechtlichen) Verwaltungsbehörde in der Vergangenheit nicht vorgenommen, die jedoch im Zusammenhang mit anderen zwischenzeitlich durchgeführten Genehmigungsverfahren über den (erheblich) geänderten oder vermehrten Abwasseranfall unterrichtet ist und diesen nie beanstandet hat. Der Gewässerbenutzer beruft sich in diesen Fällen im Allgemeinen darauf, dass die Behörde über alle Veränderungen bestens informiert gewesen sei und, da sie „sehenden Auges“ keinerlei Schritte unternommen habe, einen Vertrauenstatbestand geschaffen und die geänderte Gewässerbenutzung damit konkludent erlaubt habe.

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Ohne dass es in diesem Fall erforderlich wäre, eine Differenzierung zwischen der „bloßen“ und der „aktiven“ Duldung vorzunehmen, erscheint es hier unbillig, dem Gewässerbenutzer einen strafrechtlichen Vorwurf zu machen, etwa, weil dieser fälschlicherweise das Untätigbleiben der Behörde als konkludente Erlaubniserteilung (durch Duldung) interpretiert hat. Die Behörde ist über alle vorgenommenen Änderungen informiert, ohne förmlich eingeschritten zu sein. Der Gewässerbenutzer kann unter diesen Umständen darauf vertrauen, dass die Behörde von ihrer Möglichkeit zur Gestaltung und Anpassung der Genehmigung keinen Gebrauch machen will. Dies kann sich ihm als Form einer Ermessensentscheidung darstellen. Ihm als Bürger kommt nicht die Verpflichtung zu, einen möglicherweise rechtswidrigen Zustand zu erkennen und darauf hinzuwirken, dass dieser durch die Behörde beendet wird.[382] Zumindest schuldhaftes Handeln kann ihm deshalb nicht vorgeworfen werden.

Zur Bedeutung EU-ausländischer Genehmigung vgl. oben Rn. 17 und 22.[383]

2. Die Grenzwerte

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Um den Rahmen der Befugnis einer wasserrechtlichen Einleiteerlaubnis zu kennzeichnen, werden häufig von der Behörde Grenzwerte für einzelne Inhaltsstoffe oder auch Summenparameter festgesetzt, die der Gewässerbenutzer bei der Abwassereinleitung einhalten muss. Es handelt sich dabei im Allgemeinen um Auflagen[384] der Einleiteerlaubnis mit der Konsequenz, dass die Einleitung nur mit der Maßgabe gestattet ist, dass auch die Auflagen erfüllt werden. Auflagen, die Grenzwertfestlegungen für das Abwasser beinhalten, werden in aller Regel unmittelbar den Schutz des Gewässers betreffen, so dass eine Überschreitung der Grenzwerte, die zu einer nachteiligen Veränderung der Gewässereigenschaften führt, grundsätzlich die Befugnis i.S.d. § 324 StGB entfallen lässt.[385] Ist eine Grenzwertauflage dagegen ausnahmsweise für das Gewässer von nachrangiger Bedeutung (was immer dann anzunehmen ist, wenn die Einleiteerlaubnis auch ohne die entsprechende Auflage erteilt worden wäre), wird die Nichteinhaltung allenfalls als Ordnungswidrigkeit (§ 103 Abs. 1 Nr. 2 WHG) zu ahnden sein.[386]

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Im Wasserhaushaltsgesetz findet sich der Begriff des Grenzwertes nicht. Nach § 57 Abs. 2 WHG ist die Bundesregierung allerdings ermächtigt, unter strenger Beachtung des Standes der Technik Mindestanforderungen an die Einleitung von Abwasser in Gewässer festzulegen. Im Regelfall geschieht dies durch Inhalts- und Nebenbestimmungen.[387] Deren Kriterien begrenzen die wasserrechtliche Erlaubnis zum Einleiten von Abwasser.[388]

Das Problem bei der Festlegung von Grenzwerten für Abwasser liegt darin, dass der Abwasseranfall und die Abwasserzusammensetzung regelmäßig Schwankungen unterworfen sind. Dies gilt sowohl für das produktionsbedingte Abwasser, das im Allgemeinen aus unterschiedlichen und häufig wechselnden Produktionsabläufen stammt, als auch für die Abläufe aus den Abwasseranlagen, die generell vom Betreiber der Abwasseranlagen nur bedingt gesteuert werden können.[389] Dies bedeutet aber, dass mit der Festsetzung von Grenzwerten dem Gewässerbenutzer eine Verpflichtung auferlegt wird, deren Einhaltung nicht in jedem Fall von seinem steuerbaren Verhalten abhängt, sondern vielmehr vom (naturwissenschaftlichen) Zufall.

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Eine Konsequenz aus dieser Erkenntnis war die Einführung des sogenannten Überwachungswerts, mit dem den unvermeidbaren Schwankungen beim Schadstoffausstoß im Abwasser Rechnung getragen werden soll.[390] Wird dem Betreiber einer Anlage im Rahmen einer behördlichen Einleiteerlaubnis als Auflage ein bestimmter Überwachungswert aufgegeben (z.B. Phosphor 4 mg/I), ist er verpflichtet, diesen einzuhalten. Der Wert gilt allerdings auch dann noch als gewahrt, „wenn das arithmetische Mittel der Ergebnisse aus den letzten fünf im Rahmen der staatlichen Gewässeraufsicht durchgeführten Untersuchungen diesen Wert nicht überschreitet (sog. „Vier-von-fünf-Wert“[391]). Untersuchungen, die länger als drei Jahre zurückliegen, sollen dabei unberücksichtigt bleiben“.[392] Haben demnach die letzten fünf Messungen jeweils einen Wert von 6, 2, 5, 3 und 4 mg/I (zusammen: 20 mg/l, geteilt durch 5 = 4 mg/1 = der vorgegebene Überwachungswert) ergeben, ist der Überwachungsgrenzwert eingehalten. Wurden dagegen folgende Werte gemessen: 8, 2, 5, 3 und 4 mg/1 (zusammen: 22 mg/l, geteilt durch 5 = 4,4 mg/1 = Überwachungswert überschritten), gelten dann sowohl die erste (Wert 8 mg/l) als auch die dritte Messung (Wert 5 mg/l) als verwaltungsrechtlicher Verstoß gegen eine Auflage der Einleiteerlaubnis.

 

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Der Überwachungswert ist nach der überwiegenden Auffassung kein taugliches Mittel zur Begrenzung der im strafrechtlichen Sinne rechtfertigenden Wirkung einer wasserrechtlichen Einleiteerlaubnis.[393] Es widerspricht dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die Voraussetzungen für eine strafrechtlich relevante Überschreitung des Überwachungswertes (z.B. bei der ersten Messung) von künftigen, dem Täter noch unbekannten Ereignissen (nämlich den Ergebnissen der danach erst noch durchzuführenden weiteren vier Messungen) abhängen. Das LG Bonn hat mit dieser Begründung die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss des AG Bonn, mit dem ein Verfahren wegen des Verstoßes gegen § 324 StGB durch die Überschreitung des Überwachungswertes nicht eröffnet worden war, zurückgewiesen.[394]

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In derselben Entscheidung hat sich das LG Bonn auch gegen die (ersatzweise) Heranziehung des ebenfalls, jedoch in einer anderen Rubrik des betreffenden Einleitebescheids ausgewiesenen abgabenrechtlichen Höchstwertes als Kriterium für den Umfang der Befugnis ausgesprochen. Es begründet dies damit, dass – wenn nicht ausdrücklich der wasserrechtliche Grenzwert mit dem abgabenrechtlichen verknüpft wird – letzterer nur für die abgabenrechtlichen Festsetzungen Geltung hat.

Bestimmt die Einleiteerlaubnis für bestimmte Stoffe jeweils einen Höchstwert (oder eine Höchstgrenze für einen Summenparameter, z.B. den CSB, sog. Chemischer Sauerstoffbedarf, der zum Abbau (Oxydation) von organischen Stoffen benötigt wird, oder den BSB 5, sog. Biologischer Sauerstoffbedarf, der diejenige Menge Sauerstoff angibt, die Bakterien im Zeitraum von fünf Tagen für den Abbau von Verunreinigungen im Abwasser benötigen), führt auch hier grundsätzlich noch nicht jede Überschreitung zum Wegfall der wasserrechtlichen Befugnis. Wegen der aus naturwissenschaftlichen Gründen zu beobachtenden Unberechenbarkeit der Interdependenz der Abwasserinhaltsstoffe, z.B. der Mikroorganismen in den Kläranlagen, kann es zu einzelnen Überschreitungen der Höchstwerte kommen, die trotz bester Bemühungen weder vermeidbar sind noch auf überhaupt eine bestimmte Ursache zurückgeführt werden können. Es ist deshalb in der Regel davon auszugehen, dass jede Einleiteerlaubnis, in der Höchstgrenzwerte festgesetzt sind, unter dem ungeschriebenen Vorbehalt steht, dass einzelne Überschreitungen (sog. „Ausreißer“) den Befugnisrahmen nicht sprengen.[395]

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Für die strafrechtliche Beurteilung ist Folgendes von Bedeutung: Für die Frage der tatbestandsmäßigen Erfüllung der Gewässerverunreinigung i.S.d. § 324 StGB sind nicht die in den allgemeinen Abwasserverwaltungsvorschriften vorgegebenen Einleitekriterien maßgeblich, sondern allein, was dem jeweiligen Gewässerbenutzer in dessen individueller wasserrechtlicher Erlaubnis an Abwassereinleitung gestattet ist.[396] Die Vorgaben des Wasserhaushaltsgesetzes (§ 57 WHG) und der allgemeinen Abwasservorschriften (z.B. AbwV) richten sich gerade nicht an den jeweiligen Gewässerbenutzer, sondern sind – wie das Wasserhaushaltsgesetz selbst – die Grundlage für die von den Verwaltungsbehörden im Einzelfall gegenüber dem jeweiligen Gewässerbenutzer zu erlassenden wasserrechtlichen Gestattungsakte (Verwaltungsakte).[397] Insofern ist die Auffassung abzulehnen, nach der in Fällen, in denen es zu keiner wasserrechtlichen Einzelanordnung gekommen ist, jedenfalls die Verletzung allgemeiner materieller Betreiberpflichten zur Grundlage des strafrechtlichen Vorwurfs gemacht werden können soll.[398] Dies gilt z.B. auch für die Minimierungspflicht in § 57 Abs. 1 Nr. 1 WHG, nach der eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser nur erteilt werden darf, „wenn die Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering gehalten wird, wie diesnach dem Stand der Technik möglich ist“.[399] Dies bedeutet auf der einen Seite, dass eine behördlich nicht genehmigte Gewässerverunreinigung nicht dadurch „geheilt“ wird, dass der Einleitende darauf verweist, die Schadstoffe hätten sich aber im Rahmen der Vorgaben, z.B. der Abwasserverordnung, gehalten. Auf der anderen Seite kann aber nicht zum Vorwurf gemacht werden, der Gewässerbenutzer habe – bei Einhaltung der in der Einleiteerlaubnis bestimmten Grenzwerte – nicht noch Anstrengungen unternommen, um diese noch weiter zu minimieren.[400]

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Die Messungen der Abwasserinhaltsstoffe sind als solche häufig mit Fehlern behaftet. Das LG Frankfurt hat in einer Entscheidung[401] auf der Grundlage eines statistischen Gutachtens zu regelmäßigen Messungen des pH-Wertes einen durchschnittlichen Messfehler von 1,5 % und bei der Bestimmung des CSB-Wertes eine Analyseungenauigkeit von +/– 6 % angenommen. Das Gutachten eines zweiten Sachverständigen der Statistik, der zu dem Ergebnis gekommen war, dass „grundsätzlich 90 % sämtlicher Grenzwertüberschreitungen aus dem Bereich der Grenzwerte… bereits von der technischen Seite ausfielen“, hatte das Landgericht bei seiner Entscheidung lediglich aus formalen Gründen nicht herangezogen. Ergeben sich die Grenzwertüberschreitungen allein aus den seitens der Behörde aufgegebenen Eigenmessaufzeichnungen eines Unternehmens, sind diese – im Gegensatz zu der zurzeit geübten Praxis – im Strafprozess ohne die ausdrückliche Zustimmung des Beschuldigten nicht verwertbar.[402]

In einem jeden Fall, in dem die Frage von Grenzwertüberschreitungen ansteht, ist das Augenmerk auch auf etwaige Analysefehler und Messungenauigkeiten zu richten.[403]

3. Allgemeine Rechtfertigungsgründe

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Auch das Vorliegen allgemeiner Rechtfertigungsgründe führt zur Annahme befugten Handelns. Insbesondere der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB) dürfte bei § 324 StGB zum Tragen kommen. § 34 StGB verlangt die Kollision widerstreitender Interessen[404] und setzt innerhalb des Gewässerstrafrechts voraus, dass die Verletzung des Rechtsguts „Gewässer“ das einzige Mittel ist, um ein höherwertig bedrohtes anderes Rechtsgut zu bewahren.[405] Der Anwendung des § 34 in Not- und Katastrophenfällen (Starkregen, Ausfall der Kläranlage etc.[406]) geht die Frage voraus, ob die Handlung überhaupt erlaubnispflichtig ist. Mit der Neufassung des WHG im Jahr 2009 wurde in § 8 Abs. 2 S. 1 WHG ein Handeln in Notfällen ausdrücklich von der Erlaubnispflicht ausgenommen. Es ist dabei auf die verständige Würdigung eines ex-ante Beobachters abzustellen.[407] Das Unterlassen einer Anzeige an die zuständige Behörde über den Notfall ist nicht bußgeldbewehrt.[408]

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Das LG Bremen[409] hat auch den durch einen Amtsträger angeordneten Einsatz eines Bilgenentölerbootes, der trotz Anwendung der zum damaligen Zeitpunkt möglichen technischen Voraussetzungen noch zu einer Gewässerverunreinigung führte, als i.S.d. § 34 StGB gerechtfertigt angesehen, weil die hierdurch verursachte nachteilige Veränderung wesentlich geringer ausfiel als diejenige, die entstanden wäre, wenn man das Boot nicht eingesetzt hätte.

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Ob die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Vermeidung von Ausfällen in der Produktion oder betriebliche Vermögensinteressen einen rechtfertigenden Notstand begründen können, ist umstritten, mit der Tendenz, diesen Interessen in Einzelfällen Vorrang vor dem Gewässerschutz einzuräumen.[410] In industriell unterentwickelten Regionen dürfte z.B. der Arbeitsplatzsicherung ein hoher Stellenwert einzuräumen sein. Wenn sich der Bau einer Kläranlage einer Gemeinde wegen finanzieller Schwierigkeiten über den gesetzten Termin hinaus verzögert und die Aufrechterhaltung der mit Schmutzwasser belasteten Produktion die einzige Möglichkeit ist, um überhaupt die Betriebsschließung zu verhindern, muss dem Interesse der Sicherung der Arbeitsplätze der Vorrang vor der vorübergehenden (weiteren) Beeinträchtigung des Gewässers eingeräumt werden. Der BGH hat in einer (älteren) Entscheidung aus dem Jahr 1975[411] die Aufrechterhaltung der Produktion und die Sicherung der Arbeitsplätze als Rechtsgut des § 34 StGB dem Grunde nach gebilligt. In dem entschiedenen Fall waren von der Produktion eines Betriebes Gesundheitsschäden für die Anwohner ausgegangen. Der BGH hat die Auffassung vertreten, dass Gesundheitsschäden als Mittel zur Abwehr der Gefahr für das geschützte Rechtsgut „Produktion“ zwar nicht eingesetzt werden dürften. Er hat den Firmenvertretern jedoch einen entsprechenden unvermeidbaren Verbotsirrtum zugebilligt. Das Unrechtsbewusstsein habe den Verantwortlichen des Unternehmens deshalb gefehlt, weil diese (unvermeidbar) dem Irrtum erlegen seien, die Anwohner müssten die körperlichen Beeinträchtigungen hinnehmen, da sonst der Betrieb hätte eingestellt werden müssen.[412]

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Der Regierungsentwurf zum 1. UKG[413] erwähnt im Zusammenhang mit den Ausführungen über die Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtfertigungsgründe ausdrücklich noch das „sozialadäquate Verhalten“ und nennt als Beispiel für das Eingreifen dieses Rechtfertigungsgrundes den „praktisch nicht vermeidbaren Abfluss unreiner Stoffe von verkehrsreichen Straßen“. Der BGH[414] macht zur allgemeinen Voraussetzung der Rechtfertigung durch sozialadäquates Verhalten, dass sich der Betreffende im Rahmen der normalen Ordnung bewegt und seine Handlungen „übliche, von der Allgemeinheit gebilligte und daher in strafrechtlicher Hinsicht im sozialen Leben gänzlich unverdächtige, weil im Rahmen der sozialen Handlungsfreiheit liegende Handlungen“ darstellen.

VIII. Schuld
1. Vorsatz und Irrtumsproblematik

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Für die vorsätzliche Begehungsweise ist Voraussetzung, dass der Gewässerbenutzer erkennt und weiß, dass sein Handeln oder Unterlassen eine nachteilige Veränderung der Eigenschaften eines Gewässers zur Folge hat. Da der bedingte Vorsatz ausreicht,[415] genügt es, dass der Täter die Gewässerverunreinigung auch nur billigend in Kauf nimmt. Wer also trotz des Wissens um die Gefährlichkeit eines chemischen Stoffes diesen dennoch auf das ungeschützte Erdreich ablaufen lässt, rechnet nach der Auffassung des BGH[416] regelmäßig mit der Möglichkeit einer Verunreinigung auch des Grundwassers und nimmt diese bei seiner Handlungsweise billigend in Kauf, wobei die Tatbestandsmäßigkeit des § 324 StGB aber in jedem Fall erst dann erfüllt ist, wenn tatsächlich das Grundwasser verunreinigt wurde.

Der (auch bedingte) Vorsatz muss sich im Einzelnen auf folgende Merkmale beziehen:

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