Umweltstrafsachen

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V. Tathandlung
1. Allgemeines

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Die Tathandlung des § 324 StGB ist das Verursachen einer Gewässerverunreinigung bzw. nachteiligen Veränderung. Auf welche konkrete Weise der Unrechtserfolg herbeigeführt wird, ist vom Gesetz nicht bestimmt. Die Vorschrift genügt nach der h.M.[162] dennoch dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Von einem Teil der Literatur sind hiergegen allerdings Bedenken erhoben worden.[163] Hauptansatzpunkt der Kritik ist im Wesentlichen, dass der Gesetzgeber bei § 324 StGB überwiegend normative Begriffe verwendet habe, die nicht nach ihrem Wortlaut („unbefugt“, „nachteilig verändert“) zu konkretisieren, sondern in ihrer Bestimmung von verwaltungsrechtlichen und naturwissenschaftlichen Vorfragen abhängig sind. Damit fehle der Strafvorschrift – so ihre Kritiker – der eindeutige, für jedermann erkennbare Regelungsinhalt, was wiederum zur Folge habe, dass es den Strafgerichten in bedenklich weitem Umfang überlassen sei, die Strafbarkeit(-sgrenze) festzulegen.[164] Ohne hier die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 324 StGB zu vertiefen, ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass nicht zuletzt aufgrund der geäußerten Bedenken gegen die Begriffsbestimmung des § 324 StGB (in der Literatur nahezu) einhellig gefordert wird, den Tatbestand jedenfalls eng auszulegen, schon um die Bagatellfälle auszuschließen.[165]

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Die Tathandlung des § 324 StGB ist danach im Wesentlichen eine Frage der Kausalität. Den als Erfolgsdelikt ausgestalteten objektiven Tatbestand erfüllt nur, wer die Ursache dafür setzt, dass die Eigenschaften eines Gewässers nachteilig verändert sind.[166] Dies kann durch aktives Tun, aber auch durch Unterlassen[167] geschehen, durch eine unmittelbare[168] oder mittelbare, z.B. über eine Kanalisation vorgenommene Einleitung in ein Gewässer[169] oder durch das Versickern-Lassen von Schadstoffen (z.B. Altöl oder Benzin) in das Erdreich und von da aus in das Grundwasser oder ein Gewässer.[170]

2. Aktives Tun

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Die im Zusammenhang mit der Frage der Erfolgsverursachung durch aktives Tun möglicherweise auftretenden Kausalitätsprobleme sind nach h.M. nicht spezieller Natur, sondern sollen sich mittels der allgemeinen Grundsätze lösen lassen.[171] Dies würde u.a. bedeuten, dass in Fällen, in denen der Einleitende (neben anderen) lediglich eine Teil-Ursache für die Verunreinigung eines Gewässers setzt, die jedoch i.S.d. Conditio-sine-qua-non-Formel nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele, der Tatbestand des § 324 StGB verwirklicht wäre.[172] Ob dieser Grundsatz auf das Gewässerstrafrecht ohne Einschränkung Anwendung finden kann, muss bezweifelt werden. Beispiel bei Samson[173]: Die Wasserbehörde legt den zulässigen pH-Wert für ein Gewässer mit „zwischen 8,0 und 6,0“ fest, weil dies der üblichen Schwankungsbreite der Gewässergüte entspricht. Der Normalbereich liegt bei 7,0. Danach erfüllt derjenige den Tatbestand der Gewässerverunreinigung, der bewirkt, dass der pH-Wert entweder unter 6,0 sinkt oder über 8,0 ansteigt. Würden unabhängig voneinander zwei Einleitungen an einem Tag vorgenommen, die jeweils für sich nur dazu geführt hätten, dass der pH-Wert um 1,1 Punkte steigt, wäre die einzelne Einleitung in ein Gewässer mit einem pH-Wert 6,0 zwar nicht tatbestandsrelevant (der pH-Wert erreichte lediglich den Normalbereich 7,1), in ihrer Summe führten beide Einleitungen jedoch zum Überschreiten des behördlich festgelegten pH-Wertes (auf 8,2).

Samson[174] weist mit Recht darauf hin, dass sich diese Konstellation von den Fällen der Kumulation im übrigen Strafrecht unterscheidet, z.B. von dem Fall, in dem zwei Täter unabhängig voneinander dem Opfer eine Giftdosis zuführen, die als einzelne noch nicht zum Tode führt, im Zusammenwirken jedoch tödlich ist. Nach der Äquivalenztheorie ist die Handlung jedes der beiden Täter kausal; denn sie kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg (Tod des Opfers) entfiele. Im Beispielsfall der Gewässereinleitung wird aber durch eine einzelne Einleitung, die den vorhandenen pH-Wert von 6,0 auf 7,1 erhöht, nicht etwa bewirkt, dass sich die Gewässergüte verschlechtert. Im Gegenteil, sie verbessert sich bis in den Normalbereich hinein. Der Wert 7,1 entspricht der natürlichen Wassergüte sehr viel mehr als der Wert 6,0. Es ist deshalb nach Samson nicht ohne weiteres ersichtlich, weshalb der Einzelbeitrag in jedem Fall als tatbestandsmäßig zu werten ist.

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Bereits dieser sehr einfach gelagerte Beispielsfall zeigt, dass das Problem der Kumulation, Summation oder Synergie-Effekte im Umweltstrafrecht[175] dogmatisch noch weit davon entfernt ist, geklärt zu sein.[176] Das Unbehagen an einer unmittelbaren Anwendbarkeit der „allgemeinen Kausalitätsgrundsätze“ (Äquivalenztheorie) wird nicht zuletzt daran deutlich, dass selbst Autoren, die sich im Ergebnis für eine Strafbarkeit der kumulativen Gewässerverunreinigung aussprechen, im Einzelfall dann doch eine differenzierte[177] Betrachtungsweise gelten lassen wollen, wenngleich nicht unbedingt auf der Ebene der Kausalität. Nach der Auffassung z.B. von Sack soll es sich weniger um ein Problem der Kausalität als um ein solches des Verschuldensgrades und damit letztendlich des Strafmaßes handeln. Er will die Zurechenbarkeit einer Einzeleinleitung vom Wissen des Einleiters um ein Erreichen einer Grenzsituation abhängig machen.[178] Möhrenschlager sieht die Einzeleinleitung dann von der Strafbarkeit ausgenommen, wenn – und dies ist ein strafprozessuales Argument – nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Schaden am Gewässer allein durch Dritte verursacht worden ist.[179] Für Schall[180] ist entscheidend, dass das Verhalten wenigstens mitursächlich ist. Rotsch[181] sieht den Schuldgrundsatz verletzt, wenn die Kumulation auch Tatbeiträge erfasst, die für sich genommen einzeln noch nicht einmal abstrakt gefährlich sind.

Die Überlegung, dass jedenfalls in diesen Fällen auch ganz praktische Fragen der Beweisbarkeit eine Rolle spielen können, sollte vom Strafverteidiger immer mitberücksichtigt werden. Werden z.B. von ein und derselben Person nacheinander („schubweise“) jeweils in geringfügiger Menge Schadstoffe eingeleitet, die sich erst in ihrer Gesamtheit zu einer Gewässerverunreinigung aufsummieren, dürfte der Nachweis, ob – und vor allem: wann, nach welchem „Schub“ – eine konkrete nachteilige Veränderung der Gewässereigenschaften eingetreten ist, in der Praxis so gut wie nicht zu führen sein. In unseren fließenden und vorbelasteten Gewässern ist der Vorgang einer Kumulation mehrerer i.S.d. § 324 StGB unbeachtlicher Einleitungen zu einer wesentlichen Verunreinigung (noch dazu eines einzelnen Verursachers) faktisch nicht nachzuvollziehen. Jedenfalls reicht es nicht aus, dass allein die theoretische Möglichkeit besteht, dass eine im Einzelfall unbedenkliche Einleitung zu einer wesentlichen Verunreinigung kumulieren könnte. Es handelt sich bei § 324 StGB um ein Erfolgs- und nicht um ein Gefährdungsdelikt.

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Der Tatbestand der Gewässerverunreinigung kann auch durch Handlungen bewirkt werden, die Schadstoffe dem Gewässer mittelbar zuführen, d.h. über eine Einleitung zunächst in die Kanalisation und von dort aus in das Gewässer. Mittelbar ist eine solche Einleitung deshalb, weil die Kanalisation nicht als „Gewässer“ i.S.d. § 324 StGB gilt.[182] Wer lediglich in ein Leitungssystem einleitet, macht sich (noch) nicht strafbar. Gelangen dieselben Abwässer (Schadstoffe) aus dem Leitungssystem (Kanalisation) allerdings danach in ein Gewässer, kann grundsätzlich der Tatbestand des § 324 StGB erfüllt sein, und zwar durch denjenigen, der „mittelbar“ oder „indirekt“ durch seine Einleitung in die Kanalisation die Ursache der (späteren) Gewässerverunreinigung gesetzt hat. Man spricht deshalb insoweit von „Indirekteinleiterfällen“.[183] Indirekt über Kanäle und öffentliche Abwasseranlagen eingeleitet werden nahezu alle häuslichen Abwässer und etwa 60 % der gewerblichen und industriellen Abwässer.[184] Dass alle diese Indirekteinleitungen nicht automatisch zu (tatbestandsmäßigen) Gewässerverunreinigungen führen, liegt im Regelfall daran, dass der Einleitung in den Vorfluter (= Gewässer) eine kommunale oder betriebliche Abwasserbehandlungs- bzw. Kläranlage vorgeschaltet ist, die dafür Sorge trägt, dass nur gereinigtes und von den betreffenden eingeleiteten Schadstoffen befreites Wasser in das Gewässer gelangt. Die – kommunalen oder betrieblichen – Indirekteinleiter als solche bedürfen einer wasserrechtlichen Genehmigung nach den §§ 58 f. WHG, die bereits für das (indirekt) in eine Abwasseranlage einzuleitende Abwasser sicherstellt, dass die in § 57 WHG für die direkte Einleitung geforderte Schadlosigkeit nach dem Stand der Technik eingehalten wird.[185] Damit der Bürger weiß, von welcher Qualität das Abwasser sein muss, damit die Kläranlage die Schadstoffe bewältigt, erlassen die Städte und Kommunen im Allgemeinen Abwasser- bzw. Entwässerungssatzungen. Diese legen im Einzelnen fest, in welchem Rahmen belastetes Abwasser in die Kanalisation eingeleitet werden darf, um nach Durchlaufen der Klärstufen für das Gewässer schadlos zu sein.[186] Auch wenn die Auffassung vertreten wird, dass es sich bei solchen Satzungen lediglich um Benutzungsbedingungen und nicht um rechtfertigende Gestattungen handelt,[187] muss sich der Kanalbenutzer hierauf verlassen dürfen.[188] Die Einleitung erfolgt demgemäß immer dann befugt, wenn sie sich im Rahmen der Befugnisse der Abwassersatzung bewegt, jedenfalls aber innerhalb der wasserrechtlichen Genehmigung des jeweiligen Abwasseranlagenbetreibers.[189] Werden bei einer Einleitung Grenzwerte (Parameter) von Satzung oder Genehmigung (z.B. des Indirekteinleiters) überschritten, hängt die Tatbestandsmäßigkeit des Erfolgsdelikts § 324 StGB davon ab, ob der Nachweis gelingt, dass die betreffende (konkrete!) Indirekteinleitung zu einer nachhaltigen Veränderung im Gewässer (nach der Kläranlage) geführt hat. Dies wird allerdings wegen der Vielzahl der Einzeleinleitungen in die Kanalisation nur in den seltensten Fällen möglich sein.

 

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Wegen dieser Nachweisprobleme im Bereich des Gewässerstrafrechts werden die Fälle von Indirekteinleitungen regelmäßig unter dem Aspekt des § 326 StGB Abs. 1 Nr. 4 lit. a StGB verfolgt. Die Strafbarkeit wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung hängt dabei zunächst von zwei Voraussetzungen ab: Es muss sich bei dem Abwasser um Abfall i.S.d. § 326 StGB handeln, und die Einleitung („beseitigen“) in die Kanalisation oder die Abwasserbehandlungsanlage muss für das betreffende Abwasser nicht zugelassen sein („außerhalb einer dafür zugelassenen Anlage“ i.S.d. § 326 Abs. 1 StGB). Dass es sich bei Abwasser um „flüssigen“ Abfall handeln kann, ist h.M.[190] Dies war zunächst nicht selbstverständlich; denn verwaltungsrechtlich wird zwischen Abwasser und Abfall unterschieden.[191] Es gibt ein speziell für den Umgang mit Abwasser geschaffenes verwaltungsrechtliches Wasserhaushaltsgesetz und ein verwaltungsrechtliches Abfallgesetz (Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG). Die strafrechtliche Rechtsprechung hat sich demgegenüber jedoch auf den Standpunkt gestellt, dass ein eigener strafrechtlicher Abfallbegriff[192] existiert, der sich zwar eng an das Verwaltungsrecht anlehnen soll, aber insbesondere nicht dessen Anwendungsbeschränkungen übernimmt[193] (u.a. gilt das KrWG nicht für Stoffe, „sobald sie in Gewässer oder Abwasser eingeleitet oder eingebracht werden“[194]). Das Strafrecht versteht sich danach nicht als unmittelbar und unbedingt verwaltungsgesetzakzessorisch, mit der Folge, dass es für die strafrechtliche Beurteilung etwas gibt, was im Verwaltungsrecht nicht existiert, nämlich einen „flüssigen Abfall“.[195]

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Als eine Beseitigung von Abfall „außerhalb einer dafür zugelassenen Anlage“ gilt die Einleitung von Abwasser in eine öffentliche Abwasseranlage z.B. dann, wenn die Voraussetzungen der Genehmigung nach § 58 WHG für die Indirekteinleitung nicht eingehalten sind. Die Einleitung von normalen Hausabwässern in durchschnittlicher Menge in die öffentliche Kanalisation erfüllt normalerweise dieses Tatbestandserfordernis nicht,[196] zumal wenn die Grenzwerte der örtlichen Abwassersatzung eingehalten sind. Die Grenzwerte sind im Regelfall auf die Reinigungsleistung und Kapazität der jeweiligen an die Kanalisation angeschlossenen Kläranlage abgestimmt. Für Abwasser, das höhere Schadstoffe enthält, als es nach der jeweiligen Abwassersatzung erlaubt ist, ist die Kanalisation keine für die Einleitung (Beseitigung) zugelassene Anlage.[197]

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Dass sich die Frage des Eingreifens des § 326 Abs. 1 Nr. 4 lit. a StGB bei den Indirekteinleiterfällen dennoch problematisch gestalten kann, liegt an Folgendem: Nach h.M. gilt § 326 StGB als ein abstraktes Gefährdungsdelikt in dem Sinne, dass schon die generelle Eignung des Abfalls für eine Gefährdung der Umweltmedien ausreichen soll.[198] Dies bedeutet, dass das Abwasser als Abfall lediglich abstrakt geeignet sein muss, Erde, Luft oder Wasser zu gefährden. Es ist nicht erforderlich, dass durch die entsprechende Einleitung eine konkrete Gefahr für die Umweltmedien tatsächlich herbeigeführt wird. Strittig ist allerdings nach wie vor, wie diejenigen Fälle – und hierzu gehören im Regelfall die Indirekteinleitungen – zu behandeln sind, bei denen es aufgrund der konkreten Umstände auszuschließen ist, dass sich eine Gefahr für die Umweltmedien überhaupt realisieren kann. Beispiel: Abwasser mit einer über den Grenzwerten der örtlichen Abwassersatzung oder der Indirekteinleiter-Genehmigung (§ 58 WHG) liegenden Schmutzfracht wird in die Kanalisation/Abwasseranlage eingeleitet. Es vermischt sich dort mit anderen ggf. weniger belasteten Abwässern, der ursprüngliche Schadstoffgehalt wird kompensiert, so dass sich schließlich nach der Behandlung bzw. dem Durchlaufen der Kläranlage im Ablauf in das Gewässer keinerlei umweltrelevante Verunreinigungen zeigen. Die Gefährdung von Luft, Erdreich oder Gewässer sowohl bei der Indirekteinleitung als auch beim Zulauf in den Vorfluter kann in einem solchen Fall aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen werden, obwohl die Indirekteinleitung als solche zunächst durchaus schadensgeeignet (wassergefährdend) war.

Hinter dieser Problematik steckt letztendlich die im Abfallstrafrecht abschließend noch nicht geklärte Frage nach der Definition des Eignungsmerkmals in § 326 Abs. 1 Nr. 4 lit. a StGB. Für diese Tatbestandsalternative ist erforderlich, dass der Abfall „nach Art, Beschaffenheit oder Menge geeignet“ ist, „nachhaltig ein Gewässer, die Luft oder den Boden zu verunreinigen oder sonst nachteilig zu verändern“. Bezieht man die Eignung abstrakt auf den Abfallstoff als solchen, ist allein dessen originärer Schadstoffgehalt entscheidend. Versteht man demgegenüber das Eignungsmerkmal als auch bezogen auf die konkreten Umstände der Beseitigungshandlung, ist – hier bei den Indirekteinleiterfällen – das Verteidigungsargument eröffnet, dass z.B. durch das Mischungsverhältnis innerhalb einer bestimmten Abwasserbehandlungsstufe die Schädigungseignung beseitigt wird. Der BGH hat die Frage der Anwendbarkeit des § 326 StGB in Fällen, in denen die konkreten Umstände der Beseitigung von Abfall eine Gefährdung ausschließen, bislang noch nicht ausdrücklich entschieden.[199] In der Literatur sind die Meinungen geteilt,[200] was unten, Rn. 265 ff. im Einzelnen dargestellt wird.

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Auch in Ansehung der unterschiedlichen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur sprechen die besseren Argumente dafür, in einem Fall, in dem Abfall unter (konkreten) Umständen beseitigt wird, die eine Beeinträchtigung keines der geschützten Güter zum Zeitpunkt der Ablagerung als möglich erscheinen lassen, einem Beschuldigten nicht die Berufung darauf zu versagen, dass seine Handlung objektiv unschädlich ist und deshalb eine Verurteilung zu einer Kriminalstrafe nicht in Betracht kommt. Wir haben bereits an anderer Stelle[201] darauf hingewiesen, dass das Umweltstrafrecht wegen seiner unbestimmten Rechtsgüter und der Strafbarkeitsverlagerung weit in das Vorfeld eines konkreten Schadens unter Verständnis- und Akzeptanzproblemen leidet. Das Strafrecht findet traditionell – in Abgrenzung vom bloßen Ordnungsunrecht (Ordnungswidrigkeiten) – seine Legitimation darin, dass durch die Tathandlung ein konkreter Schaden an einem elementaren Rechtsgut verursacht wurde.[202] Es wird dann für den Bürger nicht mehr nachvollziehbar, wenn es einem Beschuldigten/Angeklagten sogar die Berufung darauf versagt, dass ein Schaden in concreto nicht eingetreten ist.[203]

3. Unterlassen
a) Garant und Garantenpflichten

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Der Taterfolg des § 324 StGB kann auch durch Unterlassen verwirklicht werden.[204] Voraussetzung hierfür ist, dass dem Untätigen, der die Gewässerverunreinigung abzuwenden in der Lage ist, eine besondere Handlungspflicht (Garantenpflicht) obliegt (§ 13 StGB). Wann dies der Fall ist, bestimmt sich zunächst nach den allgemeinen Regeln,[205] zunehmend – auch bei den Umweltdelikten – nach der von Armin Kaufmann entwickelten zweigleisigen Begriffsbestimmung, die im Gegensatz zu der überkommenen formellen Betrachtungsweise auf den materiellen Gegenstand und Inhalt der Rechtspflicht abstellt.[206]

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Danach ist Garant, wer für ein bestimmtes Rechtsgut eine Obhutspflicht innehat („Beschützergarant“ oder „Hütergarant“) oder bezogen auf eine bestimmte Gefahrenquelle eine Überwachungspflicht („Überwachergarant“). Ein Firmeninhaber, der verpflichtet ist, die aus seinen Betriebsanlagen resultierenden Gefahren zu kontrollieren und zu verhindern, dass hieraus Schäden für andere (Rechtsgüter) entstehen, ist „Überwachergarant“.[207] Um sog. „Beschützergaranten“ dagegen soll es sich nach der z.Zt. überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung bei den Bediensteten der Wasser- und Wasseraufsichtsbehörden handeln, da diesen durch das Wasserhaushaltsgesetz der Schutz für das Gewässer aufgegeben ist.[208]

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Die Tragweite der Garantenpflichten, die aus der Schutzposition für bestimmte Rechtsgüter erwachsen, ist größer als der Umfang der Pflichten, die sich aus der Verantwortung für eine Gefahrenquelle ergeben. Der „Beschützergarant“ hat grundsätzlich alles abzuwehren, was das von ihm in Obhut genommene Rechtsgut gefährdet, während der „Überwachergarant“ nur die Gefahrenquelle selbst unter Kontrolle zu halten und etwaige hieraus entstehende Schäden abzuwenden hat.[209] Im Zusammenhang mit § 324 StGB ist deshalb beispielsweise der „Überwachergarant“, also z.B. der Inhaber eines industriellen Betriebes, zwar verpflichtet, das an dem Betriebsgelände vorbeifließende Gewässer vor Verunreinigungen aus dem Betrieb zu schützen. Ist er jedoch für die Verursachung einer betriebsbedingten nachteiligen Veränderung des Gewässers verantwortlich, verpflichtet ihn seine strafrechtliche Garantenstellung nicht, den früheren Gewässerzustand durch Reinigung oder sonstige Gewässerverbesserung wiederherzustellen[210] oder weitere aus der von ihm zu verantwortenden Verletzung entstandene Nachteile abzuwenden. Ein Prinzip, dass derjenige, der eine Straftat begeht, unter (erneuter!) Strafandrohung gezwungen ist, die Folgen seiner Tat sogleich wieder zu beseitigen, ist unserem Strafrecht fremd. Dagegen soll bei einer bereits laufenden Gewässerverunreinigung eine Erfolgsabwendungspflicht im Hinblick auf die Verhinderung weiterer drohender Verschmutzungen bestehen. Dies dürfte allerdings nur dann gelten, wenn derjenige, der zur Verhinderung weiterer Verunreinigungen verpflichtet ist, nicht identisch ist mit dem Verursacher der fortlaufenden Gewässerverschmutzung.[211]

b) Hypothetische Kausalität

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Der Kausalität bei den Begehungsdelikten entspricht die sog. hypothetische Kausalität[212] bei den unechten Unterlassungsdelikten[213]. Während derjenige, der durch positives Tun einen Schadstoff in ein Gewässer einbringt, dann kausal i.S.v. § 324 StGB handelt, wenn er damit eine Bedingung setzt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg (nachteilige Veränderung eines Gewässers) entfiele[214], steht die unterlassene Handlung mit dem eingetretenen Erfolg dann in einem „gesetzmäßigen Zusammenhang“[215], wenn das erwartete und dem Täter auch mögliche Tun mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Erfolg abgewendet hätte. Jeder Zweifel an der Vermeidbarkeit des Unrechtserfolgs wirkt sich zugunsten des Tatverdächtigen aus, d.h. auch im Rahmen der „hypothetischen Kausalität“ gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“.[216] Steht z.B. nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass auch bei Beachtung der einem Betriebsinhaber obliegenden Aufsichtspflichten die Gewässerverunreinigung hätte vermieden werden können (etwa, weil ein Unternehmensmitarbeiter die Einleitung von Schadstoffen vorsätzlich vorgenommen hat), kann dem Betriebsinhaber ein strafrechtlich relevantes Unterlassen i.S.v. § 324 StGB nicht angelastet werden.

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Zur hypothetischen Kausalität gehört auch, dass der Unterlassende die Möglichkeit gehabt haben muss, den Erfolg tatsächlich zu verhindern und dass ihm dieses auch zumutbar war.[217] Wird z.B. gegen einen Betriebsinhaber der Vorwurf erhoben, er habe es pflichtwidrig unterlassen, eine Kläranlage zu errichten, so dass der bei einem Betriebsunfall angefallene Schadstoffausstoß ungeklärt in den Vorfluter (= das Gewässer) gelangen konnte, und verteidigt sich dieser damit, er hätte über die zum Bau erforderlichen finanziellen Mittel nur verfügen können, wenn er die vorhandenen Arbeitsplätze reduziert hätte, bedarf es innerhalb des Tatbestandsmerkmals „Zumutbarkeit“ einer Abwägung der divergierenden Interessen.[218] An der Zumutbarkeit fehlt es auch, wenn der Garant eigene billigenswerte Interessen gefährdet, z.B. in dem Fall, in dem durch die Bezahlung der Kosten für die Beseitigung der Sickerwässer die Landwirte und Hauseigentümer in eine existenzgefährdende finanzielle Bedrängnis gerieten.[219]

 

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An der konkreten Möglichkeit, den Unrechtserfolg des § 324 StGB zu verhindern, kann es z.B. fehlen, wenn – wie vom LG Bremen[220] entschieden – die technischen Möglichkeiten zur Tatzeit nicht bestanden, „durch Separierung der Wasser-Ölgemische den umweltfreundlichen Grenzwert vom Restölgehalt auf 20 ppm zu drücken“. Angeklagt war in diesem Fall der Leiter des Wasserwirtschaftsamts, dem vorgeworfen worden war, vorsätzlich durch Unterlassen ein Gewässer verunreinigt zu haben, indem er eine Firma mit der Betreibung eines Entölerbootes beauftragte, obwohl ihm bekannt war, dass von diesem Schiff eine vollständige Entölung des abzulassenden Abwassers nicht geleistet werden konnte. Das LG Bremen hat den Angeklagten u.a. unter Berufung auf die zur Tatzeit fehlende technische Möglichkeit, die vollständige Entölung zu erreichen, vom Vorwurf der Gewässerverunreinigung freigesprochen.

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Bisweilen werden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gewässerverunreinigung durch Unterlassen eingeleitet, wenn festgestellt wird, dass belastetes Sickerwasser aus einer Altlast[221] im Boden in das Grundwasser oder ein Oberflächengewässer einfließt. Das Ermittlungsverfahren richtet sich im Allgemeinen gegen den Eigentümer oder Besitzer desjenigen Grundstücks, in dem (unter dem) sich die Altlast befindet. Die Verfahren werden zumeist eingestellt, nicht nur, weil die Verursachung der Altlast (durch positives Tun) im Regelfall bereits länger als fünf Jahre zurückliegt und damit verjährt ist[222] (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Auch eine Unterlassenstäterschaft im Hinblick auf die fehlende Bereitschaft, den fortlaufenden Austrag von Sickerwasser in das Grundwasser zu sanieren, ist im Wesentlichen ungeklärt. Die Meinungen in der Literatur sind uneinheitlich.[223] Voraussetzung für eine strafrechtliche Inanspruchnahme des Eigentümers eines altlastbehafteten Grundstücks müsste in jedem Fall sein, dass der Täter eine Garantenstellung innehat.[224] Die Garantenstellung könnte sich, so wird es von einem Teil der Literatur gesehen, aus der allgemeinen Sachherrschaft des Eigentümers z.B. eines Grundstückes, unter dem die Altlast lagert, ergeben. Eine derartige Garantenstellung ist jedoch selbst in den (seltenen) Fällen umstritten, in denen der Eigentümer die Altlast eigenhändig im Erdreich abgelagert hat. In den (häufigeren) Fällen, in denen der Eigentümer des betreffenden Grundstücks (bisweilen: mehrfach) gewechselt und mit der in Jahrzehnten davor abgelagerten Altlast nichts zu schaffen hat, werden gegen dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit z.T. erhebliche Bedenken geltend gemacht, weil die Verantwortlichkeit allein im Hinblick auf die Sachherrschaft auf eine Strafbarkeit aufgrund eines bloßen Zustandes, nämlich der Eigentümerstellung, hinauslaufe. Auch im Verwaltungsrecht wird die „Zustandsverantwortlichkeit“ im Hinblick auf die (verwaltungsrechtliche) Altlastensanierung für unbillig angesehen, wenn der Eigentümer Opfer „wilder“ Ablagerungen geworden ist oder nichtsahnend ein kontaminiertes Grundstück gekauft hat.[225] Umso mehr muss dies für die strafrechtliche Verantwortlichkeit gelten.[226] Ausführliche Erläuterungen zum Thema Altlasten finden sich unten Rn. 138 ff.