Umweltstrafsachen

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4. Das Meer

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Während in den Geltungsbereich des Wasserwirtschaftsrechts nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 WHG lediglich die Küstengewässer einbezogen sind (definiert in § 3 Nr. 2 und 2a WHG auch unter Einschluss des Meeresgewässers[92]), umfasst der strafrechtliche Schutz neben den Küstengewässern auch die Hohe See, somit also das gesamte Meeresgewässer (§ 330d StGB).[93] Für den Bereich der Hohen See (d.h., aller Gewässer, die nicht Küstengewässer sind und auch nicht zur Ausschließlichen Wirtschaftszone – AWZ – gehören[94]) bestehen allerdings Einschränkungen bei der Strafverfolgung. Das Weltrechtsprinzip des § 6 StGB[95] ist entgegen des damaligen Regierungsentwurfs[96] auf die Küstengewässer fremder Staaten und die Hohe See nicht erstreckt worden, weil die Bundesrepublik Deutschland keine Straftaten verfolgen will, durch die deutsche Interessen nicht berührt werden.[97]

Die Küstengewässer fremder Staaten und die Hohe See sind deshalb zwar Schutzobjekt des § 324 StGB, fallen aber nur dann in den Anwendungsbereich des StGB, soweit nach dem StGB die Strafbarkeit für Auslandstaten nach den §§ 3 ff. StGB, die die Strafrechtsanwendung regeln, eröffnet ist.[98]

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Danach gilt Folgendes (was wegen der schwierigen und in vielerlei Hinsicht ungeklärten Rechtsfragen[99] stets der eingehenden rechtlichen Überprüfung bedarf): Nach dem „Flaggenprinzip“ des § 4 StGB findet das deutsche Strafrecht für Taten Anwendung, die auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugen, auch wenn diese sich im Ausland befinden, begangen wurden, und zwar unabhängig vom Recht des Tatortes.[100]

Dies ist nach § 5 Nr. 11 StGB auch der Fall bei im Ausland begangenen Straftaten nach den „§§ 324, 326, 330 und 330a StGB, die im Bereich der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone begangen werden, soweit völkerrechtliche Übereinkommen zum Schutze des Meeres ihre Verfolgung als Straftaten gestatten“. Diese Fassung des § 5 Nr. 11 StGB ist am 15.6.1995 in Kraft getreten. Sie dient der Umsetzung der internationalen Verpflichtungen (= völkerrechtliche Übereinkommen), die die Bundesrepublik Deutschland zur Verhütung der Meeresverschmutzung eingegangen ist (Seerechtsübereinkommen[101] und Ausführungsgesetz zum Seerechtsübereinkommen[102]), und geht zurück auf Art. 11 des Ausführungsgesetzes zum Seerechtsübereinkommen 1982/1994. § 5 Nr. 11 StGB a.F. bezog sich seinerzeit nur auf Taten im Bereich des deutschen Festlandssockels[103]. Art. 12 des Ausführungsgesetzes zum Seerechtsübereinkommen erweitert den Meeresgewässerschutz auf Gewässerstraftaten, die (nur[104]) von Schiffen aus in der Nord- und Ostsee ausgehen. Im Übrigen sind bezüglich der von Schiffen ausgehenden Meeresverschmutzungen die Art. 220, 228, 230 und 216 Ia SRÜ zu beachten.[105] So dürfen z.B. nach Art. 230 des Seerechtsübereinkommens bei Meeresverschmutzungen durch ausländische Schiffe außerhalb der nationalen Küstengewässer lediglich Geldstrafen und innerhalb dieser Gewässer nur sehr eingeschränkt Freiheitsstrafen verhängt werden.[106] Ob Seeplattformen generell wie Schiffe zu behandeln sind, ist umstritten.[107] Generell kann gesagt werden, dass für die Strafrechtsanwendungsregeln des § 5 Nr. 11 StGB nicht zuletzt auch in Ansehung der dann auch noch zu beachtenden Verwaltungsakzessorietät wenig Raum bleibt.[108]

Für Deutsche ist neben alledem erforderlich, dass die Tat gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Zu der Alternative „am Tatort mit Strafe bedroht“ sind – soweit die RL 2009/123/EG umgesetzt wurde – jedenfalls die Küstengewässer aller Unionsstaaten umfasst. Für alle anderen Staaten bedarf es der Prüfung im Einzelfall. Zu dem Tatort, der keiner Strafgewalt unterliegt, zählt die Hohe See, weshalb dort ebenfalls (gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB) alle Taten von Deutschen mit Strafe bedroht sind. Im Inland betroffene Ausländer können hingegen nur im Fall des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB bestraft werden, d.h., wenn sie nicht ausgeliefert werden können, etwa weil ihnen im anderen Staat eine unmenschliche Behandlung droht.[109]

IV. Verunreinigung und nachteilige Veränderung

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Den objektiven Tatbestand des § 324 StGB erfüllt, wer ursächlich ist für den Erfolg, dass die Eigenschaften eines Gewässers nachteilig verändert sind.[110] Damit ist § 324 StGB ein Erfolgsdelikt[111], das allein auf die Verursachung (Kausalität) der Verunreinigung oder nachteiligen Veränderung abstellt, ohne die hierzu führenden Handlungen zu umschreiben. Daraus kann entnommen werden, dass die Art und Weise, wie der Taterfolg herbeigeführt wird, gleichgültig ist.[112] Die Verunreinigung stellt einen Unterfall der nachteiligen Veränderung dar.[113] Sie ist im Gegensatz zur nachteiligen Veränderung am äußerlichen Erscheinungsbild des Gewässers erkennbar. Eine Abgrenzung zwischen diesen beiden Formen des tatbestandsmäßigen Erfolgs muss in der Praxis nicht vorgenommen werden, da die Rechtsfolgen identisch sind.

Der Lauf der Verjährung beginnt mit dem Eintritt des Erfolgs der Gewässerverunreinigung (§ 78a StGB). Im Regelfall wird dieser Zeitpunkt mit dem Abschluss der aktiven Handlung oder des Unterlassens zusammenfallen. Wenn der Schadstoff allerdings zunächst im Boden versickert und erst dann ins Grundwasser gelangt, richtet sich die Verjährung nach dem Zeitpunkt, in dem das Grundwasser tangiert ist.[114] Auf weitere Folgen (z.B. die Ausdehnung der Verunreinigung auf weitere Gewässerteile) kommt es demgegenüber nicht an.[115] Die Verjährungsfrist beträgt bei vorsätzlicher Tatbegehung fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB), bei Fahrlässigkeit drei Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB).

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Eine nachteilige Veränderung i.S.d. § 324 StGB ist jede Verschlechterung der natürlichen Gewässereigenschaften im physikalischen, chemischen oder biologischen Sinn.[116] Sie liegt immer dann vor, wenn sich die Gewässereigenschaften gemessen an dem vorhandenen Wasserzustand („status quo“) verschlechtert haben, was bedeutet, dass auch das bereits verschmutzte Wasser verunreinigt werden kann.[117] Auch eine nur vorübergehende oder nur einen Teil des Gewässers betreffende Beeinträchtigung kann den Tatbestand erfüllen.[118]

Die nachteilige Veränderung darf allerdings nicht völlig belanglos sein. Obgleich in § 324 StGB dieser Wesentlichkeitsgesichtspunkt im Gegensatz zu § 326 StGB[119] nicht ausdrücklich geregelt ist, wird ihm dennoch auch im Rahmen dieser Bestimmung Rechnung getragen.[120] Zu den „Minima“ des § 324 StGB, d.h. den geringfügigen oder unerheblichen Veränderungen, die offensichtlich den Tatbestand nicht erfüllen, zählen insbesondere die rein ästhetischen Beeinträchtigungen (Einfärbungen des Gewässers)[121], die starke Verschmutzung eines nur geringfügigen Teils des Gewässers[122], scharfkantige Gegenstände, die im Flussbett versenkt werden und die Schifffahrt oder Badende gefährden, jedoch die Wasserqualität nicht beeinträchtigen[123] oder eine geringfügige Trübung des Wassers durch Sand oder Lehm.[124] Die Zerstörung von Biberdämmen, die ein Gewässer dauerhaft geprägt haben, soll dagegen erheblich sein,[125] ebenso wie das Errichten eines Bootsstegs die Eigenschaften eines Gewässers nachteilig beeinflussen können soll.[126] Nicht jede nach § 8 Abs. 1 WHG erlaubnispflichtige Benutzung eines Gewässers stellt eine nachteilige Veränderung dar. So kann zwar die Nutzung eines Modellbootes auf einem Baggersee im Einzelfall erlaubnispflichtig sein.[127] Dennoch stellt die Nutzung ohne eine solche Erlaubnis keine „nachteilige“ Veränderung eines Gewässers dar. Damit das Merkmal „nachteilig“ erfüllt ist, muss jedenfalls ein Schaden, nicht bloß eine Gefährdung am Schutzgut Gewässer eintreten.[128]

Führt erst die Kumulation von mehreren unwesentlichen Einzeleinleitungen zu einer Verunreinigung, wird durch den Einzelbeitrag im Allgemeinen der Tatbestand nicht erfüllt.[129] Näheres hierzu unten Rn. 40 und 41.

Die gänzliche Beseitigung eines Gewässers fällt nicht unter § 324 StGB, da dieser Fall in § 329 Abs. 3 Nr. 3 StGB allein für die schutzwürdigen Gebiete geregelt ist.[130]

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Davon unabhängig kann die Feststellung, dass eine (zwar ersichtliche) Veränderung der Gewässereigenschaften i.S.d. § 324 StGB (jedoch) nicht wesentlich ist, sich aus Umständen des konkreten Einzelfalls ergeben, wie z.B. der Größe und Tiefe des Gewässers, der Geschwindigkeit des fließenden Wassers und der Menge und Gefährlichkeit des verunreinigenden Stoffes[131] (vgl. hierzu auch Muster 6, Rn. 549). Dieselbe Menge an Schadstoffen, die einen Teich verunreinigt, muss keine nachteilige Veränderung des Meeres hervorrufen.[132] Das Einleiten von 40 Litern Putzwasser bei einer Schifffahrt über 120 Kilometer im Rhein ist ebenfalls (noch) nicht tatbestandsrelevant.[133] Eine Verunreinigung oder nachteilige Veränderung liegt auch dann nicht vor, wenn sich das Gewässer durch die Einleitung bestimmter Stoffe positiv verändert (z.B. ein säurehaltiges Gewässer durch eine basische Einleitung neutralisiert wird).[134]

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Über die Fälle der nicht unerheblichen nachteiligen Veränderung oder Verunreinigung eines Gewässers existiert eine umfassende Kasuistik, auf die hier im Wesentlichen verwiesen werden kann.[135] Diese reicht vom Einleiten von Leitungswasser in ein Gewässer, was infolge der dadurch bewirkten Sauerstoffverringerung zu einem Fischsterben führt[136], über die Entnahme von Wasser aus dem Oberlauf mit der Folge der höheren Schadstoffkonzentration im Unterlauf[137], der Beschleunigung oder Hemmung des Wasserabflusses (z.B. durch Hindernisse)[138] bis hin zur Einleitung von erwärmtem (Kühl-)Wasser aus einem Kraftwerk[139] und dem Absenken des Wasserspiegels[140], um nur einige Beispiele zu nennen.[141] Auch das Einleiten von Abwasser, das den strafrechtlichen Abfallbegriff[142] erfüllt, fällt unter den Tatbestand des § 324 StGB, wenn es zu einer Verunreinigung des Gewässers gekommen ist.[143] § 326 StGB tritt als abstraktes Gefährdungsdelikt hinter das Erfolgsdelikt § 324 StGB zurück.[144] Wird durch die Einleitung keine nachteilige Veränderung i.S.d. § 324 StGB verursacht oder ist diese auch nur nicht feststellbar, kann § 326 StGB wieder aufleben, weil es für die umweltgefährdende Abfallbeseitigung ausreicht, dass der (hier: flüssige) Abfall lediglich „geeignet“ ist, das Gewässer zu verunreinigen.[145]

 

Als Gewässernutzung ist in § 9 Abs. 2 Nr. 3 WHG auch das sog. Fracking vorgesehen. Darunter wird nach dem Wortlaut der Bestimmung das „Aufbrechen von Gesteinen unter hydraulischem Druck zur Aufsuchung oder Gewinnung von Erdgas, Erdöl oder Erdwärme, einschließlich der zugehörigen Tiefbohrungen“ verstanden. Die Technologie besteht im Niederbringen von Bohrungen in tiefe Gesteinsschichten und dem Einpressen von Chemikalien, um damit Gas, Erdöl oder Erdwärme an die Oberfläche zu transportieren.[146] Ob hiervon überhaupt die Gewässergüte tangiert wird, wird vom Einzelfall und davon abhängen, ob das Grundwasser durch die Tiefenbohrungen und die eingesetzten Chemikalien tangiert ist. Die Schwierigkeiten, in großer Tiefe das Aufkommen von Grundwasser sowie etwaige Belastungen zweifelsfrei festzustellen, liegen auf der Hand. Wegen des im Regelfall aber generell fehlenden Bezugs zum Wasserhaushalt ist die Verfassungskonformität der Regelung im WHG umstritten.[147]

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Die abstrakte Möglichkeit, dass ein bestimmter Stoff eine Gewässerverunreinigung hervorrufen kann (oder dies in einem anderen Fall getan hat), reicht zur Tatbestandserfüllung des § 324 StGB nicht aus, da es sich um ein Erfolgsdelikt handelt.[148] Erforderlich ist vielmehr stets die Feststellung des Unrechtserfolgs, d.h. der konkret eingetretenen nachteiligen Veränderung des Gewässerzustands, die nicht nur unwesentlich sein darf.

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Die (entgegengesetzte) Auffassung, die es für den (prozessualen) Nachweis einer nachteiligen Veränderung i.S.d. § 324 StGB allein genügen lässt, dass der eingeleitete Stoff nach naturwissenschaftlichen Kriterien abstrakt geeignet ist, den Zustand (irgend-)eines Gewässers zu verschlechtern,[149] verfälscht das Erfolgsdelikt des § 324 StGB in ein Gefährdungsdelikt.[150] Wenn Salzsäure als ein unzweifelhaft abstrakt gefährlicher chemischer Stoff in einer bestimmten Konzentration in ein alkalisch belastetes Gewässer eingeleitet wird, kann sich hierdurch der Gewässerzustand neutralisieren und verbessern. Dass in einem solchen Fall der Unrechtserfolg des § 324 StGB nicht eintritt, bliebe unberücksichtigt, wenn man generell nur auf den Stoff selbst und nicht daneben auch auf die äußeren Bedingungen (Einleitekonzentration, Gesamtwassermenge, Vorbelastung) abstellte.[151] Die abstrakte Gefährlichkeit eines chemischen Stoffes ist demnach ebenso wie die äußerlich erkennbare Unsauberkeit eines Gewässers lediglich ein Indiz für die nachteilige Veränderung bzw. Verunreinigung i.S.d. § 324 StGB.

Deutlich wird dieser Unterschied zwischen abstrakter Gefährdungseignung und Erfolgsdelikt an der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main aus dem Jahr 1996[152]: Infolge eines fehlerhaften Kanalanschlusses wurden von zwei Wohnhäusern einer Gemeinde mehr als zehn Jahre lang unentdeckt Toilettenabwässer in einen Weiher eingeleitet. Nachdem die Fehleinleitungen bemerkt worden waren, erließ die Gemeinde verwaltungsrechtliche Anordnungen, die die beiden Hauseigentümer verpflichteten, die Fehlanschlüsse auf ihren Grundstücken auf eigene Kosten zu beseitigen. Dies geschah auch. Die Staatsanwaltschaft warf dem Ersten Stadtrat der Gemeinde eine unbefugte Gewässerverunreinigung (§ 324 StGB) vor, weil dieser nach Entdeckung der Fehlanschlüsse nicht (verwaltungsrechtliche) Zwangsmaßnahmen gegen die Hauseigentümer veranlasst habe; denn diese hätten nach Meinung der Staatsanwaltschaft dazu geführt, dass die Fehlanschlüsse in dem einen Fall um viereinhalb, in dem anderen um acht Monate früher behoben worden wären. Nach einem Freispruch in der ersten Instanz hat das Landgericht in der Berufung den Ersten Stadtrat wegen der von diesem zu verantwortenden Verzögerungen nach § 324 StGB durch Unterlassen verurteilt. Die Gewässerverunreinigung hat es – ohne Zuziehung eines Sachverständigen – mit der Begründung festgestellt, dass in den viereinhalb bzw. acht Monaten der angenommenen Verzögerung „mit bloßem Auge“ ersichtlich gewesen sei, dass „Inhalte des Toilettenspülwassers und der Ausgüsse in den Weiher“ gelangt waren. Das OLG Frankfurt hat als Revisionsgericht das Urteil aufgehoben. Es hat beanstandet, dass das Landgericht allein aus der Tatsache, dass es sich um Toilettenabwässer gehandelt habe, ohne Weiteres den Taterfolg i.S.d. § 324 StGB angenommen hatte. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass die nachteilige Veränderung eines Gewässers an dem Unterschied zu messen ist, den die Tathandlung im Verhältnis zum „status quo“ des Gewässers herbeigeführt hat. Die Frage der Abweichung vom „status quo“ war nach seiner Auffassung im entschiedenen Fall vor der Situation zu sehen, dass außerhalb des Tatzeitraums bereits mehr als zehn Jahre davor Toilettenabwässer in den Weiher eingeleitet worden waren. Dass sich demgegenüber („status quo“) die relativ kurzfristige Einleitung während des Tatzeitraums nachhaltig verunreinigend ausgewirkt hat (Taterfolg!), hätte nach der Meinung des Oberlandesgerichts nur von einem Sachverständigen festgestellt werden können. Den Hinweis des Landgerichts auf eine allgemeine („ersichtliche“) Schädlichkeit von Toilettenabwässern hat der Senat als nicht ausreichend angesehen. Zu dem weiteren Aufhebungsgrund, dass die Kammer bei ihrer Berechnung des „Tatzeitraums“ rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt hat, dass einer Verwaltungsbehörde bei der Entscheidung über die Anwendung von Verwaltungszwang ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, mit der Folge, dass diese Entscheidung dann nur (höchst) eingeschränkt – auch strafrechtlich – überprüfbar ist, vgl. unten Rn. 68 ff.

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Ist es zu einer Überschreitung behördlich festgesetzter Grenzwerte gekommen, kann dies eine nachteilige Veränderung des Gewässers nahelegen, bewiesen ist sie allein dadurch nicht.[153] Grenzwerte basieren auf einzelnen Messergebnissen aus einem Gewässer. Es handelt sich dabei immer nur um eine einzelne Stichprobe, die nur jeweils für die genommene Messprobe(nmenge) repräsentativ ist. Das Gewässer als solches kann damit – zumal, wenn es sich um ein fließendes Medium handelt – im Regelfall nicht beurteilt werden. Der Nachweis einer tatbestandsmäßigen Gewässerverunreinigung kann deshalb nur mittels weiterer sachverständigen Untersuchungen geführt werden.[154] Die davon unabhängig zu beurteilende Frage, ob die Überschreitung von verwaltungsrechtlich festgesetzten Grenzwerten eine Einleitung „unbefugt“ i.S.d. § 324 StGB macht, bleibt der Rechtswidrigkeitsprüfung vorbehalten.[155]

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Das Tatbestandsmerkmal der nachteiligen Veränderung ist demnach im Allgemeinen wie folgt auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen:[156]


Negativsaldo: Der Vergleich zwischen dem Gewässerzustand vor und nach der Einleitung.
Hat sich der „status quo“ des Gewässers nicht verändert, fehlt es an dem Unrechtserfolg des § 324 StGB. Der Tatbestand entfällt.

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Über die Schwierigkeit eines konkreten Nachweises, z.B. einer Veränderung der Gewässereigenschaften oder der Wesentlichkeit einer Gewässerverschlechterung, war man sich bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu § 324 StGB a.F. im Klaren. Insbesondere bestand Einigkeit darüber, dass der Strafjurist damit überfordert sein würde, sichere Feststellungen über die naturwissenschaftlichen Vorfragen zu treffen. Die Gesetzgebungskommission gelangte deshalb zu dem Schluss, dass es weitgehend den Sachverständigen vorbehalten bleiben müsse, zu klären, ob eine erfolgte Veränderung im Einzelfall (schon) nachteilig ist oder (noch) nicht.[158] Die Praxis hat dieser Einschätzung Recht gegeben. Die Umweltstrafverfahren werden überwiegend auf der Basis von Sachverständigengutachten geführt und nicht selten auch hierdurch entschieden.[159]

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Sind bereits durch die Strafverfolgungsbehörden Sachverständige in ein Ermittlungsverfahren eingeschaltet, ist es zunächst die Aufgabe der Verteidigung zu prüfen, ob die Gutachten differenziert zu den oben dargestellten Fragestellungen (Schlüssigkeitsprüfung) zum Tatbestandsmerkmal der nachteiligen Veränderung Antwort geben. Soll etwa die Gewässerverunreinigung dadurch bewirkt worden sein, dass der Beschuldigte Regenwasser, in dem sich Algen gebildet haben, in ein Gewässer einleitete (so der Fall in Mustertext 6, Rn. 549) und lässt das Gutachten nicht erkennen, dass sich der Sachverständige mit der Wesentlichkeitsproblematik auseinandergesetzt hat, ist auf eine Nachbesserung hinzuwirken. Gegebenenfalls ist der Verteidiger in einem solchen Fall aufgerufen, im Wege der eigenen Ermittlungen einen i.S.d. § 244 Abs. 3 StPO „weiteren“ Sachverständigen zu finden und dessen Einschaltung (ggf. durch Selbstladung[160]) zu veranlassen. Dasselbe gilt selbstverständlich auch dann, wenn die Strafverfolgungsbehörden in einem tatbestandsmäßig zweifelhaften Fall glauben, ohne Sachverständigen auskommen zu können (vgl. hierzu Mustertext 16[161]).