Umweltstrafsachen

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Einleitung

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Als „Umweltstrafverfahren“ werden die Strafsachen bezeichnet, in denen sich das vorgeworfene Delikt gegen eines jener Rechtsgüter richtet, die unter den Sammelbegriff „Umwelt“ oder „Umweltschutz“ fallen. Dabei ist der Sprachgebrauch nicht ganz einheitlich. Teilweise werden auch Verfahren um Vermögensdelikte in einem weiteren Sinne als Umweltstrafverfahren bezeichnet, wenn das Tatgeschehen sich vor dem Hintergrund von umweltrelevanten Problemen (z.B. Abfallentsorgung oder Altlastensanierung) zumeist im betrieblichen Umfeld abgespielt haben soll. Auch Verstöße gegen nebenstrafrechtliche Bestimmungen, die einen nur mittelbaren Bezug zu den Umweltmedien haben, z.B. das Lebensmittel- oder das Arzneimittelgesetz können in den Medien ebenso wie die Fälle der strafrechtlichen Produkthaftung als Umweltstrafverfahren bezeichnet werden. Eine schärfere Konturierung erfährt der Begriff der Umweltstrafverfahren durch die Zuständigkeitszuteilung zu den „Umweltstrafkammern“, die bei einigen Landgerichten eingerichtet werden und deren Kompetenz durch eine Verweisung auf Nr. 268 im II. Abschnitt B. 11 der RiStBV („Umwelt und Tierschutz“) bestimmt wird.

In diesem Buch soll der Begriff des Umweltstrafverfahrens noch enger gefasst und beschränkt werden auf die Strafsachen, in denen dem oder den Beschuldigten der Vorwurf gemacht wird, gegen Bestimmungen des 29. Abschnitts des Strafgesetzbuches (§§ 324 bis 330d StGB) verstoßen zu haben.

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Da für die Umweltstrafverfahren die StPO ebenso gilt wie für Verfahren, in denen ein Straftatbestand der übrigen Abschnitte des Strafgesetzbuches vorgeworfen wird, sollte man eigentlich annehmen, dass sich auch die Tätigkeit des Verteidigers in diesen Verfahren nicht unterscheidet von der Aufgabe in Prozessen um das „klassische Strafrecht“. Und doch gibt es Besonderheiten, die ihre Ursache im verwaltungsakzessorischen Deliktsaufbau der umweltstrafrechtlichen Tatbestände, in einem abweichenden Verfolgungsverhalten der Ermittlungsbehörden, in der regelmäßig vorhandenen Einbindung von Umweltverwaltungsbehörden und ihrer Amtsträger entweder auf der Verfolger- oder auf der Verfolgtenseite und schließlich in strukturellen Besonderheiten der typischen „Klientel“ finden.

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Als der Gesetzgeber im Jahre 1980 die §§ 324–330 StGB in weitgehend wörtlicher Übernahme aus dem ursprünglichen verwaltungsrechtlichen Kontext (Wasserhaushaltsgesetz, Bundesimmissionsschutzgesetz, Abfallgesetz, Atomgesetz) herauslöste und sie mit dem Ziel ihrer Aufwertung als scheinbar selbständige Strafbestimmungen in das Kernstrafrecht übernahm, wurden daran hohe rechtspolitische Erwartungen hinsichtlich der ökologischen Wirksamkeit eines strafrechtlichen Umweltschutzes geknüpft. Inzwischen ist man sich weitgehend darin einig, dass diese Erwartungen nicht erfüllt wurden, dass vielmehr das Umweltstrafrecht bezogen auf seine eigentliche Zielsetzung wirkungslos blieb und dass die damit befasste Strafjustiz auch nach nunmehr 40 Jahren immer noch damit beschäftigt ist, die sehr wenig bestimmten und wegen der zahlreichen Bezugnahmen auf (auch EU-)verwaltungsrechtliche Vorfragen nur schwer handhabbaren Tatbestände in ihrem kaskadenartigen Blankettcharakter zu ordnen und auszulegen. Die zahlreichen Novellierungen der §§ 324 ff. StGB (u.a. durch das 2. UKG, das 6. StrRG, das 45. StrÄndG, das Gesetz zur Änderung abfallverbringungsrechtlicher Vorschriften) haben diese Problematik nicht gelöst, sondern eher noch verschärft.

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Zu den verfahrensrechtlichen Besonderheiten gehört die Neigung der Strafverfolgungsbehörden, Ermittlungsverfahren aufgrund von Tatsachen einzuleiten, die zwar ökologisch fragwürdig, aber rechtlich erst noch klärungsbedürftig sind. Während in sonstigen Strafverfahren regelmäßig das Vorliegen einer Tat bereits zu Beginn der Ermittlungen feststeht, die sich dann auf die Suche nach dem Täter konzentrieren können, sind Umweltstrafverfahren häufig selbst dann, wenn es zur Anklageerhebung kommt, bis zu ihrem Ende von der Rechtsfrage beherrscht, ob das aufzuklärende Verhalten unabhängig davon, wer in einer oft auch nicht einfach zu durchschauenden Unternehmenshierarchie letztlich verantwortlich ist, überhaupt einen Straftatbestand erfüllt. In diesen Verfahren erscheint es besonders problematisch, dass sie gewöhnlich mit strafprozessualen Zwangsmaßnahmen und teilweise schweren Grundrechtseingriffen beginnen, die nach der Konzeption der Strafprozessordnung eigentlich eine vorherige Schlüssigkeitsprüfung im Sinne einer abgeschlossenen Prüfung der materiell-rechtlichen Rechtsfragen voraussetzen.

Auf diese Weise beginnt das Verteidigungsmandat in Umweltstrafsachen noch häufiger als sonst typischerweise während oder unmittelbar nach einer Durchsuchung (zumeist von betrieblichen Büro- und Fabrikationsgebäuden), die auch aus der Sicht der Staatsanwaltschaft am Beginn des Ermittlungsverfahrens steht.

Das hat für die Verteidigung zunächst einmal eine positive Auswirkung: Sie kann in Umweltstrafsachen meist ab einem erfreulich frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens an stattfinden. Das bedeutet, dass die Fehler, die der rechtlich unbedarfte Beschuldigte im sonstigen Strafverfahren in dieser Phase des Verfahrens zum Beispiel durch ein ungeschicktes Aussageverhalten begeht, hier oft vermieden werden können. Dies gilt umso mehr, als die Strafjustiz es durchweg für zulässig hält, Ermittlungs-, und zwar auch Zwangsmaßnahmen gegen ein Unternehmen zu richten, ohne auch nur eine einzige natürliche Person als Verdächtigen zu bezeichnen und in den Status des Beschuldigten zu versetzen. Das Rubrum auf dem Aktendeckel lautet dann meist: „gegen die Verantwortlichen des Unternehmens …“. Das gibt Gelegenheit für die internen oder externen unternehmensberatenden Juristen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die als Beschuldigte in Betracht kommen, auf Strafrecht spezialisierte Anwälte zu vermitteln, damit ihnen von der ersten Minute an die Wahrung ihrer Verteidigerrechte ermöglicht wird. Dabei sollte auf eine saubere Trennung zwischen dem zivilrechtlichen Auftragsverhältnis des potenziellen Verteidigers mit dem Unternehmen einerseits und dem für die Interessenwahrungspflicht allein ausschlaggebenden Mandatsverhältnis zu einem bestimmten (oder noch zu bestimmenden) Mitarbeiter andererseits geachtet werden, um Loyalitätskonflikte zu vermeiden.

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Eine einheitliche Typologie der Klientel des Strafverteidigers in Umweltstrafsachen gibt es ebenso wenig wie in sonstigen Strafsachen. Der von vornherein schuldige skrupellos und vorsätzlich handelnde „Umweltsünder“ kommt eher selten vor. In den allermeisten Verfahren verfolgt die Staatsanwaltschaft nicht nur sozial integrierte, sondern bis dahin angesehene Bürger in ihrer Eigenschaft als Angestellte und Inhaber eines Unternehmens, dessen Produkte mehr oder weniger nützlich für deren Kunden und Verbraucher sind. Auffällig ist bei diesen Mandanten, dass sie in ihrer allgemeinen Lebensanschauung eher zu einer konservativen und damit auch positiven Einstellung gegenüber der Funktion des Strafrechts neigen, wobei ihnen freilich auch das herkömmliche Bild des Kriminellen vor Augen steht, der es verdient hat, dass sich die Strafjustiz mit ihnen befasst. So erklärt sich die beinah ausnahmslos zu beobachtende starke persönliche Betroffenheit, die diese Mandanten schon infolge der bloßen Verdächtigung trifft. Kommt dann auch noch ein „robustes“ Vorgehen der Ermittlungsbeamten bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen (z.B. Durchsuchungen) hinzu und damit das Erlebnis, „wie ein Krimineller behandelt zu werden“, sind empörte Reaktionen verständlich. Sie werden dann wiederum nicht selten von der Staatsanwaltschaft als Selbstgerechtigkeit, Uneinsichtigkeit oder Arroganz auslegt. Bei anderen Mandanten entsteht das Bedürfnis, die Ermittlungsbeamten auf dem schnellsten Wege darüber aufzuklären, weshalb alles nur ein Irrtum sein müsse und „wie es wirklich war“. Bei der einen wie bei der anderen Reaktion kann die Kommunikation zwischen den Organen der Rechtspflege irreparablen Schaden nehmen, der zum Nachteil der Mandanten das weitere Verfahren atmosphärisch prägt. Hier öffnen sich wichtige Aufgaben für den Strafverteidiger, bei deren Wahrnehmung er auch zu konfliktreichen Diskussionen mit dem Mandanten über dessen Interessen bereit sein muss, weil insbesondere auch die materielle Rechtslage von vielen Beschuldigten bei Umweltstrafsachen falsch eingeschätzt wird und sie deshalb die Auswirkungen ihres beabsichtigten Vorbringens schwer übersehen.

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Ein wichtiges Instrument zur Versachlichung von weitgehend durch Rechtsfragen geprägte Umweltverfahren ist die möglichst frühe (aber nicht vor vollständiger Akteneinsicht) Einreichung einer Verteidigungsschrift. Damit kann je nach Fallgestaltung durchaus effektiv die Chance gewahrt werden, der Staatsanwaltschaft die Rechtsprobleme aufzuzeigen und auf diese Weise entweder die Einstellung des Verfahrens schon aus Rechtsgründen oder seine Konzentration auf die wirklich wesentlichen Fragen der Sachverhaltsermittlung zu erreichen. Ein für das Unternehmen durch dessen anwaltlichem Vertreter eingereichter „Basisschriftsatz“, der allen (auch nur potenziellen) Beschuldigten zugutekommt, darf und sollte mit der Individualverteidigern abgestimmt sein. Die Vorzüge und das Ziel einer solchen Unternehmensstellungnahme können darin bestehen, dass sich weitere Ermittlungen erübrigen.

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Die nachfolgende Erläuterung beginnt mit einer (auch) auf die Bedürfnisse der Strafverteidigung zugeschnittenen Darstellung der in der Praxis relevanten und aktuellen Auslegungsprobleme der §§ 324 bis 330d StGB (1. Teil A.-M.). Die Abbildung aller Fassungen der Vorschriften am Anfang eines jeden Kapitels dient der Orientierung in dem einem beständigen Wandel unterliegenden Rechtsgebiet. Es zeigt die gesetzliche Entwicklung, die es zum Verständnis der jeweiligen Vorschriften braucht, aber auch die Bemühungen des Gesetzgebers, (nach wie vor) bestehende Dissonanzen, die die Anbindung der beiden grundverschiedenen Rechtsgebiete Verwaltungsrecht und Umweltstrafrecht mit sich bringt, zu beseitigen. Nicht zuletzt mit diesem Verständnis eröffnen sich Chancen für eine effektive Verteidigung sowohl in der Darlegung der allzu oft anzuzweifelnden Bestimmtheit der Vorschriften wie auch ihrer sachgerechten Auslegung unter Beachtung des verwaltungsrechtlichen Kontexts. Den immer noch verhältnismäßig wenigen (ober)gerichtlichen Entscheidung steht eine gerade in den letzten Jahren gewachsene Zahl bedeutsamer Fachpublikationen und eine umfangreiche Kommentarliteratur gegenüber. Im Hinblick auf die hier bezweckte praxisbezogene Darstellung wird vielfach auf die dortigen Nachweise zur vertiefenden Recherche Bezug genommen.

 

An die materiell-rechtlichen Vorschriften des StGB schließen sich ausgewählte Fragen des Ordnungswidrigkeitenrechts an (§§ 130 und 30 OWiG, 1. Teil N.-O.). Es folgt eine Darstellung und Analyse der bislang wichtigsten gerichtlichen Entscheidungen auf dem Gebiet des Produktstrafrechts (1. Teil P.) und sodann von prozessualen Besonderheiten (2. Teil A.-C.).

Die sodann im Anhang wiedergegebenen Mustertexte sind nicht zur blinden Übernahme im Einzelfall gedacht, sondern als Anregung und Ermutigung, mit Hilfe schriftlicher Stellungnahmen dem Mandanten die Hauptverhandlung zu ersparen oder sie sinnvoll zu strukturieren. Auch diese Texte befassen sich noch einmal an praktischen Beispielen mit aktuellen Rechtsfragen und sollen auch exemplarisch die Möglichkeiten des Vorgehens in den verschiedenen Verfahrensstadien zeigen. Die meisten der Texte sind realen Fällen nachgebildet und haben den Verfahrensausgang dort positiv beeinflusst.

Ich hoffe, mit diesem Buch auch dazu beitragen zu können, dass die Kolleginnen und Kollegen, soweit sie auf dem Spezialgebiet der Umweltstrafsachen verteidigend tätig sind, sich durch die rechtsstaatlichen Grundsätze kompetent und effektiv leiten lassen.

Für die wertvolle Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts danke ich meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Benedict Detemple ganz herzlich. Den Kollegen meiner Kanzlei HammPartner danke ich für die zahlreichen Anregungen und die Geduld, mit der sie die Arbeit an der 3. Auflage der Umweltstrafsachen begleitet haben. Und nicht zuletzt gilt mein ganz besonderer Dank den Kanzleimitarbeiterinnen im Sekretariat, Susanne Berneis und Melanie Kilinc, für ihren engagierten Einsatz bei der Endgestaltung des Manuskripts.

Teil 1 §§ 324 ff. StGB, §§ 130, 30 OWiG und Produktstrafrecht
Vorbemerkungen zu den §§ 324 ff. StGB und ihren Novellierungen

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Das Umweltstrafrecht steht seit seiner Aufnahme in das StGB durch das 18. StrÄndG (1.UKG)[1] im Jahr 1980, durch das die wichtigsten in einer Vielzahl von Verwaltungsgesetzen befindlichen nebenstrafrechtlichen Bestimmungen zusammengefasst und abgelöst wurden, in der Kritik. Es ist davon die Rede, dass die Umsetzung des Umweltstrafrechts in der Praxis weitgehend scheitert.[2] Bis in die heutige Zeit gilt das Umweltstrafrecht als ineffektiv, als „stumpfes Schwert“ gegen die Gefahren, die der Umwelt als dem elementaren Lebensraum der Menschen, Tieren und Pflanzen durch die seine Medien bedrohende oder auch schädigende Kriminalität drohen.

Als symptomatisch für die Schwächen des Umweltstrafrechts werden insbesondere die im Vergleich zur übrigen Kriminalität hohen Einstellungsquoten und eine geringe Zahl von Schuldsprüchen und die vergleichsweise niedrigen Strafen angesehen. Als die Ursache dieser „Missstände“ dürfen die vielfältigen Auslegungs- und Anwendungsprobleme gelten, die aus der notwendigen Abhängigkeit der umweltstrafrechtlichen Bestimmungen von verwaltungsrechtlichen Vorfragen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungen folgen. Ohne diese Verwaltungsakzessorietät wären rechtsstaatlich und verfassungskonform bestimmte Straftatbestände nicht formulierbar, weil jedes durch Rechtsverletzungen bedrohte Umweltmedium (Gewässer, Boden, Atmosphäre und neuerdings auch Klima) nur im Zusammenhang mit den Nutzungsbegrenzungen durch Verwaltungsgesetze, Verordnungen und Verwaltungsakten der Aufsichtsbehörden einigermaßen klare Konturen als schützenswerte Güter erhält. Die vielfältigen Güterabwägungen zur Bestimmung des jeweiligen Vorrangs von Interessen der Wirtschaftsunternehmen und der Ökologie, aber auch den Belangen des Naturschutzes (z.B. Gefahren, die von den Windkraftanlagen ausgehen gegen ihre ökologisch nachhaltigen Vorteile des Verzichts auf fossile Energiegewinnung mit hohem CO2-Ausstoß) müssen von politischen Grundentscheidungen und dem Planungs- und Genehmigungsrecht im Einzelfall getroffen werden, lange bevor die Strafjustiz sich auf die Suche nach individuellen Tätern für abstrakte oder auch konkrete Gefährdungen begibt. Der durch die Einführung des 29. StGB-Abschnitts (damals 28. Abschnitt) entstandene große („räumliche“) Abstand zwischen dem jeweiligen verwaltungsrechtlich Kontext und den Straftatbeständen verleitet nun häufig dazu, den Zusammenhang aus dem Blickfeld zu verlieren und nach „autonom“ strafrechtlichen Definitionen der verwaltungsrechtlichen Begrifflichkeiten zu suchen.[3] Die damit geschaffene Verwirrung und Unbestimmtheit wird noch dadurch vergrößert, dass keineswegs alle in den Umweltverwaltungs- und anderen Gesetzen enthaltene Straftatbestände zum Schutz (jedenfalls auch) der Umwelt aus dem Nebenstrafrecht in das StGB verlagert wurden. So drohen z.B. nach wie vor die §§ 71 BNatSchG; 40, 42 SprengG; 69 PflSchG; 27 ChemG auch außerhalb des StGB u.U. empfindliche Sanktionen an.[4]

Der Gesetzgeber hatte sich im Jahre 1994 nicht zuletzt aufgrund der geäußerten Kritik veranlasst gesehen, die Umweltstraftatbestände durch das 2. UKG[5] grundlegend zu überarbeiten. Weitere Änderungen erfolgten 1998 durch das 6. StrRG[6] und dann nochmals umfänglich 2011 durch das 45. StrÄndG[7]. Diese und spätere[8] Novellen haben aber an der Verwaltungsakzessorietät zu Recht nichts, aber an dem Grundübel des losen und vielfach unbestimmten Zusammenhangs zwischen den als Blankette ausgestalteten Straftatbeständen und den jeweiligen Bezugsnormen auch nichts geändert.

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Die Abhängigkeit des Umweltstrafrechts von der Klärung verwaltungsrechtlicher Vorfragen hat seinen positiven Sinn und Zweck darin, zu verhindern, dass das Strafrecht ein Tun oder Unterlassen mit Strafe bedroht, das nach geltendem Verwaltungsrecht als erlaubt gilt. Erteilt beispielsweise die Wasserbehörde einem Chemieunternehmen die Erlaubnis zur Einleitung eines verschmutzten Abwassers in ein Gewässer, kann dies ein Staatsanwalt nicht schon deshalb zum Anlass nehmen, gegen die Verantwortlichen des Chemieunternehmens ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Gewässerverunreinigung nach § 324 StGB einzuleiten, weil er nach eigener Wertung dies im Interesse des generellen Umweltschutzes missbilligt. Oberste Leitlinie muss dabei das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung sein, das nur gewahrt werden kann, wenn der Vorrang der verwaltungsrechtlichen Normen und Entscheidungen der Fachbehörden auch für die Strafjustiz verbindlich die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem markiert. Der Staat kann nicht auf der einen Seite seinen Bürgern etwas erlauben, und sie auf der anderen Seite dafür bestrafen, wenn sie von der Erlaubnis Gebrauch machen.

Die Problematik des Umweltstrafrechts ist vielschichtiger. Sie ist begründet in einem Zielkonflikt, den die beiden unterschiedlichen Rechtsgebiete Strafrecht und Verwaltungsrecht auf dem Boden des Umweltstrafrechts, und damit letztendlich in der Praxis der Strafverfahren, miteinander austragen. Das Strafrecht regelt traditionell die Ahndung vergangenen Unrechts. Es greift klassischerweise als „ultima ratio“ erst nach (und aufgrund) geschehener Verletzungen von Rechtsgütern (Leib, Leben, Gesundheit) ein. Dadurch erfährt es seine Bestimmtheit. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, für welchen Schaden, den sie an einem gesetzlich geschützten Rechtsgut anrichten, sie mit welcher Strafe rechnen müssen. Das ist der eigentliche Sinn und Zweck des Art. 103 Abs. 2 GG. Das Verwaltungsrecht demgegenüber ist ein Instrument der staatlichen Daseinsvorsorge, insbesondere zum Schutz vor künftigen und zwar auch nur potenziellen Gefahren. Das Verwaltungsrecht kann nicht warten, bis der Schaden eingetreten ist oder eine konkrete Gefährdung individuell Verantwortlichen zugerechnet werden kann. Es muss zu unser aller Schutz mit flexiblen Regularien weit im Vorfeld eines Schadens oder auch nur einer Gefährdung eingreifen.

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Die Entscheidung des Gesetzgebers im Jahre 1980, das Umweltstrafrecht und das Verwaltungsrecht im Strafgesetzbuch miteinander zu verknüpfen, hat dazu geführt, dass das Umweltstrafrecht nicht wie das übrige Strafrecht traditionell an die Verletzung oder konkreten Gefährdung der „klassischen“ Rechtsgüter, wie z.B. Leben, Gesundheit, Eigentum, Vermögen anknüpft. Auch ist der Sammelbegriff „Umwelt“ nicht geeignet, als eigenständiges Rechtsgut und Angriffsobjekt für deliktisches Handeln strafbewehrt geschützt zu werden. Dagegen kann das Verwaltungsrecht durchaus auch regulierend und steuernd zukunftsgerichtet präventive Vorsorge von den Mitgliedern der Gesellschaft verlangen. Soweit also die Strafbarkeit der Tatbestände der §§ 324 ff. StGB bereits weit im Vorfeld von tatsächlich eingetretenen Schäden – an Kriterien anknüpft, die sich nur möglicherweise schädlich auswirken, sind von der Strafjustiz bei der Beantwortung der verwaltungsrechtlichen Vorfragen und Auslegung der dort verwendeten Begriffe die größtmögliche Bestimmtheit anzustreben. So ist beispielsweise für die unbefugte Abfallablagerung nach § 326 StGB zwar nicht Voraussetzung, dass hierdurch bei einem Menschen unmittelbar ein Gesundheitsschaden verursacht wird, weil es im Vorfeld eines solchen konkreten Schadenseintritts durchaus auch für das Strafrecht ausreicht, dass gegen Anordnungen der Verwaltungsbehörde verstoßen wird, die der Verhinderung möglicher Gefahrenlagen für die Umweltmedien dienen. Andererseits darf durch die Nachverfolgung der Verweisungskette bis hin zu diffusen Kriterien für bloße Möglichkeiten von Gefährdungen und Gefahrenlagen der Tatbestand nicht völlig seine Kontur und Bestimmbarkeit verlieren.[9]

Durch diese Verknüpfung der beiden unterschiedlichen Rechtsgebiete mit ihren unterschiedlichen und teils auch gegensätzlichen Bestimmtheitsanforderungen und Zweckrichtungen entstehen zwangsläufig Zielkonflikte, innerhalb derer das Umweltstrafrecht in der praktischen Arbeit der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verteidigung nur noch um den Preis einer stetig pragmatischen Kompromissfindung handhabbar sein kann. Das beginnt schon damit, dass man es – im Gegensatz zu den meisten traditionellen Straftatbeständen (z.B. Mord, Totschlag, Körperverletzung, Diebstahl) – einem umweltrelevanten Verhalten nicht ohne weiteres „ansieht“, ob es nach den §§ 324 ff. StGB strafbar ist oder nicht. Eine schmutzige Abwassereinleitung in einen Wiesenbach oder einen größeren Fluss kann behördlicherseits ebenso gewollt (genehmigt) sein wie eine übelriechende Düngung eines Ackers. In unserer Industriegesellschaft ist die Dosierung und qualitative und quantitative Minimierung von Verunreinigung der Umwelt (in der Sprache des Verwaltungsrechts: Bewirtschaftung) erlaubter Alltag.

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Das führt zu dem von umweltpolitischen Aktivisten als unbefriedigend empfundenen Zustand, dass auch wegen erlaubter Umweltbeeinträchtigung zwar zunächst einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, um die verwaltungsrechtlichen Vorfragen zu klären, um dann nach aufwändigen Ermittlungen mit, u.U. einschneidenden Grundrechtseingriffen mit Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungen, das Verfahren wieder einzustellen. Dies ist eine der Ursachen dafür, dass verhältnismäßig viele Umweltstrafverfahren bereits im Ermittlungsverfahren wieder beendet werden.[10] Solche Verfahren hätten strenggenommen nämlich gar nicht erst eingeleitet werden dürfen, weil der dafür notwendige Anfangsverdacht nicht allein aus der Rechtsunkenntnis von Ermittlungsbeamten abgeleitet werden darf.

 

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Die weitere Konsequenz aus der Verbindung zwischen Straf- und Verwaltungsrecht ist die augenfällige Häufung von Gefährdungsdelikten unter den Umweltstraftatbeständen. Wenn es bei der Strafbarkeit nicht mehr auf den tatsächlichen Schaden ankommt, sondern nur (noch) auf das Verursachen abstrakter (oder im Falle der sog. Eignungsdelikte sogar nur potenzieller) Gefährdung im Vorfeld eines tatsächlichen Schadens, ist dies geradezu eine Einladung zur bloßen Ausforschungsermittlung. Ein typisches Beispiel für einen demgemäß vorgelagerten Strafrechtsschutz stellt § 327 StGB (unerlaubtes Betreiben von Anlagen) dar. Die Pönalisierung beruht hier auf der Unterstellung, dass allein schon die fehlende Beteiligung einer Behörde eine potenziell schadensverursachende Anlage gefährlicher macht als die mit einer obrigkeitlichen Genehmigung versehene u.U. in gleicher Bauart errichtete Anlage. Und dies soll auch dann gelten, wenn sie alle Merkmale einer Genehmigungsfähigkeit aufweist. Gewiss können die im Zuge des mitunter sehr aufwändigen und fachlich qualifizierten Prüfverfahrens durch die Verwaltungsbehörde bis zur Erteilung der Genehmigung Gefahrenherde beseitigt werden. Dies muss aber nicht so sein. Wenn der einzige Mangel der Anlage darin besteht, dass ihr gleichsam der behördliche „Stempel“ fehlt, ist der Eintritt eines Schadens oder einer konkreten Gefahr höchst unwahrscheinlich. Gewiss muss Derartiges der Staat nicht dulden. Aber es handelt sich ordnungsrechtlich doch eher um das Feld des formalen Ungehorsams und somit des Ordnungswidrigkeitenrechts und nicht des Strafrechts.[11]

Derartige Gefährdungstatbestände haben zur Folge, dass dem Beschuldigten oder Angeklagten die Möglichkeit genommen ist, sich wirksam damit zu verteidigen, dass sein Verhalten tatsächlich zu keinem Schaden hätte führen können. Für den Gesetzgeber liegt in dieser Form der Beweiserleichterung der Reiz derartiger Tatbestandskonstruktionen. Für den Beschuldigten und seine Verteidigung wird das Umweltstrafrecht an diesen Stellen zur rechtsstaatlich bedenklichen Behinderung von Verteidigungsrechten.

Das Problem der (meisten) abstrakten Gefährdungstatbestände ist dennoch, dass im Gesetzgebungsverfahren damit eigentlich ein verfahrensrechtlicher Zweck verfolgt wird: nämlich die Beweiserleichterung zu dem nicht mehr zum Tatbestand gehörenden Schaden oder auch nur einer konkret feststellbaren Gefährdung für die „Reinheit“ von Luft, Wasser und Boden. Da aber keines dieser Umweltmedien über einen klar definierten Sauberkeitsstandard verfügt und immer nur im Zusammenhang mit seiner jeweiligen ökologischen Umgebung, Nutzung und Bewirtschaftung Annäherungswerte für Idealzustände aufweisen kann, kann auch jeweils eine „nachteilige Veränderung“, z.B. durch das Einbringen von „Schad- oder sonstigen Fremdstoffen“ auch in einfach gelagerten Fallkonstellationen nicht mehr allein im Wege der rechtlichen Subsumtion, sondern nur mit Hilfe von naturwissenschaftlichen Sachverständigen ergründet werden. Auf diesem Wege hat man in der Vorstellung, man könne die Beweisführung erleichtern, das Gegenteil erreicht: man hat sie mit der Abhängigkeit von naturwissenschaftlichen Vorfragen und damit von Gutachten von Sachverständigen erkauft. Dieser Umstand verlängert nach aller Erfahrung Verfahren nicht unwesentlich und trägt damit auch dazu bei, dass das Umweltstrafrecht nach wie vor als hochkomplexe und praktisch schwer zu handhabende Rechtsmaterie gilt.

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Diese Probleme haben sich auch durch die nach der 2. Auflage dieses Buches novellierten Umweltstraftatbestände des 29. Abschnitts[12] des StGB nicht gelöst, sondern eher verschärft.

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Maßgeblich geprägt wurden die Novellierungen der vergangenen Jahre durch die Umsetzung von europäischen Richtlinien, namentlich der Richtlinie 2008/99/EG[13], durch deren Umsetzung im 45. StrÄndG[14] fast alle Bestimmungen des 29. Abschnitts (§§ 325, 326, 327, 328, 329, 330, 330c, 330d StGB) betroffen waren. Nicht immer waren die Änderungen zielführend. § 326 Abs. 2 StGB, der die grenzüberschreitende Abfallverbringung regelt, musste wegen Mängeln in der Verweisungskette alsbald reformiert werden[15] und § 327 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB (Unerlaubtes Betreiben einer Rohleitungsanlage) ist wegen nicht zu bestimmender verwaltungsrechtlicher Anknüpfungsnormen so gut wie nicht anwendbar[16] – um jetzt hier nur die augenfälligsten Phänomene zu erwähnen.

Neben der Änderung bzw. der Ergänzung bei einzelnen Tatbestandsmerkmalen mit teilweise kaum noch entwirrbaren Ketten von Bezugnahmen auf europäische Richtlinien (z.B. § 329 Abs. 4 StGB) ist auch durch die Europäisierung des Umweltverwaltungsrechts eine (interpretatorische) Erweiterung des Anwendungsbereichs des Umweltstrafrechts eingetreten. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Legaldefinitionen des § 330d StGB. Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit einer ganzen Reihe von Umweltstraftatbeständen ist die „Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“. Was darunter zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber versucht, mit Hilfe der Begriffsbestimmung in § 330d Abs. 1 Nr. 4 StGB zu klären. § 330d Abs. 1 Nr. 4 StGB besagt prinzipiell aber nichts anderes, als dass sich verwaltungsrechtliche Pflichten neben dem „Verwaltungsakt“ und der „vollziehbaren Auflage“ auch aus einer „Rechtsvorschrift“, einer „gerichtlichen Entscheidung“ oder einem „öffentlich-rechtlichen Vertrag“ ergeben können. Ob ein Verhalten strafbar ist, lässt sich damit weder durch einen Blick in das Strafgesetzbuch noch u.U. in den konkret erteilten Verwaltungsakt feststellen. Die Bürger müssen die einschlägigen verwaltungsgerichtlichen Gesetzeswerke und Rechtsverordnungen sowie alle sich darauf gründenden Regelungen und sogar die dazu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen kennen und unter die Umweltstraftatbestände selbst „subsummieren“. Dies wird schon dadurch erschwert, dass die Verwaltungsgesetze und die Rechtsverordnungen und erst recht die Judikate durchaus unterschiedliche Adressaten haben können. Das Kreislaufwirtschafts-, das Wasserhaushalts-, das Bundesimmissionsschutzgesetz oder das Atomgesetz – nebst jeweils den entsprechenden Verordnungen – sind Rechtsvorschriften, die originär an die Verwaltungsbehörden gerichtet sind. Sie sollen die Behörden in die Lage versetzen, dem Bürger in Form von konkreten Einzelfallentscheidungen das im konkreten Fall gebotene Handeln aufzuzeigen und aufzugeben. Die vom Gesetzgeber in § 330d StGB bewusst gewählte Form der sehr weitgehenden Rahmenregelungen[17] bei dem Merkmal der „verwaltungsrechtlichen Pflicht“ ist auch deshalb bedenklich, weil sie eine eindeutige Grenzziehung zwischen den Pflichten, die den staatlichen Behörden obliegen und denen, die dem Bürger aufgegeben sind, nicht erlaubt. Dies lässt Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit aller derjenigen Vorschriften aufkommen, die auf die Definition des § 330d Abs. 1 Nr. 4 StGB angewiesen sind.

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Hinzukommt das im Grunde eher gegenläufige Phänomen, dass zunehmend die Rechtsprechung bemüht ist, für das Strafrecht eigene, die Verwaltungsakzessorietät letztlich umgehende Grundsätze aufzustellen. Auch dies dürfte mit der zunehmenden Komplexität des europäisierten Umweltverwaltungsrechts zusammenhängen. Die Erfindung des „flüssigen Abfalls“ bei § 326 StGB,[18] der in dieser Form dem deutschen Abfallrecht fremd ist oder auch jüngst die Entscheidung des BGH[19], wonach die Strafvorschrift des § 326 Abs. 1 StGB „nicht an die abfallrechtliche Klassifizierung als gefährlicher Abfall nach der Abfallverzeichnisverordnung anknüpft, sondern die an die tauglichen Tatobjekte zu stellenden tatbestandlichen Anforderungen selbst bestimmt“, weist in diese Richtung. Die hierin liegende „Verselbständigung“ des Strafrechts in Form der (weiteren) Loslösung vom Verwaltungsrecht geht auf Kosten der Rechtssicherheit und der Einheit der Rechtsordnung.[20] Die Verteidigung sollte sich nicht zuletzt aufgerufen sehen, die Vorschriften des 29. Abschnitts in geeigneten Fällen dem BVerfG zur Prüfung mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG vorzulegen.