Die Brücke zur Sonne

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Seit sie die Ranch verlassen hatten, schwieg Amy hartnäckig. Sie hatte sich trotzig auf dem Sitz neben ihrem Vater zusammengekauert und die Unterlippe nach vorn geschoben – ein sicheres Zeichen, dass sie beim geringsten Anlass ihrem Unmut Luft machen würde.

Irgendwann hielt Ben das angespannte Schweigen nicht länger aus. „Erzähl mir doch mal, wie es heute in der Schule gewesen ist“, schlug er vor und lächelte seine Tochter aufmunternd an.

„Das fragst du sonst nur, wenn Klausuren anstehen“, erwiderte Amy patzig und richtete sich auf. „Da vorn ist eine geeignete Stelle zum Wenden!“

„Wir werden nicht umdrehen.“

„Ich habe immer geglaubt, du könntest mich verstehen! Aber jetzt – nach allem, was passiert ist, auch noch das!“ Düster und vorwurfsvoll starrte Amy ihren Vater an.

„Wieso bist du in dieser Angelegenheit nur so stur?“, wollte Ben wissen und trieb die Pferde mit leisem Schnalzen an.

„Das, was ich bisher von Miss Patty van Haren kennengelernt habe, genügt mir vollkommen!“, erwiderte Amy mit Nachdruck. „Ich will sie niemals wiedersehen, außer, es lässt sich nicht vermeiden – wie in der Schule! Aber das habe ich dir ja schon alles erklärt!“

Kopfschüttelnd nahm Ben die Zügel in eine Hand, während die beiden Hellbraunen ruhig voran trabten. „Du hast doch gesagt, ihre Schwester sei ganz in Ordnung?“

„Jean? Ja, ich glaube, mit der könnte man auskommen.“

„Dann gib Patty doch auch noch eine Chance!“

„Patty ist eine verrückte Halbwilde, die sich einbildet, die geborene Prinzessin dieser Erdkugel zu sein!“

„Na, na!“ Beschwichtigend hob Ben die Hand. „Kannst du nicht verstehen, was in ihr vorgehen muss?“ Er machte eine kurze Pause, ehe er betont eindringlich fortfuhr: „Sie wird gegen ihren Willen, wie ich vermute, aus allem herausgerissen: Aus ihrem Zuhause, ihrer Schule, ihrem Freundeskreis…und kurzerhand hierher umgesiedelt, ob sie das wollte oder nicht! Wahrscheinlich ist ihr Verhalten nur eine Art Schutzmaßnahme. Sie fühlt sich bei uns unwohl und fremd, vielleicht auch allein gelassen – und das nicht nur von ihren Eltern. Sie hat hier ja niemanden!“

„Du kannst leicht reden! Du hast sie ja nicht erlebt!“, widersprach Amy verbissen. „Sie ist ganz einfach oberflächlich und bösartig!“

Ben seufzte. Es würde keine leichte Aufgabe werden.

Lustlos und mit halbgeschlossenen Lidern lag Patty auf dem dunkelroten Ledersofa und starrte in den Fernsehapparat, der in der Ecke des Raums auf einem Schränkchen stand. Wenigstens an diese Anschaffung hatte ihr Vater gedacht. Die Qualität der laufenden Bilder ließ allerdings sehr zu wünschen übrig – die Antenne auf dem Hausdach empfing die Signale auf solch weite Entfernung zur Sendeanstalt nur mit flimmernden Unterbrechungen. Irgendeine Nachrichtensendung lief soeben und der Sprecher erzählte von den Ergebnissen der letzten Baseballspiele. In der Küche wusch ihre Schwester gerade klappernd das Geschirr, wobei sie ein Lied völlig falsch und sehr laut trällerte.

„Du störst meine Fernsehsendung!“, schrie Patty nach einer Weile. „Wenn du schon singen musst, dann mach’s wenigstens draußen in dieser Pampas, wo dich niemand hört!“

Sie hatte noch eine angebrochene Tüte Kartoffelchips vom Vorabend gefunden, über die sie sich hermachte. Immer eine ganze Hand voll schob sie sich davon in den Mund. Sie schmeckten nicht einmal besonders, aber immerhin stellte das Essen eine Beschäftigung dar. Ach, nun folgte die bekannte Wettervorhersage und was kam danach? Irgendeine Serie, wenn sie sich recht erinnerte, doch die Stimme des Sprechers wurde durch lautes Pochen an der Haustür unterbrochen. Erschrocken ließ Patty die Tüte zu Boden fallen und verschluckte sich gleichzeitig an den Krümeln in ihrem Mund. Hustend und schimpfend kroch sie vom Sofa und wischte ihre fettigen Finger an dem einzigen Gegenstand ab, der gerade greifbar war: Ihrer teuren, schwarzen Satinhose. Erneut wurde von außen heftig geklopft, diesmal ungeduldiger.

„Ja, ja!“, rief Patty genervt. Eigentlich wollte sie niemanden sehen, denn sie und Jean waren wieder einmal alleine und sie verspürte wenig Lust auf Gesellschaft. Dennoch riss sie die Tür auf. Vor ihr stand, höflich lächelnd und den grauen Cowboyhut in der Hand, Ben Arkin und eine lange Minute starrte Patty ihn fassungslos an. Völlig verworrene, unzusammenhängende Gedanken durchzuckten sie und intuitiv legte sie den Kopf schief. Sie erwartete eine Zurechtweisung und mächtig Ärger wegen des vergangenen Nachmittags.

„Hallo Patricia!“, begrüßte der Rancher sie übertrieben fröhlich und nickte ihr zu. „Weil heute so herrliches Wetter ist, dachten Amy und ich, wir zeigen dir und deiner Schwester heute gemeinsam ein wenig unsere Ranch!“

Patty starrte ihn an, als wäre er nicht ganz bei Trost. Ihre Augen glitten hinüber zu dem zwei Jahre älteren Mädchen, das noch immer auf dem Kutschbock verharrte und den Blick stur auf das quietschende Windrad gerichtet hielt.

„Ich glaube, ich habe von Ihrer holden Ranch mehr als genug gesehen, vielen Dank“, erwiderte Patty mit einem Blick, als spräche sie zu einem geistig Verwirrten. Ausgerechnet in dieser Sekunde erschien ihre große Schwester hinter ihr und Patty hätte sie am liebsten dafür erwürgt. Sie rollte die Augen.

„Wer ist es denn? Oh, Mr. Arkin!“ Erfreut lächelnd lief Jean von der Küchentür herüber und schüttelte ihm die Hand. „Das ist ja schön. Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

„Nein, nein“, versicherte Ben. „Ich bin mit Amy gekommen, um euren gestrigen Ausflug fortzusetzen.“

„Wirklich?“ Jean warf einen langen Blick zu der Rancherstochter hinüber, die noch immer, wie eine Statue, auf der Kutsche verweilte und konnte nicht verhindern, dass ihr Herz einen freudigen Sprung machte. „Dann können Sie mir ja vielleicht ein paar Rinder zeigen!“

„Natürlich!“ Ben lächelte. „Wir haben ja eine Menge davon!“

„Danke“, mischte Patty sich wieder ein, mehr als nur abgeneigt. „Mein Bedarf an Kühen ist gedeckt! Außerdem…“ Sie trat schutzsuchend einen Schritt zurück. „Unsere Eltern müssten bald zurückkommen. Sie sind nur kurz nach Summersdale etwas Essbares besorgen. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen.“

„Das dürfte das kleinste Hindernis sein“, entgegnete Ben Arkin unnachgiebig. „Schreib’ ihnen einen kurzen Zettel!“ Nachdenklich glitt sein Blick über Pattys Kleidung hinweg. „Es könnte ein wenig staubig werden…“

„Ich schreibe schnell einen!“, rief Jean und lief zurück ins Haus, um nach Papier und Stift zu suchen. Der Blick ihrer Schwester, der ihr folgte, hätte sie auf der Stelle tot umfallen lassen müssen.

„Scheinbar muss ich meine Planungen für heute Nachmittag nun doch über den Haufen werfen“, stieß Patty hervor, ohne ihre Lustlosigkeit und den Ärger darüber zu verbergen. Wirklich geplant hatte sie ja im Grunde genommen nichts – außer vor dem Fernseher zu liegen, aber eine weitere Fahrt in die Prärie war das Letzte, was sie brauchte! Weshalb konnte ihre Schwester sich nicht einfach aus allem heraushalten? Nur ihretwegen sah sie sich jetzt gezwungen, schon wieder auf dieses schauklige Gefährt zu steigen!

„Los, hast du nicht gehört?“, stupste Jean sie im selben Moment auch schon an. „Zieh dich um, wir warten auf dich!“

Sie lief hinaus zur Kutsche, um Amy zu begrüßen. Patty schnitt eine Grimasse und verschwand für ein paar Minuten in ihrem Zimmer, um danach in einer marinefarbenen Baumwollhose und einem schicken, cremefarbenen Pullover zurückzukommen.

Inzwischen hatte Amy sich mit Jean auf die hintere Sitzbank verdrückt und Patty durfte nach vorn, neben Ben auf den Kutschbock steigen. Ungeschickt hangelte sie sich hinauf und setzte sich, ohne sich anzulehnen, kerzengerade auf den Rand der Bank.

„Na, worauf warten wir noch? Bringen wir’s hinter uns!“, stieß sie ungeduldig hervor, als der Rancher nicht sofort losfuhr. Er betrachtete sie einen Moment gedankenverloren, ehe er mit der Zunge schnalzte und die Zügel auf die Kruppen der beiden Pferde fallen ließ. In langsamem Trab rollten sie in die Prärie hinaus.

„Ihr habt sicherlich noch nie eine Rinderherde in freier Wildbahn gesehen“, brach Ben nach einer knappen Viertelstunde das beharrliche Schweigen seiner Begleiterinnen.

„Bei uns gibt es nur normale Kühe“, lautete die bissige Erwiderung des vierzehnjährigen Mädchens neben ihm. „Und die stehen in Ställen…soviel ich weiß.“

„Nein, haben wir noch nie!“ Jean beeilte sich, eine höfliche Bemerkung dazwischenzurufen. Sie wollte auf keinen Fall, dass Ben Arkin den Eindruck bekam, sie wäre ebenso arrogant und unleidig wie ihre kleine Schwester. Sie interessierte sich tatsächlich für das Leben hier draußen. Es war so ganz anders als alles, was sie bislang gesehen hatte. Alles hier roch nach Freiheit und Abenteuer und nach einem genau gegensätzlichen Leben zu dem, was sie seit ihrer Geburt erfahren hatte. Hier galten andere Werte, da zählte nicht das Geld auf dem Konto, die teuren Kleider oder das Auto in der Garage, um angesehener Bürger zu sein.

„Wir fahren jetzt hinaus auf die Ostweide“, fuhr Ben seine Erläuterungen fort. „Die Tiere sind auf mehrere, kleinere Gruppen verteilt, damit das Weideland optimal genutzt werden kann. Außerdem ist es leichter, den Touristen dann etwas zu erklären und zu zeigen. Viele wollen ja unbedingt mithelfen und bei einer einzigen großen Herde ist das recht schwierig. Die, zu der wir jetzt dann gleich kommen werden, umfasst etwas dreihundert Mutterkühe mit ihren Kälbern. Jetzt im Frühjahr gibt es immer jede Menge zu tun, vor allem, bevor in Silvertown die Touristensaison am ersten Mai beginnt. Bis dahin müssen alle wichtigen Arbeiten erledigt sein, denn vor Oktober kommt man dann zu keinen großartigen Aktionen mehr. Touristen sind manchmal ganz schön anstrengend!“

 

Spöttisch verzog Patty das Gesicht und verschränkte die Arme. „Gott sei Dank ist mir dieser der Teil der Menschheit bisher erspart geblieben!“

Ben Arkin fiel keine passende Erwiderung ein. Mit einem fragenden Blick drehte er sich zu seiner Tochter um, die ihm ein triumphierendes, schadenfrohes Lächeln zuwarf.

Jean dagegen ließ ihren Blick über die braune Ebene schweifen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich im Moment befanden. Weit hinter ihnen lag der Wald und vor ihnen schien nichts weiter zu kommen, als eine von sanften Hügeln und einzelnen Sträuchern zersetzte Grasebene, die erst am Fuß einer Gebirgskette endete. Von der Kuppe des nächsten Hügels aus hatten sie einen weiten Blick über das dahinterliegende, langgestreckte grüne Tal, in dem – noch weit entfernt und nur als winzige Punkte erkennbar – die Rinderherde graste.

Der Ranchbesitzer versuchte, Patty auf andere Weise ein kleines Gespräch zu entlocken: „Welche Hobbys hast du denn bei dir Zuhause betrieben?“

„Hobbys?“, wiederholte das junge Mädchen verständnislos und zitierte ganz von selbst ihre Mutter: „Die Zeit eines Menschen besteht nicht darin, sie mit sinnlosen Beschäftigungen totzuschlagen. Vielmehr ist es von großer Bedeutung, wenn man schon etwas unternehmen möchte, sich immer im Rahmen seiner gesellschaftlichen Stellung zu bewegen.“

Ben starrte sie mit seinem typisch ernsten Gesicht ungläubig an, ehe er kurz den Kopf schütteln musste. „Es bleibt jedem selbst überlassen, womit er seine Lebenszeit verbringt. Für die einen sind Modeschauen, Bälle oder andauernde Partybesuche eben Zeitverschwendung und für die anderen nicht.“

„Schön“, erwiderte Patty schnippisch. „Dann hätten wir das ja endlich geklärt!“

Sie erreichten die Herde einige Minuten später und näherten sich bis auf wenige hundert Meter. Dort qualmte, neben einem abgestorbenen, halbvermoderten Baumstumpf, ein kleines Feuer und zwei Männer liefen in der Nähe umher.

„Hoo!“ Ben hielt die beiden Hellbraunen an und zog die Handbremse an.

Schmollend, ihm nicht mit ihren Ausführungen imponiert zu haben, lehnte Patty gleichgültig über der Armlehne. Einige Männer ritten mit ihren Pferden um die Herde herum und passten auf, dass die Tiere nicht nach einer Seite ausbrachen, während andere die jungen Kälber mit dem Lasso herausfingen.

„Jetzt im Frühjahr müssen wir alle neugeborenen Rinder brennen“, fuhr Ben mit seinen Erklärungen fort, noch immer geduldig und kletterte vom Kutschbock. „Wir haben hier in der Gegend kaum Stacheldraht und meine beiden Nachbarn und ich werden auch nicht mehr als irgendnötig aufstellen. Wir sortieren im Herbst lieber die Rinder, die uns nicht gehören, wieder heraus. Schon aus Sicherheitsgründen für die Tiere und bisweilen auch für ungeschickte Touristen. Aber deshalb ist es wichtig, dass jedes Tier seinen Brand trägt. Nachdem um diese Jahreszeit jeden Tag neue Kälber geboren werden, ist das immer ziemlich viel Arbeit für die Männer!“ Amy und Jean waren bereits von der Kutsche gesprungen. Energisch gab Ben Arkin seinem jüngsten Gast einen Wink. „Rinder brennen ist eine der wichtigsten Arbeiten eines Cowboys!“ Er lächelte stolz. „Aber dafür habe ich auch weit und breit die besten, die man sich als Rancher wünschen kann.“

„Dafür werden Sie von Ihnen ja wohl auch bezahlt, nicht wahr?! Ich habe trotzdem nicht vor, einer zu werden!“, fuhr Patty ihn ungehalten an, rutschte aber doch mit vorsichtigen Verrenkungen vom Wagen, da sie auf keinen Fall alleine zurückbleiben wollte. Es konnte ja passieren, dass die Pferde am Schluss noch mit ihr durchgingen! Eine düstere Miene machend vergrub sie ihre Hände in den Hosentaschen und folgte Ben in einigem Abstand.

Amy und Jean waren ihnen bereits vorausgelaufen und standen nun bei den Männern. Der eine war Trey Stockley und der andere der Vormann.

„Na, kleiner Teufel?“, neckte der rotblonde junge Mann die Rancherstochter und kniff ihr spielerisch mit zwei Fingern in die Wange.

„Du bist schon wieder ganz schön frech!“, wehrte das Mädchen ab und schlug mit der flachen Hand nach ihm.

„Tss…eine Laune ist das heute!“ Er wandte sich an Jean. „Na, mal zuschauen, was wir so treiben den ganzen Tag?“

„Ich habe so etwas noch nie gesehen!“ Jean strahlte und hüpfte wie ein kleines Kind vor Aufregung auf der Stelle. „Das ist alles so spannend hier!“

„Deine Schwester scheint da anderer Meinung“, erwiderte Amy mit einem Seitenblick auf Patty, die langsam mit Ben zu ihnen herübergeschlurft kam.

„Ich weiß.“ Jean seufzte. Warum musste Patty ihr nun schon wieder den Nachmittag verderben? „Sie war schon immer etwas kompliziert.“

„Hey!“, mischte sich Dan in dieser Sekunde streng ein und verpasste Trey einen Schlag auf den Rücken. „Sobald du den Rindviechern beigebracht hast, sich selber zu brennen, kannst du von mir aus deine Mittagspause verlängern!“ Er deutete mit dem Daumen hinter sich.

In diesem Moment kam Chris McKinley auf seinem weißen Wallach mit den kaum sichtbaren, hellen Flecken angetrabt. Er schleifte ein, sich mit allen Kräften zur Wehr setzendes, bockendes Kalb am Lasso hinter sich her.

„Diese Viecher machen mich noch wahnsinnig!“, rief er. „Das ist jetzt erst das zweite! Heute sind sie sowas von stur und widersetzlich!“

„Wenn du weniger danebenwerfen würdest, ginge es auch schneller!“, kommentierte Trey, frech grinsend.

Chris bedachte ihn mit einem vielsagenden, säuerlichen Blick, während er aus dem Sattel sprang und dem Vormann dabei half, das Kalb zu Boden zu ringen. Mit beiden Knien drückte Dan es auf die Erde.

„Jetzt pass auf!“, sagte Ben zu Patty, die drei Schritte neben ihm stand, als Trey sich nun nach dem im Lagerfeuer liegenden, glühenden Brandeisen bückte. Befremdet beobachtete sie, wie er prüfte, ob es heiß genug war.

„Na, sieh einer an!“, entfuhr es Chris in dieser Sekunde und er lachte leise auf. „Unserem Gast wird doch nicht etwa schwindlig werden?“

Tatsächlich hatte Pattys Gesicht eine merkwürdig blasse Farbe angenommen. Kichernd wandte sich Trey zu ihr um. „Rinderbrennen ist wahrscheinlich nichts für zarte, englische Gemüter!“

„Red’ nicht so viel, brenn’ lieber endlich das Kalb, bevor es sich die Sache anders überlegt!“, fuhr Dan ihn unwirsch an, konnte sich ein Schmunzeln über Pattys böse Blicke aber nicht verkneifen.

Trey seufzte und wandte sich abrupt wieder in die andere Richtung, das heiße Eisen noch immer in der Hand.

„Aaaah!“ Mit einem gellenden Schrei sprang der Vormann auf die Beine. „Doch nicht mich! Das Kalb, du Idiot!“, brüllte er, sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Hintern reibend. Muhend und bockend, mit einer gewandten Bewegung das Lasso von seinem Hals streifend, sprang das braun-gefleckte Kalb auf und raste zur Herde zurück.

„Nun ist es weg“, meinte Amy bedauernd und blickte zu Chris hinüber. Schuldbewusst lächelnd zuckte Trey die Schultern. „Das kann passieren!“

„Na, prima!“ Ärgerlich schlug Chris sich mit der Hand den Oberschenkel. „Und wer darf es jetzt wieder einfangen? Ich natürlich!“

„Ganz ruhig!“ Beschwichtigend hob der Vormann die Arme. „Noch tut mir der Hintern weh! Und jetzt steig’ wieder auf deinen Gaul und hol’ dieses Mistvieh zurück!“

Zornig brauste Chris auf: „Was kann denn ich dafür wenn dieser zweitklassige Handlanger noch immer nicht weiß, wie man Kühe brennt?“

„Das verbitte ich mir!“, protestierte Trey verschnupft. „Immerhin bist du schon länger hier und ich befinde mich noch in der Lernphase!“

Mit vor den Mund gepresster Hand stand Amy neben ihrem Vater und schaffte es nur mit Mühe, das Lachen zu unterdrücken. Kopfschüttelnd schloss Ben für einen Moment die Augen.

„Kindsköpfe“, knurrte er, seine Mundwinkel zuckten jedoch verräterisch.

Jean hatte die Szene belustigt beobachtet. Sie lächelte vor sich hin, ohne eine Bemerkung dazu zu machen. Ihre stille, zurückhaltende Art hinderte sie daran, einen Scherz darüber zu machen, dass das Kalb nun entwischt und dem Vormann ein Loch in die Hose gebrannt war. Sie fühlte sich noch fremd und neu und wollte nicht gleich einen schlechten Eindruck hinterlassen. Außerdem war da wieder dieser Chris McKinley, von dem sie kaum die Augen abwenden konnte.

„Welch außergewöhnliche Cowboys Sie haben, Mr. Arkin!“, hörte sie in diesem Augenblick ihre Schwester sticheln. Ihr Tonfall verriet den innerlichen Triumph, den sie empfand. Patty hatte den Satz absichtlich laut ausgesprochen und prompt wirbelte Trey ärgerlich herum.

„Hör zu!“, blaffte er das junge Mädchen ungehalten an. „Vielleicht bin ich kein so gescheites, gebildetes Köpfchen wie du, ja, von mir aus! Aber daherkommen, noch nie eine Kuh gesehen haben und mir dann schlaue Ratschläge erteilen wollen…“ Drohend schwang er das Brandeisen neben sich in der Luft. „Wenn du willst, darfst du gleich als nachweislich zugehöriges Rind der Arkin Ranch deinen Artgenossen da drüben Gesellschaft leisten! Ich kenne da zufällig jemanden, der mir liebend gerne dabei zur Hand gehen wird!“

„Trey!“, ermahnte sein Arbeitgeber ihn halbherzig.

Empört stapfte Patty mit dem Fuß auf den Boden, ähnlich einem trotzigen, kleinen Kind. „Ich will auf der Stelle zurück! Hier herrschen Sitten und ein Benehmen, wie bei den schlimmsten, primitivsten Urvölkern!“ Sie warf dem jungen Cowboy einen hasserfüllten Blick zu. „Jetzt ist mir endgültig klar geworden, dass bestimmte Berufsgruppen nicht ganz zurechnungsfähig sind!“

„Jetzt hör’ doch endlich auf, dich wie ein Idiot zu benehmen!“ Jeans Geduld mit ihrer kleinen Schwester war nun ebenfalls zu Ende. „Mr. Arkin war so freundlich, uns mit hierher zu nehmen. Mit Kühen kann eben mal etwas schiefgehen, das sind Tiere! Wieso musst du dich einmischen?!“

„Ich sehe, du fühlst dich hier bereits heimisch. Das freut mich für dich. Dann hast du ja auch endlich passenden Anschluss gefunden. Du wirst aber auch entschuldigen, wenn ich nichts in dieser Richtung vorhabe!“

Außer sich über eine derartige Unverschämtheit, lief Patty zur Kutsche zurück. Es war endgültig genug! Nicht eine Sekunde blieb sie länger hier und setzte sich irgendwelchen ungeahnten Gefahren aus! Wer wusste, wozu diese Kerle tatsächlich fähig wären?!

Mit einem vorwurfsvollen Blick auf Trey vergrub der Ranchbesitzer seine Hände in den Hosentaschen. Resignierend verzog er das Gesicht und rang sich dazu durch, Pattys Wunsch nachzugeben.

„Hä?“, machte Dan und begriff nicht ganz, während er den Brandschaden an seiner Bluejeans begutachtete. „Was hat sie eben gesagt?“

„Sie hat uns hiermit alle für verrückt erklärt“, half Chris ihm schmunzelnd auf die Sprünge und griff nach den Zügeln seines Pferdes.

Aufmunternd klopfte Amy dem Vormann auf die Schulter. „Manchmal ist es für einen selbst besser, wenn man nicht alles versteht!“

„Ich sollte mich wohl an solche Auftritte gewöhnen, wie?“, vermutete Dan ahnungsvoll.

„Wenn du dich nicht auch irgendwann mit ihr prügeln willst, wäre das kein übler Einfall!“

Außer ein paar wenigen, belanglosen Worten zwischen Ben Arkin und seiner Tochter verlief die Rückfahrt schweigend. Im Innenhof der Strauchansammlung angelangt, sprang Patty wortlos und ohne sich zu verabschieden vom Wagen. Der Jeep ihres Vaters stand bereits neben dem halbverfallenen Schuppen, der nach der Restauration einmal eine Garage werden sollte. Jean blieb noch einige Sekunden auf der Bank neben Amy sitzen.

„Mr. Arkin?“

„Ja?“ Ben drehte sich gedankenverloren zu ihr um. Er musste seine Ansicht revidieren und sich wohl oder übel dem Urteil seiner Tochter anschließen. Im Gegensatz zu ihm, hatte sie die jüngere der beiden Arzttöchter sofort richtig eingeschätzt.

„Es tut mir sehr leid, wie meine Schwester sich heute wieder benommen hat.“ Sie schluckte und atmete tief durch. Ihr Herz raste aus Furcht vor seiner Reaktion. „Auch für ihr Benehmen von gestern möchte ich mich entschuldigen.“

„Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen!“, rief Amy fassungslos. „Du hast doch nichts gemacht!“

Jean lächelte vorsichtig. „Wenn ich darf, würde ich trotzdem gerne zu Ihnen kommen und mir das reiten zeigen lassen. Ich wollte schon immer reiten lernen!“

Ben erwiderte ihr Lächeln und zwinkerte. „Jean, du bist jederzeit herzlich auf der Arkin Ranch willkommen!“