Wörterbuch der Soziologie

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Die erste Frage ist bei der Dunkelfeldproblematik stets: Wie verlässlich ist die vorliegende Statistik? Eine Faustregel sagt: Je mehr eine Statistikstelle selber Daten unmittelbar erhebt, desto geringer ist die Dunkelziffer; die Dunkelziffer ist desto größer, je mehr negative Folgen mit der Datenangabe verbunden sein können (z. B. Besteuerung bei Einkommensangabe, Quarantäne bei Seuchenmeldung) und desto kleiner, je mehr positive Folgen damit verbunden sind (z. B. mehr Planstellen bei hoher Kriminalitätsbelastung in einem Polizeibezirk oder Arbeitslosengeld bei Arbeitslosmeldung trotz Einkommens aus Schwarzarbeit; hier kann es sogar zu einer »negativen Dunkelziffer« kommen, wenn die Statistik mehr Fälle meldet, als in der Wirklichkeit vorhanden sind). Intersystemische Statistikvergleiche sind wissenschaftlich nur brauchbar, wenn sie ganz genau das Erhebungsverfahren angeben.

Zur Erforschung der Dunkelziffer bedient man sich meistens der Befragung einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe, deren Ergebnisse auf die Population des Erhebungsgebiets hochgerechnet und mit den Statistikdaten (desselben Gebiets und Zeitraums) verglichen werden.

Literatur

Leder, Hans-Claus, 1998: Dunkelfeld, Frankfurt a. M. – Schwind, Hans-Dieter, 2009: Kriminologie, 19. Aufl., Heidelberg.

Günter Endruweit

[83]E

Ehe

Die Ehe (engl. marriage) ist eine durch Sitte und/ oder Gesetz normierte, auf Dauer angelegte Form gegengeschlechtlicher Paarbeziehung eigener Art. Diese eigene Art wird durch eine besondere Binnenstruktur und durch die Zuweisung gesellschaftlicher Funktionen, zumindest der biologischen Reproduktionsfunktion, begründet. Trotz aller kulturellen Unterschiede ist die Ehe überall – wenn auch mit unterschiedlichen Verpflichtungsgraden – als soziale Institution der legitimen Nachkommenssicherung anerkannt. Sie steht zumeist unter öffentlichem Schutz und ist – in mehr oder weniger starkem Maße – öffentlichen Regulierungen unterworfen. Sie begründet Erbfolgen und verlangt – zumindest dem Anspruch nach – von den Partnern und ihren Herkunftsfamilien gegenseitige Hilfeleistung und Kooperation.

Die für die heutige Ehe in fast allen Industriegesellschaften konstitutiven Merkmale der Emotionalität und Intimität ihrer Binnenstruktur und die der relativen Autonomie gegenüber der Herkunftsfamilie sind neuartige Erscheinungen und gelten daher auch keineswegs für die Ehen aller Kulturen. Dass sich die sog. »romantische Liebe« in der westlichen Welt in allen Schichten immer mehr als einzig legitimer Heiratsgrund durchsetzte und zur unhinterfragten sozialen Norm für jede Eheschließung wurde, hat die Eheforschung seit langem beschäftigt. Das Konstrukt »romantische Liebe« jedoch wurde erst mit der Entwicklung der Emotionssoziologie zu einem intensiv behandelten Thema der Soziologie.

Auch in den außereuropäischen Staaten setzt sich die »romantische Liebesehe« allmählich immer stärker durch. Gleichwohl überwiegen quantitativ weltweit die »arrangierten Ehen«. Diese waren – historisch gesehen – auch in unserem Kulturkreis nicht nur im Feudalsystem, sondern überall dort, wo Besitz zu vererben war, üblich. Hiervon sind zu unterscheiden die »Zwangsehen«, in denen Kinder von ihren Eltern gegen ihren Willen verehelicht werden.

Weiterhin bleibt ein wesentliches Strukturmerkmal aller Ehen, auch der modernen, dass sie über das bloße personale Paarverhältnis auf Familie verweisen. Denn die Hochzeit, die überall mit bestimmten rituellen Handlungen vollzogen wird, beinhaltet einen Statuswechsel des Brautpaares sowohl im Hinblick auf die Öffentlichkeit als auch innerhalb des Familienverbandes. Die Eheschließung stellt nämlich insofern auch heute noch einen »rite de passage« dar, als mit ihr neue soziale Rollen mit genau festgelegten Rechten und Pflichten übernommen werden: Die Braut wird zur Schwiegertochter, die Mutter zur Schwiegermutter, der Bruder zum Schwager usw. Welche konkreten Folgen bzw. Pflichten und Rechte für die Einzelnen mit der Eheschließung und der Übernahme der neuen sozialen Rollen verbunden sind, ist kulturvariabel und von den bestehenden Verwandtschaftslinien abhängig, ob z. B. ein patrioder matrilineares oder – wie in unserem Kulturkreis – ein duales Verwandtschaftssystem gegeben ist. Solche durch die Eheschließung zugeschriebenen Rollen werden lebenslänglich erworben und bleiben auch bei Tod des Ehepartners – und bei Ehescheidung neu definiert – sozial relevant. Insofern verweist die Eheschließung immer auf Familie (selbst bei Kinderlosigkeit), die Familie dagegen nicht auf Ehe, z. B. bei Alleinerzieherschaft.

Die Differenz zwischen der Ehe und den heutigen nichtehelichen Lebensgemeinschaften liegt insbesondere auch in dem Nichtbestehen eines sozial regulierten Integrationsprozesses zu den Herkunftsfamilien und der fehlenden öffentlichen Absichtserklärung, die Paarbeziehung mit dem Anspruch der Dauerhaftigkeit erhalten zu wollen. Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind in Deutschland überwiegend eine neue Lebensform ohne Verpflichtungscharakter während der Postadoleszenz.

In allen Kulturen gibt es die Möglichkeit der Eheauflösung, zumindest in der Form der Partnertrennung. Die Ehescheidung ist der letzte rituelle oder formal-rechtliche und somit an bestimmte öffentliche Vorschriften gebundene Vollzug der Eheauflösung. In vielen Staaten ist vor der Ehescheidung eine Trennungszeit formal-rechtlich vorgeschrieben. Die Zahl der gerichtlichen Ehescheidungen ist seit Ende des vorigen Jh.s in allen Industrienationen stetig gestiegen. In einigen Staaten wird von allen Ehen bereits wieder die Hälfte durch Scheidung aufgelöst (z. B. in den USA, Kanada), zumindest ein Drittel (z. B. in Deutschland).

In Bezug auf die Eheformen ist zwischen Monogamie und Polygamie zu unterscheiden. Die polygame Ehe ist soziologisch zu definieren als die Mehrfach-Besetzung[84] einer Ehepartner-Rolle, entweder der des Ehemannes (=Polyandrie) oder der der Ehefrau (=Polygynie).

Literatur

Burkhart, Günter, 2001: Liebe am Ende des 20. Jahrhunderts, Opladen. – Lenz, Karl, 2003: Soziologie der Zweierbeziehungen, Wiesbaden. – Nave-Herz, Rosemarie, 1997: Die Hochzeit. Ihre heutige Sinnzuschreibung seitens der Eheschließenden, Würzburg. – Dies., 2006: Ehe- und Familiensoziologie, 2. Aufl., Weinheim/München. – Dies.; Markefka, Manfred (Hg.), 1989: Handbuch der Familien- und Jugendforschung, Bd. I: Familienforschung, Neuwied.

Rosemarie Nave-Herz

Ehre

Begriffserklärung

Die Ehre (engl. honour) ist eine psycho-soziale Gegebenheit, die Simmel zwischen Recht und Moral im Bereich der Sitte ansiedelt. Im Deutschen bezeichnet der Begriff Ehre ein Doppelphänomen, das sowohl die Subjekt- wie auch die Objekt-Perspektive erfasst: als subjektive Ehre meint sie das Selbstwertgefühl eines Menschen, Selbstachtung, Anstand, Redlichkeit, Glaubwürdigkeit, Integrität; als objektive Ehre die Ehrerbietung und Wertschätzung, die jmdm. vom Sozium entgegengebracht wird: Ansehen, Anerkennung, Respekt, Reputation, guter Ruf (Leumund). Als übergeordnete philosophische Kategorie gilt Würde, die den Menschen als vernunftbegabtes und zu moralischem Handeln fähiges Gattungswesen gegenüber dem Tier auszeichnet.

Historischer Wandel

»Nicht die Ehre ist veränderlich, sondern das, worin die Menschen ihre Ehre setzen« (Scheler). Was heutzutage ein Gebot der Höflichkeit und der guten Manieren ist, z. B. jemandem den Vortritt lassen, war in der vertikal differenzierten Gesellschaft eine Frage der Ehre (s. den Königinnen-Streit im »Nibelungenlied«). Signifikant ist etwa auch der Bedeutungswandel des Begriffs »unehrlich« von einer sozialen Kategorie zu einem mentalen Attributivum: »Unehrlich« bedeutet heute »unaufrichtig«, während man in der ständischen Gesellschaft unter »unehrlichen Leuten« die marginalisierte Gruppe der Fahrenden, Prostituierten, Henker, Abdecker und anderer Stigmatisierter verstand. Auch wenn die Ehre in der funktionalen Massengesellschaft gleichberechtigter Staatsbürger ihr ausgeprägtes soziales und kulturelles Profil eingebüßt hat, ist sie in Alltagsbereichen (etwa im Sport) und beim Staatszeremoniell noch von gewisser Relevanz; sie besitzt jedoch keine Geltung mehr als zentraler normativer Wert. Der Wandel im Begriffsumfang der Ehre besteht i.W. darin, dass die nichtverantworteten Eigenschaften einer Person (Abkunft, Alter, Geschlecht) sowie die Stellung im Gesellschaftsgefüge als Kriterien adäquater Ehrezuweisung an Gewicht verloren, während persönliche Leistung und Moralität als Prüfstein für Ehrbarkeit zu Dominanz gelangten. Gleichzeitig gingen moralitätsunabhängige Charakteristika der Ehre in Begriffe wie Prestige, Status und Image ein.

Kulturspezifische Dimensionen

Die europäische Ständegesellschaft prägten öffentliche Ehrenstrafen (Pranger etc.) und (seit dem 16. Jh.) Duelle, während in Japan die Familienehre durch rituellen Selbstmord (Seppuku bzw. Harakiri) restituiert werden konnte. Den vom indischen Kastenwesen ausgeschlossenen »Unberührbaren« entsprachen in etwa die »unehrlichen Leute«. In patriarchalischen Milieus traten und treten Blutrache oder der sogenannte Ehrenmord (literarisiert z. B. in Lessings »Emilia Galotti«) als Form von Selbstjustiz auf. Zugrunde liegt eine somatische Auffassung von Ehre, deren Berechtigung mit zunehmender Aufgeklärtheit in Zweifel gezogen wird.

Aktualität der Ehre

Weniger die Modernität der Ehre (Vogt) steht zur Debatte, sondern vielmehr die Frage ihres Fortbestehens in der Gegenwart. Im Gegensatz zur »völkischen Ehre« im Nationalsozialismus und der Gleichsetzung von Ehre und Parteitreue in sozialistischen Staaten wird in rechtsstaatlichen Systemen Würde (Menschenwürde) als Grund für die Ehrbarkeit des Menschen angesehen. Neben dem im Grundgesetz Art. 1, 2 und 5 verankerten oder aus diesen abzuleitenden Recht der persönlichen Ehre gibt es in der Bundesrepublik einen strafrechtlichen Schutz vor Beleidigung (StGB §§ 185–200) und einen zivilrechtlichen Ehrenschutz (BGB §§ 823, 824, 826). [85]Zu konstatieren sind ein ausgeprägter Gabentausch in Form von Ordens- und Preisverleihungen, Selbstehrung durch Stiftungen, Ahndung des »unehrenhaften und berufswidrigen« Handelns von Journalisten (Pressekodex Ziffer 15) sowie Affären um das ehrlose Verhalten von Politikern, Wirtschaftsführern oder Wissenschaftlern (Korruption, Plagiat) bzw. deren Klagen gegen Rufmord (Diffamierung).

 

Der Rufschädigung im Internet mittels weltweiter digitaler Anprangerung (Cyber-mobbing etc.). wird durch Online-Reputationsmanagement begegnet.

Literatur

Burkhart, Dagmar, 2006: Eine Geschichte der Ehre, Darmstadt. – Scheler, Max, 1957: Über Scham und Schamgefühl. Ges. Werke, Bd. 10, Bern. – Simmel, Georg, 1922: Soziologie, 2. Aufl., München/Leipzig (1908). – Speitkamp, Winfried, 2010: Ohrfeige, Duell und Ehrenmord, Stuttgart. – Vogt, Ludgera, 1999: Die Modernität der Ehre; in: Ethik und Sozialwissenschaften 10, H. 3, 335–344, 384–393, dazu 20 Kritikartikel, 345–383.

Dagmar Burkhart

Ehrenamt

Unter Ehrenamt (engl. volunteering) versteht man eine produktive Tätigkeit, die freiwillig und unentgeltlich geleistet wird und die der Förderung der Allgemeinheit dient. Eine Tätigkeit wird dann als produktiv bezeichnet, wenn die Leistung prinzipiell auch von Dritten gegen Bezahlung erbracht werden könnte. Der Aspekt der Freiwilligkeit ist wichtig, um das Ehrenamt abgrenzen zu können von verpflichtenden Tätigkeiten, wie den Arbeitsgelegenheiten für ALG II-Empfänger (Ein-Euro-Jobs) oder unbezahlten Praktika im Rahmen einer Ausbildung. Das Kriterium der Unentgeltlichkeit bedeutet, dass zwar Kostenersatz für Ausgaben (z. B. Fahrtkosten) oder auch Pauschalen (wie die Übungsleiterpauschale im Sport) geleistet werden können, dass aber nicht wie bei der Erwerbsarbeit der geleistete Zeitaufwand abgegolten werden darf. Das Kriterium der Förderung der Allgemeinheit dient der Abgrenzung gegenüber Familienarbeit, wie beispielsweise Pflegeaufgaben für Angehörige innerhalb oder außerhalb des eigenen Haushalts. Es schließt nicht aus, dass die ehrenamtlich tätige Person auch selbst Nutzen aus ihrer Tätigkeit ziehen darf. Das wird häufig der Fall sein, da von einem Motivmix der Ehrenamtlichen auszugehen ist, der neben altruistischen auch egoistische Motive umfasst; ein Grenzfall, bei dem kontrovers diskutiert wird, ob es sich um Ehrenamt handelt, sind Selbsthilfegruppen. Ehrenamt findet in seiner formellen Form in Vereinen und Verbänden statt. Darüber hinaus ist umstritten, ob auch informelle Freiwilligenarbeit außerhalb solcher Organisationsformen, wie beispielsweise Nachbarschaftshilfe, dem Ehrenamt zugerechnet werden sollte. Eine passive Mitgliedschaft in einem Verein sowie Geldspenden sind nicht als Ehrenamt zu bezeichnen.

Der Begriff des Ehrenamts stammt aus dem 19. Jh. und betraf einerseits administrativ politische Ehrenämter, andererseits humanitär und karitativ christliche Hilfstätigkeiten gegenüber Armen. Heute wird alternativ auch von Freiwilligenarbeit bzw. bürgerschaftlichem Engagement gesprochen, wobei sich die Bezeichnung der Freiwilligenarbeit bewusst stärker an dem englischsprachigen Begriff des Volunteering orientiert.

Theoretisch ist das Ehrenamt vor allem mit dem Begriff des Sozialkapitals verbunden. Nach dem politikwissenschaftlichen Verständnis von Sozialkapital erhöht das ehrenamtliche Engagement in einer Region das Sozialkapital derselben, was wiederum mit der wirtschaftlichen Prosperität der Region in Verbindung gebracht wird. Die soziologische Perspektive betrachtet Sozialkapital als individuelle Ressource; im Ehrenamt wird vor allem die Anzahl schwacher sozialer Bindungen erhöht, denen eine positive Funktion beispielsweise bei der sozialen Integration zugesprochen wird.

Literatur

Dathe, Dietmar, 2005: Bürgerschaftliches Engagement; in: SOFI et al. (Hg.): Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland. Arbeit und Lebensweisen, Wiesbaden, 455–480. – Gensicke, Thomas et al., 2005: Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004, Wiesbaden.

Susanne Strauß

[86]Eigentum

Die Definition von Eigentum (engl. property) kann unterschiedlich eng bzw. weit erfolgen: Im weitesten Sinne lässt sich Eigentum als auf knappe Güter bezogenes Handlungspotenzial in einer sozialen Umwelt verstehen (Krüsselberg) oder eingegrenzter als rechtlich geschützte Ansprüche bzw. Verfügung über knappe Güter. In juristisch eingegrenzter Definition ist Eigentum das weitgehendste Verfügungsrecht über Sachen und Rechte, wobei zwischen Besitz und Eigentum zu trennen ist: Während mit Besitz die tatsächliche Verfügungsgewalt angesprochen ist, beinhaltet Eigentum die höchste Verfügungsmacht über eine Sache. Eine zentrale Unterscheidung ist die in Privateigentum und Kollektiveigentum. Damit ist deutlich gemacht, dass nicht bezüglich aller knappen Güter in einer sozialen Umwelt privates Einzeleigentum möglich oder gesellschaftlich akzeptabel erscheint: Dies kann einerseits mit der Unteilbarkeit des Gutes zusammenhängen (»die Luft zum Atmen«), kann andererseits aber auch eine politische Entscheidung sein: In sozialistischen Gesellschaften etwa ist festgelegt, dass Eigentum an Produktionsmitteln im Regelfall kollektiv verankert ist. Der französische Frühsozialist Proudhon verurteilte die zu seiner Zeit bestehende Eigentumsverfassung sogar mit dem Verdikt »Eigentum ist Diebstahl«.

Eigentum hat verschiedene Funktionen. So ist mit Eigentum Verfügbarkeit und ein Zuwachs an Handlungsspielraum verbunden. Eigentum macht damit die Person z. B. unabhängiger von sonstigen Rahmenbedingungen (z. B. davon, zur Existenzsicherung täglich seine Arbeitskraft anbieten zu müssen). Des Weiteren bedeutet Eigentum »soziale Sicherheit«. In dem Maße, wie Eigentum unterschiedlich konvertibel ist (Geldeigentum vor allem; Eigentum an Grund und Boden je nach Marktlage; Eigentum an einer »Idee«, die erst noch zu erproben ist, am wenigsten), beinhaltet dies auch Sicherung der zukünftigen Existenz. Gerade in sozialer Hinsicht beinhaltet Eigentum auch einen Zuwachs an Prestige, ist somit eine wesentliche Teildimension für relative Rangpositionen und die soziale Positionszuweisung der Person.

In dem Maße, wie Eigentum nicht ausschließlich und selbst genutzt wird, ist damit eine Delegation von Eigentumsbefugnissen verbunden. So ist die Trennung zwischen Eigentum (des Unternehmers) und Verfügung über Produktionsmittel (durch den Arbeitnehmer) das durchgängige Prinzip der Wirtschaftsstruktur heutiger (westlich/kapitalistischer) Industriegesellschaften. In großen Wirtschaftsunternehmen ist die Rolle des Managers ein herausragendes Beispiel für weitreichende Entscheidungen auf der Basis von delegierten Eigentumsbefugnissen. Bezieht man die in der Theorie der »property rights« sowie in den sozialwissenschaftlichen Austauschtheorien zentrale Annahme des selbstinteressierten Handelns hier in die Überlegungen ein, so ist abzuleiten, dass die Ziele des Managers partiell anders gelagert sind als die Ziele des Eigentümers. Damit zeichnet sich bei delegierten Eigentumsbefugnissen grundlegend das Problem der Kontrolle ab. Die Delegation erscheint nur in dem Maße (ökonomisch) sinnvoll, wie die Kontrollkosten nicht die Gewinne aus der Delegation aufzehren. Delegation bedeutet durchweg eine Verdünnung von Eigentumsrechten. Je nach Sachkategorie bzw. nach Nutzercharakteristik können hohe Sicherungskosten entstehen; diese sind umso niedriger, je weniger Eigentumsrechte bestritten werden, je funktionaler Rechtspflege und Gerichtsbarkeit organisiert sind, je eindeutiger das Staatsmonopol zur Sicherung von Eigentumsrechten gegeben und allgemein anerkannt ist.

Literatur

Badura, Peter, 1998: Freiheit und Eigentum in der Demokratie, Köln. – Bieszcz-Kaiser, Antonia (Hg.), 1994: Transformation – Privatisierung – Akteure, München. – Engerer, Hella, 1997: Eigentum in der Transformation, FU Berlin. – Hauck, Ernst, 1987: Wirtschaftsgeheimnisse – Informationseigentum kraft richterlicher Rechtsbildung? Berlin. – Heinsohn, Gunnar, 1996: Eigentum, Zins und Geld, Berlin. – Kessler Rainer; Loos, Eva (Hg.), 2000: Eigentum: Freiheit und Fluch, Gütersloh. – Krüsselberg, Hans-Günter 1977: Die vermögenstheoretische Dimension in der Theorie der Sozialpolitik; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 19, 232–259. – Roggemann, Herwig (Hg.), 1996: Eigentum in Osteuropa, Berlin. – Stehr, Nico, 1994: Arbeit, Eigentum und Wissen, Frankfurt a. M. – Tomuschat, Christian (Hg.), 1996: Eigentum im Umbruch, Berlin. – Wengorz, Lars H., 2000: Die Bedeutung von Unternehmertum und Eigentum für die Existenz von Unternehmen, Frankfurt a. M.

Thomas Kutsch

[87]Einstellung

Wenn wir mit dem Begriff »Einstellung« (engl. attitude) konfrontiert werden, können wir uns unmittelbar eine inhaltliche Vorstellung davon machen, was gemeint ist. Man denkt vielleicht an die Einstellung zu Politikern oder die Einstellung zu gesunder Ernährung oder evtl. auch an die Einstellung zu bestimmten Produkten im Smartphone-Bereich. Die Verwendung des Begriffs der sozialen Einstellung – im Unterschied zu der Einstellung, die an einer mechanischen Vorrichtung vorgenommen wird – beruht auf dem bekannten Werk »The Polish peasant in Europe and America« der Soziologen William Thomas und Florian Znaniecki von 1918. Einstellungen bilden soziale Gegebenheiten ab. Sie werden sowohl von individuellen Präferenzen als auch von gesellschaftlichen Werten beeinflusst. In der Regel hat eine Person eine Vielzahl von Einstellungen, die zusammengenommen ihre Einstellungsstruktur bilden. Diese dient als soziales Orientierungsschema. Damit ist gemeint, dass Einstellungen die Person darüber informieren, was sie vermeiden muss und wem sie sich annähern kann. Einstellungen sind emotional aufgeladen: Negative Einstellungen verweisen auf Sachverhalte, die die Person schwächer oder stärker ablehnt, während positive Einstellungen auf Gegebenheiten deuten, die die Person mit Freude erwartet.

Einstellungsobjekt

Eine Einstellung ist ein evaluatives Summenurteil über ein Objekt, das kognitive, affektive und behaviorale Komponenten beinhalten kann (Bierhoff/ Frey 2011, 304). Wenn von einem evaluativen Summenurteil gesprochen wird, soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Person das Einstellungsobjekt auf verschiedenen Dimensionen bewertet und dass der Einstellung die Summe dieser Bewertungen des Einstellungsobjekts zugrunde liegt. Betrachten wir z. B. ein Produkt wie das Smartphone der Marke X. Die Benutzerin kann es im Hinblick auf sein Design, seinen Preis, seine Beständigkeit, seine Benutzeroberfläche und weitere Aspekte bewerten. Diese Meinungen werden in der Einstellung zu dem Smartphone X zusammengefasst. Somit sind Einstellungen Zusammenfassungen, die in einer kurzen Aussage einen komplexen Sachverhalt wiedergeben und sowohl leicht im Gedächtnis gespeichert werden als auch als Handlungsanweisung benutzt werden können.

Es besteht in der Tendenz ein positiver Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten, der substantiell ist, wenn die Einstellungsmessung in ihrem Abstraktionsniveau mit der Verhaltensmessung übereinstimmt. Die Einstellungsmessung erfolgt in der Regel durch die Bewertung eines Einstellungs-Objekts auf einer Urteilsskala. Ein Beispiel lautet: ›Das Smartphone X ist gut ------schlecht‹. Zusätzlich wird auch auf implizite Einstellungsmessungen zurückgegriffen, bei denen der Zweck der Messung für den Teilnehmer nicht transparent ist. Ein Beispiel ist der Implizite-Assoziations-Test.

Einstellungen beziehen sich häufig auch auf die eigene Person. Dann spricht man von Selbstbewertung. Andere Einstellungen, die den Blickwinkel auf bestimmte Personengruppen verzerren, werden Vorurteile genannt. Wenn die Einstellung auf einzelne Personen gerichtet ist, spricht man von Sympathie und Antipathie. In der Regel wird zwischen einer bewertenden, einer kognitiven und einer Verhaltenskomponente der Einstellung unterschieden (Drei-Komponenten-Modell der Einstellung).

Diese Unterscheidung lässt sich an dem Einstellungsobjekt Smartphone veranschaulichen. Wir hatten schon gezeigt, wie die bewertende Komponente gemessen wird. Die kognitive Komponente bezieht sich auf Meinungen über die Vor- und Nachteile des Smartphones. Diese beziehen sich z. B. auf Design, Preis, Beständigkeit und Benutzeroberfläche. Um die Meinung über diese Attribute direkt zu erfassen, kann man Feststellungen vorgeben wie: »Das Design von Smartphone X ist überhaupt nicht ------- sehr gelungen«. Schließlich können auch Verhaltensabsicht und tatsächliches Verhalten erfasst werden. Die Verhaltensabsicht beinhaltet die subjektive Wahrscheinlichkeit dafür, Smartphone X zu kaufen, während die Erfassung des offenen Verhaltens den Bericht über den Kauf des Smartphones betrifft.

 

Einstellungen haben bestimmte Funktionen. Sie beinhalten Wissen, das es erlaubt, Probleme zu lösen. Darüber hinaus dienen sie der sozialen Anpassung in einer gegebenen kulturellen Umwelt. Sie haben eine Wert-Ausdrucksfunktion, da sie bestimmte Präferenzen der Person kennzeichnen, und sie können der Funktion der Ich-Abwehr dienen, indem z. B. durch positive Einstellungen gegenüber[88] Minderheiten Schuldgefühle gemildert werden, die durch die gesellschaftliche Benachteiligung dieser Minderheiten ausgelöst werden.

Vertrauen

Im Folgenden werden zwei wichtige Themen der Sozialwissenschaft angesprochen, die eng mit Einstellungen zusammenhängen: Vertrauen und subjektives Wohlbefinden. Vertrauen beinhaltet eine Einstellung gegenüber anderen Personen, die von deren wahrgenommener Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit abhängt. Hohes Vertrauen in die Information, die eine andere Person gibt, reduziert die Unsicherheit darüber, ob die andere Person wahrheitsgemäß Auskunft gibt. Vertrauensvorschuss ist aber auch mit einem Risiko der Enttäuschung verbunden.

Hohes Vertrauen reduziert die Komplexität der sozialen Welt auf ein überschaubares Ausmaß (Luhmann 1973). Die Unsicherheit, die in der Zukunft liegt, wird durch Vertrauen verringert. Denn objektive (und möglicherweise lähmende) Unsicherheit wird in subjektive Sicherheit umgewandelt, die es der Person ermöglicht, die Initiative zu ergreifen und zu handeln. Die subjektive Sicherheit kann sich auf den Umgang mit Personen oder Systemen (wie Medien) beziehen und ist nicht weiter ableitbar (Giddens 1991). Vertrauen ist eine implizite soziale Orientierung, die auf einzelne Personen, Organisationen oder politische Systeme gerichtet ist. Die Entwicklung einer sicheren Bindung zu den Eltern trägt wesentlich zum Aufbau von Basisvertrauen bei. Während sichere Bindung mit hohem Vertrauen gegenüber der Bezugsperson einhergeht, hängt unsichere Bindung mit geringem Vertrauen zusammen.

Glück und subjektives Wohlbefinden

Einer der am meisten untersuchten Einstellungs-Inhalte ist die Einstellung zum eigenen Leben. Die bewertende Einschätzung des eigenen Lebens bezieht sich auf das Lebensglück. In empirischen Untersuchungen wird Lebensglück häufig als subjektives Wohlbefinden erfasst, das die Bewertung des eigenen Lebens betrifft, die sich entweder auf den Augenblick oder auf einen bestimmten Lebensabschnitt bezieht (Frey/Bierhoff 2011). Ein Beispiel ist die Beantwortung der Frage: »Auf einer Skala von 1 (unzufrieden) bis 10 (zufrieden), wie zufrieden sind Sie gegenwärtig mit Ihrem Leben insgesamt?«

Glück ist subjektiv und stellt eine individuelle Erfahrung dar, die für jede Person besonders sein kann. Daher ist streng genommen das Glück der einen Person nicht vergleichbar mit dem der anderen. Vergleichbarkeit wird dadurch hergestellt, dass der Glückszustand sprachlich beschrieben oder auf einer Urteilsskala eingeschätzt wird. Die Einschätzung des Glücks wird sowohl durch aktuelle Gefühle als auch durch die allgemeine Lebenszufriedenheit beeinflusst. Die aktuellen Gefühle sind von dem Kontext abhängig, in dem sie auftreten. Wie Dostojewski eindrucksvoll geschildert hat, kann der Vorgang zu baden ein Erlebnis höchsten Glücks sein, wenn man Gefangener in einem russischen Gulag ist.

Subjektives Wohlbefinden hängt eng mit Beziehungszufriedenheit, Vertrauen und Commitment an die Partnerschaft zusammen (Rohmann 2008). Unter glücklichen Menschen finden sich nur wenige, die keinen romantischen Partner haben. Von hohem subjektivem Wohlbefinden kann eine Aufwärtsspirale des Denkens und Handelns ausgehen, die sich ihrerseits wieder positiv auf das Wohlbefinden auswirkt.

Der Begriff des Glücks kann sehr oberflächlich oder auch tiefergehend verstanden werden. Grundsätzlich lassen sich drei Ebenen unterscheiden:


1)Vergnügen, das sich kurzfristig ergibt, weil ein erfreuliches Ereignis eingetreten ist (z. B. das Erlebnis eines sonnigen Vormittags während eines Besuchs im Park)
2)Eudämonie. Unter diesem Begriff der Griechen, der so viel wie »Gelingen« bedeutet, versteht man ein tugendhaftes Leben, das das eigene Potenzial ausschöpft. Das Leben »blüht auf« (engl. flourish). Die Philosophie von Sokrates, Platon und Aristoteles lassen sich diesem Glücksbegriff zuordnen.
3)Flow bezeichnet ein Engagement für eine Auf gabe, das als erfüllend erlebt wird. Man widmet sich einer Aufgabe voll und ganz, vergisst Zeit und Umgebung und geht in der Tätigkeit auf. Die Erfüllung, die auf diese Weise erlebt wird, erzeugt das Gefühl, glücklich zu sein.

Literatur

Bierhoff, Hans-Werner; Frey, Dieter, 2011: Sozialpsychologie. Individuum und soziale Welt, Göttingen. – Frey, Dieter; Bierhoff, Hans-Werner, 2011: Sozialpsychologie. Interaktion und Gruppe, Göttingen. – Giddens, Anthony, 1991: [89]Modernity and self-identity, Stanford, CA. – Luhmann, Niklas, 1973: Vertrauen, Stuttgart. – Rohmann, Elke, 2008: Zufriedenheit mit der Partnerschaft und Lebenszufriedenheit; in: Dies. et al. (Hg.): Sozialpsychologische Beiträge zur Positiven Psychologie, Lengerich, 93–117.

Hans-Werner Bierhoff/Elke Rohmann

Einzelfallstudie

Die Einzelfallstudie (engl. case study) stellt die genaue Beschreibung eines Falls dar (Ragin/Becker 1992). Einzelfallstudien werden meist mit qualitativen, aber auch mit quantitativen Methoden durchgeführt (Yin 2009, Flick 2009). »Fall« kann sich auf Personen, Gemeinschaften (z. B. Familien), Organisationen und Institutionen (z. B. Unternehmen) beziehen. Zentral für die Beurteilung von Einzelfallstudien ist, wofür der Fall und seine Analyse stehen und was an ihm verdeutlicht werden soll: Geht es um die einzelne Person (Institution etc.)? Ist die Person typisch für eine bestimmte Teilgruppe der Studie? Steht der Fall für eine spezifische professionelle Perspektive? Nach welchen Kriterien wurde der Fall ausgesucht zur Erhebung, Analyse und Darstellung der Daten? Forschungsstrategisch entscheidend sind für Einzelfallstudien die Identifikation eines für die Untersuchung aussagekräftigen Falls und die Klärung, was zum Fall gehört und welche Methoden seine Analyse erfordert. Bei einer Einzelfallstudie zum Verlauf der chronischen Erkrankung eines Kindes: Reicht es, das Kind im Behandlungskontext zu beobachten? Sollte der Familienalltag beobachtet werden? Müssen Lehrer oder Mitschüler befragt werden? Einzelfallstudien verwenden häufig mehrere Erhebungsmethoden (z. B. Interviews, Beobachtungen, Dokumentenanalysen). Hermeneutische Interpretationen in qualitativer Forschung arbeiten oft zunächst mit Einzelfallstudien (ein Gespräch, Dokument oder Interview). Einzelfallstudien werden auch zur Illustration einer vergleichenden Studie verwendet, um Zusammenhänge zwischen verschiedenen Themenbereichen zu zeigen. So findet sich eine Reihe von Einzelfallstudien neben einer thematisch gegliederten fallübergreifend vergleichenden Darstellung in einer Studie zur Gesundheit obdachloser Jugendlicher (Flick/Röhnsch 2008).

Literatur

Flick Uwe, 2009: Sozialforschung – ein Überblick für die BA-Studiengänge, Reinbek. – Flick, Uwe; Röhnsch, Gundula, 2008: Gesundheit auf der Straße. Vorstellungen und Erfahrungsweisen obdachloser Jugendlicher, Weinheim. – Ragin, Charles; Becker, Howard (Hg.), 1992: What is a Case? Exploring the Foundations of Social Inquiry, Cambridge. – Yin, Robert, 2009: Case Study Research – Design and Methods, 4th. Ed., Thousand Oaks.