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Wortbildung im Deutschen

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2 Konzeptionelle außersprachliche und sprachliche Grundlagen

Zunächst muss diesbezüglich geklärt werden, ob ein FlurnamentypFlurnamentyp in dem Sinne als neu gelten soll, weil er bisher noch nicht beschrieben, also neu entdeckt wurde, oder ob er neu ist, weil ihm ein neues Wort zugrunde liegt. Es gilt hier die zweite Definition. Ein bestimmter Entstehungszeitraum für neue Wörter im DeutschenDeutsch, die die Basis für neue Namentypen bilden, ist Grundlage der Materialsortierung. Dahinter steht die Annahme, dass vor allem die letzten drei bis vier Jahrzehnte eine produktive Phase für die Verwendung neuer Wörter zur Bildung von FlurnamenFlurname darstellten. Denn in diesem Zeitraum veränderten sich die landwirtschaftliche Produktion und das Selbstbild des Berufsstandes in einem bisher ungekannten Ausmaß.1Landwirtschaft

Um Verwechslungsgefahr vorzubeugen, sei klargestellt, dass mit „Wort“ hier ein Appellativ gemeint ist und kein FlurnameFlurname. Ich gehe grundsätzlich von der Möglichkeit einer vollständigen Wandlung des semantischen Status sprachlicher Äußerungen aus, so dass diese ihrer ursprünglichen Bedeutung entledigt sind und stattdessen bloß ein bestimmtes Referenzobjekt individualisieren (vgl. z.B. Ramge 1985: 667–668). Darüber hinaus gehe ich von der Identifizierbarkeit des Onymischen aus und mache dies, wie im Folgenden ausgeführt, u.a. an der NennungshäufigkeitNennungshäufigkeit, das heißt -frequenz eines Namens fest. Wird ein sprachliches Zeichen, z.B. Steinbruch, auf zwei Wanderungen von zwei verschiedenen Gewährspersonen intendiert als Name für ein und dieselbe Fläche genannt, ist ihm Proprialität nur noch schwer abzusprechen. Tut dies nur eine Person, ist die Beurteilung schwieriger. Zu beachten ist, dass in diesem Aufsatz unterschiedliche Aussprachevarianten eines Flurnamens, wie z.B. die Belege [’∫tɔ:bɹʊx] und [’∫tae̯nbrux] aus Roßbach, die sich auf ein und dieselbe Fläche beziehen (dies kommt im Material hundertfach vor), nicht thematisiert werden.

Auf der Appellativebene – also der, die Namengenese betreffend, zeitlich vorgelagerten Ebene – ergibt sich hier aber zunächst ein anderes Problem. Eine Vielzahl von deutschen Wörtern war zu irgendeiner Zeit einmal neu. z.B. hatte das Substantiv nhd. Kartoffel f. im 18. Jahrhundert mancherorts noch eine exotische Denotation bis es dann im größten Teil des deutschsprachigen Raumes allgemein geläufig wurde (vgl. DWB V, 244–245). Heute muss entweder etymologischetymologisch – LehnwortLehnwort aus italienisch tartuficolo m. (vgl. Kluge/Seebold 2002: 473) – oder zeitlich – erst bezeugt seit dem 17. Jahrhundert (vgl. ebd.) – argumentiert werden, um das Wort allgemein als „neu“ zu klassifizieren. Wie lässt sich für die Kategorie neues Wort aber eine Definition finden, die hier allgemein nachvollziehbar als Arbeitsgrundlage taugt? In der vorliegenden Untersuchung sollen solche Wörter für die Jetztzeit als neu gelten, die nicht vor ca. 1800 im DeutschenDeutsch bezeugt sind. Dies gilt unabhängig davon, ob sie allgemein als neu empfunden werden oder nicht und ob sie ursprünglich einer fremden Sprache entstammen oder nicht. Das 19. Jahrhundert hier als frühestmögliche Entstehungszeit für neue Wörter anzusetzen, hängt mit dem angedeuteten Fokus der Untersuchung auf die Zeit der verstärkten Maschinisierung und der darauffolgenden teilweisen Industrialisierung der hessischen LandwirtschaftLandwirtschaft zusammen:

Zwischen 1800 und ca. 1900 vollzog sich im Bereich der heutigen Bundesrepublik Deutschland ein sozio-ökonomischer StrukturwandelStrukturwandel, der als Industrialisierung und teilweise auch als Industrielle Revolution bezeichnet wird und in vielerlei Hinsicht die Grundlage für die industrielle Welt des 20. Jahrhunderts bildet (vgl. Condrau 2005: 7). Teil dieses Prozesses war eine in ihren Ursachen teilweise noch unbegriffene Mechanisierung und Technisierung von Arbeit (vgl. ebd.: 8–9, 119). Die LandwirtschaftLandwirtschaft wurde von dieser Entwicklung zunächst wenig erfasst (vgl. z.B. Uekötter 2010/2011: 12). Eine Darlegung, ab wann genau und wie unterschiedlich sich Besagtes im wirtschaftsgeschichtlich heterogen strukturierten Untersuchungsgebiet auswirkte, würde hier zu weit führen. Allgemein betrachtet war dieses ländliche Randgebiet zwischen Marburg, Gladenbach und Wetzlar offenbar kein besonderer Vorreiter in Bezug auf die Technisierung der landwirtschaftlichen Arbeitsabläufe.2

Erste Voraussetzungen für die tiefgreifenden Veränderungen des Produktionssystems, die technischen Regimewechsel und damit einhergehende soziale Umbrüche auf den untersuchten Dörfern wurden aber schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts geschaffen.3

Eine Begründung für diese Untersuchung in den 2010er Jahren war, dass, nach der ersten Industrialisierungsphase der hessischen LandwirtschaftLandwirtschaft bis in die 1980er Jahre,4Landwirtschaft gerade ein weiterer massiverer landwirtschaftlicher Industrialisierungsprozess stattgefunden hat. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Größe der Traktoren, Ernte- und Bodenbearbeitungsmaschinen und auch der Betriebe. Die beiden genannten sicherlich maßgeblichen Technisierungsschübe können aber nicht isoliert behandelt werden. Als Ganzes betrachtet ist die Entwicklung vom Einsatz der ersten dampfbetriebenen Lokomobile (vgl. Becker 2010: 134–135; Friebertshäuser 1994: 108–109, Abbildungen 25 und 28) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Maschinisierungsgrad in der Landwirtschaft geprägt durch eine fortschreitende Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch maschinelle Fertigungsprozesse. Es handelt sich also um eine zusammenhängende Übergangsphase, in der sich, zunächst kaum merklich und dann immer schneller, überdurchschnittlich viele Arbeitsabläufe und -methoden veränderten, die in den Jahrhunderten davor selbstverständlich waren. Der allmähliche Wandel des Produktionssystems und der Produktionsmethoden ist begleitet von gesetzlichen Rahmenbedingungen: darunter die Aufhebung des Mühlenbannes und später des Flurzwanges in Kurhessen 1837 und ab ca. 1850 (vgl. Becker 2010a: 129; Burk-Wagner 1985: 12–13), der Wegfall der nördlichsten Staatengrenze zwischen dem Großherzogtum Hessen und Kurhessen nach dem Sieg Preußens über Österreich 1866 (vgl. Rudolph 2013: 69; Schwind 1984: 74), die Ermöglichung von Flurumlegungen/Flurbereinigungen ab dem 20. Jahrhundert (vgl. Uekötter 2010/2011: 336–337 und z.B. Historisches Ortslexikon, s.v. Damm) oder das Förderprogramm Grüner Plan in den 1950ern und 1960ern, das u.a. den Bau von Höfen außerhalb der Ortschaften ermöglichte (vgl. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1962: 174–177). Dies sind nur wenige Punkte, die beispielhaft die Entwicklung umreißen sollen.

Der Entstehungszeitraum für neue Wörter wird hier also außersprachlich, aufgrund der spezifischen Konzeption der Untersuchung, die den jüngsten StrukturwandelStrukturwandel im ländlichen Raum zum Forschungsanlass nimmt, begründet. Technisierung als solche ist dabei kein Phänomen ab dem 19. Jahrhundert. Beispielsweise sind die im Untersuchungsgebiet bis ins 20. Jahrhundert üblichen Wassermühlen zum Mahlen von Mehl und weiterer Fertigungsprozesse komplexe Maschinen vorneuzeitlicher Entwicklung (vgl. Paulinyi/Troitzsch 1991: 33, 354–355). Nach 1850 stieg – kurz vor dem ersten Aufkommen kohle- und später auch diesel- und strombetriebener Maschinen auf den Betrieben – der Einfluss wissenschaftlicher Forschung auf die LandwirtschaftLandwirtschaft (vgl. Uekötter 2010/2011: 435). Ebenso spielte Kapital eine zunehmende Rolle und die alte Subsistenzwirtschaft wich ganz allmählich der Lohnarbeit (vgl. Becker 2010a: 135).5 Dass sich diese Entwicklung von vorherigen Verhältnissen abhebt, ist offensichtlich.

Nach der Begründung des Entstehungszeitraums muss nun auch definiert werden, was die linguistischen Kriterien für ein neues Wort sind, die es von schon vorher im DeutschenDeutsch existierenden Wörtern abgrenzt. Am einfachsten ist dies bei primären Lehnwörtern des angegebenen Zeitraumes zu entscheiden. Sie kommen aus einer fremden Sprache (vgl. DFWB I, 14*) und sind (nach einer Etablierungsphase) somit neu im Deutschen. Als Beispiel sei hier nhd. Ranch f. angeführt, das im 20. Jahrhundert aus englisch ranch (dieses aus mexikanisch-spanisch rancho m.) entlehnt wurde (vgl. Kluge/Seebold 2002: 742). Findet sich also ein FlurnamentypFlurnamentyp, der auf ein solches Wort zurückgeht, gehört er sicher zu den neuen Namentypen. Problematisch würde es, wenn der Entlehnungszeitraum unbekannt ist, was im untersuchten Material aber nicht vorkam.

Weniger eindeutig ist es bei KompositaKompositum, die aus Wörtern bestehen, welche schon vor 1800 im DeutschenDeutsch existierten. Der überwiegende Teil des hier behandelten Flurnamenmaterials ist mehrteilig und es gilt bei jedem einzelnen FlurnamenFlurname zu entscheiden, ob ein KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum) zugrunde liegt und wenn ja welches. Ist dies geleistet, und es ist hier sicherlich nicht immer absolut zufriedenstellend geleistet, muss – im Interesse der Fragestellung – ergründet werden, ob das Kompositum neu ist. Dies ist schwieriger als die Suche nach neuen Lehnwörtern. Die deutsche Sprachentwicklung ist gekennzeichnet durch einen zunehmenden Abbau morphologischer Beschränkungen für die Bildung von Komposita (vgl. Gaeta/Schlückler 2012: 3). Nominale und adjektivische Komposita können entstehen und wieder verschwinden, ohne dass sie je beschrieben wurden. Der DUDEN (I, 23) spricht im Zusammenhang mit der Begründung der Wortauswahl allgemein von ad-hoc-Bildungen, die nicht in das Wörterbuch aufgenommen werden, und bringt als Beispiel Fußballhimmel. Fußballhimmel kommt beispielsweise im Korpus DIE ZEIT des DWDS (s.v. Fußballhimmel 04.11.2014) mit 26 Einträgen weitaus öfter vor als z.B. Obstbaumwiese mit fünf Einträgen (04.11.2014). Im ZUL (III, 753; XXV, 300–304) aus dem 18. Jahrhundert gibt es Einträge zu Obstbäumen, sowie zum Baumgarten bzw. Obstgarten. Letzterer entspricht der Beschreibung von 1733 nach nicht deckungsgleich dem, was heute unter einer Obstbaumwiese verstanden wird: „[…] er wird vor dem Anlauffe des Viehes und derer wilden Thiere mit einer Mauer, Plancke oder einem Zaun umfangen“. Zu Obstbaumwiese finden sich keine historischen Einträge. Selbst wenn ausgeschlossen werden könnte, dass das Wort vor 1800 existiert hat, bleibt die Frage, ob es überhaupt einen vollwertigen FlurnamentypFlurnamentyp bildet und nicht in Obstbaum m. und Wiese f. typisiert werden muss. Die Entscheidung, ob ja oder nein ist hier vage. Es gibt weder ein gültiges Referenzwerk, nach dem verfahren werden könnte, noch definitive Regeln. Brandweiher m. beispielsweise – dessen Alter ebenfalls unbekannt ist – wird hier im Gegensatz zu Obstbaumwiese als möglicher neuer Flurnamentyp gelistet, obwohl das Kompositum nur leicht besser belegt ist. Diese Beispiele sollen demonstrieren, wie die hier angefertigte Liste der neuen Flurnamentypen in Bezug auf Komposita zu bewerten ist. Es wurde versucht, wenig eindeutige Fälle von dauerhaften, etablierteren Formen zu trennen.

 

Die Recherche nach Wortalter und -herkunft und etablierten KompositaKompositum wurde im Wesentlichen mit der Datenbank Hessische FlurnamenFlurname, dem DFWB, dem DWDS, dem DUDEN, dem Frnhd. Wb., dem DWB, dem Hess.-Nass. Wb., Jungs Flurnamen an der mittleren Lahn, Kluge/Seebolds Etymologischem Wörterbuch der deutschen Sprache, dem Lexer, dem MHFB, dem EWBD, dem Schwäb. Wb., dem Id., dem SHFB, dem Südhess. Wb., Vielsmeiers Flurnamen der südlichen Wetterau, Vilmars Idiotikon von Kurhessen und dem ZUL bewerkstelligt (siehe im Literaturverzeichnis bei den Kürzeln bzw. Autorennachnamen). Für Sonderfälle, wie z.B. Streuobst- bzw. Streuobstwiese f. (die aktuelle Wortbedeutung lautet ‚mit Obstbäumen bestandene Wiese‘ – vgl. DUDEN IIX, 3782), wurde auch auf besondere Literatur – hier z.B. Rinaldini (1924: 258), die das volle KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum) noch nicht verwendet, und Breunig/König/Stähr (1985) – zurückgegriffen. Dass sich das spätestens in den 1980er Jahren etablierte Wort, z.B. analog zu Bahnhof (vgl. Kluge/Seebold 2002: 83), aus zwei gekürzten, ehemals zweigliedrigen nominalen Komposita (+ Wiese f.) entwickelte (vgl. Wikipedia, s.v. Streuobstwiese), ist m.E. nicht sicher.

Eine weitere Art der Wortneubildung, die für Namentypen im Material eine Rolle gespielt hat, ist die SubstantivierungSubstantivierung von VerbenVerb durch Suffixableitungen. Allerdings gibt es unter den neuen Namentypen nur zwei Beispiele: Lichtung f. < nhd. lichten ‚(den Wald) lichten‘ + -ung-Suffix (vgl. Eisenberg 2006: 277; Kluge/Seebold 2002: 574); und Deponie f. < nhd. deponieren, wobei das Fremdsuffix französisch -ie hier untypischerweise in deverbialem Zusammenhang fungiert (vgl. Fleischer/Barz 1995: 185–186). Alle übrigen Bildungen im Material sind älter; das heißt, sie fallen außer Betracht.

Sonstige präfix- oder suffixabgeleitete neue Wörter, auch solche, die außerhalb des Substantivierungskontextes stehen, waren im Material nicht auffindbar. Zwar gibt es z.B. im Untersuchungsort Seelbach einen FlurnamenFlurname Die Gestrout oder Die Gestrut, der womöglich auf eine Kollektivierung von nhd. Strut f. zurückgeht; es könnte sich, auch aufgrund des Genus, aber ursprünglich ebenfalls um ein KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum Ger-Strut gehandelt haben. Nhd. Strut f. ‚Sumpf, Gebüsch, Buschwald, Dickicht‘ ist als Appellativ im Laufe der Neuzeit ausgestorben (cf. DWB X, 147). Eine Kollektivierung desselben ist weder vor noch nach 1800 belegt. Unbelegt heißt nicht ‚nie dagewesen‘, aber es ist abwegig, dass sich im 19. Jahrhundert oder gar später ein Wort kollektiviert, das bereits abgegangen ist oder im Begriff ist abzugehen. Es bleibt somit festzuhalten, dass es unklare Streitfälle im Material gibt, die zwar rein theoretisch neu sein könnten, praktisch aber nicht ansatzweise im Verdacht stehen.

Eine wortbildnerische Sonderform im Material stellt der nur schwach belegte FlurnamentypFlurnamentyp Oma f. dar. Das Ausgangswort entwickelte sich im 19. Jahrhundert in der Kindersprache aus nhd. Großmama f. (vgl. Kluge/Seebold 2002: 667).

Nicht alle den Namen zugrundeliegenden Wörter basieren auf einem einzigen der vorgestellten Wortneubildungsmuster. In Fällen wie Grillhütte f. bzw. Grillplatz m. handelt es sich um neue nominale KompositaKompositum, die gleichzeitig auch mit einem neuen LehnwortLehnwort gebildet sind. Nhd. Grill m. ‚Gerät zum Rösten von Fleisch (u.a.); Bratrost‘ wurde im 20. Jahrhundert aus gleichbedeutendem englisch grill entlehnt (vgl. DUDEN IV, 1585; Kluge/Seebold 2002: 373).

3 Ergebnis1

Werden nun alle genannten Formen der Wortneubildung berücksichtigt und das Material nach darauf basierenden neuen Namentypen durchsucht, bleiben von insgesamt 355 Namentypen appellativischen Ursprungs ganze 25, die sicher neu sind oder zumindest im Verdacht stehen, neu zu sein. Ziemlich sicher oder sicher neu sind 18 Namentypen. Absolut sicher kann die Neuheit für 13 Namentypen bestätigt werden. Die Unsicherheiten rühren sämtlich von der Schwierigkeit her, das genaue Alter der zugrundeliegenden Wörter zu bestimmen: Unklar ist dieses bei (Rund)Ballenlager n.: Als dreigliedriges KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum wäre es zwar neu, tritt im Material aber gekürzt als Ballenlager (< nhd. Rundballen m. ‚maschinell in Zylinderform gepresster Heu-/Strohballen‘ + Lager n.) auf und könnte in dieser Form im 18. Jahrhundert theoretisch schon existiert haben. Ebenfalls als besonders unklar hervorzuheben ist das Alter von Brandweiher m.,2 zentralhessisch Kriem m. [(Wortbedeutung laut Gewährsperson etwa:) ‚unnützer Unsinn, Sonderheit‘], Schutzhütte f., Staatswald m., Waldrand m. und Zeltplatz m.

Wie bei den vorher genannten, wurden auch für Neubaugebiet n., Pumpstation f., Schwimmbad n., S-Kurve f. und zentralhessisch Wasserbasseng m. (n.) in den konsultierten Lexika weder alte Belege noch sonstige klärende Einträge gefunden. Im Unterschied zu Brandweiher m. usw. besteht aber hier die starke Vermutung, dass es sich bei den zugrundeliegenden Ausgangswörtern um neue handelt.

Sicher als neu konnten schließlich Aussiedlerhof m., Bahnhof m., Deponie f., Dschungel m., Grillhütte f./Grillplatz m., Klärwerk n., Lichtung f., Naturschutzgebiet n., Oma f., Ranch f., Sportplatz m., Streuobstwiese f. und Wasserhochbehälter m. identifiziert werden.


Sicher bis wahrscheinlich neu: 18vielleicht neu: 7
sicher neu: 13vermutlich/wohl neu: 5
BegründungDurch Wörterbücher und andere Quellen abgesichertAufgrund eigener sach- und sprachhistorischer Annahmen sind die Ausgangswörter neuAufgrund eigener Vermutungen ist eine Existenz der Ausgangswörter vor 1800 denkbar
Beispiel eines zugeordneten Flurnamen-typsZeltplatz m.: Beiden Kompositions-bestandteilen liegen seit langem im Deutschen existente Wörter zu Grunde und auch die Sache, den Zeltplatz als einen ‚Platz mit Zelten‘, gab es schon lange vor 1800.
RechercheAbgesichertVermutungen (Es wären hier Detailstudien nötig)

Abb. 1

Übersicht über die hier getroffenen Kategorisierungen „sicher neu“, „wohl neu“ und „vielleicht neu“ mit Angabe der Anzahl der zugeordneten Namen.

Gemessen an den insgesamt 355 ermittelten FlurnamentypenFlurnamentyp des Materials, die (zumeist sicher) auf Appellative, und nicht auf diverse Eigennamenklassen zurückgehen, sind 18–25 neue Namentypen ein erstaunlich geringer Wert. Zumal zwölf der oben genannten Typen lediglich durch jeweils einen Namen mit der Frequenz 1 (von 6) belegt sind. Sie gehören also zu den im Untersuchungsgebiet mündlich nur schwach belegten Namentypen. Noch extremer ist es im Fall von Aussiedlerhof m., der als einziger aller hier Genannten über einen rezenten amtlichen Beleg verfügt, dafür allerdings über gar keine mündlichen Nennungen.

An Namentypen, die durch Mehrfachfrequenz bzw. Mehrfachnennung verschiedener Namen besser abgesichert sind, bleiben also noch elf bis zwölf – was nicht heißt, dass die schwachfrequenten Typen nicht eigentlich ebenfalls stabile FlurnamenFlurname aufweisen. Es ist mit dem vorliegenden Material lediglich nicht zu beweisen. Dies gilt auch für Grillhütte f./Grillplatz m., Neubaugebiet n. und Wasserhochbehälter m. Die zugehörigen Flurnamen tauchen zwar jeweils in mehreren Orten auf, haben aber keine Mehrfachfrequenzen. Somit gibt es auf Basis der Untersuchung lediglich acht neue FlurnamentypenFlurnamentyp, die sich in einer oder mehreren Kommunikationsgemeinschaften des Untersuchungsgebietes bisher nachweislich durchgesetzt haben:

Der stabilste unter ihnen ist Sportplatz m., der in fünf Orten belegt ist und dessen Vertreter in Damm sogar die Höchstfrequenz 6 erreicht.3 Fußballplätze waren im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts in der Gegend sehr verbreitet. In drei der fünf Gemarkungen ist das namengebende Motiv bereits vollständig verschwunden. Es verwundert nicht, dass dieser FlurnamentypFlurnamentyp für Hessen bereits gut beschrieben ist (vgl. MHFB, s.v. Sportplatz; Vielsmeier 1995: 458). Ähnliches gilt für Bahnhof m. (vgl. ebd., s.v. Bahnhof; 53); hier für Damm (mit Frequenz 5) und schwach in Roßbach (mit unklarer Herkunft) belegt. Aufgrund seiner allgemeinen Bekanntheit im deutschsprachigen Raum (vgl. z.B. auch TGNB II/2, 48), kann dieser Flurnamentyp als ein Klassiker unter den neuen Flurnamentypen bezeichnet werden.

Ebenfalls hervorzuheben ist der FlurnamentypFlurnamentyp Wasserbasseng m., der hier nicht in die französische Schreibung normalisiert wurde, weil das zugrunde liegende Appellativ im Untersuchungsgebiet semantisch nicht mit nhd. Wasserbassin n. ‚Wasserbecken‘ (vgl. DUDEN X, 4436) gleichzusetzen ist. In den Orten Damm, Rollshausen und Seelbach wurde Wasserbasseng m. als Wort sowie als Name und in Roßbach zumindest als Wort nachgewiesen. Das Appellativ bezeichnet einen ‚Wasserhochbehälter für die Trinkwasserversorgung‘ oder zumindest einen ‚eingefassten Quellbrunnen in erhöhter Lage‘. Beide Anlagen haben zum Zweck, im tiefer gelegenen Dorf, einen gleichmäßigen Wasserdruck in den Leitungen zu ermöglichen. Seit wann das Wort in der Region genutzt wird, ist nicht bekannt. Zu vermuten wäre aber, dass es mit dem Bau der ersten Trinkwasserleitungssysteme zu Beginn des 20. Jahrhunderts4 gebräuchlich wurde. Das Appellativ ist in dieser Prägung (siehe vor allem die Wortbedeutung und das grammatische Geschlecht) meines Wissens unbeschrieben.

Als FlurnamentypFlurnamentyp scheint Wasserbasseng m. mit Belegen aus drei Orten auf den ersten Blick stark verbreitet – wenn auch nur im Ostteil des Untersuchungsgebietes. Auf Mehrfachfrequenz basiert der Namentyp lediglich in Damm, wo ein Alternativname Klee Wällje (vielleicht durch Zufall)5 nur eine Nennung aufweist. In Rollshausen und Seelbach ist Wasserbasseng m. schwach belegt. Hier ereignete sich nun das, was die behandelte Nameneinheit verdächtig macht, eben doch ein instabiler neuer Flurnamentyp zu sein. In Seelbach nannte eine Gewährsperson für die entsprechende Fläche einen FlurnamenFlurname Am Wasserhäuschen und in Rollshausen tauchte der Alternativname Wasserleidungsstick auf. Der Grund dieses Befundes ist leicht rekonstruierbar: Die namengebenden Motive für den Typ Wasserbasseng m., die Hochbehälter oder gefassten Quellbrunnen, gibt es in jedem Dorf – oft sogar mehrfach (entweder intakt und in Nutzung, verfallen oder intakt aber ungenutzt). In Seelbach kann der Alternativname nur von demselben Hochbehälter herrühren, der auch für Beim Wasserbasseng namengebend war. Wasserhaus ist als Wort für ‚gemauerte Wassersammler‘ in Hessen seit langem gebräuchlich (vgl. Hessische Flurnamen, s.v. das Wasserhaus; Vielsmeier 1995: 509–510). Im Westteil des Untersuchungsgebietes bezeichnet es heute (diminuiert) allerdings vor allem die Pumpwerke bei den Tiefbrunnen. In Rollshausen ist es mit Wasserleidungsstick nicht ganz so eindeutig, aber ähnlich: Die ehemalige Wasserleitung kommt vom längst verfallenen Wasserbasseng her. Es handelt sich hier also um Flurnamen, die allem Anschein nach noch stark an das namengebende Motiv und somit auch an die zugehörigen Appellative gebunden sind. Denn das sprachliche Zeichen variiert unter Anschauung des namengebenden Motivs. Dieser Untersuchung liegt die Annahme zu Grunde, dass dieses bei einem vollwertigen Flurnamen für die ReferenzReferenz keine Rolle mehr spielt; unabhängig davon, ob es sich noch am benannten Ort befindet oder nicht (vgl. Ramge 1985: 667). Marit Alas (2009: 78) bringt die Konsequenz dessen in dem Satz „The function of a place name is to identify, not to describe an object“, treffend auf den Punkt. Umso auffälliger ist es, dass die mittelhessischen Anlagen noch einen weiteren Namentypen bewirken. In Wilsbach und Roßbach taucht das nhd. Wasserhochbehälter m. in Flurnamen auf – bei gleichzeitigem Nachweis der Bekanntheit des Wortes Wasserbasseng m., zumindest in Roßbach. Ich vermute, dass die Namennutzer und Namennutzerinnen hier eher den gedanklichen Schritt über das namengebende Motiv machen (sei es nun intakt oder nicht) als z.B. bei Sportplatz m. Bezeichnend dafür ist die Nachfrage einer Gewährsperson nach der Nennung des Flurnamens Sportplatz: „War da mal ein Sportplatz?“ Bei Sportplatz-Flurnamen wird die appellativische Bezeichnungsvielfalt für das namengebende Motiv, die ähnlich hoch ist wie bei Wasserbasseng (z.B. Fußballplatz, Rasenplatz, Sportfeld, Spielfeld, (Bolzplatz) usw.) nicht übernommen. Es gibt keinen Alternativflurnamen *Fußballblatz.6

 

Die Gründe hierfür sind m.E. unklar. Es bleibt lediglich festzuhalten, dass die Vertreter bestimmter neuer FlurnamentypenFlurnamentyp über das namengebende Motiv und somit offenbar halbdeskriptiv funktionieren und andere nicht. Es ist nicht abzusehen, was passiert, wenn die ersten namengebenden Motive vollständig verschwunden sind. Eventuell könnte aber eine Entwicklung wie beim Flurnamentyp Eiche f. eintreten. Hier ist in sieben untersuchten aktuellen Fällen eine dauerhafte Bindung an das jeweilige namengebende Motiv der FlurnamenFlurname zu erkennen. Flurnamen vom Typ Eiche f. im Untersuchungsgebiet halten sich nur dort, wo auch Eichen (meist große Einzelbäume) stehen. Deren Nennungsfrequenz nimmt dort merklich ab, wo der Baum verschwunden ist (ein untersuchter Fall in Mudersbach: Bei de dick Aaich – Frequenz 1). Die Flurnamen verklingen offenbar im mündlichen Gebrauch, wenn die Erinnerung an den Baum verblasst ist (mutmaßlich eingetreten bei dem aktuell nur noch amtlich belegten Flurnamen Eichborn – 1782 EICH=BORN –7 in Damm). Es muss demnach abgewartet werden, bis der erste Wasserbasseng vollständig verschwindet und wohl auch die Erinnerung daran, um zu ergründen, ob es sich bei dem Flurnamentyp Wasserbasseng m. ebenso verhält.

Namentheoretisch ist hiermit eine einigermaßen provokante Position bezogen worden. Windberger-Heidenkummers (2001: 205, 314–320) aus umfangreichem steirischem Erhebungsmaterial gewonnene Erkenntnis, dass mit vielen Mikrotoponymen8Flurname nicht nur benannt, sondern auch gleichzeitig klassifiziert werde, ist anzuzweifeln. Dies entspräche grundsätzlich nicht dem Sinn des Entstehens von FlurnamenFlurname als Sprachzeichen, die referenziell auf die Individualisierung von Einermengen gerichtet sind. Es nützt diesbezüglich m.E. auch nichts, Sekundärinformationen über die Namen seitens der Gewährspersonen als Argument dafür anzuführen, dass Prädikationen jederzeit möglich sind, wie Windberger-Heidenkummer (ebd.: 320) dies tut. Denn intendierte Namenerhebungssituationen sind keine habituellen Flurnamennutzungen. Es gibt aber offenbar bestimmte FlurnamentypenFlurnamentyp deren Vertreter von der grundsätzlichen Bewegung der Namenwerdung vom Beschreibungsakt hin zu vollwertigen Flurnamen tendenziell abweichen und auf einem Zwischenstatus verharren. Neu ist daran, dass dies typabhängig zu sein scheint. Im Zentrum der Argumentation stehen hier die namengebenden Motive. Es bleibt zu vermuten, dass Eichen und Wasserhochbehälter nicht die einzigen sind, die solches bewirken können. Zur besseren Verifizierung dieses Phänomens müssten allerdings noch weitere solcher Flurnamentypen und auch mehr Beweise für die Genannten gefunden werden.

Neben den schon erwähnten neuen FlurnamentypenFlurnamentyp Sportplatz m., Bahnhof m. und Wasserbasseng m. gibt es im Untersuchungsgebiet noch die Flurnamentypen Ranch f. – von Vielsmeier (1995: 386) für Hessen schon beschrieben – und Schutzhütte f., die an zwei verschiedenen Orten vorkommen und mehrfachfrequent sind. Schutzhütte f. weist in Roßbach sogar eine Frequenz von 4 auf. Die Zweifel, dass es sich um ein junges Wort handelt, sind hier allerdings erheblich. Zwar wurde erkannt, dass ein vermeintlich zugehöriger hessischer Namenbeleg by der schutzin hutten von 1486 (vgl. Hessische FlurnamenFlurname, s.v. by der schutzin hutten) wohl ein mit einem Personennamen gebildeter Flurname ist; ein Beweis für geringes Wortalter ist dies jedoch nicht. Für Hessen war der Flurnamentyp bisher nicht beschrieben. Rezent ist er jedoch z.B. für die Innerschweiz gelistet (vgl. SZNB III, 168).

Mehrfachfrequenz von zugehörigen FlurnamenFlurname und das Vorkommen an mehreren Orten sind hier die Hauptargumente für die hinreichende Erfassung neuer FlurnamentypenFlurnamentyp (als übergeordnete, trägerunabhängige Beschreibungskategorien für Flurnamen, die auf neue Ausgangswörter zurückgehen).

Im Folgenden sind drei für Hessen bisher unbeschriebene neue FlurnamentypenFlurnamentyp mit Mehrfachfrequenz im Untersuchungsgebiet aufgeführt, die nur an einem Ort vorkommen:

Dschungel m. basiert auf dem FlurnamenFlurname De Dschungel in der Gemarkung Roßbach. Dieser bezeichnet hauptsächlich ein ausgedehntes Gestrüpp nahe der Gemarkungsgrenze zu Mudersbach. In das kaum zugängliche Gebiet ziehen sich mit Vorliebe Wildschweine zurück. Namengebendes Motiv ist also der dichte Bewuchs der Fläche; angelehnt an die Bedeutung ‚Dickicht‘, die nhd. Dschungel m. (< englisch jungle < hindi jangal) neben ‚tropischer Sumpfwald; Urwald‘ u.a. haben kann (vgl. DUDEN II, 875; Kluge/Seebold 2002: 218).

Bisher ebenfalls unbeschrieben ist Klärwerk n., dessen Beleglage jener von Dschungel m. gleicht. Auch unweit der Oom Klärwerk genannten Wiese nahe Damm-Etzelmühle ist das namengebende Motiv, eine Kläranlage, noch vorhanden. Nichts weist hier auf eine starke Bindung daran hin. Keine Gewährsperson produzierte beispielsweise Äußerungen wie *Bei de Kläranlahe oder *Klärwiss (in Analogie zu Wasserbasseng und Wasserhäusche).

Auch der FlurnamentypFlurnamentyp S-Kurve f. zählt zur erwähnten Dreiergruppe, wobei hier etwas unsicher anmutet, ob das zugrundeliegende Wort neu ist. Solche S-förmigen Straßenverläufe existierten auch schon vor 1800. Das Grundwort Kurve f. (entlehnt aus lateinisch curva) ist allerdings erst seit dem 18. Jahrhundert im DeutschenDeutsch bezeugt (vgl. Kluge/Seebold 2002: 549). Das KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum hätte somit sehr rasch entstehen müssen, um „noch alt“ zu sein.

Bei Staatswald m. – im Untersuchungsgebiet ebenfalls einmal mit Frequenz 2 belegt – gilt dies hingegen nicht. Im DeutschenDeutsch Textarchiv ist das Wort schon ab 1834 belegt (vgl. DWDS, s.v. Staatswald 21.04.2015). Vielsmeier (1995: 458), der den Namentyp nicht als KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum ansetzt, belegt einen FlurnamenFlurname Der Staatswald für die Wetterau schon für etwa 1860. Daher gilt Staatswald m. lediglich als „vielleicht neu“.

Zwölf der erhobenen neuen FlurnamentypenFlurnamentyp sind wie erwähnt schwach- bzw. einfachfrequent belegt und kommen im Untersuchungsgebiet zudem nur einmal vor. Darunter sind die angesprochenen Problemfälle Ballenlager n., Brandweiher m., Kriem m., Waldrand m. und Zeltplatz m., deren Wortgrundlage mutmaßlich alt ist, und auch Pumpstation f. und Schwimmbad n., deren Neuheit sich schwer beweisen lässt. Des Weiteren finden sich hierunter die meisten wortbildnerisch besonders interessanten Fälle, wie Deponie f., Lichtung f., Naturschutzgebiet n., Oma f. und Streuobstwiese f. Sie alle eint, dass sie – ausgenommen Brandweiher m. (vgl. Jung 1985: 29) – für Hessen bisher nicht beschrieben wurden.