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Wortbildung im Deutschen

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5.2 Zweiter Erklärungsansatz: rechts erweiterte/postdeterminierte Namen

Viele Namenkomposita im Untersuchungsmaterial sind drei-, selten auch mehrgliedrig, d.h. eines ihrer Elemente ist in sich schon komplex. Dabei ist es im Einzelfall schwierig zu entscheiden, ob ein Element als nichtonymisches KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum schon so fest gefügt (lexikalisiert) ist, dass es in Namenkomposita gar nicht mehr als komplexer Bestandteil, sondern als SimplexSimplex wahrgenommen wird (Kohler 1995: 115). Ein Beispiel dafür ist die


(36)Schuelhus-Matte.

Auf formaler Ebene lassen sich drei- und mehrgliedrige Zusammensetzungen unterscheiden in links- und rechtsverzweigte KompositaKompositum (Ortner et al. 1991: 15): Linksverzweigt sind Komposita mit komplexem linkem Element, an das rechts ein zusätzliches Wort angehängt wird (z.B. Naturholz-Fenster), rechtsverzweigtrechtsverzweigt solche mit komplexem rechtem Teil, an den links ein zusätzliches Element tritt (z.B. Marmor-Waschtisch). Insgesamt sind im Korpus von Ortner et al. (1991: 13) 11.8 % aller Substantivkomposita mindestens dreigliedrig, also sehr viel mehr als in der gesprochenen Alltagssprache. Linksverzweigte Komposita kommen bei Ortner et al. ungefähr dreimal so häufig vor wie rechtsverzweigte. Im vorliegenden toponymischen Korpus sind mehrgliedrige Komposita mit 771 von 7021 Namen oder 11.0 % ähnlich häufig. Von diesen sind 738 oder 95.7 % linksverzweigt wie


(37)Salzacher-Wald.

Nur 46 oder 6.0 % sind rechtsverzweigtrechtsverzweigt wie


(38)Sattel-Honegg.

(Abweichung von 100 % ergeben sich aufgrund von viergliedrigen Namen, für die eine Entscheidung nicht möglich ist).

Auf semantischer Ebene unterscheiden sich Determinativkomposita, bei denen ein Element das andere bestimmt, und Kopulativkomposita, bei denen kein solches Verhältnis feststellbar ist. 7/8 der (mehrheitlich zweigliedrigen) Substantivzusammensetzungen von Ortner et al. (1991: 112) folgen dem Typ des rechtsköpfigen Determinativkompositums, bei dem ein semantisch und syntaktisch untergeordnetes Bestimmungswort das Grundwort näher bestimmt bzw. modifiziert: Ein Waldtier ist natürlich kein ‚Wald‘, sondern ein ‚Tier‘, und zwar ein ‚Tier, das im Wald lebt‘, wobei das Element Wald betont wird, weil es die Spezifizierung anzeigt. Die umgekehrte Möglichkeit der LinksköpfigkeitLinksköpfigkeit bzw. PostdeterminationPostdetermination (Donalies 1999: 323) ist mit 0.2 % sehr viel seltener (Beispiel Jahrzéhnt ‚zehn Jahre‘, bezeichnenderweise mit Akzent auf dem hier rechts gelegenen Determinativelement). Demgegenüber stellt Donalies (1999) die Möglichkeit postdeterminierter KompositaKompositum grundsätzlich in Frage und zweifelt die entsprechende Argumentation von Ortner et al. (mittels Weglassprobe, Paraphrasierung und kontextueller Einbettung, aber ohne Hinweis auf die Akzentverhältnisse) an.

Von Interesse für die Akzentverhältnisse sind nun die linksverzweigten Toponyme. Ausgeschlossen werden KompositaKompositum, deren komplexes Element für sich allein nicht als Toponym stehen könnte.


(39)Der alpinistisch bekannte Früestücksplatz am Wildstrubel fällt also außer Betracht.

Dies ist allerdings schwer zu entscheiden; z.B. ist die metaphorische Übertragung von Körper- und Kleidungsstücken auf die Form von Landstücken geläufig.


(40)Es ist toponymisch also denkbar, dass anstelle des Hosebändelrieds nur der Name Hosebändel stünde.

Von der Betrachtung ebenfalls ausgeschlossen werden mehrgliedrige KompositaKompositum, wenn das komplexe Element nur eine mehrgliedrige Personenbezeichnung ist. Nicht mehr unterschieden wird hier nach der Bildungsweise des inneren KompositumsZusammensetzung (siehe auch Kompositum) mit Adjektiv oder Substantiv/Toponym/Personenname: Soweit eine FügungFügung mit Adjektiv zum komplexeren Teil eines erweiterten Kompositums wird, handelt es sich ja ohnehin um ein Substantiv.


(41)Der Breitstei-Acher mit dem inneren KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum Breitstei wird gleich behandelt wie die
(42)Rinderboden-Egg mit dem inneren KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum Rinderbode.

Ganze 621 oder 84.1 % der 738 entsprechenden Namen kommen auch in einer zweigliedrigen Form vor wie


(43)Soleggwald und Solegg.

Die meisten dreigliedrigen Namen sind also als echte Erweiterungen weniger komplexer Namen durch Anfügen eines zusätzlichen Elements rechts anzusehen (dagegen sind nur wenige dreigliedrige Namen Erweiterung mittels Erhöhung der Komplexität auf der linken Seite wie


(38)Honegg > Sattel-Honegg.

Eine Schwierigkeit bei diesen Namen besteht darin, dass die so angefügten Wörter teilweise eher fakultativen Charakter haben:


(44)Statt Schwarzwaldálp könnte man auch einfach Schwarzwald sagen; Schwarzwaldálp ist hier also weniger als Erweiterung denn als Verdeutlichung zu verstehen.

Tatsächlich dürften auch die meisten Namen, für die das nicht belegt ist, ursprünglich auch in einfacherer Form vorgekommen sein.


(45)Die Siechehusmátt bezieht sich mit Sicherheit auf ein einstiges Siechenhaus, auch wenn Belege für dieses fehlen.

Von den 738 linksverzweigten komplexen KompositaKompositum, komplexes sind 296 oder 40.1 % auf dem sekundären bzw. absoluten Endglied betont. Auch wenn das nur unwesentlich mehr sind als die oben angegebenen 32.8 % aller Namen im Korpus, sind diese Akzentverhälttnise auffällig: Möglicherweise handelt es sich bei den zusätzlichen rechten Elementen teilweise nicht um Grundwörter, sondern um untergeordnete Determinativelemente (Bestimmungswörter).


(46)Damit wäre der Tannschachebérg eher als ‚Teil des Tannschache, der ein Berg ist‘ zu verstehen denn als der ‚Berg, der beim Tannschache liegt‘.

Diese mögliche PostdeterminationPostdetermination entspräche der aus dem nichtonymischen Bereich bekannten Determination (Bach 1953 II/1: 48 spricht von Differenzierung) mittels Anfügen eines Elements links. Diese ist in der Toponymie mittels Adjektiven ebenfalls verbreitet:


(47)’Ober- und Níderschönègg in Burgistein sind als Erweiterungen eines vorauszusetzenden Namens *Schönégg zu verstehen.

Ein genauerer Blick soll das Bild verfeinern. Dabei muss das Untersuchungsmaterial noch einmal eingeschränkt werden: Es werden vorderhand nur noch Namen aus den Gemeinden der ehemaligen Amtsbezirke Trachselwald und Signau betrachtet, also des Hügel- und Vorgebirgslands im oberen und mittleren Emmental. Insgesamt umfasst die Sammlung dieser Gegend 553 Namenkomposita, wobei jetzt zwei- wie mehrgliedrige Toponyme einfließen. 229 der 553 Namen sind auf dem linken Glied der äußersten KompositionKomposition betont (41.4 %), 330 auf dem rechten (59.7 %). Es zeigt sich ein deutlicher regionaler Effekt: In dieser Gegend wird generell die Mehrheit der KompositaKompositum auf dem rechten Element betont!

Von diesen 553 Namen haben 201 oder 36.3 % ein linkes Element, das für sich allein kein Toponym sein kann, also das Determinativelement sein muss: einen Personennamen, ein Adjektiv oder ein offensichtlich nichttoponymisches Substantiv wie etwa einen Tiernamen. Beispiele sind


(48)Sunnsite und
(49)Chalthüttli:

Sunn(e) ‚Sonne‘ kann allein natürlich ebenso wenig Toponym sein wie chalt ‚kalt‘ (Idiotikon 1895 [Bd. 3]: 239–241; Idiotikon 1913 [Bd. 7]: 1091–1099; Ausnahmen bestehen bei Personennamen, die teilweise auch im SimplexSimplex als Toponyme verwendet werden, sowie Tiernamen, die als Namen von Berggipfeln vorkommen). Von diesen 201 Namen sind 123 oder 61.2 % auf dem linken Glied betont, 80 oder 39.8 % dagegen auf rechten. Die Mehrheit der Namen, deren Determinativelement eindeutig links liegt, hat also die vom nichtonymischen Wortschatz her bekannten Betonungsverhältnisse: Das determinierende Bestimmungswort wird betont. Das Grundwort, das allein ein Name sein könnte, scheint um dieses Bestimmungswort erweitert.

352 oder 63.7 % der 553 Namen haben dagegen ein linkes Element, das für sich allein stehen könnte wie


(50)Hübelischache, der auch in der einfacheren Variante Hübeli vorkommt, und
(5)Schwarzebachberg, der beim Schwarzebach liegt.

250 dieser Namen, das sind 71.0 %, sind auf dem rechten Element betont, 106 oder 30.1 % auf dem linken. Bei diesen Namen sind die Betonungsverhältnisse also weitgehend umgekehrt zu jenen der Namen, für die eine solche Kürzung nicht denkbar ist. Gliedert man diese 352 Namen nach zwei- und mehrgliedrigen KompositaKompositum auf, ergibt sich folgendes Bild: Von den 223 zweigliedrigen Namen sind 35.0 % (78 Namen) auf dem ersten und 65.0 % (145 Namen) auf dem zweiten Element betont. Von den 129 drei- und mehrgliedrigen sind noch 22.5 % (29 Namen) auf dem ersten und 81.4 % (105 Namen) auf dem zweiten Element betont. Das heißt, je komplexer das KompositumZusammensetzung (siehe auch Kompositum), dessen Erstglied allein als Toponym stehen könnte, desto wahrscheinlicher wird es auf dem rechten Teil des äußersten Kompositums betont.

 

Noch deutlicher wird das Bild für jene Namen, die tatsächlich auch in der Variante ohne das rechte Element belegt sind. Räumliche Nähe der beiden Varianten stellt sicher, dass tatsächlich ein Zusammenhang zwischen ihnen besteht. Dieses Kriterium kann in einzelnen Fällen weniger wichtig sein, etwa bei der


(51)Spittelmatte, die als Besitz eines Spittels natürlich auch entfernt von diesem einstigen Spital liegen kann.

Beispiele solcher sicherer Namenpaare sind


(52)der Rönnlewald bei der Rönnle und
(53)der Sädelgrabe beim Sädel.

Von 223 zweigliedrigen Toponymen sind 76 auch um das rechte Element gekürzt belegt. Das sind nur 34.1 % dieser 223 Namen. Nur in Ausnahmefällen tritt umgekehrt das Grundwort auch ohne Bestimmungwort auf:


(54)Die Riedmatt stellt sich zur Matt.

Anders dagegen bei den drei- und mehrgliedrigen Toponymen: Von den 129 linksverzweigten Namen ist die um das rechte Element gekürzte Variante nur für sechs nicht belegt. D.h. für 95.3 % der rechts erweiterten komplexen KompositaKompositum, komplexes ist die kürzere Variante aktuell belegt. Über zwei- und mehrgliedrige KompositaKompositum zusammen bilden 199 von 353 Namen Paare mit Namen, die um das rechte Element gekürzt sind. Diese 56.4 % der Namen, die offensichtlich echte Erweiterungen sind, rechtfertigen die Annahme, Grundwörter würden zur spezifizierenden Erweiterung an bestehende Namen angehängt.

Das Verhältnis zwischen der Erweiterung eines Simplexnamens um ein zusätzliches Element rechts und jener um ein Element links entspricht natürlich ganz und gar nicht dem nichtonymischen Verhältnis, das von Ortner et al. (1991: 112, s.o.) ja über alle (also Determinativ- wie Kopulativkomposita) mit 7/8 zu 0.2 % angegeben wird. Das ist aber auch nicht überraschend: Die meisten der Grundwörter, die hier vorkommen, sind so simpel, dass sie als alleinstehender Name ganz ohne Aussagekraft wären.


(55)Die Säfeneflue in Gsteig kann kaum eine Erweiterung eines Namens *Flue sein, weil dieses Appellativ mit der Bedeutung ‚Felswand‘ (Idiotikon 1881 [Bd. 1]: 1184–1186) in diesem alpinen Gebiet auf sehr viele Gebiete zuträfe und der Name damit seine Funktion der Individuierung verlöre; hingegen kann der Name eine Erweiterung des Namens Säfene sein.
(56)In der Rebbaugemeinde Ligerz sind an die 30 Namen mit dem Zweitelement Rëbe ‚Rebe‘ (Id. 1909 [Bd. 6]: 37–42) belegt; keiner von ihnen erfüllte ohne ein Erstglied seinen Zweck der individuierenden Identifizierung.

Auch wenn schon eingangs deutlich wurde, dass sich die Verhältnisse im Emmental vermutlich von jenen anderswo unterscheiden, machen die Zahlen deutlich: Rechts angefügte Elemente sind ein toponymisch verbreitetes Mittel, Namen zu erweitern und zu spezifizieren. Ebenso wie erweiternde Elemente zwecks Spezifizierung links eines Worts in nichtonymischen KompositaKompositum den Akzent anziehen (zum Bógenfenster gesellt sich das genauer bestimmte Spítzbogenfenster), sind es in der Toponymie tendenziell die erweiternden Elemente rechts.

Interessant sind nun die Akzentverhältnisse der Namen, die tatsächlich auch kürzer belegt sind. Von 76 zweigliedrigen Namen weisen 10 (13.2 %) den Akzent links auf, 66 (86.8 %) rechts. Von 149 zweigliedrigen Namen ist dagegen Kurzversion ohne rechtes Element belegt. Von diesen sind 70 (47.0 %) links betont, 79 (53.0 %) rechts. Von 123 dreigliedrigen Namen, die aktuell auch in kürzerer Variante belegt sind, weisen 25 (20.3 %) Akzent auf dem linken Element auf, 101 (82.1 %) auf dem rechten. Die Anzahl der Namen, die gekürzt nicht belegt sind, ist zu gering, um eine Aussage zu machen. Von allen 199 gekürzt belegten Namen tragen 35 (17.6 %) den Akzent auf dem linken Element, 167 (83.9 %) auf dem rechten.

Wird ein Namenkern um ein Element auf rechter Seite erweitert, um ihn von anderen Namen im gleichen Bereich abzugrenzen und zu spezifizieren, ist es naheliegend, die Betonung auf dieses unterscheidende Element zu legen. Häufig bilden sich um einen Kern ganze Cluster von Namen, deren gemeinsamer Kern links liegt. In manchen dieser toponymischen Gruppen ist der vorauszusetzende Kernname gar nicht belegt:


(57)Der Schlapbachwald und der daneben gelegene Ort Schlapbach setzen ein Simplextoponym *Schlatt voraus.
(58)Seiliacher und Seilimatte lassen eigentlich ein *Seili erwarten.

Einzelne Fälle lassen außerdem vermuten, dass das angefügte Grundwort nicht stabil ist, sondern seinen appellativen Charakter halbwegs bewahrt.


(59)So ist zu vermuten, dass Schneggenféld und Schneggenmátten in Utzenstorf denselben Bereich bezeichnen wie der nur historisch belegte Name Schneggenzelg.

Diese linguistische wie geografische Gruppenbildung oder Clusterung um einen Kernnamen tritt im nichtonymischen Wortschatz naturgemäß nicht auf. In diesem Clustern könnte tatsächlich die Markierung oder Determinierung im rechten Element stattfinden, d.h. diese Namen wären linksköpfig, wobei die toponomastisch ohne Rücksicht auf die semantische Struktur bzw. die Determinationsverhältnisse gebräuchlichen Bezeichnungen Grund- und Bestimmungswort dann durch linkes und rechtes Kompositionselement ersetzt werden müssten.


(60)Der Rindsbachgrábe wäre also tatsächlich zu verstehen als der ‚Teil des Rindsbachs, der ein Graben ist‘, nicht als der ‚Graben beim Rindsbach‘, und der Rindisbachwáld als der ‚Teil des Rindsbachs, der ein Wald ist‘,
(45)Siechehusmátt als ‚Teil des Siechenhausguts, das eine Wiese ist‘, nicht als ‚Wiese beim Siechenhaus‘ (Idiotikon 1901 [Bd. 4]: 548–549).

Durch die Interpretation der rechten Erweiterung als Determinativelement lässt sich der auffällige Unterschied zwischen toponymischem und nichtonymischem Sprachgebrauch verkleinern: Die beiden Bildungsweisen von Erweiterung unterscheiden wohl in der Position des untergeordneten Determinativelements (toponymisch LinksköpfigkeitLinksköpfigkeit, appellativisch Rechtsköpfigkeit), nicht aber darin, dass es den Hauptakzent trägt. Dieses Verständnis der Linksköpfigkeit beruht im Gegensatz zu jener etwa von Ortner et al. (1991) nicht primär auf einer inhaltlichen Interpretation der KompositaKompositum, sondern auf der Beobachtung der auffälligen Häufigkeit der Erweiterung bestehender Namen um ein rechtes Element und der Tatsache, dass diese zusätzlichen Wörter – wie für Determinationselemente üblich – den Hauptakzent tragen (was von Ortner et al. 1991 für ihr Korpus gar nicht thematisiert wird). Zumindest für den toponymischen Bereich ist also Donalies’ (1999) Ablehnung von postdeterminativen Komposita in Frage zu stellen.

Lehnt man dagegen die Interpretation dieser KompositaKompositum mit betontem rechtem Element als grundwortdeterminierte Komposita ab, wären die Akzentverhältnisse allenfalls als konstante Kontrastbetonung ((60) Rindisbachwáld ‚Wald beim Rindsbach‘ im Gegensatz zum Ríndsbach selbst und zum Rindsbachgrábe ‚Graben beim Rindsbach‘), was aber doch fraglich scheint.

Allerdings ist die RechtserweiterungRechtserweiterung als Determinativelement natürlich kein zwingendes Argument:


(61)Beispielsweise heißt eine Namengruppe Rindertal (ohne Angabe des Akzents), Rindertalgráetli, Ríndertalflöe, Rindertalchälen, also mit schwankendem Akzent, der nicht systematisch genutzt wird.
(62)Ähnliches gilt für Wallig [Wallegg, d.h. wohl Wállegg] mit den zugehörigen Namen Walégggrabe, Wáleggmad.

Noch anzumerken ist, dass toponymische Clusterung auch mittels Personenbezeichnungen stattfinden kann:


(63)Die Toponyme Hünigerberg, Hünigerschűrli und Hünigersúnnberg bezeichnen alle einstigen Besitz einer Familie Hünig(er).

Geografische Nähe der Namen ist in diesem Fall natürlich keine Bedingung.

5.3 Dritter Erklärungsansatz: Übertragung der Finalbetonung auf typisch toponymische Appellative/TopofixeTopofix

Manche Appellative kommen in Toponymen besonders häufig vor: Sie eignen sich gut, um Struktur oder Nutzung von Landstücken zu beschreiben. Entsprechende Namen sind oft ohne dieses Element genauso gut identifizierbar. So wird nicht unterschieden zwischen


(64)Schallersbaumacher und Schallersbaum, und
(65)der Schmidseggwald beim Hof Schmidsegg wird auch wie dieser nur Schmidsegg genannt.

Das Auftreten solch typisch toponymischer Appellative nimmt Benware (2012: 400–401) zum Anlass, sie als eigene Gruppe anzusprechen und sie statt wie in der ToponomastikToponomastik üblich Grundwörter „TopofixeTopofix“ zu nennen. Er weist anhand von Namen mit dem Zweitelement See in Brandenburg und solchen mit Berg in Oberösterreich nach, dass Topofixe regional standardmäßig den Akzent tragen können. Nübling (2005: 30) und Mangold (1995: 409) nennen daneben Siedlungsnamen auf -hausen, die den Hauptakzent auf dem Grundwort tragen.

Auch im Berner Untersuchungsgebiet gibt es Zweitglieder, die den Akzent geradezu anzuziehen scheinen. Warum wird Egg ‚spitzig vorstehende Anhöhe, vorspringendes Hügelende; dachähnlicher Ausläufer eines Bergs und darunter liegende Halde; langgestreckte Hochebene‘ (Idiotikon 1881 [Bd. 1]: 155–157; Zinsli 1946: 317) betont? 194 der Namen im Korpus weisen Egg als Letztelement eines zweigliedrigen oder eines linksverzweigten mehrgliedrigen KompositumsZusammensetzung (siehe auch Kompositum)Kompositum auf. Von diesen ist für 105 Namen eine Kürzung um das Element Egg denkbar und für 39 (37.1 %) tatsächlich belegt, nämlich für 22 von 86 zweigliedrigen Namen (25.5 %) und für 17 von 19 mehrgliedrige (89.5 %). Für die übrigen 89 Namen (45.9 %) ist eine um dieses Element gekürzte Variante ausgeschlossen, weil der Bestimmungsteil eine Personenbezeichnung, ein Tiername oder ein ganz untoponymisches Substantiv wie Sonne ist (vgl. oben):


(66)Das Windéggli liegt sicher nicht bei einem Ort namens *Wind.

Von den gesamthaft 194 Namen sind 91 (46.9 %) auf dem linken Element betont (80 oder 44.4 % der zweigliedrigen und 11 oder 8.8 % der mehrgliedrigen), 114 (58.8 %) auf dem rechten (100 oder 55.6 % der zweigliedrigen und 114 oder 91.2 % der mehrgliedrigen). Das sind deutlich mehr als die 40.1 % aller 738 linksverzweigten komplexen KompositaKompositum, komplexes (s. oben; wobei natürlich zu beachten ist, dass in jene Zahl nur mindestens dreigliedrige KompositaKompositum einflossen, hier aber auch zweigliedrige).

Ein Grund für diese von Namen mit anderen rechten Elementen abweichenden Akzentverhältnisse dürfte die schon im letzten Abschnitt behandelte Erweiterung auf der rechten Seite zwecks genauerer Bestimmung oder Spezifizierung sein. Egg eignet sich besonders, um bestehende Namen zu erweitern. Aber selbst von den 89 Namen, die ohne Egg nicht als Toponym stehen könnten (die also sicher keine Erweiterung sind), sind 55 (61.8 %) auf ebendiesem Wort betont, nur 39 (43.8 %) auf dem linken Element. Ein weiterer Grund für diese Akzentverhältnisse dürfte darin liegen, dass Egg häufig mit einem Adjektiv im Bestimmungswort in Form einer FügungFügung verbunden wird. 44 von 194 Egg-Namen sind mit Adjektiven gebildet (22.6 %), darunter die mehrfach belegten Namentypen

 

(47)Schön(en)egg und
(67)Rot(en)egg.

Im Vergleich dazu kommen Adjektivbildungen über alle 7021 Namen 702 mal vor, also nur mit 10.0 % Häufigkeit.

Es bleibt aber eine schwer zu erklärende Häufigkeit der Betonung auf diesem Namenelement. Es scheint denkbar, dass so typisch toponymische Appellative wie Egg (die außerhalb toponymischer Themen auch wenig Gebrauchsmöglichkeiten zeigen) durch eine Verallgemeinerung der Tendenz, sie im Fall einer spezifizierenden Erweiterung auf rechter Seite ebenso wie in der Adjektivfügung betont auszusprechen, mit der Zeit unabhängig von der tatsächlichen KompositionKomposition den Akzent anzuziehen begonnen haben. Dies stellt Benware (2012: 397) für seine Untersuchungsgebiete fest und erklärt es als Analogiebildung, die mit einer Desemantisierung des Elements in Verbindung steht, das letztlich nur noch als Toponymizitätsmarker diene (2012: 426).


(68)Nur so lässt sich z.B. der mehrfach belegte Name Sunnégg erklären.

Ähnliche Ergebnisse könnten sich auch ergeben beim Vergleich weiterer typisch toponymischer Appellative wie schweizerdeutsch Matt(e) ‚Wiese‘, Grabe(n), Bode(n) (Idiotikon 1885 [Bd. 2]: 678–680; Idiotikon 1901 [Bd. 4]: 548–549, 1020–1029). Dagegen gibt es auch typische Appellative, auf die das eindeutig nicht zutrifft. Die von Benware (2012: 426) konstatierte Grundwortbetonung von Berg trifft für Bern kaum zu. Dieses Grundwort weist hier häufig nur noch silbisches -r- statt voller Vokalisierung auf (Hentschel/Schneider/Blatter 2008: 221–224), vergleichbar dem von Kaufmann (1977: 67) konstatierten lautlichen Verfall typisch toponymischer Grundwörter, die nur noch die Funktion der Siedlungskennzeichnung haben (wie wie -heim > -om, -um, -em (Schwa), -en, -e).