Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens

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Die für Piesport angenommene äußerst umfangreiche Rebfläche bildete, einschließlich der benachbarten von Ferres und Müstert, wohl eine der größten zusammenhängenden Rebflächen nördlich der Alpen. Offenbar war Ausonius, als er bei seiner Reise von Bingen über den Hunsrück nach Trier um 370 n. Chr. gegenüber von Piesport das Moseltal erreichte, gerade beim Anblick dieser Rebflächen zu den schwärmerischen und viel interpretierten Versen (152 – 156) seiner »Mosella« verleitet worden, die hier in einer metrischen Übersetzung von Wolfgang Binsfeld wiedergeben werden:

Jetzt eröffn’ einen anderen Festzug

das Schauspiel der Reben,

und erfreue den schweifenden Blick

der Gabe des Bacchus:

dort wo die krönende Kuppe

in langem Zug überm Steilhang,

dort wo Felsen und sonniger Grat

in gewundenem Bogen

weinstockbesetzt sich erhebt,

ein natürlich entstand‘nes Theater.

Die Verse lassen wie die Lage der einzelnen Kelterhäuser erkennen, dass die Rebflächen in römischer Zeit primär in klimatisch begünstigten Steilhängen angelegt waren, wobei man sich wohl auch kleinerer Terrassen bediente. Das bedeutet, dass sich der Terrassenanbau nicht, wie von der mittelalterlichen Geschichtsforschung vermutet, erst im 11./​12. Jh. ausbreitete, sondern auf wesentlich ältere Traditionen zurückging.

Rebsorten

Erinnern wir uns an Columellas Rat, nicht gleichzeitig zur Reife gelangende Rebsorten zu pflanzen, ist ein Nebeneinander von Rot-und Weißwein wahrscheinlich. Da Rotweintrauben in der Regel früher geerntet wurden, konnte man Engpässe bei Erntearbeitern umgehen, aber auch Verluste bei später zur Reife gelangenden Sorten durch eventuelle Herbstfröste mindern. Anhaltspunkte für Rot- und Weißwein bieten auch erhaltene Farbreste an Steindenkmälern aus Lörsch und Neumagen.

Zu den Rebsorten selbst lassen sich derzeit noch keine präziseren Angaben machen, obwohl aus den meisten Kelterhäusern mitunter zahlreiche verkohlte Traubenkerne vorliegen. Sicher scheint jedoch, dass die Kerne vorwiegend zu Übergangsformen und nur in wenigen Fällen zu Wild- oder Kulturreben gehörten. Dies könnte bedeuten, dass bei der Anlage der Rebflächen auch weiterentwickelte einheimische Wildreben berücksichtigt wurden und der Import von Reben aus dem Mittelmeerraum nur eine untergeordnete Rolle spielte.

Weißwein dürfte jedoch dominiert haben. Dennoch lassen Kerne von Schwarzem Holunder, Kirschen, Brom- und Himbeeren sowie Schlehen in einigen Kelterhäusern auch an die Verarbeitung von Rotwein denken, da insbesondere der dunkelrote Saft vom Schwarzen Holunder wegen seiner Farbintensität dem Rotwein eine kräftigere Farbe verliehen haben dürfte. Ausnahmen bildeten die beiden großen Keltern von Piesport und Graach. Die Verarbeitung des Holundersaftes zu Holunderwein ist wegen seines geringen Zuckergehaltes für die Römerzeit jedoch auszuschließen, da man, um ihn genießbarer zu machen, relativ große Mengen an Honig benötigt hätte. Daher sollte der Saft nur als Schönungsmittel für den hiesigen Rotwein Verwendung gefunden haben. Zu erwägen wäre auch, ob nicht die Holunderbeeren zunächst getrocknet und erst danach der Rotweinmaische zugesetzt wurden. Möglicherweise hatte man dem Most oder Wein in beiden Erdener Kelteranlagen noch Hanf und in der großen Kelter von Piesport in geringen Mengen auch Mohn zugesetzt, vermutlich um die berauschende Wirkung des Weines zu verstärken.

Betreiber der Kelteranlagen

Die kleineren Kelterhäuser von Lösnich oder Noviand bildeten Nebengebäude von Gutshöfen. Sie sind daher wohl als private Anlagen zu sehen. Sie wiesen auch nur je ein Maische-, Press- und Mostbecken auf, sodass ein permanentes Keltern nicht möglich war. Außerdem lagen die zugehörigen Rebflächen nur teilweise in unmittelbarer Umgebung, in Lösnich sogar mehr als 1,5 km entfernt. Dagegen wurden die großen Kelteranlagen von Piesport, Brauneberg, Lieser, Graach oder Erden am Fuße steilerer Südhänge im Bereich von Weinbergen bester Qualität errichtet, ohne, dass im Umfeld weitere Gebäude nachgewiesen werden konnten. Sie waren reine Zweckbauten inmitten der zu bewirtschaftenden Fläche. Lediglich das Erdener Kelterhaus, das zweigeschossig war, bot vielleicht bescheidene Wohnmöglichkeiten für Arbeiter. Ihr Umfang und einige charakteristische Kleinfunde wie staatliche oder militärische Ziegelstempel und Beschlagteile von Gürteln höher gestellter Beamter oder Militärs ermöglichen es, diese Kelteranlagen primär staatlichen Betreibern zuzuordnen. Dafür spricht auch, dass sie wohl erst um 300 n. Chr., also mit der Verlegung der Kaiserresidenz nach Trier und der Errichtung der gallischen Präfektur, entstanden sind, nachdem zuvor in besseren Weinlagen kleinere Betriebe zu Domänen zusammengeführt worden waren. Insbesondere die östliche Brauneberger Kelter, jene von Müstert und Teile des Erdener Kelterhauses scheinen im 3. Jh. n. Chr. zunächst von privater Seite genutzt worden zu sein, ehe sie um 300 n. Chr. von staatlicher Seite übernommen, erweitert oder in größere Anlagen integriert wurden. Da die großen Kelteranlagen in unmittelbarer Nähe zur Mosel errichtet waren, konnte der dort erzeugte Most regelmäßig mit dem Schiff nach Trier in die Keller (horrea) des Kaiserhofes oder der Präfektur transportiert werden. Lediglich in Piesport, vielleicht auch in Erden und Graach, hatte man nachträglich Kellerräume zur Zwischenlagerung des Mostes bzw. des Weines errichtet. Den Beweis für eine kaiserliche Kellerei lieferte eine Sarkophaginschrift des späten 3. Jhs. n. Chr. aus Trier, die einen Verwalter der staatlichen Weine (praepositus vinorum) nennt. Wenn nach Columella sieben iugera (rund 1,77 Hektar) die Arbeitskraft eines Winzers verlangen, können die größeren Kelteranlagen kaum von privater Seite betrieben worden sein. Für Piesport mit einer Rebfläche von 76 Hektar wären, ebenso wie für Lieser, ständig mehr als 40 Arbeiter erforderlich gewesen, für Brauneberg und Erden etwa 15 – 20. Während der Erntezeit dürfte die Zahl der Arbeiter mindestens dreimal so hoch gewesen sein. Schon daher müssen wir an die Provinzverwaltung oder das Militär als Betreiber jener Domänen denken. Zumindest das Militär hatte ein eigenes Interesse daran, stand ihm doch in der Spätantike bei Kriegszügen pro Tag eine bestimmte Weinration, je nach Rang ein oder zwei sextarii, also gut ein halber oder ein ganzer Liter zu. Der Verwalter dieser Domänen residierte vielleicht gegenüber von Piesport im heutigen Ortsteil Niederemmel, in dem wohl nicht zufällig zwei weit über ihre Grenzen bekannte Fundstücke entdeckt wurden: das aus einem Glasblock in mühevoller Arbeit herausgeschliffene Diatretglas oder die um 316 n. Chr. zum zehnjährigen Regierungsjubiläum von Constantin I. angefertigte Goldfibel, die ihren Träger in das nähere Umfeld des Kaisers rückt.

Waren jene Weindomänen in staatlichem oder kaiserlichem Besitz, sind sie während der fränkischen Landnahme im 5. Jh. n. Chr. als Fiskalland wohl geschlossen in die Hände der fränkischen Könige übergegangen. Diese Tatsache könnte wiederum die umfangreichen kirchlichen Besitzungen in Piesport, Brauneberg, Graach und Erden erklären. In Piesport betrug der Anteil des geistlichen Besitzes sogar 56 % und erreichte damit den höchsten Anteil innerhalb des Trierer Kurstaates.

Zeitstellung der Kelteranlagen

Die bislang untersuchten Kelteranlagen datieren nach dem vorliegenden Fundmaterial vornehmlich ins 4. und in die erste Hälfte des 5. Jhs. n. Chr. Ältere Nutzungsspuren aus der Mitte bzw. der zweiten Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. liegen bisher nur aus der östlichen Anlage von Brauneberg, aus Erden und aus Piesport-Müstert vor, wobei letztere vielleicht schon um 200 n. Chr. entstanden ist und mehr als fünf Erweiterungen erfahren hat. Gerade dieses Beispiel lässt erkennen, dass ältere Spuren nur dann nachgewiesen werden konnten, wenn das Kelterhaus stärker gestört und bei Untersuchungen auf die Erhaltung der archäologischen Reste für eine Rekonstruktion keine Rücksicht zu nehmen war. Dies könnte insbesondere die Ergebnisse zur großen Piesporter Anlage beeinträchtigen, unter der sich durchaus noch ein älterer Vorgängerbau verbergen kann. Andererseits könnten sich auch viele ältere Holzkeltern oder Sack- bzw. Spindel- und Torsionspressen einer archäologischen Entdeckung entziehen, sodass wir heute nur die jüngeren, in Stein ausgebauten Kelteranlagen erfassen.

Trotz dieser Vorbehalte scheint der Weinbau im Moseltal erst nach der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. eine erste Blüte erreicht zu haben, worauf neben ikonographischen und literarischen neuerdings auch epigraphische Zeugnisse schließen lassen. Zudem wurde der Moselwein erstmals in dieser Zeit in größeren Mengen exportiert, wie Untersuchungen zu Augst, einer römischen Stadt in der Nordschweiz, ergaben, wo der Import römischer Weinamphoren aus Südgallien und Italien vor 280 n. Chr. vollkommen abbrach und der Wein stattdessen vermutlich in Fässern von der Mosel über den Rhein nach Augst gelangte (Martin-Kilcher, 1994). Spätestens um die Mitte des 5. Jhs. n. Chr. waren die Kelterhäuser mit ihren Einrichtungen größtenteils zerstört. Allerdings lassen vereinzelte Funde in Piesport, Brauneberg, Rachtig und Erden eine weitere Nutzung von Teilen der Ruinen vermuten, wobei an einfachere, archäologisch nicht fassbare Holzkeltern oder Torsionspressen zu denken ist. Spätestens im hohen Mittelalter wurde mit Erden der letzte dieser Plätze aufgegeben, obwohl die Mauerreste teilweise, wie in Piesport, Lieser und wohl auch in Brauneberg, noch bis ins 19. Jh. sichtbar waren und erst danach von Rebflächen überdeckt wurden.

 

Zusammenfassung

Nach den archäologischen Befunden erlebte der Weinbau im Moseltal und in der Pfalz erst während des 4. Jhs. n. Chr. seine erste Blüte. Inwieweit sich dabei die Maßnahmen Kaiser Probus’. (276 – 282 n. Chr.) auswirkten, wird man erst nach Untersuchung weiterer Kelteranlagen abschließend beurteilen können. Sicherlich wurde der Weinbau durch ein Edikt Kaiser Domitians (81 – 96 n. Chr.) an der Mosel und am Rhein keineswegs ausgerottet oder in seiner Entwicklung nennenswert behindert, wie die vorliegenden Steindenkmäler erkennen lassen. Dennoch sollte man viele der mit Weinbau in Verbindung gebrachten Denkmäler differenzierter betrachten. Eindeutig sind solche Darstellungen wie die eines traubenlesenden Winzers von der Luxemburger Mosel. Darstellungen einzelner Reben und Weinblätter oder traubenlesender Putti, nackte, geflügelte Knabengestalten, gehörten dagegen häufig zum Repertoire einer Steinmetzwerkstatt und bilden oft nichts anderes als gefällige Dekorationen. Ebenso zeigen die bekannten Neumagener Denkmäler primär den Weintransport oder -handel und bieten damit keinen direkten Anhaltspunkt für heimischen Weinbau. Unbestritten ist auch die in Trier seit der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. hergestellte »Weinkeramik« mit unterschiedlichen Trinksprüchen (Abb. 9).

Abb. 9: Ab der Mitte des 3. Jhs. n. Chr. wurden in Trier unterschiedliche mit Trinksprüchen versehene Gefäße, sog. Spruchbecher, hergestellt, die auf den Weingenuss Bezug nehmen und in den Rhein- und Donauprovinzen weite Verbreitung fanden.

Im 2. und 3. Jh. n. Chr. führte der Weinbau im Vergleich zur Spätantike sicher ein sehr viel bescheideneres Dasein. Darauf deutet wohl auch das erste schriftliche Zeugnis des Weinbaus an der Mosel, eine im Jahre 291 n. Chr. in Trier auf Kaiser Maximian gehaltene prunkvolle Lobrede Panegyricus: Ubi silvae fuere, iam seges est, metendo et vindemiando defecimus (»Wo einst Wälder waren, steht schon die Saat, Ernten und Weinlesen können wir nicht mehr bewältigen«). Bei allen propagandistischen Tendenzen, die solchen Lobreden zu Eigen sind, sollte jene für das Trierer Land so bedeutsame Aussage zum Zeitpunkt des Vortrages sicherlich schon auf einen wahren Kern zurückgegriffen haben.

Im frühen 5. Jh. n. Chr. scheinen die Rebflächen wohl infolge der sich damals häufenden Germaneneinfälle reduziert worden zu sein, was gerade die Grabungen in Erden zu erkennen gaben, wo die Pressvorrichtungen verkleinert wurden. Trotzdem wird der Weinbau im Moseltal keineswegs zum Erliegen gekommen sein. Sicherlich zeichnet Venantius Fortunatus als einer der letzten römischen Dichter der Spätantike und späterer Bischof von Poitiers gegen Ende des 6. Jhs. ein realistisches Bild, wenn er zwischen Trier und Kobern Hügel mit grünendem Weinlaub oder zahlreiche durch Marken begrenzte Weinberge beschrieb: Qua vineta iugo calvo sub monte comantur (»Wo Weinberge belaubt aufstreben zu kahlen Berghöhen«); damit dürfte der Calmont bei Bremm, Europas steilster Weinberg, gemeint sein. Auch in der Umgebung von Andernach sah er dichte Reihen von Weinstöcken. Zwar sind merowinger- oder karolingerzeitliche Funde, die für das Moseltal Weinbau belegen könnten, noch dürftig, doch wird diese Lücke überzeugend durch erste urkundliche Quellen überbrückt.

Literatur

K.-J. Gilles, Bacchus und Sucellus – 2.000 Jahre Weinkultur an Mosel und Rhein, Briedel 1999.

K.-J. Gilles, Drei neue Weinkeltern von der Mittelmosel, in: Archäologie in Rheinland-Pfalz 2005, S. 84–88.

J. P. Hegner, Die Klassifikation der Moselweine in alter und neuer Zeit, in: Trierische Chronik I, 1905, S. 83ff.

M. König, Spätrömische Kelteranlagen an Mosel und Rhein - Ein Beitrag zur Wein- und Landwirtschaftsgeschichte, s. dieser Band, S. 68–79.

S. Martin-Kilcher, Die römischen Amphoren aus Augst und Kaiseraugst, in: Forschungen in Augst 7/​2, 1994, S. 473–474.

L. Schwinden, Praepositus vinorum – ein kaiserlicher Weinverwalter im spätrömischen Trier, in: Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier 28, 1996 (= Kurtrierisches Jahrbuch 36), S. 49–60.


Spätrömische Kelteranlagen an Mosel und Rhein – Ein Beitrag zur Wein- und Landwirtschaftsgeschichte

Margarethe König

Ohne Zweifel steht der Konsum von Wein für Genuss und Lebensqualität und symbolisiert wie kaum ein anderes Getränk gleichermaßen Gesprächskultur, Geselligkeit, Lebensstil und Vertrautheit. Dass dieses Getränk eine enge Verbindung zu den Errungenschaften der römischen Kultur aufweist, stellt eine allgemein bekannte Erkenntnis dar. Bereits in vorrömischer Zeit importierten die keltischen Bewohner der Gebiete nördlich der Alpen das begehrte Gut. Entsprechende, handwerklich hochwertige Gefäße, z. B. Schnabelkannen, und bronzene Weinutensilien wie Siebe aus den sog. Fürstengräbern geben Zeugnis dieses Weinimports aus dem Süden. Man besorgte sich das kostbare alkoholische Getränk und konsumierte es, stellte es jedoch offensichtlich nicht selbst her. Der Frage, seit wann und in welchen Gebieten die Produktion von Wein in Mitteleuropa nach den römischen Eroberungszügen Eingang in die Lebensweise unserer Vorfahren fand, widmeten sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche archäologische und in deren Kontext botanische, sog. archäobotanische Untersuchungen. Erst kürzlich konnten WissenschaftlerInnen in einem interdisziplinären Projekt deutliche Hinweise für eine vorrömische Kultivierung von Reben im Kanton Wallis in der Schweiz finden.

Damals wie heute stellen die Weinproduktion und der Weinhandel einen wesentlichen ökonomischen Faktor dar. Die interdisziplinäre Beschäftigung mit diesem Thema erbrachte nicht nur Einblicke in die Herstellung und Behandlung von Wein, sondern beleuchtet ebenso interessante Aspekte der landwirtschaftlichen Produktion und Organisation. Diese erhellten v.a. die archäobotanischen Untersuchungsergebnisse zu den Kelteranlagen an Mosel und Rhein. Daher sollen sie Gegenstand der vorliegenden Abhandlung sein (vgl. auch den voranstehenden Beitrag von K.-J. Gilles S. 54–67).

Römische Kelterhäuser an Mosel und Rhein

Die Täler von Rhein und Mosel sowie deren Nebenflüsse bilden heute Zentren qualitativ hochwertiger und quantitativ beachtlicher Weinproduktion. Dass diese Tradition bis in die Antike zurückreicht, wissen wir seit den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine Vorstellung von der Dichte der spätantiken Kelteranlagen entlang der Mosel und daraus abgeleitet von der Intensität des damals betriebenen Weinanbaus erhalten wir seit den späten 80er-Jahren des 20. Jhs. durch archäologische Ausgrabungen der heutigen Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie in den Außenstellen Trier und Speyer.

In den vergangenen 30 Jahren fanden archäologische und archäobotanische Untersuchungen in insgesamt 13 römerzeitlichen Weinpressen statt. Zwölf dieser Keltern liegen im Kreis Bernkastel-Wittlich. Es handelt sich um die Anlagen von Brauneberg-West, Brauneberg-Ost, Erden-West, Erden-Ost, Graach, Lieser, Lösnich, Maring-Noviand, Piesport, Piesport-Müstert, Wolf und Zeltingen-Rachtig (s. den Beitrag von Gilles zur Lage s. Karte S. 56). Zehn der genannten Keltergebäude stellen großzügig dimensionierte Einrichtungen rein funktionalen Charakters dar, wobei die beiden Weinpressen in Brauneberg spiegelbildlich angelegt und zeitlich überlappend in Benutzung waren. Auch in Erden haben die Pressanlagen nur einen Abstand von 40 m und wurden ebenfalls im fast gleichen Zeitraum genutzt. Alle Großkeltern weisen keinen integralen Bezug zu einer Siedlung auf und liegen am Fuß von meist steilen Hängen. Nur die Kelterhäuser in Lösnich und Maring-Noviand sowie in Bad Dürkheim-Ungstein, Kreis Bad Dürkheim, bilden Ökonomiegebäude einer villa rustica und sind daher in der Ausdehnung der Wirtschaftsfläche entsprechend kleiner angelegt.

Datiert werden die Anlagen in den Zeitraum ab der Mitte des 3. Jhs. bis zur Mitte des 5. Jhs. n. Chr., wobei ein Schwerpunkt ab dem dritten Viertel des 3. Jhs. und im 4. Jh. n. Chr. zu erkennen ist. Mehrere Großeinrichtungen weisen über die für den Keltervorgang notwendigen Bereiche hinaus weitere Räume auf, die wohl für Lager- und Speichermöglichkeiten genutzt wurden, möglicherweise auch für die Weiterbehandlung von Wein, wie es vorhandene Rauchkammern (Fumarien), in denen der Wein durch die Zuführung von Rauch »vorzeitig gealtert« wurde, andeuten. In der Einrichtung von Erden-West geben nachgewiesene Mauerabsätze und Balkenlager Anlass, ein oberes Stockwerk anzunehmen, in dem neben Lager- und Speicherräumen auch Wohnräume vermutet werden.

Archäobotanische Funde:

Traubenkerne, Getreide und Hanf

Die meisten der Anlagen konnten grabungsbegleitend archäobotanisch beprobt werden. Nur in der Kelter von Maring-Noviand entnahm man keine Sedimentproben für archäobotanische Untersuchungen, weil zum Ausgrabungszeitpunkt kein Fachpersonal zur Verfügung stand. In den Kelterhäusern von Lösnich und Piesport gab es die Gelegenheit, nach Abschluss der archäologischen Analysen aus Originalschichten Sedimentproben zu entnehmen. An den übrigen genannten Ausgrabungsplätzen bargen die Archäologen Sedimentmaterial mit Volumina zwischen 0,5 l und 27,5 l mit 4 – 16 Sedimentproben pro Grabungsstelle. Alle bearbeiteten Erdproben stammen aus dem unmittelbaren Bereich der Kelterbecken.

Die meisten Pflanzenfunde liegen in verkohltem Zustand vor; in Graach treten auch mineralisierte Relikte auf. Vermutlich wurden die Pflanzenreste bei der Zerstörung der Gebäude durch Brand karbonisiert. Diese Annahme wird durch die Belege von Holzkohle untermauert.

In allen grabungsbegleitend archäobotanisch untersuchten Kelteranlagen kamen im Kontext einer traubenverarbeitenden Installation Traubenkerne (Vitis vinifera), deren Fragmente, und in einigen auch Beerenstielchen (Abb. 1) zum Vorschein. Letztere können als Hinweis auf frische Beeren oder Trauben angesehen werden, da Rosinen diese durch ihren Trocknungsgrad sehr leicht verlieren. In den Keltern von Piesport und Lösnich, in denen nach Abschluss der Grabungsarbeiten aus originalen Schichten Proben entnommen und erforscht wurden, erbrachten die Pflanzenanalysen ebenfalls Traubenkerne und ihre Fragmente, im Fall von Lösnich sogar die Belege von zwei weiteren Nahrungspflanzen.

Abb. 1: Funde von Traubenkernen, Walnussschalenfragmenten und Beerenstielchen (o.r.) aus der Kelter von Lieser/​Mosel.

Die Anwesenheit von Kernen, Fragmenten und Beerenstielchen der Weinrebe in einem Keltergebäude kann man, selbst wenn von einer sorgfältigen Reinigung der Becken und des Beckenumfeldes auszugehen ist, erwarten. Insofern sind diese Pflanzenfunde wenig spektakulär. In allen Anlagen, in denen während der Grabungsarbeiten Sedimentproben entnommen wurden, fanden sich weitere Pflanzenreste, die hier vorgestellt und einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Entsprechend sind in der Folge Piesport, Lösnich und Maring-Noviand nicht in alle Überlegungen miteinbezogen. Die beiden zuletzt genannten zählen als Ökonomiebereiche eines römischen Gutshofs ohnehin nicht zu den Großanlagen, um die es hier v.a. gehen soll. An allen neun Grabungsplätzen kamen neben den Vitis-Belegen immer Getreide und Sammelpflanzen zum Vorschein. Bei der zuerst genannten Kategorie handelt es sich um eine oder bis zu sechs verschiedene Arten: Gerste (Hordeum vulgare), Dinkel (Triticum spelta), Emmer (cf. Triticum dicoccum), Roggen (Secale cereale), Echte Hirse (Panicum miliaceum) und Kolbenhirse (Setaria italica). Einige Relikte zählen zu den Unbestimmten Getreiden (Cerealia indeterminata). Das Spektrum der Sammelpflanzen umfasst Himbeere (Rubus idaeus; Abb. 2), Brombeere (Rubus fruticosus), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra), Trauben-Holunder (Sambucus racemosa), Zwerg-Holunder (Sambucus ebulus), Schlehe (Prunus spinosa) und Hasel (Corylus avellana; Abb. 4). Kultivierte Hülsenfrüchte treten in sechs der untersuchten Keltergebäude auf: wohl Erbse (cf. Pisum sativum), Ackerbohne (Vicia faba), Linse (Lens culinaris) und Unbestimmte kultivierte Hülsenfrüchte (Leguminosae sativae indeterminatae). Ölliefernde Kulturpflanzen kommen mit Hanf (Cannabis sativa) und Lein (Linum usitatissimum) in drei Fundkontexten vor. Neben den gesammelten sind auch kultivierte Obstarten zu verzeichnen. In vier Keltern blieben Apfel und/​oder Birne (Malus/Pyrus spec.) erhalten, die aufgrund der entwickelten Gartenkultur als angebaute Form angesehen werden können, sowie Süßkirsche (Prunus avium) und Pfirsich (Prunus persica). Etwas häufiger ist die kultivierte Walnuss (Juglans regia) nachgewiesen (Abb. 3). Ihre Zeugnisse finden sich an fünf Grabungsplätzen. Außer diesen Nahrungspflanzen lässt sich ein breites Spektrum an Arten der synanthropen, also Arten, die sich an den menschlichen Siedlungsbereich angepasst haben, Vegetation beobachten. Es handelt sich v.a. um Kulturbegleiter der Getreide- und Hackfruchtäcker, die wohl mit den Feldfrüchten in die Gebäude eingebracht wurden. Darüber hinaus treten Arten von Mähwiesen- und Weidegesellschaften, von Stickstoff und Tritt anzeigenden Unkrautgesellschaften, von feuchten, trockenen und kalkhaltigen Standorten auf. Nachweise von Hainbuche (Carpinus betulus) und Eiche (Quercus spec.) belegen zwei Baumarten.

 

Abb. 2: Himbeerstrauch mit reifen Früchten.

Abb. 3: Detail eines Walnussbaums mit Früchten.

Abb. 4: Detail eines Haselstrauches mit Früchten.

Die Auswertung der archäobotanischen Befunde

Bei der Betrachtung des ermittelten Pflanzenspektrums stellt sich die Frage, was dieses in Zusammenhang mit einer Weinpresseinrichtung bedeutet. Die genannten Kultur-, Sammel- und Unkrautarten entsprechen weitgehend den zeitlich und örtlich üblichen. Die jeweilige Kombination der Pflanzenfunde in den verschiedenen Anlagen differiert und es gibt bis auf eine Ausnahme keine dominierende Art. Herausragend ist allerdings der Fund von Hanf (Cannabis sativa), der sich auf die beiden Keltern von Erden beschränkt (Abb. 5). Das Vorkommen von mehr als 5.000 Hanffrüchten ist als bemerkenswert zahlreich einzuordnen. Eine zweite Öl- und Faserpflanze ist mit Lein nur in einer weiteren Weinpresse festzustellen, was durch den hohen Ölgehalt der Samen oder Früchte bedingt sein kann. Die Chance, in archäobotanischem Kontext bestimmbare Vertreter von Ölpflanzen zu bergen, ist nicht besonders groß. Hülsenfrüchte sind in archäobotanischen Untersuchungen im Allgemeinen ebenfalls eher unterrepräsentiert.

Abb. 5: Früchte von Hanf aus der Kelter von Erden-West/​Mosel.

Kultiviert oder wild – rot oder weiß?

In Zusammenhang mit den Funden von antiken Kernen der Weinrebe beschäftigt stets auch die Frage nach dem Entwicklungsstand der Reben. Durch Messungen versuchte man Kultur-, Zwischen- und Wildform zu unterscheiden. Nach den Untersuchungsergebnissen von Stummer (1911) bilden die Breiten-Längen-Indices (B/​L X 100) rezenter Kerne den Beurteilungsmaßstab. Auf die Problematik der Zuordnung fossiler Kerne nach den Stummer’schen Vorgaben hat insbesondere Kroll (1983, 1999) hingewiesen. Die Anwendung auf verkohltes Material, das in der Länge verkürzt vorliegt, liefert höhere Breiten-Längen-Indices als sie bei demselben unverkohlten lägen. Einen wesentlich zuverlässigeren Hinweis auf kultivierte Reben stellt das Vorkommen von sehr kleinen, unterentwickelten oder kaum entwickelten Traubenkernen dar, wie dies Kroll (1999) ausgeführt hat (Abb. 6). Darüber hinaus deutet der Fund von Vitis-Pollen um 150 n. Chr. in Trier auf die Anwesenheit von kultivierten Reben und damit auf die Weinproduktion hin. Man kann zwar den Pollen von wilder und kultivierter Rebe nicht unterscheiden; da aber im Moseltal die Wild-Rebe (Vitis sylvestris) nicht vorkommt, ist das Auftreten von Vitis-Pollen eindeutig der kultivierten Rebe zuzuordnen.

Abb. 6: Verkohlte Traubenkerne aus der Kelter von Piesport-Müstert/​Mosel. Rechts unten ein kleiner, unterentwickelter Traubenkern.

Die Frage nach den antiken Weinsorten sorgt immer wieder für Diskussionsstoff. Das Vorkommen von Holunder, Kirsche, Brombeere und Schlehe im Kontext einer Kelteranlage führte zu der Überlegung, ob hier möglicherweise der Anbau von Rotwein betrieben wurde. Da bis in die heutige Zeit in manchen Gegenden der sehr dunkle, herbe Saft der Zwerg-Holunderfrüchte zur Farbverbesserung von Wein dient, besteht die Möglichkeit, die Holunderkerne als Relikte dieses Vorgangs zu interpretieren. Ähnliches könnte für die genannten rotfrüchtigen Obstarten gelten. Allerdings sei hier deutlich festgestellt, dass das Vorhandensein von Holunderkernen innerhalb einer Kelter einen Hinweis, aber keinen Beleg für Rotweinanbau darstellen kann.

Das Vorliegen von verschiedenen Rebsorten in der Antike kann dennoch nicht ohne Weiteres von der Hand gewiesen werden. Jedoch erweist sich das Fassen von »Sorten« aus verschiedenen Gründen als schwierig. Zunächst stellt sich die Frage, ob es Sorten im heutigen Sinn gab. Der Begriff »Sorte« in Verbindung mit Kulturpflanzen stellt eine Bezeichnung aus der Pflanzenzüchtung dar und unterscheidet Varianten einer Pflanzenart. Sorten entstehen im Laufe einer langen Züchtungsgeschichte und heben sich durch bestimmte Eigenschaften wie Größe, Färbung, Musterung, Ertrag u. a. von einer anderen Sorte bzw. anderen Sorten derselben Pflanzenart ab. Ursprünglich entwickelte der Mensch die Kulturpflanze durch Auslese und Kultivierung aus der entsprechenden Wildpflanze, griff aber nicht direkt in die Ausprägung des Genotyps einer Pflanzenart ein. Bei einer Sorte veränderte der Mensch mit züchterischen Methoden den ursprünglichen Genotyp einer Kulturpflanze, um erwünschte Eigenschaften zu erzielen. Im Zusammenhang mit der Rebpflanzenzüchtung entstand eine Vielzahl von Rebsorten, die sich in ihren Charakteristika unabhängig von Boden, Klima und Behandlung grundlegend unterscheiden.

Die Pflanzengattung Vitis, Rebe, gehört zur 700 Arten umfassenden Familie der Weinrebengewächse, der Vitaceae. Sowohl Laubblätter als auch Beeren weisen eine bemerkenswerte Vielgestaltigkeit auf. Daher zählen auch zur Kulturrebe eine große Anzahl von Formen.

Die römischen agrarkundigen Schriftsteller Cato, Varro, Columella und Plinius vermitteln Beschreibungen verschiedener »Rebsorten« und geben Empfehlungen zu ihrer Behandlung. Bei Cato wird der Zusammenhang zwischen der Wahl der Rebsorte und den Boden- und Klimaverhältnissen deutlich. Durch unterschiedliche Bezeichnungen der Reben charakterisiert er darüber hinaus die Wein- und die Tafeltraubenproduktion. Für letztere führt er die notwendigen Maßnahmen zu deren Konservierung aus. Offensichtlich weisen die jeweiligen »Rebsorten« markante Eigenschaften auf, die sie als Wein- oder Tafeltrauben prädestinieren.

Varro unterscheidet zum einen geographisch abgrenzbare Bereiche, die sich durch verschiedene Stützverfahren auszeichnen. Konkrete Angaben in Bezug auf die Wahl von »Rebsorten« macht Varro für bestimmte Bodentypen. Ebenfalls beeinflussen nach seinen Ausführungen die klimatischen Verhältnisse die Auswahl der Reben. Auch dieser Autor unterscheidet Wein- und Tafeltrauben und gibt für die Letztgenannten verschiedene Konservierungsmethoden für die frischen Früchte an. Den Lesezeitpunkt sieht er in Abhängigkeit von der »Traubensorte« und der Exposition des Weinbergs.

Columellas Bücher über die Landwirtschaft enthalten zahlreiche, in ihrer Detailgenauigkeit beeindruckende Aussagen zur Anlage von Weinpflanzungen, zu deren Pflege und Kultivierung, zur Bedeutung und zum Einfluss von Bodenqualität, Exposition und Klima auf den Rebenbestand, aber auch an verschiedenen Stellen zu »Weinsorten«. Nach Columella hat jede Gegend ihre »Rebsorten«, die nach »örtlicher Gewohnheit« bezeichnet werden, wobei Züchtungen mit Wechsel des Ortes auch den Namen verändern und ihre Qualität verlieren können. Aus diesen Angaben lassen sich zwei Informationen ziehen. Die Aussage Columellas legt die Vermutung nahe, dass durch Züchtung verschiedene Rebsorten entstanden waren. Gleichermaßen ist jedoch bei der Beschäftigung mit antiken Rebsorten Vorsicht geboten, denn offensichtlich kann sich hinter zwei verschiedenen Bezeichnungen die gleiche »Sorte« verbergen. Columella nennt neben Böden und Kleinklimata das Relief eines Gebietes, das die Auswahl der Reben mitbestimmt. Bei seinen Empfehlungen für eine Auswahl führt Columella keine Bezeichnungen an. Dies kann verschiedene Gründe haben. Einerseits entsprach möglicherweise die Zuordnung dieser Eigenschaften zu entsprechenden Rebsorten allgemeingültigen, verbreiteten agrarischen Kenntnissen, sodass es nicht erforderlich war, die konkreten Namen anzugeben. Andererseits könnte dies auch wegen der hohen Anzahl von Bezeichnungen, die sich lokal jeweils unterscheiden können, unterblieben sein. Auch Columella unterscheidet zwischen Trauben zur Frischobst- und zur Weingewinnung.

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