Wie heute predigen?

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

5.Keine Predigt ohne Emotion!

Der Altmeister evangelischer Predigtlehre, Rudolf Bohren, beschreibt in seiner Predigtlehre die Freude am Predigen als eine seiner Leidenschaften:

„Vier Dinge tue ich leidenschaftlich gerne: das Aquarellmalen, das Skilaufen, das Bäumefällen und das Predigen … Predigen ist schön, es macht Freude. Das ist das erste, was in einer Predigtlehre zu lehren ist.“50

Predigen als Leidenschaft ist zwar noch keine Garantie dafür, dass die Predigt gelingt; die persönliche Freude und Begeisterung an der Verkündigung eröffnen aber jedenfalls leichter jene Räume der Kommunikation, wo bei Zuhörenden nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz angerührt, bewegt wird. Erkenntnis (Verstand) und Gefühl gehören ja in einem ganzheitlichen Verständnis des Menschen untrennbar zusammen.

Die Analyse der klassischen Rhetorik hat gezeigt, dass Emotionen einen wesentlichen Aspekt der Kommunikation ausmachen; zugleich wird damit aber auch deutlich, dass sie nicht instrumentalisiert werden dürfen, um eigene Ziele zu erreichen. Vielmehr gehört es zur Authentizität der PredigerInnen, mit den eigenen und fremden Emotionen nicht zu spielen.

„Im Blick auf den pathos muss der Prediger eine ‚emotionale Garantie‘ gewährleisten, er oder sie hat für die Echtheit von Gefühlen und Appellen an das Gewissen einzustehen.“51

In ähnlicher Weise betont Klaus Müller die Bedeutung der Emotionalität als „viertes Instrument“52 der Redekunst, warnt aber zugleich davor, sie gewissermaßen „anlernen“ zu wollen und zu intensiv einzusetzen. „Eine Überbeanspruchung emotionaler Mittel verunklart die Sache und manipuliert die Hörer“53.

Keine Predigt kommt ohne Emotionen aus – nur wird es in manchen expliziter, in manchen impliziter erfolgen. Eine neuere Form, Emotionen explizit zum Thema zu machen und auch zu versprachlichen, ist der Bibliolog. Dort sind die „unterschiedlichen Rolleninszenierungen, -phantasien, -imaginationen das zentrale Experimentierfeld. Die körperlich wahrnehmbaren Gefühle und Gedanken rücken ins Zentrum und können verbalisiert werden.“54

Vor allem das Einbringen von (persönlichen) Erfahrungen und Betroffenheiten, das Erzählen von Erlebnissen ist ein Weg, Emotionen auszudrücken und anzusprechen. Alois Schwarz geht in seiner Homiletik von der „persönlichen Betroffenheit vom Wort Gottes“55 aus, sieht aber auch die Bedeutung der persönlichen Erfahrungen, denn gerade „Erlebnisse und Erfahrungen bewirken emotionale Betroffenheit“56.

„Wenn der Prediger ein persönliches Erlebnis erzählt oder von den Erfahrungen seiner Hörer spricht, wird er viele ansprechen und aufhorchen lassen. … Wer das Gefühl, die Stimmung, das ‚Herz‘ der Zuhörer anspricht, wirkt mit seinen Worten viel bestimmender. Der Prediger soll den Menschen in seinem Innersten treffen, ohne daß er ‚rührselig‘ oder zu ‚gefühlsbetont‘ seine Aussagen verdeutlicht.“57

Predigt hat Zeugnischarakter – und damit ist Predigt herausgefordert, Glauben und Leben (mit all seinen Facetten) zu thematisieren und zu verbinden.

„Damit Menschen vom Evangelium angesprochen und zur Metanoia bewogen werden, reicht das empathische Einbringen von menschlicher Erfahrung so wenig zur Verkündigung aus wie das bloße Repetieren von Glaubenssätzen. Es kommt auf die gelungene Korrelation von Glaube und Leben, von Botschaft und Situation an.“58

Predigt als Zeugnis nimmt die PredigerInnen in Pflicht, „persönlich zu predigen“,59 nicht „über“ das Wort Gottes zu reden, sondern davon, was einen selbst betroffen hat und betroffen gemacht hat.

„Jede Predigt im Gottesdienst der Kirche muß ein persönliches Bezeugen dessen sein, wovon der Prediger spricht. Dabei richtet der Zeuge zunächst die Aufmerksamkeit auf sich selbst und auf das, was er verkündet.“60

Unter den vielen Emotionen, die das Leben bestimmen, ist die Freude hinsichtlich der Verkündigung des Evangeliums zentral – und wo sie fehlt oder nicht spürbar wird, hat es auch die „frohe Botschaft“ nicht leicht. „Der fehlende Raum für die Freude ist nicht nur ein homiletisches und kirchliches Problem, sondern eines der gegenwärtigen Theologie. Sie vermag nicht den Indikativ darzustellen, sondern bleibt oft … beim Imperativ stehen.“61 Verkündigung des Evangeliums ist wie die Seelsorge zuallererst eine Zusage, kein Appell: Die Zusage des Heils, der Gegenwart und Liebe Gottes. „Predigt ist also das gottesdienstliche Zeugnis, daß sich die Verheißungen Gottes in Jesus erfüllt haben.“62

Axel Denecke bringt den häufig vorfindbaren Widerspruch zwischen dem Anspruch des Evangeliums und der konkreten Haltung bei Predigten unnachahmlich zum Ausdruck:

„Jeder von uns … kennt das schöne Beispiel, daß der Prediger auf der Kanzel sagt: ‚Christen sind – von Christus dem Gesetz entrissen – befreite und fröhliche Menschen.‘ Und die Stimme des Predigers, sein ganzer Habitus, sagt das Gegenteil. Melancholie, Wehmut, Trauer liegen in der Stimme und im Aussehen des Predigers der Fröhlichkeit. Verkrampfte Hände, herunterhängende Schultern, aufs Manuskript gesenkter oder ins Nichts zwischen Orgelempore und Kronleuchter enteilender Blick. Nietzsches bis zum Überdruß zitierte Feststellung, die Christen müßten erlöster aussehen, damit ihre Botschaft von der Erlösung tatsächlich glaubwürdig sei, hat hier ihren Platz; immer noch, immer wieder neu.“63

Die HörerInnen reagieren eben nicht nur auf den Inhalt, auf das gesprochene Wort, sondern auf die ganze Person der Predigenden. „Der anschaulichste Teil der Predigt bin ich selbst.“64

Freude an der Verkündigung zu haben bedeutet nicht, nur fröhlich zu predigen. Die „frohe Botschaft“, das „Eu-Angelion“, ist auch die Botschaft der Umkehr, des Kampfes gegen die Sünde und gegen die Dämonen, der Selbstzweifel, des Ringens um die eigene Sendung und um das Verstehen eines Gottes, der seinen eigenen Sohn opfert „für uns Menschen und zu unserem Heil“ (großes Glaubensbekenntnis). Aber Verkündigung geht nicht ohne Emotionen – und zwar sowohl auf Seiten der VerkündigerInnen als auch auf Seiten derer, denen verkündigt wird.

Predigt hat deshalb mit Emotion zu tun, weil sie keine wissenschaftliche Abhandlung und keine Katechese ist, sondern Zeugnis dessen, der/die anhand der Heiligen Schrift vom eigenen Glauben, von der eigenen Betroffenheit, von den eigenen Erfahrungen spricht. Denn auch das Evangelium ist nicht eine Lehrschrift, keine Chronik historischer Ereignisse, „sondern Zeugnis, das zum Zeugnis anstiften und Zeugen erwecken will“65.

Literatur

Allhoff, Dieter -W. / Allhoff Waltraud, Rhetorik und Kommunikation. Ein Lehr- und Übungsbuch zur Rede- und Gesprächspädagogik, 10., akt. u. erw. Neuauflage, Regensburg 1994.

Bohren, Rudolf, Predigtlehre, Gütersloh 61993.

Denecke, Axel, Persönlich predigen. Anleitungen und Modelle für die Praxis, Gütersloh 1979.

Engemann, Wilfried, Einführung in die Homiletik, Tübingen 22011.

Erne, Thomas, Rhetorik und Religion. Studien zur praktischen Theologie des Alltags, Gütersloh 2002.

Fuchs, Ernst, Freude an der Predigt, Neukirchen 1978.

Garhammer, Erich, Verkündigung als Last und Lust. Eine praktische Homiletik, Regensburg 1997.

Hieke, Thomas, „Das Wort des Herrn bringt mir nur Spott und Hohn“ (Jer 20,8). Der Prophet „Jeremia“ als Typus des frustrierten Verkündigers, in: Lebendiges Zeugnis 56 (1/2001) 5-24.

KathPress Nr. 51 vom Freitag, 28. Februar 2014.

Klein, Rebekka A., Mitleiden und Predigt: Emotion und Rhetorik, in: Mitleid. Konkretionen eines strittigen Konzepts, hg. v. Ingolf U. Dalferth / Andreas Hunziker (Religion in Philosophy and Theology 28), Tübingen 2007, 343-366.

Klepper, Jochen, Der Vater. Roman des Soldatenkönigs, Stuttgart 1981.

Krieger, Gerhard / Maurer, Alfons / Kaufmann, Peter, Art. Gefühl: philosophisch, psychologisch, ethisch, in: LThK3, Bd. 4 (1995) 343-345.

Metzger, Paul, Das Loch in der Mitte – Plädoyer für eine unterhaltsame Predigt, in: Pfälzisches Pfarrerblatt, http://www.pfarrerblatt.de/text_303.htm (12.2.2014).

Müller, Klaus, Neue Medien und die Sprache der Verkündigung, in: Theologisch-Praktische Quartalschrift 162 (2014) 31–39.

Müller, Klaus, Homiletik. Ein Handbuch für kritische Zeiten, Regensburg 1994.

Oskamp, Paul / Geel, Rudolf, Gut predigen. Ein Grundkurs. Aus dem Niederländischen übers. v. Klaus Blömer, Gütersloh 2001.

Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, 24. November 2013 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 194), Bonn 2013.

Papst Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), AAS 68 (1976).

Pock, Johann, Zwischen Videoclips und SMS: Wort-Verkündigung unter den Bedingungen der Medienkultur, in: Pastoraltheologische Informationen 27, 1 (2007) 68-79.

Pohl, Inge / Ehrhardt, Horst (Hrsg.), Sprache und Emotion in öffentlicher Kommunikation (Sprache - System und Tätigkeit 64), Frankfurt/M. u.a. 2012.

Römisches Messbuch. Allgemeine Einführung, in: Die Feier der Heiligen Messe. Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch, Zürich – Brauchschweig 1991.

Ruhleder, Rolf H., Rhetorik Kinesik Dialektik. Redegewandtheit Körpersprache Überzeugungskunst, Bonn u.a. 121996.

 

Schroeter-Wittke, Harald, Predigt als Unterhaltung. Ein Plädoyer für homiletisches Entertainment, in: Uta Pohl-Patalong / Frank Muchlinsky, Predigen im Plural. Homiletische Perspektiven, Hamburg 2001, 94-102

Schwarz, Alois, Praxis der Predigterarbeitung. Neue Homiletik, Graz-Wien-Köln 1986.

Raum bereiten für die Begegnung mit dem Evangelium
Überlegungen zu einer geschlechtersensiblen Verkündigung

Anna Findl-Ludescher

„Nur ein knapper, präziser Titel erweckt die Aufmerksamkeit der Leserinnen“.

Mit der Wahl der oben stehenden Überschrift habe ich gegen diesen journalistischen Grundsatz verstoßen und ich freue mich, dass Sie trotzdem – zumindest bis hierher – lesen. Da die Formulierung des Titels etwas lang geraten ist, werde ich die Einleitung dazu nutzen, die darin vorkommenden zentralen Begriffe zu klären.

1.Begriffsklärung
1.1.Verkündigung – nicht nur Predigt

„Die Kinder des Lehrers und der Hund des Pfarrers …“, sind sprichwörtlich die eigentlichen AuskunftgeberInnen über die Qualität von Schule und Kirche im Dorf. „Der Hund des Pfarrers…“ Ganz so weit denkt selbst Papst Paul VI. nicht in seinen Überlegungen zu Verkündigung, die er in EN entfaltet. Er macht sich jedoch in diesem Dokument für einen sehr weiten Verkündigungsbegriff stark, der das gesamte Leben und Tun der Kirche umfasst. Verkündigung wird hier verstanden als der gesamte Selbstvollzug der Kirche: Wort und Tat, Glaube und Handeln, Dogma und Existenz.66

Die Kleidung des Pastoralassistenten, die Gestaltung des Kirchenvorplatzes, die Wahl des Autos, all das sind Teile, sind Mosaiksteine im Gesamt der Verkündigung der Kirche. Dieses weite Verständnis von Verkündigung ist sinnvoll für die (geistliche) Reflexion allen pastoralen Tuns. In der Pastoraltheologie hat sich eine andere, engere Verwendung des Begriffs „Verkündigung“ eingebürgert. Wir sprechen von der Verkündigung (martyria) als einem Grundvollzug von Kirche neben dem es noch drei andere gibt: Liturgie, Diakonie und Gemeinschaft.

Aber auch dieser „enge“ Begriff der Verkündigung – er bezieht sich nur mehr auf das Wort, das Gesprochene / Geschriebene - ist immer noch ein sehr weiter: das Bibelgespräch, die Leitung des Elternabends, der Artikel in der Zeitung, all das sind Orte von Verkündigung und es gibt noch viele mehr. Die Predigt ist ein prominenter Ort in diesem weiten Spektrum. Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf das gesamte Spektrum der Wort-Verkündigung.

1.2.„Geschlechtersensibel verkündigen“ – nicht nur „feministisch predigen“

Ich vermeide hier den Begriff der „feministischen Predigt“, weil es mir im Folgenden eben nicht nur um das Predigen geht. „Geschlechtersensibel verkünden“ meint einen umfassenden Vorgang, der jede Art von Verkündigung betrifft. Es geht um die Wahl der Inhalte, die Gestaltung der Sprache, die Reflexion der eigenen Haltung und Rolle, die Auswahl von Bildern, Texten und Kunstobjekten, die Gestaltung einer Liturgie, eines Rituals u.v.m. „Verkündigung – geschlechtersensibel“ und „Verkündigung – feministisch“ sind Begriffspaare, die, wenn sie zur Literatursuche eingegeben werden, nur wenige Treffer hervorbringen. Der Terminus „Verkündigung“ kommt nicht häufig vor in der feministischen Theologie.67 Sehr wohl werden aber einzelne Aspekte der Verkündigung von feministischen Theologinnen bedacht. Besonders breit entfaltet ist der Diskurs zur (Verkündigungs-)Sprache. Dieses Thema soll auch in meinem Artikel entsprechenden Raum bekommen (siehe: 2.2 „Aufmerksamkeit für die Verkündigungssprache“). Darüber hinaus werde ich aber auch eine Überlegung einbringen (siehe: 2.1 „Aufmerksamkeit für die drei Ebenen des Glaubens und der Verkündigung“), die der Reflexion über Sprache noch vorausliegt.

1.3.„Raum bereiten für die Begegnung mit dem Evangelium“

Auf der Suche nach einer Klärung dessen, was inhaltlich mit dem Wort „Verkündigung“ gemeint ist, begegnet heute oft die Kurzformel „Kommunikation des Evangeliums“68 Mein Vorschlag einer Definition lautet: „Raum bereiten für die Begegnung mit dem Evangelium.“ Der Vorgang der Glaubensverkündigung ist vergleichbar dem Hereinbitten von Menschen in einen von mir gestalteten Raum. Einen Raum, der geprägt ist von der Tradition, in der ich stehe, von meiner Person und auch davon, welche Menschen ich als Gäste erwarte.

„Begegnung mit dem Evangelium“ bringt zum Ausdruck, dass es um eine Dynamik zwischen drei gleichwertigen Polen geht, zwischen dem Evangelium, dem Leben von ZeitgenossInnen und meinem eigenen Leben. Alle Pole müssen gleich gut gekannt und studiert werden. Eine solche Begegnung kann immer nur anvisiert werden, nicht arrangiert. Deshalb also meint „Raum bereiten“: Im Wissen, wer den Raum betreten und beleben soll, wird er entsprechend ausgewählt, eingerichtet und gestaltet. Ziel ist, dass sich in diesem Raum Beziehung ereignen kann zwischen einem Glaubenssymbol (Text, Metapher, biblische Gestalt,…) und Menschen.

2.Wie gelingt geschlechtersensible Verkündigung?
2.1.Aufmerksamkeit für die drei Dimensionen des Glaubens und der Verkündigung 69

Jedes Glaubenssymbol, sei es ein Verkündigungsthema, ein biblischer Text, ein liturgischer Vollzug, ein Festgeheimnis, etc. wirkt auf die Menschen, die damit in Kontakt kommen, auf dreifache Weise bzw. in drei Dimensionen: 1. Die individuell-existenzielle Dimension, 2. die religiös-numinose Dimension und 3. die Glaubensdimension.

Menschen werden, wenn sie mit Religion und Glaube in Kontakt kommen, auf unterschiedliche Weise bewegt. Verschiedene Seiten kommen dabei zum Schwingen: Es gibt eine Berührung auf der individuellen, existenziellen Ebene, eine andere Berührung auf der religiös-numinosen Ebene und eine dritte auf der spezifisch christlichen Ebene. Wenn ich während des Advents täglich zur Rorate gehe, dann ist das auf der ersten Ebene ein wohltuendes Ritual, das in der dichten Zeit des Dezember mir dabei hilft, geordnet und gestärkt jeden Tag zu beginnen. Auf der zweiten Ebene verbindet mich das Licht, die Musik und der Weihrauch mit der Zuversicht, dass die Dunkelheit keine Macht über uns gewinnt, der Vollzug der Liturgie insgesamt vermittelt eine Verbindung unserer irdischen Sphäre mit der des Himmels. Auf der dritten Ebene erinnere ich mich an die biblischen Verheißungen des Kommens des Messias, vergegenwärtige die Erfüllung dieser Verheißung in Jesus Christus und vollziehe gemeinsam mit den anderen die Feier seines Lebens, Sterbens und der Auferstehung.

Glaube wirkt (will wirken) auf allen Ebenen, in allen Dimensionen.70 Entsprechend wirkt auch jede Verkündigung, gewollt oder ungewollt, auf allen Ebenen! Eine Verkündigung, die nur auf die Glaubensebene setzt, läuft Gefahr, dass der christliche Glaube erfahren wird als Ansammlung von Glaubenssätzen und moralischen Vorschriften, gewissermaßen als Skelett ohne Fleisch. Oft besteht die Gefahr, dass die anderen Dimensionen ausgehungert oder mit zwiespältigen und negativen Empfindungen aufgeladen werden.

Das Wissen um die drei Verkündigungs-Dimensionen hat Konsequenzen auch für eine geschlechtersensible Verkündigung: Egal was wie verkündet, gesagt und vollzogen wird, es durchfließt den ganzen Menschen und wirkt in allen Dimensionen. Erforderlich ist eine Reflexion, welche Ebene ich als Verkünderin besonders gerne „bediene“ und was ich damit auf den jeweils anderen Ebenen mit auslöse. Wird an Ostern vorwiegend die therapeutisch-humane Dimension betont, dass Auferstehung im Alltag geschieht, wenn aussichtslose Verquickungen und Schuldverstrickungen nicht gezwungenermaßen ins Desaster führen, dann ist eine Rechenschaft darüber notwendig, was damit auf den anderen Ebenen mitausgesagt ist. Ziel jeder Verkündigungspraxis soll sein, dass ich als Verkünderin bewusst alle Dimensionen einbeziehe, sei es in Worten oder in Vollzügen.

Zum Abschluss dieser Überlegungen möchte ich noch ein Augenmerk legen auf die Verkündigung rund um Maria. Aus geschlechtersensibler Perspektive braucht dieses Verkündigungsfeld eine besondere Aufmerksamkeit, hat doch die marianische Verkündigung über Jahrhunderte hinweg die christliche Vorstellung der Geschlechterordnung geprägt und Einfluss genommen auf die Gestaltung vieler Frauenleben. Gerade die vier Marien-Dogmen71 und deren Verkündigung spielen eine wichtige Rolle. Meines Erachtens ist hier zu beobachten, dass sich die Verkündiger kaum Rechenschaft darüber gegeben haben, was die verkündeten Inhalte bei den Zuhörerinnen auf der individuell-existenziellen Ebene bewirkt haben und bewirken.

2.2.Aufmerksamkeit für die Verkündigungssprache
2.2.1.Von Gott in Metaphern sprechen

Die Sprache, die für Gott gefunden wird, die Gottesnamen im Speziellen, geben einerseits Auskunft über die (implizite) Theologie der Sprecherin / des Sprechers, andererseits prägen sie auch die Gottesvorstellung der Sprechenden und Hörenden. Die Bedeutung der Sprache, der Namen, die für Gott gefunden werden, ist eine essentielle, keine oberflächliche. Auch prägt sie nicht nur die Gottesvorstellung der einzelnen, sondern bildet ab und beeinflusst auch das Verständnis von Gemeinschaft. In einer hierarchisch / patriarchal verfassten Gemeinschaft wird die Anrede Gottes als „Herr“ vermutlich unwidersprochen sein. Regt sich Widerstand gegen diesen Gottesnamen so wird dies ein Zeichen sein für Aufbruch und Veränderung in den Strukturen des Zusammenlebens. Es gibt keine sichere, universal gültige Rede von Gott. Bereits im vierten Laterankonzil wurde lehramtlich festgehalten, dass alles das, was wir über Gott wissen und von ihm aussagen können, Gott mehr unähnlich ist als ähnlich. Diese alte philosophisch / theologische Überzeugung vergisst sich so leicht im Alltag der Verkündigung. Die Bezeichnungen und Bilder, mit denen wir über Gott sprechen, wiederholen sich oft. Die Beharrlichkeit, mit der von Herr, Herrscher und Vater gesprochen wird, ist also nicht nur aus feministischer Perspektive fraglich. Kein Name, keine Zuschreibung stimmt ganz. Für die Verkündigung bedeutet dies, dass möglichst offene Bezeichnungen gewählt werden sollen (also nicht nur personale Anreden!) und auch, dass immer wieder abgewechselt wird und so einer Fixierung und Engführung in der Vorstellung des Göttlichen entgegen gewirkt wird.72 Wir sind oft unbedacht in dem, wie wir über Gott reden. Das wird Gott nicht gerecht, und auch nicht den Menschen in ihren so verschiedenen Lebenssituationen. Es gibt ein tiefes Bedürfnis nach einer anderen Gottessprache. Dorothee Sölle warnt vor den „vorgeformten christlichen Sprach-hülsen“. Unser Reden von Gott benennt sie als „denkfaulen und gefühlsarmen Wiederholungszwang immer aufs Neue.“ 73 Es gibt eine Vielzahl von Metaphern über Gott, die ihre Berechtigung haben. Es ist wichtig, diese Vielfalt zu sehen ohne Beliebigkeit. Bilder und Metaphern müssen immer auch kritisiert werden dürfen – und sie dürfen auch verabschiedet werden, wenn sie ihre erschließende Kraft verloren haben.74 Was wir von Gott sagen können ist (hoffentlich) wahr und doch gleichzeitig unwahr. Dies gilt auch für die gewohnte Rede: Gott ist Vater. Wir sind gerufen, aus unserer Perspektive heraus von Gott als Gott zu sprechen, wissend, dass wir eine begrenzte, aber doch begründete Perspektive haben. Wir heutigen Menschen leben in der Geistesgegenwart, wir machen Erfahrungen mit Gott und den Menschen, die für die Verkündigung von größter Bedeutung sind. Metaphorisch zu denken und zu sprechen heißt ehrfürchtig zu sein vor dem Gott, der in den Offenbarungstexten begegnet und auch vor dem Gott, der in den Erfahrungen der Menschen darüber hinaus erscheint. „Beide [die Offenbarungstexte und die Erfahrungen der Menschen, A.F.L.] werden einander zum gegenseitigen Such- und Lesegerät der Wahrheit in der Wirklichkeit.“75 In einem sprechenden Bild beschreibt Herlinde Pissarek die immer wieder mögliche Erfahrung, dass Frauen zur eigenständigen Gott-Rede finden: „Mir scheint es jedes Frühjahr wie ein Wunder, dass trotz aller Luftverschmutzung, trotz aller Verseuchung des Bodens die langen, fahlgewordenen Gräser des vergangenen Herbstes, die zuerst noch – wie im Negativ – den Abdruck der Schneelast bewahren, dann aber binnen Tagen Raum geben, verschwinden unter den kühnen neuen Grasspitzen. Zugleich bringt das kräftige Gelb des Huflattich und die blauweißrosa Fülle der Leberblümchen es immer wieder fertig, das bleiche Braun des Vorjahrs zu erhellen.“76 Die Abwertung des Weiblichen und damit verbunden auch des Materiellen, der Natur, sind oft die Luftverschmutzung und Verseuchung des Bodens auf dem Frauen religiös wachsen. Aber all diese Verseuchung kann nicht das Austreiben der neuen Frühlingssaat, einer eigenständigen Gott-Rede von Frauen verhindern.