Wie heute predigen?

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2.Emotionen als rhetorisches (Stil-)Mittel

Nach Aristoteles stehen einem Redner vor allem drei Mittel zur Verfügung, um den Hörer zu überzeugen: logos, ethos und pathos.

„Der Logos bringt die ‚Logik‘ der Begründung und die sachliche Argumentation ein. Dabei wird der Verstand angesprochen. Mit ethos sind die Haltung und das Auftreten eines Sprechers gemeint. Dadurch wirkt der Redner/die Rednerin glaubwürdig – oder nicht. Hier geht es also um die Aufrichtigkeit einer Person und das Vertrauen, das diese dem Zuhörer einflößt. Der pathos ist die Fähigkeit, die Zuhörer in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Der Pathos will Einstellungen des Hörers verändern“.24

Diesen drei Haltungen werden später drei Stilebenen zugeordnet: dem logos das docere, dem ethos das delectare, dem pathos das movere.

In der Rhetoriklehre des Aristoteles25 wird den Emotionen

„eine entscheidende Bedeutung im Hinblick auf die Frage zugemessen, ob eine argumentative Darlegung von Sachverhalten auf Resonanz bei ihren Zuhörern stösst [sic!]. Dahinter steht die lebensweltlich bedeutsame Einsicht, dass viele Menschen vor allem und zuerst auf einer emotionalen Ebene auf einen Sachverhalt reagieren und dass hierin auch die Verschiedenheit ihrer Beurteilung ein und desselben Sachverhaltes begründet ist.“26

Nach Aristoteles sind Emotionen „diejenigen ‚Dinge, durch welche sich (die Menschen), indem sie sich verändern, hinsichtlich ihrer Urteile unterscheiden‘.“27 Eine Emotion ist also eine Reaktion der Seele auf einen Einfluss auf ihre Strebedynamik, und Emotionen sind nach Aristoteles abhängig von den jeweiligen Meinungen, Überzeugungen und Urteilen der Menschen. Klein schätzt dann die Stärken und Schwächen dieses aristotelischen Modells so ein:

„Die Stärke der aristotelischen Rhetoriklehre ist es, dass sie die Rolle der emotionalen Begegnung mit einem Sachverhalt für die kognitive Urteilsbildung nicht unterschätzt oder verharmlost. … Die Schwäche der aristotelischen Rhetoriklehre zeigt sich demgemäss darin, dass sie die Emotionen auf ihre MittIerrolle für die Urteilsbildung beschränkt. Die Emotionen sind nicht Teil der Urteilsfindung.“28

Der aristotelischen Rhetorik ist daher immer wieder (wohl zu Recht) die Instrumentalisierung der Emotionen vorgeworfen worden. Ihre Leistung liegt jedoch darin, dass sie die Bedeutung der Emotionen für den rhetorischen Prozess herausgearbeitet hat.

Aber nicht nur beim Zuschauer ist die emotionale Ebene wichtig, sondern auch beim Redner selbst. Daher lautet ein klassisches Ideal der Rhetorik Ciceros: „ipse moveatur“. D.h. der Redner muss selbst „bewegt“ sein von dem, was er den ZuhörerInnen vermitteln will. In der Rhetoriklehre wird dem persönlichen Engagement des Redners eine große Bedeutung für das Gelingen einer Rede beigemessen:

„Neben aller rhetorischer Strategie kommt die oft entscheidende Bedeutung für das Gelingen oder Mißlingen von Rede wie Gespräch dem spürbaren Engagement des Sprechers zu. Der Sprecher, der Engagement, persönlichen Einsatz, seine innere Beteiligung zeigt, kann in der Regel davon ausgehen, daß eigenes Engagement, eine evtl. spürbare Begeisterung, sich auf den Hörerkreis bzw. den Gesprächspartner überträgt.“29

Dabei ist die Bandbreite der Emotionen sehr groß – und sie können je nach Situation sehr unterschiedlich sein. Michael Thiele versteht sie in seiner „Religiösen Rhetorik“ z.B.

„als ‚zeitlich begrenzte, intensive, auf ein Ziel oder Objekt gerichtete affektive Zustände, die dem betroffenen Menschen bewusst sind‘. Solche Gefühle sind beispielsweise Lust, Zorn, Ärger und Sehnsucht. Zum zweiten fallen unter die Emotionen Basisgefühle wie Liebe & Haß, Freude & Trauer, Überraschung und Verachtung, Furcht, Ekel, Wut. Zum dritten sind darunter allerdings auch diffuse Gestimmtheiten zu verstehen, die kein direktes Objekt haben, wie Melancholie, Lebensangst, Verzweiflung, Niedergeschlagenheit, Glückseligkeit.“30

Und als zentrale Aufgabe der klassischen Rhetorik und ihrer Lehre von den Affekten sieht Thiele es an, „Liebe und Haß, Freude und Trauer, Neid, Furcht und Hoffnung, Verlangen und Abscheu und andere Gefühle zu erzeugen“31. Nach Klein sind Emotionen als rhetorische Figuren aufzufassen, „in denen Phänomene des menschlichen Lebens so zur Sprache kommen, wie sie auch im Erfahrungshorizont der Angesprochenen lebendig und in ihrem Lebensvollzug prägend sind.“32 Und sie möchte „zeigen, dass ein theologisches Verständnis der Rhetorik .. den Erfahrungsbezug der Emotionen stärker in den Vordergrund stellen sollte.“33

Den Hintergrund dieses Ansatzes bildet ein Verständnis von Rhetorik, das Klein von Erne übernimmt. „Es versteht die Predigt als eine Interpretationsbewegung zwischen Religion und Alltag, zwischen kirchlicher Kommunikation und alltäglicher Lebenswirklichkeit.“34 In diesem hermeneutisch-religionsphänomenologischen Modell der Rhetorik wird nicht eine abgeschlossene Erfahrung thematisiert oder produziert; vielmehr geht Erne davon aus, dass lebensweltliche Erfahrung in allen Sprachvollzügen mitgegeben ist und den Horizont des Sprechens bildet.

Emotionen sprengen Grenzen; sind manchmal überbordend, unerwartet; sie verbinden ohne Worte Menschen unterschiedlichster Sprachen, Kulturen und Religionen.

„Das Rhetorische der Darstellung zeichnet sich dadurch aus, dass auf Sprachvollzüge des Übergangs sowie des Abbruchs im Zwischenbereich der eingelebten Strukturen der Erfahrung aufmerksam gemacht wird. Auf diese Weise ermöglicht die Rhetorik stets einen produktiven Umgang mit dem Unbestimmten und Fremdartigen, das an den Rändern der Erfahrung aufbricht und den Erfahrungshorizont der Lebenswelt zu irritieren und zu erschüttern vermag.“35

Was Klein hier an der Rhetoriklehre Ernes aufzeigt, findet sie aber auch in der Verkündigung des Evangeliums wieder:

„Zunächst ist es ein Kennzeichen der christlichen Erfahrung des Evangeliums, dass das Evangelium auf eine Weise zugänglich ist, die sich eben nicht der Affirmation des vertrauten und gewohnten Umgangs mit den Ereignissen verdankt. Die Glaubenserfahrung ereignet sich vielmehr oftmals und erstmals auf den Grenzen der Erfahrung. Sie ist geradezu auf eine Öffnung des Alltäglichen für das AusseraIltägliche angewiesen.“36

Verkündigung des Evangeliums ist ja die Verkündigung von Horizontüberschreitungen: Gott wird Mensch; Jesus ist der Christus – wahrer Gott und wahrer Mensch; Auferstehung besiegt den Tod; Erste werden Letzte sein und Letzte erste etc. Die Affekte und Emotionen, die damit verbunden sind, wie Freude, Trauer, Ängste, Unsicherheiten, Hoffnungen … sind wesentliche Momente der Verkündigung Jesu wie auch der Verkündigung der ersten Christen.

Predigen erwächst somit aus mehreren Quellen, die sich gegenseitig interpretieren: Heilige Schrift, persönlicher Glaube, Lebensalltag und Kommunikation mit den Menschen und der jeweiligen Gesellschaft, in der man lebt. „Freuden und Hoffnungen, Trauer und Ängste“ (GS 1) aller Menschen sind somit Thema der Verkündigung – nicht nur materialiter, indem sie den Inhalt vorgeben, sondern auch formaliter, indem Emotionen auch durch die Art der Predigt zum Ausdruck kommen.

3.Ein Papst und die Freude der Verkündigung

Emotionale Verkündigung – das ist genau das Schlagwort, mit dem man Papst Franziskus beschreiben könnte. Mit Papst Franziskus geschieht auf lehramtlicher Seite eine erstaunliche Akzentsetzung: Seine Verkündigung ist von Beginn seines Pontifikates an bestimmt von der Nutzung moderner Medien (Twitter, Facebook & Co.) und von täglichen Kurzpredigten, die durch diese neuen Medien innerhalb kürzester Zeit auf der ganzen Welt verbreitet werden.

Aber nicht nur formal, sondern auch inhaltlich ist hier ein neuer Lehrstil erkennbar: Papst Franziskus hält keine ausgefeilten und theologisch abgesicherten Vorträge und Reden, sondern an Schriftstellen orientierte und von der eigenen Erfahrung bestimmte emotionale Predigten und Ansprachen. Während er damit die Herzen vieler Menschen anspricht gibt es auch kritische Stimmen aus dem innersten Kreis der kirchlichen Hierarchie. So äußert sich z.B. der päpstliche Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein, kritisch zum derzeitigen Enthusiasmus über Papst Franziskus: „Wir warten ja noch auf inhaltliche Vorgaben.“37 Damit wird klar: Er trennt die Gefühle und Emotionen von den Inhalten – und sieht nicht, dass auch die Emotionen, die vermittelten Gefühle, eine Inhaltsebene haben und selbst Botschaft sind.

Vor allem in seinem apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ (EG) vom 24. November 2013 thematisiert Papst Franziskus explizit die Freude der Verkündigung. Ausgehend von vielen Stellen im Alten wie im Neuen Testament, wo von der Freude die Rede ist, ruft der Papst dazu auf, diese Freude auch in den unterschiedlichen Formen kirchlicher Verkündigung spürbar zu machen.

„Wenn die Kirche zum Einsatz in der Verkündigung aufruft, tut sie nichts anderes, als den Christen die wahre Dynamik der Selbstverwirklichung aufzuzeigen. … Folglich dürfte ein Verkünder des Evangeliums nicht ständig ein Gesicht wie bei einer Beerdigung haben.“ (EG 10)

Dass der Papst damit nichts Neues sagt, sondern an die Lehre seiner Vorgänger anschließt, zeigt das darauffolgende Zitat aus Evangelii nuntiandi (EN) von Papst Paul VI.:

„Die Welt von heute … möge die Frohbotschaft nicht aus dem Munde trauriger und mutlos gemachter Verkünder hören, die keine Geduld haben und ängstlich sind, sondern von Dienern des Evangeliums, deren Leben voller Glut erstrahlt, die als erste die Freude Christi in sich aufgenommen haben.“ (EN 80)

 

Freude erwartet er sich aus einer erneuerten, kreativen Verkündigung – die vor allem durch den Blick auf die Quellen, das Evangelium, zu erwarten sei:

„Jedes Mal, wenn wir versuchen, zur Quelle zurückzukehren und die ursprüngliche Frische des Evangeliums wiederzugewinnen, tauchen neue Wege, kreative Methoden, andere Ausdrucksformen, aussagekräftigere Zeichen und Worte reich an neuer Bedeutung für die Welt von heute auf.“ (EG 11)

Und er warnt vor einer

„Grabespsychologie, die die Christen allmählich in Mumien für das Museum verwandelt. Enttäuscht von der Wirklichkeit, von der Kirche oder von sich selbst, leben sie in der ständigen Versuchung, sich an eine hoffnungslose, süßliche Traurigkeit zu klammern“ (EG 83)

Gott ist für ihn der eigentliche Prediger – und der Auftrag der Verkündigung gilt dem ganzen Volk Gottes. Der Volksfrömmigkeit und der Pluralität der Kulturen traut er viel zu. Jeder und jede, die verkündigt, muss zunächst selbst evangelisiert sein und sich immer wieder neu das Evangelium zusagen lassen.

Im Blick auf die Homilie (EG 135-144) betont er zunächst die personale Kompetenz: „Die Homilie ist der Prüfstein, um die Nähe und die Kontaktfähigkeit eines Hirten zu seinem Volk zu beurteilen.“ (EG 135) Zugleich weiß er, dass sowohl die Gläubigen wie auch die Prediger „oft leiden, die einen beim Zuhören, die anderen beim Predigen.“ (EG 135)

Die Bedeutung der Emotion für die Predigt zeigt sich in seiner Rede vom „Herz“, das es zu erreichen gilt:

„Wer predigt, muss das Herz seiner Gemeinde kennen, um zu suchen, wo die Sehnsucht nach Gott lebendig und brennend ist und auch wo dieser ursprünglich liebevolle Dialog erstickt worden ist oder keine Frucht bringen konnte.“ (EG 137)

Der Papst warnt davor, die Homilie zur „Unterhaltungs-Show“ zu machen; sie soll „kurz sein und vermeiden, wie ein Vortrag oder eine Vorlesung zu erscheinen“. Vielmehr ist für ihn die (kirchliche) Predigt wie das Gespräch einer liebenden Mutter mit ihrem Kind:

„Dieser mütterlich-kirchliche Bereich, in dem sich der Dialog des Herrn mit seinem Volk abspielt, muss durch die herzliche Nähe des Predigers, die Wärme des Tons seiner Stimme, die Milde des Stils seiner Sätze und die Freude seiner Gesten gefördert und gepflegt werden.“ (EG 140)

Der Prediger hat die Aufgabe, „seine Leute diese Freude des Herrn erfahren zu lassen“ (EG 141). Er muss „die Herzen, die sich lieben, .. vereinen: das des Herrn und die seines Volkes“ (EG 143). Der Papst erklärt, was er damit meint: „Mit Herz sprechen schließt ein, dass man ihm nicht nur das innere Feuer bewahren muss, sondern auch das Licht, das ihm aus der Offenbarung … zufließt“ (EG 144).

Was fällt bei der päpstlichen Lehre über die Predigt auf? Zunächst die Bedeutung des persönlichen Sich-Betreffen-Lassens vom Wort Gottes als Grundlage der Verkündigung. Homilie ist für ihn keine Lehrpredigt, sondern das Berühren der Herzen der Menschen. Vom Prediger wird Authentizität und Emotionalität verlangt; nicht Makellosigkeit (EG 151), sondern den Mut, sich dem Wort Gottes immer wieder neu auszusetzen. Er soll zugleich das „Ohr beim Volk haben“ (EG 154); in seiner Kontemplation hat er nicht nur auf die Schrift, sondern auch auf das Volk zu hören. Mehrfach fällt im Apostolischen Schreiben der Begriff der „pastoralen Bedeutung“ (vgl. EG 150). Der Papst schlägt zur Verkündigung einen Weg der Übersetzung der biblischen Botschaft in die Gegenwart vor, die bei den Erfahrungen ansetzt, wie Wiedersehensfreude, Enttäuschungen, Ängste, Einsamkeit Mitleid etc. (EG 155), oder auch bildhaft ist. „Eine gute Homilie muss, wie mir ein alter Lehrer sagte, ‚eine Idee, ein Gefühl und ein Bild‘ enthalten.“ (EG 157).

Der ganze Text ist durchzogen von dem, was er selbst für die Predigten einfordert: eine „positive Sprache“ (EG 159): „Sie sagt nicht so sehr, was man nicht tun darf, sondern zeigt vielmehr, was wir besser machen können.“

Evangelii Gaudium enthält noch eine Fülle weiterer homiletischer Impulse: die soziale Dimension der Evangelisierung (im Blick auf „diakonische Predigten“), die missionarische Dimension der Verkündigung oder auch die mystagogische Katechese. Im Rahmen der Fragestellung nach der Emotionalität von Predigt wird es jedoch spannend sein, zu verfolgen, ob der Impuls des Papstes, die Freude am Predigen (die aus der Freude am Evangelium kommt) zu fördern, auch Auswirkungen auf die konkrete Predigtpraxis in der Kirche haben wird.

4.Freud und Leid, Lust und Last des Predigens

Nembach zitiert hinsichtlich des Leidens an der Predigtarbeit einen Pfarrer aus dem Roman „Der Vater“ von Jochen Klepper:

„Die Woche flog ihm hin wie Spreu im Winde, und er quälte sich täglich bis zur Nacht mit seiner Predigt für den Sonntag; und wenn er sie dann hielt, war sie so kurz, daß in seinem Gottesdienst nicht nötig wurde, die von Majestät verordnete Sanduhr auf den Rand der Kanzel zu stellen. Seine Rede war knapp; seine Sprache war schwer; Himmel und Erde und der Abgrund, der im Menschen ist, war in seiner Predigt aufgerissen. Er mühte sich die wenigen Worte ab; so schwer war es ihm, den Menschen die Botschaft von Gottes Gnade zu bringen; …“.38

Wer von der Freude der Verkündigung spricht, darf das Leiden am und mit dem Verkündigen nicht außer Acht lassen. Dieses findet sich prominent bereits im Alten Testament. Thomas Hieke bezeichnet es als „kleines Wunder“39, dass die Bibel auch die Schwächen von Verkündigern überliefert, wie z.B. jene des Jeremia: Zorn, Frustration, Klage. Die biblischen Verkündiger (vor allem die Propheten) sind emotional. Sie nehmen den Verkündigungsauftrag persönlich und leiden mit der Erfolgslosigkeit ihrer Predigten mit.

Jeremia ist kein fundamentalistischer, unantastbarer Unheilsprophet, sondern er leidet an seiner Botschaft – und gerade seine eigene Betroffenheit und Emotionalität machen ihn „‘echt‘ und ‚authentisch‘“40. Angesichts der Verkündigung des Jeremia ist es jedoch auch heute PredigerInnen „erlaubt, Frustrationen, Enttäuschungen, Missmut und Selbstmitleid vor Gott an- und auszusprechen. … Jeremia hat seiner Klage freien Lauf gelassen – ihm darf sich anschließen, wen die ‚Ohnmacht der Verkündigung‘ verzweifeln lässt.“41

Und Hieke stellt die wichtige Frage: Warum ist Verkündigung mitunter auch eine Last? Seine Antwort, ausgehend vom Propheten Jeremia, lautet: „Das Problem Jeremias ist das Grunddilemma jeglicher Rede von Gott: Ist sie angesichts der Unanschaulichkeit Gottes überhaupt möglich?“42 Die Verkündigung eines Gottes, der nicht (be-)greifbar ist, stellt vor das Problem, das Unaussprechliche zur Sprache zu bringen.

Hieke betont jedoch den entscheidenden Unterschied der Verkündigungssituation des Jeremia, der „Vernichtung und Unheil“ ankündigen musste, zur Verkündigung der „Frohen Botschaft“ in der christlichen Verkündigung heute.43

Dass Predigen auch zur Last (für die PredigerInnen) werden kann, kann unterschiedlichste Gründe haben: Das Fehlen von persönlicher Begeisterung für die Glaubensweitergabe; mangelnde Resonanz auf Predigten von Seiten der HörerInnen; Zeit- und Ideenmangel in der Predigtvorbereitung; die Herausforderung, häufig zu ganz unterschiedlichen Anlässen zu predigen etc.

Erich Garhammer sieht das Leiden aber als Herausforderung, diese Emotionen zu benennen – denn keiner kann auf alle Fragen des Lebens Antworten bieten:

„Predigt verfügt über kein Passepartout für alle Eventualitäten des Lebens, sondern fordert lebensnahe, erstrittene und auch erlittene Konkretion. ‚Zeige deine Wunde‘ ist nicht nur ein Programmwort eines Kunstverständnisses (Josef Beuys), sondern könnte auch Leitfaden der eigenen Predigtpraxis sein.“44

Und auch Ulrich Nembach stellt die Frage: „Warum sprechen Hörer und Prediger nicht über ihr Leid an der Predigt?“ Er thematisiert das Problem anhand des Begriffs „Mit-Teilung“: Er meint, dass es in der Predigt darum geht, sich mitzuteilen und auch teilzugeben an der eigenen Freude. Mitteilung aber wird zumeist mit Information verbunden; die „Gemeinschaft, die zwischen den Teil-Gebenden und –Nehmenden entsteht, kommt nicht in den Blick.“45 Beim Brechen des Brotes, bei diesem Teilen, wird die Gemeinschaft sichtbar. Daher möchte Nembach auch die Predigt als Geschehen des „Teil-Gebens und Teil-Nehmens“ sehen, und nicht der Mit-Teilung. „Teilen vollzieht sich in den biblischen Texten als Anteil-Geben und -Nehmen an Leid und Freud.“46

Nembach baut in weiterer Folge seine ganze Homiletik anhand von Leid und Freud auf: „Leid und Freud begegnen sich zunächst in der Predigt, wandeln sich zu solchen mit der Predigt und werden schließlich zur Möglichkeit des Teilens.“47 Und er stellt (1996) fest, dass Arbeiten zum Leid der Prediger fehlen.48 „Auch die praktische Theologie nimmt das Leid der Prediger nicht wahr.“49 Fast 20 Jahre später stimmt dieser Befund leider immer noch: Es gibt meines Wissens außer den Klagen über (schlechte) Predigten keine Arbeiten, die sich mit dem Leid der PredigerInnen beschäftigen würden (genauswenig übrigens wie über das Leiden mit den Predigten – und über das Thematisieren des Leides der Welt in den Predigten).

Es geht somit um die Frage, wie Leid und Freud, wie Emotionen, in der Predigt selbst thematisiert und aufgegriffen werden; wie Emotionen vorkommen und wie emotional die Predigten sein sollen und dürfen.

Emotionen, Freud und Leid, sind aber nicht einfach mit dem „Amen“ nach der Predigt abzustellen und abgeschlossen, sondern wirken weiter. Für mich bedeutet dies, dass zur Emotionalität der Predigt auch gehört, dass es über die Predigt einen Austausch gibt – und zwar vor der Predigt, aber auch danach: am Kirchplatz, in Bibelrunden, in E-mails oder in persönlichen Gesprächen.

Die Aussage „Schön haben Sie gepredigt, Herr Pfarrer!“ ist ja ein erster Schritt dazu; sie zeigt (wenn sie ehrlich gemeint ist), dass auf der Gefühlsebene jemand erreicht worden ist. Wenn aber ein Prediger/eine Predigerin ihre persönliche Glaubensüberzeugungen, ihre eigenen Erfahrungen und damit auch viel Emotion in die Predigt hineingelegt haben, dann eröffnet sich die Erwartungshaltung einer Reaktion auf der anderen Seite. Dabei ist dies aber nicht nur etwas, was von Seiten der Hörenden zu erwarten ist, sondern auch von Seiten der Predigenden aktiv angestoßen werden kann.