Was fehlt?

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3.Theologie in der Katholizität des Lebens

Was in Theologie und Kirche fehlt, ist das ganze Leben, die Katholizität des Lebens und damit auch des Glaubens, eine Theologie weit in die Rat-, Ausweg-, Sinnlosigkeiten des Lebens hinein. Katholische Kirche und Theologie als ihr elementarer Lebensakt zimmern sich dagegen ihre Lebenswelten selbst, schnitzen sich ihre Gläubigen, haben sehr viel damit zu tun, Zugehörigkeiten und Ausschlüsse zu regeln, um angebliche Wahrheiten oder angeblich Wahrheiten zu schützen, ohne zu merken, dass sie sich in der Selbstbespiegelung verlieren, an der Wahrheit des Evangeliums vorbeischauen, an den Lebensrealitäten und -fragen, -versuchen und -antworten der Menschen und damit an Gott.

Die „Wahrheit des Evangeliums unterscheidet sich von allen anderen Wahrheiten dieser Welt sehr penetrant dadurch, dass sie die Wahrheit des Wortes vom Kreuz ist. Und das Kreuz stört. Das Kreuz weist in einer die Weisheit dieser Welt irritierenden Weise darauf hin, dass nichts in unserer Wirklichkeit die Welt im Innersten zusammenhält – auch der höchste Gedanke, auch die tiefste Einsicht nicht. Die Wahrheit des Wortes vom Kreuz steht quer zu allem, was sonst in der Welt auf Wahrheit Anspruch erhebt.“7 Ist sich Theologie ihrer Bedeutung für Welt und Wissenschaft bewusst? Weiß sie darum, elementarer Lebensakt der Kirche zu sein? Weicht sie mit der Kirche der Wahrheit des Kreuzes aus? Macht sie sich zum weichspülenden Erfüllungsgehilfen und traut sich das Widerstehen im Angesicht anderer Wissenschaft nicht zu?

Mit Eberhard Jüngel wird im Folgenden an einer Theologie gedacht, die in die Leerstellen des Lebens das Kreuz stellt, denn: „Gibt es in einer von den Mächten des Verderbens durchwalteten Welt einen Weg zu Gott, dann besteht Grund zu der Annahme, dass Aporien, wenn man sie sich nur eingesteht, sich zu einem Problembewusstsein verarbeiten lassen, das weiter führt. Theologie weiß, dass die Aporie des Denkens Leidenschaft ist. Von solcher Leidenschaft bewegt, fängt die Theologie immer wieder auf’s neue an, dem Worte Gottes nachzudenken.“8 Dieses Nachdenken erfordert ein schonungsloses Exposure, ein Sich-Aussetzen und Ausgesetztsein. Die Schonungslosigkeit des Todes, des Kreuzes, Gottes auszuhalten und zu durchdenken, zu Ende zu denken, nicht einzuknicken und weichzuspülen, nicht zu vereinfachen und nicht zu vertrösten, ist die Aufgabe der Theologie. Ihre Aufgabe ist es, sich der Ausweglosigkeit des Kreuzes auszusetzen, der Undenkbarkeit Gottes, der Unverfügbarkeit von Auferstehung – und nicht einen Gott aus dem Hut zaubern, der im Letzten dann doch die Position wechselt und der Übervater wird, der ER, der Mann, der er immer war, der liebe Gott mit der Hand, in die man fällt, der Richter, der die Freien nicht an seiner Seite sitzen lässt, weil sie sich gegen ihn entschieden haben, weil der Ahnung nicht getraut wird, werden kann, Gott als das ganz Andere zu denken, bedingungslos, sperrig gerecht, ein Geheimnis, die Wahrheit des Evangeliums, ein sich hartnäckig entziehendes Mysterium, unlösbar verbunden mit dem Risiko der Sinnlosigkeit – eine Ahnung, eine Idee, eine Erzählung – die keinen Absolutheitsanspruch erhebt, sondern als Ferment wirkt.

4.Exposure-Theologie

Wo ist die schonungslose, widerständige, sich aussetzende Theologie wider alle Vernunft als elementarer Lebensakt der Kirche aller Menschen und als elementare Life Science, eine Wissenschaft mit Option, für die Menschen, gegen Vereinfachung und Banalisierung, für die Komplexität des Über-, Quer- und Hinter-Allem – ein offener Denkraum, in dem in Musing und Abduktion Transformation erwartet wird, eine Wissenschaft, die weiß, dass „Gotteserkenntnis schon immer unthematisch und namenlos gegeben [ist] – und nicht erst dann, wenn wir anfangen, davon zu reden. Alles Reden darüber, das notwendig geschieht, ist immer nur ein Verweis auf diese transzendentale Erfahrung als solche, in der sich immer der, den wir ‚Gott‘ nennen, schweigend dem Menschen zusagt – eben als das Absolute, Unübergreifbare, als das nicht eigentlich in das Koordinatensystem einrückbare Woraufhin dieser Transzendenz, die als Transzendenz der Liebe auch eben dieses Woraufhin als das heilige Geheimnis erfährt.“9

Wo ist Gott? Wo ist Gott in der Theologie? Eberhard Jüngel beschreibt die Situation der Theologie, wie sie in Gesellschaft und wissenschaftlicher Community gesehen wird. „Vielfach und auf vielfältige Weise hat das Reden von Gott den menschlichen Geist in Verlegenheit gebracht. Am Ende einer langen Geschichte des Redens von Gott scheint die Verlegenheit heute zur Ausweglosigkeit geworden zu sein. […] Denn das scheint ausgemacht zu sein. Wir leben im Zeitalter der sprachlichen Ortlosigkeit Gottes. Ihr entspricht die immer noch zunehmende Undenkbarkeit Gottes und die – auch unter ihrem Gegenteil schlecht verborgene – Sprachlosigkeit der Theologie. Diese ist übel dran.“10

Die Theologie ist übel dran, weil sie, auch sie, nicht von Gott sprechen, Gott nicht denken kann, nicht unter den Bedingungen postmoderner Moderne, nicht so, dass das Denken und Sprechen ernst zu nehmen wäre im Kreis der Wissenschaften, eine Relevanz entwickeln würde für den Menschen von heute. Der Theologie fehlt Gott. Selbstverständlich fehlt ihr nicht das Wort, aber was bezeichnet das Wort „Gott“? Was bezeichnet Theologie mit dem Wort „Gott“? Eberhard Jüngel leitet sein Denken und Sprechen von Gott von den Grundsätzen der Sprache und Sprechakte her. „Die Zeichen geben also zu denken. Sie geben jeweils etwas zu denken, nämlich genau das, was sie bezeichnen. […] Das Wort ist also das für die Funktion des Bezeichnens bezeichnendste Zeichen.“11 Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet Gott „etwas Unüberbietbares […]: Gott kann alles. Gott entscheidet alles. Gott wirkt alles. Gott ist alles, ist schon immer alles in allem. Ja, Gott ist ‚mehr‘ noch als ‚alles‘. […] Gott ist in jeder Hinsicht perfekt – wobei die temporale Komponente durchaus mitzudenken ist: Gott kann immer schon ganz und gar auf sich zurückblicken, sein Sein ist frei von Werden. […] Gott ist über allem, er ist also auch über uns, er ist uns schlechthin überlegen. […] Was das Wort ‚Gott‘ als Zeichen zu denken gibt, ist dann im Grunde unausdenkbar, ist auch durch Denken nicht zu erfassen, ist nur als das Unbegreifbare zu begreifen.“12 Die Theologie ist übel dran, denn damit steht sie an ihrem Ende. Was ist ihr Inhalt und ihr Anspruch, wenn sich ihr Gegenstand nicht denken lässt? Theologie als Leerstelle.

Jüngel sieht die Theologie an dieser Stelle in der Sackgasse der mächtigen augustinischen Tradition.13 Den Ausweg entdeckt er in einer weiteren Funktion der Sprache neben der des Bezeichnens. Sprache spricht an. „Im Sprachereignis wird vielmehr das Sein eines Sachverhaltes so zur Sprache gebracht, dass es das Sein des Menschen anspricht und dieser durch das ihn anredende Wort aus sich herausgerufen und in dem ihn anredenden Wort zu sich selber gebracht beziehungsweise von sich selber entfernt wird.“14 Gott als eine Funktion, ein Ereignis von Sprache? Wenn Gott sich in der Sprache des Menschen ereignet, ist es nicht mehr möglich, Gott über dieser Sprache und damit über dem Menschen zu denken. Im Sprechereignis „Gott“ sprechen Gott und Mensch und geben sich – die Theorie konsequent weitergedacht – gegenseitig zu denken, gehen über sich selbst hinaus und geben sich Anteil aneinander. Das Evangelium als Zentrum christlicher Theologie verkündet den Menschen Jesus als Wort Gottes. „Das Menschsein dieses Menschen ist für das, was das Wort ‚Gott‘ zu sagen hat, nach neutestamentlicher Auffassung von äußerster Relevanz. Und das nicht nur im Blick auf das Leben, sondern erst recht auf den Tod dieses Menschen. Deshalb haben wir uns bei dem Versuch, Gott als den sich im Menschen Jesus Mitteilenden und Aussagenden zu denken, stets der Tatsache zu erinnern, daß dieser Mensch gekreuzigt wurde, daß er im Namen des Gesetzes Gottes getötet wurde.“15

5.Bequemlichkeit der Undenkbarkeit Gottes

Theologie und Kirche scheinen sich in der Bequemlichkeit des prinzipiell undenkbaren Gottes und der damit verbundenen eigenen Bedeutungslosigkeit in Wissenschaft und Leben gut eingerichtet zu haben. Kirchlicherseits lässt es sich offensichtlich auch und gerade ohne Theologie gut leben, besonders ohne eine Theologie, die den Finger in die Wunde einer Macht legen könnte, die sich immer noch aus dem Besitzanspruch auf die Wahrheit eines exklusiv denkbaren und sich ebenso exklusiv offenbarenden Gottes speist. Das reformatorische „allein aus Glauben“ wird hier unredlicher Weise zum Programm gegen eine wissenschaftlich wie praktisch ernsthafte Auseinandersetzung mit der Denkbarkeit und Sagbarkeit Gottes unter den Bedingungen postmodern-modernen Lebens. Die Neuzeit stellte Theologie und Kirche vor die Frage, ob Gott notwendig sei, und beantwortete die Frage damit bereits. Denn „wer aber so fragen muß, wer die Notwendigkeit Gottes in Frage stellen muß, der hat sie im Grunde auch schon verneint. […] Gott ist weltlich nicht notwendig16, auch nicht, um die Welt vor den Abgründen der Unmenschlichkeit zu schützen. Der „Mensch [kann] ohne Gott menschlich sein“, er „hat das Kriterium seiner eigenen Notwendigkeit und Wirklichkeit nicht mehr in Gott, sondern er versteht sich – sei es als notwendig, sei es als nicht notwendig – aus sich selbst.“17

Die Neuzeit macht das bis dahin selbstverständliche Zentrum des Alls „Gott“ zur Leerstelle. Damit wird die Herrschaft Gottes in Zweifel gezogen. „Der weltlich notwendige Gott wurde allemal begriffen als Gott der Herr. Und was ein Herr ist, schien ebenfalls ausgemacht. Von Gottes Herrschaft war die Rede im Sinne seiner Allmachtsausübung. Der weltlich notwendige Gott wurde begriffen als der allmächtige Herr, dessen Liebe und Erbarmen gegenüber seinem Herrschaftsanspruch grundsätzlich sekundär und nachgeordnet erscheinen. So denkt man sich ja auf Erden einen Herrn: daß er zunächst einmal Macht hat und daraufhin dann vielleicht auch barmherzig sein kann – oder eben auch nicht. Und entsprechend denkt man sich dann auch Gottes Herrsein und Herrschaft. Er ist mächtig, fähig und frei, zu lieben oder auch nicht zu lieben.“18 Die neuzeitliche Theorie entthront Gott, aber nicht die Macht der Kirche. Sie verliert zweifelsohne über die Jahrhunderte an Einfluss, aber sie hält erfolgreich theologisch, liturgisch und in der Legitimation ihrer Strukturen und Ämter am (Sprach-)Bild der weltlich notwendigen Herrschaft Gottes fest. Und offensichtlich profitiert auch die Theologie von der Verschleierung der Leerstelle – selbst der Preis der eigenen Sprachlosigkeit, der immer deutlicher zu Tage tretenden Schizophrenie im Anspruch der Denkbarkeit Gottes zwischen Nichtnotwendigkeit und Allmacht, selbst der Preis der Implosion scheint im Vergleich zum Gewinn nicht zu hoch. Theologie und Kirche laufen damit absehbar und in Teilen bereits angekommen ins Leere.

 

Man „wird dabei die Vermutung nicht unterschlagen können, daß der Herrschaftsanspruch des Wortes ‚Gott‘, wenn er als ein die Freiheit des Denkens beeinträchtigender Anspruch auftritt, das Wesen Gottes theologisch kaum zutreffend begriffen haben dürfte. […] Gottes Allmacht ist vielmehr als die Macht seiner Liebe zu verstehen. Nur die Liebe ist allmächtig. Gottes Herrschaft ist deshalb als das Regiment seiner Barmherzigkeit und Gottes Recht dementsprechend als das Recht seiner Gnade zu verstehen.“19 Und spätestens hier hört das Wort „Gott“ auf, ein Denk- und Sprachspiel von Theologie und Kirche, ein Spielball zwischen vorgeblich wissenschaftlicher Reflexion und institutioneller Praxis zu sein, muss ein Schlussstrich unter das unwürdige Machtspiel gezogen werden. Hier stehen Würde und Menschlichkeit, das Leben selbst auf dem Spiel. Eberhard Jüngel zeigt den fatalen Zusammenhang zwischen der Behauptung der Allmachtsherrschaft Gottes und dem Drang des Menschen zur Abhängigkeit bzw. zur Unterdrückung. Er stellt die Frage, ob „die Identifizierung der allmächtigen Herrschaft, von der der Mensch schlechthin abhängig sein soll, mit Gott, nicht die Kaschierung des elementaren anthropologischen Tatbestands ist, daß der Mensch in schlechthinniger Abhängigkeit vom Menschen existiert, weil der Mensch über den Menschen total herrschen will.“20 Hinterlässt also die Vertreibung Gottes aus dem Zentrum gar keine Leerstelle, sondern deckt einen menschlichen Abgrund auf?

„Die Theologie hätte also, wenn sie die Entdeckung der weltlichen Nichtnotwendigkeit Gottes nicht als Fremdkörper akzeptiert, sondern aus theologischen Gründen selber vollzieht, zur Erhellung des Selbstverständnisses des neuzeitlichen Menschen insofern einen fundamentalen Beitrag zu leisten, als sie zu einer vertieften Einsicht in den Sachverhalt verhelfen könnte, daß der Mensch durch die Bestreitung der weltlichen Notwendigkeit doch die anthropologische Funktion noch nicht gelöscht hat, die bis dahin eines Gottes Funktion gewesen sein soll. Die Theologie könnte einen Beitrag zur Umwertung dieser Funktion leisten, insofern sie die Tendenz nach totaler Herrschaft über Menschen als eine ursprüngliche Tendenz zur Vergötzung des Herrschens und zur Versklavung des Menschen enthüllt.“21 Die Auswirkungen dieser theologischen Leerstelle lassen sich gegenwärtig in unglaublich brutaler Form als Schneise der Vernichtung von Menschen und Kultur durch den sogenannten Islamischen Staat beobachten. Theologie könnte die Welt nicht retten, selbst wenn sie sich seit der Neuzeit als Wissenschaft von und in der Akzeptanz der Nichtnotwendigkeit Gottes erfunden und profiliert hätte. Zugleich gilt es die Chancen und Möglichkeiten der Theologie zu nutzen, sich dieser Grundaporie menschlichen Lebens auszusetzen. Exposure heißt in diesem Zusammenhang, sich hartnäckig denkend und handelnd dem Zusammenfallen, der Gleichzeitigkeit von Macht und Liebe zu nähern. An „einem theologisch angemessenen Begriff der Herrschaft Gottes (wäre) die Erkenntnis zu gewinnen, daß Herrschen und Dienen sich keineswegs paradox zueinander verhalten müssen und daß Herrschaft keineswegs notwendig die Knechtschaft anderer impliziert.“22

6.Eine Frage der Führung

Ist die Frage nach Gott eine Frage der Führung? Gegenstand christlicher Theologie wären 2015 Jahre Führung, die neuzeitliche Leerstelle wäre mit Führung statt mit Vergötzung von Herrschaft zu füllen, Theologie als Wissenschaft einer neuen Idee von Führung, die Mündigkeit und Freiheit fördert. Praktische Theologie wäre nicht nur Reflexion kirchlicher Praxis, sondern würde neue Praxis initiieren – in Kirche und Wissenschaft, eine Praxis, die sich weder in Kirche noch in Wissenschaft über Ausschluss und Herrschaft realisiert, die ihren Wert nicht über Knechtschaft und Ausgrenzung definiert. Dafür ist in Kirche und Wissenschaft eine andere Theorie des Gegensätzlichen nötig, die nicht auf eine Auflösung in eine Über-Unter-Ordnung hinein setzt, sondern den Gegensatz durchdenkt, ihm standhält, in der Grundirritation vom Ende der Herrschaft Gottes und dem immer wieder neuen Anfang der Allmacht der Liebe, der Gnade ausharrt. In dieser Irritation hat sich Wahrheit immer wieder neu zu bewähren, endet die Herrschaft der letzten Schlüsse, des schon immer Gewussten, der klaren und beständigen Deutungen.

Eberhard Jüngel positioniert als Proprium des Christlichen Gott genau inmitten der Irritation: „Daß Gott, obwohl er der zwischen Sein und Nichtsein Entscheidende ist, dennoch nicht nur oberhalb dieses Gegensatzes von Sein und Nichtsein, sondern inmitten dieses Gegensatzes Gott ist, das ist nun […] als Pointe christlicher Rede von Gott zur Geltung zu bringen.“ „Gott bestimmt sich zum Menschsein des Menschen Jesu, um gerade in und mit diesem Menschen Gott zu sein.“ Er „selbst aber bestimmt sich dazu, nicht ohne den Menschen Gott zu sein.“ Deshalb „gehört schon zu Gottes Göttlichkeit seine Menschlichkeit. Das ist es, was die Theologie endlich zu lernen hat.“23 „Wie denn überhaupt zu befürchten ist, daß die Theologie nicht an den Bastionen des Unglaubens, sondern vielmehr an ihrer eigenen Verschlafenheit zugrunde geht.“24 Jüngel ist die Ungeduld anzumerken, mit der er für ein theologisches Bewusstsein kämpft, dass Gott „nicht notwendig [ist], weil mehr als notwendig“25. Gott ist mehr als notwendig. „Es ist theologisch unhaltbar, daß nur das Notwendige wesentlich sei. Auch der Zufall hat sein Wesen, auch das Kontingente ist wesentlich.“26

7.Annäherung durch Unterbrechung

Fehlt der Theologie die Einsicht in das Wesen und die Bedeutung des Zufalls? Hat sie sich eingerichtet in der Allmachtsbequemlichkeit, die die Aporie des Kreuzes, der Ohnmacht und Schwachheit, der Menschenbindung Gottes meidet? Mit Bonhoeffer denkt Jüngel „Gott als den sich aus der Welt herausdrängen Lassenden und gerade so sich auf die Welt Beziehenden27, als einen der „die Welt am Kreuz als die ihn nicht ertragende erträgt“, weshalb „das Sein Gottes in der Tat als ein die Alternative von Anwesenheit und Abwesenheit sprengendes Sein zu denken [ist]“.28 Fehlt der Theologie der Glaube? Fehlt ihr der Glaube als die „ursprünglichste Weise des Mitgenommenwerdens durch Gott […] in das Ereignis des redenden Gottes [… und die] ins Sein gerufene Relation des sich auf den anredenden Gott einlassenden Menschen […], als Verhalten, in dem der Mensch gleichursprünglich sowohl Gott als auch sich selbst entspricht“29? Fehlt der Theologie die Freiheit als „Akt, in dem ein Ich sich auf ein anderes Ich so einläßt, daß es dieses andere Ich genau das sein lässt, was es ist“30?

„Wenn Gott sich als selber redend zu erkennen gibt und als solcher zu denken ist, dann hängt die Beantwortung dieser Fragen vom Verständnis dessen ab, was Wort ist. Wäre Wort nur ein informierendes Zeichen, das der Sprechende hinter sich zurücklassen kann, ohne selbst darauf bezogen zu bleiben, dann wäre Nachdenken in der Tat ein museales Unternehmen. Aber gerade dieses Verständnis von Wort scheitert am Wesen des Wortes Gottes. Denn wenn der Glaube die durch dieses Wort ermöglichte Einstellung des Menschen zu Gott ist, in der der Mensch sowohl sich selbst als eben auch, und zwar gleichursprünglich, Gott entspricht, dann hat eine solche Entsprechung den Charakter der Begegnung von Gott und Mensch. Gottes Wort ist dann nicht ein Relikt, dem gegenüber Gott weit entfernt und beziehungslos seine Wege ginge, sondern dieses Wort ist voll von Beziehung“. Demgegenüber „ist die Funktion des Wortes, in dem Gott sich als der von sich aus Redende erweist, als die einer ansprechenden Unterbrechung zu verstehen, durch die der Ansprechende dem Angesprochenen in unvergleichlicher Weise nahe kommt. Das Wesen des ansprechenden Wortes ist Annäherung durch Unterbrechung.“31

Das Wort Gottes ist also nicht einfach Information, sondern Ereignis, in dem Nähe und Distanz, Anwesenheit und Abwesenheit, Widerstand und Anziehung, Gott und Mensch zugleich und gleichrangig präsent sind. Im Wort unterbricht Gott als Redender Ordnungen und Routinen, den Lauf des Seins, nicht durch ein Machtwort, sondern durch Beziehung. „Denken kann Seiendes nur denken, wenn es den Gegensatz von Denken und Sein nicht überspringt. Es muß ihn vollziehen.“ Im Versuch, „Gott zu denken, wird das Denken mitgenommen, indem es den Glauben und sein Geglaubtes denkt. Glauben aber ist die unmittelbare Weise des Mitgenommenwerdens durch Gott. Der Glaube ist ein Aus-sich-Herausgehen des Ich ohne Ende. Er kennt kein Zurück. Denn der Glaube ist immer schon bei dem Geglaubten.“ Nachdenken „ist dann allerdings – so, wie Glaube ein ursprünglicher Akt der Selbstbestimmung ist – das genaue Gegenteil eines ‚Denkens‘, das sich der Anstrengung eigenen Denkens enthoben weiß. […] Denken ist nie Imitation. Dasjenige Nachdenken, das Gott nachzudenken sich verpflichtet weiß, ist immer das Gehen eines eigenen Weges.“32