TogetherText

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Openword.doc: TogetherText und die Institution

Anne Rietschel im Gespräch mit Marc Schäfers, Gernot Grünewald, Irina Szodruch, Maria Nübling, Sonja Laaser, Bernd Isele und Pina Bergemann

2007 gewannen Rimini Protokoll mit dem Mülheimer Dramatikerpreis einen renommierten Stückepreis, 2008 gründete sich mit schaefersphilippen ein Verlag, der sich unterschiedlichster Fälle von Autor*innenschaft im Theater annahm, und 2012 öffnete sich der Berliner Stückemarkt für Projektbewerbungen. All diese Bewegungen, die ein erweitertes Verständnis von Autor*innenschaft und Textproduktion im Theaterbetrieb abbildeten, nahm ich 2012 zum Anlass, meine Masterarbeit im Fach Dramaturgie diesem Thema zu widmen. Die Notwendigkeit einer neuen beziehungsweise erweiterten Praxis im Umgang mit Theatertext – nicht nur für die Theatermacher*innen, sondern auch für die Theaterinstitutionen – beschäftigte mich auch in den folgenden Jahren in meiner Praxis als Dramaturgin an Theaterhäusern und in Projekten in Eigenproduktion. Während in der Freien Szene längst Selbstverständlichkeit im Umgang mit TogetherText und den Folgen für Produktionsprozesse herrscht, wirkt er in den Strukturen des Stadt- und Staatstheaters oft noch herausfordernd. Erweiterte Formen der Textproduktion fordern eingespielte Produktionsprozesse heraus. Wo liegen diese Herausforderungen und wie kann TogetherText auf nachhaltige und sinnvolle Weise seinen Weg ins bestehende Theatersystem finden?

In diesem Band greife ich das Thema erneut für eine Reflexion auf. Ausgehend von der Frage, wie sich die damaligen Öffnungen der Institutionen mittlerweile weiterentwickelt haben und wo noch immer Probleme, Fragestellungen, aber auch Möglichkeiten liegen, habe ich alte und neue Bekannte getroffen, um über TogetherText in deren (ganz unterschiedlichen) Arbeitsprozessen zu sprechen. Ich habe sie in Kantinen und Theatercafés in Köln, Hamburg, Berlin und Jena getroffen, wir haben immer ungefähr eine Stunde geredet: Dramaturg*innen, Festivalleiter*innen, ein Verleger, eine Schauspielerin, ein Regisseur, eine Rechtsanwältin. Ganz im Sinne des TogetherText werden hier Auszüge aus den ganz unterschiedlichen Gesprächen wiedergegeben; exemplarisch, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und natürlich in all ihrer Subjektivität: ein Spaziergang durch die Institutionen.

Marc Schäfers, Verlag schaefersphilippen, Köln

Als Erster erzählt mir Marc Schäfers im Fünfziger-Jahre-Ambiente des Kölner Café Wahlen davon, wie er und sein Kollege Tobias Philippen aus einem Interesse an der Terra incognita den Schritt zum eigenen Verlag wagten. Bereits 2008 gründeten sie den Verlag und die Agentur schaefersphilippen. Begeistert von der Kunst und von Autor*innenschaftsansätzen von Gruppen wie Rimini Protokoll oder andcompany&Co, interessierten sie sich für die Frage, wie diese damals neuen und kollektiven Ansätze für das Stadttheater fruchtbar gemacht werden könnten:

»Als wir 2008 schaefersphilippen gründeten, gab es in der Freien Szene oft eine durchaus kritische Haltung gegenüber dem Stadttheater. Wir hatten große Freude daran zu überlegen, wie man die beiden miteinander verbinden kann, denn wir haben bemerkt, dass es beidseitig – so sehr man sich auch kritisch beäugt – ein Interesse aneinander gab. Die Häuser haben gesehen, dass da was Neues passiert, und versuchten oft auch etwas unbeholfen, die Gruppen irgendwie in ihre Institution zu bekommen. Das hat selten richtig gut geklappt, auch wenn der gute Wille da war. Oft sind aber auch die freien Gruppen ein bisschen zu radikal da reingegangen. Ich verstehe die Theater, die gesagt haben, ›wenn ihr zu uns kommt, müsst ihr auch mit unseren Regeln umgehen.‹«

Wie sah und sieht die Arbeit als Verleger*in bei euch konkret aus?

»Klassischerweise kommt man als freie Gruppe häufig, wenn man nicht mit einem Verlag arbeitet, zu einem eher unterdimensionierten Gesamtkurs in ein Theater und macht dafür sämtliche Arbeiten, von der Recherche über die Texterstellung bis zur Performance. Wir haben das Gesamte wieder in die Einzelteile zerlegt, um zu schauen: Was ist das eigentlich? Was davon kann über eine Produktion hinaus Bestand haben? Aus unserer Sicht als Verleger war es erst mal der Text, der weitergereicht und auch anderweitig genutzt werden könnte, z. B. im Bereich Hörspiel. Die Möglichkeit, auch mit einer freieren und kollektiven Textentwicklung traditionellere Verwertungswege einzuschlagen, war für uns und die Künstler*innen sehr spannend, weil so Institutionen wie der Bayerische Rundfunk oder der WDR solche Formate für sich entdeckt haben. Es war wichtig, die Stadttheater darauf hinzuweisen, dass es sich auch bei der Arbeit von freien Gruppen um eine Autor*innenschaft handelt. Aber auch das muss im Einzelfall offen diskutiert werden, denn in der Sekunde, wo jede*r Autor*in ist, bricht natürlich ein Konstrukt weg, welches in der schwierigen Gagenstruktur am Stadttheater den originären Autor*innen überhaupt ihr oft nur minimales Einkommen sichert.«

Es scheint ja längst angekommen, dass viele Häuser prozessuales Arbeiten für sich entdecken. Was sind Problematiken, die ihr beobachten könnt?

»Es gibt natürlich einen riesigen Unterschied zwischen einer gewachsenen Gruppe wie z. B. Rimini Protokoll und einer Gruppe, die über die Dramaturgie eher zufällig zusammenkommt. Die gewachsene Gruppe hat eine gemeinsame Herkunft und Ausbildung, hat viele Jahre intensiv zusammengearbeitet und eine ganz klare Form entwickelt. Das kann man nicht pauschalisieren, aber ich glaube, es fehlt bei den sicher richtigen Themen dann doch oft der ganz klare künstlerische Zugriff, der über die Tagespolitik hinausführt. Natürlich haben Autor*innen wie Maxi Obexer, die seit über 15 Jahren über den Themenkomplex ›Festung Europa‹ schreibt und recherchiert, oder Björn Bicker, der schon sehr lange an den Nahtstellen der Gesellschaft im Umgang mit Marginalisierten arbeitet, eine Form und eine unvergleichliche Expertise entwickelt. Oft aber sehe ich wohlgemeinte Produktionen, denen dann doch ein Unterbau – und ganz konkret: eine tatsächliche Autor*innenschaft – fehlt.«

Gibt es Erfahrungen und Hinweise im Umgang mit teils sehr persönlichen Texten von Akteur*innen? Die Frage ist ja, wer alles als Ko-Autor*in beteiligt wird.

»Ich kann nur empfehlen, von Anfang an ganz klar die Bedingungen zu besprechen. Ich finde schon, dass es ein gewisses Anrecht der Initiator*innen gibt, zu sagen: ›Das ist meine Ästhetik, ich mach das so oder so, ist das in Ordnung für euch?‹ Mein Erweckungserlebnis war Rimini Protokolls Wallenstein1, da hatte ich das Gefühl, alle Personen auf der Bühne sind wahnsinnig interessante Menschen. Das Besondere fällt dann aber ohne die Theatermaschinerie auch wieder ab, sie stellt das ja erst her. Das war ein Triumph des Castings, der richtigen Zusammenführung und der hochkomplexen Überlegung: Wie kann man mit Hobbyschiedsrichtern usw. den Wallenstein erzählen? Ich finde schon, dass das eine ganze Menge ist. Mich interessieren Dinge, die über den Tag hinausgehen. Das funktioniert erst durch das vergrößernde Glas der Kunst und die Form des Zugriffs.

Und dann geht es um rein vertragliche Fragen. Geht offen damit um und klärt das am Anfang. Es gibt ja nichts Blöderes, als sich hinterher zu ärgern. Man kann immer sagen: ›Mach ich oder mach ich eben nicht.‹«

Gernot Grünewald, Regisseur

Wir treffen uns während einer Probenpause im Hamburger Thalia in der Gaußstraße. Gernot Grünewald (*1978) arbeitet als Regisseur an zahlreichen deutschsprachigen Theatern, häufig an dokumentarischen Projektentwicklungen. Er studierte Schauspiel an der HfS Ernst Busch und ab 2007 Theaterregie an der Theaterakademie Hamburg. Mit seiner auf Interviews mit Sterbenden basierenden Diplominszenierung Dreileben2 gewann er 2011 den Preis des Körber Studio Junge Regie. Exemplarisch beschreibt er mir einige seiner Arbeiten, zunächst Dreileben. Die Schauspieler*innen hatten in einem Hospiz mit Sterbenden gesprochen, und so entwickelte die Gruppe eine Art dreifache Autor*innenschaft:

»Die Sterbenden erzählten das, was sie erzählen wollten, sie waren der/die erste Autor*in der eigenen biografischen Narration. Die Schauspieler*innen erzählten mir daraufhin, was sie aus dem Gespräch mitgetragen haben, und ich als Regisseur habe dann zusammen mit der Dramaturgin eine Auswahl getroffen. So entstand ein Abend, der komplett aus Texten der Spieler*innen bestand, die wir auch nie fest fixiert haben. Der Gedanke war, dass man die Geschichte der Sterbenden, die aus dem Erleben der Spieler*innen erzählt wurden, jeden Abend aufs Neue berichtet. Natürlich wurden dann in den Proben doch irgendwie Texte daraus, aber es gab eine Offenheit für jede Vorstellung.«

Am Stadt- und Staatstheater hast du ja dann beides gemacht, Stücktexte inszeniert, aber eben auch zahlreiche dokumentarische und prozessuale Projekte realisiert –

»Was lange auf der Strecke blieb, war, dass die Schauspieler*innen wirklich zum Teil eines Rechercheprojektes wurden, was am Stadt- und Staatstheater oft schwer möglich ist, weil sie in so viele Produktionen eingebunden sind. Das erste Mal, dass es so funktioniert hat, wie ich es mir wünschte, war 2016 bei einem Projekt über die Insel Lesbos für die Box am Deutschen Theater3. Wir sind mit zwei Spieler*innen für eine Woche nach Lesbos gefahren und haben dort u. a. mit Freiwilligen und Geflüchteten geredet. Aus dieser gewonnenen, natürlich absolut subjektiven Expert*innenschaft, welche die eigenen Erfahrungen und den Umgang damit reflektiert, haben wir dann (zusammen mit einem irakischen Schauspieler, der selbst über Lesbos nach Berlin geflohen war) einen Abend inszeniert, der fast nur aus diesen eigenen Texten bestand.«

 

Wie ist denn in diesem Fall der Text entstanden?

»Direkt auf den Proben. Die Spieler*innen beschrieben mir die Situation, dann verdichten wir das immer weiter und kommen irgendwann zu einer finalen Version, die aber immer noch eine Offenheit hat, was die Textbehandlung angeht. Für die Licht-, Ton- und Videotechnik müssen die Sätze irgendwann dann doch aufgeschrieben werden, aber im Grunde sollen sie möglichst frei bleiben. Es ist immer ein ähnlicher Zugang: Wie kann man die Spieler*innen mit Wirklichkeit konfrontieren, die sie aus dem Dabeigewesensein dann einem Publikum berichten können? Das ist ja eine ganz andere Expertise, als wenn man sich ein Interview anhört, das Regisseur*in oder Dramaturg*in geführt haben, was sonst Verfahren waren, mit denen ich arbeiten musste, wenn es nicht anders ging.«

Wenn du sagst, der Text soll möglichst offenbleiben, wie funktioniert die Textfixierung?

»Bei Dreileben war es extrem, da haben wir es gar nicht fixiert, da habe ich aber selbst das Licht gemacht. Wenn ich nicht dabei bin, braucht es das natürlich. Oft schreiben dann auch die Regieassistent*innen mit, so z. B.: ›Sie redet über xy und geht nach hinten, Lichtwechsel‹. Das sind dann so Halbtexturen. Oder es gibt Texturen, wo der Text ungefähr aufgeschrieben steht, aber wo der Hinweis notiert ist: ›wird improvisiert‹. Oder es gibt einen Satz, der immer von den Spieler*innen gesagt werden muss, weil das der Cue ist.«

Wie ist das bei den Proben zu Hereroland?4 Ihr habt eine Recherchereise nach Namibia unternommen.

»Das ist ein interessanter Fall. Für die deutsch-namibische Kooperation über den Genozid an den Herero und Nama konnte nur ein Spieler mit auf die Reise kommen. Die namibischen Kolleg*innen sind selbst Herero und somit Expert*innen für das Thema, und man merkt in den Proben, dass man jetzt damit sehr unterschiedlich arbeiten kann.

Der Spieler, der mit auf der Reise war, kann natürlich aus der Erfahrung schöpfen und hat jetzt eine viel bessere Anbindung an das Thema, daraus entsteht in der Arbeit ein ganz anderer Text beziehungsweise kann überhaupt erst ein Text entstehen. Denen, die nicht dabeisein konnten, gebe ich Texte, die aus Interviews entstanden sind, und muss ihnen erzählen, was das Signifikante an dem Moment war, was man versuchen könnte, theatral zu übersetzen. Für diese Art von Projekten kann man erst in dem Moment anfangen, einen Text gemeinsam zu entwickeln, wo Spieler*innen auch anwesend sind/waren.«

Zusammenfassend würdest du deine Textarbeit so beschreiben –

»Es ist ein bisschen Entweder/Oder: Entweder versuche ich, dass die Spieler*innen den Text in Kooperation mit mir auf den Proben entwickeln, oder ich gebe ihnen Texte, die ich aus Interviews oder dokumentarischem Material collagiere und verdichte. Ich komme besser an Themen dran, wenn ich mich unmittelbar mit ihnen auseinandersetze. Ich sehne mich oft nach einem Stück (um mehr Struktur zu haben), finde es dann nicht und mache es schließlich selbst.«

Wie funktioniert deine Arbeitsweise an Häusern mit Ensemble? Es ist ja eine Art zu arbeiten, die man als Schauspieler*in auch wollen muss.

»Es müssen Spieler*innen sein, die offen für solche Formen sind, das ist oft ein Problem. Das beginnt bei der Ausbildung an den Schauspielschulen. Ich selbst habe eine Schauspielausbildung an der HfS Ernst Busch gemacht, da war es überhaupt kein Teil der Ausbildungspraxis, auf solche Projekte vorbereitet zu werden. Ich nehme wahr, dass an vielen Häusern immer noch der bürgerliche Kanon vorherrscht, der manchmal von Projekten durchbrochen wird. Aber dazu braucht es andere Spieler*innentypen als die, die in vielen Ensembles zu finden sind. Wenn ich an einem Haus arbeiten soll, wäre es doch gut, wenn man dort zwei bis drei Leute hätte, die solche Projekte auch machen können und wollen. Aber der Spielplan besteht zu 80 – 90 % aus Stücken, d. h. es wird andersrum gesucht: Wer kann die große Bühne mit Sprachausbildung und Präsenz füllen? Und alles andere kann er/sie hoffentlich auch noch.«

Aus dieser Arbeitsweise ergibt sich ja auch eine andere Produktionsweise. Wo liegen dabei Problematiken?

»Der schwierigste Faktor für mich ist die Disposition, wie z. B. Hereroland. Wie weit im Voraus schafft es ein Haus, Besetzungen zu planen? Recherchereisen finden deutlich vor Produktionsbeginn statt. Wenn man mit einer Gruppe von Spieler*innen eine Recherchereise macht, kann man anders arbeiten. Zumeist verhindert die Produktionsdichte der Theater aber, dass sich die Spieler*innen ausführlich mit Themen beschäftigen können. Wenn sie sich vorher in einen Kosmos stürzen, in dem ich schon ein Jahr lang stecke, und sollen sich, während sie proben, Text lernen und Vorstellungen haben, in ein Thema einarbeiten, bleibt die Expert*innenschaft begrenzt. Als freie Gruppe geht das besser, man arbeitet in fester Konstellation und kann gemeinsam eine Arbeitsweise kontinuierlich weiterentwickeln.«

Ist deiner Erfahrung nach das prozessuale Arbeiten an den Häusern angekommen?

»Ich dachte 2011, dass ich mein Diplom als Projekt mache und danach fange ich am Theater an zu arbeiten, da wird das sicher nie wieder vorkommen. Jetzt ist es ein bisschen umgekehrt und ich bin der, der immer ›diese Projekte‹ macht. Dabei will ich das gar nicht immer machen, weil es ziemlich anstrengend ist, vier Mal im Jahr eine neue Form zu erfinden. Ich glaube schon, dass das prozesshafte Arbeiten in den Häusern angekommen ist als eine Art, Theater zu machen, die Sachverhalte gegenwärtiger und schneller auf die Bühne bringen kann, anstatt darauf zu warten, dass ein*e Autor*in ein Stück dazu schreibt. Die strukturbedingten Arbeitsprozesse stehen diesem Ansinnen aber manchmal entgegen, zuweilen auch die Betrachtung der Spieler*innen. Das Denken, dass sie nicht nur ausführendes Material sind, das einen Text zugeteilt bekommt und eine Figur spielt, ist mancherorts nur mäßig in den Köpfen angekommen. Spieler*innen spiegeln mir immer wieder, dass sie an den Besetzungsprozessen beteiligt sein wollen, dass sie als selbstständige Künstler*innen und nicht als weisungsgebundene Handwerker*innen betrachtet werden wollen. Sie wollen nicht nach der Konzeptionsprobe den Treibhauseffekt bei Wikipedia nachlesen, sondern vorher anfangen, mitzudenken. Wenn man schon vorher zusammensitzen könnte, diskutieren, sammeln, recherchieren, dann kann man woanders starten und auch Texte besser zusammen entwickeln. Da geht in der Theaterbetriebspragmatik ein großes Potential verloren.«

Irina Szodruch, Dramaturgin, Maxim Gorki Theater Berlin

Irina Szodruch (*1980) ist nach Stationen in der Dramaturgie an der Schaubühne und dem Ballhaus Naunynstraße seit Beginn der Ära Shermin Langhoff am Maxim Gorki Theater dabei. Eine langjährige Arbeitsbeziehung verbindet sie mit Regisseurin Yael Ronen. Wir treffen uns in der Gorki-Dramaturgie, es gibt Kaffee und die restlichen Croissants des vorangegangenen Dramaturg*innen-Frühstücks.

Das Gorki steht mittlerweile für die Form von Stückentwicklungen, war das von Anfang an Programm?

»Das hat schon am Ballhaus Naunynstraße angefangen, wir wollten Geschichten erzählen und neue Perspektiven auf alte Geschichten richten, die so noch nicht aufgeschrieben sind. Da lag es in der Natur der Sache, dass wir sie selbst schreiben mussten. Es ist ja auch kein Zufall, dass hier so viele Autor*innen/Regisseur*innen arbeiten, die schreiben und inszenieren, weil es eher ein inhaltliches und politisches Anliegen ist, mit dem wir angetreten sind. Wie das genau passiert, ist ja sehr unterschiedlich. Yael Ronen zum Beispiel ist eine Autorin, die sich gar nicht an den Computer setzen und anfangen könnte, irgendwas zu schreiben. Sie interessiert sich vor allem für Gruppenprozesse, für spezifische Themen und Menschen. Deshalb initiiert sie eher Prozesse und sagt oft selbst, dass das Theaterstück eher ein Nebenprodukt ist.«

Wie wird das prozessuale Arbeiten am Haus reflektiert?

»Wir haben seit ungefähr drei Jahren eine Arbeitsgruppe zum Thema. Bei einer Klausur haben damals die Ensemblevertreter*innen angesprochen, dass sie in den ersten drei Spielzeiten so viele Stückentwicklungen mitgemacht hätten und es eine sehr uneinheitliche Umgangsweise damit gäbe. Zwar eine sehr vertrauensvolle, aber so richtig geschützt und abgesichert fühlten sie sich nicht. Wir haben das am Anfang eben immer irgendwie gemacht und haben dadurch auch einen bestimmten Stil und eine Spielweise entwickelt. Es gibt sehr unterschiedliche Situationen, z. B. Regisseur*innen wie Yael Ronen, sie nennt ihre Stücke immer ›von Yael Ronen und Ensemble‹, weil ihr das total wichtig ist, dass im Credit das Team genannt ist. Und es gibt andere wie z. B. Falk Richter, bei dem es meist ein Text ›von Falk Richter‹ ist. Was die Nennungen betrifft, wird das sehr unterschiedlich gehandhabt. Auch, was mit den Texten im Anschluss passiert, z. B. publiziert Falk Richter seine Stücke und lässt sie nachspielen, bei Yael Ronen gab es da nie wirklich ein Interesse von außen, deshalb hat sich die Frage nie so gestellt.«

Wie entstehen die Texte konkret?

»Darin gibt es natürlich eine große Diversität, das reicht davon, dass auf einer Probe eine*r eine Geschichte aus dem Leben erzählt. Da fragt auch niemand nach, ob das wirklich so passiert ist. In anderen Probenprozessen wird protokolliert, aufgenommen und transkribiert und daraus entstehen Texte. Manchmal gibt es konkrete Schreibaufgaben, dann kommen die Schauspieler*innen am nächsten Tag und lesen ihre Texte vor. Bei Yael Ronen z. B. gibt es eine Aufgabe und dann wird manchmal der geschriebene Text, den jemand mitgebracht hat, eins zu eins in die Inszenierung übernommen, oder es wird eine erzählte Geschichte übernommen. Und manchmal ist das auch ein Ausgangspunkt für etwas, was Yael Ronen schreibt. Insofern ist das aus urheberrechtlicher Perspektive sehr unterschiedlich. Aber da kommt immer die moralische Komponente und Verantwortung dazu: Wie gehe ich um mit einer Geschichte, die mir auf einer Probe erzählt wurde?«

Und wie geht das?

»Das Ensemble hat ganz klar gesagt, sie brauchen eine Art von Schutz; es sind immerhin ihre erlebten Geschichten oder geschriebenen Texte. Dann kamen auch Regisseure wie Oliver Frljić oder Ersan Mondtag ans Haus, die nochmal unterschiedliche Vorgehensweisen mitgebracht haben. Z. B. in Ersan Mondtags Inszenierung Salome5 gab es einen Text von Thomaspeter Goergen. In den Proben wurde die Schauspielerin Orit Nahmias gebeten, ebenfalls Texte zu schreiben. Diese Texte haben ungefähr ein Drittel des Aufführungstextes ausgemacht, weshalb klar war, dass sie dafür auch Tantiemen bekommt.

Eine schwierigere Kategorie ist die moralische Komponente, da geht es oft um kurze Texte, die prozentual nicht stark ins Gewicht fallen, die aber für die Person einen großen emotionalen Stellenwert haben können. Das ist eine Kategorie, die sich urheberrechtlich nicht wirklich fassen lässt, weil es sich nicht um einen geschriebenen Text handelt, sondern um eine Improvisation oder Erzählung auf der Probe. Das ist dann ein kaum geschützter Bereich, und da geht es dem Ensemble sehr um Schutz und um Hoheit. Natürlich braucht man Vertrauen in einem Prozess, um sich zu öffnen, aber um das Vertrauen aufbauen zu können, muss man sich eben sicher sein können, dass verantwortungsvoll mit dem Gesagten umgegangen wird.«

Wie geht ihr mit einer Weiterverwertung der Texte um?

»Bei Yael Ronens Stücken haben wir mittlerweile die Absprache, dass die Weiterverwertung der Texte nur im Einvernehmen passieren kann. Das ist aber etwas, was wir am Gorki nicht allgemein für alle Projekte festgeschrieben haben. Diese Fragen stellen wir uns in unseren Arbeitsgruppen: Wie kann man einen Gorki-Standard formulieren und aufschreiben, dem sich alle, die hier arbeiten, verpflichten? Zum Beispiel hatten wir zu Third Generation – Next Generation eine Anfrage zur Stückveröffentlichung von Theater heute, also haben wir das Ensemble gefragt, ob sie damit einverstanden sind.6 Wir sagten allen, wenn jemand das auf keinen Fall will, ist das in Ordnung. Oder wenn sie prinzipiell wollen, aber die eigene Geschichte nicht vorkommen soll, kann man einzelne Szenen rausnehmen. Ein Schauspieler wollte, dass ein bestimmter Teil von seinem Text nicht vorkommt, also haben wir den rausgestrichen. Es gab ein zugehöriges Interview mit Yael Ronen, in dem sie erklärt hat, dass etwas fehlt.«

 

Wo geraten der Theaterbetrieb und die prozessuale Form aneinander?

»Die Disposition ist meist ein Problem. In einem Theater mit eigenen Werkstätten hat man bestimmte Abläufe, d. h. Bauproben, Werkstattzeiten und technische Einrichtung. Und das Ensemble ist nicht immer verfügbar, weil sie mitunter vier Stücke im Jahr proben. Das hat zur Folge, dass man auch bei Projekten eine Bauprobe machen muss, bevor man anfängt zu probieren. Aber für eine Regisseurin wie Yael Ronen, die ihr Thema erst dann findet, wenn sie anfängt zu proben, und damit auch erst der Bühnenbildnerin Input geben kann, ist das problematisch.

Da haben wir mit viel Geduld und Mühe seitens des Betriebsbüros ein Prinzip entwickelt, wie man einen Workshop vor der Bauprobe machen kann.«

Sonja Laaser, Dramaturgin und Rechtsanwältin, Berlin

Sonja Laaser ist Rechtsanwältin für die Kunst- und Kreativszene und betreut die Gebiete Gesellschaftsrecht, Vertragsrecht sowie Urheber- und Medienrecht. Sie arbeitet auch als freie Dramaturgin. Ich besuche sie in ihrer Kanzlei in Berlin Charlottenburg. Im Gespräch definiert sie zunächst drei Formen, die für sie in die Kategorie TogetherText fallen:

»Als Erstes gibt es die Kategorie, in der alle einen Teil zum Text beisteuern, wie bei Gob Squad oder She She Pop, vergleichbar mit dem Writers’ Room beim Film, da sind alle Miturheber*innen.

In die zweite Kategorie fallen z. B. Autor*innen wie René Pollesch oder Falk Richter, die sich im Probenprozess inspirieren lassen und Input vom Team einfließt, aber die Fassung am Ende wird meist von einer Person geschrieben. Das sind eher einzelne Urheber*innen, unabhängig von den Benennungen.

Die dritte Variante sind für mich Projekte wie z. B. von SIGNA oder Situation Rooms von Rimini Protokoll.7 Diese Kategorie finde ich rechtlich sehr spannend, denn da ist das Konzept das Entscheidende. Da ist in rechtlicher Hinsicht die Frage, ob das Konzept geschützt ist. Wenn ich z. B. Situation Rooms nehme: Man geht mit Tablets durch Räume und jeder Raum erzählt eine bestimmte Geschichte. Das Konzept an sich ist nicht geschützt, das kann jeder nachmachen. Der Titel hätte einen Titelschutz, aber man könnte relativ viel ähnlich machen. Das finde ich spannend: Wenn man sehr konzeptionell arbeitet, hat man nach dem deutschen Urheberrecht keine Schutzmöglichkeit. Es ist auch durchaus richtig, dass in der Kunst nicht alles geschützt ist, sonst könnte sie sich nicht weiterentwickeln.«

Wie steht es denn urheberrechtlich um Texte, die von Schauspieler*innen oder von der Regie produziert werden?

»In normalen NV-Bühne-Verträgen geht man bei Schauspieler*innen nicht davon aus, dass sie Text produzieren. Dazu gibt es demnach auch vertraglich keine Regelung über die Einräumung und Vergütung von Texten, die Schauspieler*innen produziert haben, aber in der Praxis steuern sie häufig Texte zur Inszenierung bei. Man kann eine Regelung über den Umfang der Einräumung der Nutzungsrechte an dem Text und über die Höhe der Vergütung natürlich in die Verträge aufnehmen, das wird aber in der Regel nicht gemacht. Sofern sich – wie meistens – im Vertrag keine Regelung über den Umfang der Einräumung der Nutzungsrechte an dem Text und über die Höhe der Vergütung für den Text findet, stellt sich insbesondere die Frage: Was passiert, wenn der Text außerhalb des Bühnenraums verwertet wird, also beispielsweise im Programmheft abgedruckt oder im Radio gesendet wird? Die Verträge, die ich kenne, auch im Stadttheaterbereich, treffen dazu meist keine Regelung. Oft wird davon ausgegangen, dass alles, was Spieler*innen machen, dem Theater gehört. Das würde man rechtlich nicht so sehen. Es gibt aber durchaus Häuser, die das auch separat vergüten, und eigentlich muss man natürlich auch ihre Namen nennen, also z. B. ›von und mit‹. Die Theater sparen sich oft die Vergütung der Autor*innenrechte bei den Regisseur*innen, die dann keine höhere Gage bekommen, obwohl sie Projektentwicklungen machen und neben ihrer Regieleistung den ganzen Text beisteuern. Dafür könnten sie durchaus versuchen, eine höhere Vergütung zu erhalten.«

Enthalten die Musterverträge, die du mit deinem Team für die Freie Szene erstellst, Regelungen zum Text?

»Ja. Wir erstellen gerade Musterverträge für die Freie Szene für Darsteller*innen, Regie und Puppenspiel. Darin gehen wir davon aus, dass Darsteller*innen auch Text generieren, denn in der Freien Szene wird eben meist so gearbeitet. Beispielsweise haben wir uns im Regiebereich auf eine Regelung geeinigt, wonach die Parteien wählen können, dass neben dem fest vereinbarten Honorar weitere Lizenzen gezahlt werden müssen, wenn die Inszenierung beispielsweise nach zwei Jahren immer noch aufgeführt wird.«

Was bedeuten die Veränderungen hin zum prozessualen Text für die juristische Ebene?

»Die Verträge werden schwieriger, weil sie vielfältiger werden – ich kann ja nicht den einen Vertrag machen und sagen, ›das ist jetzt der TogetherText-Vertrag‹. Es gibt ja noch mehr Kategorien als die drei, die ich vorhin beschrieben habe. Das ist noch nicht verankert und ausdekliniert in den Verträgen. U. a. die Professionalisierung der Freien Szene oder mehr Auslandsbezug machen es immer komplizierter. Man hat verschiedene Steuerrechte oder die Künstlersozialkasse, das sind alles spezielle Themen, die man bedenken muss. Förderungen auf Verbandsebene und auch die der Gruppen werden höher, die Professionalisierung geht voran und dadurch fängt man an, sich mehr Gedanken dazu zu machen.«

Welche Wandlungen in den Strukturen nimmst du wahr?

»Durch die Wandlung von den klassischen Anstellungsverträgen, die durch andere Arbeitsformen ersetzt werden, wandelt sich alles. Die Szene wird internationaler, das Internationale stößt auch Projektentwicklungen an und Projektentwicklungen das Internationale, die öffentlichen Förderungen für die Freie Szene steigen, es gibt Doppelpass-Projekte usw. Da wächst ganz viel, dadurch entstehen andere Strukturen und rechtlich komplett neue Konstellationen. Da gibt es keinen Anstellungsvertrag mehr, sondern auf einmal eine GmbH, wo Gesellschafter*innen zusammenarbeiten und Text produzieren. Die Strukturen werden herausgefordert, aber das tut ja Staatstheater wie Freier Szene gut. Doppelpass ist ja ein anschauliches Beispiel für die Idee, dass jede*r voneinander lernen kann.«

Maria Nübling, Leiterin Stückemarkt, Berliner Theatertreffen

Maria Nübling (*1989) ist seit 2017 Dramaturgin des Theatertreffens und seit der Spielzeit 2018/19 Leiterin vom Stückemarkt. 2012 begann der Stückemarkt, nicht nur Theatertexte, sondern auch Projekte einzuladen.

Kannst du die Entwicklung vom Stückemarkt beschreiben? Was war die Idee hinter der Öffnung für Projekte?

»2003 wurde der Stückemarkt europaweit geöffnet, davor beschränkte er sich auf Texte aus dem deutschsprachigen Raum. 2012 wurde er zudem für Projekte geöffnet. Letztes Jahr haben wir den Schritt gemacht, ihn für Einsendungen aus der ganzen Welt zu öffnen. Die Öffnung für die Projekte lag zwar vor meiner Zeit, aber dieser Schritt hatte viel damit zu tun, mit der Zeit gehen zu wollen. Wir haben festgestellt, dass wir nur noch einen Teilbereich davon fördern, wie an den Theatern Texte und Theaterabende entstehen. Wenn man nur die klassische Autor*innenschaft – quasi ›vom Schreibtisch zur Regie‹ – fördert, ist das eben nur ein Bereich. Natürlich macht in Deutschland und im angelsächsischen Raum dieser Teil viel aus, aber in den Spielplänen sieht man ja, dass prozessual erzeugte Texte relevant sind. Wenn man auch die Freie Szene einbinden will, war das ein Schritt, den man gehen musste. Dort ist ein Stücktext als Ausgangspunkt für einen Theaterabend meist nicht die primäre Arbeitsweise.«