Theater und Ethnologie

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Edit Kaldor

Die Beziehungen zwischen Performativität in dem oben skizzierten, komplexen Sinne und einem (inter-)kulturellen Verstehen sollen im Folgenden am Beispiel der ungarisch-belgischen Theatermacherin Edit Kaldor dargelegt werden.1 Edit Kaldor wurde 1968 in Budapest geboren und emigrierte als Kind mit ihrer Mutter in die Vereinigten Staaten, nachdem sie zuerst ein halbes Jahr in einem österreichischen Flüchtlingslager verbracht hatte. Sie studierte an der Columbia Universität in New York, am University College in London und am DasArts in Amsterdam und arbeitete mehrere Jahre als Dramaturgin und Videokünstlerin für und mit Peter Halasz (Squat theater/Love theater New York), bevor sie mit eigenen Theaterarbeiten bekannt wurde. Ihr Leben und Werk spielen sich zurzeit zwischen Brüssel und Amsterdam ab. In ihren manchmal multimedialen und interdisziplinären Theaterproduktionen, die sehr oft die Grenzen zwischen Fiktivem und Faktischem abtasten und mit dem Genre des Dokumentartheaters spielen, ist immer wieder die Problematik der Kommunikation und des Verstehens zentral, wobei Kaldor selbstverständlich hin und wieder aus ihrer autobiographischen Erfahrung als politischer Flüchtling und Immigrantin schöpft. Und zu dieser Erfahrung gehört nicht zuletzt die Anders- und Fremdsprachigkeit, mit der sie in den verschiedenen kulturellen und sprachlichen Kontexten, in denen sich ihr Leben und ihre Bildung vollzogen haben, konfrontiert worden ist. Leitmotivisch kehrt in Interviews ihre komplizierte Beziehung zur (Mutter-)Sprache zurück; diese wird nicht nur auf die Tatsache zurückgeführt, dass sie so oft in ihrem Leben den sprachlich-kulturellen Kontext gewechselt habe, sondern ganz besonders auch darauf, dass sie, da sie mit dreizehn schon die Heimat verlassen habe, sich in keiner Sprache, auch nicht in der Muttersprache, zuhause oder sicher fühle und keine der von ihr benutzten Sprachen wirklich beherrsche.2

Das nicht-evidente Verhältnis zwischen Sprechen, Kommunizieren und Verstehen sowie die damit (d.h. mit Sprache(n), Fremdwörtern usw.) verknüpften und daraus resultierenden affektiven Aspekte bilden einen roten Faden in Edit Kaldors Theaterproduktionen. Mit ‚nicht-evident‘ ist freilich nicht nur das negative Moment der Kritik rational fundierter Kommunikations- oder aber ‚pfingstlicher‘ Verständigungsideale gemeint; Kaldors Theater lotet vor allem den Raum nicht unbedingt auf rigiden Erkenntnisidealen basierender Verständigungsmöglichkeiten zwischen sturer Skepsis und allzu hoch angesetzten Erwartungen aus. Sie hat sich gewissermaßen zu einer Expertin in den hermeneutischen Möglichkeiten eines Nicht-so-richtig-Verstehens entwickelt.

Ihre theatralischen Narrative übersteigen allerdings die sozial-politische Thematik der Emigration und inszenieren Kommunikations- und Verständigungsformen, -modi und -medien – Internet und soziale Medien sind öfters Motive in ihren Produktionen oder werden als reale Mittel (und nicht bloß als Requisiten) eingesetzt – um ethische und existentielle Fragestellungen und Erfahrungen wie Isolation, Unverständnis, Identitätskrisen, die Suche nach tragfähigen Lebens- und Beziehungsformen usw. anzuschneiden.3 Die Aufführungsformen, in denen solche Themen dargestellt werden, lassen sich am besten als theatralisierte künstlerische Forschungs- und Bildungsprozesse begreifen, in denen nicht nur interkulturelle, sondern auch intrakulturelle Fremdheits- oder Differenzerfahrungen erprobt werden und Evidentes durch Verunsicherungsstrategien ‚verfremdet‘ wird. Kaldor untersucht sehr gerne die komplexen Beziehungen zwischen Theater/Kunst und Wissen bzw. zwischen Wissen und Macht, sie führt Experimente vor und aus, die aber selten zu eindeutigen Erkenntnissen führen, sondern vielmehr die trügerischen Fallstricke und Aporien des Verstehen-Wollens des Anderen ‚exponieren‘.

Das bedeutet allerdings, dass das Publikum fast immer in ihre Inszenierungen eingebunden wird, freilich nicht bloß in der Rolle des ‚teilnehmenden Beobachters‘, der frei zwischen den Positionen des Teilnehmers und Beobachters schalten und letzten Endes den übergeordneten Standort des Erkenntnissubjekts zurückgewinnen kann. Kaldors Produktionen sind sehr oft darauf angelegt, die Zuschauer zu Komplizen einer scheinbar voyeuristischen Konfiguration zu machen, in der sie sich am Ende selber als Objekte, allenfalls als unwissende oder, durch die Konfrontation mit den (oft sehr materiellen, physischen) Grenzen des Erkennens bzw. Erfahrens, nur beschränkt oder bruchstückhaft wissende Subjekte wiederfinden. Am radikalsten geschah dies in Woe (2013), in dem vier Teenager das Publikum indirekt und schrittweise in das Tabu der Kindesmisshandlung, des Missbrauchs und der Vernachlässigung einführten. Die von der Traumaforschung schon ausgiebig erforschte (Un-)Erzählbarkeit des Traumas4 wurde hier zum Ausgangspunkt eines quasi-wissenschaftlichen und therapeutischen Experiments, das weniger auf die (unmögliche) Enthüllung des Traumas als vielmehr auf die (Un-)Möglichkeitsbedingungen und Grenzen des Nachempfindens von physischem und psychischem Leid eines Jugendlichen durch Erwachsene zielte; deren Einbildungskraft und Erinnerungsvermögen wurden durch experimentelle Übungen und psychotechnische Spiele auf solche Weise stimuliert, dass wenigstens eine Art mentale Regression zustande kam, die den Zuschauer idealiter bis an die Grenzen der eigenen Jugendzeit und der damaligen Existenz- und Welterfahrung führte, freilich auch mit den Möglichkeiten und Grenzen der Erzählbarkeit eigener großer oder kleiner Traumata konfrontierte.

Die Selbstverständlichkeit, mit der man sich gerne und besten Willens dem Anderen und Fremden zuwendet, um ihn (sie) an den eigenen vertrauten Lebensformen zu messen, wird in Kaldors Vorstellungen auf eine solche Weise pervertiert, dass man sich ‚selbst‘ bzw. das eigene Leben am Ende dermaßen als bizarre und prekäre Kontingenz empfindet, dass sich jeder klare Begriff des Eigenen und des Fremden, des Normalen und der Ausnahme als obsolet herausstellt. Wissenschaftliche und hermeneutische Überlegenheit verwandelt sich allmählich in Verlegenheit, die aber nicht unbedingt zu einer radikalen Skepsis hinsichtlich Verstehens- und Verständigungsmöglichkeiten zu führen braucht. Die Illusionen über ein repräsentierbares Wissen um eigene oder andere bzw. fremde Lebenserfahrungen und -formen sollen durch eine differenziertere Haltung ersetzt werden, die – so ließe sich Kaldors Anliegen (oder besser: ihr Glauben) mit Derrida umschreiben – sich in den Bruch wagt, der einem genuinen Sichannähern und Begegnen und einem Verstehen des Anderen wesentlich vorangeht: der Bruch des Bezugs, der auch der Bruch als Bezug ist.5 Dieser Bruch als Bezug lässt sich begrifflich kaum denken/sagen, er braucht vielleicht ein ästhetisches Dispositiv, eines wie das Theater von Kaldor, in dem Beziehungs- und Beobachtungsdramaturgien erprobt werden, die die übliche performative Beziehung zwischen Wissen und Macht bzw. Willen zum Verstehen unterbrechen und dadurch eine andere Beziehung wenigstens als Möglichkeit erahnen lassen. Diese andere Beziehung scheint eher auf Zulassen und Sich-ereignen-Lassen, d.h. auch auf Vertrauen, Gelegenheit und Chance abzuzielen als auf die Performanz eines gelungenen Verstehen-Wollens und Vorstellens des Anderen bzw. Fremden.

C’est du Chinois

C’est du Chinois ist eine der erfolgreichsten internationalen Produktionen von Edit Kaldor. Sie war in vielen europäischen Städten, von Göteborg bis Lissabon, von Graz bis Rotterdam und schließlich auch in New York zu sehen. Die Vorstellung dreht sich – grob gesagt – um eine chinesische, aus Shanghai nach Europa (bzw. dem jeweiligen Ort der Vorstellung) emigrierte Familie, die in der ‚fremden‘ Gesellschaft damit Fuß zu fassen versucht, dass sie (dem von der Immigrationsbehörde geforderten Projekt bzw. Business-Plan entsprechend) interaktive Intensivkurse in Mandarin mittels eines selbst entworfenen didaktischen Konzepts anbieten will. Das Publikum, das mit der beruhigenden Mitteilung „language no problem“ in die Vorstellung gelockt wurde, sieht sich zunächst mit einer entgegengesetzten Situation konfrontiert: die SchauspielerInnen sprechen nur chinesisch und das kommt der Mehrzahl der Zuschauer eben chinesisch (oder spanisch) vor; aber bald zeigt sich, dass die Vorstellung das scheinbar trügerische Versprechen „language no problem“ in der Vorstellung performativ beweisen will, indem diese den wenigstens minimalen Erwerb der Fremdsprache zum eigentlichen Gegenstand der performance erhebt, oder einen solchen Erwerb zur Bedingung eines gelungenen (verständlichen) Theaterabends macht. Das Publikum sieht sich sofort in die (Haupt-)Rolle der aktiven Teilnehmer einer Sprachstunde versetzt, die im Hinblick auf den (aufgeschobenen) Genuss eines künstlerischen Theaterstücks zunächst die zum Verständnis des Folgenden notwendigen Vokabeln zu pauken hat.

In einem Fernsehinterview für CRTV – den Sender für die chinesische Gemeinschaft in den Niederlanden und für alle dort an der chinesischen Kultur interessierten Bürger – reagierte Kaldor zunächst gespielt störrisch auf den enthusiastischen Interviewer, der sofort wissen wollte, worüber das Stück handle und was denn die Geschichte sei („What is the play about? What’s the story?“)1 Das, so Kaldor zögernd, seien zwei verschiedene Fragen. Die undifferenzierte Fragestellung machte sie nicht nur deshalb ein wenig stutzig, weil die Frage nach der aufgeführten Geschichte eine andere war als die nach dem Spiel als ästhetisch-theatralischer Aufführung, und Letztere noch nicht identisch war mit der Frage, was in der Aufführung auf dem Spiel steh („What is it about?“); ihr Zögern ging auch darauf zurück, dass diese Differenzierungen sich noch einmal in der Vorstellung selber wiederholen, freilich umgekehrt, denn was da vorgeführt oder gespielt wird – eine chinesische Familie, die uns mit anfänglich ansteckender und für Europäer auch wohl ein wenig irritierender Begeisterung mit einer gar nicht langweiligen, zunächst sogar lustigen Stunde Mandarin aufwartet – steht ein wenig quer zu der latenten Geschichte, in der es weniger zu lachen gibt, obwohl die große Tragik ausbleibt. Das alles macht es nicht so leicht, das ‚was‘ vom ‚wie‘ zu trennen und zu sagen, was hier nun eigentlich gespielt wird und wo der Hund begraben liegt. Kaldor versucht das im Interview zu erklären, indem sie schließlich doch etwas über die Geschichte enthüllt. Die chinesische Familie, die eigentlich schon eine Variante der neu zusammengesetzten Familie ist (Mutter, verheirateter Sohn und Teenager-Sohn, Schwiegertochter und Schwiegervater) bieten dem Publikum eine Stunde Sprachkurs Mandarin für Anfänger an, sie führen wenigstens eine solche Sprachlektion auf, wobei das Publikum in die Rolle der Schüler, letzten Endes aber auch in die Rolle der Kunden einer geschäftlichen Transaktion (die auch einen ästhetischen ‚Konsum‘ zeitigen soll) gezwungen wird. Am Ende wird die DVD zum Zweck des Selbststudiums (und einer performanten Verwirklichung des Businessplans) verkauft.

 

Die Chinesen sind aus einer gewissen Perspektive die uns wohl am meisten vertrauten Fremden und Anderen in der globalisierten Welt; und auch wenn die ‚Relevanz‘ des Chinesischen wohl kaum erklärt werden muss (der Werbespruch der Vorstellung ist nicht zufällig „ein wichtiger Schritt in die Zukunft“), so geht es Kaldor gar nicht um das Chinesische, es hätte genauso gut Ungarisch oder eine andere Sprache sein können. Oder, so könnte man selber ergänzen, Griechisch (that’s greek to me), Latein (dat is Latijn voor mij), Spanisch (das kommt mir Spanisch vor), double-dutch oder, noch eine französische Variante, c’est de l’hébreu. Das Unverständliche, das Andere spricht viele Fremdsprachen und ist wanderlustig, nomadisch und deshalb auch kontextabhängig. Nicht-Verstehen ist nicht nur zwischen, sondern auch in vielen Sprachen zuhause. Ist das etwa ein indirektes Bekenntnis zum Kulturrelativismus? Kann man sich, ungeachtet der Fremdsprache, mit der man sich verständigen muss oder mit der man konfrontiert wird, verstehen? Wird von Kaldor etwa suggeriert, es gebe ein universelles Verstehen jenseits des partikularen Verstehens, eben weil wir doch alle Menschen sind? Kaldor suggeriert vielmehr, dass ihre eigenen Erfahrungen als Immigrantin, die in diese Vorstellung eingeflossen sind, zu einer verschärften Aufmerksamkeit für das Nicht-Verstehen im Verstehen sowie für das Verstehen im Nicht-Verstehen geführt haben, zu dem sich listig verschiebenden Bruch, der die Beziehung zum fremden Anderen nicht nur kompliziert, sondern überhaupt erst ermöglicht.

Und dann gibt es noch etwas anderes: Die Vorstellung ist natürlich nicht nur die Aufführung einer Stunde Mandarin für Anfänger; sie erzählt oder besser, zeigt, auf einer anderen Ebene auch das kleine Drama der aus Shanghai ausgewanderten Familie, die, wie gesagt, eine aus zwei ungleichen Teilfamilien zusammengestückelte ist: eine Mutter, die unbedingt will, dass es ihr ältester Sohn im westlichen Kapitalismus schafft, der Sohn, der unter diesem Druck hin und wieder zerbricht und in Trunk- und Spielsucht flüchtet, auch weil er seiner jungen, etwas weniger disziplinierten Frau und den Reibungen zwischen Mutter und Schwiegertochter nicht gewachsen ist: Und wo bleibt der Nachwuchs, das ersehnte Enkelkind? Der Schwiegervater neigt zum Faulenzen, vor allem leidet er an Heimweh; er trauert einer Karriere als (wohl nicht sehr erfolgreicher) Schauspieler nach, wie man aus einem Foto, das er dem Publikum zeigt, schließen kann (auch wenn das Foto nicht ihn selber, sondern einen amerikanischen Schauspieler zeigt, damit wir wenigstens von dem uns vertrauten auf das weniger bekannte Fremde schließen können). Er musiziert, rezitiert und singt ein Lied aus einer chinesischen Oper (in dem es angeblich um niederstürzenden Regen geht – oder sind es Tränen?); und der Teenager-Sohn ist eben ein Teenager, die ganze Sache hängt ihm allmählich zum Hals heraus. Das alles bleibt relativ unterschwellig, unausgesprochen, und führt kaum zum Eklat. Man spürt es, sieht es manchmal auch, aber man muss sich schon bemühen; nur wer sich die chinesischen Vokabeln gut gemerkt hat, wird vielleicht etwas von dem psychischen Konfliktszenario unter dem überspannt-lustigen theatralischen Prätext mitbekommen. Wird auf der ersten Ebene nur die Illusion geweckt, dass Kommunikation darin besteht, die richtigen Wörter mit den richtigen Dingen zu verknüpfen, so wird zwischen den Zeilen und Gesten dieses ganz naiven und manchmal komischen Worte-und-Dinge-Theaters, in dem fast gänzlich auf Expressivität, Psychologisierung oder schon irgendwie kodifizierte Körpersprache zum Ausdruck dieser ‚unterschwelligen‘ Realität verzichtet wird, etwas anderes mitkonjugiert, das die Performativität des Sprachkurses als einer vermeintlich effizienten und gelungenen Form interkulturellen Austauschs im Innern unterbricht oder es wenigstens daran ‚hapern‘ lässt. Die geschäftliche Performanz, performance in der Sprache des neoliberalen Globalismus – Vermittlung von Sprachkompetenz und eine geschäftliche Transaktion, die sowohl für den Käufer als auch für den Verkäufer „einen wichtigen Schritt in die Zukunft“ bedeuten könnte –, bleibt scheinbar aufrechterhalten; die Performativität, die sich auf der Ebene der kulturellen Selbstdarstellung und des interkulturellen Austausches vollzieht, artikuliert jedoch eine andere ambivalentere Erfahrung, die auf angestauten Frust und Unverständnis hinweist. Trotzdem gibt es keinen Eklat, keine dramatische Wendung, keine Katastrophe und Peripetie. Aber man ahnt trotzdem, dass aus dem Businessplan nichts wird.

Edit Kaldor, deren Gespür für das, was sich in, mittels oder durch Sprache vollzieht oder eben nicht vollzieht, sehr groß ist, nicht zuletzt deshalb, weil sie – wie sie selber sagt, keine Sprache richtig oder ganz beherrscht (d.h. keine Sprache so fließend spricht, dass sie nicht über die Wörter und Ausdrücke, die sie verwendet, und über die Spannung zwischen Sagenwollen und Sagen andauernd nachdenken muss) –, fängt ihre eigentliche Antwort auf die Frage des Interviewers nach der story oder the playwhat is it about – damit an, dass sie über die chinesische Familie sagt, es handle sich um eine „family who like many of us is trying to survive by inventing some sort of identity for themselves, some business to make a living and, as it happens to be, in this case by giving Mandarine lessons and making a DVD with Mandarine lessons.“2 Damit trifft sie den Nerv der (kulturellen) Performativitätsproblematik. Denn nicht nur spielt sie auf die Verschiebung von einem essentialistischen zu einem performativen Identitätskonzept an, auf die Tatsache, dass die ‚chinesische Familie‘, die vor allem aus der Sicht der Gastkultur, aus unserer Sicht also, eine Art Homogenität aufzuweisen scheint, sich selbst als typische chinesische Familie und Träger einer vermeintlich in der Sprache (aber was für einer?)3 aufbewahrten kulturellen Identität erst in dieser heiklen Situation, in der sie sich jetzt befindet, „as it happens to be“, darstellen, ja sogar produzieren und performativ hervorbringen, schließlich auch verdingen soll.4 Gerade die Floskel „as it happens to be“ markiert aber auch die Kontingenz der Situation, die ein weitverbreitetes Missverständnis über Performativität klärt: als ob irgendeine biologisch und ontologisch verwurzelte Essenz durch eine frei gewählte und neu konstruierte Identität zu ersetzen wäre; und als ob es ein freies Subjekt gäbe, das diesem performativen Dispositiv voranginge und sich für diese oder jene Rolle, dieses oder jenes Szenario entscheiden würde. Hier hingegen wird ganz deutlich gemacht, dass die Familie sich in einer Situation befindet bzw. sich mit einer Situation abfinden muss, einer nicht-vertrauten Situation, in der sie zu einem Spiel greift, das ihr die materielle Möglichkeit einer Existenz in der ihr fremden Kultur sichern soll und das als ein durchaus ambigues Disziplinierungsspiel präsentiert wird. Stellt die Rollenverteilung zwischen der lehrenden chinesischen Familie und dem lernenden Publikum doch die Pervertierung der eigentlichen Machtverhältnisse dar: Der didaktische Drill samt komischer Trillerpfeife ruft die Ambivalenz von Lust und Unlust im quasi-schulischen Disziplinierungsapparat bestimmter Einbürgerungskurse samt obligatem Sprachkurs auf, die in diesem Fall eher das Los der Lehrenden als das der Studierenden ist, denn das Publikum kann das Spiel ruhig genießen und lässt sich gerne unterhalten durch das, was die lehrende Familie, in einem anderen Sinn freilich, unterhalten soll – Brecht lässt grüßen. Dennoch hat auch diese Umkehrung der Rollen einen Haken. Was jetzt als Spaß für das westliche Publikum präsentiert wird – das chorische Nachsprechen von fremden Vokabeln nach dem anfangs skurrilen, allmählich aber irritierenden Signal der Trillerpfeife –, erscheint auf einmal in einem anderen Licht, wenn man es als warnende Antizipation einer uns bevorstehenden, sich rasch nähernden Realität versteht, als lustig-drohendes Zukunftsbild, in dem das alte Europa und die westliche Welt als ganze ihre führende Rolle und damit auch das Recht, als normierender Maßstab und Bildungsideal für das Eigene und das Fremde, für Autonomie und Individualität zu fungieren, verloren haben werden.

Als Edith Kaldors CRTV-Interviewer die Vorstellung „a teaching play“ nennt, wird er noch einmal von ihr zurechtgewiesen; sie betrachte ihre Vorstellung doch eher als „a theatre performance“ – und der chinesische Schauspieler, der ihr zur Seite steht, fügt selber halb ironisch, halb stolz „art“ – „Kunst!“ – hinzu. Es ist klar, dass sich C’est du Chinois im Spannungsfeld dieser verschiedenen Diskurse situiert. Natürlich ist die Vorstellung eine zugleich fiktive und reale Lehrstunde und für alle Beteiligten eine Art Lehrstück, in dem nicht nur oder nicht an erster Stelle chinesische Vokabeln gepaukt werden, sondern auch hermeneutisches, diskursives und performatives Grundwissen vermittelt oder einfach geprobt wird. Und zu diesem Wissen gehören eben auch die Erfahrung des Nicht-Verstehens, des Bruchs, der nicht-so-recht gelingenden Performativität einer Identitätskonstruktion in einem anderen als dem vertrauten Kontext sowie die komplizierte Vermittlung bzw. Rezeption dieser an sich schon sehr brüchigen Identität. Es wäre lächerlich zu behaupten, die Vorstellung vermittle uns einen adäquaten Begriff einer authentischen chinesischen Familie, aber sie trennt auch nicht einfach die banale, nach außen gekehrte kommunikative Seite – die anfangs sehr lustige Sprachstunde – von einem im Dunkeln bleibenden privaten Kern. Vielmehr inszeniert die Vorstellung, wie schon gesagt, as it happens to be, den unvermeidlich unbeholfenen Versuch einiger Menschen aus Shanghai in dem unvertrauten Kontext, der die europäische Kultur für sie immerhin bedeutet, zunächst eine Gemeinschaft zu bilden, die als Familie fungieren kann. Dabei handelt es sich um Menschen, die einerseits chinesische Werte und Gewohnheiten aufrechtzuerhalten versuchen, die aber andererseits diese prekäre, alles andere denn homogene Identität auch als identifizierbare Ware verdingen müssen, um überhaupt in diesem fremden Kontext überleben zu können und die Arbeit an der Identität bzw. der mehr oder weniger gemeinsamen Existenz zu ermöglichen. Wir verstehen einiges, vor allem das, was sich im schlichten Wort und Ding-Bereich situiert, und weil wir uns Mühe gegeben haben uns etwas zu merken, sind wir imstande, einiges zu ahnen von dem, was sich auch sprachlich den beschreibenden Sprechakten entzieht (wir vermuten, dass beleidigt, geflucht, geträumt wird); und wir ahnen auch etwas von dem Schmerz und dem Frust der Missverständnisse und der Konflikte, des Unverständnisses zwischen Generationen, zwischen Männern und Frauen, von Lust und Unlust, Verlangen und Angst, alles was zwischen den Zeilen gesagt und nicht ausgesprochen wird – wir brauchen es nicht wirklich zu verstehen, vielleicht irren wir uns auch manchmal. Vielleicht treffen wir ohne unser Wissen ins Schwarze. Fast wie in unserem eigenen, vertrauten Lebenskontext.

Als Vorstellung, Performance, führt C’est du Chinois Sprache als Spiel der einfachen Kommunikation, der Verständigung und der Repräsentation auf; sie deckt aber auch den diskursiven und performativen Rahmen auf, das Disziplinierungsmodell, durch das Repräsentation und Kommunikation produziert und erlaubt werden und das hier auch ziemlich unumwunden mit einem umfassenden globalen, wirtschaftlichen Zweck verbunden wird. Die Vorstellung lässt spüren, wie dieses oberflächliche referentielle Sprachspiel zwar nicht genügt, um die komplexere Realität dieser Leute und ihre dramatischen Versuche „to invent some sort of identity for themselves“ sowie die daraus resultierenden Konflikte adäquat zu fassen; aber sie gibt die Sprache als unzulängliches Medium auch nicht auf, um ein Verstehen jenseits der Sprache und ohne die mühselige Arbeit des sprachlichen Verstehens zu befürworten. Gerade die Lücken in der Kommunikation, die Risiken des Missverstehens und Nicht-Wissens, die Erfahrung von fremder Sprachlichkeit, deren performatives Potential außerhalb des bloßen Bezeichnens und Benennens man ahnt, ohne es wirklich ganz nachvollziehen zu können – das alles wird so ins Spiel gebracht, dass es gerade zur Möglichkeitsbedingung der Arbeit des Verstehens wird, oder wenigstens: zur Möglichkeitsbedingung des Spiels des Verstehens, der ‚performance‘ selber, Grund von Lust und Unlust, Aufregung und Langeweile für das Publikum, das dadurch noch einmal an die Grenzen des eigenen Willens zum Verstehen erinnert wird.