Sternstunden der Wahrheit

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Deutsch-chinesische Probleme: Merkel telefoniert mit Wen

»Chinas Ministerpräsident Wen telefoniert mit Bundeskanzlerin Merkel«, meldete gestern dpa, und wir nehmen uns die Freiheit und belauschen für einen Moment das Gespräch der beiden Spitzentelefonierer: (Kanzleramt, Berlin, Donnerstag, 2. März 2006, 11 Uhr, Büro der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel.) Das Telefon klingelt. In der Leitung ist die Vorzimmerdame: »Frau Dr. Merkel, Wen ist jetzt am Apparat.« – »Wen?« – »Ja, Wen. Sie wollten doch Wen sprechen?« – »Wen wollte ich sprechen?« – »Wen! Frau Dr. Merkel. Ich stelle ihn jetzt mal durch.« Rauschen. Knacken. Brizzeln. »Wen!« – »Wen … äh, wer ist da?« – »Wen, Flau Doktol Melkel!« – »Aha, wen sind Sie?« – »Ja, Wen! Velstehen Sie mich?« – »Wen? Ich verstehe gar nichts!« – »Wen aus China!« – »Ach aus China! Und wie heißen Sie nochmal?« – »Flau Doktol Melkel …« – »Aber Melkel … ich meine, Merkel heiße ich doch schon!« – »Wie heißen Sie?« – »Merrrkel!« – »Und ich Wen.« – »Wen?« – »Ja doch, Weeen!« – »Und wen wollten Sie sprechen?« – »Weeen!« – »Ja, warum rufen Sie mich denn da an?« Merkel legt entrüstet auf.

(3.3.2006)

Das Wahrheit-Märchen: Der kleine Blindtext und die schöne Fee

Es war einmal ein kleiner Blindtext, der lebte unauffällig und genügsam auf einer Reservehalde. Eines Tages erschien ihm eine wunderschöne Fee. Und die sprach zu dem kleinen Blindtext: »He, du bist so ein anspruchsloser und freundlicher kleiner Blindtext, ich möchte dir gern einen Wunsch erfüllen.« Da entgegnete ihr der kleine Blindtext: »Ach liebe Fee, ich bin doch glücklich, und mir ist kein Wunsch offen.« Doch die Fee sagte: »Wärest du denn nicht viel lieber ein weltberühmter Roman?« – »Ach nein«, sagte der kleine Blindtext, »die Welt der Großen und Schönen, die liegt mir nicht.« Die Fee dachte nach und fragte dann: »Aber vielleicht wärest du gern ein Feuilleton-Text in einem großen Wochenmagazin?« Der kleine Blindtext antwortete: »Ach nein, das kluge Schwätzen, das liegt mir nicht.« Abermals dachte die schöne Fee nach und fragte: »Aber wärest du dann nicht viel lieber ein kleiner Dreispalter auf der Wahrheit-Seite der taz?« Da strahlte der kleine Blindtext über alle Buchstaben und sagte: »Na sicher, das wäre wunder-, wunderschön!« Und schon machte es »Puff« …

(17.3.2006)

Das Sommerloch

Es war einmal in einer Zeit

voll Ruhe und Beschaulichkeit.

Da gab es – vielleicht wisst ihr’s noch –

das schöne stille Sommerloch.

Es dehnte sich ins Land hinein,

war nichts drin, nur der Sonnenschein

und warmer Sand und stille Straßen

und Langeweile. Und wir saßen

am Frühstückstisch, schon sonnensatt,

vor einem leeren Zeitungsblatt.

Und jetzt? Das Sommerloch ist weg,

ist zugespült mit Müll und Dreck

von kräftigen Gewitterregen,

die täglich durch die Lande fegen.

Kaum ist der Fußballjubel aus,

gewittert es im Bundeshaus.

Es kracht in den Gesundheitsfragen

Angela, fast vom Blitz erschlagen,

entfleucht mit Bush auf den G8,

auch da gewittert’s Tag und Nacht.

Es kracht und blitzt im Libanon,

auf Java schwimmt das Land davon

Und ich? Ich schluck den ganzen Mist,

wo draußen so schön Sommer ist.

Kaum kann ich morgens aufrecht stehen,

muss ich schon lesen, hören, sehen:

Da läuft was schief, da haut es rein.

da geht massiv was kurz und klein.

Das schlägt mir kalt in diesen Tagen

auf meinen sonnenwarmen Magen.

Mein Gott, wie war es doch vordem

im Sommerloch so angenehm.

Nix los war. Na ja, meinetwegen

mal zu viel Hitze, zu viel Regen.

Vielleicht auch noch so ‘n Firlefanz wie Wimbledon und Tour de Franz.

Du schönes stilles Sommerloch,

sag mal, wo bleibst du? Gibt’s dich noch?

Klaus Pawlowski (20.7.2006)

Berührungsangst mit Schleim

Die Wahrheit-Sprachkritik: Journalistische Schnitzereien aus der Holzgrammatik

Als Vertreter der vierten Gewalt im Staate schauen die Journalisten den Größen des Showbiz, der Politik, des Sports, der Wirtschaft und des Adels genau auf die Finger und mitunter auch sonstwohin, aber wehe, es untersteht sich jemand, die Arbeit der Journalisten am Satzbau zu kritisieren. Das lieben sie nicht. Auch der freundlichste Hinweis auf schmerzhafte Schnitzer wird entweder ignoriert oder mit dem tadelnden Vermerk abgewehrt, dass sich an solchen Lappalien nur sauertöpfische Oberlehrer stören könnten.

Der Kapitän eines Bezirksligavereins, der mit dem Ball so stümperhaft umginge wie die Mehrheit der Journalisten mit der Grammatik, würde sich binnen kurzem auf der Ersatzbank wiederfinden oder im Kassenhäuschen. Die arrivierte Journalistin Isabell Hülsen aber darf ohne Angst oder Ängste um ihren Arbeitsplatz im Spiegel den Satz verbrechen: »Große Berührungsängste mit Kirch wird es bei allen Beteiligten schon deshalb nicht geben, weil man sich gut kennt.« Es hat also in diesen Kreisen niemand »Berührungsängste« mit Kirch. Aber kann man denn »mit« Kirch Berührungsängste haben? Es mag Geschäftsleute geben, die gewisse Sorgen mit Leo Kirch teilen, doch es wäre unsinnig zu behaupten, dass diese Menschen Ängste »mit Kirch« hätten oder gar »Berührungsängste mit Kirch«. Die Autorin wollte vermutlich sagen, dass die Beteiligten keine Angst davor hätten, mit Kirch zu kooperieren oder mit ihm gesehen zu werden. Geschrieben hat sie stattdessen, dass die Beteiligten keine Berührungsängste »mit« Kirch hätten, und das ist Kappes. »Ich habe keine Ängste mir dir«, sagte Romeo zu Julia. »Was für Ängste?«, fragte Julia zurück, und ihre Rosenlippen erbebten. »Na, Berührungsängste mit dir!«, erwiderte Romeo …

Im journalistischen Jargon hat sich die Pest der falsch verbundenen »Berührungsängste« bereits unausrottbar tief eingefressen. Im Hinblick auf die Homosexualität hat Alexander Zinn, der Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg, die Öffentlichkeit wissen lassen, dass viele Lehrer »immer noch Berührungsängste mit dem Thema« hätten. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe empfiehlt auch älteren Menschen den Zugang zum Internet: »Denn sind erst einmal die Berührungsängste mit dem neuen Medium abgebaut, kann es zu einer höheren Lebensqualität im Alltag beitragen.« Zum Tagesordnungspunkt »Heizen mit Weizen« teilt der Energiewirtschaftsjournalist Bernward Janzing uns allen mit, dass wir »keine Berührungsängste mit der Energie vom Acker« haben müssten. Die furchtlosen Musikanten der Combo Pur wiederum bekunden, dass sie »keine Berührungsängste mit Klassik« hätten, während die Fachzeitschrift Brigitte den gebärfähigen Frauen dazu rät, beim Ertasten des Zervixschleims und des Muttermunds »keine Berührungsängste mit dem eigenen Körper« zu haben. Lothar Bisky kennt »keine Berührungsängste mit der SPD«, Frieder Burda »keine Berührungsängste mit Kunst« und der Fernsehkommissar Richy Müller »keine Berührungsängste mit Stuttgart«. Google weist inzwischen mehr als 60.000 andere nichtvorhandene Berührungsängste aus; Tendenz steigend.

»Hab keine Angst / vor dem, / der dir sagt, / er hat Angst«, dichtete einst der große Lyriker Ulrich Fried-Honecker. »Aber mach dich vom Acker, / wenn jemand schreibt, / er kenne keine Berührungsängste / mit Stuttgart.«

Gerhard Henschel (2.10.2007)


Essen & Trinken

Wahre Schreibtische: Michael Rudolf – oder mit zugeklebtem Brüllmund heiße Gitarrengrooves per Telefon


Ist dies die moderne Version der Dachstube von Spitzwegs »Der arme Poet«? Mitnichten, auf den ersten Blick hat es Michael Rudolf in seinem Arbeitsdachstübchen schön warm. Dafür sorgen schon Zentralheizung und Nut-und-Feder-Bretter (1) aus dem Baumarkt. Doch Vorsicht: Das Zeug brennt wie Zunder! Ursache für die Verbannung ins Dachgeschoss ist die sorgsam aufgerüstete elektrische Billiggitarre (2), mit der er in schweren Stunden Zerstreuung und innere Sammlung sucht. Die Odd-Time-Grooves werden dann schon mal seinem Kumpel Jürgen Roth (3) telefonisch übermittelt. Und wenn ihn seine Verleger wieder auf die Palme gebracht haben und er unbeherrscht herumschreit, dann eilen Frau, Kind und Katze herzu und verschließen ihm den Brüllmund mit linderndem Klebeband (4). Dann gelingt es nur noch mittels der ins Telefon integrierten Faxfunktion (5), Kontakt mit notorischen Internetverweigerern wie Horst Tomayer oder Eugen Egner aufzunehmen.

Während Michael Rudolf noch darüber brütet, ob er mit dem gut versteckten Fleischermesser (6) seinen Verlegern innere Blutungen, mindestens aber Warnwunden an lebenswichtigen Organen zufügt, hat er die Tintenpatrone (7) bereits mit selbst gezapftem Herzblut gefüllt, die allein für E-Mails an seine besten Freunde und seine Lieblingsredakteurin bestimmt ist. Allein der Flachbildschirm (8) verweigert derweil den Dienst und zieht es vor, Kometen wiederzugeben.

Weitere Fotomotive (9) und viel Zettelwerk (10) vermitteln dem Besucher einen atemberaubenden Eindruck von Rudolfs Existenz und erinnern ihn selbst an eine bewegte Gegenwart. Von den Zetteln ist nur einer wichtig: der, der ihm die zu schreibenden Bücher der nächsten Monate, ja Jahre vorgibt.

 

Der Trittin-Bunker (11) mit der fulminanten Mehr- und Einwegflaschensammlung stört den gelernten Brauingenieur und Autor vieler Werke über die Kultur des Biermachens und Biertrinkens keineswegs, schließlich hat sich »Der Pilsener Urknall« genau hier angebahnt. Daran gemahnt auch der Wahrheit-Ausriss (12) vom 15. September 1998, in dem die seinerzeitigen Redakteurinnen Barbara Häusler und Carola Rönneburg dem Autor Feldbett und Begrüßungsbier anboten, weil ihm einige Bild-Reporter auf den Fersen waren.

Esst mehr deutsche Schäferhunde!

Heutzutage kommt es in Deutschland immer wieder zu »Beißzwischenfällen«, so heißt das im Beamtendeutsch, wenn Killer-Köter mal wieder eine Rentnerin oder ein Kleinkind totgebissen haben. Verursacher sind natürlich Ausländer. Die heißen American Pitbull Terrier oder Mastino Napoletanos – ganz gemeine Viecher, für die ihre schmierigen Besitzer (sexuelle Versager) jetzt ganz ganz viel Steuern bezahlen müssen. Ein deutscher Hund beißt keinen Deutschen. Wer hat schon mal einen Teckel gesehen, der einem Jogger die Waden zerfetzt hat? Eben! Zwergdackel sind keine Kampfhunde. Deutsche Schäferhunde auch nicht. Die haben ehrenvolle Berufe, arbeiten als Schutz-, Lawinen-, Blinden- oder Polizeihunde und werden als Begleit- und Familienhunde geschätzt. Der Führer hatte auch einen. Prima Tiere!

Jetzt gibt es da allerdings diese neue Statistik. Da haben sich deutsche Beamte die Mühe gemacht, in 93 deutschen Kommunen fünf Jahre lang jeden bekannt gewordenen Hundebiss zu notieren. Natürlich tauchten die üblichen Verdächtigen auf. Am beißfreudigsten erwies sich allerdings der Deutsche Schäferhund, er war mit 1.956 Angriffen fast so oft vertreten wie alle anderen Rassen zusammen. Keine Frage, diese Hunde sind eine Gefahr für die Volksgesundheit und müssen schnellstens beseitigt werden. Aber wohin damit? Sind Kampfhunde Sondermüll? Gehören sie in die Biotonne? Oder kann man sie auch zu Futtermehl verarbeiten? Fragen über Fragen. Dabei liegt die Lösung doch auf der Hand: Wir essen die Deutschen Schäferhunde einfach auf! Milliarden Menschen auf der Welt essen täglich Hund. Also? Hier ein paar Tipps. Wenn der Deutsche Schäferhund so zehn bis zwanzig Wochen alt ist, schmeckt er am besten. Zubereiten wie Kaninchen. Eine besondere Delikatesse ist Deutscher-Schäferhund-Hirn, wenn es noch nicht durch die angeborene Aggressivität zäh und ledrig geworden ist. Hier das Rezept: 100 gr. Deutscher-Schäferhund-Hirn, Öl, Salz, Pfeffer, 1 Zwiebel, 1 Ei, etwas Petersilie. Zubereitung: Das Schäferhund-Hirn waschen und die Haut abziehen. Das Öl in der Pfanne erhitzen und die gehackte Zwiebel anschwitzen lassen. Dann das Hirn hinzugeben und anbraten. Wer’s mag, kann noch ein Ei dazugeben. Nach eigenem Geschmack mit Salz, Pfeffer und Petersilie abschmecken. Das gibt ein leichtes, köstliches Frühstück, eine schöne Alternative zum normalen Rührei.

Wenn der Deutsche Schäferhund schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, ist er trotzdem noch zu gebrauchen. Sehr lecker sind die Keulen. Man nehme eine entbeinte Schäferhundkeule, lege sie zwei Tage in eine Marinade aus Ölivenöl, Rotwein, Orangensaft, Zwiebeln und Lorbeerblättern. Danach gut abtropfen lassen, anbraten und zwei Stunden bei 220 Grad in den Backofen. Dazu passen Schupfnudeln, Rotkraut und ein schwerer Bordeaux. Es kann auch mal ein strammer Dobermann sein, wenn gerade Schäferhund aus war. Ansonsten bin ich sicher: Wenn wir erst einmal auf den Geschmack gekommen sind, bekommt der Ausdruck »Beißzwischenfall mit Deutschem Schäferhund« eine ganz neue Bedeutung.

Karl Wegmann (14.3.2000)

Grill-Hendl – was denn sonst

Wahre Lokale: Der neue und immer lockende Frankfurter »Wienerwald«

Begonnen hat mein Interesse, mein neu erwecktes und bald verschärftes Interesse am Wienerwald, hier am speziell Frankfurter Wienerwald hinter der Katharinenkirche an der zentralen Hauptwache, damit, dass ebendort, und aber keineswegs in der Buchhandlung nebenan, ab 1993 die monumentale und monumental inkommensurable Autobiografie »Ein Leben für den Wienerwald – Vom Kellner zum Millionär und zurück«, erschienen zu Recht im Selbstverlag, denn ansonsten hätte sie rechtens eigentlich nur noch bei Suhrkamp erscheinen dürfen, des Wienerwald-Nestors Friedrich Jahn zum Kaufe angeboten wurde, an der Theke und für solide 16,80 Mark, nachdem der Kellner das herrlich und logohaft grünliche mit einem riesigen Farbfoto des glänzend und wie bierschaumgeboren ordinären Jahn-Kopfs aus einer Art Ausstellungsvitrine im Erker nebenan gefischt hatte –: die Lektüre lohnt übrigens überaus und auch heute noch Jahre post mortem Jahns: Nirgendwo erfährt man sonst so authentisch, wie wunderbar durstig, dumm und dumpf es zuging im schon etwas späteren Nachkriegsdeutschland und speziell im aufstrebenden Millionendorf München, das damals grad auch heimlich Hauptstadt der Republik wurde; wie F. J. Strauß zu Jahns tiefer Befriedigung im dortmaligen Debut-Wienerwald nicht Bier trank, »sondern soff« (Jahn); wie dieser sein Freund und unselige CSU-Vorsitzer selig ebd. oder auch zur Abwechslung bei der Filialeröffnung in Manhattan im Vollsuff wilde Drohungen ausstieß dergestalt, wer ihn an der Kanzlerschaft hindere, den werde er kaltmachen. Usw. usf.

Jahn, nach seinem tiefen Fall samt Wienerwald-Kollaps, viele Jahre nach der »wunderbaren Wienerwaldvermehrung« inklusive Franchise-Innovationen bis hin zum Weltkonzern in den 70ern, diente seinem ihm geraubten Lebenswerk in den 90ern, seinen letzten Lebensjahren, für vergleichsweise kleines Salär noch als eine Art nebenberuflicher Spiritus rector; nicht mehr als Herr über 24.000 Mitarbeiter in global 1.500 Hendl-Stationen – stark verkleinert immerhin wurde die Idee Wienerwald von ihm und anderen Verantwortungsträgern irgendwie doch weitergeführt – und ich aber bin heute, gut 45 Jahre nach der Urgründung, extrem froh drum und dankbar.

Zwar war und ist die Idee Wienerwald in den gewandelten Lifestyle-Relationen und überhaupt Arschlochhaftigkeiten der neuesten Zeit großlinig offenbar nicht länger zu halten; die Leute wollen es teurer und verkasperter und halt noch viel dümmer; ich aber wüsste heute in Frankfurt zu Messe- und sonstigen gastronomischen Stresszeiten nicht, wohin mit mir und meinen Leuten – denn die nahen lokalfolkoristischen Abfüllstätten »Römer« oder »Steinernes Haus« sind da von Japanern, Bayern, Amis und bisweilen sogar Hessen allzeit rammelvoll bis ultimo. Möglicherweise trägt der Wienerwald noch von Jahn her an der Negativ-Legende, sehr altmodisch und nicht-ganzdichto und irgendwie auch vielleicht allzu österreichisch oder eben halt CSU-mäßig zu sein – an all dem ist nichts wahr als seine noch immer frappante Preisfreundlichkeit. Die Folge aber ist heute eine recht angenehme Aufgelockertheit in den Gastreihen selbst zu Extremzeiten. Der einzige Nachteil: die häufig ersehnte gemütliche bierzeltähnliche Krakeelerstimmung von München Herzogstraße 1960 ff., die geht unterm immer noch grasgrünen Hühneremblem wohl nie mehr zusammen – na ja, da wechselt man dann halt irgendwann mal über den Main rüber ins nahe und unglaublich laute und extrem vulgäre Sachsenhausen.

Etwas undurchschaubar sieht sich der heutige Frankfurter Wienerwald gemanagt und offenbar sogar fast gesteuert von einer wechselnden Equipe, wohl mehr aus dem Afrikanischen; also irgendwie von Marokkanern, Algeriern und sonstigen stark bräunlichen und aber gewaltig freundlichen Gesellen und Kameradinnen vielleicht auch aus Zaire oder jedenfalls Nepal und Feuerland – begrüßt aber hätte F. Jahn gewiss, dass als Spitzenangebot das sehr wohlschmeckende halbe Grill-Hendl immer noch für 9,90 Mark mit Salat durchgeht. Und zur Not gebilligt hätte er wer weiß sogar so mondäne Erfindungen wie das »Chicky«, den »Burger-Chicken-Cheeseburger« mit allerdings »Wienerwald Bauernhofgarantie« – und dass aber der berühmte Wienerwaldsalat seit kurzem ein »Wellness Klassiker« ist, das schert seine neuesten von mir angeschleppten Gäste Kay und Jürgen eh nicht; weil die zum 5. Mai schon gar nichts anderes zu tun haben, als im lieblich lindenüberduftet anitalianisierten Wienerwald-Vorgartenlokal froh ein Bier nach dem anderen in sich hineinzuschütten. Nach der spirituellen Weise des alten Johann-Strauß-Walzers: »Wenn froh des Lenzes Ruf erschallt und von den Bergen widerhallt, wie lockt’s zum Tanz in’ Wienerwald ...«

Nein, außer dem aus Dichtermund schon übergenug besungenen Frankfurter Wasserhäuschen und außer dem an dieser Stelle unlängst bereits etwas im Übermaß heilig gesprochenen Randalier- und ehemaligen Grün-Ökologenlokal »Horizont« hat Frankfurt hic et hoc nämlich nun einmal nichts Gescheiteres zu bieten als den alten und runderneuerten Friedrich Jahn. Und das Schöne: Endlos bescheiden geworden, sind wir auch noch ob dieser Zumutung sehr zufrieden.

Eckhard Henscheid (17.5.2000)

Nachthunger: Irisches Bäuchlein wohl gefüllt

Spät in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurde im Berliner Stadtteil Schöneberg ein Mann mit knurrendem Magen dabei beobachtet, wie er an der Hintertür eines bereits geschlossenen Schnellrestaurants rüttelte. Eine Passantin wollte bereits die Ordnungskräfte herbeirufen, als der stämmige Gasthaus-Chef plötzlich die Hintertür öffnete. Den ausgemergelten Körper des Spätbesuchers vor Augen, muss ihn ein Gefühl des Mitleids ergriffen haben: »Aber janz schnell«, leitete der freundliche Bürgerkönig den sehr hungrigen Ralf S. an die Theke, wo speziell für den späten Gast ein letztes Menü gefertigt wurde. Der 46-jährige S., der angeblich aus Irland stammen und dort für eine bekannte deutsche Tageszeitung arbeiten soll, verzehrte das köstliche Nachtessen geschwind, bedankte sich überschwenglich und mit goldenem Händedruck beim Personal des Gasthauses und hinterließ beim Abschied einen ihm freudestrahlend zuwinkenden Bratfürsten. S. aber strich sich glücklich über das jetzt wieder wohl gefüllte Bäuchlein und trollte sich still heim.

(26.5.2000)

Schluss mit dem Cornflakesterror

Eier sind Fehlkonstruktionen. Was hat sich die Natur eigentlich dabei gedacht? Im Supermarkt muss man die Kartons öffnen, um die Unversehrtheit der Eier zu überprüfen, beim Einpacken an der Kasse muss man beachten, dass man nichts auf den Eierkarton stellt, und dann reißt die Tüte und man hat den Eiersalat. Kurzum: Hühnerprodukte sind wie rohe Eier zu behandeln.

Doch nun ist Schluss damit. Britannien, die Insel der kulinarischen Überraschungen, hat das Problem genial gelöst: Eier aus der Plastikflasche. Deans Food, die Erfinder des schalenlosen Eis, bejubeln ihr Produkt als Durchbruch auf dem Gebiet der Lebensmittelsicherheit: »Die ganze Frische ohne die Schale«, so die Werbung. Wie oft komme es vor, fragt Deans’ Forschungsdirektor Barry Vigus, dass beim Eiaufschlagen ein Stück der Schale abbreche und im Rührei lande? Möglicherweise sterben täglich dutzende Briten an verschaltem Rührei, und niemand hatte bis jetzt etwas dagegen unternommen.

Die Flasche in Form einer Eieruhr enthält fünf pasteurisierte Eier und kostet umgerechnet zwei Mark. Ist die Flasche einmal geöffnet, muss man den Inhalt binnen drei Tagen verbrauchen. Und das geht spielend: Man kann das Flaschenei direkt in die heiße Pfanne quetschen, und fertig ist das Rührei.

Auf wen zielt das Produkt jedoch ab? Wer zu faul ist ein Ei aufzuschlagen, wird auch mit der Eierflasche nicht zum Hobbykoch. Und wer zu blöd ist ein Ei sachgemäß zu behandeln, sollte erst recht die Finger vom Herd lassen. Das machen übrigens immer mehr Briten. Sie verbringen nur noch eine Stunde und 50 Minuten in der Woche mit Kochen aus Vergnügen. Vor zehn Jahren standen sie noch doppelt so lange am Herd. Seitdem sind allerlei nützliche Produkte auf den Markt gekommen, mit deren Hilfe sich Zeit sparen lässt, die man vorher mit der lästigen Essenszubereitung verplempert hat.

Wer hat sich beim Frühstück nicht schon mal über die Umstände geärgert, die ein Teller Cornflakes macht: Karton aus dem Schrank nehmen, Milch aus dem Kühlschrank holen, beides nacheinander in einen Teller geben und obendrein einen Löffel aus der Schublade ziehen. Endlich hat der Cornflakesterror ein Ende – dank Rumblers. Das sind kleine Cornflakes-Schachteln mit eingebautem Behälter, in dem sich gerade so viel fettarme Milch befindet, wie man für die Cornflakes benötigt. An der Seite der Schachtel ist ein Klapplöffel befestigt: Aufklappen, Schachtel aufreißen, Milch über die Cornflakes, schlucken, fertig. Und der Rest wandert in den Müll.

 

Auch an Vitamin C kommt man inzwischen ohne Werkzeug heran, und man muss sich nicht mehr die Fingernägel verbiegen. In den Supermärkten gibt es geschälte und in mundgerechte Häppchen zerlegte Orangen in Frischhaltefolie.

Eine Herausforderung bleibt jedoch für britische Wissenschaftler: Falls es einem von ihnen gelingt, das Leibgericht der Nation – Roastbeef mit Quetschkartoffeln und zerkochtem Gemüse – in eine Tube zu zwängen, wird ihn die Queen zum Ritter schlagen. Gourmets werden ihn lieber aufgeschlagen in die Pfanne hauen.

Ralf Sotscheck (24.7.2000)