Schwarz wird großgeschrieben

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Um diesen Missverständnissen zu entgehen, brauchen wir eine präzisere Sprache. Und hier sind wir wieder beim zu Anfang beschriebenen Problem: Wir sind uns nicht einig, wie die Kategorie »Schwarz« genau definiert wird. Das liegt aber auch daran, dass die Notwendigkeit für Schwarze Identität durch Rassismus entstanden ist – und Rassismus ist alles andere als logisch. Somit kann es auch keine vollkommen logische Definition von Schwarzsein geben.

Doch es lässt sich wohl kaum aus dem Weg räumen, dass neben sozialen Realitäten auch biologische Faktoren, wie Hautfarbe, Gesichtszüge und Körperbau, eine Rolle im Anti-Schwarzen Rassismus spielen. Anti-Schwarzer Rassismus ist zum großen Teil eine Stigmatisierung des Körpers und wurde stark von Naturwissenschaftler*innen etabliert. Deshalb trifft er dark skinned Menschen immer härter als light skinned Menschen, wenn sie sich in vergleichbaren Situationen befinden. Das muss im konstruktivistischen Ansatz beachtet werden.

Wer ist also Schwarz? Ich habe es immer für eine Errungenschaft gehalten, dass der Schwarze Identitätsbegriff inklusiv ist und somit eine Gegenerzählung zum ausschließendem Weißsein.

Es ist wichtig, dass wir innerhalb von Schwarzen Identitäten Unterschiede und Machtdynamiken nicht unsichtbar machen. Diskurse über Colorism zum Beispiel bedeuten keine Spaltung, sondern sind notwendig, um einen Zusammenhalt weiterhin möglich zu machen. Empowerment sollte nicht in der Verklärung von Schwarzsein ausarten. Und wir müssen zulassen, dass Schwarzsein etwas Dynamisches ist, das sich je nach gesellschaftlichen Strukturen und Haltungen ändern kann. Ich bin dafür, Schwarzsein als Dachbegriff breit zu halten. Genauso bin ich für eine bessere Sprache für die Nuancen des Schwarzseins in Deutschland und Europa, um der Komplexität und Heterogenität unserer Identitäten gerecht zu werden. Diese gemeinsame Sprache können wir nur entwickeln, wenn wir unterschiedliche Perspektiven mit einbeziehen.

Es scheint ein Tauziehen zwischen strukturellen Privilegien von light skinned und mixed Menschen auf der einen und Deutungshoheit über Zugehörigkeit von dark skinned Menschen auf der anderen Seite zu geben. Doch je mehr wir uns bei diesem Kampf verausgaben, desto mehr vergessen wir, dass es vor allem weiße Menschen sind, die uns diese Probleme überhaupt eingebrockt haben. Unsere Freiheit ist abhängig voneinander und somit ist Solidarität, Verantwortung und Unterstützung unabdingbar. Frei nach Audre Lorde: Auch wenn unsere Kämpfe nicht immer die gleichen sind – wir sind nicht frei, wenn nicht alle von uns frei sind.

CELIA PARBEY
DIE SACHE MIT DEN PRIVILEGIEN

Sommer 2020. Der Mord an George Floyd und die daraus resultierenden Protestbewegungen machten Schwarze Menschen weltweit so sichtbar wie nie zuvor. Auch in Deutschland sah man uns plötzlich überall. Wochenlang prägten wir die mediale Berichterstattung. Schwarze Menschen, sie wurden zu Panel-Talks eingeladen, schrieben Leitartikel und forderten strukturelle Veränderungen ein, in einem Land, das ihre Existenz lange ignoriert hatte.

Im Sommer 2020 wurden Schwarze Lebensrealitäten endlich sichtbar. Oder etwa nicht? Wie Aktivist*innen in den sozialen Medien bemerkten, waren nicht all unsere Lebensrealitäten in den Medien vertreten. Wer genauer hinschaute, konnte erkennen, dass ganz bestimmte Stimmen den öffentlichen Diskurs ums Schwarzsein prägten. Es waren und sind immer noch die Stimmen von Menschen, die ein Schwarzes und ein weißes Elternteil haben. Menschen, die biracial sind. Es sind Stimmen wie meine.

Mein Vater stammt aus Lomé, der Hauptstadt Togos, und meine Mutter ist in Göttingen, Niedersachsen, geboren. In Berlin besuchte ich eine französische Schule. Dort war ich umgeben von Afrikaner*innen, die direkt vom Kontinent nach Deutschland gekommen waren. Junge Menschen aus Burkina Faso, aus Gabun und der Demokratischen Republik Kongo. Für sie war ich vor allem eins: Togolesin. Aber Schwarz war ich nicht, sondern métisse. Das französische Wort für M****ling. Der Hintergrund dieses Begriffs ist ähnlich gewaltvoll wie im Deutschen. In Frankreich aber wurde er von der breiten Masse akzeptiert, auch von Schwarzen Menschen, auch von mir. Für meine weiße Mutter waren mein Bruder und ich ihre Schwarzen Kinder. Warum? 1986 erschien Farbe bekennen. Darin schufen afrodeutsche Frauen in wissenschaftlichen Texten, Lyrik und autobiografischen Erzählungen ein Zeugnis Schwarzer Lebensrealitäten in Deutschland. Meine Mutter las das Buch und es prägte sie. Sie übernahm die Selbstbezeichnung Schwarze Deutsche, die May Ayim, Katharina Oguntoye, Abenaa Adomako und viele mehr in Deutschland wählten. »Schwarz« als politische und kulturelle Identität – keine vermeintlich biologische Realität. Wenn Leute mich fragten, was ich sei, erklärte ich stets, ich sei Togolesin und Deutsche. So hatte es mir mein Vater beigebracht.

In den sozialen Medien wird regelmäßig heftig diskutiert, ob Menschen mit einem weißen und einem Schwarzen Elternteil überhaupt Schwarz sind. Eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Die Auseinandersetzungen zeigen: Von einem Konsens sind wir weit entfernt. Ich kann nicht sagen, ob es in Ordnung ist, wenn biracial2 Schwarze Menschen sich lediglich Schwarz nennen. Was ich aber tun kann, ist, darüber nachzudenken, inwiefern ich in meinem Leben von meinem eigenen Weißsein profitiert habe.

DIE MACHT DES WEISSSEINS

Der europäische Kolonialismus schuf eine Hierarchie, die weiße Menschen an die Spitze stellt und Schwarze Menschen ganz nach unten. Das bedeutet: Biracial Schwarze Menschen haben einen Vorteil, wenn einer ihrer Eltern weiß3 ist. Ich erinnere mich an den Moment, in dem mir bewusst wurde, dass Schwarze Menschen unterschiedlich behandelt werden. Es war im Urlaub in Lomé. Ich muss sechs Jahre alt gewesen sein. Als ich an der Hand meiner Oma über den Markt Assigamé eilte, um die Zutaten fürs Abendessen zu kaufen, und die Blicke meiner Landsleute mich auf jedem Schritt begleiteten. »Yovovi, Yovovi« riefen sie mir auf Mina über den gesamten Markt hinterher. Kleine Weiße. Bis dahin hatte mich noch nie jemand weiß genannt. Und wenn mich in Deutschland Blicke verfolgten, geschah es nicht mit Begeisterung. Die Kinder der Nachbarschaft wollten unbedingt mit mir spielen. Ich war etwas Besonderes, weil ich aus Europa angereist war, aber auch weil meine Haut heller war als ihre. Wie sehr die Macht des Weißseins über nationale und kontinentale Grenzen hinausgeht – hier merkte ich es zum ersten Mal.

Auch in anderen Momenten in meinem Leben profitierte ich davon, eine weiße Mutter zu haben. Der Rassismus, den ich mit ihr an meiner Seite erlebte, war ein anderer als der Rassismus, der mir mit meinem Schwarzen Vater entgegenschlug. Mit meiner Mutter wurde ich in der Berliner U-Bahn wohlwollender angeschaut: Was für ein süßes kleines Schokokind – Café au lait. Mit meinem Vater erntete ich viel aggressivere Reaktionen. Auch das N-Wort fiel regelmäßig. Vor einem Jahr sprach ich mit meiner Freundin Kelly darüber. Kelly ist ein Jahr älter. Sie ist, wie ich, Berlinerin und nur ein paar Kilometer von mir entfernt aufgewachsen. Ihre Eltern kamen beide in den 1980er-Jahren aus Ghana nach Deutschland. »Meine Eltern sind Schwarz und sprechen nicht so gut Deutsch. Sie konnten mich in der Schule nicht so schützen und verteidigen wie weiße Elternteile. Diesen Vorteil hatte ich nicht.« Schwarze Kinder werden in diesem Land systemisch diskriminiert. Deutschland hat ein Rassismusproblem, das sich auch in unseren Bildungsinstitutionen widerspiegelt. Eltern, die selbst das deutsche Schulsystem durchlaufen haben, können ihre Kinder besser unterstützen und schützen. Auch ein deutscher Nachname kann ein Vorteil sein. Studien belegen, dass Menschen mit einem ausländisch klingenden Namen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt diskriminiert werden.4

Viele junge Schwarze Menschen in Deutschland sind Kinder von Migrant*innen aus der ganzen Welt. Vor allem Eingewanderten aus dem sogenannten Globalen Süden wird es hier schwer gemacht. Bis heute werden sie mit einer ausufernden Bürokratie konfrontiert, einer besonders komplizierten Verwaltungssprache und undurchschaubaren Gesetzen für Ausländer*innen. So nebenbei müssen sie sich auch noch mit dem strukturellen Rassismus rumschlagen, den viele aus ihren Herkunftsländern nicht kennen. Geflüchtete und Menschen ohne Aufenthaltstitel sind in ihrer Existenz besonders bedroht, was die Kinder oft zuerst trifft.

Nicht wenige Schwarze Menschen sind in diesem Land von Armut und massivem Klassismus betroffen. Ihnen wird der soziale Aufstieg systematisch verbaut. Achtung, und das ist mir wichtig, ich möchte auf gar keinen Fall suggerieren, dass biracial Schwarze Menschen alle wohlhabend seien. Genauso liegt es mir fern zu behaupten, alle Schwarzen Menschen seien mittellos. Meine These lautet aber, dass biracial Schwarze Menschen in ihrer Mehrzahl in diesem Land finanziell und manchmal auch rechtlich bessergestellt sind. Vor allem wenn sie durch ihren weiß sozialisierten Elternteil Zugang zu generationsübergreifendem Wohlstand haben. Ich persönlich musste als Kind nie Briefe von Ämtern für meine Eltern übersetzen oder vor Ort dolmetschen. Im Gegenteil, meine Mutter half mir gelegentlich sogar bei den Deutschhausaufgaben. Dadurch durfte ich länger Kind sein. Meinen Zugang zu weißen Räumen, meine Sprache in diesen Räumen, die sozialen Spielregeln für Deutschland lernte ich vom weißen Teil meiner Familie. Wie Networking mit weißen Menschen funktioniert beispielsweise. Hinzu kommt, dass sich nach meinem Empfinden weiße Menschen von mir weniger bedroht fühlen. Colorism, Featurism und Texturism spielen hier die entscheidende Rolle. Das sind Auswüchse von Rassismus, die wir in unseren Communities genauso vehement bekämpfen müssen wie im Umgang mit weißen Menschen. Schließlich sind es strukturelle Probleme, die uns je nach Hautfarbe, Gesichtszügen oder Haarstruktur andere gesellschaftliche Zugänge ermöglichen.

 

MEHR ALS NUR DAS INDIVIDUUM

Der Reflex, die eigene Leidensgeschichte zu erzählen, wenn man auf seine Privilegien aufmerksam gemacht wird, ist der Versuch, ein strukturelles Problem zu individualisieren. Wenn wir auf unsere Privilegien angesprochen werden, reagieren light skinned biracial Menschen oft mit Abwehr, teils sogar mit Angriff. Wir flüchten uns dann in die Erzählungen unserer Einzelschicksale. »Weder Schwarze noch weiße Menschen haben mich je wirklich akzeptiert« ist ein Satz, der in Diskussionen von biracial Schwarzen Menschen immer wieder fällt. »Du willst mir nur mein Schwarzsein absprechen«, »Du spaltest die Community«, »Aber wir sind doch alle Schwarz« sind weitere Beispiele. Das eigene Weißsein anzunehmen, bedeutet nicht, unser Schwarzsein auszulöschen. Das ist unmöglich, schließlich ist es ein Teil von uns. Für mich bedeutet es lediglich die Realität meiner Existenz zu akzeptieren, völlig wertungsfrei. Manche von uns können sich nicht aussuchen, ob sie Schwarz sind oder nicht. Unsere Möglichkeit, zwischen den Zuschreibungen zu wechseln, ist ein Privileg in sich.

Studien aus den USA und Großbritannien lassen erahnen, wie sich das strukturelle Privileg von biracial Schwarzen Menschen auch in Deutschland manifestieren könnte. So fanden Forscher*innen in den USA beispielsweise heraus, dass es eine Art biracial Schönheitsstereotyp gibt. Allein zu sagen, dass ein Mensch biracial ist, verändert dessen Wahrnehmung in den Augen vieler Menschen. Laut Studie gilt diese Person dann direkt als »interessanter« und »schöner«.5 Das kann eine unglaublich unangenehme Fetischisierung mit sich bringen, ist aber nicht vergleichbar mit den diskriminierenden Stereotypen, mit denen Schwarze Menschen mit zwei Schwarzen Elternteilen teilweise belegt werden. Auch betrifft uns Anti-Schwarzer Rassismus in der Regel nicht genauso stark. So besagt eine Studie aus Großbritannien, dass Schwarze Frauen ein viermal so hohes Risiko haben, bei der Kindesgeburt zu sterben, wie weiße Frauen. Bei Frauen mit einer sogenannten Mixed-Ethnicity ist das Risiko »nur« dreimal so hoch.6 Der institutionelle Rassismus in der Medizin trifft uns alle, aber er trifft uns nicht alle im gleichen Maße. Das Argument, Schwarze Menschen mit Schwarzen Eltern würden Communities spalten, wenn sie diese Unterschiede betonen, lenkt gefährlich weit ab. Wie können wir behaupten, unser Ziel sei die Schwarze Befreiung, aber gleichzeitig denen nicht zuhören, die auch innerhalb unserer Communities am meisten unterdrückt werden? Wenn Geschwister uns sagen, dass sie sich durch uns nicht repräsentiert fühlen, in ihrer Lebensrealität sogar ausgelöscht, dann wünsche ich mir, dass Schwarze Menschen mit einem weißen Elternteil das sehr ernst nehmen. Anstatt sich reflexhaft zu wehren gegen die bloße Möglichkeit, dass wir bessergestellt sein könnten, sollten wir innehalten. »If telling the truth sows division, then....................... the unity isn’t real.«7 – »Wenn die Wahrheit auszusprechen, Uneinigkeit schafft, dann gab es nie eine echte Einheit«, schrieb die Künstlerin und Aktivistin Bree Newsome Bass.

DAS PROBLEM MIT DEM BLACK AWAKENING

Viele biracial Schwarze Menschen erkennen ihr Schwarzsein innerhalb eines Prozesses der Politisierung. Vielleicht hatte ihr weißes Umfeld ihnen zuvor bewusst oder auch unbewusst eingeredet, sie müssten sich für ihr Schwarzsein schämen. Diese Nähe zum Weißsein, in der viele biracial Schwarze Menschen leben, bedeutet einen unbestreitbaren Zugang zu Privilegien. Gleichzeitig ist sie es auch, die zu den Identitätsproblemen führt, die vielerorts als biracial tears abgetan werden. Ich kenne Schwarze Menschen mit zwei Schwarzen Elternteilen, die von ähnlichen Problemen berichten, weil sie sehr isoliert von anderen Schwarzen Menschen aufwuchsen. Diese Identitätsprobleme lediglich auf biracial Schwarze Menschen zu projizieren, klammert auch die Realitäten vieler adoptierter Schwarzer Menschen in diesem Land aus. Trotzdem: Das Schwarze Erwachen findet sich vor allem in den Erzählungen Schwarzer Menschen mit einem weißen Elternteil wieder. Wäre es da nicht vielleicht wichtiger, diesen Prozess als Teil einer eigenen Identität zu besprechen und nicht unter dem Deckmantel eines kollektiven Schwarzseins? Denn was ist mit denen unter uns, die sich nicht aussuchen können, ob sie Schwarz sind oder eben nicht? Was ist mit denen, für die Schwarzsein von Anfang an mehr war als ihre gesammelten Rassismuserfahrungen? Wo sind ihre Geschichten? Wenn wir Schwarzsein nur aufs Politische beziehen, kommt der kulturelle Aspekt zu kurz. Viele Schwarze Menschen mit zwei Schwarzen Elternteilen wachsen innerhalb eines afrodiasporischen Umfelds auf. Das bedeutet, ihr Blick richtet sich vor allem auf Schwarze Menschen. Dort wünschen sie sich Empowerment und Veränderung.

NIEMAND KANN DIR DEIN SCHWARZSEIN NEHMEN

Rassismuserfahrungen sind nicht weniger gültig, wenn ein Schwarzer Mensch biracial ist. Die Angst, dass das eigene, sehr reale Trauma nicht mehr zählt, beschäftigt viele Schwarze Menschen mit einem weißen Elternteil. Diese Angst sollte unbegründet sein. Als Schwarze Menschen werden wir in einer weißen Welt immer als anders markiert, egal ob wir einen oder zwei Schwarze Elternteile haben. Wir werden als Eindringlinge betrachtet, als exotisch. Je nachdem, wie sehr wir von einer künstlich geschaffenen weißen Norm abweichen, desto schlimmer trifft uns das volle Ausmaß der Andersmarkierung. Dabei darf nicht vergessen werden, dass wir in Deutschland noch eine absolute Minderheit ausmachen. Unsere Rassismuserfahrungen sind oftmals davon abhängig, wo wir aufwachsen und in welchem Umfeld. Ich habe biracial Schwarze Menschen kennengelernt, deren persönliche Leidensgeschichten mir die Sprache verschlugen und mich tieftraurig machten. Biracial Schwarze Personen, die in den Baseball-Schlägerjahren in Ostdeutschland aufwuchsen und vor Nazis um ihr Leben rennen mussten. Biracial FLINTA*, die isoliert aufwuchsen und den geballten Anti-Schwarzen Rassismus ihrer weißen Umgebung abbekamen. Dark skinned biracial Personen, die schmerzhafte Erfahrungen mit Colorism machten. Gleichzeitig versichern mir manche meiner Freund*innen mit zwei Schwarzen Elternteilen, dass Rassismus keinen prägenden Einfluss auf ihren Charakter hatte. Sie wuchsen mit einer starken Community auf, die ihnen Halt gab in dieser weißen Welt. Das alles zeigt, dass individuelle Erfahrungen nicht nach der Regel funktionieren: Biracial Schwarze Menschen sind immer privilegierter als Schwarze Menschen. Intersektionalität spielt dabei wie so oft die entscheidende Rolle. Auf der individuellen Ebene möchte ich mich aber auch nicht bewegen. Persönliche Leidensgeschichten gegeneinander auszuspielen, liegt mir fern. Das möchte ich betonen. Grausame Begriffe wie Oppression Olympics lehne ich ab. Gleichzeitig lässt sich nicht bestreiten, dass die weltweite Abwertung Schwarzer Menschen einer Hierarchie folgt. Deshalb trifft mich Anti-Schwarzer Rassismus auf struktureller Ebene nicht in derselben Härte wie Schwarze Menschen mit zwei Schwarzen Elternteilen. Ich hatte das Glück, dass Familienmitglieder und Freund*innen, die Schwarze Eltern haben, ihre Lebensrealitäten mit mir teilten. Sie sind der Grund, warum ich glaube, meine Privilegien zu kennen. Sie sind der Grund, warum ich jeden Tag dazulerne. Ich danke ihnen für ihr Vertrauen.

SCHWARZ UND/ODER AFRIKANISCH?

Privilegien sind ein flexibles Konstrukt. Sie folgen nicht immer einer klaren Logik und können sich je nach Verortung ändern. Deshalb möchte ich über mehr schreiben als nur mein biracial privilege. Dieses Thema eröffnet viele Fragen zu sozialen Klassen, Ethnizität und Nationalität, zum Geschlecht, aber auch zu Rassismus, Colorism und den Folgen des Kolonialismus. In Deutschland und weltweit. White Supremacy greift in Afrika genauso wie hier. Togoles*innen müssen sich heute rumschlagen mit Neo-Kolonialismus, einem korrupten Wirtschaftssystem und einer Familie, die seit über 50 Jahren an ihrer Macht festhält. Eine Zukunftsplanung ist vielen unmöglich, weil die Jobs fehlen. Dafür gibt es einen Grund: koloniale Kontinuitäten. Mein Privileg hier wie dort bildet sich aus den Überbleibseln des Kolonialismus und der von ihm geschaffenen Weltordnung. Oft bleiben wir in antirassistischen Diskursen an den Grenzen Deutschlands hängen. Sollte unser übergeordnetes Ziel nicht sein, die Ausbeutung unserer Geschwister weltweit zu stoppen? Als Afrikaner*innen der Diaspora bewegen wir uns in einem dritten Raum, sind nicht ganz hier und nicht ganz dort. Uns stehen oftmals andere Ressourcen zur Verfügung als unseren Landsleuten vor Ort. Das ist eine Chance. Das bedeutet, dass wir uns hier auseinandersetzen müssen mit Handelsgesetzen, wirtschaftlichen Verträgen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Es bedeutet, dass wir im Kollektiv politischer werden und uns organisieren müssen.

Es braucht auch mehr Mut, um unangenehme Gespräche innerhalb unserer afrikanischen Communities zu führen, mit unseren Verwandten, egal wie alt sie sind. Wenn du beispielsweise cis und hetero bist, hast du in dieser Welt ein Privileg. Dieses Privileg solltest du nutzen, um dich gegen Diskriminierung zu engagieren, auch wenn sie von der eigenen Familie kommt. Niemand sollte sich in deiner Gegenwart wohlfühlen, wenn er*sie queerfeindliche Kommentare von sich gibt. Irgendwo müssen wir anfangen, die toxischen Traditionen aufzubrechen, die sich in unseren Kulturen festgesetzt haben.

WHERE DO WE GO FROM HERE?

Es gibt heute mehr Schwarze Menschen in Deutschland denn je. Wir gehören zu der am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppe. Teilweise stehen wir vor denselben, teilweise jedoch vor ganz anderen Herausforderungen als die Generationen vor uns. Wie wir damit umgehen, entscheiden wir. Wollen wir wirkliche Solidarität oder kämpfen wir, jede*r für sich allein? Ich möchte an eine gemeinsame Zukunft glauben. Dazu gehört es aber, unsere Unterschiede zu akzeptieren. Sie nicht zu verschweigen und ihnen Platz einzuräumen. Die großartige Sharon Dodua Otoo sagte in einer Rede einst: »Ich bin überzeugt, dass unsere Gesellschaft für uns alle humaner wird, wenn wir uns darauf konzentrieren, die Situation für diejenigen unter uns zu verbessern, die am meisten leiden.«8

Meine Privilegien anzuerkennen, ist ein erster Schritt. Im Anschluss gilt es, mich zu fragen, wie ich meine persönlichen Ressourcen nutzen kann, um andere Schwarze Menschen zu unterstützen. Umverteilung ist hier das Stichwort, sei es finanziell oder durch ideelle Förderungen. Ich möchte, dass wir weiter eigene Strukturen aufbauen. Privat halte ich mich an die Bitte meiner Cousine Didiane: Nebulöse Erzählungen angeblicher Präferenzen vonseiten Schwarzer Männer würge ich beispielsweise im Keim ab. Weder sehe ich meine Fetischisierung durch sie als Kompliment noch möchte ich Komplizin sein in der Herabwürdigung meiner Schwarzen Schwestern. Sprüche wie »Ein Glück bist du nicht ganz so dunkel geraten« dürfen nicht im Raum stehen bleiben, selbst dann nicht, wenn sie von der eigenen Familie kommen.

Ich wünsche mir, dass wir größer träumen. Ich möchte, dass wir uns kollektiv wegbewegen vom Reagieren auf weiße Menschen hin zum Agieren für Schwarze Menschen. Was sind unsere Ziele in diesem Land? Wir sollten weiter denken als nur: Ich möchte keinen Rassismus mehr erleben.

Was wünschst du dir für deine Schwarzen Geschwister? Was wünschst du dir für dich selbst? In welcher Zukunft sollen deine Kinder aufwachsen? Where do we go from here?